Mindestlohn. Ökonomischer Fluch oder Segen für Niedriglohnbezieher und Armutsgefährdete


Seminararbeit, 2008

34 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Gesetzlicher Mindestlohn - aktueller Stand der Diskussion in Deutschland

2 Definition und Begriffe
2.1 Gesetzlicher Mindestlohn
2.2 Kombilohn

3 Der Niedriglohnsektor in Deutschland
3.1 Strukturmerkmale von Beschäftigten im Niedriglohnbereich
3.1.1 Merkmal Qualifikation
3.1.2 Merkmal Geschlecht
3.1.3 Merkmal Alter
3.1.4 Merkmal Nationalität
3.1.5 Merkmal Arbeitszeit
3.2 Zusammenfassung

4 Armut in Deutschland
4.1 Wer ist von Armut bedroht?
4.2 Arm trotz Arbeit - das Phänomen „ working poor “

5 Faktischer Mindestlohn durch ALG II ?

6 Sind gesetzliche Lohnuntergrenzen erforderlich?
6.1 Sinkende Tarifbindung
6.2 Alternative Regelungsinstrumente
6.2.1 Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach dem Tarifvertragsgesetz
6.2.2 Das Arbeitnehmer Entsendegesetz (AEntG)
6.3 Zusammenfassung

7 Mindestlöhne in Europa - Blick ins Ausland

8 Wirkungen von Mindestlöhnen auf Arbeitmarkt und Beschäftigung
8.1 Studien zum Mindestlohn
8.2 Beobachtbare Wirkungen im europäischen Ausland
8.2.1 Das Beispiel Großbritannien
8.3 Was wäre wenn? - Modellrechnung für einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland

9 Persönliches Schlusswort

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Wirtschaftszweige mit überdurchschnittlich hohen Niedriglohnanteilen

Abbildung 2: Qualifikation

Abbildung 3: Geschlecht

Abbildung 4: Alter

Abbildung 5: Nationalität

Abbildung 6: Anteil an Arbeitszeitmodellen von Niedriglohnempfängern

Abbildung 7 Mindestlöhne in Mitgliedsstaaten der EU

Abbildung 8 Beschäftigungsentwicklung im britischen Niedriglohnsektor nach Einführung des Mindestlohns

Abbildung 9: Anteil Beschäftigungsverhältnisse mit Mindestlohn an allen Beschäftigungsverhältnissen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Relation Mindestlohn zum Durchschnittslohn (Vollzeit)

Tabelle 2: Anteil der Vollzeitarbeitnehmer mit Mindestlöhnen

Tabelle 3: Jahr der Einführung

Tabelle 4: Beschäftigtenquote in Europa

Tabelle 5: Arbeitslosenquote in Europa

1 Gesetzlicher Mindestlohn - aktueller Stand der Diskussion in Deutschland

Seit Monaten liefert sich die Politik ein Tauziehen um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland. Mindestlöhne würden Arbeitsplätze gefährden, argumentieren die Gegner, die Befürworter sehen in der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ein wirksames Instrument gegen das steigende Armutsrisiko in Deutschland. Den vorläufigen parlamentarischen Schlusspunkt bildet der Antrag der Fraktion DIE LINKE mit dem Titel „Deutschland braucht Mindestlöhne“, der am 14. Juni mit 431 zu 100 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt wurde (DEUTSCHER BUNDESTAG, 2007). Zuvor waren schon Anträge der Grünen und der FDP zum Thema gescheitert. Die im Bundestag vertretenen Parteien können sich scheinbar nicht einigen. Weiter lässt sich beobachten, dass das Thema gesetzlicher Mindestlohn ein sehr ideologisch geprägtes zu sein scheint.

So lehnen ihn CDU, CSU und FDP, Parteien im eher konservativen „Mitte-Rechts Spektrum“, strikt ab, während die Sozialdemokraten, DIE GRÜNEN und DIE LINKE, allesamt Parteien aus dem eher Mitte - linksgerichteten Spektrum, den Mindestlohn befürworten und ihn, wenn auch in unterschiedlichen Varianten, fordern. Warum ist es scheinbar so schwer, eine mehrheitsfähige Lösung zu finden, was sind die Argumente für und gegen einen gesetzlichen Mindestlohn? Was soll er bezwecken und wer sind die Adressaten, die von einer Einführung betroffen sein würden? Gibt es Länder, in denen bereits ein gesetzlicher Mindestlohn existiert? Und wenn ja, welche Erfahrungen wurden gemacht? Welche Wirkungen auf den Arbeitsmarkt sind zu erwarten bzw. im Ausland bereits beobachtbar? Und welche Rolle spielen tarifliche Möglichkeiten und das Entsendegesetz?

Dies sind die Leitfragen, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegen und die durch sie beantwortet werden sollen.

2 Definition und Begriffe

2.1 Gesetzlicher Mindestlohn

„ Ein gesetzlicher Mindestlohn schreibt vor, dass f ü r eine T ä tigkeit als abh ä ngig Besch ä ftigter ein vom Gesetzgeber festgelegtes Entgelt nicht unterschritten werden darf Der Zweck eines fl ä chendeckenden gesetzlichen Mindestlohns besteht also darin, zu gew ä hrleisten, dass das Arbeiteinkommen in allen F ä llen das Existenzminimum erreich. “ (GAUL, HAYEK 2005: 1).

In 20 Mitgliedsstaaten der EU gibt es einen gesetzliche Lohnuntergrenze, die zwischen 33 % und 52 % des nationalen durchschnittlichen Bruttoverdiensts liegt (REGNARD 2007: 5). GAUL und HAYEK folgen der Devise „Mindestlöhne kosten Jobs“ und nehmen an, dass durch Mindestlöhne, die über dem Gleichgewichtslohn liegen, das Angebot an Arbeitskräften zwar steigt, die Nachfrage aber sinkt und so Arbeitslosigkeit entsteht. So würden Mindestlöhne zwar billigere ausländische Arbeitskräfte fernhalten und Lohndrückerei unterbinden, gleichzeitig aber die Beschäftigungschancen gerade für wenig Qualifizierte verringern. Weiter fühtren Mindestlöhne zu höheren Lohnkosten, die sich, wenn sie nicht in Form von Preiserhöhungen an den Verbraucher weitergegeben werden können, ebenfalls negativ auf die Beschäftigung auswirken würden. Sie sehen die Gefahr, dass die Produktion in ausländische Niedriglohnländer verlegt werden könnte und dadurch Arbeitsplätze in Deutschland verloren gehen oder dass Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit zunehmen (GAUL, HAYEK 2005:2). Diese ökonomische Position ist zwar weit verbreitet aber nicht unumstritten. In Kapitel 7 über Auswirkungen von Mindestlöhnen auf Arbeitsmarkt und Beschäftigung werde ich konkreter darauf eingehen.

2.2 Kombilohn

Es besteht für den Begriff Kombilohn derzeit keine allgemeingültige Definition.

Der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages beschreibt den Kombilohn als “ ...staatliche Transferleistung an Arbeitnehmer zur Aufstockung besonders niedriger L ö hne “ (BUG 2005: 1). Zielgruppe für Kombilohnmodelle sind vor allem nicht oder gering ausgebildete Arbeitnehmer, „ ...die in besonderer Weise von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind “ (EBENDA). Die staatliche Subventionierung von niedrigen Löhnen zielt darauf ab, Menschen in Arbeit zu bringen und sie dazu zu bewegen, auch solche Tätigkeiten anzunehmen, deren Entlohnung ungefähr ALG II Niveau haben. Die zugrunde liegende Annahme ist, dass wer ohne Arbeit mit ALG II gleich viel „verdient“ wie mit einem niedrig entlohnten Job, sich eben gegen die Erwerbsarbeit entscheidet. Weiter wird hier angenommen, dass Arbeitsplätze, etwa auf ALG II Niveau, zwar vorhanden wären, wegen der Konkurrenz zu staatlichen Transferleistungen aber nicht angeboten werden. Diese Annahme hat sich als nicht richtig erwiesen. In einer Evaluationsstudie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit wurden nur geringe Arbeitmarkteffekte festgestellt. Diese wurden darauf zurückgeführt, „ ...dass die implizite Grundannahme sich als unrichtig erwiesen habe, es st ü nden zahlreiche Stellen im Niedriglohnbereich zur Verf ü gung, f ü r die es aufgrund unzureichender finanzieller Anreize keine Bewerber gebe “ (BUG 2005: 2).

Den geringen positiven Arbeitsmarkeffekten, die auch in weiteren Wirkungsuntersuchungen zu Kombilöhnen festgestellt wurden, stehen hohe zu erwartende Kosten für den Staat gegenüber, die Kombilohnmodelle als wenig zielführend erscheinen lassen. Weiter kritisieren die Gegner solcher Modelle, allen voran die Gewerkschaften, negative Auswirkungen auf das Lohnniveau in Deutschland generell. Es wird befürchtet, dass die staatliche Subventionierung von niedrigen Lohnen den Niedriglohnsektor erst etabliert und von den Arbeitgebern als Einladung zur Lohndrückerei verstanden werden könnte.

Kombilohnähnliche Instrumente bestehen aber bereits heute. Ein Beispiel dafür ist die Freibetragsregelung für erwerbstätige ALG II Bezieher. Dadurch soll den Leistungsempfängern mehr Anreiz zur Erzielung eines eigenen Einkommens gegeben werden1.

3 Der Niedriglohnsektor in Deutschland

Hintergrund der Debatte um einen gesetzlichen Mindestlohn, Kombilöhne etc. ist der in Deutschland vorhandene so genannte Niedriglohnsektor. Was ist ein Niedriglohn und wie viele Niedriglohnempfänger leben in Deutschland? Bereits bei diesen Fragen scheiden sich die Geister, da die Forschungsinstitute die Schwelle unterschiedlich definieren. Generell wird als Niedriglohnempfänger bezeichnet, wer weniger als einen bestimmten Prozentsatz des nationalen Medianlohns, des Referenzlohns verdient. Auch diese Schwelle wird unterschiedlich definiert. So werden 50, 66 und 75 Prozent (BÖCKLER STIFTUNG 2006a: 5) des nationalen Medianlohns als Grenze festgelegt. Dementsprechend differieren die Angaben über die Anzahl an Niedriglohnempfängern in Deutschland erheblich, je nach dem welchen Grenzwert die Institute verwenden und ob sie ausschließlich Vollbeschäftigte oder auch teilzeitbeschäftigte Personen für ihre Berechnungen aufnehmen. So differieren die Angaben, wie viele Geringverdiener in Deutschland leben, zwischen 3 bis 4 und 7 bis 8 Millionen (EBENDA). Für eine Bewertung der vorliegenden Forschungsergebnisse ist es also vonnöten, die Berechnungsgrundlagen der verschiedenen Forschungsinstitute zu kennen. In der hier vorliegenden Arbeit wird als Schwelle für den Niedriglohn die Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verwandt, nach der als Niedriglohnempfänger gilt, wer weniger als zwei Drittel des nationalen Medianlohns verdient. Demnach lag die Niedriglohnschwelle Ende 2002 bei 1296 Euro in Osten bzw. 7,67 Euro pro Arbeitsstunde und 1709 Euro im Westen Deutschlands bzw. 10,11 Euro2 (BOSCH, WEINKOPF 2006: 26). Besonders bei den Dienstleistungen, in privaten Haushalten und im Hotel- und Gaststättengewerbe sind die Niedriglohnanteile sehr hoch.

Abbildung 1: Wirtschaftszweige mit überdurchschnittlich hohen Niedriglohnanteilen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bosch, Weinkopf 2006: 27 (eigene Darstellung)

Die Schaffung von Niedriglohnarbeitsplätzen ist seit Jahren ein politisches Ziel. Verbunden sind damit Hoffnungen auf mehr Arbeitsplätze gerade für Geringqualifizierte und dass dadurch dauerhaft mehr Beschäftigung entsteht. Demzufolge ist der Niedriglohnsektor in den letzten Jahren stetig gewachsen. Waren 1990 ca. 13,7% aller sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten Niedriglohnempfänger, so sind es 2001 nach Definition des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) 17,4 % (RHEIN, GARTNER, KRUG 2005: 2). Damit liegt Deutschland leicht über dem Durchschnitt der europäischen Union. Nochmals sei darauf verwiesen, dass bei dieser Erhebung ausschließlich sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigte erfasst sind, da sie den „ weitaus gr öß ten Teil ... stellen “ (SCHÄFER 2003: 427). Bezieht man neben den Vollzeitbeschäftigten noch die Teilzeitbeschäftigten und geringfügig Beschäftigte mit ein, lag der Anteil der Niedriglohnempfänger in Deutschland, bezogen auf alle abhängig Beschäftigten und das Jahr 2004, bei 22,1 % (BOSCH, WEINKOPF 2004: 28). Die geschaffenen Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich sollten, so eine weitere politische Hoffung, Sprungbrett in besser bezahlte Jobs sein. Die vom IAB durchgeführte Untersuchung zur Aufstiegsmobilität von Niedriglohnbeschäftigten von 2005 kommt zu dem Schluss, dass sich die Aufstiegschancen deutlich verschlechtert haben. Von den 1996 stichprobenartig erhobenen Niedriglohnbezieher in Vollzeit waren fünf Jahre später 49,3 % weiter in Vollzeitbeschäftigung. Zwei Drittel davon waren weiter Bezieher von Niedriglöhnen. Damit ist Deutschland, was die Aufstiegswahrscheinlichkeit von Niedriglohnbeziehern betrifft, Schlusslicht der EU. „ In allen anderen untersuchten L ä ndern ist die Aufstiegswahrscheinlichkeit h ö her. Das ist umso bemerkenswerter, als die Gr öß e des deutschen Niedriglohnsektors (...) nur leicht ü ber dem Durchschnitt (...) liegt “ (RHEIN, GARTNER, KRUG 2005: 4). Der Niedriglohnsektor wird so für viele niedrig Entlohnte zur Niedriglohnfalle und „ es steht zu bef ü rchten, dass auch ihr Armutsrisiko dauerhaft steigt “ (EBENDA).3

3.1 Strukturmerkmale von Beschäftigten im Niedriglohnbereich

In den folgenden Abbildungen sind die strukturellen Merkmale von Niedriglohnempfängern skizziert.4

3.1.1 Merkmal Qualifikation

Auffallend ist, dass Beschäftigte ohne Ausbildung in besonderem Maße von niedrigen Löhnen betroffen, während der Anteil der Hochschulabsolventen, die Niedriglöhne beziehen, sehr gering ist

Abbildung 2: Qualifikation

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bosch, Weinkopf 2002: 28 Tabelle 2 (eigene Darstellung)

3.1.2 Merkmal Geschlecht

Fast zwei Drittel aller Niedriglohnbezieher sind Frauen, sie sind in besonderem Maße von Niedriglöhnen betroffen wie in Abbildung 3 zu sehen ist.

Abbildung 3: Geschlecht

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bosch, Weinkopf 2002: 28 Tabelle 2 (eigene Darstellung)

3.1.3 Merkmal Alter

Das Risiko einer Anstellung im Niedriglohnbereich ist besonders für junge Menschen hoch. Fast 40 Prozent der unter 25 jährigen sind Niedriglohnempfänger.

Abbildung 4: Alter

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.1.4 Merkmal Nationalität

Über ein Viertel aller ausländischen Beschäftigten sind Niedriglohnbezieher, während ihr Anteil an der Gesamtwirtschaft lediglich 7% beträgt.

Abbildung 5: Nationalität

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bosch, Weinkopf 2002: 28 Tabelle 2 (eigene Darstellung)

3.1.5 Merkmal Arbeitszeit

Besonders hohe Anteile von Niedriglohnbeziehern gibt es unter den geringfügig Beschäftigten. Aber auch bereits knapp 14% aller Vollzeitbeschäftigten sind Bezieher von niedrigen Löhnen.

Abbildung 6: Anteil an Arbeitszeitmodellen von Niedriglohnempfängern

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bosch, Weinkopf 2002: 29 Tabelle 3 (eigene Darstellung)

3.2 Zusammenfassung

Dem höchsten Niedriglohnrisiko sind demnach Frauen, jüngere Arbeitnehmer, Ausländer und besonders Menschen ohne Berufsausbildung ausgesetzt. Ihre Anteile an Niedriglohnbeschäftigung liegen deutlich über den Anteilen, die sie an der Gesamtwirtschaft haben. Doch sind längst nicht nur diese „Hochrisikogruppen“ von Niedriglohnbeschäftigung betroffen. Zwei Drittel der Niedriglohnbezieher haben eine Berufsausbildung, 73% sind zwischen 25 und 54 Jahre alt und fast 90% sind Deutsche.

4 Armut in Deutschland

Armut bedeutet, ganz allgemein ausgedrückt, Mangel. Fehlt es an Lebensnotwendigem, wie Nahrung, Kleidung oder Unterkunft, ist die physische Existenz bedroht, spricht man von absoluter Armut. In Ländern wie Deutschland ist das durchschnittliche Wohlstandsniveau deutlich über dem physischen Existenzminimum. Andernfalls schützen die sozialen Sicherungssysteme in der Regel vor absoluter Armut. Ausnahmen können Obdachlose oder Drogensüchtige Menschen sein, die nicht immer durch das Netz der sozialen Sicherung aufgefangen werden. Eher relevant und daher auch im Fokus des Armuts- und Reichtumsberichtes der Bundesregierung ist die relative Armut. Dabei wird Armut „ auf einen mittleren Lebensstandard bezogene Benachteiligung aufgefasst “ (BMGS, 2005: 2).

Dabei ist weniger die physische Existenzgrundlage Gegenstand, sondern „ der Ausschluss von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben “ (EBENDA). Gemeint sind damit nicht nur materielle Ressourcen, sondern mangelnde soziale Einbindung, wie z.B. beschränkte Zugänge zu Bildung und Gesundheitsfürsorge. Um Armut messbar zu machen, ist es nötig eine Schwelle zu definieren, unterhalb der jemand als arm gilt. Obwohl Armut nicht nur materielle Aspekte umfasst, wird zur Bemessung dieser Grenze das zur Verfügung stehende Einkommen zugrunde gelegt. In den EU Staaten gilt als armutsgefährdet, „ dessen Ä quivalenzeinkommen weniger als 60% des mittleren Ä quivalenzeinkommens (Median) des jeweiligen Mitgliedsstaats betr ä gt “ (STATISTISCHES BUNDESAMT 2006: 17).

Zur Errechnung der Einkommensverteilung wird das zur Verfügung stehende Haushaltseinkommen betrachtet. Damit lässt sich jedoch die Armutsrisikoquote nicht ermitteln, weil Unterschiede in der Größe der Haushalte dabei nicht berücksichtigt werden. Ob ein Einkommen jedoch nur eine Person zur Verfügung hat, oder eine Familie davon lebt, wirkt sich auf den Lebensstandard aus. Es ist also nötig, „ ...nicht nur ganze Haushalte, sondern die darin lebenden Personen und deren Lebensstandard miteinander zu vergleichen “ (STATISTISCHES BUNDESAMT 2006: 11). Für jede Person eines Haushaltes wird das Einkommen errechnet, „… welches sie (bei gleich bleibendem Lebensstandard) haben m ü sste wenn sie allein leben w ü rde “ (EBENDA). Das Äquivalenzeinkommen ist somit ein gewichtetes Pro-Kopf Einkommen. Die in den EU Staaten allgemein gültige 60% Grenze ist nicht empirisch begründbar, sondern eine politisch gesetzte Marke, die 2001 vom Europäischen Rat festgelegt wurde. 2004 waren 60% des mittleren Äquivalenzeinkommens 10274 Euro jährlich bzw. 856 Euro monatlich. Wessen Äquivalenzeinkommen unterhalb dieser Marke lag, galt als armutsgefährdet. Das waren zu diesem Zeitpunkt 13% der Bevölkerung in Deutschland oder 10,6 Millionen Menschen. 1,7 Millionen waren Kinder unter 16 Jahren.

4.1 Wer ist von Armut bedroht?

In den neuen Bundesländern ist das Armutsrisiko höher (17%) als im Westen (12%).

Alleinerziehende (30%) und Einpersonen Haushalte (27%) sind stärker gefährdet als Paare und Familien. Arbeitslose sind mit 43% die am stärksten von Armut bedrohte Gruppe. Das gilt in besonderem Maße für arbeitslose Singles von denen zwei Drittel als armutsgefährdet gelten. Wer weder über Schul- noch Ausbildungsabschluss verfügt, ist stärker armutsgefährdet (26 %) als Menschen mit einer Berufsausbildung (11%) oder einem Hochschulabschluss (8%).

Gäbe es in Deutschland keine Sozialleistungen wie etwa Arbeitslosengeld, Kindergeld, Sozialhilfe oder Wohnkostenzuschüsse, betrüge das Armutsrisiko 24% (STATISTISCHES BUNDESAMT 2006: 25).

4.2 Arm trotz Arbeit - das Phänomen „ working poor “

Nach Angaben des statistischen Bundesamtes sind 4% der vollzeiterwerbstätigen und 8% der teilzeiterwerbstätigen Menschen in Deutschland von Armut bedroht. Trotz Ausübung einer Erwerbstätigkeit liegt ihr Einkommen nicht über der Armutsgefährdungsgrenze. Das Armutsrisiko der Vollzeiterwerbstätigen mit 4% wirkt auf den ersten Blick, verglichen mit 43% bei den Arbeitslosen, vergleichsweise gering und könnte zu falschen Annahmen verleiten. Wichtig ist hierbei die jeweilige Bezugsgröße. In absoluten Zahlen wird dies deutlicher. Im Dezember 2007 gab es in

[...]


1 Siehe auch Kapitel 5

2 jeweils Vollzeit und brutto

3 Ausschließlich Vollzeitbeschäftigte in Deutschland aus dem Jahr 2002

4 „Anteil an Kategorie“ bedeutet am Beispiel von Abbildung 2: 29,5% aller Beschäftigten ohne Ausbildung sind Niedriglohnempfänger

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Mindestlohn. Ökonomischer Fluch oder Segen für Niedriglohnbezieher und Armutsgefährdete
Hochschule
Hochschule Ravensburg-Weingarten
Veranstaltung
Aktuelle Probleme in der Sozialpolitik
Note
2,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
34
Katalognummer
V93888
ISBN (eBook)
9783640102549
ISBN (Buch)
9783640113583
Dateigröße
667 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Vorliegender Arbeit beschreibt Niedriglohnsektor als Adressat eines gesetzlichen Mindestlohnes in seiner Struktur und das Phänomen "working poor". Weiterhin wird thematisiert, ob Lohnuntergrenzen gesetzlich definiert werden sollten und welche alternative Regelungsinstruumente vorstellbar wären. Im Fokus der Arbeit stehen die ökonomischen Wirkungen, die mit einer Einführung eines Mindestlohnes zu erwarten wären. die Erfahrungen anderer europäischer Nachbarländer, die über einen gesetzlichen Mindestlohn verfügen, skizziert.
Schlagworte
Mindestlohn, Aktuelle, Probleme, Sozialpolitik
Arbeit zitieren
Michael Reiser (Autor:in), 2008, Mindestlohn. Ökonomischer Fluch oder Segen für Niedriglohnbezieher und Armutsgefährdete, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93888

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