Darstellung von Aschanti, Wiener Gesellschaft um 1900 und der autofiktionalen Figur Sir Peter in Altenbergs Werk “Ashantee”


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Ashantee als „sanfte Wilde“

3. Die Kritik an der Wiener Gesellschaft

4. Ambivalente Rolle Sir Peters: Emotional beteiligter Beobachter oder Kolonialist?

5. Schluss

Literatur

1. Einleitung

Mit dem Beginn der Weltausstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Völkerschauen im kommerziellen Stil immer populärer, da im Zuge der Kolonialisierung „exotische“ Völker nach Europa gebracht wurden. Unter dem Vorwand einer anthropologisch-zoologischen und ethnografisch-wissenschaftlichen Konfrontation mit dem Fremden wurden Völkerschauen in Tiergärten legitimiert; diese wurden zu bürgerlichen Repräsentationsorten moderner (Groß-)städte (Schwarz, 2001:133-134).

Der naturwissenschaftliche Anspruch der Völkerschauen wurde jedoch im Lauf der Zeit immer mehr durch eine körperzentrierte Sensationslust der weißen Besucher ersetzt. Die Berichterstattung, welche die koloniale Erfolgsgeschichte reflektierte, trieb diese Sensationslust zudem an, indem sie beispielsweise Frauen mit nacktem Oberkörper abbildeten oder deren Nacktheit und Schönheit beschrieben. Andrew Barker gibt die Intentionen der Besucher wie folgt wieder:

There can be little doubt either that many visitors to the exhibition were drawn less out of anthropological curiosity than by the prurient desire to observe and mingle with ´naked savages.´ The proximity of German ethnological research to soft pornography is well documented in the pseudo-scientific studies of the time which mingle ´scientific´ data about skull sizes and skeletal development of the various races with photographs of naked men and women in frequently erotic poses (Barker, 1996:64).

Diese „Verobjektivierung“ der Fremden trug überdies dazu bei, die moderne Selbstdefinition einer kultivierten und angeblich überlegenen europäischen Gesellschaft zu entwerfen, welche das unterlegene „schwarze Volk“ erziehen müsse.

Die Vielfalt der ausgestellten Völker und die Wandergruppen um 1900 nannten viele Namen, doch war eine Ethnie besonders populär: Die Aschanti. Die westafrikanischen Aschanti wurden in Wien sowohl im Jahr 1896, als auch 1897 ausgestellt. Auch Peter Altenberg gehörte zu den Besuchern dieser Völkerschau, und da es nur wenige Beschreibungen gibt, welche die damaligen Intentionen durch Augenzeugen nachvollziehbar darlegen, ist sein Werk „Ashantee“ als eine subjektive Repräsentation der Völkerschauen im Wien um 1900 zu sehen. Der Autor, ein Autor der Wiener Moderne (von Hammerstein, 2007:147), kritisiert in seiner „Sammlung von impressionistischen und semiautobiographischen Prosaminiaturen aus dem Jahr 1897“ (von Hammerstein, 2007:146) die entwürdigenden Völkerschauen und deren Besucher. Altenbergs Entwertung kolonialer Hierarchisierung ist jedoch ambivalent, wie die folgende Arbeit zeigen soll. Andrew Baker macht ebenfalls auf diese Ambivalenz aufmerksam, wenn er schreibt: “It is evident, too, that the physical and sexual allure of the Ashanti women was a key factor in seizing Altenberg´s imagination” (Barker, 1996:64). In der vorliegenden Arbeit sollen folgende Fragen diskutiert werden: Wie werden die Aschanti in Altenbergs fiktionalen Werk abgebildet? Wie wird die Wiener Gesellschaft um 1900 aus dem kritischen Blickwinkel des Ich-Erzählers dargestellt?. Da die Figur Sir Peters im Werk eine ambivalente Rolle einnimmt, soll diese ebenso untersucht werden. Hierbei stellt sich die Frage, auf wessen Seite sich dieser letztlich stellt: auf die der Ashantee oder die der Wiener Gesellschaft; dies soll in einem letzten Unterpunkt geklärt werden.

2. Die Ashantee als „sanfte Wilde“

Peter Altenbergs Aschanti werden von Beginn des Textes an aus der Perspektive einer rassistischen, eurozentrischen Sicht vorgestellt. Diese Perspektive wird in denjenigen Episoden, in welchen ein persönlicher Kontakt zwischen der autofiktionalen Figur Sir Peter oder Peter A. und den Mädchen stattfindet, zwar kritisiert, doch auch zugleich von der männlichen Hauptfigur nachgeahmt. Die hieraus resultierende, ambivalente Darstellung der Aschanti als „Objekte der sexuellen Begierde“ und als unterdrückte „Individuen“ soll im folgenden Abschnitt aufgezeigt werden:

Die Aschanti stellen für die Wiener Gesellschaft um 1900 das scheinbar „Echte“ und „Natürliche“ dar. Sie sind Menschen, die von der Zivilisation und vom modernen Leben noch nicht erfasst wurden. Dieses Charakteristikum des Exotischen, welches (laut Barker) das „Interessante“ an den Aschanti war, wird von den Organisatoren der Völkerschauen jedoch konstruiert und ein Bild des Fremden „erfunden“. Auf dieses irreale - von der Kolonialpolitik entworfene - Bild primitiver Existenzen wird beispielsweise in der Episode „Gespräch“ aufmerksam gemacht. In dieser Szene findet ein Gespräch zwischen Sir Peter und Tíoko statt. Tíoko kritisiert in dieser Episode ihre Situation im Wiener Prater, denn sie muss nackt sein; so die Anweisungen des Zoodirektors, der seine Schaustellung inszeniert. Im Text heißt es:

Wir dürfen Nichts anziehen, Herr, keine Schuhe, nichts, sogar ein Kopftuch müssen wir ablegen“ (…) „Willst du vielleicht eine Dame vorstellen?!“ „Warum erlaubt er es nicht?!“ „Wilde müssen wir vorstellen, Herr, Afrikaner. Ganz närrisch ist es. In Afrika könnten wir so nicht sein. Alle würden lachen. Wie `men of the bush`, ja, diese. In solchen Hütten wohnt Niemand. Für dogs ist es bei uns, gbé. Quite foolish. Man wünscht es, dass wir Thiere vorstellen. (…) Der Clark sagt: `He, Solche wie in Europa gibt es genug. Wozu braucht man euch?! Nackt müsst Ihr sein natürlich´ (Altenberg, 1897:14).

Tíoko beschreibt hier, dass sie dazu gezwungen wird, menschlich-zivilisierte Attribute abzulegen und animalisch-unzivilisierte Charakteristiken anzunehmen. Diese Konstruktion und Vermarktung eines angeblich primitiven und rückständigen Afrikas zeigt, wie die Aschanti unterdrückt und mit dem Ziel der Profitakkumulation ausgebeutet werden. Eine Folge hieraus ist, dass den weißen Menschen ein höherer Wert auf der Kurve der Menschheitsentwicklung zukommt, so Katharina von Hammerstein (von Hammerstein, 2006:134). Das abgebildete hierarchische Verhältnis zwischen weißen Subjekten und schwarzen Objekten demaskiert die Authentizität der Ausstellungen und fordert Mitleid von den Lesern ein (von Hammerstein, 2006:134).

Im Wiener Prater sind die Aschanti den voyeuristischen Blicken der weißen Wiener Gesellschaft ausgesetzt, und ihr äußeres Erscheinungsbild wird mit Sexualität und Erotik verbunden. Im Text heißt es über ihre knappe Bekleidung und Barbusigkeit beispielsweise folgendes:

Tíoko, im Garten, legt den dünnen heliofarbigen Kattun über ihre wunderbaren hellbraunen Brüste, welche sonst in Freiheit und in Schönheit lebten, wie Gott sie geschaffen, dem edlen Männer-Auge ein Bild der Weltvollkommenheiten gebend, ein Ideal an Kraft und Blüthe (Altenberg, 1897:12).

Die erotischen Beschreibungen der Natürlichkeit stellt die Schönheit und Faszination, welche die Ashantee auf die BesucherInnen der Menschenzoos haben, dar. Es wird hier deutlich, dass die Beschreibung von Tíoko durch eine weiße, männliche, kolonialistische Perspektive erfolgt, denn ihr Körper wird als sexuell begehrenswert dargestellt. Folglich wird die Kritik des Autors an der „Sexualisierung“ der Mädchen teilweise schon an dieser Textstelle entwertet. Dennoch dient diese Darstellung dem Autor Altenberg zunächst dazu, die politische Dimension seines Textes zu verdeutlichen. Er kritisiert, dass schwarze Menschen als Ausstellungsobjekte für erotische Phantasien weißer Menschen herangezogen werden. Die Nacktheit der Mädchen wird von weißen Besuchern mit Erotik, Sexualität und Exotik verbunden. Die Aschanti werden in eine demütigende Lage gebracht, wie diese Darstellung der rassistischen Stereotype aufzeigt. Die vor Kälte zitternden nackten Mädchen repräsentieren etwas Zerbrechliches und Passives, da sie sich nicht zur Wehr setzen können und der Herabwürdigung durch die Zoobesitzer und Besucher ausgesetzt bleiben.

Die sexuellen Assoziationen die bei der Darstellung der Aschanti seitens des Ich-Erzählers konstruiert werden, steigern sich bis zum Gedanken der sexuellen Verfügbarkeit der Mädchen. Der koloniale Gedanke geht von der Käuflichkeit der afrikanischen Frauen aus. Sie werden als tugendlose Objekte gesehen. Auf die Käuflichkeit, auf die später in dieser Arbeit mehr eingegangen werden soll, wird beispielsweise in der Episode „Paradies“ hingewiesen; diese steht im expliziten Gegensatz zu der Episode „Cultur“. Tíoko äußert ihre Wünsche indem sie sagt: „Green bills cutted (…) and lila bills cutted“ (Altenberg, 1897:30). Ihre Freude an den Perlen fördert jedoch die Ausbeutung durch die Wiener Gesellschaft und setzt sie weiter den erniedrigenden Blicken der Besucher aus. Die Aschanti werden hier nochmals als käufliche Ausstellungsobjekte dargestellt, die von den Wienern abhängig und ihrer Gewalt ausgesetzt sind. Die Episode „Ritterlichkeit“ zeigt in diesem Zusammenhang, dass die Aschantifrauen auch von den Aschantimännern unterdrückt werden und deren Gewalt unterlegen sind. In dieser Episode berichtet der Häuptling Bôdjé Sir Peter, dass er am Nachmittag Nahbadû mit einem Ochsenziemer geschlagen habe, weil sie tagelang in der Hütte gesessen und nichts getan habe. Bôdjé sagt: „Wenn alle Mädchen in den Hütten sitzen würden und träumen nicht?! Wofür zahlen die weissen Menschen?! Es ist unsere Pflicht“ (Altenberg, 1897:58-59). Es wird hier deutlich, dass die Aschantimänner ihre Frauen ebenso ausbeuten und unterdrücken, mit dem Ziel, dem Wiener Publikum zu gefallen. Die Entscheidungsfreiheit der Aschantifrauen wird beeinträchtigt, denn sie dürfen nicht selbst bestimmen ob sie beispielsweise den Fetisch-Tanz aufführen möchten oder nicht. Sie müssen entgegen ihres Willens inszenierte Vorstellungen geben und sich von den Besuchern „anstarren“ lassen; ihre „Verobjektivierung“ wird auch innerhalb des Dorfes gefördert. Peter Altenberg kritisiert im Zuge dessen auch die falsche Berichterstattung durch die Wiener Zeitungen, welche noch mehr Besucher anzieht. Diese schreiben trotz der Kälte in Wien: „Unsere schwarzen Fremdlinge im Thiergarten haben nichts von ihrer Laune eingebüsst. Die Unternehmung ist nach wie vor bemüht, dem Publikum - - -“ (Altenberg, 1897:60). Die Inszenierungen werden von der Gesellschaft weder hinterfragt noch kritisiert.

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Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Darstellung von Aschanti, Wiener Gesellschaft um 1900 und der autofiktionalen Figur Sir Peter in Altenbergs Werk “Ashantee”
Hochschule
University of Connecticut  (University of Connecticut)
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V93947
ISBN (eBook)
9783638071994
Dateigröße
397 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Auge, Betrachters, Darstellung, Aschanti, Wiener, Gesellschaft, Figur, Peter, Altenbergs, Werk
Arbeit zitieren
Fabienne Koller (Autor:in), 2008, Darstellung von Aschanti, Wiener Gesellschaft um 1900 und der autofiktionalen Figur Sir Peter in Altenbergs Werk “Ashantee”, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93947

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