Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition von geistiger Behinderung
3. Lebenshilfe allgemein
3.1 Geschichtliche Entwicklung
3.2 Grundhaltung und Ziele
4. Leitideen der Behindertenhilfe
4.1 Normalisierungsprinzip
4.2 Inklusion und Teilhabe
4.3 Empowerment und Selbstbestimmung
5. Die Leitideen der Lebenshilfe als Behindertenhilfe
6. Zusammenfassung und Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Begriff der Behinderung wird in der heutigen Jugendsprache oftmals als ‚Beleidigung‘ verwendet. Doch was bedeutet Behinderung eigentlich? Das Thema ist weit gefächert, weshalb sich diese Hausarbeit auf die geistige Behinderung spezialisiert. Bis vor langer Zeit wurden Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung die Aufnahme in Kindergärten und Schulen verwiesen. Zudem werden Personen mit geistiger Behinderung bis dato in Anstalten gesperrt. In der heutigen Zeit ist der Begriff der geistigen Behinderung ein wichtiger Aspekt der Behindertenpädagogik. Formate, wie das Normalisierungsprinzip oder die Selbstbestimmung, beginnen zu entstehen. Menschen mit geistiger Behinderung wollen so akzeptiert werden wie sie sind, wollen so „normal“ wie möglich leben und ihr Leben selbstbestimmt gestalten dürfen. Es werden Gesetze beschlossen, die das Leben der Menschen vereinfachen sollen. Artikel 3 des Grundgesetztes für die Bundesrepublik Deutschland setzt sich für das Gleichheitsrecht ein. In diesem steht geschrieben: (3) „[…] Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ (GG, Artikel 3,3). Die UN-Behindertenrechtskonvention, die gegen die Benachteiligung von Menschen mit Behinderung angeht, tritt 2008 in Kraft. Des Weiteren entstehen Organisationen und Verbände, die sich für das Leben der Menschen mit Behinderung einsetzen. Besonders die Elternvereinigung Lebenshilfe spielt in der Behindertenpädagogik eine wichtige Rolle.
Doch wie setzt die Bundesvereinigung Lebenshilfe Formate wie das Normalisierungsprinzip oder die Selbstbestimmung um? Schafft Sie mit ihren Leitideen dem gesellschaftlichen Auftrag der Behindertenhilfe gerecht zu werden? Genau dieser Frage möchte ich in dieser Arbeit nachgehen.
In der vorliegenden Hausarbeit wird zunächst versucht auf die Definition der geistigen Behinderung einzugehen. Dabei wird besonders Bezug auf den Wandel des Begriffes genommen. Daraufhin wird das Thema der Bundesvereinigung Lebenshilfe behandelt. Hierzu werden die historischen Entwicklungen sowie die Grundhaltung und Ziele dargestellt. Im Anschluss wird auf das Prinzip der Normalisierung eingegangen. Weiterführend im Kapitel wird ebenso die Bedeutung der Inklusion und Teilhabe sowie die Begriffe Empowerment und Selbstbestimmung behandelt. Im letzten Kapitel beurteilt die Arbeit, ob die Lebenshilfe mit Hilfe ihrer Leitideen und Prinzipien, welche im vorherigen Kapitel dargestellt wurden, dem heutigen Auftrag der Behindertenhilfe gerecht werden. Abschließend wird alles in einem Fazit zusammengefasst.
2. Definition von geistiger Behinderung
Seit Jahrzehnten ist der Begriff der Behinderung ein festes Element in unserer Gesellschaft sowie in der Sonder-, Heil- oder Behindertenpädagogik. Menschen mit Beeinträchtigungen werden bis vor Jahrzehnten als ‚Dorftrottel‘ oder ‚bildungsunfähig‘ betitelt. Oft wird sich regelrecht über sie lustig gemacht (vgl. Nußbeck 2008, S. 5). Allerdings scheint das allgemeingültige Definieren des Begriffes immer noch als schwierig. Dies kann bspw. darin liegen, dass das Definieren von Begriffen oft mit dem endgültigen Festlegen zu vergleichen ist (vgl. Fornefeld 2000, S. 45). Zudem soll ein allgemein akzeptierender Begriff gefunden werden, der die Menschen nicht auf ihre Schwäche reduziert. Es sollen Personen beschrieben werden, die aufgrund von ihrer seelischen, körperlichen oder geistigen Funktion so beeinträchtigt sind, dass sie Schwierigkeiten haben, ihr Leben selbstständig führen zu können (vgl. ebd. 46).
Ende der 1950er Jahre wird der Begriff der geistigen Behinderung eingeführt. Vor allem durch die Elternvereinigung Lebenshilfe beginnt der Begriff in Diskussion zu treten. Durch die Einführung des Begriffs sollen die diskriminierenden Begriffe wie ‚Dorftrottel‘ oder ‚Blödsinn‘ ersetzt werden und die entsprechenden Personen bekommen sprachlich andere Behinderungen zugeordnet. Zudem findet dies einen Anschluss zur amerikanischen Fachsprache. Dort werden Personen mit Beeinträchtigung mit ‚mental handicap‘ oder ‚mental retardation‘ bezeichnet (vgl. Kulig/Theunissen/Wüllenweber 2006, S. 116). Die Definition der geistigen Behinderung wird in den 1990er Jahren stark diskriminiert, da die angesprochenen Personengruppen stigmatisiert werden. Es wird gefordert, dass der Begriff ausgetauscht wird bspw. durch: Menschen mit Hilfebedarf oder Menschen mit Lernschwierigkeiten usw. Allerdings scheint die Veränderung des Begriffs zu Schwierigkeiten zuführen. Der Begriff der geistigen Behinderung ist stark in der Gesellschaft integriert und es würde eine lange Zeit in Anspruch nehmen, bis eine neue Bezeichnung in der Gesellschaft angenommen und verwendet wird. Zudem erschwert es die Kommunikation in der Medizin, Psychologie und Pädagogik (vgl. ebd., S. 117).
Zusammenfassend ist zu sagen, dass es keine einheitliche Definition der geistigen Behinderung gibt, die nicht stigmatisierende und diskriminierende Faktoren mit sich zieht (vgl. Stöppler 2014, S. 17). Auch der Alternativbegriff ‚geistige Entwicklung‘, der im Jahre 1998 durch die Kultusministerkonferenz (KMK) eingeführt wird, ist nicht zufriedenstellend. Aus diesem Grund wird der Begriff der geistigen Behinderung weiterhin verwendet (vgl. Hinz 2013, S. 149f.).
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich größtenteils mit der Bundesvereinigung Lebenshilfe, weshalb nun deren Definition der geistigen Behinderung dargestellt wird:
„Geistige Behinderung ist keine Krankheit. Sie bedeutet vor allem eine Beeinträchtigung der intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen, nicht aber seiner sonstigen Wesenszüge, wie z.B. der Fähigkeit, Freude zu empfinden oder sich wohl zu fühlen. Geistig behinderte Menschen benötigen oft Hilfe und Unterstützung. Durch spezielle Förderung und Begleitung können viele geistig behinderte Menschen lernen, ein Leben zu führen, das ihren Bedürfnissen gerecht wird und das dem von Menschen ohne Behinderung weitgehend gleicht“ (Weingärtner 2013, S. 45).
Diese Definition ist sehr zutreffend, da die oben genannten Probleme der Stigmatisierung widerlegt werden. Es wird darauf eingegangen, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung nicht krank oder ähnliches sind, sondern in der intellektuellen Fähigkeit eingeschränkt sind. Sie benötigen zwar Hilfe und Unterstützung, jedoch können sie durch die individuelle Förderung ein Leben führen, wie jeder andere.
3. Lebenshilfe allgemein
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe ist eine Elternvereinigung, die sich auf Menschen mit geistiger Behinderung spezialisiert haben und „gehört zu den erfolgreichsten Erziehungs- und Schulinitiativen in Deutschland“ (Fornefeld 2000, S. 42). Deutschland findet dadurch eine Verbindung an die Erziehung der geistig behinderten Menschen zu Skandinavien und den westlichen Ländern (vgl. ebd.). Die Aufgabe der Lebenshilfe liegt in der Reform der Behindertenpädagogik. Sie gründen diverse Wohneinrichtungen, Werkstätten sowie Sonderkindergärten und -schulen für alle Altersstufen. Sie setzen sich für die Rechte und das Wohl von geistig behinderten Menschen und deren Familien ein. Zudem stellen sie sich als Aufgabe für alle Menschen mit Behinderung die Selbstbestimmung, die Teilhabe, den Schutz und Fürsorge, die Förderung und Unterstützung zu organisieren und zu verwirklichen (vgl. Bundesvereinigung Lebenshilfe 2011, S. 9).
3.1 Geschichtliche Entwicklung
Im Folgenden wird eine kurze geschichtliche Entwicklung der jetzigen Bundesvereinigung Lebenshilfe dargestellt.
Nach 1945 ist Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung die Aufnahme in allgemeinen Kindergärten und Schulen nicht gestattet, sodass die Erziehung und Versorgung lediglich auf die Eltern fallen. Dies ist einer der Gründe für die Errichtung der Elternvereinigung, damit Ersatzeinrichtungen geschaffen werden können (vgl. Mühl 2006, S. 281). Die Gründung der Lebenshilfe geht zurück auf den Niederländer Tom Mutter, der sich als Flüchtlingskommissar der Vereinten Nation um schwersthirngeschädigte Flüchtlingskinder sorgte, zurück. Seine Arbeit erregt Aufsehen und löst einen Aufruf zur Gründung einer deutschen Elternvereinigung aus. Durch Mutters Einladung, für eine Schaffung einer Vereinigung im Jahre 1958, wird der Verein ‚Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind e. V.‘ von Eltern und Fachleuten in Marburg gegründet (vgl. Lindmeier/Lindmeier 2006, S. 43). In den 1960er Jahren wird die Schulpflicht für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung eingeführt. Die Lebenshilfe errichtet dadurch zahlreiche Sonderschulen (vgl. Fornefeld 2000, S. 42). Erst Ende der 1970er Jahre wird das Recht auf eine schulische Bildung auf alle Kinder, inklusive schwer geistig sowie mehrfach behinderter Kinder, durchgesetzt (vgl. Lindmeier/Lindmeier 2006, S. 46).
Weitere Betreuungsbereiche sind erforderlich und es entstehen Werkstätten, Frühfördereinrichtungen und Wohnheime für geistig behinderte Menschen (vgl. Fornefeld 2000, S. 42). Durch die Errichtung der Erziehungseinrichtungen, den Mitgliedern und der Orts- und Kreisvereinigungen ist die Bundesvereinigung Lebenshilfe 1968 die größte Vereinigung für geistig behinderte Menschen und ihren Familienangehörigen in der BRD. Im selben Jahr gibt es eine Umbenennung, die sich auf die Arbeit in allen Altersstufen bezieht, in: ‚Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte e.V.‘ (vgl. Lindmeier/Lindmeier 2006, S. 45). In den 1970er Jahren entstehen Integrationsklassen, in denen Kinder mit und ohne Behinderung beschult werden. Zudem beginnt der Ausbau der ‚frühen Hilfen‘, bei der die Personen ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren des Kindes unterstützt werden und der Ausbau von Wohnstätten und Werkstätten für Behinderte wird immer größer. In den 80er Jahren legt die Lebenshilfen einen großen Wert auf die Erwachsenenbildung. Es werden Sondererwachsenenbildungsbereiche geschaffen und der Grundsatz des lebenslangen Lernens wird größer (vgl. ebd., S. 47f.). Im Jahre 1995 gibt es eine Einführung des Lebenshilfe-Logos und ein Jahr später wird der Name geändert in: ‚Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.‘ (vgl. Mürner/Sierck 2012, S. 68).
Heute zielt die Lebenshilfe auf das Leitbild der Teilhabe und Inklusion ab. Sie bietet vielfältige Angebote für geistig behinderte Menschen, um sie auf ihrem Weg zur Selbstständigkeit zu begleiten, fördern und unterstützen (vgl. Bundesvereinigung Lebenshilfe 2011, S. 30).
3.2 Grundhaltung und Ziele
Das Grundsatzprogramm der Bundesvereinigung Lebenshilfe aus dem Jahre 1990 mit dem Motto: „Es ist normal verschieden zu sein“ stellt folgende Grundhaltung dar: Menschen mit geistiger Behinderung sollen die gleichen Rechte und Würde wie alle anderen Menschen haben. Für sie ist jeder Mensch einzigartig und wertvoll. Die Lebenshilfe möchte für alle Menschen mit Behinderung der Unterstützer und Ansprechpartner im Leben sein. Sie unterstützen die Interessen der Gesellschaft und Politik und geben Hilfe zur Selbsthilfe (vgl. Bundesvereinigung Lebenshilfe 2011, S. 6).
Durch die Nichtaufnahme von Kindern mit geistiger Behinderung in allgemeinen Kindergärten und Schulen sieht es die Lebenshilfe als zentrale Aufgabe Ersatzeinrichtungen zu schaffen. Darunter sind Sondertagesstätten, -kindergärten und -schulen zu verstehen. Die Bundesvereinigung der Lebenshilfe stellt folgende Ziele auf: das Erleben des Kindseins ermöglichen, so bspw. durch Sonderkindergärten. Die Förderung der Kommunikationsfähigkeit wird besonders dadurch gestärkt, dass Kinder mit geistiger Behinderung im Kindergarten oder in der Schule mit Kindern ohne Beeinträchtigung in Kontakt kommen. Weitere Aufgaben sind die Förderung der Selbstständigkeit, Gruppenfähigkeit, welches die Konfliktfähigkeit einschließt. Abschließend ist die Förderung der kreativ-gestalterischen sowie psychomotorischen Fähigkeiten zu erwähnen (vgl. Mühl 2006, S. 281f.). Des Weiteren ist zu sagen, dass die Lebenshilfe die folgenden drei Grundsätze vertritt: Menschenrechte sichern, Teilhabe verwirklichen und Gesellschaft für Alle gestalten. Die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention, die sich gegen die Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen einsetzen, werden umgesetzt. Die Lebenshilfe möchte eine Gesellschaft schaffen, in der Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen willkommen sind (vgl. Mürner/Sierck 2012, S. 69). Um die Grundsätze zu verwirklichen bietet die Lebenshilfe Förderung, Unterstützung und Begleitung an (vgl. Bundesvereinigung Lebenshilfe 2011, S. 13).
4. Leitideen der Behindertenhilfe
4.1 Normalisierungsprinzip
Maxime: „Ein Leben so normal wie möglich“ (Gröschke 2013, S. 256).
Beginnend ist zu sagen, dass das Normalisierungsprinzip „die Praxis der Behindertenhilfe in den letzten Jahrzenten so nachhaltig verändert“ (ebd.) hat, wie keine andere Reform. Die Entwicklung des Normalisierungsprinzips wird durch drei Personen des öffentlichen Lebens geprägt: Niels Erik Bank-Mikkelsen, Bengt Nirje und Wolf Wolfensberger (vgl. Bundesvereinigung Lebenshilfe 1985, S. 5). Die Tätigkeiten der Personen werden nun dargestellt.
Die obengenannte Maxime ist zurückzuführen auf den Dänen Bank-Mikkelsen. Er lässt diese Maxime im Jahre 1959 in das dänische Fürsorgegesetz aufnehmen. Die Zielsetzung besteht darin, dass Menschen mit Behinderung die gleichen Lebensbedingungen im Wohnen, bei der Arbeit und in der Freizeit haben dürfen wie jeder andere. Durch die in Kraft tretende Maxime werden Versorgungsinstitutionen gebaut und stationären Einrichtungen renoviert (vgl. ebd.).
Der Schwede Nirje spezifiziert das Prinzip und stellt acht Forderung wie ein normaler Lebenslauf, Tages- und Jahresrhythmus, sowie die Trennung der Orte von Arbeit, Freizeit und Wohnen. Des Weiteren die Respektierung der Bedürfnisse, die wirtschaftliche Versorgung, der angemessene Kontakt zwischen den Geschlechtern und einen angemessenen Standard von Einrichtungen. Nirje richtet sich nach dem Ziel, dass Menschen mit geistiger Behinderung ein Leben so normal wie möglich führen können. Dies soll durch die Umsetzung der alters- und geschlechtsgemäßen sowie kulturspezifischen Rollenbeziehungen geschehen (vgl. Stöppler 2014, S. 74). In Skandinavien führt das Normalisierungsprinzip zur Auflösung von Großeinrichtungen und traditionellen Anstalten (vgl. Fornefeld 2000, S. 137).
Der US-Amerikaner Wolfensberger systematisiert und breitet das Normalisierungsprinzip weiter aus, indem er es in einen theoretischen Zusammenhang ordnet. Für ihn ist das Ziel die Aufwertung der sozialen Rolle, weshalb er das Prinzip umbenennt in ‚Aufwertung der sozialen Rolle‘. Er entwickelt folgende drei Handlungsebenen: die Person mit Beeinträchtigung, das soziale System und die Gesellschaft (vgl. Stöppler 2014, S. 74). Auch für Wolfensberger steht die Auflösung von Großeinrichtungen für die Normalisierung des Lebens der beeinträchtigten Menschen im Vordergrund (vgl. Fornefeld 2000, S.138).
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