Der Zusammenhang zwischen Alexithymie und Herzschlagwahrnehmung. Eine systematische Literaturrecherche


Bachelorarbeit, 2017

44 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Emotionen
2.1.1 Emotionstheorie nach James-Lange
2.1.2 Theorie der somatischen Marker
2.2 Alexithymie
2.3 Herzschlagwahrnehmung

3 Fragestellung

4 Methoden

5 Ergebnisse

6 Diskussion
6.1 Diskussion der Literaturrecherche
6.2 Diskussion der Ergebnisse
6.2.2 Betrachtung der Studien mit gesunden Probanden
6.2.3 Betrachtung der Studien mit verschiedenen Störungsbildern
6.2.4 Vergleichbarkeit der Studien
6.2.5 Betrachtung der Stichprobengrößen
6.2.6 Betrachtung der Störungsbilder

7. Fazit

8 Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Korrelation zwischen der TAS und der Herzschlagwahrnehmung

Abbildung 2 Darstellung der TAS Werte und der Herzschlagwahrnehmung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Ausgewertete Originalarbeiten, geordnet nach Publikationsjahr

Tabelle 2 Pearsons Korrelation zwischen der TAS und Herzschlagwahrnehmung

Tabelle 3 Beschreibung der Gruppen und ihrer durchlaufenden Module

Zusammenfassung

Starke Emotionen gehen mit körperlichen Veränderungen einher. Die James-Lange-Theorie (1884) besagt, dass die Wahrnehmung dieser körperlichen Veränderungen ausschlaggebend für das Entstehen der Emotion ist. Diese Theorie wurde 1994 von Damasio weiterentwickelt zu seiner Theorie der somatischen Marker, welche im Gehirn abgespeichert werden. Körperliche Reaktionen auf einen Reiz stellen einen somatischen Marker dar, welcher darüber entscheidet, ob wir in einer zukünftigen ähnlichen Situation noch einmal gleich reagieren, oder ob die abgespeicherte Emotion negativ ist und wir uns für ein anderes Verhalten entscheiden. Ist eine Person nicht fähig, die eigenen Emotionen wahrzunehmen oder zu beschreiben, so spricht man von Alexithymie. Die Fähigkeit körperliche Veränderungen wahrzunehmen nennt man Interozeption. Teil dieser ist die Herzschlagwahrnehmung. Ein Zusammenhang dieser beiden Faktoren wurde mittels einer systematischen Literaturrecherche überprüft. Durch diese wurde ein Überblick über den derzeitigen Forschungsstand gewonnen. Insgesamt wurden acht Studien ausgewertet. Die zwei Studien mit gesunden Probanden ließen Schlüsse auf einen Zusammenhang der beiden Faktoren zu. Die sechs anderen Studien untersuchten Probanden mit unterschiedlichen Störungsbildern. Es ließ sich feststellen, dass Personen mit einer geringeren Herzschlagwahrnehmung auch höhere Alexithymie Werte aufweisen.

1. Einleitung

Emotionen bestimmen unseren Alltag. Mit ihnen treffen wir Entscheidungen, sie dienen der sozialen Kommunikation, wir drücken uns durch sie aus. Doch wie gestaltet sich ein Alltag ohne Emotionen?

Die Unfähigkeit seine eigenen Gefühle wahrzunehmen nennt man Alexithymie. Betroffenen Personen mit dieser Affektstörung fällt es schwer, ihre eigenen Gefühle, aber auch die des Gegenübers wahrnehmen zu können. Was andere Menschen als ihre Gefühle bezeichnen, erleben alexithyme als körperliche Erscheinungen, welche sie nicht näher differenzieren können. Mehr als 25 % der psychisch Kranken und über 10 % der gesunden Bevölkerung zeigen Merkmale von Alexithymie (Grabe, 2013). Die Emotionstheorie von James-Lange (1884) besagt, dass Emotionen erst durch die Wahrnehmung der eigenen physiologischen Reaktion auf einen Reiz entstehen. Diese physiologischen Veränderungen bestimmen mitunter die Intensität der Emotion. Die Fähigkeit diese Veränderungen des Körpers wahrzunehmen nennt man Interozeption. In diesem Zusammenhang soll die Herzschlagwahrnehmung, welche ein Bestandteil der Interozeption ist, soll in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit zukommen.

In der vorliegenden Arbeit sollen die Forschungserkenntnisse zur beschriebenen Thematik zusammengetragen werden, um einen Einblick in den derzeitigen Forschungsstand zu gewähren. Mit einer strategischen Literaturrecherche wurden die Studienergebnisse von Originalarbeiten gesammelt und ausgewertet. Der Schwerpunkt liegt auf der Erfassung des Zusammenhangs zwischen Alexithymie und Herzschlagwahrnehmung. Mit dieser Arbeit soll Alexithymie als besonderer Bestandteil von psychischen Störungen hervorgehoben werden. Durch das Verständnis der Symptome und Ursachen könnte ein wichtiger Beitrag zur Behandlung psychischer Störungen geleistet werden. Alexithymie ist nicht nur häufig ein Bestandteil psychischer Störungen, sondern findet sich auch in der Allgemeinbevölkerung wieder. Die Behandlung könnte somit eine präventive Grundlage für die Vermeidung psychischer Störungen darstellen.

Einführend werden Emotionen und ihre Entstehung beschrieben. Dabei liegt der Fokus auf der physiologischen Emotionstheorie von James und Lange und der somatischen Marker Theorie von Damasio. Darauf folgend wird der Begriff der Alexithymie näher erklärt und die definierten Kriterien dafür genannt. Die Herzschlagwahrnehmung wird im Kontext erläutert und auch ihre Messbarkeit wird dargelegt. Es folgt das methodische Vorgehen dieser Arbeit und die Ergebnisse der Studien. In einer Diskussion werden das Vorgehen sowie die Studien und ihre Ergebnisse kritisch reflektiert. Ein zusammenfassendes Fazit vollendet die Arbeit.

2. Theoretischer Hintergrund

Im Folgenden soll der theoretische Hintergrund dieser wissenschaftlichen Arbeit dargelegt werden. Beginnend mit dem Thema Emotionen wird ein genereller Überblick über verschiedene Emotionstheorien gegeben, welcher die Überleitung zur Definition von Alexithymie bildet - einem Defizit der Emotionsverarbeitung. Weiterhin folgt die theoretische Erarbeitung des zweiten Schwerpunktes dieser Arbeit, der Herzschlagwahrnehmung. Auch das Verfahren zur Messung der Herzschlagwahrnehmung wird dabei aufgegriffen.

2.1. Emotionen

Wenn von Emotionen gesprochen wird, lässt sich lediglich eine Arbeitsdefinition finden, da es in der bisherigen Forschung zu keiner einheitlichen Definition des Begriffes gekommen ist (Horstmann & Dreisbach, 2012). Einige Forscher unterscheiden zwischen Emotionen und Gefühlen, andere verwenden diese Begriffe synonym. Eine Emotion besteht aus verschiedenen Teilaspekten: zum einen dem physiologischen Aspekt, zum anderen dem Aspekt des subjektiven Empfindens, sowie dem motorischen Aspekt. Diese Aspekte sind jeweils emotionsspezifisch. Kognitiv wird zugeordnet, dass eine Emotion vorliegt und auch um welche es sich dabei handelt. Dazu sind keine bewussten Prozesse notwendig (Schandry, 2011). Emotionen zeigen sich als Reaktion auf einen Reiz, können aber auch durch die mentale Eingebung eines vergangenen Ereignisses ausgelöst werden. Sie treten also nie grundlos auf, auch wenn uns dieser Auslöser nicht immer bewusst sein muss. Schon Charles Darwin (1809­1882) beschäftigte sich mit Emotionen. Er sah diese als Verhaltensgrundlage an, welche das Überleben sicherte. Angst beispielsweise lässt den Menschen vor Gefahren entkommen. Außerdem vertrat er die Theorie, dass auch der Gesichtsausdruck maßgeblich am Zustandekommen der Emotion beteiligt ist (Horstmann & Dreisbach, 2012).

Die Teilaspekte der Emotionen gliedern sich wie folgt auf: Auf physiologischer Ebene laufen verschiedene Prozesse ab, wobei hier auch biochemische Prozesse beteiligt sind (Schandry, 2011). Zu den typischen Merkmalen zählen beispielsweise Hitzeempfindungen, ein veränderter Puls, sowie die Schweißbildung oder eine Veränderung der Atemfrequenz. Auf der Ebene des subjektiven Empfindens wird die Wahrnehmung durch die Emotion beeinflusst. Das Erleben der Emotion ist meist kontextspezifisch und individuell. So wird ein Reiz in das Wissen des Betroffenen eingebettet, z. B. dass ein wilder Tiger gefährlich ist, ein Tiger im Zoo hingegen nicht. Dadurch ergibt sich die Bezeichnung des Gefühls (Birbaumer & Schmidt, 2010).

Auf der motorischen Ebene liegen Veränderungen der Gestik und Mimik vor, welche angeboren sind und sich in verschiedenen Kulturen unterschiedlich stark ausgeprägt zeigen. Der Emotionsausdruck ist den jeweiligen Normen und Regeln der Kultur angepasst. Emotionen können jedoch nicht vollständig unterdrückt werden (Birbaumer & Schmidt, 2010).

Ekman (1992) unterschied in seiner neurokulturellen Theorie sechs Grundemotionen anhand von Gesichtsausdrücken. Diese Gesichtsausdrücke treten unwillkürlich als Reaktion auf einen Reiz auf und werden nicht gesteuert. Dazu zählte er Freude, Überraschung, Furcht, Traurigkeit, Ärger und Ekel (Horstmann & Dreisbach, 2012). Die ausgelöste Emotion hat somit immer eine Veränderung der Mimik zur Folge, welche universell ist, aber bestimmten kulturellen Ausdrucksregeln unterliegt (Horstmann & Dreisbach, 2012). Bis heute gibt es keine Einigkeit über die Anzahl der Basisemotionen, es werden zwischen fünf und 16 Emotionen einbezogen (Kunzmann & von Salisch, 2009). Außer in einer Veränderung der Mimik können sich Emotionen auch in Veränderung der Stimmlage und des Ganges sowie der Gestik äußern (Birbaumer & Schmidt, 2010).

Abzugrenzen von Emotionen sind Stimmungen. Diese sind zeitlich überdauernd. Sie können Stundenweise auftreten, aber sich auch über Tage hin erstrecken. Außerdem sind sie meist nicht an externe Reize geknüpft und äußern sich nicht unbedingt über Mimik und Gestik. Eine Stimmung kann eine Tendenz zu einer bestimmten Emotion sein und umgekehrt. Z. B. kann Heiterkeit die Tendenz zur Freude haben. Im Gegensatz zu Stimmungen dauern Emotionen hingegen nicht länger als einige Sekunden an (Birbaumer & Schmidt, 2010).

Verschiedenen Verfahren können zur Untersuchung von Emotionen genutzt werden (Schandry, 2011):

- bildgebende Verfahren
- Messung physiologischer Prozesse des Körpers, z.B. von Puls oder Hautleitfähigkeit
- Gestik und Mimik durch Verhaltensbeobachtung
- Beschreibung der subjektiv erlebten Gefühlswelt

Am emotionalen Empfinden sind verschiedene Hirnregionen beteiligt. Das limbische System spielt eine große Rolle bei der Emotionsverarbeitung . Nachfolgend werden die Aufgaben beschrieben, die von den verschiedenen Strukturen des limbischen Systems übernommen werden.

Die Amygdala als funktioneller Kernkomplex trägt dazu bei, dass auf Emotionen beruhende Verhaltensweisen ausgeführt werden, wie z. B. Flucht bei Angst (Schandry, 2011). Sie besteht aus mehreren kleinen Kernen (Subnuclei), die jeweils verschiedene Funktionen übernehmen. Dazu gehören z. B. die Lenkung des Sexualverhaltens oder die Steuerung von vegetativen und motorischen Prozessen, die während der Emotion ablaufen (Schandry, 2011). Es ließ sich herausfinden, dass die Amygdala auch maßgeblich an der Furchtkonditionierung und anderen negativen emotionalen Zuständen beteiligt ist (Schandry, 2011). Durch ihre Vernetzung mit dem Hirnstamm reguliert sie außerdem die körperlichen und viszeralen Reaktionen auf angstauslösende Reize und steuert die Reaktion von Flucht- und Abwehrverhalten (Peper, 2009). Auch der rechte präfrontale Kortex ist an negativen Emotionen beteiligt. Durch bildgebende Verfahren ließ sich eine Aktivitätssteigerung bei Angstpatienten in dieser Hirnregion nachweisen (Schandry, 2011). Andere Bereiche des präfrontalen Kortex sind an der Emotionsregulation beteiligt, sowie daran, die Konsequenzen der eigenen Handlungen zu antizipieren. Der orbitale sowie der dorsolaterale präfrontale Kortex umfassen Funktionen der emotionalen Kontrolle, sowie exekutive planerische Funktionen (Peper, 2009). Außerdem ist der Hippocampus am emotionalen Geschehen beteiligt. Auch er ist Teil des limbischen Systems und vor allem für die Gedächtnisbildung zuständig. Insbesondere generiert er emotional gefärbte Erinnerungen. Durch ihn bilden sich also auch Assoziationen, welche bei der emotionalen Bewertung von Situationen eine große Rolle spielen (Schandry, 2011). So werden Reize beispielsweise in unterschiedlichem Kontext verschieden bewertet und führen somit zu unterschiedlichen Reaktionen. Das zuvor bereits erwähnte Beispiel aufgreifend, wird ein Tiger in freier Wildbahn somit andere Emotionen auslösen als ein Tiger im Zoo. Desweiteren ist der anteriore Gyrus cinguli (ACC) wichtig bei der Entstehung von Emotionen. Er ist für die Integration von viszeralen und Aufmerksamkeitsprozessen, sowie der Eingliederung emotionaler Deutungen verantwortlich (Schandry, 2011). Zudem ist er an der Affektregulation beteiligt. Beim Auftreten eines eindringlichen schmerzhaften Reizes übernimmt der ACC die emotionale Bewertung dieses Reizes (Peper, 2009, S. 40). Auch die Insula ist an der viszeralen Regulation beteiligt. Sie dient als Schaltzentrum zwischen vegetativen Verarbeitungszentren und vielen afferenten, aus dem limbischen System kommenden Nervenbahnen (Schandry, 2011). Von der Insula gehen efferente Bahnen zu anderen Hirnregionen, wie dem Hypothalamus. Daher wird angenommen, dass die Insula auch eine wichtige Funktion bei der Verschaltung von emotionalen und viszeralen Prozessen übernimmt (Schandry, 2011). Zusammenfassend spielt das limbische System in seinen Komponenten mit der Amygdala und ihren Kernen, dem präfrontalen Kortex, sowie dem Hippocampus, dem ACC und der Insula eine entscheidende Rolle bei der Emotionsregulation und -verarbeitung, sowie bei viszeralen Prozessen.

2.1.1 Emotionstheorie nach James-Lange

Bis zum 19. Jahrhundert wurde angenommen, dass Emotionen rein mentale Prozesse seien und körperliche Erscheinungen in dieser Verbindung von keinem besonderen Wert seien (Schandry, 2011). Die ersten Begründer physiologischer Emotionstheorien waren William James (1842-1910) und Carl Lange (1834-1900). James veröffentlichte 1884 seinen bekannten Artikel „What is an emotion?“. Fast zeitgleich dazu veröffentlichte der Physiologe Carl Lange 1885 ein Buch, dass mit der Theorie von James übereinstimmte, was dazu führte, dass diese Theorie beide Namen trägt. James (1882) Überlegungen beruhen auf allen Emotionen, welche sich deutlich über körperliche Erscheinungen wiederspiegeln. Diese Emotionen sind körperlich spürbar, wenn sie auftreten. Würde man sich eine Emotion ohne all ihre körperlichen Veränderungen vorstellen, so würde nichts mehr übrig bleiben (James, 1882). Er führt an, dass die eigentliche Emotion nicht mehr als die Wahrnehmung der eigenen Körperprozesse sei. Diese Prozesse sind die Folge eines auslösenden Reizes. So zeigt sich bei Personen, die bei Dunkelheit durch einen Wald laufen und plötzlich ein Geräusch hören, eine veränderte Atemfrequenz - der Körper begibt sich in eine Art Alarmstellung. Diese bewusst wahrgenommene Veränderung des Körpers auf den Reiz betitelt James demnach als die eigentliche Emotion. Auf diesen Artikeln folgte zahlreiche Kritik, der sich James stellen musste. Auf die Kritik an seiner Theorie stellte James noch einmal heraus, dass nicht nur der auslösende Reiz (z. B. ein Geräusch), sondern auch die Gesamtsituation (z. B. ein dunkler Wald), maßgeblicher Grund für die Körperreaktion und somit auch die Emotionsentstehung sind (Horstmann & Dreisbach, 2012). Weiterhin gab er an, dass es nicht nur die motorischen Aktivitäten seien, welche die Emotionsentstehung aktivieren, sondern erstrangig die viszeralen Veränderungen, sprich: die Reizreaktionen der inneren Organe wie Magen, Darm, Lunge oder Herz (Horstmann & Dreisbach, 2012).

In der Theorie von Lange (1887) stellt dieser die zum Emotionserleben gehörenden Körperprozesse mit den Gefühlen auf eine Ebene und beschreibt damit, ähnlich wie auch James, diese Prozesse selbst als die Emotion (Schandry, 2011). Differenzieren lässt sich allerdings, dass Lange lediglich die kardiovaskulären Prozesse als Emotion ansieht, während James die gesamten Prozesse des Körpers (auf muskulärer, viszeraler und auch hormoneller Ebene) in seiner Theorie einbezieht (Schandry, 2011). Ohne die Wahrnehmung der Veränderung von körperlichen Prozessen ist laut der Theorie eine Emotion nicht spürbar. Allerdings ist dies nur bezogen auf starke physiologische Erregungen.

2.1.2 Theorie der somatischen Marker

Eine weitere physiologische Emotionstheorie stammt von Antonio Damasio (1994). Die Theorie der somatischen Marker ist eine Weiterentwicklung der James-Lange-Theorie, welche heute Grundlage für viele Studien ist. Auch Damasio nahm an, dass die körperlichen Rückmeldungen auf einen Reiz entscheidend für die Entstehung von Emotionen seien. Damasio war davon überzeugt, dass unterschiedliche Reize nicht immer die gleiche emotionale Reaktion bei einer Person auslösen (Damasio, 2004). Existent sind unzählige Reize, auf die jedes Individuum aufgrund unterschiedlicher Entwicklung auch verschieden reagiert. Biologisch ist der Mensch so ausgestattet, dass er auf einen bedrohlichen Reiz angemessen reagieren kann. Diese Reaktionen sind lebensnotwendig. Ob und wie emotional die Reaktion auf einen Reiz allerdings ausfällt, wird einerseits von den kulturellen Gegebenheiten einer Gesellschaft und andererseits von der persönlichen Entwicklung eines Individuums geprägt. Der Mensch ist außerdem in der Lage aus den Emotionen zu lernen und sie zu reflektieren (Damasio, 2004). Diese gewonnenen Erkenntnisse kommen auch durch die Einbettung des Reizes in den Kontext zustande. Damasio (2004) geht also davon aus, dass unterschiedlich auf einen Reiz reagiert wird, je nachdem welche Assoziation ihm beigemessen wird. So kann eine bestimmte Situation an ein vergangenes Kindheitsereignis erinnern und eine Emotion auslösen. Diese Auslöser sind individuell. Der Kontext und die Erfahrung bestimmen dementsprechend die Emotion. Somit werden frühere Situationen und deren affektive Folgen als somatische Marker im Gehirn gespeichert. Die so gespeicherten Emotionen (somatische Marker) beeinflussen dementsprechend zukünftige Verhaltensweisen (Damasio, 2004). Somatische Marker äußern sich demnach physisch in bestimmten Situationen, die einer vorhergehenden emotional gefärbten Situation ähnlich sind. Diese somatischen Marker können vor unangenehmen Situationen bewahren oder positive Entscheidungen bestärken (Herbert & Pollatos, 2008). Sie führen, teilweise durchaus unbewusst, zu einer schnelleren Entscheidungsfindung. Anatomisch wird der ventromediale Präfrontalkortex in Zusammenhang mit der Speicherung der somatischen Marker gebracht. Eine Läsion (Schädigung) dieser Hirnregion kann zu gewagtem Entscheidungverhalten führen (Herbert & Pollatos, 2008). Die Speicherung der früheren Situationen sowie den dazugehörigen Reaktionen und Auswirkungen kann bei einer Läsion nicht stattfinden und determiniert somit nicht mehr die Entscheidungen in zukünftigen Situationen. Persönliche Erfahrungen und die damit verknüpften Emotionen können nicht mehr als somatische Marker abgespeichert werden und es gibt nicht länger Anhaltspunkte, die das Entscheidungsverhalten beeinflussen. Streichelt man beispielsweise eine Katze und wird von dieser gebissen, so wird die Empfindung des Schmerzes (Konsequenz der Handlung) abgespeichert. Dementsprechend wird diese Handlung künftig vermieden. Ohne diesen gespeicherten somatischen Marker würde dieses Verhalten wiederholt auftreten, denn aufgrund einer Läsion tritt kein Lerneffekt mehr ein. Die wahrgenommene starke körperliche Erregung kann somit einen somatischen Marker speichern. Nehmen wir diese körperliche Erregung jedoch nicht wahr, so ist eine Speicherung nicht möglich. Die Unfähigkeit physiologische Prozesse wahrzunehmen könnte dementsprechend auch Einfluss auf die somatischen Marker haben und somit auf das Entscheidungsverhalten.

2.2 Alexithymie

Vorhergehend wurde dargelegt, was allgemein unter Emotionen zu verstehen ist, wie sie sich darstellen können und wie sie laut verschiedenen Emotionstheorien erklärt werden können. Was aber passiert, wenn eine Unfähigkeit vorliegt, die eigenen Emotionen wahrzunehmen?

Bei Patienten mit psychischen Störungen ist dieses Phänomen häufiger vorzufinden: Sie haben Probleme dabei ihre Gefühle zu benennen, beziehungsweise sie generell empfinden zu können (Schmidt-Atzert, 2009). Die fehlende Wahrnehmung der eigenen Gefühle führt zu dem Mangel, emotionale Reize angemessen verarbeiten zu können (Kupfer, Brosig & Brähler, 2001). Hinzu kommt, dass betroffene Personen auch die Gefühle des Gegenübers nicht adäquat wahrnehmen können. Vor allem bei somatisierten psychischen Störungen ist dieses Defizit zu finden, wie z. B. bei Depressionen oder somatoformen Schmerzstörungen (Grabe, 2013). Dieses Phänomen wird Alexithymie genannt. Der Begriff entstammt der Psychosomatik und wurde 1970 von den Psychiatern Nemiah und Sifneos eingeführt. Er beschreibt die „Gefühlsblindheit" oder „Gefühlslegasthenie". Was andere Menschen als ihre Gefühle bezeichnen, erleben alexithyme Personen als körperliche, für sie nicht näher differenzierbare Erscheinungen. Dies konnten Nemiah und Sifneos (1970) in der klinischen Arbeit mit ihren Patienten feststellen. Dabei beschrieben diese rein körperliche Leiden, ohne dabei psychische Beschwerden anzusprechen. Nemiah und Sifneos sahen die Ursache des Problems im neurophysiologischen Aspekt (Kupfer et al., 2001). Mehr als 25 % der psychisch Kranken und über 10 % der gesunden Bevölkerung zeigen Merkmale von Alexithymie (Grabe, 2013). Eine Differenzierung zwischen Emotion und somatischen Prozessen findet nicht statt. Der Begriff der „pensée opératoire" (übersetzt: automatistisches-mechanisches Denken) wurde 1963 durch Marty und de M'Uzan geprägt und erweiterte den Begriff der Alexithymie. Die Psychoanalytiker entdeckten eine gemeinsame Eigenschaft ihrer Patienten: Sie sind besonders ideenarm und orientieren sich gerne an bereits vorhandenen Fakten. Weiterhin sind sie nicht kreativ und in ihrem Denken mechanistisch (vgl. Schaible et al., 2002). Es wurde zunächst angenommen, dass Alexithymie eine Charaktereigenschaft von Patienten mit somatoformen Störungen war, bis diese Annahme durch empirische Studien widerlegt werden konnte. Diese zeigten, dass alexithyme Merkmale bei vielen verschiedenen psychischen Störungen und sogar in der gesunden Bevölkerung auffindbar sind (Schaible et al., 2002). Alexithymie ist nicht als eigene psychische Störung klassifiziert.

Kritik am Alexithymiekonzept gab es aus sozialpsychologischer Sicht. Jedes Individuum ist durch die in seiner Kultur herrschenden Normen und Regeln geprägt, die sich in seiner Rolle in der sozialen Gesellschaft widerspiegeln. Die dadurch geformte Persönlichkeit ist dementsprechend auch in ihrer Impulsivität und im Ausdruck von Emotionen eingeschränkt (Kupfer et al., 2001).

Um Alexithymie zu messen, wird die Toronto Alexithymie Skala (TAS) von Bagby, Parker und Taylor (1994) weitläufig genutzt. Diese kann Kulturen übergreifend angewendet werden (Wiebking & Northoff, 2015) und umfasst drei Skalen. In Skala 1 werden die Schwierigkeiten bei der Identifikation von Gefühlen erfasst (Difficulties identifying feelings [DIF]; Beispielitem: „Ich habe Gefühle, die ich schwer identifizieren kann“). Außerdem erfragt diese Skala Problematiken bei der Einordnung körperlicher Sensationen bei Emotionen. Ein hoher Wert in dieser Skala deutet darauf hin, dass der Proband Probleme in der Erkennung seiner Emotionen zeigt. Außerdem gibt es Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung simultan ablaufender physiologischer Prozesse (Kupfer et al., 2001). Die zweite Skala „Schwierigkeiten bei der Beschreibung von Gefühlen“ (Difficulties Describing Feelings [DDF]; Beispielitem: „Mir fällt es leicht meine Gefühle zu beschreiben“) misst die Problematik der Verbalisierung der eigenen Gefühle. Es besteht eine hohe Korrelation zur ersten Skala, da die Schwierigkeit seine Emotionen wahrnehmen zu können auch Probleme hervorruft, diese schlecht kommunizieren zu können. Dies wiederum führt häufig zu Einschränkungen auf der sozialen Ebene der Probanden, da diese sich schlecht ausdrücken können (Kupfer et al., 2001). Die letzte Skala - „Extern orientierter Denkstil“ (Externally Oriented Thinking [EOT]; Beispielitem: „Ich teile anderen Menschen gerne meinen Standpunkt zu Dingen mit“) misst das Vermögen der externalen Denkweise. Probanden mit einem hohen Wert auf dieser Skala sind dazu geneigt Dinge wenig zu hinterfragen. Es mangelt ihnen in schwierigen Situationen an strategischem Denken, sowie dem Interesse an der Erarbeitung von Lösungswegen (Kupfer et al, 2001). Die Antwortmöglichkeiten werden auf einer 5-Punkt Likert Skala von 1 (trifft gar nicht zu) bis 5 (trifft völlig zu) vorgegeben. Durch Zusammenfassung der Skalen lässt sich ein Gesamtwert errechnen. Die Ergebnisse der Gesamtskala dienen vor allem der Einteilung der Probanden in hoch oder niedrig alexithym. Es können insgesamt 100 Punkte erreicht werden. Ein erreichter Wert über 54 bedeutet stellt Alexithymie fest. Je höher der Wert, desto größer die Ausprägung der Alexithymie. Der Test kann mit Einzelpersonen durchgeführt werden, aber auch als Instrument für eine Gruppentestung genutzt werden und dauert etwa 5 Minuten. Für Personen ab 14 Jahren liegen Normwerte vor (Kupfer et al., 2001). Es erfolgt keine Differenzierung von Alter oder Geschlecht, lediglich bei der Schulbildung sollten gesonderte Normwerte zu Rate gezogen werden. Die TAS besitzt eine gute interne Konsistenz, sowie eine gute Test-Retest Reliabilität und Validität (Bagby, Parker & Taylor, 1993; Kupfer et al., 2001).

Er findet Anwendung in der Psychosomatik, besonders in den drei folgenden Bereichen (zitiert nach Kupfer et al., 2001, S. 11):

„1) Alexithymie als klinisch bedeutsame Variable bei psychiatrischen und psychosomatischen Störungen
2) Alexithymie als psychobiologisch faßbare Störung der Affektverarbeitung
3) Alexithymie als Kultur- und Schichtphänomen"

2.3 Herzschlagwahrnehmung

Wie zuvor bereits erwähnt, sind vor allem physiologische Komponenten verantwortlich für die Entstehung einer Emotion. Die Perzeption (Wahrnehmung) der eigenen Körperprozesse wird als Interozeption bezeichnet. Diese teilt sich wiederum in zwei Formen auf: Zum einen die Propriozeption, welche die Signale von Haut und Muskeln und die Lage des eigenen Körpers im Raum erfasst, sowie die Viszerozeption, welche auf der Wahrnehmung der Informationen der inneren Organtätigkeiten beruht (Herbert & Pollatos, 2012). In dieser Arbeit geht es um die Herzschlagwahrnehmung gehen, welche Teil der Viszerozeption ist. Wie auch schon die Theorie von James (1882) nahelegt, gehen Emotionen mit starken körperlichen Veränderungen einher. Wie bereits dargelegt stellte er heraus, dass die viszeralen Veränderungen von maßgeblicher Bedeutung für das Emotionserleben seien. Wie unterschiedlich aber ist die Fähigkeit ausgeprägt, die eigenen körperlichen Veränderungen wahrzunehmen? Dieser Frage ging Schandry 1981 mit seiner Studie „Herzschlagwahrnehmung und Emotionserleben" nach. Er stellte die Annahme auf, dass Emotionen intensiver wahrgenommen werden, wenn eine bessere Herzschlagwahrnehmung besteht. An der Studie nahmen 39 Studenten und Angestellte zwischen 18 und 40 Ja hren teil. Keiner der Probanden hatte vorher an einem psychophysiologischen Experiment teilgenommen. Nach der Ankunft im Labor bekamen die Probanden eine Einweisung zu den Geräten und dem Ablauf der Studie. Anschließend wurden ihnen Elektroden an der Hand fixiert. Danach füllten sie den State-Trait-Angstinventar (Spielberger, Gorsuch, Lushene, Vagg & Jacobs, 1983) aus. Darauf folgend wurde die Tür geschlossen und der Proband wurde durch einen Lautsprecher angewiesen, während der Prüfungssituation ruhig sitzen zu bleiben. Anschließend wurden die Instruktionen gegeben. Die Probanden sollten in drei Intervallen von unterschiedlicher Dauer (25, 35 und 45 Sekunden) ihren Herzschlag zählen. Dazwischen folgte jeweils eine Pause von 30 Sekunden. Nach jedem Intervall teilten die Probanden ihre Zählung oder Schätzung mündlich mit. Anschließend durften sie den Raum verlassen und füllten Persönlichkeitsfragebögen aus. Die physiologischen Daten wurden mit der Hautleitfähigkeit, der Atmung und eine Elektrocardiogramm (EKG) gemessen. Es wurde die Differenz zwischen gezählten und tatsächlichen Herzschlägen mittels folgender Formel berechnet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der berechnete Wert kann zwischen null und eins liegen. Eins entspricht einer exakten Herzschlagwahrnehmung, null bedeutet, dass die Versuchsperson ihren Herzschlag nicht wahrnimmt. Die Personen, die in den Fragebögen höher bei emotionaler Labilität abschnitten und eine höhere Neigung zu Angst aufwiesen, hatten eine bessere Herzschlagwahrnehmung. Dementsprechend leitete Schandry aus der Studie ab, dass eine höhere Herzschlagwahrnehmung in Verbindung mit einer intensiveren Gefühlswahrnehmung steht.

Involviert in die Wahrnehmung des eigenen Herzschlages sind auf neuronaler Ebene vor allem die anteriore Insula, der ACC, der ventromediale, der orbitofrontale und der präfrontale Kortex (Brewer, Cook & Bird, 2016; Herbert & Pollatos, 2008). Auf einige dieser Areale wurde zuvor bereits verwiesen, da sie auch bei der Gefühlsregulation beteiligt sind. Schon Damasio sah das Cingulum als entscheidenden Ort der Emotionsverarbeitung, sowie der Viszerozeption an (Herbert & Pollatos, 2008). Es scheint also Überschneidungen bei der Verarbeitung von affektiven und nicht affektiven Zuständen im Gehirn zu geben.

3. Fragestellung

Vor dem theoretischen Hintergrund, dass die Wahrnehmung körperlicher Sensationen entscheidend für die Gefühlswahrnehmung ist, wird die Hypothese aufgestellt, dass ein Zusammenhang zwischen Herzschlagwahrnehmung und Alexithymie besteht. Sie lautet: Wenn eine Person alexithyme Merkmale aufweist, so zeigt sie eine niedrig ausgeprägte Herzschlagwahrnehmung. Laut der TAS hat eine Person Alexithymie, wenn sie einen Wert von mehr als 54 Punkten erreicht. Dabei sollen „alexithyme Merkmale“ nicht ausschließlich Personen einschließen, welche über dem Cut-off Wert der TAS liegen, sondern es sollen lediglich hohe Ausprägungen mit niedrigen verglichen werden. Mit Hilfe der Literatur soll Aufschluss darüber gegeben werden, ob alexithyme Personen eine geringere Herzschlagwahrnehmung und damit eine geringere Interozeptionsfähigkeit aufweisen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Der Zusammenhang zwischen Alexithymie und Herzschlagwahrnehmung. Eine systematische Literaturrecherche
Hochschule
Private Fachhochschule Döpfer
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
44
Katalognummer
V945059
ISBN (eBook)
9783346279910
ISBN (Buch)
9783346279927
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zusammenhang, alexithymie, herzschlagwahrnehmung, eine, literaturrecherche
Arbeit zitieren
Mirja Harlos (Autor:in), 2017, Der Zusammenhang zwischen Alexithymie und Herzschlagwahrnehmung. Eine systematische Literaturrecherche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/945059

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