Arnold Gehlens Menschenbild


Trabajo de Seminario, 2000

10 Páginas, Calificación: 2-

Anónimo


Extracto


Inhaltsverzeichnis:

1.Einleitung - Biographische Daten zu Arnold Gehlen
1.1. Thematische Einleitung
1.2.Methodisches Selbstverständnis

2.Hauptteil
2.1.Tier-Mensch-Vergleich
2.1.2. Ablehnung des Stufenschemas von Max Scheler
2.1.3. Das Tier
2.1.3. Das Menschenbild Arnold GehlensS

3. Eine Kritische Betrachtung des Menschenbildes A. Gehlens

1. Einleitung - Biographische Daten zu Arnold Gehlen

Arnold Gehlen kam am 29.1.1904 in Leipzig als Sohn eines Verlegers zur Welt. Er studierte Philosophie in Köln und Leipzig und promovierte anschließend bei Hans Driesch über dessen Theorie der Setzung. Mit der Schrift „Wirklicher und unwirklicher Geist“ habilitierte er 1930 und wurde vier Jahre später zum Ordinarius für Philosophie in Leipzig berufen. (Böhler, Dietrich 1981, S.23) Er stand zu dieser Zeit politisch auf der Seite des NS-Regimes. Er trat bereits 1940 dem NS-Dozentenbund bei. Die erste Auflage seines Hauptwerkes „Der Mensch“, das im Jahr 1947 erschien, enthält eine Legitimation des Nationalsozialismus, die erst bis zur vierten Auflage 1950 vollständig eliminiert wurde. Dabei wurde an der Struktur des Buches jedoch nichts verändert. (Roughley, Neil 1995, S.310)

Arnold Gehlen begann seine Lehrtätigkeit in Königsberg und Wien bis er zur Armee ging und schließlich 1942 gar nicht mehr lehrte.

Nach dem Krieg (1947) lehrte er Soziologie in Speyer und Aachen bis 1969 und starb am 29.1.1976 in Hamburg. ( Böhler, Dietrich 1981, S. 231)

1.1.Thematische Einleitung

Das Hauptwerk Arnold Gehlens „Der Mensch“ beschäftigt sich mit dem Menschen als biologisches Sonderproblem und zeichnet seine Sonderstellung in der Welt.

Arnold Gehlen gilt als Vertreter der philosophischen Anthropologie. Er versucht in seinem Werk aufzuzeigen, was einzelne Erziehungsphänomene vom Wesen des Menschen offenlegen und fragt sich nach den Bedingungen von Erziehung.

Es gilt, das Menschenwesen als „ homo educandus“ und „ homo educabilis“ (bildungsbedürftig und bildungsfähig) darzustellen und Grenzen aufzuweisen. ( Wulff, Christoph 1994, S.9)

1.2. Methodisches Selbstverständnis

Gehlen hatte sich vorgenommen, mit „Der Mensch“, einem Entwurf einer elementaren Anthropologie, dem Wunsch der Menschen nach einer Deutung ihres eigenen Wesens nachzukommen. (Gehlen 1978, S.9) Er stellt „ein System einleuchtender, wechselseitiger Beziehungen aller wesentlichen Merkmale des Menschen“ (Gehlen 1978, S.17) auf, wodurch seine Anthropologie zu einer „ System“ - Betrachtung ( Karneth 1991, S.45) des Menschen wird.

Gehlen ist bestrebt, den anthropologischen Dualismus seit Descartes zwischen Körper und Geist zu überwinden; den Menschen sowohl anatomisch- biologisch, als auch kulturgeschichtlich-soziologisch zu sehen, was zu einer Charakterisierung seiner pädagogischen Anthropologie als „integrierende Wissenschaft“ (Gehlen 1983-Bd.4, S.405) führt.

Der Leitbegriff in Arnold Gehlens Werk „Der Mensch“ ist die Handlung. Der Mensch wird als „Naturentwurf eines handelnden Wesens“ (Gehlen 1978, S. 32) gesehen, wobei die gesamte Organisation des Menschen von daher nachzuweisen ist. Die genannte Bestimmung dient als Arbeitshypothese, die die Herleitung empirisch verifizierbarer/falsifizierbarer Sätze ermöglicht. Gehlen verfährt nach einer empirisch-wissenschaftlichen Methode, indem er Hypothesen aufstellt und sie an den Tatsachen mißt. ( Gehlen 1983-Bd.4, S. 67)

Somit läßt sich seine pädagogische Anthropologie als empirische Philosophie beschreiben.

Sein erkenntnisleitendes Interesse ist dabei praktischer Art: Er fragt sich, „wie ein konsistentes, mit sich identisches Handeln, das als solches einen Willen durchhalten und durchsetzen kann, möglich ist.“ (Böhler, Dietrich 1981, S.233)

Voraussetzungen für und Einflüsse auf die Gehlensche Philosophie Zunächst ist auf die Voraussetzungen der rationalistisch-idealistischen Tradition hinzuweisen, die seit Descartes über die Aufklärung und den Deutschen Idealismus herrschten:

1. Nach dem Prinzip des Solipsismus geht die Philosophie von einem einsamen Bewußtsein „Ich“ aus.
2. Man unterscheidet zwischen Subjekt („Ich“) und Objekt (Außenwelt) in bezug auf das Wirkliche, wodurch „Handeln zur Subjekt-Objekt-Relation“ (Böhler 1981, S. 235) wird.

Gehlen vertritt zudem eine dezisionistisch pragmatische Position als Gegenpol zum Existentialismus seiner Zeit, indem er die Notwendigkeit stabiler Handlungsordnungen beschreibt und typisch für den Vorabend des Faschismus den bürgerlichen Historismus (Dilthey) und Existentialismus (Jaspers) als weltfremden „Lebensersatz“ (Gehlen 1964, S.114) kritisiert. Er spricht sich statt dessen für die Entscheidung aus, welche „das Risiko des tätigen Lebens auf sich nimmt und d.h. sich irgendeiner Handlungsordnung unterwirft“ (Böhler 1981. S.240).

2.Hauptteil:

2.1.Der Tier-Mensch-Vergleich

Der Mensch ist im Gegensatz zu allen andern höheren Säugern morphologisch hauptsächlich durch Mängel bestimmt.

Diese sind im wesentlichen negativ und äußern sich als Unspezialisiertheiten, Primitivismen und Unangepaßtheiten. Die lebensgefährlichen Mängel des Menschen würden ihn unter natürlichen, ursprünglichen Bedingungen längst zur Ausrottung geführt haben. Eine Analyse der Sonderstellung des Menschen mit Hilfe des Mensch-Tier-Vergleichs stellt das methodische Grundmuster der philosophischen Anthropologie dar.

2.1.2. Ablehnung des Stufenschemas Max Schelers

das Stufenschema Max Schelers unterscheidet zwischen den Abschnitten Instinkt, Gewohnheit, praktische Intelligenz und menschliche Intelligenz. Nach dieser Ordnung wären nur zwei Möglichkeiten vorhanden, den Menschen zu definieren:

1.Es bestünde nur ein kontinuierlicher Unterschied zwischen Mensch und Tier. Als Folge dessen wäre der Mensch nur als „bloße Anreicherung oder Verfeinerung“ tierischer Eigenschaften definiert.
2.Der Mensch unterschiede sich vom Tier nur durch seine Intelligenz, bzw. seinen „Geist“.

2.1.4. Das Tier

Laut Gehlen beruht dieses Stufenschema Max Schelers auf falschen Vorstellungen:

Der Mensch wird als „Gesamtentwurf der Natur“ dem Tier gegenübergestellt und ist von einem „Strukturgesetz“ geprägt; dem Mensch als „handelndem Wesen“.

In seiner Betrachtung des Tieres beruft sich Arnold Gehlen auf die „Umweltlehre“ von Jakob von Uexkülls. Dieser weist eine Harmonie zwischen dem organischen Aufbau eines Tieres (Organaustattung) , zwischen seiner Umwelt und seiner Lebensweise auf.

Tiere sind durch regionale Fesselung an eine bestimmte Umwelt gebunden. Das jeweilige Tier ist nur in seiner speziellen Umwelt lebensfähig. Der erste Fundamentalsatz Jakob von Uexkülls besagt, daß alle Tiere mit der gleichen Vollkommenheit in ihre Umwelt eingepaßt sind. Die Umwelt der Tiere besteht aus Merkwelt und Wirkwelt. Das Tier reagiert mit speziellen Rezeptoren auf die entsprechenden Merkmale aus der Merkwelt, und wirkt in Reaktion darauf mittels seiner Effektoren in die Wirkwelt (Außenwelt) hinein. Dieses Reaktionsschema bezeichnet man als „Funktionskreis eines Tieres“. Um dies anhand eines Beispieles zu erläutern: Der Funktionskreis einer Zecke. Mittels eines allgemeinen Lichtsinnes der Haut, der ihr den Weg weist, vermag das begattete Weibchen Äste von Sträuchern/Bäumen zu erklettern, wo es darauf wartet, daß ein Säugetier vorbeikommt. Sie riecht die Buttersäure der Hautdrüsen des Säugers und läßt sich fallen. Säuger haben eine warme Körpertemperatur, so daß die Zecke auf eine warme Stelle auf den Körper des Tieres fallen kann. Dann sucht sich die Zecke eine haarfreie Stelle und bohrt sich saugend in die Haut des Tieres ein. Dieselbe Reaktion zeigt die Zecke an entsprechend warmen Kunstmenbranen.(Gehlen 1978, S. 74) Es wird somit jede andere Flüssigkeit mit entsprechender Temperatur aufgenommen. Vollgesogen läßt sich die Zecke zu Boden fallen, legt ihre Eier ab und stirbt. Die Zecke ist in diesem Funktionskreis „gefangen“. Während der Mensch die ihm lebensfeindlich gegenüberstehende Natur in die lebensfreundliche Kultur transformiert, kann das Tier nur sich selber den Veränderungen der Umwelt anpassen; es lebt in biologisch-morphologischer Harmonie mit seiner Umwelt. Innerhalb dieser handelt es lediglich instinktgeleitet. Instinkthandlungen sind organisch festgelegte, spezielle Verhaltensweisen auf Umweltsituationen. Es sind vererbbare Bewegungskoordinationen, bzw. auf Außenreize reagierende Bewegungen (Taxien), die auf Schlüsselreize auf einem bestimmten Rezeptor ansprechen. Hinzu kommt das sogenannte Apppetenzverhalten, wonach das Tier nach instinktauslösenden Reizsituationen sucht. Demzufolge entsprechen alle Lernmechanismen des Tieres einem bedingten Reflex.

Tiere sind unfähig, ihr Verhalten von den Triebimpulsen abzukoppeln. Sie sind im „Jetzt“ gefangen. Tiere sind auf diese Art und Weise determiniert, was sich in der Indifferenz demgegenüber zeigt, was ihre Triebe nicht reizt. Zudem ist jedes Tier hoch spezialisiert. Es besitzt Fähigkeiten, die einzig für seinen Lebensraum nützlich und notwendig sind. In einem anderen Lebensraum wären diese spezialisierten Fähigkeiten unnütz. Das Tier wäre dadurch in den meisten artfremden Lebensräumen nicht überlebensfähig.

Das Gebiß eines Eichhörnchens z.B. ist speziell für das Knacken von Nüssen ausgerichtet. Das Tier ist völlig auf die Existenz dieser Nüsse angewiesen und somit von seinem spezifischen Lebensraum abhängig.

2.1.4. Das Menschenbild Arnold Gehlens

1. Grundlagen der Weltoffenheit und Antriebsstruktur

Durch den Tier-Mensch-Vergleich gelangt Gehlen zu einem Menschenbild, welches das von ihm gesuchte „Strukturgesetz“ (Gehlen 1978, S.22) aufweist. Er destilliert aus dem Vergleich typisch menschliche Eigenschaften, die sich aus dem Verständnis des Menschen als „Mängelwesen“ (vgl. Gehlen 1978, S. 33) erklären und herleiten lassen. Dies sei im Folgenden zu erläutern, ebenso wie die Frage, welche Folgen das Menschenbild auf das Handeln der Menschen, ihre Antriebsstrukturen und ihre Lebensweise hat. Während ein im „Jetzt“ gefangenes Tier einfach lebt, indem es auf die von ihm nicht ausblendbaren Reize reagiert,“ führt der Mensch sein Leben“ ( Gehlen 1978, S. 17). Er nimmt Stellung zu sich selbst, d.h., er reflektiert das Erfahrene, sowie seine eigenen Handlungen; er verfügt über sich und über Sachen. Gehlen nennt ihn das „handelnde Wesen“ (Gehlen 1978, S 32), wie bereits Aristoteles im Tier-Mensch-Vergleich feststellte. Jenes Wesen ist befähigt, sich geistig aus dem Jetzt, der gegebenen Situation, zu lösen, es weist keine dem Tier ähnliche Triebdetermination auf. Dadurch ist die Skala seiner Handlungsmöglichkeiten durch freie Kompositionen seiner Bewegungen unheimlich vergrößert. Seine Handlungsabläufe werden dadurch variabel, er kann sich ferner vergegenständlichen und versachlichen. Er erlangt folglich eine Distanz zu sich selber, seinen Trieben und zu den Objekten seiner Umwelt, welche durch seine sinne wahrgenommen werden. Dies ist der erste Aspekt seines qualitativen Unterschiedes zum Tier: der Wille des Menschen, der Wesensqualität bezeichnet ( Fonk 1983, S. 61).

Der Mensch folgt nicht einem vorgegebenen Zweck wie ein Tier (Beispiel Zecke), sondern er kann sich selber Zwecke vorschreiben. Er handelt frei, während ein Tier unfrei reagiert. Der Mensch ist nicht natürlichen Rhythmen / Prozessen wie Ernährung und Fortpflanzung unterworfen ( welche das Tier periodisch durch Instinkte regelt), er tritt in ein distanziertes Verhältnis zu sich selber und kann jene Bereiche bewusst kontrollieren. Sie werden seinem Willen unterworfen.

Beispiel: Ein Junge sitzt im Bus und hat großen Hunger. Neben ihm sitzt ein kleiner Junge, der ein Brot ißt. Obwohl der größere Junge auch der stärkere ist, nimmt er dem kleineren nicht sein Brot weg, sondern kontrolliert seine Triebe. Im Tierreich gilt jedoch das Recht des Stärkeren.

Der Mensch kann sich zu seinen Trieben oder Interessen negativ verhalten, sie ablehnen oder unterdrücken. Dadurch zeichnet sich ein typisch menschliches Antriebsleben aus. (Vgl. Gehlen 1978, S. 52ff).

Seine Handlung erfolgt nicht blind und instinktiv.

Dies hängt damit zusammen, dass der Mensch keinem konkreten Umweltausschnitt biologisch (in bezug auf seine Organbeschaffenheit) angepasst ist. Er hat keinen klar definierbaren, abgrenzbaren Lebensraum wie ein Tier. Ganz im Gegenteil: Er ist potentiell überall lebensfähig, vorausgesetzt er wandelt seine Umwelt in eine lebensdienliche Umwelt um. Er richtet sich Mechanismen zum Schutz vor Witterung und gefährlichen Tieren ein. Der zunächst heimatlose Mensch muß sich mit seiner Welt bekannt machen und alles, was er zur Lebensführung benötigt, durch Planung und effiziente Verwendung von Hilfsmitteln erwerben. Die Natur stellt sich ihm nicht direkt zur Verfügung. Er muß sich von der Situation, vom „Jetzt“, abheben und sein Handeln auf die Zukunft ausrichten, während das Tier nicht zwischen Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart unterscheiden kann. Der Mensch ist ein sehr unspezialisiertes Wesen, und genau das macht seine „Weltoffenheit“ aus.

Daraus entsteht die Frage nach dem Antriebswesen des Menschen: Wie soll seine Antriebswelt beschaffen sein, damit er sich durch Handlungen am Leben erhalten kann?

Es ist die Frage nach den Existenzbedingungen dieses schutzlosen und bedürftigen Wesens, das handeln muß, um am Leben zu bleiben. Der Mensch, ein „Mängelwesen“ ( Gehlen 1978, S. 20), das vorwiegend durch seine Mängel, also Unspezialisiertheiten organischer Art ( bzw. Primitivismen) bestimmt wird, wäre unter natürlichen Bedingungen längst ausgerottet. Zunächst sei festgestellt, dass die antriebe des Menschen auf Handlungen und Ziele bezogen / orientiert werden müssen. Es erscheint lebensnotwendig, Bedürfnisse zu hemmen und aufzuschieben, um rational die Mittel zur Erreichung des angestrebten Zieles logisch zu planen. Der Mensch hat sogar das Bedürfnis, seine Antriebe zu hemmen. Das Antriebsleben muß dem Menschen bewußt sein (Gehlen 1978, S.55f), damit er es entsprechend zweckrational leiten kann. Aufgeschobene Bedürfnisse führen zu einem Hiatus zwischen Bedürfnis und Erfüllen. In diese Lücke tritt ein System an Weltorientierung, nach dem der Mensch seine Handlungen ausrichtet. Die Instinktreduktion hemmt folglich den Reflexautomatismus und setzt gleichzeitig Verhaltensweisen des Menschen frei.Die Menschwerdung erfolgt also letztendlich durch Instinktreduktion.

Ein Medium der Triebbeherrschung ist die vom Menschen geschaffene Kultur. Nichtsdestotrotz ist der Mensch mit einem ständigen Antriebsüberschuß konfrontiert.Dieser ermöglicht ihm sowohl schöpferische Tätigkeiten,als auch die Entstehung „auf Dauer gestellten Strukturen“ ,die nach Gehlen (Gehlen 1978, S.61) Charakter ausmachen. Das spezificum humanum manifestiert sich in der „indirekten Verhältnisnahme in der Handlung“ (Fonk 1983, S. 66). Der Mensch verfügt über seine Triebe und ihre Befriedigung. Dadurch werden seine Handlungen sachgemäß und wiederholbar. Antrieb und Handlung werden voneinander abgekoppelt, so dass Kultur lebensnotwendig wird. Der Mensch steht nämlich unter „ Formationszwang“, da sein Antriebsüberschuß apriorisch ist. (Vgl. Gehlen 1978, S. 59). Seine Zuchtbedürftigkeit wird an dieser Stelle offenbart. Weiterhin ist das menschliche Antriebswesen auf Besetzung mit Erfahrungen, Erinnerungen oder Vorstellungen ausgelegt. Der Mensch ist nicht in der Eindrucksflut gefangen, da er bereits durch das Zusammenwirken von Hand und Auge in seiner Kindheit Symbole schafft. Seine Reflexivität führt zu einer „inneren Welt“ von Phantasmen/Gedanken unabhängig von der jeweiligen Reizsituation.

Der Schlüssel zur menschlichen Antriebsstruktur ist der Begriff der „Handlung“. Der Mensch lebt handelnd, also zukunftsorientiert ( vgl. Gehlen 1978, S. 301). Das Antriebsleben muß wie gesagt orientierbar sein, d.h., zwischen Mittel und Zweck unterscheiden und planen. Der „weltoffene“ Mensch ist entwicklungsfähig und wird zum sozial festgestellten und zum historischen Wesen.

2. Sonderstellung des Menschen aus biologischer Sicht

Wie bereits angedeutet, ist der Mensch laut Gehlen biologisch (morphologisch) durch Mängel hauptsächlich negativ bestimmt. (Gehlen 1978, S.33) . Ihm fehlt ein natürlicher Witterungsschutz (Fell), sowie Angriffs- oder Fluchtorgane. Seine Sinnesorgane (Augen, Nase, Ohren) sind ebenfalls von begrenzter Kapazität, ihm fehlen eindeutige Instinkte und er hat eine vergleichsweise lange Aufzuchtszeit. Weltoffen ist er auf Änderungen seiner Umwelt angewiesen. So „ sinnesarm, waffenlos, nackt“ erscheint er embryonisch. ( Fonk 1983, S.77)

Durch seinen Instinktmangel ist er losgelöst vom periodischen Wandel der Natur. Seine Triebe (z.B. Geschlechtstrieb) sind deshalb chronisch und permanent abrufbar. Aus dem Überschuß an Antrieben folgt der Formierungszwang, das Bedürfnis nach Sittlichkeit und Normen. Der Wille des Menschen ist hierbei zentral. Mit seiner Hilfe tritt der Mensch nur indirekt seinen Trieben gegenüber. Der Mensch wird von Gehlen als Zuchtwesen beschrieben. Seine Sonderstellung zeigt sich unter anderem in seiner Ontogenese: Er hat bei seiner Geburt ein sehr hohes Hirngewicht und unfertige Gliedmaßen. Nach einem Jahr ist er soweit entwickelt, wie ein Säugetier bei seiner Geburt. Der Mensch wird somit als „physiologische Frühgeburt“ und „sekundärer Nesthocker“ ( Gehlen 1978, S.45) bezeichnet. Im Folgenden stellt sich die Frage, wie die morphologische Mängelausstattung zu erklären sei. Laut Gehlen gibt es zwei Möglichkeiten:

a) Seine Primitivismen sind ontogenetisch, also bewahrte Fötalzustände, oder
b) Phylogenetisch, wonach der Mensch geologisch alt sei (vgl. Gehlen 1978, S.86f)

Gehlen zweifelt deshalb an der gradlinigen Abstammung des Menschen vom Primaten, da die Organprimitivismen des Menschen nicht von den Spezialisierungen der Primaten herleitbar sind. Menschliche Merkmale sind permanent gehaltene Fötalzustände, die z.B. Affen in der Fötalentwicklung durchlaufen, bevor sie sich spezialisieren. Der Mensch ist Produkt eine Retardation der Entwicklung. Gehlen knüpft hier an die Theorien von Bolk und Schindewolf an.

3. Kulturwesen und Zuchtwesen Mensch

Die Folgerung aus diesem Menschenbild sind folgende: das Mängelwesen ist auf Kultur angewiesen ,seine Identität entsteht indirekt durch eine Enkulturation.Auf diese weise kompensiert er seine instinktlosigkeit.Instinkte werden durch Gewohnheiten oder innerhalb von Institutionen ersetzt.Der Mensch findet sich in der Welt zurecht ,indem er lernt und sich an Normen orientiert (vgl. Fonk 1983.S.89f).Desorientierung des Menschen kann aber auch Folge des Antriebslebens sein.

Seinen unvollständigen Trieben überlassen,würde der Mensch nach dem Recht des Stärkeren handeln und der Hobbesianische „Krieg eines jeden gegen Jeden“ würde Wirklichkeit werden. Daraus leitet Gehlen die Notwendigkeit „kultureller Führungssysteme, um seine Natur heranzuzüchten“ ( Fonk 1983, S. 92) her. Der Mensch erscheint in Anbetracht seiner Unberechenbarkeit und Affektbestimmung zuchtbedürftig. Er braucht invariante Werte und Normen, denen er sich, um zu überleben, fügen muß. Der Mensch ist ein „Kulturwesen“ (Gehlen 1978, S. 348), das nur in einer selbstgeschaffenen „nature artifizielle“ lebensfähig ist. (Gehlen 1978, S. 303).

Die Menschwerdung (s.o.) hat also die Existenz von Institutionen als Voraussetzung.

4. Eine kritische Betrachtung des Menschenbildes A. Gehlens

Gehlen schreibt dem Menschen das Bedürfnis nach max. Ordnungsstiftung im Strom von Eindrücken und Ereignissen zu.

Der Mensch brauche Zusammenhänge und Regelmäßigkeiten, wozu er sich willig einer „Superstruktur“ ( Matzker 1998 S.132) beuge. Gehlen überschätzt die Ordnungsbedürftigkeit und vereinfacht , sprich totalisiert Ereigniszusammenhänge.

Nach Gehlen brauche der extrem reizzuggängige Mensch regeln zur Kanalisierung der Ereignisse und ein somit geordnetes Weltbild. Diese Behauptung erweist sich jedoch als extrem gefährlich, zumal man aus ihr folgern kann, daß dem vernunftbegabten Menschenwesen seine Autonomie größtenteils abgesprochen wird. Er soll permanent bevormundet werden. „Der Mensch will betrogen werden , um sich in dieser Welt einigermaßen einrichten zu können“ (Matzker 1998, S. 132).

Gehlen verachtet praktisch den einzelnen und stellt ihn als abergläubischdümmliches und extrem obrigkeits- und ordnungsbedürftiges Geschöpf dar, was freilich eine falsche Generalisierung ist.

Er stellt alle Menschen auf dieselbe Stufe, auf welcher lediglich Orientierung an Autorität, und zwar blinder Gehorsam ohne kritische Reflexion, am Übergeordneten möglich ist. Gehlen übersieht, oder ignoriert sogar, daß der Mensch zu Orientierung an höheren ethischen Prinzipien durch ein hochentwickeltes Wertesystem (Gewissen) befähigt ist. An dieser Stelle wird Gehlens Affinität zum Nationalsozialismus ( siehe Einleitung) besonders deutlich.

Gehlens Gesellschaftsbild formt sich auf diesem Hintergrund zu einem gänzlich undemokratischen, reaktionärem Gebilde: „eine sich dem einzelnen übergeordnete Zivilisation, eine Zivilisation, die Initiationen, Reifwerdung der einzelnen, nur noch in ganz eingeschränktem Maße zuläßt - und auch vernunftbezogene Anpassungsvorgänge verhindert.“ (Matzker 1998, S. 134)

Verkürzt ausgedrückt: Gehlen leitet die Institutionalisierung aus der „Natur“ des Menschen ab und schlägt dabei in Reduktionismus um, da seine Kategorien ausschließlich am Telos der Lebenserhaltung fixiert sind.

Auch das (praktische) Erkenntnisinteresse wird darauf verengt, es besteht kein „Erkenntnisinteresse an der Wahrheit“. Wahrheit ist bewußt nicht als Kriterium lebenspraktischen Handelns gewählt. Infolgedessen wird Wahrheit, bzw. rationale Geltung, nicht Legitimationsbasis der Institutionen. ( Vgl. Böhler 1981, S. 273).

Dialektisch weitergedacht wären wir im Handeln angewiesen auf dogmatische Durchführung unter Ausklammerung kritischer Reflexion und systemkritischer Kommunikation als Systemgefährdung. (ebenda) Gehlens Reduktion der Handlung auf Institutionen erweist sich illegitim.

Es besteht die Gefahr einer Verselbständigung der Institutionen, deren Macht das Individuum erdrückt. Zwar entlasten sie einerseits den Menschen, indem sie ihm „instinktanaloges“ Problemlösungsverhalten (Gehlen 1978, S. 84) auf Dauer stellen helfen, andererseits sei laut Gehlen das Ende der Kultur absehbar, weil „das freigestellte Innen erstmals nicht wieder durch neue unbedingt verpflichtende Institutionen in < Zucht> genommen wird“ ( Gehlen 1969, S 157-160, 173).

Die Handlung verkommt zum bloßen Institutionenvollzug.

Die Gehlensche Philosophie ist somit ein gegenaufklärerisches Werk, welches für fraglose Pflichterfüllung und gegen demokratische, kritische und diskutierende Öffentlichkeit gerichtet ist.

Literaturverzeichnis:

- Böhler, Dietrich: Arnold Gehlen: Handlung und Institution. In: Speck, J. (Hrsg.): Grundprobleme der großen Philosophen. Göttingen 1981.

- Fonk, Peter: Transformation der Dialektik. Grundzüge der Philosophie Arnold Gehlens. Würzburg 1983.

- Gehlen, Arnold: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 1.Aufl., Berlin 1940.

- Gehlen, Arnold: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 12. Aufl., Wiesbaden 1978.

- Gehlen, Arnold: Arnold Gehlen Gesamtausgabe. Bd.4. Philosophische Anthropologie und Handlungslehre. Frankfurt am Main 1983.

- Gehlen, Arnold: Urmensch und Spätkultur. Bonn 1964.

- Gehlen, Arnold: Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik. Bonn 1969.

- Karneth, Rainer: Anthropo-Biologie : Biologische Kategorien bei Arnold Gehlen - im Licht der Biologie, insbesondere der vergleichenden Verhaltensforschung der Lorenz-Schule. Würzburg 1991.

- Matzker, Reiner: Anthropologie. München 1998.

- Roughley, Neil: Gehlen, Arnold. In: Metzler - Philosophen - Lexikon. 2., aktualisierte und erw. Aufl., Stuttgart 1995.

- Wulf, Christoph (Hrsg.): Einführung in die pädagogische Anthropologie. Weinheim und Basel 1994.

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Detalles

Título
Arnold Gehlens Menschenbild
Universidad
Johannes Gutenberg University Mainz
Curso
Seminar im Grundstudium
Calificación
2-
Año
2000
Páginas
10
No. de catálogo
V96523
ISBN (Ebook)
9783638091992
Tamaño de fichero
365 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Arnold, Gehlens, Menschenbild, Seminar, Grundstudium
Citar trabajo
Anónimo, 2000, Arnold Gehlens Menschenbild, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96523

Comentarios

  • visitante el 10/8/2008

    DANKE.

    Danke, genau das habe ich gebraucht. Ein Glück dass das nach über sieben Jahren immer noch hier erhältlich ist.

  • visitante el 23/3/2001

    Interessante Arbeit !.

    Hallo!

    Zu dem Thema hab ich schon lange was gesucht!
    Vielen Dank!

    Grüße
    Thomas

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