Die Problematik der zielgleichen Differenzierung aus der Perspektive von Lehrkräften

Eine qualitative Studie


Examensarbeit, 2017

127 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Heterogenität
2.1 Das Phänomen Heterogenität
2.2 Vier Transformationen von Heterogenität nach Budde (2017)
2.3 Schulleistungen und Leistung als zentrale Heterogenitätskategorie im Rahmen des zielgleichen Unterrichts

3 Differenzierung als Methode um Heterogenität zu begegnen
3.1 Die Unterscheidung von äußerer und innerer Differenzierung
3.2 Homogenisierung durch äußere Differenzierung
3.3 Das Konzept der Inneren Differenzierung
3.3.1 Zieldifferente Differenzierung im schulischen Kontext
3.3.2 Modelle und Formen innerer Differenzierungsmaßnahmen
3.4 Nachteilsausgleich
3.4.1 Begriffsbestimmung und rechtliche Grundlagen
3.4.2 Nachteilsausgleich als pädagogisches Grundprinzip
3.4.3 Nachteilsausgleiche als Formen zielgleicher Differenzierung
3.4.4 Wie soll mit zieldifferenten Differenzierungsmaßnahmen umgegangen werden?
3.4.5 Gewährung eines Nachteilsausgleichs
3.4.6 Formen des Nachteilsausgleichs

4 Der Gemeinsame Unterricht als Zielperspektive für inklusiven Unterricht
4.1 Gemeinsamer Unterricht als Baustein inklusiver Bildung?
4.2 Landesübergreifende Grundsätze des Gemeinsamen Unterrichts
4.3 Gemeinsamer Unterricht in Sachsen-Anhalt

5 Methode
5.1 Stichprobe
5.2 Untersuchungsinstrument und Untersuchungsmaterial
5.3 Durchführung
5.4 Auswertungsmethode

6 Ergebnisse
6.1 Heterogenität der Lerngruppen
6.2 Grundsätzlicher Umgang mit Heterogenität
6.3 Differenzierungspraxis als Reaktion auf die Heterogenität der Lernenden
6.3.1 Allgemeine Differenzierungspraxis
6.3.2 Nachteilsausgleich
6.4 Chancen und Problematiken in der Differenzierungspraxis der Lehrenden
6.4.1 Chancen
6.4.2 Problematiken
6.4.2.1 Allgemeine Problematiken der Differenzierungspraxis
6.4.2.2 Problematiken der Nachteilsausgleichspraxis

7 Abschlussdiskussion

Quellenverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Zielgleiche und zieldifferente Differenzierung als entgegensetzte Konzeptionen des deutschen Bildungssystems, Quelle: Eigene Darstellung

Abb.2: Gemeinsamer Unterricht und Nachteilsausgleiche als „Sonderangebotsmodell“?, Quelle: Eigene Darstellung

Abb.3: Darstellung der Konfliktsituation: Die handelnden Akteure im Gesamtsystem stehen in ständiger Wechselwirkung zueinander. Quelle: Eigene Darstellung

Anhangsverzeichnis

Interviewleitfaden

Transkription der Interviews

Interview 1 (Frau Diedrichs)

Interview 2 (Herr Müller)

Interview 3 (Frau Herrmann)

Interview 4 (Herr Jürgens)

Kategoriensysteme

1 Einleitung

„Die Meinungen reichen (…) von der Auffassung, Nachteilsausgleich sei eine Grundmaxime pädagogischen Handelns und müsse im weitesten Sinne verstanden werden als Subsumierung individueller Zuwendung im pädagogischen Prozess über die Absicht, Nachteilsausgleich sei eine pädagogische Grundhaltung im Sinne der Ermöglichung einer Leistungserbringung bis hin zur Annahme, es gehe einzig um eine entsprechende Gestaltung der jeweiligen Leistungsbewertungssituation. Ohne eine Verständigung sind so Missverständnisse, Probleme und Konflikte vorprogrammiert“ (Messerschmidt 2017, 3).

Das einleitende Zitat weist auf die noch umstrittenen Auffassungen von Lehrkräften in der Praxis hin, welche Zieldefinition der Nachteilsausgleich im pädagogischen Kontext fokussiert. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtkonvention 2009 verpflichtete sich Deutschland dem „Anspruch auf Inklusion“ (Budde 2017, 16). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, einem inklusiven Umgang mit Unterschieden in Bildungsinstitutionen nachzukommen (vgl. ebd.).

Der Nachteilsausgleich ist vor diesem Hintergrund als ein Instrumentarium zu verstehen, durch dessen Anwendung und Nutzung, Einschränkungen und Beeinträchtigungen oder Behinderungen ausgeglichen oder verringert werden sollen. Dieser wird als wesentlicher Bestandteil eines barrierefreien Unterrichts verstanden. Praktisch geht es um die Anpassung äußerer Bedingungen, ohne dass die inhaltlichen Leistungsanforderungen grundlegend verändert werden (vgl. Kultusministerkonferenz 2011, 10).

Orientierend an diesem bildungspolitischen Grundsatz, ist der Nachteilsausgleich als eine individuelle Differenzierungsmaßnahme für den zielgleichen Unterricht zu verstehen. Folglich ist anzunehmen, dass sich das Instrumentarium Nachteilsausgleich in den aktuellen Transformationen des deutschen Bildungssystems zu einem wichtigen Bestandteil des Unterrichts entwickelt.

Die Forschung hat sich diesem Themenfeld bisher noch nicht zugewendet, es besteht jedoch gerade aufgrund der divergierenden Auffassungen des Nachteilsausgleichs in der Praxis die Notwendigkeit, Lehrkräften ein stimmiges Gesamtkonzept zu präsentieren. Die Aufgabe erster Forschungen muss es dementsprechend sein, den Nachteilsausgleich vor dem Hintergrund theoretischer Grundsätze in der Handlungspraxis zu untersuchen.

Daraus ergibt sich folgende übergeordnete Fragestellung: „Welche Chancen und Problematiken eröffnet die zielgleiche Differenzierung als Handlungspraxis von Lehrkräften im Gemeinsamen Unterricht in Sachsen-Anhalt, mit besonderer Betrachtung des Instrumentarium Nachteilsausgleich?“

Im Kontext der zielgleichen Differenzierung sind Lehrende widersprüchlichen Zielsetzungen ausgesetzt. Die Untersuchung bedarf daher zwingend theoretischer Vorüberlegungen.

Die Untersuchung beschäftigt sich zunächst mit den Adressaten von Bildungsprozessen: den Schülerinnen und Schülern. Über das Phänomen der Heterogenität, in dem Unterschiede zwischen Lernenden im deutschen Bildungssystem charakterisiert werden, wird an erster Stelle ergründet, wie individuelle Merkmalsunterschiede zwischen Lernenden entstehen und welcher Umgang mit diesen programmiert wird.

Den Nachteilsausgleich in dem Konzept der Inneren Differenzierung zu verorten, wird die Aufgabe des folgenden Kapitels, in dessen Zusammenhang die Problematik von zielgleicher Differenzierung perspektivisch aufgearbeitet wird. Das abschließende theoretische Kapitel versucht die zuvor erarbeiteten Erkenntnisse in den Untersuchungsrahmen dieser Studie einzuordnen: den Gemeinsamen Unterricht in Sachsen-Anhalt.

Schließlich wird die Methode vorgestellt und anschließend werden die Ergebnisse systematisch ausgewertet und diskutiert.

2 Heterogenität

Pädagogisches Handeln und pädagogische Maßnahmen im deutschen Bildungssystem hatten sich schon immer mit dem Phänomen Heterogenität auseinanderzusetzen. Möchte eine Untersuchung in diese Sphäre eindringen ist es zwingend notwendig, sich zunächst mit den Adressaten von Bildungsprozessen zu beschäftigen: den Schülerinnen und Schülern.

Es wird sich folglich in diesem Kapitel der Frage angenähert werden, was eine heterogene Schülerschaft im schulischen Kontext charakterisiert und wie der aktuelle Umgang mit Heterogenität diskutiert und programmiert wird.

Eine begriffliche und inhaltliche Voraussetzung von Heterogenität zu schaffen, ist die Aufgabe von 2.1. Im folgenden Teilkapitel 2.2 wird deutlich werden, welche differenzierten und ineinandergreifenden Debatten aktuell das Bildungssystem im Hinblick auf den Umgang mit Heterogenität tragen. 2.3 wird schließlich wichtige Vorarbeiten für das dritte Kapitel zum Themenschwerpunkt Differenzierung leisten.

2.1 Das Phänomen Heterogenität

Das Phänomen Heterogenität ist insbesondere im schulischen Kontext einem breiten Diskurs unterworfen, denn als der zentrale Ausgangspunkt pädagogischen Handelns greift es bis in die tiefsten Wurzeln des deutschen Bildungssystems. Dennoch ist das Phänomen Heterogenität keineswegs neu, nur findet gegenwärtig eine andere Akzentuierung statt.

Budde (2017) geht in diesem Zusammenhang davon aus, „dass so ziemlich jede menschliche Wahrnehmung von Sachverhalten, Personen, Artefakten, Emotionen usw. damit einhergeht, Vergleiche in unterschiedlichsten Qualitäten und Quantitäten zu vollziehen. Auf diese Weise werden Differenzen markiert und ein entsprechender Umgang mit Heterogenität nahegelegt“ (ebd. 13).

Da die soziale Wirklichkeit eine ungemeine Komplexität aufweist, wird diese durch Unterscheidungen und Kategorisierungen reduziert und aus Unübersichtlichkeit eine Ordnung, die Handeln erst ermöglicht. Denn menschliches Erkennen, Handeln oder Wahrnehmen realisiert sich immer auch auf der Basis von Unterschieden. Auch für das Handeln muss schließlich angenommen werden, dass jede Aktivität Unterschiede konstruiere (vgl. ebd.).

Von dieser Basis, dass Unterschiede Konstruktionen sind, wird genauso ausgegangen werden müssen, wie, das Handlungen (erneut) Unterschiede konstruieren. Diese Feststellungen verdeutlichen eine Bestimmungsproblematik von Heterogenität. Die Untersuchung wird daher zielführend auf den schulischen Kontext beschränkt.

Eine Betrachtung des Phänomens lohnt sich aus der Perspektive von Heinzel und Prengel (2002), die im Zusammenhang von Grundschulforschung sowie handlungsleitenden Interessen der Grundschulpädagogik fünf Interpretationen für die Bedeutung von Heterogenität auffächern. Sicherlich lassen sich diese auch auf den Sekundarschulbereich übertragen:

- Die Interpretation als Verschiedenheit wie „ verschieden, anders, plural, inkommensurabel“ (ebd., 11, Hervorhebung im Original) verdeutlicht noch einmal die Erkenntnis, dass es ein Kriterium braucht, in dessen Hinsicht Differenz konstatiert werden kann und das im schulischen Kontext bestimmt werden muss. In diesem Zusammenhang bilden Gleichheitsaussagen die Grundlage. Ein Beispiel geben die Autoren über die Sprache, worin sich etwa verschiedene sprechende Personen gleichen würden (vgl. ebd.). Für das Arbeitsfeld der Grundschule, aber sicherlich auch für das der Sekundarstufe, „findet sich als entsprechendes handlungsleitendes Motiv der Wunsch, der Verschiedenheit der Kinder in der Schulpraxis gerecht zu werden. Heterogene Lerngruppen werden nicht nur in Kauf genommen, sondern als bereichernd favorisiert“ (ebd.). Diese Annahme wird an einer späteren Stelle noch einmal aufgegriffen.
- Die Interpretation als Veränderlichkeit geht „von der synchronen Wahrnehmung des Differenten“ (ebd.) aus, in der „ Heterogen “ als „ prozesshaft, in Bewegung, dynamisch sich entwickelnd“ (ebd., Hervorhebung im Original) interpretiert wird. Diese Dynamik macht für die Forschung auch dieser Studie deutlich, dass Menschen niemals gleichbleiben und diese Veränderung auch zu beachten ist. Die Überprüfbarkeit der Ergebnisse dieser Studie muss folglich eine exakte Beschreibung der jeweiligen Untersuchungskonstellation und -methode gewährleisten. Die Veränderlichkeit im pädagogischen Handlungskontext könne laut den Autoren nur mit vorläufig gültigen Arbeitshypothesen über den „Ansatz einer entwicklungsbezogenen Lerndiagnostik“ (ebd.) zum Ausdruck gebracht werden, „um Unterricht für die Entwicklungsprozesse der Kinder in der Zeit zu öffnen“ (ebd.). Hier muss also das Kriterium der individuellen Entwicklung greifen.
- Die Interpretation der Unbestimmtheit des „Heterogenen“ wie etwa „ unbegreiflich, unvorhersehbar, unsagbar “ (ebd., 12, Hervorhebung im Original) stellt heraus, dass die Forschungsergebnisse dieser Studie die Realität nicht vollends abbilden kann. Denn stets würden relevante Aspekte des Forschungsgegenstandes existieren, die unsere Erkenntnisse nicht erfasst haben und stets würden sich unsere Forschungsgegenstände schon während der Untersuchung verändern (vgl. ebd.). Da in dieser Studie subjektive Aussagen von Lehrkräften über die Heterogenität von Lernenden gemacht werden und ihr daraus resultierendes Handeln interpretiert wird, ist diese Erkenntnis noch einmal besonders hervorzuheben. Interessant ist auch der Stellenwert der Unbestimmtheit für pädagogisches Handeln: „Für pädagogisches Handeln folgt aus der Einsicht in die Unmöglichkeit einen Menschen zu diagnostizieren für Unbestimmtes, Unvorhergesehenes, für Spontanität, Eigenlogik und Kreativität der einzelnen Kinder und der Kinderkultur (…) sowie eine vehemente Kritik an etikettierten Zuschreibungen“ (ebd.). Auch diese Feststellung wird im Verlauf dieser Arbeit immer wieder einbezogen.
- Die Interpretation unter der Kritik der Beliebigkeit konnotiere etwa „ungeordnet, irrational, unverbindlich, beliebig“ (ebd.) und mahnt für pädagogisches Handeln an: „Wenn für pädagogisches Handeln ausschließlich Offenheit für Heterogenität maßgeblich ist, folgt daraus der Verzicht der Erwachsenengeneration, auch Anforderungen und Normen zu bestimmen und sie der jungen Generation zuzumuten. Mit einer Reduktion auf das populäre Motto, „es ist normal verschieden zu sein“, könnte ein Ausblenden von verbindlichen Normen, Formen, Hierarchien und Begrenztheit sowie von kulturellen Traditionen einhergehen“ (ebd., 13, Hervorhebung im Original).
- Die Interpretation des Heterogenen als Aufgeklärte Heterogenität basiert schließlich auf einer Reflexion der vier vorangegangenen Interpretationen und fragt danach, wie die Erkenntnis- und Handlungsperspektiven aussehen könnten, die das Konstrukt der Heterogenität und die Kritik daran produktiv in Beziehung zueinander setzen: „Es geht darum, Beziehungsmöglichkeiten zwischen den in ihrer Heterogenität (Verschiedenheit, Veränderlichkeit, Unbestimmbarkeit) wahrgenommenen Personen auszuloten. „Heterogen“ lässt sich nun assoziieren mit gleichberechtigt, tolerant, dialog- und konfliktfähig“ (ebd., 13, Hervorhebung im Original).

Wenn die „Aufgeklärte Heterogenität“ als Zielperspektive für den Umgang mit Heterogenität festgehalten wird, ist es für die pädagogische Handlungsperspektive überaus wichtig, sich darüber klar zu werden, wie diese stattfinden soll und muss, um die beschriebenen Ziele (möglichst) zu erreichen. Für diese Studie bedeutet dies jedoch im Gegenzug, Potenziale und Grenzen des gewählten Forschungszugangs zu erwägen, aufmerksam für die historische und kulturelle Bedingtheit von Forschungskonzeptionen zu sein und dabei die Pluralität der Ansätze wertzuschätzen.

Vor diesem Hintergrund stellt Schuck (2011) für den schulischen Kontext folgendes heraus: „Heterogenität ist in der Verschiedenheit von Schülerinnen und Schülern begründet, die mit unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen, erreichten Entwicklungsniveaus, Sozialisationskontexten, biografischen Merkmalen ihrer ethnischen Herkunft in eine Lerngruppe kommen“ (ebd., 101). Der Autor betrachtet hier die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler also anhand von bestimmten Heterogenitätskategorien, die sich aus der Feststellung von Differenz ergeben.

Riedl (2008) unterstreicht die Individualität der Schülerinnen und Schüler aus anthropologischer und soziokultureller Sicht „z. B. bezüglich unterschiedlicher Anlagen, Begabungen, Neigungen, Interessen, Einstellungen, Gewohnheiten, aber auch außerschulische Bedingungen aus dem Umfeld des Schülers“ (ebd., 122), die in Bezug auf Schule und Unterricht beachtet werden müssten. Aus einer solchen Perspektive werden in heterogenen Lerngruppen also die Einzigartigkeit eines jeden Menschen und damit verbundene individuelle Anforderungen im Sinne der „Aufgeklärten Heterogenität“ für das Lehrerhandeln unabdingbar (vgl. ebd.).

In diesem Zusammenhang liegt die Frage nicht fern, wie Heterogenität im schulischen Kontext überhaupt entsteht!

An dieser Stelle wird es auch darum gehen, den Untersuchungsrahmen einzugrenzen, um ihn zumindest ansatzweise greifbar machen zu können. Budde (2017, 24) liefert in Relation eine äußerst brauchbare Betrachtungsmöglichkeit, dass sich Heterogenität sowohl auf soziokulturelle Differenzkategorien wie Geschlecht, Ethnizität, Milieu oder etwa Behinderung als auch auf fähigkeitsbezogene Differenzen zwischen Schülerinnen und Schüler in der Schule beziehen können. Dennoch können soziokulturelle Differenzkategorien und fähigkeitsbezogene Differenzen keineswegs losgelöst voneinander betrachtet werden.

Diese Studie arbeitet mit folgenden Erkenntnissen bezüglich Heterogenität:

Das Phänomen Heterogenität ist im schulischen Kontext über bestimmte Heterogenitätskategorien zu betrachten, etwa über soziokulturelle und fähigkeitsbezogene Differenzen. Von diesen Differenzen ist in unterschiedlicher Ausprägung in jeder deutschen Schulklasse auszugehen. Welche Vergleichsmechanismen diese (über-)individuellen Konzepte konkret konstruieren, wurde hier nur angedeutet und wird perspektivisch in 2.3 weiterverfolgt. Heterogene Lerngruppen sind also Ausgangspunkt jedes pädagogischen Handelns, die es von Lehrenden zu bestimmen gilt und mit ihr einen Umgang im Sinne der „Aufgeklärten Heterogenität“ zu gestalten. Angesprochen wurde über Heinzel und Prengels (2002) fünf Interpretationen des Phänomens auch, dass Lehrende hinsichtlich dieser Anforderung zwangsläufig mit Grenzen und Widersprüchen konfrontiert sind. Des Weiteren wurde deutlich, dass die Ergebnisse dieser Studie die Realität nicht vollends abbilden können und mit einer gewissen Reflexivität betrachtet werden müssen.

2.2 Vier Transformationen von Heterogenität nach Budde (2017)

Der Umgang mit Heterogenität befindet sich in einem ununterbrochenen Diskurs. Die verschiedenen Tendenzen des aktuellen Heterogenitätsdiskurses der letzten Jahre sollen in diesem Teilkapitel kurz dargestellt werden, ohne diesen weiter fortzuführen. Wichtig ist es zu ergründen, welchen Diskursen sich diese Studie stellen muss. Hierbei lohnt es sich, der äußerst übersichtlichen Darstellung von Budde (2017, 14ff.) zu folgen, der vier aktuelle Transformationen von Heterogenität auf unterschiedlichen Ebenen des deutschen Schulsystems identifiziert.

Der Autor spricht zum ersten die „ungleichheitsverstärkenden Effekte der deutschen Schule“ (ebd., 14) an, die insbesondere durch die Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien wie PISA seit der Jahrtausendwende offenkundig gemacht wurden. Dadurch wären diese Effekte „in den letzten Jahren zu einem weithin geteilten, diskursiven Topos von Wissenschaft, Schulpraxis und Gesellschaft geworden“ (ebd., 16). Das beste Beispiel für diese Transformation liefert die Studie selbst. Die Effekte werden insbesondere in Bezug auf Differenzen beschrieben, die nicht nur von den Schülerinnen und Schülern in die Schule hineingetragen, sondern „durch didaktische Interaktionen, durch Orientierung der Lehrpersonen sowie durch Vorstellungen von schulischer Leistung“ (ebd., 24f.) auch von der Schule hervorgebracht werden. Der Autor versteht in diesem Zusammenhang Heterogenität als soziale Konstruktion, die für Schule im Verhältnis zu Gleichheit sowie zu Universalismus und Individualität zu denken sei (vgl. ebd.). Als Erkenntnis gehört an dieser Stelle besonders hervorgehoben, dass dementsprechend auch Schule Differenzen konstruiert und Heterogenität nicht einseitig als Konstruktion der Schülerinnen und Schülern betrachtet werden kann.

Als zweite Transformation von Heterogenität identifiziert der Autor den „Anspruch auf Inklusion“, der sich seit der deutschen Ratifizierung zur UN-Behinderten-rechtskonvention, die im Jahr 2009 in Kraft trat, durch die damit juristisch eingegangene bindende Verpflichtung zu einem inklusiven Umgang mit Unterschieden in Bildungsinstitutionen ergibt. Seien diese Forderungen zunächst primär auf die Überwindung der Differenz zwischen Kindern mit und ohne Behinderungen in der Schule bezogen gewesen, so erstrecke sich diese mittlerweile auch auf andere soziokulturelle Differenzkategorien sowie das gesamte Bildungs- und Erziehungssystem (vgl. ebd., 16).

Die dritte Transformation von Heterogenität wird in der Veränderung der „Unterrichtspraxis“ deutlich, die eine zunehmende Differenzierung des Unterrichtes erfordere: „Offener Unterricht in Form von individualisiertem, kooperativem und selbstgesteuertem, jahrgangsübergreifendem, fächerübergreifendem oder etwa binnendifferenziertem Lernen wird als Bezugspunkt zeitgemäßer Didaktik hervorgehoben, welcher die Unterschiedlichkeit der Schülerinnen und Schüler besser entgegen komme“ (ebd., 17). Im Diskurs steht also auch (immer wieder) der Umgang mit Heterogenität auf der Ebene des Unterrichts. Hier wird bereits das Konzept angesprochen, dass in dieser Studie einen besonderen Stellenwert hat: Differenzierung im Unterricht.

Schließlich würde die Wertschätzung von Heterogenität, Vielfalt oder Unterschiedlichkeit zunehmend in „Schulgesetzen“ in je unterschiedlicher Schwerpunktsetzung akzentuiert (vgl. ebd.). Eine reflektierte landesübergreifende Betrachtung und eine konkrete zu Sachsen-Anhalt wird in Kapitel 4 folgen.

Was kann aus diesen vier beschriebenen aktuellen Transformationen in Bezug auf den gegenwärtigen Umgang mit Heterogenität gefolgert werden?

Deutlich wird in diesem mannigfaltigen Diskurs um den Umgang mit Heterogenität, dass diese nicht mehr ausschließlich als Problem, sondern immer häufiger als Chance verstanden wird. Budde (2017) zieht folgendes Fazit: „Differenzen unterliegen tendenziell positiver Wertung und erscheinen zunehmend als produktive Ressource“ (ebd., 17).

Dies ist sicherlich eine These, die diese Studie prüft. Deutlich wird auch, dass sich die beschriebenen Transformationen gegenseitig beeinflussen bzw. ineinandergreifen und immer wieder einer Reflexion bedürfen.

2.3 Schulleistungen und Leistung als zentrale Heterogenitätskategorie im Rahmen des zielgleichen Unterrichts

Herauskristallisiert hat sich bereits, dass für diese Studie früh ein zielführender Rahmen geschaffen werden muss, der das Phänomen Heterogenität ansatzweise greifbar machen kann. Eine kurze Unterscheidung von Zielgleichheit und Zieldifferenz im deutschen Bildungssystem lohnt sich, um aufzuzeigen, weshalb das Phänomen insbesondere aus der Perspektive der fähigkeitsbezogenen Heterogenitätskategorie Schulleistung bzw. Leistung beleuchtet werden muss.

Das deutsche Bildungssystem erwartet das Erreichen von Mindeststandards am Ende von Lerneinheiten, Klassen, Schulstufen und Schulformen (vgl. Schuck 2011, 101). Dies erfordert schließlich Lehrpläne, dessen normative Vorgaben die 2004 (2014 substanziell überarbeitet) von der KMK beschlossenen Bildungsstandards sind, die Standards für die Lehr- und Lernbedingungen, inhaltliche Standards und Leistungs- und Ergebnisstandards formulieren und vorgeben. Vor diesem Hintergrund werden Ziele für die pädagogische Arbeit benannt, ausgedrückt als erwünschte Lernergebnisse. Der Schwerpunkt der Bildungsstandards liegt vorrangig auf der Beschreibung gewünschter Kompetenzen, für dessen Erreichung Unterrichtsinhalte vorgegeben, in manchen Varianten gar Unterrichtsmethoden vorgeschlagen und Lernziele formuliert werden. Neben der Kompetenzentwicklung werden Persönlichkeitsentwicklungen in Bezug auf Schule und Unterricht als allgemeine Bildungsziele erklärt (vgl. Ruberg & Porsch 2016, 339ff.).

Der zielgleiche Unterricht ist im deutschen Bildungssystem dementsprechend als klares Ziel für (möglichst) alle Schülerinnen und Schüler formuliert, um jene allgemeine Bildungsstandards erreichen zu können. Ein zielgleicher Unterricht zeichnet sich folglich durch eine curriculare Beschulung aus, während zieldifferenter Unterricht in diesem Kontext eine untercurriculare Beschulung bedeutet, mit individuellen Lehrplänen und Lernzielen. Dies steht faktisch dem Bestreben des Erreichens von Bildungsstandards konträr gegenübersteht.

Lange Zeit wurde Schule vor allem als homogenisierende Institution angesehen. Organisationale Unterscheidungen zwischen Schulformen, Jahrgangsstufen und Fächern, Unterrichtschoreografen, Lerngruppen und Fachlehrpersonen sind aber auch grundlegende Merkmale von moderner Schule, die Unterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern schaffen, bei denen Leistungsdifferenzen als bewertbare Unterschiede vor dem Hintergrund von Bildungsstandards einen besonderen Stellenwert haben. Sie dienen dem sogenannten Allokationsauftrag, der sinngemäß die Schülerinnen und Schüler für berufliche Laufbahnen positionieren soll. Leistungen von Lernenden werden dementsprechend unterschiedlich bemessen. Laut Budde (2017, 15f.) diene Schule demzufolge eben nicht nur der Bildung und der Integration, sondern auch dazu, soziale und berufliche Positionen anzubahnen – und dies der Theorie nach, ausschließlich auf der Grundlage der individuellen, prinzipiell unterschiedlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler.

Das Differenz schaffende Kriterium der Leistung ist also eines der entscheidendsten im deutschen Bildungssystem. Wenn dieses Kriterium als wesentliche Grundlage für gesellschaftliche Allokations- und Selektionsfunktionen dient und „maßgeblich für die Zuteilung im mehrgliedrigen Schulsystem, für die Vergabe von Ausbildungs-, Arbeits- und Studienplätzen sowie für eventuelle Klassenwiederholungen oder -übersprünge“ (Decristian & Jude 2017, 110) verantwortlich ist, so zeigen sich die Anforderungen in der Debatte um Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen und für die Lehrerinnen und Lehrer, die schließlich die praktische Verantwortung für die Vergabe von Zukunftschancen tragen. Schulleistungen sind theoretisch auf unterschiedlichste Arten zu erfassen und zu beschreiben. Traditionell werden diese über Noten und Ziffernzeugnisse beurteilt (vgl. ebd.) und führen schließlich zu differenzierten Abschlüssen, die den weiteren Bildungs- und Berufsweg ebnen. Festhalten lässt sich, dass PISA und weitere internationale Schulleistungsvergleichsstudien Heterogenität folglich zunächst als mehr oder weniger ausgeprägte Leistungsunterschiede zwischen den Schülerinnen und Schüler und – nach der Selektion am Ende der Primarschule – auch zwischen den Klassen begreifen (vgl. Bloch 2013, 56).

In diesem Zusammenhang führt Bloch (2013, 56) stellvertretend eine wesentliche Problematik für Lehrpersonen an, die sich immer wieder im Umgang mit heterogenen schulischen Leistungen der Schülerinnen und Schüler herausstellt: „Mit Leistungsunterschieden und entsprechend unterschiedlichen Lernbedürfnissen in der Schulklasse sind Lehrkräfte täglich konfrontiert. Diese Unterschiede beziehungsweise die unterrichtlichen und pädagogischen Reaktionen darauf, müssen von Lehrkräften gedeutet werden“ (Bloch 2013, 56). In Rückbezug auf die Veränderlichkeit und Unbestimmbarkeit des Individuums stehen die Lehrkräfte folglich vor einem unauflösbaren Dilemma. An dieser Stelle lässt sich nur etwa auf die von Helsper (2010, 15ff.) formulierten Antinomien des pädagogischen Handelns verweisen, die sich auch durch den beschriebenen Widerspruch ergeben.

Diese Studie arbeitet mit folgenden Erkenntnissen bezüglich Schulleistung und Leistung im Hinblick auf den Umgang mit der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler:

Das deutsche Bildungssystem selbst schafft Differenzen, möchte vergleichen und konstruiert somit bestimmte Heterogenitätskategorien, die es wiederum zu lösen versucht. Schule soll Chancengleichheit gewährleisten, zugleich jedoch differenzieren. Vor dem Hintergrund von Bildungsstandards wird Leistungsheterogenität erzeugt. Dementsprechend werden innerhalb eines zielgleichen Unterrichts, Standards, Lehr- und Lernbedingungen, inhaltliche Standards und Leistungs- und Ergebnisstandards vorgegeben. Diese Gegebenheit des deutschen Bildungssystems ist innerhalb der in 2.2 angesprochenen Transformationen von Heterogenität zu reflektieren.

3 Differenzierung als Methode um Heterogenität zu begegnen

Angesprochen wurde bereits, dass das deutsche Bildungssystem lange auf eine Homogenisierung der Schülerinnen und Schülern gesetzt hat, dessen offensichtlichstes Ergebnis das gegliederte Schulsystem ist. Gegenwärtig findet eine Umorientierung zur Heterogenisierung statt. In 2.2 wurde der Begriff „Differenzierung“ im Unterricht bereits im Zuge der Transformation von Heterogenität genannt, dessen Stellenwert dieses Kapitel aufzeigen soll.

3.1 Die Unterscheidung von äußerer und innerer Differenzierung

Differenzierung kann auf der Ebene des Unterrichts stattfinden, jedoch sollte aus dem vorangegangen Kapitel deutlich geworden sein, dass Differenzierung bereits auf anderen Ebenen des Bildungssystems wahrzunehmen ist. Dieses Teilkapitel widmet sich der Unterscheidung dieser Differenzierungsebenen.

Differenzierung im Unterricht wird in der Wissenschaft oft als „innere Differenzierung“ bezeichnet. Theoretisch greift die innere Differenzierung unterschiedliche Behandlungen und Reaktionen auf die heterogenen Schülerinnen und Schüler in Unterrichtsinteraktionen (vgl. ebd., 137). Folgende These wirft die Coriand (2017) auf: „Lehrende können nicht nicht differenzieren!“ (ebd., 136). Bönsch (2006, 5) verschärft diese generelle Annahme mit einer Anforderung an die Lehrenden, indem er hervorhebt, dass Differenzierungsmaßnahmen im Unterricht darauf angelegt seien, den unterschiedlichen Fähigkeiten, Interessen und Lernbedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden und konkret die „optimale Passung“ (ebd.) zu erreichen. Ein Unterricht ohne Differenzierungsbemühungen stehe in der Gefahr, an der Herstellung von Schulversagen und Lernbehinderungen aktiv mitzuwirken (vgl. ebd.). Das Konzept der inneren Differenzierung kann hier also als ein didaktisch-methodisches Prinzip verstanden werden, dass in unmittelbarer Verantwortung der Lehrenden liegt. Ein Konflikt im Verständnis von individueller Förderung kann hier bereits angedeutet werden: der Autor spricht den Anspruch des Konzeptes an, die „optimale Passung“ innerhalb des Kontextes des zielgleichen Unterrichts zu erreichen. Wenn jedoch davon ausgegangen wird, dass bestmögliche individuelle Förderung an den individuellen Interessen und Bedürfnissen des Kindes greifen muss, entsteht ein Widerspruch.

Differenzierung auf übergeordneten Ebenen von Unterricht ist bereits wahrzunehmen, wenn etwa Angebote zur Bildung neuer Lerngruppen zur Diskussion stehen. Die Einteilung von Lernenden in einen Lernverband nach bestimmten Heterogenitätskategorien ist innerhalb der Institution Schule selbst oder situationsübergreifend bereits mit der „Implementierung ganzer Bildungssysteme“ (Miller 2011a, 138) wahrzunehmen. Hier kann also von einem schulorganisatorischen Prinzip gesprochen werden, dass weit verbreitet unter dem Begriff „äußere Differenzierung“ gefasst wird. Bönsch (2004) stellt zur Unterscheidung von innerer und äußerer Differenzierung heraus: unter Differenzierung werde „einmal das variierende Vorgehen in der Darbietung und Bearbeitung von Lerninhalten verstanden, zum anderen die Einteilung bzw. Zugehörigkeit von Lernenden zu Lerngruppen nach bestimmten Kriterien. Es geht um die Einlösung des Anspruchs, jedem Lernenden auf optimale Weise Lernchancen zu bieten, dabei die Ansprüche und Standards in fachlicher, institutioneller und gesellschaftlicher Hinsicht zu sichern und gleichzeitig lernorientiert aufzuarbeiten“ (ebd., 89).

Wenn folglich der Unterschied von innerer und äußerer Differenzierung darin liegt, dass sie auf unterschiedlichen Ebenen des deutschen Bildungssystems greifen, ist beiden Konzepten gemein, dass durch sie scheinbar vorhandenen bzw. geschaffenen individuellen Merkmalsunterschieden – also der Heterogenität – durch bestimmte Maßnahmen begegnet werden sollen (vgl. Bloch 2013, 88), die es in den folgenden Teilkapiteln zu benennen gilt.

3.2 Homogenisierung durch äußere Differenzierung

Äußere Differenzierungsmaßnahmen können folglich als Angebote zur Bildung von Lerngruppen nach bestimmten Kriterien verstanden werden.

Coriand (2017, 138) hebt hervor, dass die „Implementierung ganzer Bildungssysteme“ unter die Befugnis von Schulbehörden oder Ministern falle, innerhalb der Institution Schule selbst wiederum in den Verantwortungsbereich von Lehrerteams, die sich beispielsweise am Schulprofil orientieren.

Auch Riedl (2008) stützt diese Erkenntnis: äußere Differenzierungen seien „Unterscheidungsmaßnahmen, die über eine einzelne Klasse hinausgreifen. Sie erfolgen auf der Grundlage bildungsadministrativer Entscheidungen initiiert vom Gesetzgeber, von Schulaufsichtsbehörden oder innerhalb einer Schule von Mitgliedern der Schulleitung und des Kollegiums“ (ebd., 124). Der Autor unterteilt die äußere Differenzierung dementsprechend in die „Interschulische Differenzierung“ und die „Intraschulische Differenzierung“: Unter „Interschulischer Differenzierung“ verstehe er „äußere Differenzierung im weiteren Sinn (…) als institutionelle Differenzierung des Schulwesens mit dem Ziel gleicher Startchancen und begabungsadäquater Förderung der Schüler. [Die] Gliederung des Schulwesens nach Schularten, Jahrgangsstufen, öffentliche/ private Schulen, etc.“ (ebd., 124), seien die Konsequenz. Die „Intraschulische Differenzierung“ hingegen bezeichnet der Autor als die äußere Differenzierung im engeren Sinn, die sich als „Differenzierung innerhalb einer Schulart mit dem Ziel der Förderung von Schülern in homogenen Lerngruppen in allen oder einzelnen Fächern (z. B. Einteilung neigungsabhängig nach Schulzweig, in Wahlfächern, Leistungskurse, konfessionsbezogener Religionsunterricht, Förderklassen, etc.)“ (ebd.) charakterisiere.

Spezifischer nennt und kritisiert Bönsch (2009) hinsichtlich dieser äußeren Differenzierungsmöglichkeiten die „Fachleistungsdifferenzierung“ (ebd., 3) im deutschen Bildungssystem, die er am meisten praktiziert sieht. Nach einem Gemeinsamen Unterricht in der Grundschule würden relativ schnell Levels geschaffen werden, auf denen nach qualitativ und quantitativ differenzierten Ansprüchen die Lernarbeit unterschiedlich gestaltet werden würde. Zwangsläufig entstehe eine schnelle Fixierung auf ein Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialniveau, zwischen denen die Mobilität gering sei, am ehesten sich noch die Abstiegsmöglichkeit verwirklichen würde. In Gesamtschulen hingegen sei die sogenannte „gleitende Differenzierung“ (ebd., 3) realisiert worden, in der der Klassenverband als Grundformation bestehen bleibe, mit der Zeit jedoch verschiedene leistungsstarke Kurse entstehen würden: „Zu den Grundgedanken (…) gehört wesentlich, dass das Gleiten, also das unkomplizierte Hin- und Herwechseln aufgrund sich verändernder Leistungsdispositionen jederzeit möglich ist“ (ebd., 3). Der Autor bezieht sich auch hier noch einmal auf das gegliederte Schulsystem und spricht mit der „gleitenden Differenzierung“ eine Möglichkeit an, innerhalb von Gemeinschaftsschulen die primäre äußere Differenzierung soweit wie möglich abzubauen, sekundär jedoch abermals äußere Differenzierung stattfindet.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass durch Formen sogenannter äußerer Differenzierung, Schülerinnen und Schüler nach bestimmten Gliederungs- oder Auswahlkriterien – z.B. den Gesichtspunkten differenter Lernniveaus oder Interessen – in Gruppen aufgeteilt werden, die räumlich getrennt und von verschiedenen Personen bzw. zu verschiedenen Zeiten unterrichtet werden (vgl. Miller 2011a, 219). Bönsch (2004, 22) hebt eine interessante Bedeutungsverschiebung von Formen äußerer Differenzierung im Vergleich zur Vergangenheit hervor: waren zuvor noch Heterogenitätskategorien wie Alter, Geschlecht oder etwa die Religionszugehörigkeit von Bedeutung – demnach eher soziokulturelle Differenzkategorien – wären es heute vor allem Differenzkategorien wie Leistungen, Begabung, Neigung und Interesse. Eine These des Autors bekräftigt in diesem Zusammenhang die bisherigen theoretischen Vorüberlegungen: „Leistung kann im Schulsystem (…) als das Differenzierungskriterium par excellence gelten“ (ebd.).

Durch äußere Differenzierung sollen Schülerpopulationen folglich nach bestimmten Kriterien zu möglichst homogenen Lerngruppen eingeteilt werden. Daraus resultiert etwa das gegliederte Schulsystem mit seinen Schulformen bzw. das Separative Förderschulsystem.

3.3 Das Konzept der Inneren Differenzierung

Angedeutet wurde bereits, dass das Konzept der Inneren Differenzierung in den Lerngruppen greifen soll, die die äußere Differenzierung hervorbringt. Im gegenwärtigen Heterogenitätsdiskurs wird das Konzept der Inneren Differenzierung häufig der äußeren Differenzierung gegenübergestellt und als Lösungskonzept in Bezug auf den Umgang mit Heterogenität im deutschen Bildungssystem hochstilisiert. Diese Annahme ist keineswegs eine Neue, sondern steht seit den 1970er-Jahren zur Diskussion.

Miller (2011a) stellt in diesem Zusammenhang heraus: „Heute wird die innere Differenzierung eigentlich immer als die didaktisch-methodische Zauberformel für den allseits geforderten Umgang mit Heterogenität in der Schule verwandt. Die entsprechenden Differenzierungsaspekte und -möglichkeiten haben sich jedoch mit Ausnahme einiger Akzentverschiebungen nicht wesentlich verändert, weshalb durchaus auch auf die Literatur der 1970er- und 1980er-Jahre verwiesen werden kann“ (ebd., 219).

Die eingebrachten Begründungen ähneln den der 1970er-Jahre, in denen bereits das Problem der Homogenisierung von Lerngruppen festgestellt wurde, weshalb eine innere Differenzierung als Lösungskonzept gefordert wurde (vgl. Trautmann & Wischer, 166). Die Debatte um die innere Differenzierung und der damit verbundenen Hoffnung, der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler angemessen zu begegnen, scheint die Wissenschaft und Forschung seit Jahrzehnten zu beschäftigen. „Binnendifferenzierung“ wird in der Literatur in diesem Zusammenhang weitgehend synonym verwendet.

Die Ergebnisse zahlreicher Studien konnten eine institutionelle Diskriminierung aufseiten der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bezüglich der Anzahl an Diagnosen mit sonderpädagogischen Förderbedarf in verschiedenen Regionen Deutschlands feststellen. Schnell (2011a) stellt stellvertretend die Einsicht aus diesen Ergebnissen heraus: „Äußere Differenzierung im Bildungssystem kann das Problem der sozialen Ungleichheit und der ausgrenzenden Lebensverhältnisse nicht lösen. Der Glaube an die erfolgreiche Homogenisierung von Lerngruppen lässt sich nicht mehr aufrechterhalten“ (ebd., 80f.).

Ein zentraler Unterschied zu dem Heterogenitätsdiskurs der 1970er-Jahren ist, dass zu den gegenwärtigen Begründungen empirische Studien wie internationale Leistungsvergleichsstudien herangezogen werden und diese – als eine Transformation von Heterogenität angesprochen – dem Konzept der Inneren Differenzierung neuen Schwung verleihen. Denn das schlechte Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler gelte auch als Beleg gegen die weit verbreitete Annahme, homogene Lerngruppen seien im Hinblick auf die Leistungsförderung günstiger (vgl. Trautmann & Wischer 2008, 166). Die PISA-Ergebnisse konnten (erneut) nachweisen, dass eine hohe soziale Selektivität des deutschen Bildungssystems besteht. Soziokulturelle Heterogenitätskategorien haben dementsprechend Auswirkungen auf Bildungschancen. Die Differenzierung des Unterrichts als Konzept verweist auf vielversprechende Maßnahmen, um mehr Chancengleichheit zu gewährleisten. Es wird folglich zugleich gesellschafts- und bildungspolitisch argumentiert (vgl. ebd.).

Schnell (2011a) stellt in diesem Zuge fest: „Individualisierung und innere Differenzierung werden gefordert, wobei die Ebene des Bildungssystems und seine Struktur und damit das System der Leistungsbewertung nicht durchgängig infrage gestellt wird“ (ebd., 82). Der Konflikt wird wiederum deutlich, wenn man davon ausgeht, dass mit dem Konzept der Inneren Differenzierung in heterogenen Lerngruppen zum einen die individuelle Förderung verschiedener Persönlichkeits- und Fähigkeitsdimensionen angestrebt werden soll, zum anderen die Selbstständigkeitserziehung sowie das soziale Lernen und der Abbau von Chancenungleichheiten (vgl. Miller 2011a, 220), dennoch an Bildungsstandards festgehalten wird.

Auch die Forderung nach inklusiver Bildung als Transformation von Heterogenität steht in diesem Zusammenhang für den Abbau äußerer Differenzierung hin zum Gemeinsamen Unterricht. Die innere Differenzierung erhält bei der zunehmenden Heterogenität der Lerngruppen vor dem Hintergrund von Bildungsstandards im Gemeinsamen Unterricht einen immer zentraleren Stellenwert (vgl. etwa Schnell 2011b). Diese Erkenntnis wird in Kapitel 4 noch einmal spezifiziert.

Bloch (2013) konstatiert im Zusammenhang von Chancenungleichheit: „Als Gesellschaft unterstellen wir, dass alle Menschen prinzipiell gleich geschaffen sind. Ebenfalls scheint uns die Feststellung nicht mehr banal, dass einige Menschen in bestimmten Bereichen fähiger sind als andere. Wir finden es ferner vernünftig, dass besondere Fähigkeiten bzw. besondere Anstrengungen durch Erfolg belohnt werden. Während wir also allerlei Ungleichheiten auf verschiedensten Gebieten des täglichen Lebens akzeptieren, fordern wir jedoch, dass Regeln fair sein sollten, die über Erfolg oder Misserfolg eines Menschen bestimmen. Wir fordern also Chancengleichheit – auch das ist nicht neu“ (ebd., 15). Der Konflikt wird durch Wenning (2004) verschärft: „Im Rahmen schulischer Bildung herrscht Gleichberechtigung, die Kinder und Jugendlichen werden formal gleichgestellt und gleichbehandelt. Dass das Bildungswesen Ungleichheit produziert, ist gesellschaftlich erwünscht. Es hält dabei aber auch schichtspezifische Ungleichheiten aufrecht und wiederspricht somit der Chancengleichheit“ (ebd., 16, Hervorhebung im Original).

Riedl (2008) hebt noch einmal hervor, dass äußere Differenzierung nur eine begrenzte Möglichkeit besäße, ein homogenes Lerngefüge der zusammengeführten Schülerinnen und Schüler zu erreichen. Die innere Differenzierung greife auch hier weiter, um die nach wie vor bestehende Heterogenität innerhalb einer jeden Lerngruppe zu berücksichtigen. Die innere Differenzierung beschreibt der Autor immer als das Bemühen, eine lernförderliche Balance zwischen Sachanspruch und Schülergemäßheit auf der Grundlage der Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler herzustellen (vgl. ebd., 124ff.).

Zur Stützung des Konzepts der Inneren Differenzierung werden zunehmend auch sozialtheoretische Argumente mit dem Verweis auf gesellschaftliche Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse verwandt: „Kinder und Jugendliche brächten (…) immer heterogenere und auch widersprüchliche Vorerfahrungen mit, denen ein gleichschrittiger Frontalunterricht keinesfalls mehr gerecht werden könne“ (Trautmann & Wischer 2008, 166). Es wird deutlich, dass mit dem Konzept der Inneren Differenzierung auch die Methodenvielfalt und Formen des Unterrichts einen deutlichen Bedeutungszuwachs erfahren, wie in der beschriebenen Transformation von Heterogenität schon angedeutet wurde. Methodenvielfalt wird ebenso gefordert, die neben der Zunahme der Heterogenität in den Lerngruppen auch durch gegenwärtige Gesellschaftsprozesse mit der Wandlung des Lernbegriffes zum weitgehend selbstgesteuerten, sozialen Prozess einhergeht (vgl. Miller 2011b, 147). In dieser Studie werden die aktuellen Vorschläge etwa in Richtung der Öffnung des Unterrichts nicht weiterverfolgt werden können. Herauszustellen ist jedoch, dass das Konzept der Inneren Differenzierung keineswegs einseitig gedacht werden kann und mit Debatten um Methodenvielfalt und generellen selbstständigkeitsorientierten Lernformen korreliert. Dazu merkt auch Miller (2011a, 219) kritisch an, dass sich die innere Differenzierung folglich keineswegs auf methodisch-organisatorische Varianten von Unterricht reduzieren ließe, denn diese würden alle Kernbereiche von Schule, Unterricht und Lehrerprofessionalität tangieren sowie Schnell (2011a, 82), die zwar im binnendifferenzierten Unterricht die Möglichkeit sieht, eine Passung zwischen der Lernausgangslage und den Lernanforderungen individuell auszurichten, dennoch seien auch die Formen des Unterrichts entscheidend.

Coriand (2017) stellt heraus, dass die innere Differenzierung unmittelbar im Verantwortungsbereich des gerade Unterrichtenden bzw. des einzelnen Lehrenden liegen würde. Wenn dies nun mit der unterrichtsmethodischen Forderung verbunden wird, das individuell anregende und sozial integrierende Lernerfahrungen zu organisieren seien (vgl. ebd., 138) und gleichzeitig das Ziel verfolgt wird, individuelle Besonderheiten zu stärken und spezifische Lernanlagen tiefer auszuprägen, zugleich aber auch gemeinsames Lernen zu ermöglichen und Lerndefizite abzubauen – als grundlegendes Prinzip – so sind die Anforderungen an die innere Differenzierung und konkret an die Lehrenden sehr hoch (vgl. Miller 2011a, 219).

Dass die Lehrenden zudem mit Widersprüchen konfrontiert sind, wurde bereits betont. Ein zentrales ungelöstes Problem ist nach wie vor ein Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach optimaler Förderung jedes Einzelnen, also der Individualisierung und der Selektionsfunktion von Schule. Das Dilemma der Lehrkräfte liegt im Umgang mit Differenz darin, diese im Unterricht immer wieder verringern, zugleich aber auch stets neu erzeugen und verstärken zu müssen (vgl. Trautmann & Wischer 2008, 168). Damit wird für diese Studie abschließend deutlich, dass sich zielgleiche Differenzierung unter besonderer Berücksichtigung des Kriteriums Leistung dem Problem der Egalisierung stellen muss und zwar nicht nur einseitig, als abzulehnendes Anliegen, sondern gleichzeitig als pädagogisch legitimiertes Ziel (vgl. Coriand 2017, 147).

Mit diesen Erkenntnissen zum Konzept der Inneren Differenzierung arbeitet diese Studie: Bildungsstandards bleiben auf staatliche Bildungsinstitutionen angewandt und so der fiktive Durchschnittslerner offenbar weiterhin bestimmend, was für eine bleibende äußere Differenzierung wie die Schulformen oder differenzierte Abschlüsse spricht. Im Zuge der Heterogenisierung von Lerngruppen, etwa durch den Gemeinsamen Unterricht, aber auch aufgrund von gesellschaftlichen Transformationen im Kontext der Forderung nach inklusiver Bildung bzw. dem Abbau von Chancenungleichheit, eröffnet sich ein Konflikt des Konzeptes der Inneren Differenzierung. Es soll die individuelle Förderung – neben der Selbstständigkeitserziehung sowie dem sozialen Lernen und dem Abbau von Chancenungleichheiten – verschiedener Persönlichkeits- und Fähigkeitsdimensionen des Individuums von Lehrkräften angestrebt werden, dass im Zuge eines zielgleichen Unterrichts jedoch in einen Widerspruch gerät. Innere Differenzierungsmaßnahmen tangieren schließlich alle Kernbereiche von Schule, Unterricht und Lehrerprofessionalität und liegen im unmittelbaren Verantwortungsbereich des gerade Lehrenden vor dem Hintergrund, individuell anregende und sozial integrierende Lernerfahrungen zu organisieren. Verwiesen wurde in 2.3 bereits auf die Antinomien nach Helsper.

3.3.1 Zieldifferente Differenzierung im schulischen Kontext

Der zielgleiche Unterricht wird als oberstes Ziel auf bildungspolitischer Ebene hervorgehoben und dementsprechend zielgleiche Differenzierung als konzeptioneller Umgang mit heterogenen Lerngruppen.

Bönsch (2009, 4) merkt an, dass es eine sehr optimistische Annahme sei, möglichst alle Schülerinnen und Schüler einen zielgleichen Unterricht erfahren zu lassen, um zu gesetzten Lernzielen zu gelangen, auch wenn auf Effekte differenzierter Lernarbeit gehofft wird. Ohne eine fundamentale Grundsatzdiskussion zu führen, ist folgende Feststellung für die Studie zielführend: „Die Formen der zieldifferenten Differenzierung werden dann zur Notwendigkeit, wenn die Förderung aller Schülerinnen und Schüler in sehr heterogenen Lerngruppen angestrebt und ein Scheitern oder gar eine Selektion verhindert werden soll. Eine umfassende zieldifferente Differenzierung stößt allerdings durch die Selektionsfunktion von Schule an Grenzen“ (Miller 2011a, 220).

Auch Riedl (2008) unterstreicht die Differenzierung nach Lernzielen als eine nur begrenzte Möglichkeit, aufgrund der „Verbindlichkeit der Lehrpläne“ (ebd., 125).

Festzuhalten ist, dass die zieldifferente Differenzierung, die vor dem Hintergrund des zielgleichen Unterrichts in der Umsetzung begrenzt ist, zwar einen wichtigen Stellenwert im deutschen Bildungssystem aufweist, dennoch als eine entgegensetzte Konzeption erscheint (Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.3.2 Modelle und Formen innerer Differenzierungsmaßnahmen

Die vielfältigen Vorschläge zur Umsetzung des Konzeptes der Inneren Differenzierung sind ein kaum noch überschaubares Spektrum von Maßnahmen auf unterschiedlichsten Ebenen, dessen Diskussion für die Untersuchung der Studie den Rahmen sprengen würden. Dennoch werden einige Vorschläge kurz vorgestellt, um schließlich Nachteilsausgleiche im Konzept der Inneren Differenzierung verorten zu können und die Grenzen von innerer Differenzierung in einem zielgleichen Unterricht anzudeuten. An dieser Stelle besteht demnach kein Anspruch auf Vollständigkeit. Herauskristallisiert hat sich bereits, dass Lehrkräfte selbst die Verantwortung im Unterricht für die praktische Umsetzung innerer Differenzierung tragen.

Wenn davon ausgegangen wird, dass sich Lehrende gegen Differenzierungen im Unterricht nicht wehren können, ist eine einfachste Form bereits das differente Zeitgeben des Lehrenden für eine Schülerantwort im Unterricht (vgl. Coriand 2017, 137). Die Autorin sieht drei zentrale Differenzierungsformen in der Aufgabendifferenzierung, also in der Sache, der differenzierten Anleitung, auf der Ebene des Lehrenden und der Differenzierung in Kommunikation und Kooperation, auf der Ebene der Lernenden. Als didaktisches Dreieck formuliert, folge dieses der Logik der konstituierenden Elemente von Unterricht, denn „die Methoden differenzierten Arbeitens werden danach gruppiert, ob die angestrebte Förderung vordergründig durch den Umgang mit der Sache, mittels des betont gemeinsamen Lernens mit anderen Lernern oder durch die unmittelbaren Hilfen der Lehrenden bewirkt werden soll“ (ebd., 140).

Aspekte in der Aufgabendifferenzierung seien etwa der Schwierigkeitsgrad, der Inhalt, der Umfang und die Zeit sowie der Grad der Offenheit, um die unterschiedlichen Leistungsniveaus, Interessenlagen, Kultur- und Werteerfahrungen zu beachten. Vordergründig sei dabei die Leistungsförderung (vgl. ebd.). Methodisch geht es folglich darum, Aufgaben so zielgleich zu differenzieren, dass alle Lernenden die Möglichkeit haben, gesetzte Lernziele zu erreichen.

Die differenzierte Anleitung diene in erster Linie der Leistungsunterstützung, dessen Anforderungen gut bewältigt werden sollen. Alltägliche Beispiele seien etwa das Geben von Impulsen oder Zwischenfragen während des Unterrichtsgesprächs oder die unmittelbare persönliche Zuwendung (vgl. ebd., 144). Auch hier wird von der Autorin der Aspekt der Leistung als Kriterium hervorgehoben.

Die Differenzierung durch Kommunikation und Kooperation fokussiert vielfältige Bereiche der gegenseitigen Hilfen und Angebote durch die Lehrenden selbst als potenzielles pädagogisches Handlungsfeld, in dem die Heterogenität nicht als Störfaktor angesehen werden würde. Praktische Möglichkeiten böten etwa das Plenumsgespräch, das Partner- und Gruppenlernen und die Leitung von Unterrichtsphasen durch die Lernenden selbst (vgl. ebd., 145), die hier nicht näher ausgeführt werden. Dabei nicht aus den Augen verloren werden können wiederum die zu erreichenden Lernziele, die zieldifferente Differenzierung wiederum begrenzt, insbesondere in Bezug auf die Arbeit in Partner- und Gruppenarbeiten. Der gemeinsame Lerngegenstand bleibt zentral.

Klafki & Stöcker (1985, 134) stellten bereits ähnliche Differenzierungsaspekte vor, die sich auf die Differenzierung nach Stoff und Zeit, nach Komplexitätsgrad, nach der Anzahl notwendiger Durchgänge, nach der Notwendigkeit direkter Hilfe bzw. dem Grad der Selbstständigkeit, nach der Art der inhaltlichen und methodischen Zugänge bzw. Vorerfahrungen und auf die Kooperationsfähigkeit beziehen. Die Rolle der Lehrkraft und in wie weit Schülerinnen und Schüler hier aktiv eingebunden werden könnten, bleibt in dem Modell jedoch noch offen. Auch hier wird auf die Begrenztheit von zieldifferenter Differenzierung verwiesen.

Riedl (2008) bietet eine Perspektive von „thematisch-intentionaler Differenzierung“ (ebd., 124), die sich in der Auswahl der Lerninhalte und des Schwierigkeitsgrades begründe und die unterschiedlichen Interessen und Arbeitstempos von Lernenden berücksichtigen soll. Eine konkrete methodische Umsetzung wäre etwa das Einteilen der Lernenden in arbeitsteilige Gruppenarbeit oder „Spezialistenteams“ (ebd.). In Bezug auf den zielgleichen Unterricht stößt die intentionale Differenzierung – demnach die Differenzierung nach Lernzielen – aufgrund der Verbindlichkeit von Lehrplänen wiederum an ihre Grenzen (vgl. ebd.). Zumindest besteht in solchen Konzepten punktuell die Möglichkeit für Lehrkräfte, innerhalb eines zielgleichen Unterrichts auch zieldifferente Differenzierungsmöglichkeiten umzusetzen.

Des Weiteren spricht der Autor von „methodischer Differenzierung“ (ebd.), die den Schülerinnen und Schülern eine methodisch abgestimmte Herangehensweise zum Lerngegenstand ermöglichen soll. Die bevorzugten Arbeitsweisen, die einen Zugang zum Unterrichtsinhalt gewährleisten, können beachtet werden. Konkrete Umsetzungsvorschläge sind etwa der Einsatz passender Sozial- und Aktionsformen des Unterrichts, die aber ein variables Einsetzen vor dem Hintergrund der aktuellen Erfordernisse bedürfen und unterschiedliche Übungsarten sowie die Variation bei Lernzeit und Lerntempo berücksichtigen müssten. Eine weitere Perspektive bietet der Autor mit der „medialen Differenzierung“ (ebd., 124f.), die ein auf die Schülerinnen und Schüler abgestimmtes Medienangebot schaffen kann. Das Ziel sei es hier, die bevorzugten Sinnes- und Aufnahmekanäle der Lernenden anzusprechen sowie diese so anzulegen, dass es jeweils ihrer Aufnahme- und Verarbeitungskapazität entspreche. Konkrete Umsetzungsmöglichkeiten liefert der Autor in der Schaffung unterschiedlicher medialer Zugänge bspw. in Form von Texten, Grafiken, Bildern, Novellen, Nachschlagewerken, Experimenten, Realgegenständen, etc.

Die „soziale Differenzierung“ (ebd., 125) begreift der Autor in der Regel in Kombination mit anderen differenzierenden Maßnahmen, um „eingeschworene Schülercliquen“ (ebd.) aufzulösen und eine Ausgrenzung zu vermeiden. Konkrete Umsetzungsmöglichkeiten wären etwa die generelle Gruppenzusammensetzung oder wechselnde Arbeitskoalitionen sowie auch die Zusammenarbeit in leistungshomogenen bzw. leistungsheterogenen Gruppen innerhalb eines Klassengefüges. Bekannt sei dort etwa auch das „Helfersystem“ (ebd.), in denen leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler, leistungsschwächere in Bildungsprozessen unterstützen sollen.

Ein modernes Konzept stellt Bönsch (2015) über fünf Subkonzepte für den kompetenzorientierten Gemeinsamen Unterricht vor, in dem er zunehmend heterogener werdende Lerngruppen wahrnimmt: die „nachgehende Differenzierung“, die „Intensivdifferenzierung und/ oder zieldifferente Differenzierung“, die „Wahl-/Selbstdifferenzierung“ und die „Bearbeitungsdifferenzierung“ (ebd., 165f.).

Die „nachgehende Differenzierung“ beschreibt der Autor als zentrales Subkonzept, in dem die Vervollständigung der Lernprozesse aller Lernenden angestrebt werden würde. Methodisch geht es um Wiederholungen und Übungen in unterschiedlicher Länge und Intensität, damit alle Schülerinnen und Schüler die Lernergebnisse sichern und festigen könnten: „Bei jedem Schüler geht es um die Optimierung seiner Lernmöglichkeiten“ (ebd., 165).

Die „Intensivdifferenzierung und/oder zieldifferente Differenzierung“ beschreiben zwei Subkonzepte. Das Subkonzept der „Intensivdifferenzierung“ kann bei Schülerinnen und Schülern greifen, denen erfolgreiches Lernen nur ganz schwer gelinge und die deshalb „Intensivschleifen“ (ebd., 166) bräuchten, „um schließlich doch wenigstens einfache Aufgaben erfolgreich lösen zu können“ (ebd.). Dort geht es methodisch um vielerlei und immer wieder anders ansetzende Aufgaben. Die Regelmäßigkeit von Wiederholungen und Wiederholungszeiten seien besonders wichtig sowie differenzierte Techniken des Übens. Wurde mit den beschriebenen Subkonzepten folglich eine zielgleiche Differenzierung angestrebt, soll das Subkonzept der „zieldifferenten Differenzierung“ die Schülerinnen und Schüler auffangen, die die für das Schuljahr gesetzten Lernziele nicht erreichen können, um einen dauerhaften Misserfolg zu vermeiden. Laut des Autors könne Misserfolg schließlich zu Demotivation, Schulmüdigkeit oder Sitzenbleiben führen (vgl. ebd.). Methodisch bedeute dies, „dass in den Lernzielen differenziert wird, die Ansprüche herabgesetzt werden, der Umfang des Lernstoffs vermindert wird in der Absicht, Mindesterfolge zu sichern. Im Rahmen des kompetenzorientierten Unterrichts lässt sich dies mit den einfacher angelegten Kompetenzstufen relativ gut verorten“ (ebd.). Auch die zieldifferente Differenzierung müssen sich demnach immer noch an Mindeststandards der Lehrpläne orientieren.

Ein weiteres Subkonzept wird als „Wahl-/Selbstdifferenzierung“ vorgestellt, dass sich am generellen Ziel orientiert, Schülerinnen und Schüler Zug um Zug zu Subjekten ihres Lernens zu machen. Dieses Konzept sieht der Autor insbesondere für gut und zügig Lernende schnell anzuwenden, da sich über das „Muss“ (ebd., 167) hinaus orientiert werden würde, damit die Schülerinnen und Schüler das Lernen in die eigene Hand nehmen könnten. Hier besteht die Möglichkeit, zieldifferente Differenzierung über eigene Lernpläne und eigene Lernwege für überschaubare Zeit zu initiieren. Zieldifferente Differenzierung kann also potenziell auch praktiziert werden, ohne von den allgemeinen Lernzielen abzuweichen, greift in diesem Konzept jedoch nur bei vermeintlich leistungsstarken Schülerinnen und Schülern.

Das fünfte Subkonzept betitelt der Autor als „Bearbeitungsdifferenzierung“. Dieses ist bereits in vorangegangenen Modellen des Öfteren aufgetaucht. In diesem gehe es dann nicht mehr zwangsläufig von der gemeinsamen (Erst-)Erarbeitung aus, sondern von der Möglichkeit, im Interesse unterschiedlicher Lerner, differenzierte Bearbeitungsmöglichkeiten anzulegen. Beachtetet werden sollen nicht nur leistungsschwache, sondern auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler. Neben dem „Normalweg“ (ebd., 167), der für alle als gangbar angesehen wird, könnten auch einfachere (konkreter, anschaulicher) bzw. anspruchsvollere (abstrakter, systematischer) Wege angeboten werden (vgl. ebd., 167). Die Differenzierung fände hier also wieder im Kontext eines zielgleichen Lerngegenstandes statt.

Die Studie arbeitet mit folgenden Erkenntnissen zu Modellen und Formen innerer Differenzierung:

In den exemplarisch vorgestellten Modellen und den damit verbundenen konkreten Formen innerer Differenzierung wurde deutlich, dass Lehrenden reihenweise Vorschläge für die Unterrichtspraxis gemacht werden, wie Differenzierung stattfinden könnte. Die Verantwortung liegt schließlich bei den Lehrkräften selbst. Zieldifferente Differenzierung bleibt vor dem Hintergrund eines zielgleichen Unterrichts begrenzt. Das Modell von Bönsch (2015) hat dennoch gezeigt, dass gegenwärtig durchaus Möglichkeiten diskutiert werden wie auch im zielgleichen Unterricht zieldifferente Differenzierung stattfinden könnte. Das Konzept der Inneren Differenzierung kann zumindest theoretisch in einigen Punkten sehr überzeugen, ist jedoch zum anderen aus den genannten Gründen auch umstritten und mit Widersprüchen behaftet.

3.4 Nachteilsausgleich

Die theoretischen Vorüberlegungen nähern sich dem Hauptuntersuchungsgegenstand an. In diesem Teilkapitel sollen Nachteilsausgleiche in das Konzept der Inneren Differenzierung verortet werden. Einleitend wurde bereits erwähnt, dass die empirische Forschung zu Nachteilsausgleichen gegenwärtig gen Null tendiert. Fundierte Literatur gibt es dementsprechend nur geringfügig.

Einleitend wurden Messerschmidts (2017, 3) Eindrücke beschrieben, dass die Bedeutung bzw. Zieldefinitionen in Bezug auf den Umgang bzw. den Einsatz von Nachteilsausgleichen für Lehrende in der Praxis noch unübersichtlich sind und teilweise divergieren können. Der Autor äußerst hinsichtlich dieser Feststellung folgenden Wunsch: „Ich wünsche mir eine Anpassung und Weiterentwicklung der bestehenden Regelungen dahingehend, dass ein verlässlicher Rahmen pädagogischen Agierens existiert, der Handlungsspielräume einräumt, die auch real genutzt werden können. Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang die Einordnung dieser Regelungen in ein stimmiges und zukunftssicheres Gesamtkonzept“ (ebd., 4). Diese Studie kann einen Beitrag dazu leisten, das Thema Nachteilsausgleiche salonfähiger zu machen und Empirie zu generieren. Die Aufgabe der folgenden Unterkapitel muss es zwangsläufig sein, eine transparente Zieldefinition für den Nachteilsausgleich zu bestimmen.

3.4.1 Begriffsbestimmung und rechtliche Grundlagen

Bereits erwähnt wurde die äußert dünne empirische Forschungsliteratur zu Nachteilsausgleichen, weshalb der Begriff nur geringfügig multiperspektivisch diskutiert werden kann.

Zimmermann & Wachtel (2013, 144) stellen heraus, dass der Begriff „Nachteilsausgleich“ kein originär pädagogischer sei, sondern aus dem Arbeits- und Sozialrecht stamme. Auf eine explizite Unterscheidung wird im Rahmen dieser Arbeit verzichtet. Der Ursprung des Begriffs liegt folglich nicht in der Pädagogik. Seit 1986 ist der Begriff aus dem Bereich des Schwerbehindertengesetzes (§48) entlehnt und in das Neunte Buch des Sozialgesetzbuches aufgenommen. Ein Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile oder Mehraufwendungen (Nachteilsausgleich) ist als Ziel formuliert. Deutlich wird in diesem Zusammenhang, dass der Nachteilsausgleich herkömmlich in Verbindung mit Behinderung und Beeinträchtigung steht.

Eine Reihe gesetzlicher Vorschriften liegen vor, die die Gewährung eines Nachteilsausgleichs begründen und eine hierarchische Ordnung aufweisen. Im Grundgesetz orientiert sich der Nachteilsausgleich an Artikel 3 der besagt, „dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf“ (Kindernetzwerk e. V. 2015, 6), an Artikel 30, der besagt, „dass die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der stattlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist“ (ebd.) und an Artikel 70, der besagt, „dass die Länder das Recht der Gesetzgebung haben“ (ebd.). Des Weiteren greifen Paragraphen des Bundesbildungsgesetzes bzw. der Handwerksordnung – die hier nicht näher ausgeführt werden sollen – sowie jener der Sozialgesetzgebung und der jeweiligen Schulgesetze der Bundesländer.

Aus diesen Erkenntnissen wird deutlich, dass sich diese Studie auf die länderinternen Regelungen von Sachsen-Anhalt zu Nachteilsausgleich beschränken wird, die sich wiederum an den benannten Grundsätzen zu orientieren haben.

3.4.2 Nachteilsausgleich als pädagogisches Grundprinzip

Nicht verwunderlich ist, dass die Beschäftigung mit Nachteilsausgleich ein noch relativ modernes Thema im Rahmen des schulischen Kontextes zu sein scheint und seinen Anstoß auch aus den gegenwärtigen Entwicklungen und Transformationen von Heterogenität erhält. In den Schulgesetzen der Länder finden sich zum Teil erst seit den 1990er-Jahren Regelungen zum Ausgleich von Beeinträchtigungen, die dort als „Nachteile“ verstanden werden. Zunehmend ist der Nachteilsausgleich jedoch in den Schulgesetzen festgeschrieben (vgl. Schnell 2012b, 193).

Die „Differenz Behinderung“ hat im Hinblick auf Nachteilsausgleich zwar einen besonderen Stellenwert, die es gelte auszugleichen, jedoch können auch anderweitige (Lern-)Störungen Grundlage für einen Nachteilsausgleich sein. Der Nachteilsausgleich beruht dementsprechend auf dem Gleichheitssatz im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht der Schule und erhielt einen zunehmenden Stellenwert im Zusammenhang der Novellierung des Grundgesetzes von 1994, in dem ein Diskriminierungsverbot von Menschen mit Beeinträchtigung betont wird. Aus dieser Forderung nach Chancengerechtigkeit ergibt sich die Forderung nach einem Ausgleich von Benachteiligungen, bei der es aber eben keine verallgemeinerten Kriterien gibt, ob bei einer solchen Benachteiligung oder Behinderung ein Unterstützungsbedarf vorliegt. Daraus ergibt sich, dass ein Nachteilsausgleich individuell pädagogisch abzuklären ist (vgl. Zimmermann & Wachtel 2013, 5).

Wichtig ist es, die bildungspolitischen Grundsätze eines Nachteilsausgleichs im schulischen Kontext zu bestimmen. So hebt die Kultusministerkonferenz (KMK) mit dem Beschluss zur „Inklusiven Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen“ hervor: „Die Anwendung und Nutzung von Formen des Nachteilsausgleichs sind wesentliche Bestandteile eines barrierefreien Unterrichts während der gesamten Schullaufbahn. Nachteilsausgleiche dienen dazu, Einschränkungen und Beeinträchtigungen oder Behinderungen auszugleichen oder zu verringern“ (KMK 2011, 10). Genannt wird hier also noch einmal die Zieldefinition des Ausgleichs von Heterogenitätsmerkmalen wie Einschränkungen und Beeinträchtigungen oder Behinderungen. Neu an dieser Stelle ist, dass die KMK Formen des Nachteilsausgleichs als wesentliche Bestandteile eines barrierefreien Unterrichts beschreiben, um die Aktivität und Teilhabe von beeinträchtigten Schülerinnen und Schüler im Sinne der Inklusion zu erhöhen (vgl. ebd., 22). Auch wenn nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention und dem damit verbundenen Ziel einer inklusiven Bildung die Bedeutung von Nachteilsausgleichen nur langsam zunahm, ist zumindest seit dem Jahr 2011 die Notwendigkeit als wesentlicher Bestandteil der Inklusion dort hervorgehoben.

Zimmermann & Wachtel (2013, 5) bekräftigen den Nachteilsausgleich als pädagogisches Grundprinzip, dass die Fürsorgepflicht der Schule und das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes unumgänglich machen würden, Nachteilsausgleiche beim Zugang zum schulischen Lernen und bei der Leistungsermittlung vorzunehmen. Im Verbund mit der genauen Beobachtung bzw. pädagogischen Diagnose der Voraussetzung der individuellen Fähigkeiten der Lernenden sei der Nachteilsausgleich eine Verstärkung dieses Grundprinzips jedes Unterrichts und ein Instrument, mit dem Benachteiligungen ausgeglichen werden könnten. Dies führen die Autoren darauf zurück, dass Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen beim schulischen Lernen, bei Leistungsermittlungen und Prüfungen keinen Nachteil haben dürften (vgl. ebd., 8). Einer reinen Konzentration des Nachteilsausgleichs auf der Ebene von Leistungserhebungen wäre hiermit entsprochen.

Wichtig ist es den Autoren auch herauszustellen, dass sich aus dem Gleichheitsgrundsatz zwar die Ansprüche und Grundsätze für nachteilsausgleichende Maßnahmen herleiten lassen, zugleich sich damit aber auch Grenzen der individuellen Differenzierung bestimmen ließen. Die Kompensierung von Benachteiligungen Einzelner dürfe nicht in eine Benachteiligung anderer umschlagen. Ein Nachteilsausgleich dürfe also nicht dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigung und Behinderungen gegenüber anderen Schülerinnen und Schülern bevorteilt werden würden. In der Praxis müsse er dementsprechend so beschaffen sein, dass er von allen anderen Lernenden als berechtigt und angemessen angenommen werden kann und die betroffenen Schülerinnen und Schüler sich zudem nicht diskriminiert fühlen (vgl. ebd., 8f.). Auch folgende Aussage stützt diese Forderung: „Es geht weder um Vorteilsgewährung noch um Aufweichung der Bildungsziele. Es geht um den Blick auf den einzelnen Schüler/Auszubildenden und dessen persönliche Möglichkeiten, Prüfungen erfolgreich absolvieren zu können. Chancengleichheit muss gewährleistet sein“ (Kindernetzwerk e. V. 2015, 4). Hier wird bereits ein Konfliktpotenzial im Rahmen des zielgleichen Unterrichts deutlich, dass sich insbesondere an Chancengerechtigkeit misst. Zwangsläufig seien „die individuellen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler, die Besonderheiten des Unterrichtsfachs und der jeweiligen Themen [sowie] die Bedeutung der jeweiligen Leistungsfeststellung (mündliche Mitarbeit, Klassenarbeiten, Vergleichsarbeiten, Abschlussarbeiten, Abitur)“ (Zimmermann & Wachtel 2013, 7) zu beachten.

3.4.3 Nachteilsausgleiche als Formen zielgleicher Differenzierung

Es liegt nicht fern, dass sich die zunehmende Bedeutung von Nachteilsausgleich mit den Transformationen von Heterogenität verbinden lassen. Es geht insbesondere um den Abbau von Chancenungleichheit sowie mit Forderungen nach inklusiver Bildung einher.

In der Praxis sollen Nachteilsausgleiche folglich den Zugang zum Lerngegenstand ermöglichen und die Bearbeitung von Aufgabenstellungen gewährleisten, indem Möglichkeiten geboten und Bedingungen geschaffen werden sollen, damit die betroffenen Schülerinnen und Schüler ihre volle Leistungsfähigkeit ausschöpfen können, „ohne dass die inhaltlichen Leistungsanforderungen grundlegend verändert werden“ (KMK 2011, 10). Weiter heißt es: „Eine Leistung, die mit Maßnahmen eines Nachteilsausgleichs erbracht worden ist, stellt eine gleichwertige, zielgleiche Leistung dar. (…) Nachteilsausgleich [als] Chance, Kompetenzen unter angemessenen äußeren Bedingungen nachzuweisen“ (ebd.). Der KMK scheint es in diesem Zusammenhang wichtig zu betonen, dass es um die Ermöglichung der Vergleichbarkeit von individuellen Leistungen gehe. Leistungsheterogenität spielt hier folglich die entscheidende Rolle.

Auch Schnell (2012, 93) – die sich auf die KMK bezieht – hebt hervor, dass die Feststellung eines Nachteilsausgleichs im selektiven Schulsystem der Berücksichtigung spezieller erschwerender Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen diene, ohne dass die Vergleichbarkeit der Leistungen in Frage gestellt werden müsste.

In diesem Zusammenhang findet auch die „Handreichung für Eltern und Lehrende“ von Kindernetzwerk e. V. (2015) deutliche Worte für das Ziel des Instrumentariums Nachteilsausgleich: „Das jeweilige So-Sein des Einzelnen bedingt eine bestimmte Möglichkeit, Lehrstoff aufnehmen und Erlerntes prüfungsadäquat wiedergeben zu können. Binnendifferenzierung des Unterrichts bei bestehender Zielgleichheit ist gefordert“ (ebd., 4).

Ein Nachteilsausgleich im Rahmen des zielgleichen Unterrichts soll also keineswegs einen Nachteil für die unter diesen Umständen erbrachte Leistung darstellen, dies würde dem Ziel, Chancengleichheit herzustellen, grundlegend wiedersprechen. Es wird in diesem Zusammenhang noch einmal explizit erwähnt, dass ein Nachteilsausgleich zu individualisieren und für einen verbindlichen Zeitraum festzulegen ist, der für alle Lehrkräfte eingehalten und eine Festlegung daher regelmäßig dokumentiert, geprüft und ggf. angepasst werden müsse (vgl. KMK 2011, 10). Zudem wird deutlich, dass die äußeren Bedingungen im Sinne der Inklusion optimiert und an die betroffenen Schülerinnen und Schüler angepasst werden sollen.

Es soll regelmäßig geprüft werden, ob die Leistungsbewertung nach Standards in allen Lern- und Leistungsbereichen vollständig oder nur in Teilbereichen möglich oder aufzuheben ist. Abweichungen von üblichen Bewertungsregeln müssten in individuellen Förderplänen vermerkt werden: „Eltern sind regelmäßig über die Ergebnisse des zielgleichen oder zieldifferenten Unterrichts und Lernens sowie über die verschiedenen Formen der Leistungsmessung und -bewertung zu informieren und zu beraten (…), [um] frühzeitig realistische Orientierungen über erreichbare Abschlüsse und Anschlüsse sowie Möglichkeiten der Unterstützung und Weiterentwicklung zu geben“ (ebd., 11). Die Studie geht dementsprechend davon aus, dass der Nachteilsausgleich lediglich als Differenzierungsinstrumentarium im Kontext des zielgleichen Unterrichtes verstanden werden kann, folgt man den übergeordneten Grundsätzen und Zieldefinitionen.

Schnell (2012) merkt in Bezug auf die Vergleichbarkeit von Leistungen als Anforderungen an den Nachteilsausgleich an, dass dies in der Umsetzung durchaus zu Fragen führen könne und bisweilen bereits erhebliche Konflikte bis hin zu Rechtsstreiten hervorgerufen hätte, wenn die Trennschärfe zwischen einem Ausgleich der Beeinträchtigung und einer Hilfestellung nicht herzustellen sei, der Grad der Beeinträchtigung in Frage und/ oder der Verdacht der Unterstützung im Raum stünde (vgl. ebd., 193). Dieses Konfliktpotenzial steige, je genauer die Selektionsmaßnahmen in einem Land – z. B. beim Übergang in die weiterführende Schule oder in die nächsthöhere Klasse – definiert seien (vgl. ebd.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 127 Seiten

Details

Titel
Die Problematik der zielgleichen Differenzierung aus der Perspektive von Lehrkräften
Untertitel
Eine qualitative Studie
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
127
Katalognummer
V967043
ISBN (eBook)
9783346318749
ISBN (Buch)
9783346318756
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nachteilsausgleich, Inklusion, Differenzierung, Zielgleich, Zieldifferenz, Differenzierungspraxis, Schule, Förderschule, Leroy Schranz, Individuelle Förderung, Heterogenität, Sonderpädagogik, Individualisierung
Arbeit zitieren
Leroy Schranz (Autor:in), 2017, Die Problematik der zielgleichen Differenzierung aus der Perspektive von Lehrkräften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/967043

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