Die Skulpturen am Südquerhausportal des Straßburger Münsters. Eine Baugeschichte


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Skulpturen am Südquerhausportal des Straßburger Münsters
2.1 Kurzer Einblick in die Baugeschichte
2.2 Geschichte der Skulpturen
2.3 Die Gewändeapostel
2.4 Die Türstürze
2.4.1 Die Grabtragung Mariens
2.4.2 Die Himmelfahrt Mariens
2.5 Die Tympana
2.5.1 Der Marientod
2.5.2 Die Marienkrönung
2.6 Die Figuren Ecclesia, Synagoge und König
2.7 Der Gerichtspfeiler
2.8 Meisterfrage und Einordnung

3. Die Besonderheiten der Skulpturen am Straßburger Münster

4. Literaturverzeichnis

5. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Das Straßburger Münster ist einer der bedeutendsten Bauten in Europa und feierte letztes Jahr sein hundertjähriges Bestehen. Eine Besonderheit bildet vor allem das Südquerhausportal und seine skulpturale Ausstattung, über deren Entstehung und Datierung noch heute keine Einigkeit in der Literatur herrscht. Im Folgenden soll zunächst ein kurzer Abriss der Baugeschichte, besonders des Südquerhauses aufgezeigt werden. Es folgt die historische Betrachtung der Skulpturen am Südquerhausportal, dabei besonders auch die Zerstörungen und Restaurierungsmaßnahmen. Danach werden die Skulpturen einzeln genauer betrachtet, beginnend mit den Gewändeapostel, die heute nicht mehr am Portal zu sehen sind. Wichtig sind auch die darüber liegenden Türstürze mit der Grabtragung und Himmelfahrt Mariens, die sich nicht mehr im Original am Portal befinden. Die heute noch erhaltenen Tympana am Südquerhaus zeigen Darstellungen des Marientodes und der Marienkrönung. An den Seiten und in der Mitte der beiden Portale lassen sich zudem drei Figuren, die Ecclesia, die Synagoge und ein König erkennen, die ebenfalls beschrieben werden. Es wird auch einer kurzer Blick in das Innere der Kathedrale geworfen, nämlich bei der Betrachtung des Gerichtspfeilers, der in seiner Form und seinem Inhalt eine Besonderheit darstellt. Darauf folgt die Frage nach einem Meister, die historische Einordnung und der Bezug zu anderen Kirchenbauten und ihren Skulpturen. Hierbei wird besonders auf die verschiedenen Ansätze von unter anderem Martina Bengel und Willibald Sauerländer eingegangen. Zum Schluss werden noch die einzigartigen Merkmale der Skulpturen herausgearbeitet und zusammengefasst.

2. Die Skulpturen am Südquerhausportal des Straßburger Münsters

2.1 Kurzer Einblick in die Baugeschichte

Der erste bekannte Bau (vgl. Abb. 1) an dem Platz des heutigen Straßburger Münsters wurde um 1015 unter Bischof Werner errichtet.1 Im 12. Jahrhundert war die Geschichte des Gebäudes von mehreren Bränden geprägt. In den Jahren 1181 bis 1188 wurde der Chor- und Vierungsbereich inklusive Andreaskapelle sowie Teile der Westwände der Querhäuser neu erbaut. Die Arbeiten am Nordquerhaus fanden zwischen 1190 und 1210 statt. Danach löste die jüngere Südquerhauswerkstatt die ältere Nordquerhauswerkstatt ab, was Bengel zufolge fast fließend ablief. Nachdem die Johanneskapelle und der Kapitelsaal errichtet worden waren, fertigte man das Südquerhaus. Der Weltgerichtpfeiler im Inneren entstand wohl unter anderem aus bautechnischen Gründen zur selben Zeit wie die Skulpturen. Bei Vollendung des Südquerhauses errichtete man im Langhaus auch die Seitenschiffwände der ersten beiden Joche. Es folgte eine Planänderung, deren Grund nicht sicher genannt werden kann, welche jedoch die Vollendung der Turmaufsätze der Südquerhausfassade zur Folge hatte sowie das Einziehen des Kreurzippengewölbes im Südquerhaus. Um 1230/1235 endeten die Arbeiten der Südquerhauswerkstatt.2

2.2 Geschichte der Skulpturen

Das Doppelportal am Südquerhaus des Straßburger Münsters (vgl. Abb. 2) war für den Baumeister bereits vorgegeben. Ob schon Skulpturen daran errichtet waren ist unklar, jedoch eher unwahrscheinlich. Bei seiner Fertigstellung durch eine neue Bildhauer- und Steinmetzgruppe wurde das Portal des Südquerhauses mit Skulpturen neu geschmückt. Einige davon sind zur Zeit der Französischen Revolution vernichtet worden. Ein Stich von Isaak Brunn aus dem Jahre 1617 (vgl. Abb. 3) zeigt das Portal in seiner ursprünglichen Gestaltung. Jedoch muss man bedenken, dass der Stich erst 400 Jahre nach dem Bau des Portals entstand und durch die Hand des Künstlers eventuell eigens interpretiert wurde. Das Portalgewände zeigt drei Stufen mit Säulen, auf denen Doppelkapitelle angebracht waren. Auf diesen Säulen waren Skulpturen der zwölf Apostel errichtet, von denen heute nicht mehr als einige Köpfe übrig sind. In den Jahren 1811 bis 1828 wurden die vernichteten Doppelkapitelle und die Apostelskulpturen durch Säulenschäfte eingetauscht. Unzerstört blieben die Bogenfelder, in denen der Marientod und die Marienkrönung dargestellt sind. Im erwähnten Stich finden sich rechteckige Türsturzfelder mit Darstellungen der Grabtragung Mariens und der Himmelfahrt. Im Jahre 1811 wurden diese mit Hilfe von Nachbildungen des Bildhauers Etienne Malade wiederhergestellt, jedoch ist vor allem beim rechten Feld, also der Himmelfahrt, eine abweichende Komposition vom Original festzustellen. Zur linken und rechten Seite des Doppelportals finden sich zwei Frauengestalten, die an Säulen über hohen Sockeln angebracht sind. Dabei handelt es sich um die Figuren Ecclesia und Synagoge. Um das Jahr 1905 wurden die Originalskulpturen von ihrem Platz genommen um sie zu schützen. An ihre Stelle traten nach dem Ersten Weltkrieg bemalte Gipsfiguren, die Originale kann man heute im Musée de l’Œuvre Notre-Dame betrachten. Zentriert in der Mitte des Doppelportals befindet sich eine Königsskulptur, die auf einer Säule angebracht ist. Dabei handelt es sich Martina Bengel zufolge um Salomon, der einen gerechten Richter symbolisiert. Über dem König ist Christus als Salvator in einer Halbfigur dargestellt. Diese beiden Skulpturen sind nicht mehr die Originale, sondern wurden im Jahre 1828 von Jean Vallastre nachgebildet. Im Depot des Frauenhausmuseums ist ein Christuskopf aufbewahrt, der wahrscheinlich das Original war. Seitlich von der vermeintlichen Salomonfigur sieht man im Relief von Jean Vallastre zwei kleine Engelsfiguren, die wohl einst lediglich gemalt waren. Über der Grabtragung Mariens waren zwei und am Baldachin oberhalb der Mittelgruppe eine Engelsbüste angebracht, die jedoch nicht ersetzt wurden. Die Ecclesia, die Synagoge sowie die Bogenfelder mit den Mariendarstellungen wurden während der Französischen Revolution nicht zerstört. Dies verdanken sie dem Naturforscher Jean Hermann aus Straßburg. Im Jahre 1793 vergrub er einige Skulpturen des Münsters, wahrscheinlich auch die Ecclesia und Synagoge, im Botanischen Garten nahe des Bauwerkes. So konnten sie vor den Bilderstürmen geschützt und gerettet werden.3 Den Tympana an dem Südportal bot er Schutz, indem er Bretter davor nagelte, auf denen die drei Worte „Liberté, Egalité, Fraternité“ geschrieben waren. Die Apostelköpfe wurden, wie bereits erwähnt, nicht von der Zerstörung verschont.4 Jedoch konnte man ein paar abgeschlagene Köpfe retten und in die Straßburger Stadtbibliothek schaffen. Erst im Jahre 1911 wurden sie als die originalen Gewändeapostel von Secker identifiziert. Die figürlichen Konsolkapitelle der Figuren Ecclesia, Synagoge und des Königs ersetzte man durch teilweise freie Nachbildungen. Auf dem Stich sieht man unter der Ecclesia eine unbekleidete jünglingshafte Gestalt. Der Bildhauer Malade machte daraus eine Mädchenfigur, die in ein enges Kleid gehüllt in vergleichbarer Haltung zu sehen ist. Über dem König war in der Konsole eine kniende Figur, die mit einem Tuch bedeckt war. Wahrscheinlich wurde durch Vallastre diese zu einer balgenden Frau. Unter der Synagoge wurde ebenfalls ein Kapitell erneuert, das jedoch außer den Knospen fast gänzlich der Stichdarstellung entspricht. Daran sind zwei balgende Jungen zu sehen. Auch die Baldachine der drei Figuren Ecclesia, Synagoge und des Königs wurden mehrmals ausgetauscht. Ebenso wurden Architekturteile erneuert, wobei man sich hier eng an die Originale gehalten hat. Es gab somit viele Restaurationsarbeiten an dem Portal, so vor allem auch im 20. Jahrhundert.5

2.3 Die Gewändeapostel

In dem Stich von Brunn sind an den Portalgewänden zwölf stehende Apostelfiguren zu erkennen. Die Skulpturen und Säulenschäfte waren wohl aus einem Block geschaffen worden. Man sieht zudem Nimben, die bis zum Kapitellring reichen und strahlenartiges Ornament besitzen. Diese waren wohl separat von den Köpfen, jedoch an den6 „rückwärtigen Säulenschäften skulpiert“7. Die heute erhaltenen Köpfe weisen keine Spuren einer Befestigung auf. An den Gewändesteinen jedoch sind noch Spuren der Nimben zu erkennen, vor allem im rechten Portal an der äußeren Säule im östlichen Gewände. Wahrscheinlich fehlte hier beim Versatz der Skulpturen der Platz. Die Konsolen bestanden aus Kelchen mit Palmetten- oder Zungenblättern davor. In der oberen Reihe waren dabei die Knospen oder die Einrollungen der Blätter stärker ausgebildet. Auf dem Stich erkennt man zudem attische Basen mit einem größerem unteren Wulst. Die Höhe der Apostel betrug etwa 1,60 Meter, weshalb sie im Vergleich mit den Frauengestalten, Ecclesia und Synagoge, die schlank und etwa 40 cm größer waren, eher gedrungen wirken mussten. Fast alle Apostel trugen Bücher bei sich, bis auf Petrus, der den Schlüssel hielt, und dem Apostel links neben ihm, der eine Inschrift besaß. Die Apostel sind alle barfuß und in langen Kleidern und Mänteln zu sehen. Die Figuren sind zudem in Bewegung dargestellt, als wären sie im Gespräch miteinander. Dabei werden die Hände, die keine Attribute halten, als Redegestus genutzt. Ein wiederkehrendes Motiv ist das der verhüllten Hand. Es war besonders in der byzantinischen Kunst verbreitet und ist bei mindestens vier der Apostel zu finden. Diese Merkmale sind auch am Tympanon des Marientodes wiederzufinden.8 Insgesamt sind sie Weigert zufolge gröber gearbeitet als beispielsweise die Darstellung des Marientodes und wirken schwerer. Auch das Gewand wirke nicht so fein gearbeitet wie in den Reliefs oder der Ecclesia- und Synagogenskulptur. Er datiert sie auf kurz nach 1249 und versteht sie somit als die jüngsten Skulpturen am Südportal.9

2.4 Die Türstürze

Historisch gesehen wurde das Münster Maria geweiht, weshalb auch sein Hauptfest am 15. August, Mariä Himmelfahrt, gefeiert wird. Die beiden Tympana in Rundbogenform wurden aus einem Block hergestellt, sowie im Hochrelief. Über die Jahrhunderte blieben sie relativ gut erhalten, bis auf Kleinigkeiten wie die Kronen von Christus und Maria bei der Darstellung der Marienkrönung.10 Die Darstellungen in den Türstürzen wurden zerstört und sind nur durch den Stich von Brunn überliefert. Die originalen Türstürze sind allerdings erhalten, lediglich wurden im frühen 19. Jahrhundert in die Sturzblöcke Reliefplatten eingesetzt. Die Meißelspuren, die auf die Abarbeitung der Relieffiguren weisen, sind unter den Baldachinen, die sich über der Szene befinden und im selben Block gearbeitet wurden, zu erkennen. An den Seiten sieht man auch noch Reste der alten Darstellungen.10

2.4.1 Die Grabtragung Mariens

Über der Darstellung der Grabtragung Mariens befindet sich ein Baldachin, der aus sechs Bögen mit Dreipass besteht (vgl. Abb. 4). Dabei ist der vierte größer und als Rundbogen gestaltet, wohingegen die anderen eher kleine zugespitzte Bögen bilden. Laut Bengel ist dem Stecher bei der Darstellung von Brunn (vgl. Abb. 5) hier ein Fehler unterlaufen.11 „Er gibt an Stelle des größeren Rundbogens zwei Bögen wieder. An deren Seiten sind kleine heranfliegende Engelsfiguren platziert, die sicherlich keine Erfindung des Zeichners waren“12, so Bengel. Im Bereich des Baldachins lassen sich keine Ausbesserungen erkennen, jedoch finden sich an den Seiten des Rundbogens Abarbeitungsspuren, die auf dort angebrachte Engel verweisen. Bengel zufolge liegt der Grund der Gestaltung des steinernen Baldachins darin, dass der Platz für sieben regelmäßige Spitzbogen zu schmal, für sechs jedoch zu breit war. Außerdem solle der breite Bogen wohl auch die Frauengestalt vor Maria und die Christusfigur hervorheben.13

Auf dem Grabtragungsrelief ist der Leichenzug der Apostel dargestellt. Zwei Jünger tragen auf Stangen den Sarg Mariens, der mit einem Tuch bedeckt ist. Außerdem sind drei weitere Apostel abgebildet, von denen sich der erste und der letzte rückwärts umdrehen. Vor Ort befindet sich noch der originale Türsturz, jedoch wurde die Darstellung während der Französischen Revolution abgemeißelt. Der Baldachin oben ist bewahrt worden sowie eine Tür am linken Rand. Am rechten Rahmen ist eine Lanzenspitze erhalten, die wahrscheinlich zu der Lanze des Gruppenanführers gehörte, die bereits im 17. Jahrhundert fehlte. Am Bogenfries des Baldachins befanden sich einst zwei Engel, die als Halbfiguren und mit gestreckten Armen dargestellt waren.14 „Der Zug der Apostel ist durch das Schreitmotiv betont“16. Unter den Gewändern der Aposteln lassen sich ihre Beine erkennen. Bengel zufolge lasse sich somit die Darstellung der Kleidung mit der der Tympana, außer die der Weihrauchengel, vergleichen. Sie behauptet weiterhin, dass das Grabtragungsrelief bereits im frühen 17. Jahrhundert nicht mehr ganz erhalten war. Der Stich zeige nämlich unterhalb des Sarges eine leere Fläche.15

2.4.2 Die Himmelfahrt Mariens

Bei der Himmelfahrtsdarstellung (vgl. Abb. 6) ist im Bereich des Baldachins ein zentraler weiter Bogen sowie seitliche davon je zwei Spitzbogen zu sehen. Sie besitzen alle Dreipassarkaturen.16 Im Originalrelief (vgl. Abb. 7) ist Maria frontal und klein dargestellt und fährt in einem Tuch, das von zwei Engeln gehalten wird, zum Himmel hinauf. Die beiden Engel schauen zu ihr hinauf und stehen auf einem hügelartigen Untergrund. Die Marienfigur besitzt einen zur Seite leicht gebeugten Kopf und einen angewinkelten Arm und ihr Blick richtet sich nach oben. Jeweils vier Engel nähern sich ihr seitlich. Der Engel rechts unten zeigt ein Motiv, das aus der byzantinischen Kunst stammt, nämlich die durch ein Tuch bedeckten Hände. Der fünfte Engel zur rechten Mariens ist der Legende nach Apostel Thomas, der zu spät bei der Himmelfahrt ankommt und den Gürtel hingereicht bekommt, um die Aufnahme Mariens in den Himmel zu beweisen. Lässt man diese Figur außer Acht, so wirkt die Komposition der Szene symmetrisch, was auch durch die Architektur des Baldachins mit der breiten Mittelarkade und den beiden schmalen seitlichen Bögen verdeutlicht wird. Besonders auffällig ist die durchsichtige Eigenart des Tuches, durch das man die Beine Mariens sehen kann. Bengel sieht die Himmelfahrtdarstellung aus diesem Grund stilistisch auch in Verbindung zu den Tympana.19

2.5 Die Tympana

2.5.1 Der Marientod

Über dem linken Portal ist im Tympanon der Marientod dargestellt (vgl. Abb. 8). Man sieht die verstorbene Mutter Gottes und um sie herum haben sich Personen versammelt. In der Mitte findet man Christus, der eine kleine weibliche Figur im Arm trägt. Dies symbolisiert seine Entgegennahme der Seele von Maria. Die Gottesmutter liegt zentriert auf einem Bett mit zwei Stützen, das mit Tüchern bedeckt ist. Die Verstorbene trägt einen dünnen Mantel, unter dem der Körper und sogar Einzelheiten wie Zehen zu erkennen sind. Der Mantel umhüllt auch das Haupt von Maria, wobei seitlich lockige Haarsträhnen zu sehen sind. Die Beweglichkeit und Vitalität steht im Gegensatz zu ihrem sanften Gesichtsausdruck. Allgemein besticht es durch die ruhigen Augen und den Mund sowie die entspannten Gesichtszüge. Das Tympanon ist in Untersicht ausgeführt. Zu Marias Kopf und Füßen stehen die Apostelfürsten Petrus und Paulus und berühren sie an Schulter und Füßen, so dass es wirkt, als würden sie ihren Körper hochheben. Die beiden sind barfuß dargestellt mit stoffreichen Mänteln und einem Untergewand. Petrus besitzt lockiges Haar, ist jedoch am Hinterkopf kahl, was an eine Tonsur erinnert. Zudem hat er einen gelockten Bart, neigt sich über Maria und bildet mit seinem Arm eine Lehne für das Kissen, auf dem das Marienhaupt liegt. Die Beugung seines Körpers ist dieselbe wie die des Tympanonbogens und somit deutet er auf den in der Mitte stehenden Christus hin. Dies ist auch bei Paulus auf der anderen Seite des Bettes zu beobachten. Paulus ist außerdem mit wenig Haupthaar, einem vollen Bart und im Ausfallschritt dargestellt. Mit seiner rechten Hand fasst er Maria behutsam an ihr Bein und mit seiner linken greift er ein Mantelstück. Zentriert, aber doch herausgehoben aus der Gruppe ist Christus zu erkennen, der hinter dem Bett steht. Im Gegensatz zu den anderen Figuren besitzt er einen Heiligenschein. Er ist mit einem Unterkleid und einem Mantel bekleidet, wie auch die anderen Aposteln. Er blickt auf Maria und ist auch in seiner Haltung vollkommen auf sie konzentriert. Zudem neigt er seinen Kopf und dreht seinen Oberkörper, was durch schräg verlaufende Falten an seinem Gewand betont wird. An seiner Stirn finden sich Falten, die sich an die Form der Augenbrauen anpassen. Sein Haar schmiegt sich an seinem linken Ohr nach hinten und besitzt weiche Wellen und Strähnen so wie auch sein Bart. Christus wirkt jugendlich, ruhig und würdevoll und ist im Segensgestus dargestellt. In seiner linken Hand trägt er eine kleine mädchenhafte Figur, die die Seele Mariens widerspiegelt und fast schwebend wirkt. Zur Rechten und zur Linken Christi stehen jeweils fünf weitere Figuren, von denen jedoch nur einer klar zu deuten ist. Dabei handelt es sich um Johannes, der jugendlich und ohne Bart dargestellt wird. Er steht auf dem wertvollsten Platz, nämlich zur Rechten Christi, da er auch als sein Lieblingsjünger gilt. Die enge Beziehung zwischen Johannes und Christus zeigt sich außerdem in ihrer vergleichbaren Kopfhaltung und in der Berührung und Überschneidung im Segensgestus. Johannes stützt seinen Kopf auf seine rechte Hand und blickt fürsorglich auf Maria. Die anderen Figuren nehmen die Rundung des Tympanonbogens fächerförmig auf.17

Es lassen sich leichte Individualisierungen erkennen, jedoch sind die Figuren alle von demselben Typus. Die Gesichter haben eine breite Stirn, eingezogene Wangen und tiefliegende Augen. An sich wirken sie derb, bekommen jedoch durch die feine gearbeiteten Lippen Sensibilität. Sie sind auch durch ihren nach Innen gewandten Blick als Jünger Christi zu erkennen. Dieser hebt sich durch sein schmales und weicher wirkendes Gesicht von der Gruppe heraus.21

Vor dem Bett Mariens ist außerdem eine sitzende Frau zu sehen, die das linke Bein aufgestellt und den rechten Fuß darunter geschoben hat. Der Untergrund ist unregelmäßig und soll wahrscheinlich den Erdboden darstellen. Ursprünglich waren neben ihr zwei Weihrauchgefäße zu sehen, die jedoch bis auf die Kettenbänder zerstört sind. Die Frau trägt ein langes Kleid und einen Mantel, der jedoch weder ihre Schulter, noch ihren linken Arm umhüllt. Sie hat lockiges Haar und ein Tuch auf ihrem Kopf gebunden. Sie blickt voller Sorge und mit ineinander gelegten Händen zu Maria hinauf. In der Kehle, die das Bogenfeld umläuft, sind Weinblattranken und Trauben zu sehen, die aus der Erde wachsen. Im Bogenscheitel fügen sie sich zusammen. Solche Naturdarstellungen und detailreiche Verarbeitung lassen sich im gesamten Tympanon wiederfinden. So beispielsweise auch an dem Kopfkissen Mariens, an den Ärmelsäumen der kleinen Marienfigur und an den Zehen der Aposteln.18

Das Relief mit der Darstellung des Marientodes birgt eine wichtige Besonderheit. Die flächige Erscheinung wird aufgelöst, indem durch die Schichtung der Figuren nach hinten ein Raum entsteht. Trotzdem ist die Darstellung eng an die Architektur gebunden und nicht frei von jener. So fügen sich beispielsweise Petrus und Paulus der Rundung des Bogens.23

[...]


1 Freigang, Christian: Meisterwerke des Kirchenbaus. Stuttgart 2009, S. 163.

2 Bengel, Martina: Das Straßburger Münster. Seine Ostteile und die Südquerhauswerkstatt. Petersberg 2011, S. 205-206.

3 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 86-88.

4 Secker, Hans Friedrich: Die Skulpturen des Strassburger Münsters seit der Französischen Revolution. Strassburg 1912, S. 38.

5 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 89.

6 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 102.

7 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 102.

8 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 102.

9 Weigert, Hans: Das Strassburger Münster und seine Bildwerke. Berlin 1928, S. 66-68.

10 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 95.

11 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 95.

12 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 95-96.

13 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 96.

14 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 96.

15 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 96.

16 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 96.

17 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 91-94.

18 Bengel 2011 (wie Anm. 2), S. 91-94.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Die Skulpturen am Südquerhausportal des Straßburger Münsters. Eine Baugeschichte
Hochschule
Universität Regensburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
35
Katalognummer
V976745
ISBN (eBook)
9783346327994
ISBN (Buch)
9783346328007
Sprache
Deutsch
Schlagworte
skulpturen, südquerhausportal, straßburger, münsters, eine, baugeschichte
Arbeit zitieren
Alexandra Roszkowski (Autor:in), 2016, Die Skulpturen am Südquerhausportal des Straßburger Münsters. Eine Baugeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/976745

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