Diese Arbeit befasst sich mit den Fragen, wie Lehrer*innen mit Kindern über Themen wie Tod und Trauer sprechen könnten und wie man Kindern in Notfallsituationen eine angemessene Unterstützung leisten kann. Sollten derartige emotionale Themen generell in der Grundschule thematisiert werden oder ist es die Aufgabe der Eltern und Erziehungsberechtigen, kindliche Fragen rund um das Thema Tod und Trauer zu beantworten? Darüber hinaus liegt das Interesse dieser Arbeit auf dem Sachunterricht und inwiefern dieser dazu beitragen kann einen Umgang zu dieser Thematik zu schaffen. Welche Möglichkeiten und Chancen bietet dieser im Vergleich zu anderen Fächern in der Grundschule?
"Tod und Trauer sind Phänomene des menschlichen Seins" und somit auch Bestandteile der kindlichen Lebenswelt. Dabei sind viele Erwachsene der Meinung, Kinder vor der Auseinandersetzung mit diesen Themen zu schützen. Besonders der Tod und die kindliche Unbeschwertheit scheinen sich zu widersprechen. Dabei trauern Kinder genauso wie Erwachsene, wenn sie Verlusterfahrungen machen. Sie greifen die Sorgen und Ängste von Personen aus ihrem Umfeld auf, hören von Schreckensnachrichten in den Medien und sind von gesellschaftlichen Veränderungen ebenso betroffen wie alle anderen Mitglieder*innen einer Gesellschaft und verstehen meist mehr als ihnen zugetraut wird. Kinder sind Teil der Gesellschaft und der Umgang mit Tod und Trauer betrifft nicht nur die einzelnen Individuen, sondern prägt auch den gesellschaftlichen Umgang. Heranwachsende machen sowohl direkte als auch indirekte Erfahrungen in ihrem Entwicklungsprozess mit Tod- und Trauersituationen, sind neugierig und haben Fragen zu dem Lebensende. Besonders jene Erfahrungen können sehr prägend für die weitere Entwicklung und das zukünftige Leben sein. Daher erscheint es als Notwendigkeit, diese Themen auch im schulischen Kontext aufzugreifen und kindgerecht mit den Schüler*innen aufzuarbeiten. Trotz der Allgegenwärtigkeit von Todesbildern in den Nachrichten scheint es zu einer vermeintlichen Tabuisierung im öffentlichen Raum zu kommen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bestimmung von Begrifflichkeiten
2.1. Tod
2.2 Trauer und Trauerarbeit
3. Umgang mit Tod und Trauer
3.1 Tod und Trauer in der Gesellschaft
3.1.1 Gesellschaftliche Entwicklung im Umgang mit Tod und Trauer
3.1.2 Tabuisierung und Enttabuisierung von Tod und Trauer
3.2 Tod und Trauer in den Medien
3.3 Kindliche Wahrnehmungen und Erfahrungen von Tod und Trauer
3.3.1 Mögliche Einflussfaktoren auf die kindlichen Erfahrungen
3.3.2 Todesvorstellungen von Kindern
3.3.3 Trauer bei Kindern
4. Tod und Trauer im Sachunterricht
4.1 Tod und Trauer in der Grundschule
4.2 Überblick über die zentralen Aufgaben des Sachunterrichts
4.3 Tod und Trauer als Thema im Sachunterricht der Grundschule
4.4 Herausforderungen für Lehrer*innen
5. Zusammenfassung und Herleitung der Fragestellung
6. Methodisches Vorgehen
6.1 Qualitative Sozialforschung
6.2 Das Interview als qualitative Erhebungsmethode
6.2.1 Das Problemzentrierte Interview
6.2.2 Entwicklung des Interviewleitfadens
6.2.3 Feldzugang
6.2.4 Durchführung der Interviews
6.2.5 Transkription
6.3 Auswertung der Interviews
7. Darstellung der Ergebnisse
7.1 Fallübergreifende Analyse
7.2 Einzelfallvergleich
7.3 Zusammenfassende Interpretation und Diskussion der Ergebnisse
8. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Interviewleitfaden
Anhang 2: Postskriptum
Anhang 3: Sozialstatistische Angaben der Lehrpersonen
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:Ablaufmodel des problemzentrierten Interviews (modifiziert nach Mayring 2002, S. 71)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht der Möglichkeiten in den Dimensionen nach Köhnlein (Stock 2019, S. 103)
1. Einleitung
„Tod und Trauer sind Phänomene des menschlichen Seins“ (Jennessen 2011, S. 15) und somit auch Bestandteile der kindlichen Lebenswelt. Dabei sind viele Erwachsene, der Meinung Kinder vor der Auseinandersetzung mit diesen Themen zu schützen. Besonders der Tod und die kindliche Unbeschwertheit scheinen sich zu widersprechen (vgl. ebd). Dabei trauern Kinder genauso wie Erwachsene, wenn sie Verlusterfahrungen machen. Sie greifen die Sorgen und Ängste von Personen aus ihrem Umfeld auf, hören von Schreckensnachrichten in den Medien und sind von gesellschaftlichen Veränderungen ebenso betroffen wie alle anderen Mitglieder*innen einer Gesellschaft und verstehen meist mehr als ihnen zugetraut wird. Kinder sind Teil der Gesellschaft und der Umgang mit Tod und Trauer betrifft nicht nur die einzelnen Individuen, sondern prägt auch den gesellschaftlichen Umgang. Heranwachsende machen sowohl direkte als auch indirekte Erfahrungen in ihrem Entwicklungsprozess mit Tod- und Trauersituationen, sind neugierig und haben Fragen zu dem Lebensende. Besonders jene Erfahrungen können sehr prägend für die weitere Entwicklung und das zukünftige Leben sein. Daher erscheint es als Notwendigkeit, diese Themen auch im schulischen Kontext aufzugreifen und kindgerecht mit den Schüler*innen aufzuarbeiten. Trotz der Allgegenwärtigkeit von Todesbildern in den Nachrichten scheint es, zu einer vermeintlichen Tabuisierung im öffentlichen Raum zu kommen.
Für die zukünftige Arbeit an der Grundschule ergibt sich dadurch die Frage, wie Lehrer*innen mit Kindern über Themen wie Tod und Trauer sprechen könnten und wie man Kinder in Notfallsituationen eine angemessen Unterstützung leisten kann. Sollten derartige emotionale Themen generell in der Grundschule thematisiert werden, oder ist es die Aufgabe der Eltern und Erziehungsberechtigen, kindliche Fragen rund um das Thema Tod und Trauer zu beantworten? Darüber hinaus liegt das Interesse dieser Arbeit auf dem Sachunterricht und inwiefern dieser dazu beitragen kann einen Umgang zu dieser Thematik zu schaffen. Welche Möglichkeiten und Chancen bietet dieser im Vergleich zu anderen Fächern in der Grundschule?
Bereits während der Recherchearbeiten für die vorliegende Masterarbeit waren die Reaktionen auf die Thematik sehr unterschiedlich. So konnte zum einen ein großes Interesse an thanatalen Themen festgestellt werden und zum anderen eine Abneigung, wenn nicht sogar Verunsicherung. Daher wuchs das persönliche Interesse an dieser Thematik umso mehr. Zudem wurde dieses Thema während des Studiums nicht thematisiert und brachte dadurch viele Fragen auf.
Die vorliegende Masterarbeit orientiert sich daher an der Forschungsfrage: Wie positionieren sich Grundschullehrer*innen zu den Themen Tod und Trauer im Sachunterricht? Außerdem sollen Gründe und Einflussfaktoren für diese Positionierung, mittels einer Interviewstudie, erfasst werden. Es sei erwähnt, dass die vorliegende Arbeit nicht den Versuch darstellt, das Handeln der Lehrpersonen zu bewerten bzw. auf Professionalität im Umgang mit dieser Thematik hin zu untersuchen. Vielmehr sollen die subjektiven Wahrnehmungen und Erfahrungen der Lehrpersonen erfasst und dargestellt werden. Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden im Rahmen einer qualitativen Untersuchung leitfadengestützte Interviews mit Grundschullehrer* innen, welche an verschiedenen Grundschulen in Niedersachsen arbeiten, geführt und anschließend analysiert.
Im Folgenden wird zunächst auf die theoretische Rahmung dieser Arbeit eingegangen. Zunächst sollen theoretische Grundlagen zum Umgang mit Tod geschaffen werden. Dazu werden die die Grundbegriffe Tod und Trauer im zweiten Kapitel näher betrachtet und erläutert. Daraufhin werden im dritten Kapitel diese Begriffe auf die Gesellschaft bezogen, um aufzuzeigen, welchen Stellenwert der Umgang mit Tod und Trauer in der heutigen Gesellschaft hat. Hierbei werden die Tabuisierung, die Institutionalisierung und die Privatisierung des Todes sowie die Rolle der Medien genauer betrachtet. Darauffolgend soll es speziell um den Umgang mit Tod und Trauer bei Kindern und Jugendlichen gehen. Dabei soll berücksichtigt werden, welche Vorstellungen und möglichen Erfahrungen jene mit Tod und Trauer haben. Vordergründlich werden besonders die Entwicklung ihrer Zeitwahrnehmung und die Todeskonzepte in den verschiedenen Entwicklungsstufen aufgeführt. Zudem werden die verschiedenen Trauerreaktionen und Traueraufgaben bei Kindern und Jugendlichen dargestellt. Anschließend soll untersucht werden, auf welche Art und Weise sich die Grundschule und speziell der Sachunterricht mit den Themen Tod und Trauer auseinandersetzt. Dabei werden im vierten Kapitel der Sachunterricht sowie seine Aufgaben und Ziele näher betrachtet. Ferner werden in diesem Abschnitt der Arbeit Gründe für eine schulische Auseinandersetzung benannt und aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt. Darauffolgt der empirische Teil dieser Arbeit, welcher sich mit den Wahrnehmungen und Erfahrungen zum Thema Tod und Trauer im Sachunterricht von Lehrer*innen aus der Grundschule beschäftigt. Die Durchführung und die Methode der Untersuchung werden im sechsten Kapitel kurz erläutert. Im siebten Kapitel erfolgt die Analyse der gewonnen Interviewdaten. Zum Abschluss finden eine Interpretation und Diskussion der Ergebnisse statt. Im letzten Kapitel dieser Arbeit soll ein Ausblick gegeben werden, welche Chancen und Möglichkeiten die Auseinandersetzung im Sachunterricht mit thanatalen Themen haben kann.
2. Bestimmung von Begrifflichkeiten
In diesem Kapitel wird eine inhaltliche Grundlage geschaffen, welche als Grundvoraussetzung für das weitere Vorgehen von immenser Bedeutung ist. Die wichtigsten Begrifflichkeiten bei der Auseinandersetzung mit dieser Thematik werden nachfolgend erläutert und dienen einem besseren Verständnis der im weiteren Verlauf erläuterten praktischen Untersuchungen. Die Begriffe Tod und Trauer werden zu nächst separat definiert und darauffolgenden im Kontext betrachtet.
2.1. Tod
Wann wird ein Individuum als tot erklärt? Was genau bedeutet der Tod? Eine allgemeingültige Antwort auf diese Fragen zu finden ist unmöglich. Jede Wissenschaft und jeder Mensch bzw. jeder Kulturkreis deutet den Tod auf andere Art und Weise. Eine Darstellung all dieser verschiedenen Deutungsmöglichkeiten und Definitionen des Todes würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen, weshalb nur jene berücksichtigt werden, die im Hinblick auf die weiteren Inhalte dieser Arbeit relevant sind.
„Die Lehre vom Tod und Sterben wird als Thanatologie (griech. Thanatos = Tod) bezeichnet“ (Trachsel/Maercker 2016, S. 2). Jene befasst sich jedoch nicht nur mit dem „Abschluss des Lebenszyklus des Einzelnen (Rituale, institutioneller Rahmen des Sterbens, Aussehen und Erleben des Endes), sondern auch damit, wie Menschen in einer bestimmten Gesellschaft mit Sterben und Tod umgehen“ (Maywald 2014, S. 36). Dies kann sich nach Maywald (2014) auf drei Arten des Todes beziehen: Zum einen auf den erlebten Tod, welcher das Sterben anderer und die damit verbundene Trauer umfasst. Andererseits den vorgestellten Tod, welcher sich mit der Einstellung zum Tod und den Todesbilder auseinandersetzt. Sowie den hergestellten Tod, mit welchem Selbstmord, Gewalt und Krieg einhergeht (vgl. ebd.).
„Der Begriff des Todes bezeichnet den biologischen Zustand nach dem Sterben, in dem die Organe und Zellen des Organismus ihre Funktion irreversibel verloren haben“ (Trachsel/Maercker 2016, S. 2). Wittwer, Schäfer und Frewer (2017) bezeichnen die Sterblichkeit als eine Grundkonstruktion des menschlichen Lebens (vgl. Wittwer/Schäfer/Frewer 2010, S. 75). Das Sterben versteht sich demnach nicht als ein augenblickliches Ereignis, sondern als ein Prozess, der in einem gewissen Maß verlangsamt oder aufgehalten werden kann (vgl. Arens 1994, S. 16). Das Sterben ist demnach kein Zustand, sondern die letzte Phase des Lebens, welche mit dem Tod endet (vgl. Wittwer/Schäfer/Frewer 2010, S. 40). „Charakteristisch für den fortgeschrittenen Sterbevorgang ist die Reduktion wichtiger Körperfunktionen wie beispielsweise Hirnaktivität, Kreislauf, Herzschlag, Atmung, Seh- oder Hörvermögen“ (ebd.). Beim Auftreten bestimmter Todeszeichen, zu denen Totenflecke, Totenstarre, Fäulnis oder mit dem Leben nicht vereinbare Verletzungen gelten, wird ein Todeszeitpunkt festgelegt, welcher durch eine ärztliche Untersuchung bestätigt werden muss (vgl. ebd., S. 41/47). Jedoch können trotz des Auftretens einer oder mehrere Todeszeichen einzelne Zellen im Organismus weiterleben. Erst nach dem Absterben aller Zellen kann von einem biologischen Tod gesprochen werden (vgl. ebd., S. 41). Medizinisch und umgangssprachlich wird der Tod im Zusammenhang mit der Ursache beschrieben, so unterscheidet man zwischen dem gewaltsamen, natürlichen oder unnatürlichen Tod. (vgl. ebd.).
Häufig wird auch zwischen dem klinischen Tod und dem Hirntod bzw. dem Individualtod unterschieden. Als klinisch tot gelten Personen, wenn dessen Atmung, Herzschlag und Kreislauf stehenbleibt und die Pupillen weit und lichtstarr werden (vgl. Trachsel/Maercker 2016, S. 2). In diesem Zustand ist es für wenige Minuten möglich, einen Menschen wiederzubeleben. Wittwer, Schäfer und Frewer (2010) stufen diesen Begriff als semantisch problematisch ein, da der klinische Tod nahelegt, dass kein Leben zu dem Zeitpunkt der Reanimation bestanden habe (vgl. Wittwer/ Schäfer/Frewer 2010, S. 41). „Dann wäre ein Toter erfolgreich wiederbelebt worden, was mit der Irreversibilität des Todesbegriffs kollidiert. Die Phase vor einer erfolgreichen Wiederbelebung ist dem Leben zuzurechnen“ (ebd.). Auch wenn es medizinisch möglich ist, „den Blutkreislauf und die Sauerstoffversorgung des Blutes [...] aufrechtzuerhalten, können die Funktionen des Gehirns, des Kleinhirns und die des Hirnstammes dabei bereits vollständig und irreversibel erloschen sein“ (Trachsel/Maercker 2016, S. 2). Dieser Zustand wird als Hirntod bzw. Individualtod bezeichnet und gilt als Voraussetzung für das Spenden von Organen (ebd.).
Zwischen dem Zeitpunkt des Individualtods und dem Absterben aller Körperzellen kann eine individuell lange Zeitspanne liegen, in der einzelne Körperreaktionen noch ausgelöst werden können. Diese Zeitspanne nennt man in der Thanatologie intermediäres Leben (vgl. Trachsel/Maercker 2016, S. 2). Dadurch ergibt sich in der Medizin das Problem, dass ein Mensch nicht im Ganzen stirbt, sondern die Funktionssysteme des menschlichen Organismus bzw. die Zellen kontinuierlich aufhören zu funktionieren. Daher bezieht sich die Definition des Todes auf den Todeszeitpunkt, welcher nach dem heutigen Entwicklungsstand durch den Hirntod bestimmt wird (vgl. Rachmachers 1994, S. 17f.). Folglich wird auch das „Sterben nicht als ein punktuelles Ereignis, sondern als einen längerwährenden Prozeß, der in der Regel mit der Diagnose einer unheilbaren Krankheit beginnt“ (Wittkowski 1978, S. 48) angesehen. Der Prozess und die Auseinandersetzung des Sterbens umfasst nach Kübler-Ross fünf Phasen: Nichtwahrhabenwollen und Isolierung, Zorn, Verhandeln, Depression und Zustimmung (vgl. Kübler-Ross 1973/1974/1975, zit. n. Wittkowski 1978, S. 48). Dieses Phasenmodell ist trotz der Popularität im wissenschaftlichen Diskurs umstritten. Kritiker bemängeln, dass von einer unzulässigen Generalisierung ausgegangen wird und unteranderem die Persönlichkeit der Patienten*innen, der Krankheitsverlauf und die Therapie sowie andere Aspekte unberücksichtigt bleiben (Wittwer/Schäfer/Frewer 2010, S. 84).
Sterben und Tod sind jedoch nicht nur aus der Perspektive des sterbenden Individuums zu betrachten, jene werden auch als soziale Ereignisse verstanden (Iskenius-Emmler 1988, S. 44). Die Wahrnehmung des Sterbens und Todes sind durch die gesellschaftlichen Einstellungen in Hinblick auf den Tod und den Umgang mit sterbenden Personen geprägt (vgl. ebd.). In diesem Zusammenhang spielen Trauer und die Verarbeitung des Todes eine wichtige Rolle. Dafür soll im folgenden Abschnitt Trauer definiert werden. Die Wahrnehmung und die gesellschaftliche Einstellung gegenüber thanataler Themen wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit ebenfalls thematisiert.
Die unterschiedlichen Ausführungen zeigen deutlich, dass der Tod nicht universell definierbar ist. Im Weiteren wird aufgezeigt, wie es gelingen kann den Tod anderer Menschen zu verarbeiten und den eignen Tod als Bestandteil des Lebens anzunehmen.
2.2 Trauer und Trauerarbeit
Im Gegensatz zum Tod ist die Trauer persönlich erfahrbar. Trotz dessen ist Trauer bei jedem Menschen individuell, situationsabhängig und niemals gleich (vgl. Tausch-Flammer/Bickel 1994, S. 47). Trauer ist wie viele andere Emotionen eine angeborene Fähigkeit (vgl. Franz 2013, S. 84).
Aus kulturhistorischer Sicht umfasst Trauer „die symbolischen, rituellen und materiellen Zeugnisse in Bezug auf das Ableben und den Verlust eines Menschen“ (Wittwer/Schäfer/Frewer 2010, S. 192). Als Trauerkultur versteht man die Handhabung mit der verstorbenen Person, also die Leichenpflege und das Begräbnis sowie gesellschaftlich verbindliche Regeln im Umgang mit den Hinterbliebenen und die Möglichkeiten des Gedenkens zur Verarbeitung des Verlusts (vgl. ebd.).
Definitorisch ist Trauer eine natürliche Reaktion auf unterschiedliche Ereignisse, die mit Verlust und Trennung einhergehen (vgl. ebd., S. 197). Die Intensität und das Erleben von Trauer variieren aufgrund verschiedener Verlusterfahrungen individuell zwischen Personen (vgl. Iskenius-Emmler 1988, S. 11). Trauerreaktionen können in unterschiedlichen Verlustsituationen auftreten, dabei kann es sich sowohl um „zeitlich begrenzte oder endgültige Trennung von einem geliebten Menschen als auch um den Abschied von einem bestimmten Lebens- oder Entwicklungsabschnitt handeln“ (ebd.). Dabei scheint der Tod als die existentiellste Verlusterfahrung zu sein (vgl. Franz 2013, S. 85).
Trauer kann sich in unterschiedlichen Gefühlen und Verhaltensweisen zeigen. „Trauer kann sich körperlich und psychisch [...] mit Unruhe, einem Gefühl von Taubheit, Anspannung, Schmerzen, Zittern, Appetitlosigkeit, Schlafschwierigkeiten, Wut, Weinen, Angst, Verzweiflung, Schuldgefühlen und Konzentrationsschwierigkeiten äußern“ (Trachsel/Maercker 2016, S. 33). Diese Reaktionen beschreibt Lammer (2003) als intrapersonale Aspekte der Trauer, welche sich eher als psychologische und innerpsychische Reaktionen und auf das eigene Verhalten der Trauernden beziehen (vgl. Lammer 2003, S. 34). Als intrapersonale Aspekte versteht sie soziale Aspekte der Trauer, also das Verhalten der trauernden Person in der Öffentlichkeit oder gegenüber anderen Menschen, sowie sozialer Rückzug (vgl. ebd.). Trauer kann sich demnach auf unterschiedliche Art und Weise ausdrücken. Wichtig ist zu dem zu nennen, dass Trauer kein linearer Prozess ist, sondern in unterschiedlichen Phasen verlaufen kann, die sich bei jedem Menschen unterscheiden. Innerhalb dieser unterschiedlichen Phasen müssen die Trauernden Herausforderungen bewältigen, um ihre Trauer zu verarbeiten. Diesen Verarbeitungsprozess bezeichnet man als Trauerarbeit (vgl. Franz 2013, S. 85). Diese bezieht sich zum einen auf die eigene Bewältigung der Trauer des Individuums sowie auf die Begleitung, Unterstützung und Tröstung durch nahestehende Personen (vgl. ebd.). Dieser Weg kann dazu führen, mit dem Verlust zu leben, diesen zu akzeptieren und die Trauer als Teil des Lebens zu integrieren, ohne ihn in Gänze zu vergessen oder zu verdrängen (vgl. Kern/Rin- der/Rauch 2017, S. 18).
Dieser Prozess der Loslösung ist - parallel zu den Sterbephasen von Kübler-Ross, welche im vorherigen Teil der Arbeit aufgezeigt, wurden - von vielen Autor*innen in Trauerphasen beschrieben worden, welche sich zum einen an diesen Sterbephasen orientieren und zum anderen das Endziel haben, fähig zu sein, neue Bindungen einzugehen (vgl. Wilkening 1997, S. 85/Gebhard 2013, S. 231).
„So beschreibt Kast (1982) die Phase des Nicht-wahr-haben-Wollens, die Phase der aufbrechenden Emotionen, die Phase des Suchens und Sich-Trennens und schließlich die Phase des neuen Selbst- und Weltbezuges. Bowlby beschreibt folgende Phasen: 1. Phase der Betäubung, die gewöhnlich einige Stunden bis eine Woche dauert und unterbrochen werden kann von Ausbrüchen extrem intensiver Qual und/oder Wut. 2. Phase der Sehnsucht und Suche nach der verlorenen Figur, die einige Monate und manchmal Jahre dauert. 3. Phase der Desorganisation und Verzweiflung. 4. Phase eines größeren oder geringeren Grades von Reorganisation“ (Kast 1982, zit. n. Gebhard 2013, S. 231).
Dieses und weitere Modelle unterliegen der Kritik, dass sie nicht als universell für alle Trauernden gelten, zudem kann die Reihenfolge und Dauer der unterschiedlichen Phasen variieren (vgl. ebd./Butt 2013, S. 39/Iskenius-Emmler 1988, S. 97). Phasen können außerdem übersprungen, ausgelassen oder wiederholt erlebt werden. Wiederkehrende und ähnliche Phasen in vielen Modelle sind bspw. das Leugnen, das Aufbrechen von Emotionen, die Sehnsucht nach der verlorenen Person, Verzweiflung oder Reorganisation (vgl. ebd., S. 97f.). Jedoch kann die Orientierung an diesen Phasen, sowie das Bewusstsein darüber, dazu beitragen, Trauernden sensibler zu begegnen, ihnen beizustehen und ihre individuellen Trauervorgänge besser nachvollziehen zu können (vgl. Butt 2013, S. 39). Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu überschreiten, werden unterschiedliche Trauerphasenmodelle nicht im Detail definiert. Zudem muss angemerkt werden, dass die aufgeführten Phasenmodelle auf den gesellschaftlichen und kulturellen Rahmen Deutschlands bezogen sind und sich nicht auf jede Gesellschaft übertragen lassen (vgl. Iskenius-Emmler 1988, S. 97). Von Bedeutung für die geplante Studie im Zusammenhang dieser Arbeit ist das Wissen und Bewusstsein über die Trauerphasen sowie ihre Individualität.
Wie schon angeklungen ist, muss sich die Wahrnehmung eines Verlustes nicht immer auf das Leben anderer beziehen, sondern kann sich auch auf das eigene Dasein fokussieren, wenn bspw. der Tod durch eine tödliche Krankheit unausweichlich ist. Daher kann sich antizipierte Trauer auch auf den eigenen Tod beziehen. Als antizipierte Trauer wird in diesem Zusammenhang „[d]ie Trauer, die sich einstellt, wenn jemand bereits auf einen bevorstehenden Verlust emotional reagiert“ (Trachsel/Maercker 2016, S. 34) verstanden. Diese Art der Trauer kann jedoch auch hilfreich für den Umgang und der Akzeptanz mit dem bevorstehenden Lebensende sein (vgl. ebd.). Trauer, die gelebt und verarbeitet, wird ist demnach gesund und förderlich, Trauer, die vermieden wird oder sich zu sehr auf den Verlust, fokussiert kann hingegen schädlich sein (vgl. Kern/Rin- der/Rauch 2017, S. 24). In dieser Arbeit wird Trauer und Trauerarbeit im Zusammenhang mit dem Tod eines Menschen verstanden.
Trauer wird jedoch gesellschaftlich häufig als etwas Negatives, als eine Schwäche oder psychische Gleichgewichtsstörung verstanden, die möglichst schnell überwunden werden muss (vgl. Iskenius- Emmler 1988, S. 82). Nach dem Verlust einer nahestehenden Person wird die Trauer noch als eine angemessene Reaktion durch die Umwelt akzeptiert. Hält dieser Prozess jedoch zu lange an wird diese schnell als eine sozial unerwünschte Verhaltensweise aufgefasst (vgl. ebd.). Zudem empfinden viele Menschen Berührungsängste im Umgang mit Trauernden und sind somit unsicher und haben, Angst falsch zu reagieren. Die Akzeptanz gegenüber der Trauer hängt mit dem jeweiligen gesellschaftlichen Umgang von Tod und Trauer zusammen. Dies soll in einem der folgenden Kapitel näher beleuchtet werden.
3. Umgang mit Tod und Trauer
Innerhalb der Thanatologie gibt es vier strukturierte Zugänge zum Thema Sterben und Tod, in denen auch Trauer von Bedeutung ist: einen intrapersonellen, einen interpersonellen, einen institutionellen und einen ideellen (vgl. Maywald 2014, S. 36). Im folgenden Kapitel werden mithilfe von ausgewählten Punkten das Verhältnis von Tod und Trauer aus institutioneller Perspektive dargestellt. „Der institutionelle Zugang befasst sich mit der Untersuchung der Institutionen, mit kollektiven Todeseinstellungen, dem gesellschaftlich legitimierten Umgang sowie den Todes- und Trauerriten und -ritualen“ (ebd.). In diesem Zusammenhang sind auch Aspekte, wie die Privatisierung und Institutionalisierung des Todes sowie die Tabuisierungsthese von Relevanz. Diesbezüglich spielt auch der Umgang mit Sterbenden, also dem interpersonellen Zugang eine Rolle (vgl. ebd.). Zusätzlich soll dargestellt werden inwiefern sich der Umgang mit der Thematik zwischen Kindern und Erwachsenen unterscheidet. Darüber hinaus soll hinzukommend die Darstellungen dessen in den Medien kurz erwähnt werden.
3.1 Tod und Trauer in der Gesellschaft
Der gesellschaftliche Umgang mit dem Tod prägt und beeinflusst jedes einzelne Mitglied einer Gesellschaft. Die Einflussfaktoren können sehr vielschichtig sein, wobei unteranderem medizinische und technische Möglichkeiten, kulturelle und mediale Einflüsse sowie die Einstellung zu den Religionen eine große Rolle spielen. Letztere sollen jedoch nicht ausführlich in dieser Arbeit ausgeführt werden, da sie für die spätere Untersuchung nur bedingt relevant sind. Im Folgenden sollen einige Entwicklungstendenzen im Umgang mit Tod und Trauer aufgezeigt werden.
3.1.1 Gesellschaftliche Entwicklung im Umgang mit Tod und Trauer
Verschiedene gesellschaftliche Veränderungen im letzten Jahrhundert haben dazu geführt, dass die Einzelpersonen unserer Gesellschaft heutzutage viel seltener mit dem Tod in Kontakt kommen (vgl. Iskenius-Emmler 1988, S. 46). Der Sterbeprozess und der Tod wurde aus dem Privaten immer mehr in öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Hospize und Pflegeheime verschoben (vgl. Pennington 2001, S. 137). Dies ist auch bedingt durch den medizinischen Fortschritt. Der Tod wird nunmehr als etwas Beeinflussbares verstanden, welcher durch Medikamente und Operationen hinausgezögert werden kann. Zudem können bekannte Krankheiten oder die Kindersterblichkeit eingedämmt bzw. verringert werden (vgl. Iskenius-Emmler 1988, S. 47). Dadurch „wird der Tod selber wie eine weitere Krankheit, eine medizinische Komplikation des Lebens behandelt“ (Pennington 2001, S. 135). Unter anderem hat der medizinische Fortschritt auch zu einer längeren Lebenserwartung innerhalb der letzten Jahrzehnte geführt, wie die Darstellungen des statistischen Bundesamtes verdeutlichen (vgl. Statistisches Bundesamt 2020).
Damit einhergehend wird die Institutionalisierung des Todes durch den Strukturwandel der Familien begünstigt, immer seltener Leben Großfamilien mit mehreren Generationen in einem Haushalt. Zudem sterben immer weniger Menschen zu Hause, da häufig ältere oder erkrankte Menschen für die letzte Phase ihres Lebens in Altenheime, Krankenhäuser oder Hospize gebracht werden (vgl. Witt-Loers 2016, S. 14). Dadurch sind Sterben und der Tod nicht mehr Teil des gesellschaftlichen und familiären Alltags, sondern finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. (vgl. Is- kenius-Emmler 1988, S. 47). Für den Wechsel des Todesstandorts lassen sich unterschiedliche Gründe nennen: Zum einen bedeutet die Pflege und Betreuung eines angehörigen Familienmitglieds zu seinem Lebensende einen „enormen physischen, psychischen, finanziellen und organisatorischen Aufwand“ (Jennessen 2007, S. 12). Zum anderen sorgt die gestiegene Lebenserwartung auch einen zeitlich längeren Aufwand für die Angehörigen (vgl. ebd.).
Als eine weitere wichtige gesellschaftliche Veränderung, die zum Wandel des Todesverständnisses in der heutigen Gesellschaft geführt hat, beschreibt Jennessen (2007) die Säkularisierung. Dies versteht sich als „Loslösung des einzelnen Menschen, gesellschaftlicher Gruppen, sowie des Staates aus den Bindungen der Kirche“ (Jennessen 2007, S. 9). Folgendes habe dazu beigetragen, dass kein allgemeingültiges Orientierungssystem im Hinblick auf wesentliche Fragen des Lebens und des Todes vorhanden ist (vgl. ebd.). Im Zusammenhang mit der Säkularisierung lässt sich auch ein Rückgang und Verlust von traditionellen Riten und Verfahren, im Umgang mit der verstorbenen Person und den Trauernden, verzeichnen (vgl. ebd.). So war es noch vor einigen Jahrzehnten üblich, dass die Familie die letzten Momente mit dem Sterbenden gemeinsam verbracht und den Leichnam anschließend für die Beerdigung vorbereitet hat (vgl. Iskenius-Emmler 1988, S. 50). Heutzutage liegt die Organisation des Begräbnisses in den Händen eines professionellen Bestattungsunternehmens (vgl. Pennington 2001, S. 147). Dies verweist auch wieder auf die institutionelle Verwaltung des Todes, welche die Angehörigen zum einen entlasten soll - da das „Waschen der Leiche, dem Einkleiden, Aufbahren und Einsargen, der Bekanntmachung des Todes, bis hin zur gesamten Organisation“ (ebd.) ihnen abgenommen werden soll - und zum anderen jene sich dann der Trauerarbeit hingeben können. Durch die Organisation der Bestattung durch Institutionen sowie der Errichtung von Leichenhallen werden nur noch fünf Prozent der Verstorbenen in den privaten Haushalten aufbewahrt (vgl. Jennessen 2007, S. 9).
Nicht nur innerhalb des Sterbensprozesses ist von einer Tendenz zur Individualisierung zu sprechen, auch der Trauerprozess wird individualisiert und privatisiert (vgl. Butt 2013, S. 13). Einhergehend damit zeichnen sich auch hier Veränderungen der Riten ab. Durch die Säkularisierung fehlt es an kollektiven Strategien zur Bewältigung und beim Umgang mit der Trauer (vgl. Butt 2013, S. 11). Rituale oder tradierte Bewältigungsstrategien, die im Zusammenhang mit einem Glauben stehen, sind nicht mehr bekannt oder werden von der heutigen Gesellschaft abgelehnt (vgl. ebd.). Deutlich werden diese Individualisierungstendenzen in der veränderten Funktion der Grabstätten und Trauerfeiern. So nimmt zum einen die Anzahl der Trauerfeiern stetig ab und zum anderen steigt die Zahl der anonymen Beisetzungen (vgl. Jennessen 2007, S. 10/Butt 2013, S. 13). „Es finden keine öffentlichen Trauerfeiern, kein kollektives Trauern oder Abschiednehmen und auch keine gemeinschaftlichen Trauerrituale statt, sondern das Trauern wird gesellschaftlich der privaten Sphäre zugeordnet und ist somit die Aufgabe jedes Einzelnen“ (Butt 2013, S. 13). Zudem werden Trauernde meist als solche äußerlich gar nicht mehr wahrgenommen, sodass das Tragen von schwarzer Trauerbekleidung oder anderen Zeichen und Symbolen eher unüblich geworden ist (vgl. Feldmann 2010, S. 69). „Diese exemplarischen Aufzählungen des Verlustes von öffentlich sichtbaren Trauerritualen, die trauernden Menschen, Halt, Orientierung und eine Rahmung für die eignen Emotionen boten, lässt erneut den Rückschluss zu, dass der Tod auf Grund seiner Ausgrenzung aus dem individuellen und gesellschaftlichen Leben“ (Jennessen 2007, S. 10) stärker tabuisiert ist. Auf jene und weitere Aspekte soll im folgenden Abschnitt dieser Arbeit näher drauf eingegangen werden.
3.1.2 Tabuisierung und Enttabuisierung von Tod und Trauer
Wie die in Abschnitt zwei beschriebene Begriffsbestimmung aufgezeigt hat, sind sich Menschen ab einem gewissen Alter ihrer eigenen Sterblichkeit und der Unausweichlichkeit des Todes bewusst. Jedoch zeigte die gesellschaftliche Entwicklung im Hinblick auf den Umgang mit dem Tod, dass jener in der modernen Industriegesellschaft immer mehr ignoriert, verdrängt, beschönigt oder tabuisiert wird (vgl. Arens 1994, S. 25). Der Tod wird als gesellschaftlicher Störfaktor angesehen, der nicht in das Konzept der Leistungsgesellschaft passt. Daher kann auch von einer Tabuisierung der Thematik gesprochen werden. Um zu verstehen, wieso es zu einer Tabuisierung thanataler Themen in der Gesellschaft kommt, soll kurz erläutert werden, was unter einem Tabu verstanden wird. Otten und Wittkowske (2014) verstehen unter Tabus „Gegenstände, Taten und Gefühle, die man meiden soll, andererseits Themen, über die man nicht oder nur in bestimmter Art und Weise spricht“ (Otten/Wittkowske 2014, S. 4). Mit der Tabuisierung gehen meist starke Emotionen, Ängste und Unsicherheiten einher, wodurch die Vermeidung dessen dem Selbstschutz dient (vgl. ebd.). Besonders bei der Auseinandersetzung mit dem Tod herrscht häufig große Unsicherheit und Angst, mit den eigenen Gefühlen nicht umgehen zu können (vgl. Kern/Rinder/Rauch 2017, S. 20). Aufgrund einiger bereits genannter Gründe, wie der Institutionalisierung des Todes, den medizinischen Möglichkeiten, durch welche der Tod als Versagen gilt, der Veränderung der familiären Strukturen und dem Umgang mit Trauerritualen sind viele Menschen verunsichert, wenn sie mit dem Thema Tod in Berührung kommen. Häufig herrscht eine Hilf- und Sprachlosigkeit, welche den Tod verschweigt oder durch Begrifflichkeiten wie eingeschlafen, von uns gegangen, an einem Ort verschleiert (vgl. Hinderer/Kroth 2012, S. 9). Jennessen (2007) entnimmt dieser Verdrängung etwas Positives und beschreibt jene als notwendig, da „ohne eine solche Verdrängung der Todesgewissheit eine unbeschwerte Bewältigung des Alltagslebens kaum möglich sei“ (Jennessen 2007, S. 8). Tabus können daher auch dienlich sein, besonders wenn sie die Identität und die Privatsphäre schützen (vgl. Otten/Wittkowske 2014, S. 5). Zudem muss bedacht werden, dass Tabus kontext- und kulturabhängig sind, welche von Zeit, Ort und der Bezugsgruppe abhängig sind (vgl. ebd.). Wodurch sich die Tabuisierung von Tod und Trauer nicht auf andere Kulturkreise übertragen lässt.
Entgegen der Tabuisierungsthese wird seit einigen Jahren von einer Enttabuisierung gesprochen. Jennessen (2007) führt auf, dass einige Thanatoexpert*innen feststellen konnten, „dass sich viele Menschen [...] in unkonventioneller oder auch indirekter Weise mit dem eigenen Tod auseinandersetzen, indem sie beispielsweise Lebensversicherungen abschließen, Grabsteine erwerben oder Testamente verfassen“ (Jennessen 2007, S. 8). Die Verdrängungs- und Tabuisierungsthese scheint daher nicht generell zu gelten, sondern betrifft „bestimmte Todesbereiche, vor allem die Beschäftigung mit dem eignen Tod, den direkten Umgang mit Sterbenden und Toten und die traditionellen Riten nach dem eingetreten Tod und in der Trauerphase“ (Feldmann 2010, S. 77). Eine erhöhte Auseinandersetzung mit dem Tod lässt sich zudem feststellen, da es aktuell mehr „individuelle Bestattungsformen, Hospizgruppen, AIDS- Initiativen, Sterbebegleitung- und Trauerseminare [...], Death- Awareness- Bewegungen und Museen über Tod“ gibt (Stock 2019, S. 17). Zudem sind Themen wie Sterbehilfe und Patientenverfügungen in der öffentlichen Debatte häufig vertreten (vgl. ebd.). Darüber hinaus wird der Anstieg an risikoreichen Extremsportarten und die Nachfrage an Grusel- und Horrorfilmen als weiteres Merkmal für eine steigende Integration thanataler Themen im Alltag begründet (vgl. Jennessen 2007, S. 18). Daher kann sowohl von einer Tabuisierung als auch von einer Enttabuisierung in einigen gesellschaftlichen Bereichen im Zusammenhang mit Sterben, Tod und Trauer gesprochen werden.
3.2 Tod und Trauer in den Medien
Auch wenn im Privaten von einer gewissen Tabuisierung thanataler Themen gesprochen werden kann, so sind Tod und Trauer in den Medien allgegenwärtig. Nachrichten auf unterschiedlichsten Plattformen berichten von Katastrophen, Verbrechen, Kriegen, tödlichen Unfällen oder Anschlägen (vgl. Wilkening 1997, S. 18). Witt-Loers (2016) kritisiert in diesem Zusammenhang die mangelnden Möglichkeiten der Auseinandersetzung und Aufarbeitung des Dargestellten in den Medien (vgl. Witt-Loers 2016, S. 15). Zudem wird der Tod meist in einer Form dargestellt, die der Realität nicht entspricht. Zum Beispiel stehen in Filmen Figuren kurz nach dem Tod wieder auf oder überleben schwerste Unfälle, in den Nachrichten werden Bilder von zerstörten Gebieten gezeigt. Selbst mit Kriegsnachrichten verbinden die meisten Menschen keinen realen Tod (vgl. Hinderer/Kroth 2012, S. 10). Aufgrund der Vielzahl von Todesnachrichten sind Menschen es gewohnt in den Medien mit dem Tod konfrontiert zu werden. Trotz dessen bleibt der Tod den Menschen fremd. Erst wenn eine Identifikation mit den Opfern und Schicksalen stattfindet, wird Schmerz, Trauer, Wut oder Entsetzen empfunden (vgl. ebd.). Jedoch zeigen die Medien nicht nur Schreckensszenarien. Entgegen der Tabuisierungsthese steigt die Verbreitung von Berichten, Interviews oder Bücher, die versuchen Fragen zu Tod und Trauer aufzuklären und dazu beitragen können, die Angst vor dem Sterben zu verringern (vgl. Wilkening 1997, S. 18). Dies zeigt, dass besonders in den Medien der Tod nicht tabuisiert wird. Die Inszenierung des Todes in den Medien zeigt die Widersprüchlichkeit im Umgang mit Tod und Trauer in unserer Gesellschaft auf. Einerseits werden diese Thematiken aus dem Alltag bestmöglich gemieden und verschwiegen, anderseits wird der Tod zum gewinnbringenden Geschäft der Massenmedien genutzt, welches die Menschen allgegenwärtig umgibt (vgl. Franz 2013, S. 55).
Die dargestellten gesellschaftlich Einflüsse und Entwicklungen machen deutlich, wie schwierig es ist, den gesellschaftlichen Umgang mit der Todes- und Trauerthematik, aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit, allumfassend aufzuzeigen. Zudem ist diese auch von der jeweiligen individuellen Auffassung und Erfahrungen einer Person abhängig und kann daher nur schwer generalisiert werden. Zugleich entwickeln Personen im Laufe ihrer Entwicklung, auf der Basis ihrer sozialen Erfahrungen, ein Todeskonzept und einen Umgang mit Trauer, der die Auseinandersetzung mit dem Sterben beeinflusst (vgl. Iskenius-Emmler 1988, S. 44). Daher ist es von Interesse im Folgenden auf die kindliche Perspektive zu schauen und sich mit den kindlichen Wahrnehmungen zu Tod und Trauer auseinanderzusetzen.
3.3 Kindliche Wahrnehmungen und Erfahrungen von Tod und Trauer
Um mit Kindern über Themen wie Tod und Trauer zu sprechen, ist es für Erwachsene notwendig das Verständnis und die Vorstellungen von Kindern hinsichtlich der Thematik zu verstehen. Untersuchungen aus der Entwicklungspsychologie konnten aufweisen, dass das Todesverständnis sich im Verlauf des Entwicklungsprozesses bei Kindern verändert und das niemand von Geburt an die bewusste bzw. unbewusste Bedeutung von Leben und Tod besitzt, sondern diese sich durch die Interaktion innerhalb der Lebenswelt herausbildet (vgl. Arens 1994, S. 59). Entscheidend sind dafür zum einen entwicklungsbedingte Voraussetzungen sowie eine Vielzahl von Sozialisationsfaktoren, wie kulturelle Einflüsse, Verhalten der Eltern oder Begegnungen mit dem Tod (vgl. ebd.). Auch das Vorstellungsvermögen von Zeit und Raum sind grundlegende Faktoren für das Verständnis von Tod und Trauer (vgl. Cramer 2012, S. 17). Daher soll im nächsten Abschnitt zunächst auf die Einflussfaktoren der kindlichen Erfahrungen eingegangen und darauffolgend sowohl Todesvorstellungen als auch Trauerreaktionen in unterschiedlichen Phasen des Sozialisationsprozess aufgezeigt werden.
3.3.1 Mögliche Einflussfaktoren auf die kindlichen Erfahrungen
Durch die Institutionalisierung des Todes und dem Strukturwandel der Familie (siehe Kapitel 3.3.1) sind Begegnung mit dem Sterben und dem Tod bei Kindern nur noch wenig präsent. Kinder erleben den Tod von Angehörigen nur noch selten, da dieser nicht mehr im familiären Umfeld stattfindet, sondern in Institutionen wie Krankenhäusern, Hospizen oder Altenheimen. Dabei wird vieles was den Tod betrifft versucht vor Kindern fernzuhalten. Nur selten sprechen Eltern mit ihren Kindern über den bevorstehenden Tod Angehöriger (vgl. Franz 2013, S. 53). Erwachsene möchten Kinder vor vermeintlichen Tabuthemen wie dem Tod schützen. Kinder symbolisieren die Zukunft und Wachstum, wohingegen der Tod das Ende des Lebens darstellt (vgl. Jennessen 2007, S. 14).
Kinder im Vor- und Grundschulalter integrieren den Tod häufig im Spiel, woraus hervorgeht, dass Kinder interessiert an dem Themenbereich sind (vgl. Butt 2013, S. 23). Die Integration ermöglicht es den Kindern, Informationen und Erlebnisse zu erinnern, einzuordnen und sich mit anderen Kindern darüber auszutauschen (vgl. ebd.). Butt (2013) erklärt zudem, dass das Spielen dabei mehrere Dimensionen hat. Zum einen geht es um ein Nachspielen von Tod und Trauer. Dabei ahmen sie Trauersituationen, wie Beerdigungen nach, indem sie sich verkleiden oder den Tod eines/einer Mitspieler*in betrauern. Auch das Ausprobieren des Totseins testen die Kinder im Spiel. Eine weitere Dimension ist die des Erlebens von Tod und Trauer. Durch das Abschießen, Umfallen oder Totsein innerhalb des Spiels kann der Tod nachvollzogen und erlebt werden. Aufgrund des fehlenden Zeitverständnisses geht das Spiel dann meist nach kurzer Zeit unbeschwert weiter (vgl. Butt 2013, S. 24). Darüber hinaus gehört auch das „Besuchen von Friedhöfen, das Anschauen von Grabsteinen, Gräbern und Aufsuchen von Orten, die für Kinder mit Tod und Beerdigung zu tun haben“ (ebd.) zu diesen Dimensionen. Das Hauptinteresse liegt dabei auf dem Informationsbedürfnis der Kinder und dem Erforschen von Dingen, die mit dem Tod und der Beerdigung zu tun haben (vgl. ebd.).
Erfahrungen, die im Spiel verarbeitet werden, greifen Kindern dabei häufig aus den Medien auf. Wie bereits in Kapitel 3.2 dieser Arbeit aufgezeigt wurde, haben die Medien besonderen Einfluss auf die Wahrnehmung und Darstellung von Tod und Trauer für Kinder und Jugendliche. Besonders das Fernsehen ist ein Medium, welches auch schon jüngeren Kindern zugänglich ist und die Auffassungen der Kinder damit beeinflusst (vgl. Butt 2013, S. 25). Die Todesdarstellungen in den Medien können besonders die Perspektive von Kindern und Jugendlichen, die in ihrer Lebenswelt nur wenig oder gar keinen realen Kontakt zu der Thematik finden, beeinflussen (vgl. ebd.). Auch im Internet stoßen die Heranwachsenden meist ungefiltert durch Spiele, Internetseiten oder Videos auf die Themen Tod und Trauer. Sie „bleiben davon nicht unberührt, sondern finden auf ihre Weise hier Informationen, die sie dann in ihr Verständnis und ihre Einstellungen einbauen, insofern die Gesellschaft dazu schweigt und sie als Tabu behandelt“ (vgl. ebd., S. 26). Darüber hinaus kommen Kinder und Jugendliche mit Büchern aller Art mit dem Thema in Berührung (vgl. ebd., S. 24). Bücher können weitere Vorstellungen, Informationen und Anregungen für Kinder geben sich mit unterschiedlichen Auffassungen der Thematik zu beschäftigen. Butt (2013) empfindet, Bücher in diesem Zusammenhang als eine Lebenshilfe und ein gutes, anregendes Korrektiv im Vergleich zu anderen Medien (vgl. ebd.). Vorsicht ist dabei in Märchen geboten, da der Tod häufig ein zweideutigen Charakter erhält, mal wird er als Strafe für das Böse dargestellt oder auch als eine Art Scheintod, bei der die Protagonist*innen in ein neues Leben erwachen (vgl. Arens 1994, S. 68). Die Kinder erhalten dadurch zwar eine Vorstellung des Todes, welcher jedoch nicht der Endlichkeit des Lebens und der Realität entspricht.
Erste reale bzw. direkte Erfahrungen mit dem Tod erleben viele Kinder, wenn ein geliebtes Haustier stirbt oder sie beim Spielen ein totes Lebewesen im Garten oder am Straßenrand auffinden. Der Tod eines Haustiers kann dabei für Kinder und auch Jugendliche eine schmerzvolle Erfahrung darstellen, da diese Tiere in emotionaler, geistiger und sozialer Hinsicht eine Bereicherung für jene bedeuten (vgl. Butt 2013, S. 27). Durch die Verbundenheit zu dem Tier können Verlustgefühle bei Heranwachsenden, ebenso stark empfunden werden wie bei dem Tod eines Menschen (vgl. Franz 2013, S. 111). Eltern neigen in solchen Situationen häufig dazu, ihre Kinder schützen zu wollen und den Schmerz sowie die Traurigkeit durch einen schnellen Ersatz zu lindern. Dies sind meist Reaktionen der eigenen Hilflosigkeit und Verunsicherung im Umgang mit dieser Thematik (vgl. ebd.). Der Kauf eines neuen Tieres führt häufig auch dazu, dass Kinder und Jugendliche nicht angemessen in ihrem Trauerprozess begleitet werden und ihre Gefühle von ihrer Umwelt nicht angemessen wahrgenommen werden (vgl. Butt 201, S. 27). Dabei bietet der Abschied von einem vertrauten Haustier die Möglichkeit des Lernens und Reifens, Kinder können somit begreifen, dass das Leben endlich ist und Lebewesen nicht ersetzbar sind. Zudem lernen sie mit ihrer Trauer umzugehen (vgl. ebd.).
Erfahrungen im Umgang mit Tieren und Pflanzen sowie dessen Pflege erscheinen somit als besonders wichtig für Heranwachsende. Arens (1994) argumentiert, dass Kinder anhand von Tieren oder Pflanzen den Prozess von der Geburt bis hin zum natürlichen oder willkürlichen Tod erleben können (vgl. Arens 1994, S. 69). Der Umgang bildet ein Gleichgewicht zu ihren leblosen Spielsachen, die nach ihrem Willen gelenkt werden können. Wenn sich Kinder um Tiere oder Pflanzen kümmern, können ihre gemachten Erfahrungen dazu beitragen, dass eine Ehrfurcht vor dem Leben und dem Tod entsteht. Darüber hinaus können sie Phänomene der Entwicklung und der Fortpflanzung entdecken (vgl. ebd.). Ebenso auch im Naturkreislauf machen Kinder erste Erfahrungen mit den Grundgesetzen des Lebens. Sie erleben Wachstumsrhythmen von Pflanzen sowie ihre Verwandlung und Vergänglichkeit und können so Rückschlüsse auf die Existenz von Leben und Tod ziehen (vgl. Franz 2013, S. 109).
Als eine weitere direkte Todeserfahrung, die für Kinder eine große Belastung darstellen kann, ist der Verlust einer Person aus ihrem näheren Umfeld. Der Tod eines Eltern- oder Geschwisterteils ist die tiefgreifendste Verlusterfahrung im Leben eines Kindes (vgl. Fleck-Bohaumilitzky 2003, S. 35). Die Verarbeitung und der Trauerprozess hängen dabei von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, wie „die Umstände des Todesfall, der kognitive und emotionale Entwicklungsstand des Kindes, die Beziehung zu dem Verstorbenen und die Bedingungen, die Kinder und Jugendliche nach dem Tod des Elternteils vorfinden“ (vgl. Iskenius-Emmler 1988, S. 147). Besonders der Verlust einer/ eines nahen Angehörigen kann existentielle Auswirkungen auf die Kinder haben, da sie in diesen Verlustsituationen nicht nur mit der Trauer umgehen müssen, sondern sich ihre Lebensumstände verändern. Diese Verluste können zudem Todesängste und -furcht bei den Kindern auslösen und sich auf ihr zukünftiges Leben auswirken (vgl. ebd., S. 156f.). Das Erleben von direkten Todesereignissen im näheren familiären Umfeld wirkt sich zudem auf das Todeskonzept von Kindern aus. Wissenschaftliche Untersuchungen nehmen an, „dass Kinder, die sich mit dem Tod eines nahen Angehörigen auseinandersetzen mussten und vor allem dazu auch Gelegenheit hatten (d.h. nicht infolge fehlender Hilfestellung verdrängen mussten), ein verhältnismäßig realistisches Todesverständnis hatten“ (Gebhard 2013, S. 226), das nicht zwangsläufig den im nächsten Kapitel dargestellten Altersangaben unterliegen muss.
Damit einhergehend hat auch der im Kapitel 3.1 dargestellte gesellschaftliche Umgang mit der Todes- und Trauerthematik Einfluss auf die Wahrnehmung der Kinder. Einerseits sind Großfamilien nur noch selten in unserer Gesellschaft vorzufinden und andererseits versuchen noch viele Eltern ihre Kinder vor diesen Themen zu schützen. Dadurch kommen Kinder nur noch selten mit Senioren oder erkrankten Menschen in Kontakt, sodass der kontinuierliche Alterungs- und Sterbeprozess selten von ihnen wahrgenommen werden kann und diese somit außerhalb des Erfahrungsbereichs der Kinder sterben (vgl. Franz 2013, S. 46). Ebenso der Rückgang von Riten und Trauerritualen verstärkt den Ausschluss von Kindern, somit ist es heutzutage nicht mehr üblich, dass Familienangehörige im Beisammensein der Familie versterben (vgl. Iskenius-Emmler 1988, S. 145). Generell versuchen Erwachsene Gespräche mit Kindern über Krankheit oder dem bevorstehenden Tod zu vermeiden, um jene vor diesem Thema zu schützen (vgl. Franz 2013, S. 53).
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Erfahrungen der Kinder mit der Thematik stark variieren können und, „der massenmedial- vermittelte Tod oder die beiläufige Alltagskommunikation eines Todesthemas (indirekte Todeserlebnisse) [...] andere Auswirkungen als Tode im engeren oder weiteren Beziehungsfeld eines Kindes (direkte Todeserlebnisse)“ (Plieth 2002, S. 205) haben. Ebenfalls von immenser Bedeutung ist der Umgang mit der Todesproblematik innerhalb des familiären Umfeldes, da die Umgangsweise häufig auf die Kinder übertragen wird (vgl. Gebhard 2013, S. 226).
3.3.2 Todesvorstellungen von Kindern
Das Herausbilden eines Todeskonzept stellt aufgrund der Komplexität und der fehlenden allgegenwärtigen Definition des Todes eine hohe Anforderung an Kinder und Jugendliche (Witt- wer/Schäfer/Frewer 2010, S. 137). Wie schon angeklungen spielen nicht nur äußere Faktoren und Erlebnisse eine entscheidende Rolle für das kindliche Verständnis von Tod und Trauer. Um mit Kindern über den Tod zu sprechen zu können muss sichergestellt werden, dass diese eine grundlegende Vorstellung von Raum und Zeit haben (vgl. Cramer 2012, S. 17). Dazu müssen Begriffe „der Zeit, der Dauer, der Unendlichkeit, der Vergangenheit, der Zukunft und der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung“ (Arens 1994, S. 52) verständlich gemacht und die Unterscheidung zwischen tot und lebendig muss verdeutlicht werden. Kinder besitzen im Gegensatz zu Erwachsenen noch kein ausgebildetes Zeitverständnis, daher erkennen Kinder nicht die Endlichkeit des Lebens und des Todes (vgl. ebd.). Demnach soll im Zusammenhang mit der Vorstellung von Sterben und Tod das jeweilige Zeitverständnis der Entwicklungsstufe mit einbezogen werden. Damit einhergehend spielen noch drei weitere Aspekte für die Erfassung der Todeskonzepte eine wichtige Rolle:
„1. das Erfassen der Irreversibilität des Todes,
2. das Begreifen der Kausalität des Todes und
3. das Wahrnehmen der Universalität des Todes“ (Plieth 2002, S. 209).
Das Erfassen eines realistischen Todeskonzept beinhaltet alle drei Konzepte (vgl. Wittwer/Schä- fer/Frewer 2010, S. 139). Aufgrund der Vielzahl von unterschiedlichen Studien aus dem letzten Jahrhundert zur Herausbildung des Todesverständnisses von Kindern und Jugendlichen existiert keine allgemeine Übereinstimmung über den genauen Entwicklungsverlauf (vgl. ebd.). Die folgenden Entwicklungs- und Altersstufen stellen demnach nur einen Versuch dar, übereinstimmende Ergebnisse zu präsentieren.
Vorschulkinder (bis sechs Jahre)
Kinder im Vorschulalter begreifen noch nicht was sterben bedeutet (vgl. Cramer 2012, S. 31). In dieser Altersstufe verfügen sie noch nicht über die abstrakten Denkprozesse wie Erwachsene. Sie brauchen die konkrete Anschauung und persönliche Wahrnehmung, um Dinge zu verstehen (vgl. Butt 2013, S. 32). Zudem ist ihr Zeitempfinden eingeschränkt, denn „die Vorstellung einer zeitlichen Begrenzung, Endlichkeit und irreversiblen Vergänglichkeit ist ihnen fremd und noch nicht möglich, da sie „ungreifbar“ ist“ (vgl. ebd.). Charakteristisch für die Weltanschauung in diesem Alter ist, dass die Kinder nicht zwischen belebt und unbelebt differenzieren können. Der Tod bedeutet für diese Kinder eine temporäre Abwesenheit. Die meisten Kinder nehmen an, dass der Tod ein zeitlich begrenzter ist und können somit auch nicht die Irreversibilität des Todes begreifen. Trotz des mangelnden Verständnisses für die Endgültigkeit des Todes nehmen Kinder in dieser Altersstufe die Emotionen ihrer Umwelt wahr und verstehen aufgrund der Reaktionen, dass der Tod etwas Besonderes ist (vgl. ebd.). Wenngleich es den Kindern an einer gefühlsmäßigen Empfindung zum Tod fehlt, kann das Sterben eines Angehörigen oder Tieres Emotionen wie Verlust- und Trennungsängste bei den Kindern hervorrufen, die durch das Wegsein des Lebewesens ausgelöst werden (vgl. ebd., S. 33). In dieser Entwicklungsphase bleibt der Tod meist gestaltlos. Mit der Entwicklung der Sprachfähigkeit bilden die Kinder ein zunehmendes Interesse an dem Zustand und den Ursachen des Sterbens von Lebewesen aus. Sie interessieren sich dafür was mit Verstorbenen passiert und „in ihnen erwacht ein kaum zu befriedigender Forschungsdrang, der weder durch Scham- noch durch Ekelgefühle Begrenzung erfährt“ (Plieth 2002, S. 211). Darüber hinaus beschreibt Cramer (2012), dass Vorschulkinder häufig ein hohes Alter als eine Ursache für das Sterben ansehen und nicht nachvollziehen können, dass der Körper selbst sterblich ist (vgl. Cramer 2012, S. 33).
Grundschulalter (bis 10 Jahre)
In Gegensatz zum Vorschulalter können viele Kinder in dieser Altersstufe den Tod schon konkreter erfassen (vgl. Plieth 2002, S. 211). Sie begreifen nun die Aspekte Irreversibilität und Universalität zur Konzeptionalisierung der Todesvorstellung (vgl. Butt 2013, S. 34). Das heißt, sie verstehen die Endgültigkeit des Todes und dass alle Lebewesen sterben müssen (vgl. Plieth 2002, S. 211). Das Bewusstsein des eigenen Lebensendes kann in dieser Phase sehr unterschiedlich ausfallen. Plieth argumentiert, dass Kinder davon ausgehen, vom Tod nicht selbst betroffen zu sein (vgl. ebd.). Cramer (2012) und Butt (2013) hingegen stützen sich darauf, dass Grundschulkinder ihre eigne Endgültigkeit erkennen, jedoch differenziert wahrnehmen (vgl. Cramer 2012, S. 43/Butt 2013, S. 35). Ihr Zeitverständnis ändert sich dem hingehend, sodass sie „eine Vorstellung von der Begrenztheit eines Ereignisses bzw. Zustands haben“ (Butt 2013, S. 34). Zudem verringern sich die anthropomorphistischen Vorstellungen und die Heranwachsenden können besser zwischen Belebten und Unbelebten unterscheiden (vgl. ebd.). Zu Beginn der Schulreife sind Kinder in der Regel in der Lage sinnvolle Zusammenhänge zu erstellen, dass bedeutet, dass sie sich vermehrt für Ursachen und Folgen interessieren (vgl. Cramer 2012, S. 42). In Bezug auf den Tod erkennen sie, dass nicht nur das Alter eine Ursache für das Sterben darstellt, sondern dass dieser auch durch Krankheiten oder Gewalteinwirkungen verursacht werden kann (vgl. ebd.). Auffallend ist zudem, dass der Tod häufig personifiziert und verbildlicht wird. Der Tod wird als Skelett, Sensenmann oder auf den Totenschädel reduziert (vgl. ebd./Butt 2013, S. 36/Plieth 2002, S. 213). Aufgrund vieler neuer Erkenntnisse, die Kinder bspw. im Religions- oder Kommunionunterricht sammeln können, ist diese Phase durch den Übergang der Vorstellung von vorrübergehender zu endgültiger Abwesenheit durch den Tod geprägt (vgl. Cramer 2002, S. 56).
Jugendalter (ab 10 Jahre)
Ab dem Beginn der Pubertät verstehen die Heranwachsenden den Tod realistischer und ihre Vorstellung davon nähert sich dem der Erwachsenen an (vgl. Plieth 2002, S. 213/Butt 2013, S. 36). Sie verstehen den Tod „als den biologischen Ausfall der Organfunktion eines Lebewesens“ (Plieth 2002, S. 213). Die Jugendlichen sind dann in der Lage alle drei Aspekte (Irreversibilität, Kausalität und Universalität) zu begreifen. Die Wirklichkeit des Todes wird in der Phase der Adoleszenz - die generell durch Wandel und Verunsicherung geprägt ist - als Belastung und mit starken Emotionen wahrgenommen (vgl. Butt 2013, S. 36f.). Je älter die Kinder werden, desto mehr entsprechen ihre Fragen den Vorstellungen Erwachsener und die Sinnfrage nach Leben und Tod stellt sich weiter in den Vordergrund (vgl. Cramer 2013, S. 56).
[...]
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2020, Tod und Trauer als Thema an Grundschulen. Ein Thema für den Sachunterricht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/983394
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