Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage inwiefern DDR-Bürger_innen "das andere" in den Vertragsarbeiter_innen wahrnahmen. Dafür werden Aussagen von DDR-Bürger_innen über ausländische Vertragsarbeiter_innen in Interviews und Eingaben betrachtet. Davon ausgehend, dass Identität sich gegenwärtig "nur durch Abgrenzung von einem anderen bestimm[t]", können daraus Schlüsse auf die Identitätskonstruktion der DDR-Bürger_innen selbst gezogen werden.
Völkerfreundschaft war in der DDR ein Wert mit Verfassungsrang. Im Gründungsmythos der DDR als antifaschistischer, sozialistischer Staat wurden derartige Werte als Identität festgehalten: Mit Gründung der DDR ist das Volk "von dem Willen erfüllt, den Weg des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit, der Demokratie, des Sozialismus und der Völkerfreundschaft in freier Entscheidung unbeirrt weiterzugehen." Das Volk der DDR muss diesem Mythos zufolge nicht entnazifiziert werden. Es ist per se antifaschistisch und der Völkerfreundschaft zugewandt. Diese Volksidentität konstruiert die DDR in genauem Gegensatz zur BRD, die als ungebrochene Nachfolgerin der nationalsozialistischen Herrschaft gilt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass über fremdenfeindliche Einstellungen und Betätigungen in der Bevölkerung keine öffentliche Auseinandersetzung stattfand. Diese hätte nicht weniger als die Legitimität der sozialistischen Republik in Frage gestellt. Zweifelsohne gab es
jedoch derartige Einstellungen und Übergriffe bis hin zu Morden, insbesondere gegen Vertragsarbeiter_innen.
Inhaltsverzeichnis
- Quellenproblematik
- Situation der Vertragsarbeiter_innen
- Die Wahrnehmung ausländischer Vertragsarbeiter_innen durch DDR-Bürger_innen
- Über-/Unterordnungsverhältnis
- Anpassung
- Leistung
- Rückschlüsse auf die Identitätskonstruktion der DDR-Bürger_innen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Wahrnehmung von „anderen“, speziell ausländischen Vertragsarbeiter_innen, durch DDR-Bürger_innen. Sie analysiert, wie diese Begegnungen die Identitätskonstruktion der DDR-Bürger_innen beeinflusst haben, und untersucht dabei die Rolle von Über-/Unterordnungsverhältnissen, Anpassung und Leistung. Die Arbeit untersucht außerdem, wie sich die offizielle Ideologie der Völkerfreundschaft in der Praxis manifestierte und wie diese mit der tatsächlichen Wahrnehmung von Vertragsarbeiter_innen durch die DDR-Bevölkerung korrespondierte.
- Wahrnehmung von Vertragsarbeiter_innen durch DDR-Bürger_innen
- Identitätskonstruktion der DDR-Bürger_innen im Kontext von „anderen“
- Ideologie der Völkerfreundschaft und ihre praktische Umsetzung
- Über-/Unterordnungsverhältnisse zwischen DDR-Bürger_innen und Vertragsarbeiter_innen
- Rolle von Anpassung und Leistung in der Wahrnehmung der Vertragsarbeiter_innen
Zusammenfassung der Kapitel
1. Quellenproblematik
Das Kapitel beleuchtet die Schwierigkeiten bei der Erforschung von fremdenfeindlichen Einstellungen und Verhaltensweisen in der DDR. Es stellt die Eingabe als ein wichtiges Quellenmaterial vor, das Aufschluss über die subjektiven Reaktionen der DDR-Bürger_innen auf die Vertragsarbeiter_innen bietet.
2. Situation der Vertragsarbeiter_innen
Dieses Kapitel erläutert die Gründe für die Anwerbung ausländischer Vertragsarbeiter_innen in der DDR, insbesondere den anhaltenden Arbeitskräftemangel und die demographische Entwicklung. Es beschreibt die Arbeitsbedingungen und den Status der Vertragsarbeiter_innen, die oft in „schmutzigen“ und unbeliebten Berufen eingesetzt wurden, sowie ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation.
3. Die Wahrnehmung ausländischer Vertragsarbeiter_innen durch DDR-Bürger_innen
Dieses Kapitel widmet sich der Analyse von Aussagen von DDR-Bürger_innen über ausländische Vertragsarbeiter_innen. Es untersucht, wie diese die Vertragsarbeiter_innen in Bezug auf Über-/Unterordnungsverhältnisse, Anpassung und Leistung wahrnahmen. Die Analyse der Aussagen soll Aufschluss über die konkreten Erfahrungen und Einstellungen der DDR-Bürger_innen gegenüber der „anderen“ Gruppe geben.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen der Identitätskonstruktion, Völkerfreundschaft, Vertragsarbeiter_innen, DDR-Bürger_innen, Fremdenfeindlichkeit, Über-/Unterordnungsverhältnisse, Anpassung, Leistung, Quellenproblematik, Eingabe, Interviews.
- Quote paper
- Sophie Wetendorf (Author), 2020, Identitätskonstruktion in der DDR. Proletarier aller Länder?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/988212