Die folgende Masterarbeit befasst sich mit der Innovation des betitelten Konzepts. Durch wissenschaftliche Begründungszusammenhänge beabsichtigt der Autor, eine grundlegende Verbesserung für die kommunale Amtsvormundschaft und die Betreuungsbehörde in der Kreisverwaltung zu entwickeln. Er verfolgt dabei das Ziel, die Arbeits- und Einsatzfähigkeit dauerhaft zu fördern und zu erhalten und dafür ein neues Arbeitsmodell für Jugendämter als Führungsinstrument als Entwurf zu konzipieren.
Den Kern der Arbeit bilden die Kapitel zwei und drei. Darin stellt der Verfasser die politie des Sachgebiets des Jugendamtes ebenso vor, wie die personelle Ausstattung einschließlich des Qualifikationsniveaus, der Rolle der Führungskräfte sowie der – ergänzt durch Fallbeispiele – die Vielfalt der zu erfüllenden Aufgaben. Vor allem interessieren den Wissenschaftler, dem selbst die Leitung des Sachgebietes obliegt, die für die Mitarbeiter*innen im Prozess der Aufgabenwahrnehmung enthaltenen Belastungen und Anforderungen. Die auf Fairness beruhende «automatisierte Allokation», die unter dem Begriff "Kommunalverwaltung 4.0" mittels Digitalisierung aller vorhandenen Informationen über zu betreuende Klienten, Aufgabenportfolio und Belastungsgrade für die Mitarbeiter*innen Stressoren zu erfassen, die als vermeidbar identifiziert und ressourcenaufbauend «eliminiert» werden sollen.
Den Hebel setzt der Autor folgerichtig an den drei Dimensionen Kommunikation, Nutzung technischer Systeme und Führungskompetenz an. Auf der Grundlage erstellt der Autor – nach Abwägung des Machbarkeitsoptimums – eine Systematik. Diese wiederum bildet die Grundlage für die digital gestützte Technikanwendung. Die einzelnen Schritte des Arbeitsprozesses werden ausführlich dargestellt und mittels Graphiken verdeutlicht. Zudem werden die daraus resultierenden Berechnungsgrundlagen für Klienten sowie Beschäftigungs- und Belastungsgrade der Mitarbeiter*innen ausführlich vorgestellt. Schließlich werden auf dieser Basis die technischen Allokationen entwickelt, wobei der Verfasser das Zutun menschlicher Tätigkeit nicht einer vermeintlich technischen Ergebenheit opfert, sondern das Engagement der Mitarbeiter*innen als den Schlüssel zum Erfolg betrachtet.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Formelverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung & Zielsetzung
1.1 Vielfalt trifft auf Anspruch
1.2 Ziel und Methodik der Untersuchung
1.3 Die Rollen der Führungskräfte
2. Die theoretische Basis: Forschungsstand und Kontext
2.1 Darstellung des untersuchten Sachgebietes
2.1.1 Organisatorischer Rahmen
2.1.2 Beispielhafte Aufgaben im untersuchten Bereich
2.1.2.1 Kurzdarstellung der Aufgaben
2.1.2.2 Ausgewählte Teile der Personensorge
2.1.2.2.1 Das Aufenthaltsbestimmungsrecht
2.1.2.2.2 Die Regelung des Umgangs
2.1.2.2.3 Die Gesundheitssorge
2.1.3 Herausforderungen an die Leitung
2.1.4 Aktuelle Situation im untersuchten Sachgebiet
2.1.4.1 Neuausrichtung der Infrastruktur
2.1.4.2 Kooperative Arbeit, Beteiligung und Transparenz
2.1.4.3 Kontinuierliche Modernisierung und Automatisierung
2.2 Belastung, Beanspruchung und Stress
2.2.1 Belastung und Beanspruchung
2.2.2 Stress
2.2.2.1 Ausgewählte Definitionen
2.2.2.2 Stressoren als Arbeitsplatzmerkmale
2.2.2.3 Reaktionen auf den Stressor Fairness
2.2.2.4 Einwirkung auf Stressoren durch Ressourcen
2.3 Ausgewählte Arbeitsmodelle
2.3.1 Das Job Characteristics Modell (JCM Modell)
2.3.2 Das Job-Demands-Job Control Modell
2.3.3 Das Job-Demands-Ressource Modell
2.3.4 Arbeit 4.0 Modell
2.4 Ausgewählte Dimensionen der Arbeit
2.4.1 Autonomie
2.4.2 Digitalisierung
2.4.2.1 Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung
2.4.2.2 Prozessautomatisierung
2.4.2.3 Künstliche Intelligenz (KI): Der Computer als Entscheider
3. Basis des Arbeitsmodells: Implementierung von Automatisierung
3.1 Taxonomie der Arbeit
3.1.1 Stakeholder im Bereich der Amtsvormundschaft
3.1.2 Stakeholder-Cluster im Überblick
3.1.2.1 SH-C Klient
3.1.2.2 SH-C Institution
3.1.2.3 SH-C Mitarbeitende
3.1.3 Arbeitsgebiete-Cluster und deren Items
3.1.3.1 Definition der Ausprägung
3.1.3.2 AC und deren Merkmale
3.1.4 Cluster-Items - Arbeitsvorfälle messen und auswerten
3.2 Das elektronische Posteingangsbuch
3.2.1 Darstellung des elektronischen Posteingangsbuches
3.2.2 Datenerfassung im elektronischen Posteingangsbuch
3.2.3 Verarbeitung der erfassten Daten
3.2.4 Nutzung und Auswertung der erfassten Daten
3.4 Klienten-Analyse, Beschäftigungs- und Belastungsgrad
3.4.1 Klienten-Analyse
3.4.2 Beschäftigungsgrad der Mitarbeitenden
3.4.3 Belastungsgrad der Mitarbeitenden
3.4.4 Interpretation und Früherkennung von Stress
3.5 Automatisierte Allokation
3.5.1 Grundlagen - Menschliche Beteiligung
3.5.2 RPA-Prozess - Wie der Roboter arbeitet
3.6 Wirkung der Automatisierung
4. Zusammenfassung der Erkenntnisse
5. Entwurf eines neuen Arbeitsmodells
6. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Datensatz der Stakeholder-Cluster mit Variablen
Tabelle 2 Beispielhafte Feststellung der AC-Ausprägung
Tabelle 3 Übersicht der Arbeitsgebiete-Cluster mit deren Merkmalen
Tabelle 4 Darstellung der Postanalyse für einen Beispiel-Klienten
Tabelle 5 Erklärung der Symbole zur Berechnung der Ausprägung eines
Klienten
Tabelle 6 Erklärung der Symbole der Formel zur Berechnung des
Beschäftigungsgrades
Tabelle 7 Datensatz der Stichprobe des Beschäftigungsgrades der
Mitarbeitenden vom 13.12.2020
Tabelle 8 Erklärung der Symbole der Formel zur Berechnung des
Belastungsgrades
Tabelle 9 Datensatz der Stichprobe des Belastungsgrades der Mitarbeitenden
vom 13. Dezember
Tabelle 10 Darstellung der Differenz zwischen Beschäftigungsgrad und
Belastungsgrad der Mitarbeitenden zum
Tabelle 11 Darstellung der aufsteigend sortierten Reihenfolge des
Belastungsgrades der Mitarbeitenden vom 13.12.2020
Formelverzeichnis
Formel 1 Berechnung der Ausprägung eines aktiven Klienten anhand der Arbeitsgebiete-Cluster-Items
Formel 2 Berechnung des Beschäftigungsgrades eines Mitarbeitenden unter Berücksichtigung seiner wöchentlichen Arbeitszeit
Formel 3 Berechnung des Belastungsgrades eines Mitarbeitenden auf Basis der segmentierten Klienten und unter Berücksichtigung der wöchentlichen Arbeitszeit des Mitarbeitenden
Formel 4 Darstellung des automatisierten Informationslevels beim Belastungsgrad
Formel 5 Darstellung des automatisierten Warnlevels beim Belastungsgrad
Formel 6 Darstellung des automatisierten Überlastungslevels beim Belastungsgrad
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Karte von Sachsen-Anhalt mit Hervorhebung des Landkreises
Anhalt-Bitterfeld
Abbildung 2 Karte der Bundesrepublik Deutschland mit Hervorhebung des Landkreises Anhalt-Bitterfeld
Abbildung 3 Darstellung der Elterlichen Sorge mit auszugsweiser Aufführung von Elementen der Personensorge
Abbildung 4 Das Job Characteristics Model von Hackman und Oldham (1975), erweitert um zentrale Merkmale der Arbeit
Abbildung 5 Schematische Kurzdarstellung der SH-C
Abbildung 6 Erweiterte Ampeldarstellung der Ausprägung von Einzelelementen
Abbildung 7 Erweiterte Ampeldarstellung des Werte-Korridors der Gesamtbewertung von AC
Abbildung 8 Elektronisches Posteingangsbuch - Erfassungsformular
Abbildung 9 Elektronisches Posteingangsbuch - Erfassungsformular mit ausgeklappter Droplist der Arbeitsgebiete-Cluster
Abbildung 10 Zusammenfassende Darstellung des Prozesses des Übergangs eines analogen Postvorfalls zur elektronischen Akte und der zusätzlichen Nutzung durch Prozessautomatisierung
Abbildung 11 Kurzdarstellung der elektronischen Verarbeitung eines
Posteingangs mittels Workflows
Abbildung 12 „AKTIV“ Arbeitsmodell Darstellung des Namens des Entwurfs
Abbildung 13 Darstellung des „AKTIV“ Arbeitsmodells als Erweiterung der
Dimensionen von Arbeit in Bezug auf das Arbeit 4.0 und JCM-Modell
Abbildung 14 Schematische Darstellung der empfohlenen Vorgehensweise (von außen nach innen) zur Implementierung des „AKTIV“ Modells
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Über den Autor
Der Autor verfügt, neben den Verwaltungskenntnissen, über umfangreiche Kenntnisse im Bereich der Softwareentwicklung und Anpassung. Über 12 Jahre Erfahrung im Bereich der Microsoft Dynamics CRM1, Microsoft SharePoint2 und JavaScript3 Entwicklung sowie über 10 Jahre Erfahrung in der Programmierung mit C#4 (C-Sharp). Im Landkreis Anhalt-Bitterfeld ist er als Sachgebietsleiter im Bereich Amtsvormundschaft und der Betreuungsbehörde tätig.
1. Einleitung Zielsetzung
1.1 Vielfalt trifft auf Anspruch
Die kommunale Daseinsvorsorge zeigt sich in vielfältigen Aufgaben, die oftmals emotional belastend, konfliktträchtig und für Mitarbeitende risikoreich und mit hoher psychosozialer Verantwortung verbunden sind. Dazu gehören die Inobhutnahme, Herausnahme und das Entscheiden über weitreichende gesundheitliche Eingriffe bis hin zum Tod des Kindes im Rahmen der Finalpflege.
Diese auf Mitarbeitende einwirkende Größen und Faktoren können eine Belastung und Beanspruchung darstellen, die sich auf die Gesundheit auswirken können. (vgl. Ulich und Wülser 2018, S. 63)
In Kapitel 2 stellt der Autor an drei Aufgabenfeldern im Arbeitsalltag auftretende Situationen dar, die dies verdeutlichen. Im nachfolgenden Kapitel wird am Anwendungsfall aufgezeigt, wie die vorangehend benannten Faktoren im untersuchten Bereich in einzelne Gebiete unterteilt und gemessen werden können. Hierfür wird analysiert, mit welchen digitalen Mitteln dies erfolgt und welche Folgen bei den Mitarbeitenden festgestellt werden. Deren Aussagen fließen als Probandenaussagen in diese Untersuchung ein und stellen Indizien hinsichtlich der Wirkung der umgesetzten Maßnahmen dar.
Der Autor war vor der Übernahme der Leitungsverantwortung selbst als Amtsvormund im Jugendamt tätig und kennt das komplexe Arbeitsumfeld. Insbesondere das eigene Sachgebiet verzeichnete bei Übernahme der Leitungstätigkeit den höchsten Krankheitsstand in der gesamten Verwaltung des Landkreises Anhalt-Bitterfeld.
1.2 Ziel und Methodik der Untersuchung
Ziel dieser Arbeit ist es, den Entwurf eines neuen Arbeitsmodells für Jugendämter als Führungsinstrument zu entwickeln, um Mitarbeitende unter dem Einsatz digitaler Verfahren (speziell der Automatisierung) dauerhaft arbeits- und einsatzfähig zu erhalten. Die Reduzierung beziehungsweise Vermeidung von Belastung und Beanspruchung soll als direkte Folge der Automatisierung eine positive Wirkung auf den Faktor Stress entfalten, wodurch die benannte Zielerwartung erreicht werden soll. Der deskriptive Entwurf orientiert sich an der Modelltheorie nach Stachowiak.
Die Betrachtung erfolgt in dieser Arbeit exemplarisch am Bereich Amtsvormundschaften im Jugendamt des Landkreises Anhalt-Bitterfeld. Die Abläufe und Arbeitsinhalte sind vergleichbar mit anderen Abteilungen, wie beispielsweise dem Allgemeinen Soziales Dienst, Pflegekinderdienst oder der Beistandschaft, weshalb sie für die vorliegende Analyse als qualifizierend eingestuft wird, um den Entwurf eines neuen Arbeitsmodells in Jugendämtern zu forcieren. Die Einbeziehung weiterer Bereiche zur Erstellung eines neuen Arbeitsmodells kann Teil nachfolgender Untersuchungen sein.
Unter Kapitel 2 wird ein Überblick über den aktuellen Wissens- und Forschungsstand gegeben, welcher auf einer Literaturrecherche basiert. Das untersuchte Sachgebiet wird vorgestellt, wobei eine Erläuterung der aktuellen sowie der 2017 diagnostizierten Arbeitsweise erfolgt. Der Autor bindet die Aussagen von Mitarbeitenden als Probandeninformation ein. Hierzu wurden sechs Personen befragt, die als Amtsvormund tätig sind. Die Befragung erfolgte im Rahmen eines qualitativen Interviews in Form der unstrukturierten Befragung. Diese Methode ist angebracht, um sich ein umfangreiches Informationsbild zu verschaffen. Für alle Beteiligten ist das Thema der Amtsvormundschaft umfassend bekannt. Der Autor stellte zu Beginn der Befragung Transparenz her. Bei Wiederholung des Interviews sind gleichwertige Antworten zu erwarten. Die drei Faktoren der Reichweite, Transparenz und Intersubjektivität sind damit gegeben.
Weiterhin wird dargestellt, wie Belastung und Beanspruchung definiert werden und wie dieses beispielhaft auf Tätigkeiten im untersuchten Sachgebiet übertragen wird. Es wird aufgezeigt, wie Stress entstehen kann und welches Wirkungspotential sich entfaltet. Der Autor veranschaulicht dies an Praxisbeispielen und Aussagen von Mitarbeitenden.
Bezogen auf die Bewertung von Stress wird in dieser Untersuchung der Faktor Fairness auf Grundlage einer automatisierten Allokation untersucht. Es wird angenommen, dass eine Fallzuweisung durch ein Computersystem fairer ist als die Zuweisung durch den Vorgesetzten und dazu beitragen kann, Stress zu reduzieren beziehungsweise zu vermeiden. Weiter wird davon ausgegangen, dass die Digitalisierung eine wichtige Ressource darstellt, um auf Stressoren Einfluss zu nehmen und somit die Arbeitsfähigkeit im vorgenannten Umfeld positiv beeinflusst werden kann.
Im Rahmen eines Praxisbeispiels (Kapitel 3) stellt der Verfasser eine selbst entwickelte technische Lösung vor, die sich im untersuchten Bereich im Einsatz befindet. Das Beispiel gliedert sich in eine Analyse der Stakeholder und Arbeitsvorfälle aus dem Spektrum der Amtsvormundschaft, einer Darstellung der technischen Erfassung und Auswertung sowie der Analyse von automatisierten digitalen Prozessabläufen.
Im Segment der Analyse der Arbeitsgebiete legt der Verfasser dar, wie er Cluster bildet und deren Ausprägung messbar macht. Er untersucht dies dabei bezogen auf die Cluster-Items und bildet aus den individuellen Bewertungen ein Gesamtergebnis für das Cluster. Die Vorstellung des elektronischen
Posteingangsbuchs zeigt, wie ein notwendiges Messinstrument mitarbeiterorientiert implementiert wird. Die Übertragung des Vorgangs in einen vollständig automatisierten Bewertungsprozess wird im Rahmen der technischen Umsetzung vorgestellt.
Eine Bewertung des Beschäftigungsgrades sowie die Weiterentwicklung zur Festlegung des Belastungsgrades wird im Kapitel 3 als Folge der automatisierten Cluster-Analyse aufgezeigt. Der Verfasser erstellt hierzu mathematische Formeln, die eine Grundlage zur Adaption in andere Fachbereiche ermöglichen. Die benannten Schritte führen zu einer Weiterentwicklung in den Bereich der Künstlichen Intelligenz, die in dieser Untersuchung benannt wird. Eine Untersuchung hierzu kann im Rahmen weiterer Forschung erfolgen.
Die aus Sicht des Autors unzureichende Einbindung dieser Themen in bestehende Arbeitsmodelle erfordert den Entwurf eines neuen Arbeitsmodells für Jugendämter, welches auf dem Arbeit 4.0 Modell basiert und dieses um neue Dimensionen erweitert. In Kapitel 5 stellt er dies vor.
Die Betrachtung erfolgt in dieser Masterarbeit zunächst hinsichtlich der Dimensionen Automatisierung und unabhängig von anderen Ebenen, die eine nachfolgende wissenschaftliche Untersuchung erfordern.
Die Analyse richtet sich an Führungskräfte in Jugendämtern und bietet Ansätze, die eigene Arbeit zu gestalten.
1.3 Die Rollen der Führungskräfte
Maßnahmen der Automatisierung stellen einen Teil der Technisierung als Treiber der Reorganisation der Verwaltung dar (vgl. Niemann 2016, S. 3). Dadurch bedingte Veränderungen und deren Management sind wesentliche Aufgabe der Führungskräfte und definieren sich in ihrer Rolle als Change-Manager.
Im Rahmen der Change-Manager Rolle muss sich die Führungskraft mit der nachlassenden Akzeptanz Mitarbeitender in Hinblick auf technische Projekte auseinandersetzen (vgl. Stember et al. 2019, S. 49; Stember et al. 2017, S. 82). Ursachen, wie Unsicherheit können zusätzliche Sorgen und Ängste auslösen, mit denen die Führungskraft umgehen muss (vgl. Bijedic et al. 2018, S. 5). Hierin findet sie sich in der Rolle eines sich kümmernden und sorgenden Chefs wieder. Die Kompetenz-Rolle ist relevant hinsichtlich der Dimension der digitalen Kompetenz, die sich - unabhängig von der primären Facharbeit in der Verwaltung einordnet. Hierzu ist ein erhebliches Know-how erforderlich, um selbst verstehen zu können, wie digitale Prozesse funktionieren und welche Wirkung sie entfalten können (vgl. ebd, S. 6). Für diesen Bereich ist gleichfalls das Personalamt gefordert, um Maßnahmen der Kompetenzentwicklung zu planen und umzusetzen (vgl. Bardt et al. 2016, S. 142).
Eine weitere Rolle ist die der Kommunikation. Lauer stellt fest: „Kommunikation ist fraglos einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren im Rahmen von Change Management [sic!]. Dies ergibt sich schon allein aus dem Umstand, dass letztlich Führung als solche im Wesentlichen auf Kommunikation beruht.“(Lauer2019, S. 125-150)
Im Digital Office Trend der Bitkom wurde erläutert „Die Arbeitswelt befindet sich durch die zunehmende Verbreitung neuer digitaler Technologien in einem tiefgreifenden Wandel, der die Art und Weise verändert, wie wir heute und künftig zusammenarbeiten. Um neuen Arbeitskonzepten den Weg zu bereiten, muss sich die unternehmensinterne Kommunikation verändern und einen regelmäßigen und effizienten Austausch der Mitarbeiter ermöglichen.“(vgl.Britze 2018, S. 18)
2. Die theoretische Basis: Forschungsstand und Kontext
2.1 Darstellung des untersuchten Sachgebietes
2.1.1 Organisatorischer Rahmen
Der Autor untersucht in dieser Arbeit das Teilgebiet Amtsvormundschaft des Sachgebietes 1 im Jugendamt des Landkreises Anhalt-Bitterfeld. Der Arbeitsbereich umfasst die Teile Amtsvormundschaft und die Betreuungsbehörde. Im gesamten Jugendamt sind derzeit ca. 120 Mitarbeitende in acht Sachgebieten tätig.
In der Betreuungsbehörde sind fünf Personen beschäftigt, die über einen Studienabschluss im Bereich der öffentlichen Verwaltung verfügen. Die sechs Mitarbeitenden im Teilbereich Amtsvormundschaft verfügen ebenfalls über dieses Ausbildungsniveau. Beide Teilbereiche arbeiten zentral am Sitz der Hauptverwaltung in Köthen. Von dort aus sind die Mitarbeitenden im gesamten Landkreis mobil tätig. Der Außendienst stellt einen erheblichen zeitlichen Umfang dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungen 1 und 2 zeigen die geografische Lage des Landkreises. Die Betätigung der Mitarbeitenden ist zum Teil in dieser Region zu verorten, findet jedoch auch in anderen Gegenden statt. So sind besonders in Sachsen, Brandenburg, Berlin, Niedersachsen, Thüringen und Regionen Sachsen-Anhalts Außendienste notwendig, um die Tätigkeit wahrnehmen zu können. Die Mobilität des Personals entspricht der Tätigkeitsausübung der Mehrheit der deutschen Beschäftigten. Insgesamt arbeiten demnach 57,4 Prozent zeitweise mobil (vgl. Hammermann und Stettes 2016, S. 12-14).
Im August 2017 übernahm der Autor die Leitung des Sachgebietes, zuvor war er selbst seit Oktober 2015 als Amtsvormund tätig. Die Tätigkeiten im Sachgebiet sind Teil der Aufgaben der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 3 Ziffer 11 SGB VIII.
Der untersuchte Bereich zeichnet sich durch die Besonderheit der gesetzlich festgelegten Weisungsfreiheit aus. Dies ist insofern relevant, da es innerhalb der Landkreisverwaltung zu einer einzigartigen Rechtsstellung5 der Mitarbeitenden führt. Eine Weisungsgebundenheit besteht durch den Arbeitgeber nur in organisatorischen Angelegenheiten, wie beispielsweise der Regelung von Arbeitszeiten oder dem Arbeitsort.
Eine weitere Besonderheit ist die gesetzlich definierte Fallobergrenze von 506. Die Aufsicht über die Tätigkeit des Amtsvormunds obliegt generell dem Familiengericht beim örtlich zuständigen7 Amtsgericht.8
2.1.2 Beispielhafte Aufgaben im untersuchten Bereich
2.1.2.1 Kurzdarstellung der Aufgaben
Der Amtsvormund9 ist als Elternersatz tätig, wenn die Eltern ausfallen oder verhindert sind, diese Aufgaben wahrzunehmen. Diese Ersatzrolle wird in der Praxis üblicherweise auf die Erledigung der rechtlichen Interessen konzentriert. Im Regierungsentwurf zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (Stand September 2020) wird die Rolle auch hinsichtlich der persönlichen Wahrnehmung und Verantwortung der Erziehung des Kindes gesehen. Die Vormundschaft orientiert sich am Wohl des Kindes.
Abbildung 3 zeigt eine schematische Aufstellung der Elterlichen Sorge mit Auszügen von Aufgaben im Bereich der Personensorge.
Abbildung 3 Darstellung der Elterlichen Sorge mit auszugsweiser Aufführung von Elementen der Personensorge
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
2.1.2.2 Ausgewählte Teile der Personensorge
Die Personensorge ist ein Teil der elterlichen Sorge und umfasst das Recht und die Pflicht der Pflege, Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung (§ 1631 BGB).
Unter Pflege versteht man u. a. die Sorge für das leibliche Wohl des Mündels durch Verpflegung, Gesundheitsfürsorge und Unterbringung. Die Mitarbeitenden 8 übernehmen diese Aufgabe auf der rechtlichen Ebene; beispielsweise durch die Antragsstellung auf Hilfe zur Erziehung, z. B. in Form von Heimunterbringung. Es ist zulässig, dass Mitarbeitende diese Tätigkeiten auch praktisch erbringen, findet in der Praxis jedoch nur als Randerscheinung statt und stellt keine Relevanz dar. Nachfolgend werden drei relevante Aufgabenbereiche vorgestellt.
2.1.2.2.1 Das Aufenthaltsbestimmungsrecht
Aus dem Aufenthaltsbestimmungsrecht folgt für die Mitarbeitenden, dass ihnen generell die Zustimmung zum Wohnort des gewöhnlichen, tatsächlichen oder dauerhaften Aufenthalts nach §§ 163 ff. BGB obliegt. Weiterhin umfasst es die Inhalte, die Herausgabe des jungen Menschen von jedem zu verlangen, insbesondere dann, wenn sein Aufenthalt widerrechtlich ist (§ 1632 BGB).
In der Praxis ist der Aufenthalt beispielsweise widerrechtlich, wenn das Jugendamt durch das Familiengericht zum Vormund bestellt wurde und der Klient noch bei den Eltern wohnt. Verweigern diese die Herausgabe, findet ein zwangsweiser Eingriff statt. Dieser erfolgt unter Anwendung von Gewalt durch hinzuzuziehende Polizeibeamte. Eine solche Maßnahme kann traumatisierend für den Klienten und die weiteren Beteiligten sein. Es wird versucht, derartige Eingriffsformen zu vermeiden, dennoch finden sie regelmäßig statt.
Eine weitere traumatisierende Form der Tätigkeit sind die Entscheidung und das Verfahren über eine freiheitsentziehende Unterbringung des Kindes nach § 1631b BGB. Hierbei erfolgt eine psychiatrische Begutachtung sowie eine üblicherweise gewaltsame Festsetzung und Verbringung des Kindes in eine geschlossene Abteilung eines Fachkrankenhauses. Derartige Aktionen finden ebenfalls unter Einbeziehung der Polizei statt. Die Einwirkung unmittelbaren Zwangs, von Fixierungsmaßnahmen und der Hinzuziehung eines Notarztes zur notwendigen Sedierung des Mündels ist üblich.
Im Regelfall wird eine Maßnahme vom Richter am Familiengericht für sechs Wochen genehmigt; in einigen Fällen auch für mehrere Monate. Eine Obergrenze ist gesetzlich nicht definiert, Verlängerungsanträge und Beschlüsse sind möglich. Entscheidend ist, ob der Klient eine Gefahr für sich und / oder Dritte darstellt.
Maßnahmen im Bereich der freiheitsentziehenden Unterbringung sind das letzte Mittel, um Leib und Leben des Mündels zu schützen. Sie sind für alle Beteiligten stark emotional belastend und stellen einen erheblichen Eingriff in die Rechte des Klienten dar, der für diesen selbst entwürdigend wirken kann.
In der Praxis müssen die Maßnahmen bei Kindern stattfinden, die z. B. aufgrund eines massiven Konsums von Betäubungsmitteln nicht mehr in der Lage sind, zwischen der Realität und wahnhaften Fiktionen zu differenzieren und sich dadurch beispielsweise in Lebensgefahr begeben. Personen mit diesem Aufgabenprofil stellen eine zusätzliche Belastung für die Mitarbeitenden dar, da angebotene und erforderliche Hilfen abgelehnt werden, der Helfende beleidigt oder angegriffen wird und die zwangsweise Hilfe einen Vertrauensbruch bedeuten kann.
Kollegen stellt dies vor die Entscheidung, ob Zwang als Ultima Ratio gegen das Kind notwendig ist und der Vertrauensbruch toleriert wird oder ob weiterhin ein kommunikativer Weg beschritten werden kann. Durch die implementierte Weisungsfreiheit wird dieser Entscheidungsprozess zusätzlich erschwert. Unter 3.6 wird dargestellt, wie Automatisierung in dieser Konstellation eine Unterstützung bieten kann, indem komplexe Klienten erkannt und bei der Arbeitszuteilung beachtet werden.
2.1.2.2.2 Die Regelung des Umgangs
Die Gestaltung und Regelung des Umgangs orientieren sich am Wohl des Mündels. Dabei findet das Recht des Klienten auf persönlichen Kontakt mit jedem Elternteil (§ 1684 Abs. 1 BGB) sowie deren Verpflichtung und Berechtigung hierzu, Anwendung. Neben dem Umgang mit den Eltern haben auch Großeltern und Geschwister ein Umgangsrecht mit dem Kind. Voraussetzung hierfür ist, dass dieser dem Wohl des Kindes dient. (§ 1685 Abs. 1 BGB). Dies gilt darüber hinaus auch für andere enge Bezugspersonen des Kindes, wenn diese tatsächlich Verantwortung übernehmen oder getragen haben.
Hierfür ist das Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung erforderlich, was unterstellt werden kann, wenn die Personen über längere Zeit mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt haben (§ 1685 Abs. 2 BGB).
Im Arbeitsalltag ergeben sich zwei wesentliche Herausforderungen. Zunächst bei begleitenden Umgängen zwischen Eltern und Kind. Begleitet sind die Umgänge durch die Anwesenheit des Mitarbeitenden und weiterer Personen wie Erziehenden aus Jugendhilfeeinrichtungen.
Diese Umgangsform stellt, laut Ansicht der Mitarbeitenden, eine emotional belastende dar, da die Begleitung nur erfolgt, wenn eine Gefährdung des Kindes durch oder während des Umgangs nicht ausgeschlossen werden kann. Das ergibt sich beispielsweise bei der Wahrnehmung eines persönlichen Kontakts mit einem verurteilten Sexualstraftäter oder wenn während des Termins eine soziale, emotionale oder psychische Eskalation zu erwarten ist (z. B. durch Beleidigung der Elternteile untereinander [laut Kollegen ein Dauerthema]).
Umgangstermine werden bereits im Vorfeld als starke Belastung vom Personal wahrgenommen. Die Gründe liegen in ihrem konfliktreichen und risikobehafteten Charakter. Der Umgang selbst ist dann sehr angespannt, da jederzeit mit einer Eskalation gerechnet werden muss. Mitarbeitende beschreiben eine unangenehme Situation und „aufgesetzte Freundlichkeit“ gegenüber Eltern, die ihnen ablehnend gegenüberstehen.
Des Weiteren ergibt sich eine Herausforderung, wenn Umgangsberechtigte nicht oder unpünktlich zum Termin erscheinen. An dieser Stelle muss der Klient emotional eingebunden und stark pädagogisch betreut werden. Aus der Erfahrung heraus kann festgestellt werden, dass Kinder die Gründe für eine Verzögerung oder den Ausfall eines Termins stets bei sich selbst suchen. Sie machen sich Vorwürfe und fallen in negative Verhaltensmuster zurück, die eine zusätzliche Gefahr bedeuten können; beispielsweise durch eine entstehende Depression. Mitarbeitende sind hierdurch gleichfalls emotional gefordert.
2.1.2.2.3 Die Gesundheitssorge
Auf dem Gebiet der Gesundheitssorge ist sicherzustellen, dass der Schutz der Kranken- und Pflegeversicherung gewährleistet ist. Zudem ist der Amtsvormund verantwortlich für die körperliche Unversehrtheit, regelmäßige Gesundheitskontrollen, die Einwilligung zu medizinischen Maßnahmen (wie z. B. Operationen oder Impfungen), die Veranlassung notwendiger Untersuchungen, die Beantragung von Hilfsmitteln, für Festlegungen nach dem Transplantationsgesetz sowie für die Entscheidung über das Beenden des Lebens des Klienten.
Im Jahr 2020 bestand im untersuchten Bereich eine Fallkonstellation, bei der eine minderjährige Mutter während der Geburt den Abgang des Mekoniums zu verzeichnen hatte. Es folgte eine intensivmedizinische Behandlung im Krankenhaus und von dort eine notfallmedizinische Verlegung in ein Universitätsklinikum. In der Universitätsklinik wurde der Gesundheitszustand als kritisch beschrieben. Ein Überleben sei nur unter maximalen Qualen möglich. Der Amtsvormund hatte zu entscheiden, ob die Finalpflege eingeleitet wird. Nach fünf Wochen Abwägung, der Einberufung eines Ethikausschusses im Krankenhaus sowie umfangreicher Recherche und Gesprächen mit den Eltern wurde dies positiv beschieden.
Eine andere Fallkonstellation lag im Jahr 2017 vor. In dem Fall eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers, der eine starke suizidale Neigung aufwies, wurde mehrfach das Aufenthaltsbestimmungsrecht, wie unter 2.1.2.2.1 beschrieben, mehrmals durch freiheitsentziehende Unterbringungsmaßnahmen ausgeübt. Dennoch gelang es nicht, eine umfassende gesundheitliche Behandlung, - insbesondere eine psychiatrische - zu ermöglichen. Der Klient begab sich mehrfach in akute Lebensgefahr und vollendete seine Suizidbestrebungen, indem er sich vor einen heranfahrenden Personenzug fallen gelassen hat. Die Mitteilung hierüber, die anschließende Inaugenscheinnahme und die Reaktionen in der Jugendhilfeeinrichtung stellten eine besonders herausgehobene Belastung aller Kollegen, insbesondere des zuständigen dar.
Der Fall des Suizides war Anlass, um über die tatsächliche Fallbelastung zu kommunizieren. Als Folge wurde vom Personalamt festgelegt, dass eine ausländische Person wie 1,25 deutsche Klienten zu gewichten sei, da man einen um ca. 25 Prozent höheren Arbeitsaufwand feststellte. Die Erkenntnis basierte auf einer zeitlichen Auswertung der Aufgabenerledigung.
Vom Autor wurde später (im Rahmen der Nutzung erster digitaler Medien) festgelegt, dass die Eigenschaft der Staatsangehörigkeit nicht ausschlaggebend ist, um eine besondere Be- und Entlastung zu bestimmen. Vielmehr müssen globale Merkmale herausgezogen werden. In Kapitel 3 wird dies vom Verfasser dargestellt. Die vom Personalamt festgelegte Größe von 1 zu 1,25 hat er mit dem Intervallabstand von 0,25 Punkten in seiner Arbeit für die Festlegung von Ausprägungen (vgl. 3.1.3.1) übernommen.
Aufgaben, die vorangehend vorgestellt wurden, werden unter 2.2.2.2 aufgegriffen, um aufzuzeigen, wie die Tätigkeiten unter dem Begriff der Stressoren subsumiert werden. In Kapitel 3 erläutert der Autor, wie die Tätigkeitskomplexität evaluiert und in einer technischen Lösung berücksichtigt wird. Die digitalen Möglichkeiten stellten eine zentrale Herausforderung an den Sachgebietsleiter dar.
2.1.3 Herausforderungen an die Leitung
Bei Übernahme der Leitungstätigkeit im August 2017, konstatierte der Autor die Ausgangssituation, dass digitale Aspekte keinerlei Relevanz in der Praxisarbeit hatten. Im Bereich wurden durch einzelne Mitarbeitende individuelle Klienten- Listen10 geführt.
Dadurch konnte keine wirksame Vertretung erfolgen, gleichfalls war es als Führungskraft unmöglich, die genaue Anzahl aktiver und ehemaliger Klienten - noch die Zuständigkeiten - zu bestimmen. Über die Komplexität und Besonderheiten der Klienten lagen keine Informationen vor.
Die Ausgangslage bedingte die Unmöglichkeit, solide und nachhaltige Führungsentscheidungen zu treffen. Ohne Wissensbasis konnte nicht eingeschätzt werden, ob Kapazitätsgrenzen im Sachgebiet bereits erreicht oder überschritten waren. Anstatt mit Fakten wurde mit Vermutungen gearbeitet.
Daraus resultierende eine mangelhafte Einschätzung des Personalbedarfs und der aktuellen Kapazitätsauslastung. Dies führte bei mehreren Stakeholders11 zu Inakzeptanz. Das Personalamt wusste beispielsweise nicht, ob der Personaleinsatz korrekt ist. Dadurch bestand Unsicherheit, ob zu viel Personal eingesetzt wurde und damit ein beachtlicher Kostentreiber bestand oder ob zu wenig Personal zugeordnet war und der erhöhte Krankenstand hierauf zurückzuführen war. Der untersuchte Bereich wies bis 2019 den höchsten Krankheitsstand im gesamten Landkreis auf12.
Die Personalbemessung darf dabei nicht auf fiskalische Aspekte reduziert werden. Vielmehr kann eine negative Situation im untersuchten Bereich, Folgen innerhalb der gesamten Organisation haben. Personal, welches falsch verteilt tätig ist, fehlt anderen Organisationseinheiten, die Mitarbeitende in dieser Qualifikationsebene gleichfalls nachfragen. Dies beeinträchtigt deren Leistungsfähigkeit.
Holler untersuchte die Leistungsfähigkeit der Kommunalverwaltungen in Deutschland und stellt fest, dass diese mit immer weniger Personal, bei gleichzeitiger Zunahme ihrer Aufgaben auskommen müssen. Er postuliert, ein Abbau in Quantität und Qualität der Leistung sei die Folge der starken Arbeitsverdichtung13. Ein Lösungsansatz kann in der Vereinfachung von Prozessen und Anforderungen liegen (vgl. Holler et al. 2017, S. 11). Der Autor nutzt diese Erkenntnisse in Kapitel 3, insbesondere im Rahmen der automatisierten Klienten-Analyse (3.4.1). Im untersuchten Bereich lag für den Zeitraum seit 2015 bereits eine Verdichtung von Aufgaben vor, die sich aus der zunehmenden Komplexität der Einzelfallarbeit ergab. Soziale Instabilität und Erziehungsprobleme innerhalb der Herkunftsfamilien manifestierten sich in einem überdurchschnittlich gesteigerten Bedarf an Jugendhilfeangeboten. Des Weiteren ist eine Entwicklung zu immer komplizierten Sachverhalten festzustellen, die mit einer gesteigerten Drogenproblematik im Landkreis in Verbindung gebracht werden.
Bei externen Akteuren führte der Zustand im Sachgebiet ebenfalls zu Unmut, da lange Informationswege bestanden, die im Verlauf ergebnislos endeten. Anrufe der Familienrichter mit fallbezogenen Fragen konnten nicht zugeordnet und beantwortet werden, da Unklarheit bestand, ob das Kind überhaupt schon Klient im Bereich ist. Die Arbeit wurde in der Außenwirkung insgesamt als unprofessionell wahrgenommen. Mitarbeitende führten hierzu übereinstimmend aus, dass es „peinlich sei“, wenn die Direktorin des Amtsgerichts anruft und „niemand etwas wisse“.
Es zeigte sich eine allgemeine Unzufriedenheit. Mitarbeitende arbeiteten nicht kooperativ zusammen, sondern vermieden Diskussionen über einzelne Fallaufgaben. Zwei Mitarbeitende beschrieben im Interview die Situation, dass sie ihre eigenen Word-Vordrucke nicht mit anderen teilten. Der Grund bestand in der Annahme, die Verteilung der Arbeit sei unfair. Die Folge zeigte sich in der Verweigerung jeder aktiven Teamarbeit. Dieses Verhalten führte zu ineffizienten (Mehrfacharbeit) und ineffektiven (individuelle Vordrucke ohne Rechtssicherheit) Arbeitsabläufen. In beiden Punkten bestand die Gefahr potenzieller Haftungsquellen durch Fehler. Auch die unbegründete Uneinheitlichkeit von behördlichem Handeln implizierte eine Angreifbarkeit der fachlichen Tätigkeit.
Ursächlich für diese Wahrnehmung war die tatsächlich vorliegende intransparente und unausgewogene Verteilung der Arbeit. Im Rahmen dieser Arbeit wurden Mitarbeitende gefragt, wie sie die damalige Allokation einschätzen. Alle Mitarbeitende äußerten, dass die Zuweisung „willkürlich“ gewesen sei. Es sei nicht nachvollziehbar gewesen, wer, wann, welchen Fall bekäme und warum einige mehr als 50 Klienten betreuten, während andere für weit weniger (in einem Fall 32 Klienten bei identischer Arbeitszeit) zuständig gewesen sind.
Beschwerden von Mitarbeitenden über eine mutmaßliche Bevorteilung anderer Kollegen („ich bekomme immer nur die schweren Fälle“) führten nicht zu einer Darlegung und Änderung der Allokationspraxis. Hieraus manifestierten sich innerbetriebliche Konflikte, die zu einer zunehmenden Störung der sachgebietsinternen Arbeit führten.
Die notwendigen Herausforderungen an den Autor waren auszugsweise:
a) die Wiederherstellung des betrieblichen Friedens im Sachgebiet
b) eine faire und transparente Allokation
c) die Implementierung von Mitbestimmung bei der Allokation
d) die wirksame und nachhaltige Berücksichtigung der gleichmäßigen Verteilung von tatsächlicher Arbeitsbelastung
e) die Förderung eines kooperativen Arbeitens
f) die Förderung einer persönlichkeitsförderlichen Arbeitsweise
g) die Optimierung der fachlichen Arbeit
h) die Standardisierung der Erfassung und die Zentralisierung der Datenhaltung
Es wird angenommen, dass die fehlende Kooperation zwischen den Mitarbeitenden kausal zur intransparenten Allokation zu betrachten ist. In dieser Intransparenz wird eine Ursache für Stress vermutet, dessen Reaktion sich in der negativen Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigt.
Des Weiteren wird dies auch als eine Ursache für den erhöhten Krankenstand angenommen. In dieser Arbeit wird dies nachfolgend unter dem Aspekt der transparenten Allokation durch technische Mittel untersucht.
Unter 2.3 werden ausgewählte Arbeitsmodelle vorgestellt. Der Autor konstatiert Ansätze in bestehenden Modellen, die benannten Herausforderungen umzusetzen, stellt jedoch eine nicht ausreichende Berücksichtigung digitaler Möglichkeiten, insbesondere der Automatisierung fest. Die starke Einbindung technischer Lösung wird als relevant angenommen, um die benannten Herausforderungen zu bestehen. Aus diesem Grund wird der Entwurf eines neuen Arbeitsmodells für Jugendämter als notwendig betrachtet.
2.1.4 Aktuelle Situation im untersuchten Sachgebiet
2.1.4.1 Neuausrichtung der Infrastruktur
Zum Ende des Jahres 2020 ist die Arbeit im Sachgebiet, in Bezug auf den Stand vom August 2017, grundlegend neugestaltet. Gegenwärtig benutzen alle Mitarbeitenden des Sachgebietes eine einheitliche Software, die über jeden Webbrowser, betriebssystemunabhängig aufgerufen und bedient werden kann. Web- und Automatisierungstechnologien bilden dabei die zentralen Komponenten. Die üblichen Anwendungsprogramme im Büro sind auf allen Computern installiert und deren Verwaltung erfolgt ausschließlich im Sachgebiet selbst, um bedarfsgerechter agieren zu können.
Ein wesentlicher Aspekt der Heraustrennung aus dem Bereich des Sachgebietes EDV war, die dort geduldete, heterogene Infrastruktur im Segment der Büroanwendungen und der daraus resultierenden Inkompatibilität zu StandardAnwendungen bei externen und internen Akteuren. Weiterhin war die fehlende Verfügbarkeit einer Software, die den Anforderungen im Sachgebiet, insbesondere denen der Automatisierung und des geräte- und standortunabhängigen14 Zugriffs genügt, für die Entscheidung relevant.
Im untersuchten Bereich wurde durch den Autor eine eigene Anwendung erstellt, die den Fokus auf die Automatisierung und spätere Verwendung Künstlicher Intelligenz legt. Des Weiteren stellt die Lösung die vollständige Digitalisierung von Akten und die Vernetzung mit externen Partnern in den Mittelpunkt. Auch die interne Kollaboration ist ein tragendes Element. Die Maßnahmen repräsentieren einen Teil der Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung, welche in Kapitel
2.4.2 als Dimension des Arbeit 4.0 Modells aufgegriffen wird.
Die elektronische Akte (eAkte) wird, als Element der digitalen Modernisierung, umgesetzt. Aktuell sind, bis auf archivierte Akten, alle Klienten in Form einer digitalen Akte abgebildet. Die eAkte bietet Ansätze für vielfältige Untersuchungen. In dieser Arbeit dient das Modul des elektronischen Posteingangsbuchs als Untersuchungsobjekt. In Kapitel 3.2 zeigt der Autor auf, wie dies im Sachgebiet genutzt wird.
Aktuell ermöglicht die implementierte Anwendung den Mitarbeitenden vollständig standortunabhängig und mobil zu arbeiten. Die angeschafften Tablets unterstützen dies. Beide Merkmale sind Alleinstellungsmerkmale des Bereichs bezogen auf die Landkreisverwaltung. Das Personal nutzt die Möglichkeiten intensiv. Durch implementierte Monitoring- und Controlling-Funktionen können auch Produktivitätsaspekte ohne Zeitverzögerung evaluiert werden.
Für diese Arbeit wurden die Mitarbeitenden gefragt, wie sie persönlich die neue Form der Arbeit einschätzen. Alle unterstützen die Arbeitsweise und geben konstruktive Hinweise. So wurde beispielsweise erklärt, dass Laptops im Außendienst besser geeignet wären als Tabletts. Dies wurde von der Leitung aufgegriffen und es wird der Versuch unternommen entsprechend zu reagieren. Besonders gelobt wird die elektronische Postzustellung, die Irrläufer wirksam unterbindet und zeitliche Abläufe verkürzt.
Einzelne Nutzer der Software verteidigen und vertreten diese aktuell sogar gegenüber anderen Sachgebieten, in denen noch keine elektronische Aktenführung besteht und deren Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des Austausches begrenzt sind.
2.1.4.2 Kooperative Arbeit, Beteiligung und Transparenz
Die fehlende Kooperation der Kollegen untereinander stellte eine wichtige Herausforderung dar. Aktuell wird die Arbeit von allen Mitarbeitenden als harmonisch, produktiv und sehr gut beschrieben. Es besteht die Situation, dass 18 sich alle „mitgenommen, vertreten“ und im Bedarfsfall vom Sachgebietsleiter „unterstützt“ fühlen. Auf Nachfrage wurden drei wesentliche Gründe hierfür benannt. Der erste Grund besteht in der automatisierten Allokation und der transparenten Veröffentlichung der laufenden Kapazitätsausschöpfung. Alle Daten sind ohne Verzögerung im Onlinesystem für jeden Kollegen aufrufbar. Es ist sofort ablesbar, wer den nächsten Klienten zugewiesen bekommen wird. Ebenfalls ist erkennbar, wie sich die Struktur der Klienten je Mitarbeitenden zusammensetzt. Für die Transparenz wurde sich im gesamten Kollegium bewusst und nach vorheriger Erläuterung entschieden. Datenschutzrechtliche Aspekte können in weiterführenden Arbeiten behandelt werden.
Nach übereinstimmender Aussage führten diese Maßnahmen dazu, dass die Arbeitsverteilung und die Arbeitsinhalte als fair wahrgenommen werden. Frerichs stellte in einer Untersuchung fest, dass die Auswirkungen betrieblicher Veränderungen in Arbeitsprozessen dann eine positive Auswirkung auf die Motivation der Mitarbeitenden haben, sofern dadurch keine Arbeitsplatzunsicherheit zunimmt und erkennbar ist, wie die Arbeit selbst verbessert wird (vgl. Frerichs 2015, S. 208).
Die Gestaltung des Arbeitsinhalts ist laut Sass wesentliche Voraussetzung für die Motivation der Fachkräfte. Hierzu gehören Sinnhaftigkeit und die Möglichkeit der Mitgestaltung (vgl. Sass 2019, S. 50). Bei der Vorbereitung und Implementierung der Veränderungen wurden Mitarbeitende frühzeitig und beständig eingebunden. Der Autor schließt daraus, dass dies zur Akzeptanz der Veränderungen führte.
Der zweite Grund besteht in der Festlegung von Notfallmaßnahmen, der Einführung von Teamberatungen zum Wissensaustausch sowie der verschriftlichten Garantie des Sachgebietsleiters, die weisungsfrei getroffenen Entscheidungen mitzutragen und Mitarbeitenden bei Kritik daran mit zu vertreten. Die schriftliche Garantie wurde bei allen Kollegen an die Innenseite der Bürotür geheftet, um Verbindlichkeit zu demonstrieren. In Hinblick auf die Untersuchung zur Mitarbeitermotivation und Mitarbeiterbindung von Sass, setzt der Autor dies in Bezug zu den beschriebenen Maßnahmen (vgl. ebd., S. 10).
Als dritter Grund wurde die Beteiligung an Entscheidungsprozessen genannt. Hervorgehoben wurde, dass wesentliche Elemente vorab besprochen werden. Meinungen und Erfahrungswissen der Teammitglieder wird berücksichtigt und findet sich in Entscheidungen wieder.
Anerkannt wird auch, dass die Leitungsebene eigene Entscheidungen unter dem Feedback der Kollegen reflektiert und bei Bedarf abändert. Die Möglichkeit eines „ehrlichen Feedbacks“ wurde besonders oft positiv erwähnt. Der Autor als Sachgebietsleiter garantierte schriftlich, dass ausschließlich authentisches Feedback gewünscht sei und Kritik gut ist. Die Einführung einer partizipativen kritischen Kultur ermöglichte das Ansprechen von Problemen und trägt gleichzeitig dazu bei, dass Mitarbeitende Lösungsoptionen selbst vortragen. Insofern wurde das Personal vom Konsumenten zum Produzenten von Ideen. Hammermann und Stettes untersuchten die Beteiligungskultur im familienfreundlichen Kontext und stellten fest, dass diese Ebenen in digitalen Unternehmensbereichen deutlich ausgeprägter sind als in klassischen Unternehmen (vgl. Hammermann und Stettes 2016, S. 8). Diese Analyse kann auf den öffentlichen Dienst übertragen werden. Von Mitarbeitenden benannte Punkte werden vom Autor in die Analyse von Hammermann und Stettes subsumiert. In der Forcierung einer familienfreundlichen Unternehmenskultur durch Partizipation wird gleichzeitig die Mitarbeiterbindung erhöht (vgl. Sass 2019, S. 64). Beobachtet wurde ebenfalls eine Zunahme der Fachlichkeit. Beispielsweise stieg die Bereitschaft zum eigenständigen Führen von Klagen für den Klienten.
Dies ist bemerkenswert, da Klagen im Vorfeld kaum geführt wurden und wenn dann nur als Zuarbeit zum Rechtsamt. Aktuell wird das Rechtsamt lediglich beratend eingebunden, was den gesetzlichen Anforderungen an den Amtsvormund deutlicher entspricht. Inwieweit diese Beobachtung auf die aktuelle Arbeitsweise zurückzuführen ist kann derzeit noch nicht bewertet werden, bietet jedoch Material für weiterführende Untersuchungen.
2.1.4.3 Kontinuierliche Modernisierung und Automatisierung
Die Neuausrichtung der Infrastruktur und die Partizipationsmöglichkeiten ermöglichen eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Arbeitsweise. Derzeit werden beispielsweise Automatisierungsfunktionen in der Klienten-Analyse und der Allokation genutzt. In Kapitel 3 wird dies ausführlich vorgestellt.
Neuerungen sollen in Zukunft im Bereich automatisierter Entscheidungen und einfacher Verwaltungstätigkeiten bestehen. Mitarbeitende wünschen sich z. B. ein „Häkchen“-Formularfeld beim Anlegen eines Klienten. Ist dieses aktiviert, soll automatisiert ein Antrag auf Hilfe zur Erziehung als Word Dokument erzeugt werden.
Das Dokument soll vollständig vom System ausgefüllt sein und selbstständig an den zuständigen Sozialarbeiter versandt werden. Dadurch würde eine Routineaufgabe des Vormunds komplett automatisiert werden. Es wird dadurch eine zeitliche Entlastung erwartet, die für soziale Aufgaben genutzt werden soll.
Insgesamt ist aus den Rückmeldungen ein durchgängig kooperatives Arbeiten erkennbar. Die Aussage einer Mitarbeitenden: „Noch nie habe ich entspannter gearbeitet.“ impliziert eine Wirkung auf die Arbeitsbelastung.
2.2 Belastung, Beanspruchung und Stress
2.2.1 Belastung und Beanspruchung
„In der deutschsprachigen Arbeitswissenschaft hat sich ein Konzept weitgehend durchgesetzt, demzufolge als Belastungen 'objektive, von aussen [sic!] her auf den Menschen einwirkende Grössen [sic!] und Faktoren' bezeichnet werden, als Beanspruchungen 'deren Auswirkungen im Menschen und auf den Menschen' (Rohmert & Rutenfranz, 1975, S. 8). (Ulich und Wülser 2018, S. 63)’’
Belastung ist eine individuelle Betrachtung einer bestimmten Situation in einer definierten Umgebung15. Die Umgebung und die darin bestehenden Aufgaben wurden in Kapitel 2.1 vorgestellt. Der Belastungsbegriff ist grundsätzlich wertneutral (vgl. Reif et al. 2018, S. 7). Die individuelle Belastung kann dabei über persönliche Motive, Einstellungen, Erfahrungen und Motivation, Qualifikation sowie die kulturelle Umgebung und Sozialisation beeinflusst werden. Kulturelle Umgebung und Sozialisation leiten zu generellen Einflussfaktoren wie Arbeitszeitrahmen, Gesetzgebung, Kollektivnormen und wettbewerbsbedingten Anforderungen über.
Es wird beispielsweise zwischen psychischer Beanspruchung und Belastung differenziert. Unter Ersterer wird „die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung [...] im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien“(Joiko et al. 2010, S. 10). (ebd., S. 6) verstanden. Letztere spiegelt „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“(Joiko et al. 2010, S. 9) (ebd.) wieder.
Bräuer führt in seiner Untersuchung zur Emotionsarbeit in der Gesundheitsbranche aus, die von Poppelreuter beschriebene „Doppelbelastung“ stellt, eine gefühlsmäßig belastende Situation dar. Hierunter sei die Belastung durch emotionale Arbeit, zu der sich das Personal gezwungen fühlt und der affektiven Eigenbelastung, beispielsweise durch positive Kommunikation im diffizilen Umfeld zu verstehen (vgl. Bräuer 2020, S. 3).
Die Erkenntnisse können auf das untersuchte Sachgebiet übertragen werden. Tätigkeiten im Bereich der Finalpflege (vgl. 2.1.2.2.3) sowie der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Kindes (vgl. 2.1.2.2.1) bilden eine derartige Belastung ab. Dies gilt insbesondere für die als gezwungen empfundene emotionale Kommunikation mit dem Klienten und deren Angehörigen16. Mitarbeitende beschreiben Zwangsmaßnahmen gegen Kinder als bereits im Vorfeld „äußerst belastend“. So sei ein Freiheitsentzug keine ad hoc getroffene Entscheidung, sondern das letzte Mittel am Ende eines wochenlangen Prozesses, welcher durch intensive, komplizierte und sehr emotionale Kommunikation mit dem Klienten und dessen Umfeld bestimmt ist.
Als durch „harte und heftige“ verbale Äußerungen gekennzeichnet, beschreibt ein Mitarbeitender die Gespräche, die in diesem Rahmen geführt werden müssen. In einigen Fällen flankiert durch die Androhung und Anwendung körperlicher Gewalt gegen den Kollegen. Beispielsweise wurde ein Mitarbeitender von einem Klienten massiv beschimpft und mit körperlicher Gewalt bedroht. Bedienstete, die solchen Übergriffen ausgesetzt sind, beschreiben die Erlebnisse im Interview als äußerst schwierig. Am liebsten „möchte man ausrasten“. Mitarbeitende äußerten: „Man muss sich extrem zusammenreißen und das Gespräch abbrechen, was nicht immer möglich ist. Insbesondere, wenn sich das Kind selbst in Lebensgefahr begibt.“ Problematisch wird die Situation der nachfolgenden weiteren Zusammenarbeit mit dem Mündel eingeschätzt.
In der Literatur wird die Emotionsarbeit beschrieben. Unter dieser versteht sich das Management der eigenen Gefühle, um ein bestimmtes Gefühl nach außen zu vermitteln (vgl. Bräuer 2020, S. 4).
Angeführte Beispiele zeigen auf, dass oftmals eine „Fake-Situation“ vorliegt, wenn einerseits der Freiheitsentzug vorangetrieben wird und andererseits beim Klienten Zuneigung suggeriert wird. Laut Bräuer entspricht dies der Strategie des „Oberflächenhandelns“(ebd., S. 5). Strategien des Tiefenhandelns bieten die Möglichkeit für weitere Untersuchungen. Bräuer stellte in seiner Untersuchung fest: „Es besteht ein korrelativer Zusammenhang [...] zwischen der Häufigkeit, Gefühle auszudrücken, um neutral zu wirken, und dem Stressempfinden“(ebd., S. 13).
In Hinblick auf die Allokationspraxis wurde von Mitarbeitenden geäußert, dass diese Fallkonstellationen nicht berücksichtigt worden sind. Vielmehr wurden diese Fälle genauso behandelt wie „ruhige Kinder“, bei denen keine emotionalen Ausbrüche stattfinden, was als „unrichtig und nicht fair“ wahrgenommen wurde. Der Autor greift dies in der späteren Untersuchung in Kapitel 3 auf. Ein wissenschaftlicher Erklärungsansatz kann sich für die beschriebenen Situationen aus dem Belastungs-Beanspruchungskonzept ergeben. Dieses beschreibt „die Zusammenhänge zwischen arbeitsbezogenen Tätigkeiten und den Auswirkungen auf die Beschäftigten“ und „hat in der deutschen Arbeitswissenschaft eine langjährige Tradition” (Reif et al. 2018, S. 6).
Auszugsweise wird auf die Einflussfaktoren auf das Entstehen von psychischen Fehlbelastungen nach Reif et al. verwiesen. Demnach stellen unter anderem der unterausgeprägte Einfluss auf Arbeitsinhalte, Arbeitsverfahren oder zeitliche Abläufe sowie unklare Kompetenzen, unfaires Führungsverhalten und Verantwortung des Mitarbeitenden, neben der emotionalen Inanspruchnahme (beispielsweise durch das berufliche Erleben von Krankheit, Tod oder Verletzung), kritische Ausprägungen dar, die psychische Fehlbelastungen fördern (ebd., S. 8).
Die Reduzierung von Belastung und Beanspruchung17 kann zur Fokussierung persönlichkeitsförderlicher Arbeitsbedingungen beitragen (vgl. Ulich und Wiese 2011, S. 88). In Hinblick auf die beispielhaften Aufgaben des Amtsvormunds aus Kapitel 2.1.2 sowie der vorgestellten Ansichten der Mitarbeitenden zu konkreten Fallbeispielen wird ein Teil der Aufgaben eines Amtsvormunds der Analyse von Reif et al. zugeordnet.
Die als unfair empfundene Praxis der Arbeitszuweisung entspricht dem Aspekt des unfairen Führungsverhaltens, unklare Kompetenzen, wie unter 2.1.1 benannt sowie der fehlende Einfluss auf die Arbeitsbedingungen durch mangelhafte Beteiligung stellen demnach kritische Fehlausprägungen dar, die eine psychische Fehlbelastung fördern. Der hohe Krankenstand im untersuchten Bereich könnte eine Folge sein. Anzumerken ist, dass in der aktuellen Situation (vgl. 2.1.4) der Krankenstand gesunken ist, er befindet sich nun unterhalb des Durchschnitts in der Landkreisverwaltung. Die Ursachen hierfür stellen Aspekte einer nachfolgenden Untersuchung dar.
Gleichfalls wird zusammengefasst, dass die ständige rechtliche Vertretung und die Besonderheit der Weisungsfreiheit zu einer Mehrbelastung der gefragten Mitarbeitenden führen, die auf Dauer Auswirkungen haben können. Im Praxisbeispiel wird die automatisierte Allokation durch eine Klienten-Analyse beeinflusst. Ziel ist es anzuerkennen, dass Klienten exponierte Belastungen und Beanspruchungen beim Mitarbeitenden auslösen können.
Ein Mitarbeitender, welcher beispielsweise mehrere sehr schwierige Klienten betreut, wird durch die Bewertung in der Gesamtfallzahl transparent entlastet. Durch diese Maßnahme wird angenommen, dass Stress bei Mitarbeitenden reduziert wird. Durch das Messen der Posteingänge eines Klienten wird beispielsweise eine objektive, reliable, valide und beweissichere Datenerhebung gewährleistet, die Grundlage der weiteren Verarbeitung ist. Die aufgezeigten automatisierten Vorgänge stellen einen wesentlichen Teil des Entwurfs eines neuen Arbeitsmodells dar.
2.2.2 Stress
2.2.2.1 Ausgewählte Definitionen
In dieser Arbeit wird der Begriff Stress synonym für Distress verwendet. Der aktivierende Stress, den Selye als Eustress18 definiert, bietet Raum für weitere Untersuchungen.
Stress lässt sich als „eine übermäßige Aktivierung des Organismus auf eine bedrohliche oder unsichere Situation beschreiben, wobei diese Aktivierung mit negativen Gefühlen verbunden ist“(Rosenstiel 2015, S. 86). „Stress ist schädlich.
[...]
1 Microsoft Dynamics CRM ist eine Customer-Relationship-Management Software, die vordergründig in der Privatwirtschaft zur Verwaltung von Kundenbeziehungen, zum Controlling und für vereinfachte buchhalterische Vorgänge genutzt wird. Die Erweiterbarkeit, beispielsweise im Bereich der Automatisierung, ermöglicht auch den produktiven Einsatz in der öffentlichen Verwaltung.
2 Microsoft SharePoint ist eine Webanwendung, die ein Content-Management inklusive Dokumenten-Management ermöglicht. Weiterhin bietet es Listen, Seiten und weitere Tools, die eine Zusammenarbeit im Team unterstützen. Durch individuelle Anpassungen kann das Produkt auf die Bedürfnisse der Nutzer optimiert werden.
3 JavaScript ist eine Scriptsprache, die der Manipulation von Webseiten, beispielsweise in Microsoft SharePoint dient. Dadurch können einfache benutzerorientierte Erweiterungen implementiert werden.
4 C# ist eine typsichere, objektorientierte Programmiersprache, die zu den so genannten Hochsprachen im Bereich der Programmierung gehört. Programme, die in dieser Sprache erstellt werden, können beispielsweise Microsoft Dynamics CRM um vielseitige Funktionen ergänzen.
5 Mitarbeitende handeln privatrechtlich
6 Vgl. § 55 Abs. 2 S. 4 SGB VIII „Ein vollzeitbeschäftigter Beamter oder Angestellter, der nur mit der Führung von Vormundschaften oder Pflegschaften betraut ist, soll höchstens 50 und bei gleichzeitiger Wahrnehmung anderer Aufgaben entsprechend weniger Vormundschaften oder Pflegschaften führen.“
7 Örtlich zuständig ist das Amtsgericht in welchem das Mündel seinen dauerhaften Wohnsitz hat. Dies bedeutet für die Mitarbeitenden eine Vielzahl zuständiger Amtsgericht über die Grenzen des Landkreises hinaus.
8 Vgl. § 55 i.V.m. § 87b SGB VIII über die Übertragung der Vormundschaft auf das Jugendamt als Legalvormund (in Abgrenzung zur Gebietskörperschaft) und der Übertragung im Innenverhältnis durch die Amtsleitung auf einen Mitarbeitenden als Realvormund. Aus dem BGB leitet sich die Weisungsfreiheit ab. Dies ergibt sich insbesondere aus §§ 1791b BGB ff.
9 Amtsvormundschaft besteht dann, wenn alle Teile der elterlichen Sorge entzogen und dem Jugendamt übertragen worden sind. Sind nur Teile der elterlichen Sorge entzogen, spricht man von Amtspflegschaft. Zur Vereinfachung verwendet der Autor ausschließlich den Begriff Amtsvormund.
10 Listen wurden handschriftlich oder in verschiedenen Formaten geführt (Word, Excel, Libre Office)
11 Zu den für den Bereich relevanten Akteuren gehören die Mitarbeitenden, die Klienten und deren Eltern, die Leitungsebene, das Personalamt, die Familiengerichte am Amtsgericht mit ihren Richtern und Rechtspflegern sowie Mitarbeitende in Jugendhilfeeinrichtungen.
12 Die Feststellung basiert auf Daten des Personalamtes, die im Rahmen des Arbeitskreises „Gesundheit“ im Februar 2020 behandelt wurden. Der Autor ist Mitglied des Arbeitskreises, dessen Aufgaben sich auf die Fortentwicklung des Gesundheitsmanagements und einer mitarbeiterorientierten Führung erstrecken. Weitere Teilnehmende sind der Landrat, sein Stellvertreter sowie Amtsleiter und Sachbearbeiter aus verschiedenen Bereichen.
13 Im untersuchten Bereich wird voraussichtlich im Jahr 2021 eine Reform des Vormundschaftsund Betreuungsrechts erfolgen, die eine weitere Arbeitsverdichtung zur Folge hätte, da ein erheblicher Aufgabenzuwachs im Gesetzesentwurf eingearbeitet ist.
14 Für die Mitarbeitenden ist ein standortunabhängiger Zugriff von Bedeutung, da sie überwiegend mobil tätig sein. An den Standorten des Landkreises muss daher auf alles Computern ein Zugriff auf die Fachanwendung möglich sein. Dies ist im Landkreis Anhalt-Bitterfeld nicht in der üblichen Konfiguration der Rechner abgebildet. Des Weiteren ist ein geräteunabhängiger Zugriff notwendig, um mit einem Tablet oder Smartphone Bildaufnahmen von beispielsweise Dokumenten oder Verletzungen bei Klienten unmittelbar in die elektronische Akte zu laden. Dies kann praktisch über die Kamerafunktion der Endgeräte umgesetzt werden.
15 DIN EN ISO 10075-2 regelt beispielsweise die ergonomischen Gestaltungsgrundsätze an einem Arbeitsplatz; Arbeitsplatz somit als Teil der Umgebung jedoch auch unter Betrachtung der kulturellen Umgebung, wie beispielsweise der gesellschaftlichen Norm, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
16 Alle befragten Mitarbeitenden empfinden diese Situation als belastend. Die notwendige emotionale Kommunikation mit Klienten wird dabei als besonders schwierig benannt.
17 Beispielweise findet sich im Bereich Maschinenbau, die Vermeidung bzw. Reduzierung von Beanspruchung bei den Merkmalen gut gestalteter Arbeitsaufgaben nach DIN EN 614-2 wieder. Es wird festgestellt, dass eine Arbeitsaufgabe als sinnvolle Arbeitseinheit erkennbar sein muss. Ebenso ist dafür zu sorgen, dass vielfältige Fertigkeiten und Fähigkeiten Anwendung finden. Die Über- und Unterforderung ist zu vermeiden und die eigenen Aufgaben müssen einen bedeutsamen Beitrag zum Gesamtergebnis erkennen lassen. (vgl. Deutsches Institut für Normung, 2008, S. 6 f.)
18 Vgl . Reif et al. 2018, S. 10 Über die unterprivilegierte Beachtung von positiven Stress in der aktuellen Forschung.
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