Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. FALLBEISPIEL
3. ASPERGER-SYNDROM - EINORDNUNG IN DAS AUTISTISCHE SPEKTRUM
3.1. ÜBERSICHT ÜBER DAS AUTISTISCHE SPEKTRUM
3.2. Asperger-Syndrom
3.2.1. Einschränkungen in der Kommunikation
3.2.2. Einschränkungen in der motorischen Entwicklung
3.2.3. Einschränkungen in der sozialen Interaktion
3.2.4. Ausgeprägte Interessen
4. HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR LEHRKRÄFTE
4.1. Bezug zu den sozialen, motorischen und kommunikativen Beeinträchtigungen
4.2. Klassensituation
4.3. Räumliche Voraussetzungen
4.3.1. Gestaltung des Klassenraums
4.3.2. Gestaltung der Schule
4.4. Organisation von Aufgaben und Abläufen
4.5. Nachteilsausgleiche
4.6. Personal
4.6.1. Lehrpersonal
4.6.2. Integrationshelfer/ Schulbegleiter
5. BEURTEILUNG DES FALLBEISPIELS VOR THEORETISCHEM HINTERGRUND
6. SCHLUSSBETRACHTUNG
7. LITERATUR
1. Einleitung
Jedes Kind ist einzigartig! Schon lange wird eine gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung gefordert. Durch den Besuch einer allgemeinen Schule können Kinder mit einer Behinderung gesellschaftliche Teilhabe und integration in die Gemeinschaft erfahren. Beim Besuch einer Förderschule könnten Chancenungleichheiten, Diskriminierung und Herabwürdigung für das betreffende Kind entstehen. Daher ist Inklusion und Integration heutzutage nicht mehr wegzudenken, bringt jedoch einige Herausforderungen mit sich. Vieles muss sich ändern damit erfolgreiche Inklusion funktionieren kann. Lehrkräfte müssen sich Fort- und Weiterbilden, damit der umgang mit Heterogenität gelingt. Außerdem muss die Organisation in der Schule und die Lehr- und Bildungspläne überarbeitet werden. Da es viele verschiedene Behinderungen bei Kindern gibt, habe ich mich in der vorliegenden Arbeit auf das Asperger-Syndrom, eine Störung des autistischen Spektrums, fokussiert.
Doch worauf muss eine Lehrkraft beim Umgang mit Kindern mit Asperger-Syndrom achten?
Zu Beginn der Arbeit wird zur Veranschaulichung ein Fallbeispiel vorgestellt, bei dem es um einen Jungen mit Asperger-Syndrom geht, der auf einer Förderschule beschult wird. Danach werden grundlegende Informationen über die Symptomatik des Asperger-Syndroms gegeben, welche für die Lehrkräfte relevant sind, um ihren Schüler in seinen Handlungen und Verhalten verstehen zu können. Anschließend werden Handlungsmöglichkeiten für Lehrkräfte erläutert, die sich unter anderem auf die räumliche Gestaltung des Klassenraums und der Schule und auf eine angemessene Organisation der Abläufe und Aufgaben beziehen. Am Ende wird es einen Vergleich zwischen dem Fallbeispiel und den vorgestellten Handlungsmöglichkeiten geben. Außerdem wird noch auf die Chancen und Herausforderungen bei der Beschulung in einer Regelschule eingegangen. Die Schlussbetrachtung dient noch einmal dazu, Lehrkräfte, die ein Kind mit Asperger-Syndrom in ihren Klassen unterrichten, einen abschließenden Überblick zu geben, was für eine angemessene Beschulung zu beachten ist.
2. Fallbeispiel
Jonas ist zehn Jahre alt und geht in die dritte Klasse einer Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung. Seit er sieben Jahre alt ist wohnt er in einer Wohngruppe für Kinder und Jugendliche, weil seine Mutter an einer psychischen Krankheit leidet und sich nicht mehr um ihr Kind sorgen konnte. Alle paar Monate besucht Jonas seine Mutter in seiner alten Heimat für ein paar Tage. Dieser Besuch bringt Jonas jedoch sehr durcheinander. Das äußert sich an seinem Verhalten in der Schule vor und nach dem Besuch seiner Mutter.
Jonas geht auf die Förderschule seit seinem siebten Lebensjahr, daher ist er sehr gut in der Schule integriert. Er fühlt sich dort wohl, da er die wenigen Lehrkräfte kennt, sich im Gebäude zurechtfindet und die Klassen mit maximal acht Schülern überschaubar sind. Zudem hat jeder Schüler und Schülerin einen Einzelplatz und einen Sitzplatzwechsel wird nur einmal zu Beginn eines jeden Schulhalbjahres vorgenommen. Aufgrund dessen, dass es viele Gleichgesinnte gibt, hat Jonas auch soziale Kontakte geschlossen. Sein bester Freund wohnt mit ihm in derselben Wohngruppe und besucht auch dieselbe Förderschule. Er geht schon in die sechste Klasse. Jonas ist ein freundliches und fleißiges Kind, welches zudem sehr neugierig ist. Im Unterricht ist er immer sehr konzentriert und selbst von sich enttäuscht, wenn er Aufgaben nicht versteht. Dann wird er auch schnell wütend, schlägt sich mit dem Kopf auf den Tisch oder fängt an zu weinen. Außerdem wird er wütend, wenn jemand auf seinem Platz sitzt oder Gegenstände in der Klasse nicht an ihrem gewohnten Platz liegen. Wenn man ihm körperlich zu nahe kommt, dann ist er auch schnell verärgert. Zu anderen Menschen wiederrum ist er distanzlos, in dem er sich ganz nah neben sie stellt. Die meiste Zeit ist er außerdem übermäßig unruhig, dass drückt sich damit aus, in dem er während des Unterrichts aufsteht und durch die Klasse geht. Er spricht zwar mit seinen Mitschülern, führt aber zudem sehr viele Selbstgespräche. Jonas begeistert sich für viele Themen. Sein Lieblingsthema ist Autos. In der Motorik ist Jonas durch einen Gehfehler etwas eigeschränkt.
Seine Klassenlehrerin verteilt die Aufgaben während des Unterrichts immer mit einer genauen Zeitangabe mithilfe einer Sanduhr. Außerdem steht der Tagesablauf an der Tafel und je nach dem bei welcher Unterrichtsstunde sie sich befinden, wandert der Zeiger auf die jeweilige Stunde. Die Kisten für Materialien und die Ordner der Schülerinnen und Schüler sind alle beschriftet.
In meiner Rolle als Bufdi wurde ich zwei festen Klassen zugewiesen. Die meiste Zeit verbrachte ich in der dritten Klasse. In dieser Klasse gab es neben der Lehrkraft auch noch eine Schulbegleitung für einen auffälligeren Schüler. Auch Jonas befand sich in der Klasse. Während des Unterrichts war es meine Aufgabe den Schülerinnen und Schülern beim Bearbeiten von Aufgaben zu helfen und auch in bestimmten Fächern oder Situationen einen Schüler oder Schülerin einzeln im Nebenraum zu betreuen. Auch unterrichten durfte ich nach Absprache mit der Lehrkraft. Das Unterrichten fiel mir zu Beginn schwer, da ich es noch nie gemacht hatte und ich dann auch noch zusätzlich auf die Eigenheiten der jeweiligen Schüler und Schülerinnen achten musste. Hinzu kam die generelle Beeinträchtigung des Sozialverhaltens aller Schüler, die sich u.a. mit Respektlosigkeit ausdrückte. In solchen Situationen war ich froh, dass ich nicht alleine in der Klasse war, sondern Unterstützung von der Lehrkraft bekam. Leider konnte ich durch meine anfänglichen Unsicherheiten während des Unterrichtens nicht darauf achten, ob ich beispielsweise mit Jonas angemessen umgegangen bin. Da ich jedoch mehr begleitete als unterrichtete, hatte ich dennoch viel Zeit Jonas während des Unterrichts und auch in der Pause zu beobachten. Außerdem konnte ich Beobachtungen in Hinblick auf den Umgang der Lehrkraft mit Jonas machen.
3. Asperger-Syndrom - Einordnung in das autistische Spektrum
3.1. Übersicht über das autistische Spektrum
Das Asperger-Syndrom gehört zum sogenannten autistischen Spektrum, also zu den Autismus-Spektrum-Störungen. Es handelt sich um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die genetisch verursacht ist. Da es sich um vielfältige Symptome handelt und auf jeden Betroffenen andere Symptome zutreffen, wird nicht von einem typischen Autisten gesprochen. Das Spektrum reicht von sehr schwerer Behinderung bis hin zur Grenze der Normalität. Es gibt verschiedene Formen von Autismus: Frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und atypischer Autismus. Der frühkindliche Autismus, eine sehr schwere Beeinträchtigung, wird schon in den ersten drei Lebensjahren festgestellt. Diese schwere Form der Entwicklungsstörung bleibt das ganze Leben bestehen. Das Asperger-Syndrom, eine leichtere Beeinträchtigung, wird erst im Kinder- oder Jugendalter oder noch später festgestellt. Ein atypischer Autismus liegt vor, wenn ein frühkindlicher Autismus nicht vollständig erfüllt ist, aber sonst keine andere Diagnose gefunden wird.1
3.2. Asperger-Syndrom
Der Namensgeber Hans Asperger verwendete 1944 die Bezeichnung „autistische Psychopathie" und klassifizierte die Störung zu den Persönlichkeitsstörungen. Aufgrund der Aufnahme des Syndroms ins internationale Klassifikationssystem WHO (ICD-10), der Weltgesundheitsorganisation, seit der 90er Jahre gehört die Störung jedoch zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen2. Das Asperger-Syndrom wird meist erst im Kindergarten- bzw. Schulalter oder noch später diagnostiziert, da die heutigen Erkenntnisse noch nicht umfassend genug sind und es sich um eine leichtere Form des autistischen Spektrums handelt.3 Es müssen typische Merkmale vom „autistischen" Verhalten vorhanden sein, damit man vom Asperger-Syndrom sprechen kann. Bei einem Asperger fällt die Sprache bzw. Spracheentwicklung auf. Außerdem gibt es Einschränkungen in der motorischen Entwicklung und sozialen Interaktion. Zudem besitzen einige auch Spezialinteressen bzw. Stereotypien.
3.2.1. Einschränkungen in der Kommunikation
Asperger-Syndrom ist meist mit Auffälligkeiten im Bereich der Kommunikation verbunden. Es ist individuell verschieden inwieweit die Kommunikation eingeschränkt ist. Bei manchen Kindern oder Jugendlichen mit Asperger-Syndrom setzt der Spracherwerb regelrecht ein. Andere Asperger haben Schwierigkeiten in der nonverbalen Kommunikation. Normalerweise sind die Grammatik und Lautbildung nicht beeinträchtigt. Jedoch beim Wortschatz zeigen sich spezielle Eigenheiten, da oft eigene Wortschöpfungen gebildet werden. Auch haben sie meist Schwierigkeiten sich verständlich auszudrücken oder Signale anderer Personen zu deuten. Ironie oder Witze können sie meist gar nicht verstehen. Besonders in der kommunikativen Sprachverwendung ergeben sich des Öfteren Komplikationen. Das zeigt sich insbesondere daran, dass sie häufig einfach Drauflosreden, sie die Regeln des Sprecherwechselns missachten und sie immer wieder die gleichen Themen einbringen ohne Rücksicht auf die Interessen der jeweiligen Gesprächspartner.4
3.2.2. Einschränkungen in der motorischen Entwicklung
Nicht unbedingt hat jedes Kind oder Jugendlicher mit Asperger-Syndrom eine Einschränkung in der motorischen Entwicklung. Asperger mit diesem Symptom im Zusammenhang mit anderen Symptomen geben aber ein Hinweis auf das Syndrom. Der verzögerte Beginn des Laufens und motorische Ungeschicklichkeit im späteren Leben sind Anzeichen für eine verzögerte Bewegungsentwicklung. Beispiele für motorische Ungeschicklichkeiten sind unter anderem beim Erlernen des Fahrradfahrens oder Fangen von Bällen. Auch beim Erlernen der Schreibmotorik kann es zu Schwierigkeiten kommen. Letzteres wirkt sich dann auch negativ in der Schule aus, wie zum Beispiel eine schlechte Handschrift und kann dementsprechend Stressreaktionen in der Klasse auslösen.5
3.2.3. Einschränkungen in der sozialen Interaktion
Kinder und Jugendliche mit Asperger-Syndrom weisen oft Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion auf. Es fällt ihnen oft schwer sich in die Perspektive der anderen Person zu versetzen und zu wissen was diese denkt und fühlt. Besonders wenn es um Kleinigkeiten geht, die über grundlegende Gefühle wie Freude oder Ärger hinausgehen. Die Stärke der Einschränkung hängt davon ab wie schwer die autistische Störung ist und in wie weit andere kognitive Fähigkeiten ausgeprägt sind. Daher haben sie auch oft Schwierigkeiten in der Schule im Zusammenhang mit Partner- oder Gruppenaufgaben. Sie bevorzugen es einzelgängerische Beschäftigungen nachzugehen, obwohl sie auch gerne Freundschaften knüpfen würden. Das liegt daran, dass sie oft von Mitschülern zurückgewiesen werden, da ihre eigenen Interessen meist im Vordergrund stehen und sie dabei nicht bemerken, dass Gesprächsteilnehmer gelangweilt sind oder ihnen nicht folgen können.6
3.2.4. Ausgeprägte Interessen
Einige Kinder und Jugendliche mit Asperger-Syndrom haben ein ausgeprägtes und dauerhaftes Interesse für ein spezielles Thema, wie zum Beispiel Computer. Es gibt aber auch sehr anmutende Interessen wie zum Beispiel das Töten von Tieren oder das Sammeln von Tierresten. Da sie sich oft ausschließlich mit ihren Spezialinteressen beschäftigen und sich großes Wissen aneignen, geraten andere Aktivitäten und
soziale Kontakte in den Hintergrund. Außerdem gibt es auch andere Stereotypien wie wiederholende Bewegungen, Handlungen oder Äußerungen. Beispiele sind hier das Drehen von Objekten oder auch das Kopf- oder Oberkörperschaukeln. Kinder und Jugendliche mit dem Syndrom haben diese Stereotypien meist, weil sie zu viel Energie besitzen und diese reduzieren müssen. Die Spezialinteressen und Stereotypien können sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln oder auch verändern. Man sollte dem Betroffenen ein Zeitbudget, vor dem Unterricht oder in der Pause, für seine Spezialinteressen geben, da er sich sonst nicht optimal entwickeln und sogar sehr auffällig werden kann und damit Angst verursachen könnte.
[...]
1 vgl. Schirmer 2010, S. 12ff
2 vgl. Kuhles 2007, S. 26
3 vgl. Schirmer 2010, S. 13.
4 vgl. Bahr 2013, S. 23 f.
5 vgl. Bahr 2013, S. 25
6 vgl. Bahr 2013, S. 25 f.