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Bild von zwei Holzfiguren, die sich umarmen
25. Oktober 2023 • Lesedauer: 5 min

E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“ verstehen in 5 Minuten

Worum geht es in der Erzählung „Der Sandmann“ von E. T. A. Hoffmann? Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Interpretationen und Motive.

E. T. A. Hoffmann gilt als einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Romantik. Seine Erzählung „Der Sandmann“ wurde 1815 fertig gestellt und erschien 1816 als erster Text seines Zyklus „Nachtstücke“. Nicht zuletzt die berühmte Lektüre von Sigmund Freud hat dazu geführt, dass „Der Sandmann“ inzwischen ein vielbesprochener Text ist, an den die verschiedensten Disziplinen mit je eigenen Ansätzen herantreten. Wir erleichtern dir den Einstieg in das komplexe Werk, indem wir dir die Handlung, die wichtigsten Figuren sowie einige Motive und Interpretationen vorstellen.

Inhaltszusammenfassung

Dem Protagonisten Nathanael wird als Kind von der brutalen Sagengestalt des Sandmanns erzählt, welche Kindern die Augen ausreißt. Nathanaels Vater betreibt unterdessen zusammen mit dem Advokaten Coppelius alchemistische Experimente. Als er bei einem dieser Experimente stirbt, verknüpft Nathanael angesichts der traumatischen Erfahrung die Figur des Sandmanns mit ebenjenem Coppelius. Auch im Erwachsenenalter wird er von diesem Trauma noch heimgesucht. Während eines Studienaufenthalts, fern von seiner Familie und seiner Verlobten Clara, meint er Coppelius in der Figur des Wetterglashändlers Coppola wieder zu begegnen. Er kauft diesem ein Fernglas ab und erblickt damit im gegenüberliegenden Haus die schöne Olimpia, die Tochter des Professors Spalanzani. Diese sitzt jeden Tag in ihrem Zimmer und blickt zu ihm herüber. Er gerät völlig in Olimpias Bann, vernachlässigt den Kontakt zu seiner Verlobten und will Olimpia schließlich einen Heiratsantrag machen. Dabei gerät er zufällig in einen Streit zwischen Spalanzani und Coppola, währenddessen Olimpia entzweigerissen wird. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei Olimpia um einen lebensechten Automaten, den Spalanzani und Coppola gemeinsam gebaut haben. Die gewaltsame Szene sowie der Anblick ihrer am Boden liegenden Augen lösen bei Nathanael einen Anfall des Wahnsinns aus, von dem er sich nur langsam wieder erholt. Er kehrt heim und findet Trost bei seiner Verlobten Clara. Eines Tages besteigt er mit ihr einen Turm, auf welchem er durch Coppolas Fernglas blickt. Er richtet es versehentlich auf Clara und nimmt sie als unbelebte Puppe wahr. Dadurch erleidet er erneut einen Anfall, greift zunächst Clara an und stürzt sich schließlich in den Tod. In der Menge, die sich unter dem Turm gebildet hat, steht auch der Advokat Coppelius.

Die wichtigsten Figuren

Nathanael

Nathanael wird als fantasiereicher, empfindsamer Mann eingeführt, der das Kindheitstrauma um den Tod seines Vaters nicht überwinden kann. Als Protagonist der Handlung gibt er zumeist auch die Perspektive vor, aus der die Ereignisse geschildert werden. Dennoch sehen Leser:innen sich gezwungen, seine Wahrnehmung anzuzweifeln und eine eigene Interpretation zu entwickeln. Zentral ist hierbei die Frage nach dem Realitätsstatus des Erzählten. Außerdem bleibt offen, inwiefern Nathanael tatsächlich selbstbestimmt handelt und inwiefern er von anderen Figuren wie Coppelius oder Coppola gelenkt wird.

Coppelius / Coppola

Von außen betrachtet handelt es sich hierbei um zwei Figuren. Coppelius ist Advokat und arbeitet mit Nathanaels Vater an alchemistischen Experimenten. Coppola hingegen ist ein Wetterglashändler, der gemeinsam mit Professor Spalanzani die Puppe Olimpia gebaut hat. Der Protagonist Nathanael setzt jedoch beide Figuren so stark in einen Bezug zueinander, dass es eine Frage der Interpretation der Leser:innen ist, ob Coppola und Coppelius als zwei getrennte Figuren oder als identische Figur zu verstehen sind.

Clara

Clara ist die verwaiste Tochter eines entfernten Verwandten von Nathanaels Mutter. Sie und ihr Bruder Lothar werden in die Familie aufgenommen, wo sich bald eine besondere Beziehung zwischen Clara und Nathanael entwickelt. Sie wird als rein, klug sowie einfühlsam beschrieben und gibt Nathanael Halt, als er sich von seinem Wahnanfall erholt.

Olimpia

Nathanael lernt Olimpia als die Tochter des Professors Spalanzani kennen. In Wahrheit ist sie jedoch ein lebensechter Automat, den Spalanzani kreiert hatte. Nathanael verliebt sich auf den ersten Blick in sie und beobachtet sie täglich mit seinem Fernglas von seinem Zimmer aus. Er beschreibt Olimpia als „himmlisch schön“. Nathanaels Wahrnehmung von Olimpia verändert sich im Laufe der Erzählung: Erst bewundert er sie, doch allmählich wird sie ihm unheimlich.

Figurenkonstellation in "Der Sandmann"

Motive und Interpretationen

Psychoanalytische Deutung

Die Erzählung bietet sich in mehrfacher Hinsicht für eine psychoanalytische Lektüre an. Das liegt vor allem daran, dass die Figur des Nathanael mit einem Kindheitstrauma zu kämpfen hat. Außerdem hat Sigmund Freud selbst „Den Sandmann“ verwendet, um sein Konzept des Unheimlichen zu entwickeln und zu veranschaulichen.

Unheimliche und phantastische Elemente in E.T.A. Hoffmanns Erzählung

Unheimliche und phantastische Elemente in E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann"

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Stefanie Weber gibt in ihrer Publikation einen kurzen Überblick über „Den Sandmann“ von E. T. A. Hoffmann sowie über Freuds Psychoanalyse und ihre Bedeutung für die Literaturtheorie. Anschließend stellt sie einige fantastische sowie unheimliche Elemente in der Erzählung vor.

Erzählen vom Wahnsinn

Unheimlich ist „Der Sandmann“ vor allem dann, wenn man sich auf die Perspektive von Nathanael einlässt. Die Erzählung spielt mit der Ungewissheit, ob es sich um wahnhafte Vorstellungen oder um tatsächliche Ereignisse handelt.

Der „Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann. Erzählstrukturen des Wahnsinns und des Unheimlichen

Der „Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann. Erzählstrukturen des Wahnsinns und des Unheimlichen

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Wer mehr in die Tiefe gehen möchte, sollte sich unseren Sammelband zu „Der Sandmann“ ansehen. Dieser enthält den Originaltext von E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ sowie vier Forschungsarbeiten, welche die Frage nach Wahnsinn und Realität in den Fokus stellen. Außerdem erfährst du darin, welche erzählerischen Mittel die beschriebenen Effekte hervorrufen.

Das Motiv der Augen

Augen sind das wichtigste Motiv der Erzählung, sie spielen in allen zentralen Szenen eine wichtige Rolle. So nimmt die titelgebende Sagengestalt des Sandmanns monströse Züge an, indem sie den Kindern nicht nur Sand in die Augen streut, sondern sie ihnen auch ausreißt.

Die Bedeutung des Augenmotivs in E.T.A. Hoffmanns Erzählung

Die Bedeutung des Augenmotivs in E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann"

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Wie das Augenmotiv im Sandmann-Märchen eingesetzt wird und wie es Nathanael prägt, untersucht Franziska Nedo in ihrer Publikation. Außerdem zeigt sie auf, wie die Beschreibung ihrer Augen die jeweiligen Figuren der Erzählung charakterisiert.

Die Bedeutung der Augen in E.T.A. Hoffmanns

Die Bedeutung der Augen in E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann"

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Amalia Mai verfolgt verschiedene Perspektiven auf das zentrale Motiv. Sie gibt einen Überblick über die Bedeutung der Augen in Bezug auf die Charakterdarstellung, Nathanaels Wahnsinn und Freuds Interpretation zu Nathanaels Augenangst.

Automaten und künstliche Menschen

Neben dem Motiv der Augen solltest du auch die Funktion des Automatenmotivs kennen. Dieses bezieht sich auf die „Figur“ der Olimpia und trifft im 19. Jahrhundert einen Nerv. Künstliche Menschen sind in der Weltliteratur seit jeher Thema und verlieren mit Durchbrüchen im Bereich der Robotik auch in der heutigen Zeit nicht an Aktualität.

Die Aktualität des Automatenmotivs in E. T. A. Hoffmanns

Die Aktualität des Automatenmotivs in E. T. A. Hoffmanns "Der Sandmann" (1816) und Ernst-Wilhelm Händlers "Der Überlebende" (2013)

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Mehr über die Zeitlosigkeit des Automatenmotivs erfährst du in dieser Bachelorarbeit. Darin findest du einen Überblick zum Motiv in „Der Sandmann“, der anschließend zu einem zeitgenössischen Text in Beziehung gesetzt wird.

E.T.A. Hoffmann und der künstliche Mensch. Analyse der Automatenfiguren in „Der Sandmann“ und „Die Automate“

E.T.A. Hoffmann und der künstliche Mensch. Analyse der Automatenfiguren in „Der Sandmann“ und „Die Automate“

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E. T. A. Hoffmann hat sich nicht nur in „Der Sandmann“ mit dem Motiv des künstlichen Menschen auseinandergesetzt. Christine Konkel untersucht die Funktion der Automatenfiguren in zwei Erzählungen des Autors und erklärt, welche Wirkung sie erzielen.

Gut zu wissen

  • „Der Sandmann“ erschien erstmals 1816 und leitete den ersten Band der „Nachtstücke“ von E. T. A. Hoffmann ein. Fertig gestellt wurde die Erzählung jedoch schon 1815.
  • Die Erzählung beginnt mit drei Briefen, in denen die Figuren eingeführt und die Ausgangslage für die Handlung vermittelt werden. Hier erfahren die Leser:innen auch von Nathanaels Kindheitstrauma in Bezug auf den Sandmann.
  • Im Anschluss an die drei Briefe wird aus der Ich-Perspektive erzählt. Der:Die Erzähler:in gibt sich als Freund:in der Familie zu erkennen und wendet sich direkt an die Leser:innen und thematisiert die Schwierigkeit, für seine Erzählung einen passenden Anfang zu finden.
  • Die Erzähltechnik ist so angelegt, dass der Wirklichkeitsstatus des Erzählten offenbleibt. Durch den Einstieg über die drei Briefe sowie durch personales Erzählen im weiteren Verlauf erhalten Leser:innen verschiedene Perspektiven auf das Geschehen. Der:Die Erzähler:in streut ab und zu einen Kommentar ein oder gibt Hinweise aus einer auktorialen Perspektive. Die Schlüsselszene, als Nathanael in den Streit zwischen Spalanzani und Coppola platzt, ist jedoch vorbehaltlos aus der Sicht Nathanaels erzählt.
  • Die Namen der meisten Figuren sind sprechend, so ist beispielsweise „coppo“ das italienische Wort für Augenhöhle.
  • Die wohl berühmteste Interpretation des Textes stammt von Sigmund Freud. Er setzt sich in seinem Aufsatz „Das Unheimliche“ von 1919 mit der Erzählung auseinander.

Quellen

  • Hoffmann, E. T. A.: Der Sandmann, Stuttgart: Reclam, 2003.
  • Rudolf Drux: „Nachwort“, in: E. T. A. Hoffmann: Der Sandmann, Stuttgart: Reclam, 2003, S. 61-77.

 

Der Originaltext bei GRIN

Der Sandmann

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