In den letzten Jahren lässt sich eine Hinwendung zur Mystik feststellen. Dabei werden von Befürwortern, besonders in der so genannten Esoterikszene, mitunter wahllos die verschiedensten Methoden praktiziert und unter dem Begriff »Mystik« subsumiert. Für Kritiker hingegen ist Mystik, gleich welcher Ausprägung, nichts anderes als ein romantischer Irrationalismus, der in periodischen Abständen die westliche Welt befällt. Zwischen diesen Fronten will diese Arbeit eine Mittelstellung einnehmen und dabei klären, was »Mystik« im eigentlichen Sinn bedeutet und welche Strömungen in der Religionsgeschichte zu Recht das Etikett »Mystik« tragen.
Immer mehr Menschen suchen Führung auf ihrem religiösen Weg. Deswegen ist »Mystagogik«, also die Führung zu den Mysterien der Wirklichkeit, gewissermaßen die immanente Programmatik der angesprochenen neuen Bewegungen. Dabei kommt es allerdings zu allerlei Fehlentwicklungen. Diese weitgehend außer Acht lassend, will die Arbeit mystagogische Grundstrukturen herausarbeiten und deren Vorkommen in den Weltreligionen darstellen. Dabei wird als zentrales mystagogisches Ferment das Meister-Schüler-Verhältnis in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt.
Als pädagogische Grundlegung wird die »Anthropologische Pädagogik« OTTO FRIEDRICH BOLLNOWs vorgestellt. Insbesondere die von der deutschen Existenzphilosophie angeregten »unstetigen Formen der Erziehung« als Teil von BOLLNOWs anthropologischer Pädagogik sind geeignet, um zu den Themen »Mystik« und »Mystagogik« in Beziehung gesetzt zu werden. Es folgen Überblicke über die Phänomene Mystik, Mystagogik und, exemplarisch, über das indische Gurutum. In drei Synopsen werden Bezüge dieser Phänomene zur Pädagogik im Allgemeinen sowie zu BOLLNOWs Unstetigkeitspädagogik im Besonderen herausgearbeitet.
Die zirkuläre Struktur der Arbeit beschließend werden die von BOLLNOW als pädagogische Phänomene behandelten »unstetigen Formen der Erziehung« als mystagogische Phänomene neu formuliert.
In einem abschließenden Resümee werden folgende Grund- und Leitthesen der Arbeit beurteilt:
1. Es besteht eine Verwandtschaft zwischen dem Grundkonzept der unstetigen Erziehungsformen und dem Grundprinzip von Mystik bzw. Mystagogik.
2. Mystagogische Wege lassen sich mit Hilfe BOLLNOWs Konzeption der unstetigen Erziehungsformen strukturieren und werden dadurch transparenter.
3. Die unstetigen Erziehungsformen lassen sich nicht nur als pädagogische, sondern auch als mystagogische Phänomene formulieren.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die unstetigen Erziehungsformen als Teilaspekte der anthropologischen Pädagogik bei OTTO FRIEDRICH BOLLNOW
- Erziehungswissenschaftliche und philosophische Voraussetzungen
- Zwei Grundauffassungen von Erziehung
- Die Existenzphilosophie
- Existenzphilosophie und Pädagogik
- Die unstetigen Erziehungsformen als pädagogische Phänomene
- Die Krise
- Die Ermahnung
- Die Beratung
- Die Begegnung
- Die Erweckung
- Das Grundverständnis von der Erweckung
- Das pädagogische Verständnis von der Erweckung
- Weiterführende Überlegungen
- Kritische Reflexion
- Stetigkeit in der Unstetigkeit
- Erziehungswissenschaftliche und philosophische Voraussetzungen
- Mystik
- Vorverständigung
- Grundformen mystischen Erlebens
- Voraussetzungen und Wege zur Einung
- Die mystische Erfahrung
- Exkurs: Die Erleuchtung
- Mystik und Tat
- Mystik und Sprache
- Erste Synopse: Mystik und anthropologische Pädagogik
- Die anthropologische Pädagogik YUKICHI SHITAHODOS
- Mystik und unstetige Erziehungsformen
- Religion, Mystik und Existenzphilosophie
- Gemeinsame Grundannahmen von Mystik und Unstetigkeitspädagogik
- Die unstetigen Erziehungsformen als Thema mystischer Phänomene
- Die Begegnung
- Die Erweckung
- Die Krise
- Mystagogik
- Vorverständigung
- Der Meister
- Der Schüler
- Der Schulungsweg
- Das Meister-Schüler-Verhältnis
- Probleme und Gefahren
- Exkurs: Mystagogik im westlichen Christentum
- Zweite Synopse: Mystagogik und unstetige Erziehungsformen
- Allgemeine Betrachtung zweier menschlicher Phänomene
- Bezüge der Mystagogik zu den unstetigen Erziehungsformen
- Die Begegnung
- Die Beratung und die Ermahnung
- Die Erweckung
- Exkurs: Die Erweckung in Pädagogik, Existenzphilosophie, Mystik und Initiation
- Die Krise
- Mystagogik im traditionellen indischen Gurutum
- Der Hinduismus als religiöser und gesellschaftlicher Rahmen
- Die Geschichte des Gurutums: Vom vedischen Schriftgelehrten zum Avatara neohinduistischer Prägung
- Weitere Differenzierungen des Gurutums
- Der Guru
- Der Chela
- Exkurs: Indische Wege zu Gott: Gnade, Selbsterlösung oder Werk des Guru?
- Der Guru-Chela-Sambandha
- Dritte Synopse: Gurutum und unstetige Erziehungsformen
- Die Begegnung
- Die Beratung und die Ermahnung
- Die Erweckung
- Die Krise
- Neuformulierung: Die unstetigen Erziehungsformen als mystagogische Phänomene
- Die Begegnung
- Die Ermahnung
- Die Beratung
- Die Erweckung
- Die Krise
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Beziehung zwischen Otto Friedrich Bollnows „unstetigen Erziehungsformen“ und den Phänomenen Mystik und Mystagogik. Ziel ist es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuzeigen und die unstetigen Erziehungsformen in einem mystagogischen Kontext neu zu interpretieren.
- Bollnows anthropologische Pädagogik und die unstetigen Erziehungsformen
- Das Phänomen der Mystik und seine verschiedenen Ausprägungen
- Mystagogik als Führung zu den Mysterien der Wirklichkeit und das Meister-Schüler-Verhältnis
- Vergleichende Analyse von Mystik, Mystagogik und den unstetigen Erziehungsformen
- Das indische Gurutum als Beispiel für mystagogische Praxis
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 2 beschreibt Bollnows Konzept der unstetigen Erziehungsformen (Krise, Ermahnung, Beratung, Begegnung, Erweckung) im Kontext seiner anthropologischen Pädagogik. Kapitel 3 gibt einen Überblick über das Phänomen Mystik, ihre Grundformen und Voraussetzungen. Kapitel 4 vergleicht erste Berührungspunkte zwischen Bollnows Pädagogik und Mystik. Kapitel 5 behandelt grundlegende Aspekte der Mystagogik, insbesondere das Meister-Schüler-Verhältnis. Kapitel 6 setzt Bollnows Pädagogik in Beziehung zur Mystagogik. Kapitel 7 untersucht mystagogische Phänomene am Beispiel des indischen Gurutums. Kapitel 8 beleuchtet die Bezüge zwischen Bollnows Unstetigkeitspädagogik und der indischen Mystagogik.
Schlüsselwörter
Anthropologische Pädagogik, Otto Friedrich Bollnow, unstetige Erziehungsformen, Mystik, Mystagogik, Meister-Schüler-Verhältnis, indisches Gurutum, Existenzphilosophie, religiöse Erfahrung.
- Citation du texte
- Enno de Haan (Auteur), 2002, Mystagogik als pädagogisches Phänomen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107039