Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Peer-Learning
2.1 Begriffsbestimmung
2.2 Hintergrundtheorien
2.2.1 Modelllernen
2.2.2 Diffusionstheorie
2.2.3 Partizipationsansatz
3. Peer-Tutoring
3.1 Begriffsbestimmung
3.2 Tutorien
3.3 Vorteile von Peer-Tutoring
3.4 Rollenkonflikt
4. Forschungen zu Peer-Tutoring
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Peer-Tutoring ist die wohl am häufigsten verbreitete Form von Peer-Learning und besonders im Kontext von hochschulischer Bildung bekannt. Ein Großteil der Hochschulen hat diese Form des Lernens bereits in den hochschuldidaktischen Alltag integriert. Somit bieten viele Hochschulen verschiedene Peer-Tutoring-Angebote, wie beispielsweise Erstsemestertutorien oder Fachtutorien, für die Studierenden an (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender 2016, S. 107).
Im Rahmen dieser schriftlichen Arbeit möchte ich mich mit Peer-Tutoring im Kontext von hochschulischer Bildung beschäftigen. Bei der fachlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema leiten mich vor allem die Fragen nach den Auswirkungen von Peer-Tutoring auf das Lernen von Tutorinnen und Tutandinnen sowie die Verbindungen von Peer-Tutoring zu einzelnen Lerntheorien.
Um die zentralen Fragen dieses Berichtes beantworten zu können, setze ich mich im ersten Teil dieser schriftlichen Arbeit mit Peer-Learning auseinander. Hierfür formuliere ich zunächst eine grundlegende Begriffsbestimmung, um im Anschluss auf drei bekannte Lerntheorien genauer eingehen zu können. Es handelt sich dabei um die Theorie des Modelllernens, die Diffusionstheorie und den Partizipationsansatz.
Im zweiten Teil derArbeitwerde ich meinen Blickgenaueraufdie Form des Peer-Tutoring lenken. Auch an dieser Stelle formuliere ich zunächst eine Begriffsbestimmung als Grundlage, um daran anschließend auf Auswirkungen und Lerneffekte von Peer-Tutoring auf Tutorinnen und Tutandinnen eingehen zu können. Hierbei werde ich, neben möglichen Vorteilen und Rollenkonflikten, auch auf die zwei hochschuldidaktischen Formen von Tutorien, Erstsemestertutorium und Fachtutorium, eingehen.
Im dritten Teil beschäftige ich mich mit einigen empirischen Forschungsarbeiten zum Thema Peer-Tutoring und fasse ihre zentralen Ergebnisse zusammen. Auch an dieser Stelle liegt der Fokus der Studienbetrachtung auf der Beantwortung meiner Fragestellung für diese schriftliche Arbeit.
Zum Abschluss dieses Berichtes werde ich in einem kurzen Fazit kritisch Stellung zur Beantwortung meiner leitenden Fragestellung nehmen.
2. Peer-Learning
2.1 Begriffsbestimmung
Bei der Begriffsbestimmung von 'Peer-Learning' ist es wichtig sich zunächst den Begriff 'Peer' genauer anzuschauen. Der Begriff 'Peer' hat sich aus dem altfranzösischen Wort 'per', heute 'pair', entwickelt (vgl. Rohr; Strauß 2010, S. 4). Es „beschreibt [dabei] ein 'gleich sein' [...] bzw. [...] 'von gleichem Status sein' (ebd., S. 4). Somit ist ein Peer eine Person, die einer anderen Person oder Gruppe in Bezug auf ein bestimmtes Kriterium ähnlich ist. Die Peergroup ist in diesem Zusammenhang wohl der bekannteste Begriff. Jedoch wird er oft mit der Gleichaltrigkeit von Personen assoziiert. Dabei geht es in einer Peergroup vielmehr um einen gleichen bzw. ähnlichen gesellschaftlichen Status und gleiche Erfahrungen und Interessen von Personen (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender 2016, S. 105-106).
Der Begriff 'Peer-Learning' hat somit mit dem Lernen (Learning) in einer Gruppe gleichgesinnten Menschen (Peer) zu tun. Die genaue Definition des Begriffs ist der Literatur sehr unterschiedlich weit gefasst. Im Kontext der Hochschullehre formulieren Rohr, Ouden und Rottlaender (2016) eine eher weiter gefasste Begriffsbestimmung. Hierbei wird Peer-Learning als ein kollegiales Lernen, beispielsweise auf der Ebene von Studierenden oder von Lehrenden, verstanden. Peer-Learning versteht sich somit als eine Abgrenzung vom Ex- perten-Laien-Lernen und ist gleichzeitig eine wichtige Ergänzung dieser Lehr- und Lernmethode (vgl. ebd., S. 106).
Peer-Learning kann in fünf Bereiche aufgeteilt werden. Hierbei wird zwischen Peer-Tutoring, Peer-Counseling, Peer-Support, Peer-Involvement und Peer-Education unterschieden. Im Hochschulkontext sind insbesondere das Peer-Tutoring (Form der Lehre), das Peer-Counseling (Form der Beratung) und der Peer-Support (Form der Unterstützung) bedeutsam (vgl. ebd., S. 106). In Bezug auf die Leitfragen dieser schriftlichen Arbeit werde ich mich im Folgenden vor allem mit dem Bereich des Peer-Tutoring von Studierende für Studierende beschäftigen.
2.2 Hintergrundtheorien
Peer-Learning kann auf verschiedene Hintergrundtheorien zurückgeführt werden. Beispielhaft setzt sich dieses Kapitel mit den Grundzügen des Modelllernens (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender 2016, S. 115), der Diffusionstheorie (vgl. ebd., S. 117) und des Partizipationsansatzes (vgl. ebd, S. 120) auseinander.
2.2.1 Modelllernen
Das Lernen am Modell, auch Soziale Lerntheorie genannt, ist das am häufigsten herangezogene Modell, wenn es darum geht Peer-Learning zu erklären. Die Soziale Lerntheorie ist von A. Bandura (1974) entwickelt worden und basiert auf der Annahme, dass der Mensch durch Modelllernen soziale und andere Kompetenzen erlernt. Die Peers stellen dabei eine Art Rollenmodell dar, welche dem Gegenüber im entsprechenden Themenfeld Wissen, Kompetenzen und Haltungen vermitteln. Das Sammeln eigener Erfahrungen ist bei dieser Form des Lernens keine Grundvoraussetzung. Vielmehr erwerben Menschen durch Beobachtungen und Imitation von Peers entsprechende Kompetenzen. Im Kontext des PeerLearning ist die Frage nach den Bedingungen für die Übernahme von Kompetenzen und Haltungen sowie die Frage nach den Eigenschaften, die Beobachterin und Modell mitbringen muss, besonders interessant (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender 2016, S. 115-116). Dabei sind die kognitiven Fähigkeiten des*der Beobachterin sowie die Beziehung zwischen Modell und Beobachterin ausschlagegebende Kriterien für ein gelingendes Modelllernen (vgl. Appel 2002, S. 61). Zudem können verschiedene Merkmale des Modells das Modelllernen positiv beeinflussen. Dabei spielen zusätzlich zu einer positiven Beziehung auch die wahrgenommene Ähnlichkeit und Identifikation mit dem Modell sowie ein kompetentes Auftreten des Modells eine wichtige Rolle für den*die Beobachterin (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender 2016, S. 116).
Peers bieten in vielen alltäglichen Situationen eine Basis für Vergleiche, da sie durch ein ähnliches Alter und einen vergleichbaren Entwicklungsstand als 'erreichbar' erlebt werden. Diese 'Erreichbarkeit' des Gegenübers schafft eine besondere Wirksamkeit im Modelllernen. Besonders in Situationen, in denen es darum geht verstanden zu werden, ist es leichter mit Personen in einer ähnlichen Lebensphase und -situation zu sprechen, als mit hierarchisch Höhergestellten. Genau dieser grundlegende Gedanke wird auch beim PeerLearning im hochschulischen Kontext, zum Beispiel durch Studierende als Tutorinnen, verfolgt (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender2016, S. 116-117).
2.2.2 Diffusionstheorie
Die Diffusionstheorie von E. M. Rogers (2010) versucht die Verbreitung von Informationen innerhalb eines sozialen Netzwerks zu erklären. Dabei geht es grundlegend um die Verbreitung von Innovationen, die im Zeitverlauf über unterschiedliche Kanäle durch die Menschen des sozialen Netzwerks verbreitet werden. Die Kommunikation dient hierbei als zentrale Möglichkeit der Verbreitung. Das bedeutet, dass neues Wissen, Meinungen und neue Ideen zwischen den sozialen Akteurinnen kommuniziert werden müssen, um sie weiter zu verbreiten (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender 2016, S. 117). Dabei stellt Rogers (2010) hervor, dass ein Austausch von Wissen, Ideen und Meinungen am häufigsten zwischen Peers, also Menschen, die sich ähnlich sind, auftritt (vgl. Rogers 2003, S. 305). Zudem beschreibt er die zentrale Bedeutung eines*r Meinungsführerin. Ein*e Meinungsführerin ist eine Person, die Innovationen bewusst in ihrem sozialen Netzwerk verbreitet und somit einen Einfluss auf die Übernahme von Meinungen, Ideen und Wissen hat (vgl. ebd., S. 300). Somit kann ein*e Meinungsführerin im Peer-Learning, also ein*e Tutorin, für die informelle oder formelle Kommunikation unter den Gleichgesinnten eingesetzt werden. Die gezielte Verbreitung von Wissen und Informationen ermöglicht einen gemeinschaftlichen Austausch innerhalb der Peergroup. So kann beispielsweise auch wesentliches informelles hochschuldidaktisches Wissen unter den Studierenden schneller und effektiver verbreitet werden. Dennoch ist es schwierig diese Form der Wissensvermittlung strategisch in der Hochschuldidaktik einzusetzen, da die Ergebnisse des resultierenden Peer-Learning nicht messbar sind (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender 2016, S. 118). Dies liegt vor allem daran, dass die Wirksamkeit und Effektivität der „Mund-zu-Mund-Propaganda“ (ebd., S. 118) innerhalb der Zielgruppe nicht eindeutig definierbar sind (vgl. Appel 2002, S. 78).
2.2.3 Partizipationsansatz
Partizipation, also die Teilhabe (vgl. Duden o.J.), ist sowohl im gesellschaftlichen Lebensumfeld als auch in institutionellen Systemen ein zentraler Bestandteil von Demokratie. Somit ist die Möglichkeit der Partizipation auch in der hochschulischen Bildung unerlässlich. Das Einbeziehen und Berücksichtigen von Meinungen und Bedürfnissen, beispielsweise der Studierenden, bietet für alle Beteiligten positive Effekte. Eine Möglichkeit der Partizipation an Hochschulen können zum Beispiel Peer-Tutoring-Programme bieten. Hierbei haben die Tutor*innen die Gelegenheit wesentliche Kompetenzen zu erwerben, sich mit Peers auszutauschen und das erworbene Wissen an andere Studierende weiterzugeben. Partizipation in Peer-Learning-Formaten ermöglicht somit eine Erweiterung von Spielräumen und Kompetenzen der hochschulischen Bildung, da viele Angelegenheiten von Studierenden selbstständig und ohne bzw. mit wenig Einfluss von Lehrenden geregelt werden können. Dabei geht es jedoch nicht nur um die Vermittlung von Lerninhalten, sondern auch um die Einbindung in Entscheidungen rund ums Lernsetting und die Abgabe von Verantwortung. Studierende werden hierbei als Expertinnen des eigenen Bereiches angesehen, was wiederrum einen positiven Effekt auf das Mitgliedsgefühl an der eigenen Hochschule mit sich bringt (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender2016, S. 120-121).
3. Peer-Tutoring
3.1 Begriffsbestimmung
Wie bereits im voran gegangenen Kapitel beschrieben ist Peer-Tutoring eine Form des Peer-Learning. Der Fokus liegt hierbei vor allem auf der Vermittlung von Wissen sowie dem Erwerb fachlicher Kompetenzen. Insbesondere im Kontext von Hochschulbildung ist das Peer-Tutoring bekannt. Hier übernehmen Studierende aus höheren Fachsemestern Tutorinnentätigkeiten, um anderen Studierenden in niedrigeren Fachsemestern zum Beispiel in der Studienanfangsphase zu unterstützen. Die Grundlage von Peer-Tutoring ist somit, dass die Studierenden, die eine Tutor*innentätigkeit übernehmen in der Fachthematik etwas weiter ausgebildet sind, als die entsprechende Zielgruppe. Dennoch sind die durch den eigenen Status als Student*in gleichgesinnte und nah an der Zielgruppe dran. Die Tutorinnen sind somit lediglich durch ihren Wissensstand und ihre fachliche Entwicklung etwas 'weiter' (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender 2016, S. 107). Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass ein Lernprozess innerhalb eines Peer-Tutorings immer auf zwei Seiten zu beobachten ist. Denn sowohl der*die Tutorin, welche*r die Lerninhalte unterrichtet als auch der*die Unterrichtete (Tutandin), der*die Wissen vermittelt bekommt, erlangen ein Zuwachs an Kompetenzen und (Fach-)Wissen. Die grundlegende Organisation eines Peer-Tutoring, also welche Inhalte besprochen und welche Aktivitäten durchgeführt werden, liegt dabei in der Verantwortung einer professionellen Fachkraft (z.B. Lehrerin oder Dozentin) (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender2016, S. 107).
Der Ursprung des Peer-Tutoring lässt sich bereits in der antiken römischen und griechischen Lehre im ersten Jahrhundert, unteranderem bei Aristoteles, erkennen. Eine Wiederbelebung erfährt das Peer-Tutoring erst im 18./19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten durch die Pädagogen J. Lancaster und A. Bell. Durch diese Wiederbelebung beginnt sich das Peer-Tutoring als Form des Peer-Learnings stark auszubreiten und hat vor allem in den letzten Jahrzehnten eine zentrale Rolle in der (hoch-)schulischen Bildung eingenommen (vgl. Rohr; Ouden; Rottlaender2016, S. 108).
3.2 Tutorien
An Hochschulen gibt es abhängig vom Fachbereich verschiedene Aufgaben und Bezeichnungen von Tutorien (vgl. Rohr; den Ouden; Rottlaender 2016, S. 108). Grundlegend können zwei Formen von Tutorien unterschieden werden: zum einen das Orientierungs- bzw. Erstsemestertutorium und zum anderen das Fachtutorium. Das Orientierungs-/ Erstsemestertutorium findet in der Studieneingangsphase statt und hat die soziale Einbeziehung und Orientierung im Fachbereich, an der Hochschule und im Hochschulort als Ziel. Diese Form von Tutorien dient somit als Möglichkeit Kommilitoninnen kennenzulernen und Unsicherheiten in Bezug auf das Studium abzubauen. Somit haben sie eine sozial-organisatorische Funktion, welche über das gesamte Erstsemester oder lediglich in der ersten Vorlesungswoche stattfindet (vgl. Kröpke 2015, S. 22-23). Diese soziale Form von Tutorien wird vielfach auch im Rahmen von internationalen Studienangeboten eingesetzt (vgl. Rohr; den Ouden; Rottlaender 2016, S. 109). Im Gegensatz dazu bieten Fachtutorien keine soziale, sondern eine fachliche Unterstützung im Studienverlauf. Die Häufigkeit von solchen Tutorien ist abhängig vom jeweiligen Fachbereich und kann dadurch sehr variabel sein. Naturwissenschaftliche Studiengänge bieten beispielsweise viel häufiger Fachtutorien an als die Geisteswissenschaft. Fachtutorien haben das Ziel, behandelte Inhalte aus den Lehrveranstaltungen zu wiederholen und zu vertiefen. Dadurch können sie vorlesungsbegleitend, als Übungsrahmen der wissenschaftlichen Praxis (vgl. ebd., S. 109) oder zur Prüfungsvorbereitung stattfinden (vgl. Antosch-Bardohn; Beege; Primus 2016, S. 15). Die Fachtutorien werden dabei häufig durch Studierende aus dem gleichen Fachbereich, aber aus höheren Semestern geleitet und in Kleingruppen durchgeführt (vgl. ebd., S.14). Fachtutor*innen übernehmen dabei eine wesentliche Rolle im System der Hochschule. Durch eine erfolgreiche Durchführung des Tutoriums werden den Lehrenden nicht nur Aufgabenbereiche abgenommen, sondern die Tutor*innen übernehmen gleichzeitig eine zentrale Rolle für das zugehörige Modul. Fachtutor*innen haben einen engen Kontakt zu den Studierenden, weshalb sie die Lernprozesse und die Selbstständigkeit der Studierenden fördern. Durch die beratende und helfende Tätigkeit der Tutor*innen wird eine Begleitung der Studierenden in den unterschiedlichen Lernprozessen sowie eine Unterstützung bei Schwierigkeiten und Widerständen ermöglicht. Vor allem Lernwiderstände und -schwierigkeiten werden durch Peer-Tutor*innen leichter erkannt, als durch Lehrende (vgl. Rohr; den Ouden; Rottlaender 2016, S. 109).
Fachtutor*innen können somit ,,[u]nter Umständen [...] entscheidend zur Reduktion der Studienabbruchsquote, zur Verbesserung der Durchschnittsnoten und zur Erhöhung des Ansehens der Hochschule bei[tragen]“ (ebd., S. 109). Zudem kann die Durchführung von Fachtutorien eine Möglichkeit der Erprobung von Lehre sein und zukünftige Nachwuchswissenschaftlerinnen rekrutieren (vgl. ebd., S. 109).
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