Naturwissenschaftliche Forschung in Deutschland in Zusammenhang mit der chilenischen Salpeterwirtschaft


Seminar Paper, 2008

35 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhalt

Einleitung

1. Anfänge im 19. Jahrhundert
1.1 Justus von Liebig und die Agrikulturchemie
1.2 Entwicklung des chilenischen Salpeterhandels

2. Chemische Forschung im Kaiserreich
2.1 Stickstoffforschungen
2.2 Das Haber- Bosch- Verfahren bis
2.3 Forschungen als Spielball deutscher Machtpolitik im Zuge des Ersten Weltkrieges
2.4 Die chemische Industrie im Krieg und das Stickstoffmonopol

3. Die Bindung der chilenischen Wirtschaft an den Rohstoff Salpeter und die Folgen
3.1 Der Salpeterhandel bis zum Ersten Weltkrieg
3.2 Handel und Export während des Ersten Weltkrieges
3.3 Der Zusammenbruch und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen

4. Perzeption des Zusammenhangs zwischen Salpeterhandel und deutscher Forschungsentwicklung
4.1 Chile
4.2 Deutschland
4.3 Perzeptionen in der Literatur

5. Aspekte der Dependenztheorie am Beispiel der wirtschaftlichen Entwicklung Chiles

Fazit

Quellen- und Literaturangaben

Anhang (gesondert)

Einleitung

Der Zusammenhang zwischen chemischer Forschung in Deutschland und der Salpeterwirtschaft Chiles ist weitgehend anerkannt und wird vor allem in der nicht-wissenschaftlichen Literatur immer wieder aufgegriffen. „…deutsche Chemiker an der Wiege und an der Bahre des Salpeters“1 0der „ Die Sieger des Pazifikkrieges wurden von deutschen Chemikern besiegt“2- solche provokanten Parolen markieren häufig vor allem linksliberale Publikationen. Aber auch in wissenschaftlicher Literatur wird die Verflechtung deutscher Chemiker und chilenischem Salpeter erwähnt.

Diese Arbeit befasst sich mit den Wechselwirkungen zwischen deutscher naturwissenschaftlicher Forschung und dem Aufschwung und Niedergang des chilenischen Salpeterhandels schwerpunktmäßig zur Zeit des deutschen Kaiserreichs. Es erscheint nicht sinnvoll, ausschließlich diese Jahre zu betrachten, da der Aufschwung der Salpeterwirtschaft bereits nach den Pazifikkriegen 1879 bis 1883 begann, in denen Chile die bolivianischen beziehungsweise peruanischen Provinzen Atacama und Tarapaca eroberte und sich somit reiche Salpetervorkommen sicherte. Dass Nitrate sich hervorragend als Düngemittel eignen, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt, nachdem der deutsche Naturwissenschaftler Justus von Liebig um 1840 die Agrikulturchemie begründet hatte. Das in Lateinamerika vorkommende Natriumnitrat war infolgedessen ein begehrter Rohstoff. Daher wuchsen die Exportraten des Rohstoffes Salpeter in die Industrienationen rasant. Das Deutsche Reich war ein Hauptabnehmer.

Die chemische Forschung entwickelte sich jedoch weiter. Zur Zeit des deutschen Kaiserreichs lagen deutsche Chemiker und Physiker weltweit vorn in der naturwissenschaftlichen Forschung.

Es gab bereits um die Jahrhundertwende Bestrebungen, unabhängig von den Natriumnitratimporten aus Chile zu werden. Mit der Entwicklung dieser Forschung wird sich das zweite Kapitel dieser Arbeit beschäftigen.

Wichtig war Salpeter nicht nur als Rohstoff für Düngemittel. Es handelte sich hierbei auch um eine Chemikalie, aus der die für die Herstellung von Sprengstoff benötigte Salpetersäure gewonnen wurde. Bereits um 1900 arbeitete Wilhelm Ostwald an einem Verfahren, diese künstlich aus Ammoniak herzustellen.

Vervollständigt wurde dieses aber erst durch die Entwicklung des Haber- Bosch-Verfahrens zur künstlichen Darstellung von Ammoniak durch den Chemiker Fritz Haber und den Ingenieur Carl Bosch.

Ein wichtiger Punkt ist die Nutzung dieses Verfahrens durch Militär und Regierung während des Ersten Weltkriegs. Zu Beginn gelang es den Alliierten, das Deutsche Reich von der Versorgung mit Salpeter abzuschneiden. Daraufhin förderte die Oberste Heeresleitung stark die industrielle

Großproduktion durch das Haber-Bosch- Verfahren, um von den Importen endgültig unabhängig zu werden und den Krieg fortsetzen zu können.

Des Weiteren wird die Entwicklung in Chile behandelt werden. Hierbei werden zuerst Produktion, Exporte und Preise des Salpeters vor dem Zweiten Weltkrieg betrachtet, die zum Teil stark schwankten. Während des Zweiten Weltkriegs änderte sich die Struktur des Handels, da durch die Seeblockade Deutschland kein Abnehmer mehr war. Hingegen wuchsen die Exportraten an die Alliierten. Dieser Sachverhalt sowie die Konzentration der Wirtschaft auf den Salpeterexport werden in der Arbeit thematisiert werden. Am Ende dieses Kapitels werden der Zusammenbruch der Salpeterwirtschaft und die wirtschaftliche und sozialen Folgen behandelt.

Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit der Perzeption des Zusammenhangs zwischen chemischer Forschung und des Salpeterhandels in beiden Ländern. Auf deutscher Seite ist dieser präsent. Fritz Haber und Carl Bosch erwähnten ihn immer wieder in Reden und Gedenkschriften nach dem Ersten Weltkrieg. In einer Dokumentation des Komitees für Chilesalpeter ist im Vorwort von der engen Verbindung Deutschlands mit Chile zu lesen.3 Chilenischen Wirtschaftswissenschaftlern ist die enge wirtschaftliche Verbindung des Landes mit dem Deutschen Reich bewusst. Dieses wird in den

„Memorias de Licenciados Ciencias Economicas“, 1950 an der Fakultät der Rechts- und Sozialwissenschaften der Universität in Santiago de Chile erschienen, thematisiert.4

Das letzte Kapitel der Arbeit ist eine punktuelle theoretische Reflexion, eine Betrachtung einiger Aspekte der Diskussion um die wirtschaftliche Abhängigkeit Chiles von den Industriemächten. Der Imperialismusbegriff tritt an dieser Stelle zurück, da eine Behandlung dessen im Rahmen dieser Arbeit zu komplex wäre. Die Grundlage bildet die Frage, ob dieses Fallbeispiel die so genannte Dependenztheorie untermauert. Es ist dazu erforderlich, die Theorie kurz darzustellen und dann die Aspekte gegeneinander abzuwiegen.

Die Quellen- und Literaturlage ist zwiespältig. Zur deutschen Wissenschaftsgeschichte liegen reichlich Quellen vor, zum Beispiel nahezu vollständige Forschungsdokumentationen.

Auch sind diverse Reden und Schriften von Fritz Haber oder Carl Bosch erhalten. Literatur hierzu ist ebenfalls in ausreichendem Maß vorhanden. Der Zusammenhang zwischen deutscher Wissenschaftsgeschichte und der Chilesalpeterwirtschaft wird, wie bereits erwähnt, in den Quellen immer wieder thematisiert, vor allem in Reden und Schriften von Fritz Haber.

Diese Beziehung ist in der wissenschaftlichen Literatur seltener dargestellt. Oft wird der Zusammenhang nur am Rande erwähnt. Daher ist es nötig, Literatur zur deutschen naturwissenschaftlichen Forschung sowie zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Chiles zu verwenden. Weiterhin erfolgt eine Darstellung zwischen beiden Entwicklungen durch den Vergleich von Daten und Statistiken.

Quellen zu den wirtschaftlichen und sozialen Prozessen in Chile im zu betrachtenden Zeitraum sind nur bruchstückhaft vorhanden. Die Entwicklungen wurden jährlich durch das „Oficina Central de Estadistíca“ dokumentiert. Diese Dokumentationen liegen jedoch nicht vollständig vor, daher ergibt sich kein klares Bild. Die Angaben von 1909 bis 1912 sind komplett. Eine frühere Ausgabe von 1906 ist ebenfalls vorhanden. Es lassen sich also Tendenzen von Anfang des 20. Jahrhunderts aufzeigen.

Dokumentiert wird hier der für diese Arbeit wichtige Zeitabschnitt zwischen 1914 und 1920. Es ist nötig, auf Tabellen zurück zu greifen, die in einer Dissertation aus dem Jahr 1927 von Karl Gregory nach den Angaben der „Asociación de Productores de Salitre de Chile“, Valparaiso, der so genannten „Half- Yearly Reports“ der Firma Henry Bath & Son, London, des Stickstoffsyndikats G.m.b.H., Berlin, und den Niederschriften der Sitzungen über allgemeine Düngerangelegenheiten im Preußischen Landwirtschaftsministerium aufgestellt wurden. Es handelt sich also dabei nicht um Quellen, aber die Aufstellungen beruhen auf Originaldaten. Die Angaben sind relativ vollständig. Die Daten bis 1930 sind ebenfalls relevant, da 1930 der Export von Chilesalpeter endgültig zusammenbrach. Diese mussten jedoch aus Tabellen der Literatur entnommen werden. Die aufgestellten Tabellen und Auswertungen befinden sich im Anhang.

Insgesamt ist es also möglich, Handel, Export und Import von Chilesalpeter auf chilenischer und deutscher Seite zu beschreiben. …

1. Anfänge im 19. Jahrhundert

1.1 Justus von Liebig und die Agrikulturchemie

Der Name Justus von Liebig wird stets mit Düngemitteln in Verbindung gebracht. Oft wird Liebig, der Begründer der Agrikulturchemie, auch als derjenige gesehen, der den entscheidenden wissenschaftlichen Anstoß gab, Salpeter landwirtschaftlich zu nutzen und damit der chilenischen Wirtschaft eine Richtung vorgab.5. Jedoch war er nicht der Forscher, der den Stickstoffbedarf von Pflanzen und den entsprechenden Bindungsmechanismus erkannte. Somit war es ihm unmöglich, Nitrate aufgrund ihres hohen Stickstoffgehalts als Düngemittel zu betrachten.

Bis etwa 1840 war das Wissen in Europa in Bezug auf Effektivität in der Landwirtschaft gering. Es wurden gelegentlich Salze verwendet, um das Wachstum der Pflanzen zu verbessern, jedoch gab es keine gängige Praxis. Der Effekt von Nitraten war noch nicht ausreichend erforscht worden.6

Dabei wurde Salpeter bereits genutzt. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte der deutsche Naturforscher Thadäus Haenke ein Verfahren zur Nutzbarmachung der im Boden enthaltenen Salze entwickelt. Daraufhin entstanden in den Jahren 1810- 1812 die ersten Salpetersiedereien.7

Liebig veröffentlichte 1840 ein Werk über Pflanzenphysiologie, das nach Meinung von Oscar Bermudez Miral nicht nur Veränderungen in der Landwirtschaft nach sich zog, sondern auf längere Sicht auch die Entwicklung der Salpeterindustrie beeinflusste. Der Forscher zeigte auf, dass organische Substanzen von Pflanzen aufgenommen werden, die diese für ihr Wachstum verwenden und sie dann an den Boden zurückgeben. Damit war die Wichtigkeit mineralhaltiger Substanzen bewiesen.8

Als erste Substanz identifizierte Liebig Calciumphosphat, außerdem propagierte er die Bedeutung von schwefliger Säure aus Knochen, die in der Landwirtschaft bereits länger bekannt waren. Sein Vorschlag war dann, den Stoff Ammoniumsulfat großtechnisch herzustellen und als Dünger zu verwenden.

Dass Salpeter das Pflanzenwachstum verbessert, wurde in den 1850er Jahren durch den Wissenschaftler Glauber entdeckt.9 Fritz Haber hebt in einem Vortrag, gehalten am 2. Juni 1920 in Stockholm beim Empfang des Nobelpreises, die Wichtigkeit der Entdeckung hervor, dass Pflanzen Stickstoff nicht aus der Atmosphäre aufnehmen können, sondern diesen an Sauerstoff gebunden als Salpeterstickstoff benötigen.1011 Zwischen den Jahren 1830 und 1869 vervierfachte sich die Exportrate des Salpeters bereits von 4.775.633 quintales von 1830 bis 1849 auf 26.472.489 quintales zwischen 1850 und 1869.12. Um 1850 begann ein Wettstreit im Export der von den peruanischen Guanoinseln stammenden Düngemitteln und denen aus der Wüste Tarapaqua.13

1.2 Entwicklung des chilenischen Salpeterhandels

In den 1860er und 1870er Jahren lagen die Zentren der Salpeterproduktion nicht ausschließlich in Chile. Der Norden Chiles war ein wichtiges Gebiet, die Provinz Tarápaca gehörte zu Peru, ein weiteres Zentrum war die Küstenregion Boliviens. Salpeter fand in dieser Zeit als Exportprodukt verstärkt Absatzmärkte.14 In der durch das Berliner Komitee für Chilesalpeter überreichten Broschüre „100 Jahre Chilesalpeter“ werden ausführlich die technischen Fortschritte beschrieben, die moderne Herstellungsmethoden möglich machten.15

Nach Werner Haase waren im Jahr 1878, das Jahr vor dem Beginn des Pazifikkrieges, 58%, der größte Teil des Kapitals der Salpeterproduktion peruanischer Herkunft, 19% der Unternehmen waren chilenisch, 13,5% britisch.16 Stefan Rinke ist jedoch der Ansicht, dass die wirtschaftliche Machtverteilung anders gelagert war. Während es sich bei den peruanischen und chilenischen oficinas meist um Kleinbetriebe handelte, konzentrierte sich das Auslandskapital auf wenige große Firmen wie Gibbs & Co, J. D. Campbell & Co. oder Clark, Eck & Co.17 Rinke stimmt mit Thomas O´Brien überein, dass die Europäer über Wettbewerbsvorteile wie besseres Management, überlegene Technologie und vor allem Beziehungen zu den Salpetermärkten verfügten. Dagegen waren die chilenischen und peruanischen salitreros sowohl auf die Vermarktung als auch die Kredite englischer und deutscher Kommissionshäuser angewiesen und somit krisenanfälliger als die europäische Konkurrenz.18

Sowohl in Bolivien als auch in Peru waren die Beziehungen zwischen Regierung und ausländischen Investoren wenig harmonisch. Im Zuge einer wirtschaftlichen Krise verstaatlichte die peruanische Regierung ab 1875 die Salpeterindustrie. Ausländische Privatunternehmen erhielten Entschädigungen und sollten ihre oficinas weiter betreiben. Die chilenischen Unternehmer erhielten in der Regel keine Produktionsverträge, was für sie das Aus bedeutete. Auf Kosten der Anteile des chilenischen Kapitals stieg der europäische Anteil stark an, eine Entwicklung, für die man in Chile die peruanische Politik verantwortlich machte.

In Bolivien wurde der Salpeter hauptsächlich von chilenischen Kleinbetrieben produziert. Die einzige Ausnahme bildete das Unternehmen Cia. de Salitres y Ferrocarril de Antofagasta. Hier herrschte eine Allianz zwischen Augustín Edwards und Gibbs, einem Chilenen und einem britischen Handelshaus. Ende der 1870er Jahre plante die bolivianische Regierung, den chilenischen Einfluss einzudämmen und drohte, die Antofagasta- Gesellschaft mit einem Ausfuhrzoll zu belegen. Daraufhin spitzte sich die politische Lage zu. Laut Rinke erzeugten die Salpeterunternehmen durch politischen Einfluss eine Kriegsstimmung in Chile, die durch die Wirtschaftskrise begünstigt wurde. Weite Teile der Oligarchie waren bereit, von dieser durch einen externen Konflikt abzulenken und sie durch die Eroberung der Salpetervorkommen der Nachbarstaaten zu lösen. Nach wenigen Monaten hatten die chilenischen Truppen die bolivianischen Salpeterregionen und nach dem peruanischen Kriegseintritt auch Tarapaca erobert. 1883 wurden diese Provinzen Teil des chilenischen Territoriums.1920 Gerhard Stapelfeldt vertritt die Ansicht, dass der Pazifikkrieg durch das Eingreifen Großbritanniens entschieden wurde. Britische Spekulanten hatten bei der Verstaatlichung der peruanischen Salpeterfirmen billig Schuldscheine von der Regierung erworben. Ihr Interesse an einem Sieg Chiles war dadurch begründet, dass die chilenische Regierung die

Salpeterwirtschaft reprivatisierte und die Salpetergruben 1881 ihren ehemaligen Besitzern zurückgab.21 Auch nach Galeano befand sich nach dem Krieg die Salpeterwirtschaft Chiles in der Hand britischer Investoren.22 Weder Stapelfeldt noch Galeano belegen ihre Thesen mit Daten. Besonders Galeanos Aussagen sind ideologisch linksgerichtet und häufig unwissenschaftlich.

Bermudez erklärt, seit 1880 wäre ein neues Gesicht der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Chiles zu sehen gewesen. In der Industrie hätte man von dem Beginn einer Ära des Fortschritts sprechen können.23

2. Chemische Forschung im Kaiserreich

2.1 Stickstoffforschungen

Die Sicherung des landwirtschaftlichen Bedarfs an Stickstoffverbindungen wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zum tragenden Problem. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Rohstoffquellen nicht endlos ergiebig waren. Farmer hatten gelernt, durch den Gebrauch von Guano und Nitraten das Pflanzenwachstum zu verbessern, aber ihr Bedarf war zu hoch, um ihn auf Dauer durch natürliche Ressourcen zu decken.24 Das ständige Anwachsen der Weltbevölkerung und das damit verbundene Ernährungsproblem in Kombination mit den schwindenden Vorräten an Chilesalpeter machten eine Weiterentwicklung im Bereich der Stickstoffchemie nötig. Erklärtes Ziel war die Bindung des atmosphärischen Stickstoffs.25 Die Erkenntnis, dass durch Bodenfeuchtigkeit verschiedene Stickstoffverbindungen in Ammoniak26 umgewandelt werden, legte die Grundlage für die Ausarbeitung eines großtechnischen Verfahrens zur Herstellung von Düngemitteln und

Ammoniak. Dieses wurde letztendlich als das Haber- Bosch- Verfahren bekannt.27 Bei der Verleihung des Nobelpreises für die Darstellung des Ammoniaks aus Stickstoff und Wasserstoff betonte Fritz Haber ausdrücklich die volkswirtschaftliche Notwendigkeit dieser Entwicklung, die er neben dem wissenschaftlichen Selbstzweck als Antriebsfeder seiner Arbeit sieht.28 Die Notwendigkeit der Entwicklung des Haber- Bosch- Verfahrens zur Herstellung von Sprengstoff wird an dieser Stelle nicht erwähnt.

Auf dem Weg zur Bindung des Luftstickstoffs gab es zahlreiche Zwischenstufen. Einen entscheidenden Anstoß lieferte 1900 der Leipziger Physikochemiker Wilhelm Ostwald. Laut einem undatierten Bericht seiner Tochter Grete Ostwald gelangte er 1900 zu der Erkenntnis, dass mit Hilfe eines Katalysators Ammoniak sich aus seinen Elementen darstellen lassen müsste. In diesem Bericht wird bereits deutlich, dass es bei der Stickstoffforschung nicht ausschließlich um die Sicherung des landwirtschaftlichen Bedarfs und das Ernährungsproblem der Bevölkerung ging.

Grete Ostwald zitiert eine Überlegung ihres Vaters, dass sich die „für den Krieg notwendige Salpetersäure29 …durch Oxydation des synthetischen Ammoniaks mittels Luftsauerstoff unter Benutzung von Katalysatoren erzeugen“ ließe.30 Joseph Borkin und Charles Welsh vertreten sogar die Ansicht, dass bereits von 1904 bis 1914 in der Industrie besonders durch die IG Farben Anstrengungen unternommen worden wären, Deutschlands Abhängigkeit von ausländischen Quellen zu überwinden. Die Vorbereitung für den ersten „ Chemikerkrieg“ seien mit deutscher Gründlichkeit durchgeführt worden.31 Trotz der Partei ergreifenden Formulierungen scheinen die Ausführungen nicht unrealistisch.32

Sein Vorhaben gelang Wilhelm Ostwald jedoch nicht. Die technische Realisierung seiner Idee, Ammoniak durch den Katalysator33 Eisen aus seinen Elementen zu bilden, erwies sich als äußerst kompliziert. Er bot 1900 der BASF und den Farbwerken Hoechst die Nutzung seiner Erkenntnisse an. Deren Überprüfung verlief jedoch negativ.34 Die Gewinnung von Ammoniak war eine Täuschung. Grete Ostwald merkt in ihrem Bericht an, dass „die kleinen und großen Hasen im Laufe des nächsten Jahrzehnts“ von Fritz Haber und Carl Bosch geschossen wurden.35 Neben einer gewissen Resignation lässt sich aus dieser Bemerkung schließen, dass der Bericht nach der vollständigen Entwicklung des Haber- Bosch - Verfahrens erstellt wurde, also im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts.

Wilhelm Ostwald konnte lediglich das Verfahren verwirklichen, Salpetersäure durch Oxidation36

Ammoniak herzustellen, wobei der einen Platin- Katalysator verwendete. Dieses Verfahren wurde später als das Ostwald- Verfahren bekannt. Auch hier scheiterte jedoch eine Patentanmeldung. Aus einem vertraulichen Bericht der BASF an die Farbwerke Hoechst vom 5. Dezember 1901 geht hervor, dass beide Firmen der Ansicht waren, dass dieses Verfahren bereits durch andere Wissenschaftler wie Kühlmann publiziert sei und man deshalb ein Patent ablehnen solle.37

2.2 Das Haber- Bosch- Verfahren bis 1913

Die wissenschaftliche Lösung des Problems der Ammoniaksynthese lieferte der Chemiker Fritz Haber in den Jahren 1904 bis 1909. Bis zur Entdeckung des Katalysators Osmium 1909 bezeichnete er seine Forschungen als „indirekten Weg“. Dieser indirekte Weg war ein Zirkulationsverfahren, das 1908 bei der BASF patentiert wurde. Haber selbst gibt an, dass dieses Patent und ein lukrativer Mitarbeitervertrag ihm seine Arbeit wesentlich erleichterte, obwohl das Risiko eines Scheiterns noch immer groß war.38

1909 verbesserte Haber die Ausbeute an Ammoniak in seinen Versuchen erheblich durch die Entdeckung des Katalysators Osmium unter Verwendung hoher Drücke39. Infolge meldete er das so genannte Ammoniaksynthese- Hochdruck- Patent (DRP 238450) an. Wissenschaftlich experimentell war das Problem gelöst, nun galt es, eine industrielle Großproduktion möglich zu machen. Haber erwähnte beim Empfang des Nobelpreises 1920 in diesem Zusammenhang das Verdienst des Industriechemikers und technischen Leiters Carl Bosch. Dieser ermöglichte unter anderem die Entwicklung geeigneter Apparaturen und preiswerter Verfahren.40

1913 wurde die erste Produktionsanlage für synthetischen Ammoniak der BASF in Oppau in Betrieb genommen. Industrielle Großproduktion fand aber erst während des Ersten Weltkriegs statt. In Stockholm erwähnt Fritz Haber die Bedeutung des von ihm und Carl Bosch entwickelten Verfahrens für die Produktion von Sprengstoff nicht. Diese soll im Folgenden betrachtet werden.

[...]


1 Jens Holst: Weißes Gold. In: Lateinamerika Nachrichten 273. Berlin, März 1997, S. 29.

2 Eduardo Galeano: Die offenen Adern Lateinamerikas. Wuppertal, 1973, 17. Auflage 2003, S. 427.

3 Paul Oestreich: Das Land Chile. In: 100 Jahre Chilesalpeter. Übereicht durch das Komitee für Chilesalpeter in Berlin. Berlin 1930, S. 3-7, S.4ff.

4 Memorias de Licenciados. Ciencias Economicas. Band II und IV. Faculdad de Ciencias Juridicas y Sociales, Universidad de Chile. Santiago de Chile, 1950.

5 Holst: Weißes Gold, S. 29.

6 Oscar Bermudez Miral: Historia del Salitre. Santiago de Chile, 1963, S.155.

7 Ohne Autor: Die Entwicklung der Salpeter- Industrie. In: 100 Jahre Chilesalpeter. Übereicht durch das Komitee für Chilesalpeter in Berlin. Berlin, 1930, S. 8-12, S.8.

8 Bermudez: Historia del Salitre, S.155 f.

9 Fred Aftalion: A History of the Chemical Industry. Philadelphia, 1991, S.26.

10 Fritz Haber: Über die Darstellung des Ammoniaks aus Stickstoff und Wasser. Vortrag, gehalten beim Empfang des Nobelpreises in Stockholm am 2.Juni 1920. In: Fritz Haber: Fünf Vorträge aus den Jahren 1920 – 1923. Berlin, 1924, S. 1- 24, S.2 f.

11 Im Salpeter sind drei Sauerstoffatome an ein Stickstoffatom gebunden, diese Verbindungen werden als Nitrate bezeichnet. Beim Chilesalpeter handelt es sich um Natriumnitrat, es existieren auch andere Nitrate.

12 1 quintal = circa 46 Kilogramm, Doppelzentner, quintal métrico: Ein Doppelzentner.

13 Bermudez: Historia del Salitre, S.158.

14 Stefan Rinke: Die chilenische Salpeterwirtschaft zwischen ausländischem Kapital, wirtschaftlichen Eliten und Staat, 1880- 1930. In: Fischer, Thomas (Hrsg.): Ausländische Unternehmen und einheimische Eliten in Lateinamerika. Historische Erfahrungen und aktuelle Tendenzen. Frankfurt am Main, 2001, S. 199- 226, S.204.

15 Ohne Autor: Die Entwicklung der Chilesalpeterindustrie, S.9.

16 Werner Haase: Die chilenische Salpeterindustrie und ihre Zusammenfassung in der Compania de Salitre de Chile. Düsseldorf 1934, S.10.

17 Rinke, Die chilenische Salpeterwirtschaft, S.204.

18 Thomas F O'Brien: The nitrate industry and Chile's crucial transition. New York, London, 1982, S. 8-25.

19 Rinke: Die chilenische Salpeterwirtschaft, S.204f.

20 Einen Überblick über den Salpeterkrieg liefert zum Beispiel William F. Slater: Chile and the War of the Pacific. Lincoln, 1986.

21 Gerhard Stapelfeldt: Verelendung und Urbanisierung in der Dritten Welt. Saarbrücken, Fort Lauderdale,1990 , S.89.

22 Galeano: Die offenen Adern, S.277.

23 Bermudez: Historia del Salitre, S. 410.

24 Scott Fields: Global Nitrogen: “Cycling out of Control”. In: Enviromental Health Perspectives. Ohne Ort, 2004, S. 2, S.2.

25 Pflanzen können Stickstoff nicht nur an Sauerstoff gebunden aufnehmen, auch andere Stickstoffverbindungen fördern das Wachstum.

26 Ammoniak ist eine Verbindung aus drei Wasserstoffatomen und einem Stickstoffatom.

27 Irene Strube, Rüdiger Stolz, Horst Remane: Geschichte der Chemie. Berlin, 1988, S.146 ff.

28 Haber: Darstellung des Ammoniaks, S.2.

29 In der Salpetersäure ist ein Wasserstoffatom an das Nitration gebunden, wodurch die Säureeigenschaften bedingt werden. Salpetersäure ist eine Grundlage für verschiedene Sprengstoffe und wurde um bis zur Entwicklung des Haber- Bosch- Verfahrens aus Nitraten, vor allem aus Chilesalpeter hergestellt.

30 Grete Ostwald: Bericht, ohne Datum, In: Dokumente aus den Höchster Archiven 5. Wiesbaden, 1964, S. 11- 13, S. 11.

31 Joseph Borkin und Charles A. Welsh: Germanys Master Plan: The Story of Industrial Offensive. New York, 1943, S. 26.

32 Siehe auch: Joseph Borkin: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main. New York, 1981.

33 Ein Katalysator ist ein Stoff, der eine Reaktion zwischen anderen Stoffen beschleunigt oder erst möglich macht und aus der Reaktion unverändert hervorgeht.

34 Strube, Stolz, Remane: Geschichte der Chemie, S.147

35 Ostwald: Bericht, S. 30 f.

36 Eine Oxidation bezeichnet einen bestimmten Reaktionstypen, bei dem Elektronen abgegeben werden.

37 Brief der BASF an die Farbwerke Hoechst, 5. Dezember 1901. In: Dokumente aus den Höchster Archiven 5. Wiesbaden, 1964, S. 38- 39, S. 38.

38 Haber: Darstellung des Ammoniaks, S. 11.

39 Eine chemische Reaktion ist sowohl temperatur- als auch druckabhängig. Durch Veränderung dieser können Reaktionsgeschwindigkeiten und Ausbeuten des Endproduktes beeinflusst werden.

40 Haber: Darstellung des Ammoniaks, S. 19.

Excerpt out of 35 pages

Details

Title
Naturwissenschaftliche Forschung in Deutschland in Zusammenhang mit der chilenischen Salpeterwirtschaft
College
University of Cologne  (Institut für Iberische und LAteinamerikanische Geschichte)
Course
Hauptseminar: Lateinamerika und das deutsche Kaiserreich PD Dr. Holger M.Meding
Grade
1,3
Author
Year
2008
Pages
35
Catalog Number
V123165
ISBN (eBook)
9783640280070
ISBN (Book)
9783640283637
File size
609 KB
Language
German
Keywords
Naturwissenschaftliche, Forschung, Deutschland, Zusammenhang, Salpeterwirtschaft, Hauptseminar, Lateinamerika, Kaiserreich, Holger, Meding
Quote paper
Katharina Loeber (Author), 2008, Naturwissenschaftliche Forschung in Deutschland in Zusammenhang mit der chilenischen Salpeterwirtschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123165

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