Armut, neue Armut oder soziale Exklusion? Armut in Deutschland im Zeitvergleich zwischen 1980 und 2005


Thesis (M.A.), 2009

121 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Eine gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Problemstellung
1.2 Begriffsbestimmungen und Literaturüberblick

2 Armut
2.1 Armutskonzepte
2.2 Armut im historischen Kontext
2.2.1 Historische Entwicklung der Ausgrenzungsproblematik: Robert Castel
2.2.2 Der Umgang mit Armut in Europa: Serge Paugam
2.2.3 Entwicklung von Armut und Wohlfahrtsstaat in Deutschland:

3 Soziale Exklusion: Literaturüberblick
3.1 USA / angelsächsische Länder: Konzept der „urban underclass“
3.2 Entstehung des Exlusionsbegriffs in der französischen Soziologie
3.3 Der Exklusionsdiskurs in Deutschland: Literaturüberblick
3.3.1 Modi und Dimensionen der gesellschaftlichen Zugehörigkeit: Martin Kronauer
3.3.2 Exklusion in der Systemtheorie
3.3.3 Soziale Exklusion und andere Armuts­ und Ungleichheitskonzepte: Petra Böhnke..
3.4 Zusammenfassung des Forschungsstandes über soziale Exklusion
3.5 Aufbau der Untersuchung

4 Empirische Untersuchung von Armut in der BRD seit 1980
4.1 Arbeitslosigkeit und Armut
4.1.1 Armutsgefährdung und Erwerbsbeteiligung
4.1.2 Arbeitsmarktentwicklung
4.1.3 Dauer von Arbeitslosigkeit, Häufigkeit, und Langzeitarbeitslosigkeit
4.1.4 Struktur der Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf: Die am stärksten betroffenen Gruppen
4.1.5 Gründe für Anstieg und Verfestigung von Arbeitslosigkeit
4.1.6 Folgen von (Langzeit­) Arbeitslosigkeit
4.1.6.1 Persönliche Konsequenzen von Langzeitarbeitslosigkeit
4.1.6.2 Gesamtgesellschaftliche Auswirkungen von Arbeitslosigkeit
4.1.6.3 Verunsicherungen auch in der Mitte der Gesellschaft ?
4.1.7 Soziale Rechte und Absicherung Arbeitsloser: Paradigmenwechsel des Sozialstaats.
4.1.7.1 Die Transformation von einer Versicherungsleistung in eine Fürsorgeleistung.
4.1.7.2 Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln und Doktrin der Beweislastumkehr
4.1.7.3 Kontrolle und Sanktionierung Arbeitsloser
4.2 Armut und Geschlecht: Rechtliche Angleichung ohne Beseitigung der Ungleichheiten..
4.2.1 Arbeitsmarktsituation und Arbeitslosigkeit
4.2.2 Einkommensarmut von Frauen und Männern im Vergleich
4.2.3 Risikogruppe Alleinerziehende
4.2.4 Armutslagen und soziale Sicherung: Abbau der Familiensubsidarität vs. Re­ Familiarisierung und Traditionalisierung
4.3 Die Variable Alter im Bezug auf das Armutsrisiko: Kinderarmut
4.3.1 Kinder­ und Jugendarmut: „Infantilisierung“ von Armut
4.3.2. Dauer und Dynamik von Kinderarmut
4.3.3 Folgen von Kinderarmut
4.4. Jugendliche und Armut: Die Risikogruppe der Jugendlichen ohne Ausbildung
4.4.1 Veränderungen bei Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot
4.4.2 Veränderung der Zusammensetzung der Gruppe ausbildungsloser Jugendlicher
4.4.3 Platzierung Jugendlicher mit Migrationshintergrund im Bildungssystem
4.5 Altersarmut: „Eine einmalige historische Konstellation(...)“
4.5.1 Ältere Arbeitnehmer
4.5.2 Rentner
4.5.3 Ausblick in die Zukunft
4.6 Armut und Familie
4.6.1 Die Entwicklung von Armut und Familienstand im Zeitverlauf
4.6.2 Soziodemografische Zusammensetzung von Familien
4.6.3 Armutsdynamik unterschiedlicher Haushaltstypen
4.7 Armut und Migrationshintergrund
4.7.1 Historische Entwicklung der Migration in Deutschland
4.7.2 Struktur der Menschen mit Migrationshintergrund
4.7.3 Arbeitslosigkeit und Armut
4.7.4 Die Einkommenssituation von Migranten
4.7.5 Migrationshintergrund als Armutsfaktor, oder eine generelle Schichtproblematik?.

5 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse
5.1 Ergebnisse: Arbeitslosigkeit und Armut
5.2 Ergebnisse: Armut und Geschlecht
5.3 Ergebnisse: Jugendliche und Ausbildungslosigkeit
5.4 Ergebnisse: Kinderarmut
5.5 Ergebnisse: Altersarmut
5.6 Ergebnisse: Familie und Armut
5.7 Ergebnisse: Migrationshintergrund und Armut

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

II. Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Ausgewählte Armutsgefährdungsquoten (in %; 2005)

Abbildung 2: Arbeitslosenquoten in Deutschland, West­ und Ostdeutschland, 1950­2006

Abbildung 3: Arbeitslosigkeits­Betroffenheits­Quote;Westdeutschland 1980­1995 (gesamt)

Abbildung 4: Ausgewählte Armutsgefährdungsquoten (%; 2005)

Abbildung 5: Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote; 1975­2005; Männer und Frauen (in %)

Abbildung 6: Bedarf an Erwerbstätigen in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen 1987­ (Prognose)

Abbildung 7: Konfliktwahrnehmungen; 1993, 1998, 2001

Abbildung 8: Sorge vor Arbeitsplatzverlust nach Berufsklassen

Abbildung 9: Abstieg im sozialen Netz in Deutschland, altes System

Abbildung 10: Abstieg im sozialen Netz in Deutschland, neues System

Abbildung 11: Dynamik von Kinderarmut nach Altersgruppen

Abbildung 12: Zehnjährige mit Defiziten in den Lebenslagedimenionen 2003­2004

Abbildung 13: Armutsgefährdungquote nach Ausbildungsabchluss (2004)

Abbildung 14: Verteilung über Bildungsgänge (Sekundarstufe I), 1980­2001

Abbildung 15: Bildungsabschlüsse deutscher und ausländischer Schüler

Abbildung 16: Arbeitslosenquoten nach Altersgruppen 1998­2002 (Ende September)

Abbildung 17: Niedrigeinkommen und Armut bei Haushalten mit und ohne Kinder (in %)

Abbildung 18: Quoten relativer Einkommensarmut (60%­Grenze, neue OECD Skala), Westdeutschland 1973­1998

Abbildung 19: Quoten relative Einkommensarmut (60%­Grenze neue OECD Skala) Gesamtdeutschland 1998­2003

Abbildung 20: Armutsprofile von Haushalten mit und ohne Kinder

Abbildung 21: Arbeitslosenquote von Deutschen und Migranten 1961­2003

Abbildung 22: Arbeitslosenquote nach Zuwanderungszeitpunkt (1999 in %)

Abbildung 23: Armutsriskoquoten von Personen mit Migrationshintergrund im Jahr 2005

Abbildung 24: Berufliche Position von erwerbstätigen Deutschen und Migranten

III. Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Operationalisierung sozialer Benachteiligungen

Tabelle 2: Arbeitslosigkeit: Quote, durchschnittliche Dauer, Betroffenheit, Langzeitarbeitslose 1980­2003

Tabelle 3: Arbeitslose nach der bisherigen Dauer der Arbeitslosigkeit (in %)

Tabelle 4: Subjektive Betroffenheitswahrnehmung von Langzeitarbeitslosigkeit

Tabelle 5: Die Wichtigsten Veränderungen durch die vier Hartz­Gesetze:

Tabelle 6: Armut bei Männern und Frauen im Vergleich: 1980, 1998, 2004

Tabelle 7: Erreichter Schulabschluss von Ausbildungslosen / Gesamtbevölkerung der BRD

IV. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„ Zum ersten Mal in der Geschichte braucht die kleine Zahl derer, die die Wirtschaft regieren und die Macht haben, die Gesamtheit der Menschen nicht mehr. Es gibt etwas Schlimmeres, als ausgebeutet zu werden: Gar nicht mehr ausbeutbar zu sein. “ 1

Seit den 90er Jahren ist der Anteil der Armen an der Bevölkerung in Deutschland um knapp 50 Prozent gestiegen.2 Der dritte Armutsbericht der Bundesregierung zeigt ähnlich alar­ mierende Tendenzen: Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat sich die Armuts­ quote in den Jahren 2000 bis 2006 von 11,8% auf 18,3 % erhöht. Ein knappes Viertel (24%) der Bevölkerung müsste als arm gelten, würden alle staatlichen Transferleistungen wie Arbeitslosengeld, Wohngeld u.ä. wegfallen. Eine Studie zur Einkommensentwicklung3 in den In­ dustrieländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), kam zu dem Ergebnis, dass in keinem anderen Industrieland die Zunahme von Armut und unglei­ cher Verteilung von Einkommen in den Jahren 2000­2005 so stark zugenommen habe, wie in der BRD.

Eine drastische, aber keineswegs neue Entwicklung, die seit den 80er Jahren mit der Ein­ führung des Begriffs „neue Armut“ sowohl in den Fokus der Sozialwissenschaften, wie auch der öffentlichen Debatte gerückt ist. Probleme, wie massenhafte, strukturelle Erwerbslosigkeit und Armut, die zu Zeiten der Industrialisierung bereits überwunden geglaubt schienen, tauchen wie­ der auf, verstärken und verfestigen sich sogar. Seit Mitte der 90er Jahre haben die unterschied­ lichsten Probleme, die sich als Konsequenzen dieser Entwicklung ergeben, den Obertitel „soziale Exklusion“ (soziale Ausgrenzung) zugeschrieben bekommen. Zunehmende Verunsicherung, bis hin zur Perspektivlosigkeit, seien nicht nur in den untersten Schichten, sondern auch insbesonde­ re in den Mittelschichten festzustellen. Die französischen Sozialwissenschaftler Francois Dubet und Didier Lapeyronnie sehen mittlerweile gar keine soziale Frage mehr, sondern nur noch viele unterschiedliche soziale Probleme. Ausgrenzung habe Ausbeutung ersetzt; was bedeuten würde, dass das Problem der Ausbeutung durch Arbeit und damit einhergehende soziale Ungleichheit und prekäre Lebenslagen, nicht mehr so stark im Vordergrund stehen würden, wie die schon voll­ zogene oder drohende neue Spaltung in der Gesellschaft. Hat Ausgrenzung Ausbeutung als drän­ gende soziale Frage ersetzt? Befindet sich die Gesellschaft der BRD in einem neuartigen Spal­ tungsprozess, jenseits „alter Ungleichheiten“ und herkömmlicher Armutsstrukturen?

1.1 Eine gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Problemstellung

Die Soziologie sozialer Ungleichheit hat sich lange hauptsächlich mit der ökonomisch ak­ tiven Bevölkerung beschäftigt, was sich aus der in den Nachkriegsjahrzehnten (nahezu) vorhandenen Vollbeschäftigung gut nachvollziehen lässt. Die Wiederkehr von Armut und sozia­ ler Ungleichheit, gerade im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit, ist dabei, an und für sich nichts Neues. Schon Karl Marx stellt den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Ökonomie und der Reservearmee der Arbeitslosen heraus, indem er von der für die kapitalistische Produktion „über­ flüssigen Bevölkerung“ spricht. ­ Allerdings ist der Kontext, in welchem diese Phänomene heute auftreten, ein Neuer: Noch immer leben wir inmitten mächtiger sozialer Sicherungssysteme, und trotzdem ist die Armut durch Arbeitslosigkeit zum vorherrschenden Thema jedweder Sozialpoli­ tik geworden. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, und den damit einhergehenden schwindenden Möglichkeiten der Teilhabe an gesellschaftlich relevanten Anerkennungszusam­ menhängen, bedroht immer noch gerade die untersten Schichten. Die Ängste aber, selbst arbeits­ los und arm zu werden und von der Möglichkeit der Lohnarbeit auf Dauer ausgeschlossen zu werden, breiten sich scheinbar bis in die Mittelschichten aus. Die Befürchtung, nicht einmal mehr in die Systeme ungleicher, aber dennoch wechselseitiger Abhängigkeiten innerhalb der Arbeits­ teilung eingebunden zu sein, sei von den Rändern in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen4, so Martin Kronauer.

Die Befürchtung vieler Sozialwissenschaftler ist nun, dass das gesellschaftliche Gefüge als Gan­ zes, also auch die Demokratie in Gefahr sei, wenn für diese Problemstellungen keine Lösungsan­ sätze gefunden werden. Es wird von einer sozialen Spaltung neuer Qualität gesprochen.

Die eingangs gestellten Fragen implizieren nun die Vorstellung, dass eine neue Form von sozialer Ungleichheit die bisherige Ungleichheit4, die sich in Schicht­ und Klassenunterschieden manifes­ tiert, ersetzt habe.

Was hat sich verändert in einer Zeit die geprägt ist von Globalisierung, Finanzmarktkapitalismus und postfordistischen Strukturentwicklungen des Arbeitsmarktes? Ist soziale Exklusion nur ein neues Gewand für das alte Phänomen der Armut? Ist eine Rückkehr der „gefährlichen“ Klassen, eine „neue Proletarität“ und ein „roll back“ in die Vergangenheit der vorindustrialistischen, paternalistischen Strukturen zu erwarten? Diese Fragen zeigen die sozial­ wissenschaftliche Multidimensionalität und gleichzeitig die tagespolitische Brisanz des Themas und führen zu der im Kern bedeutenden Frage: Was ist das Besondere an dieser „ neuen Ar ­ mut “ ? Diese Frage soll für die folgende Untersuchung forschungsleitend sein.

1.2 Begriffsbestimmungen und Literaturüberblick

Phänomene von Armut, Ungleichheit und sozialer Ausgrenzung sind nun keineswegs ein reines Kind des Kapitalismus. Die archaischen Gemeinschaften hatten genauso wie die Ständege­ sellschaften des Mittelalters und auch die Gesellschaften des Frühkapitalismus und der Industria­ lisierung, mit Armut, der Kehrseite des Wohlstandes, zu kämpfen. Gesellschaften definieren sich als Gemeinschaften ­ wird dabei jedoch der Unterschied zwischen der Lebensweise und den Le­ benschancen zwischen zwei oder mehreren Gruppen innerhalb dieser Gemeinschaft zu groß, führte dies im Laufe der Geschichte teilweise zu massiven Umwälzungen der gesellschaftlichen bzw. wirtschaftlichen Ordnung. Schon Adam Smith stellte fest, dass keine Gesellschaft gedeihen könne, in der der weitaus größte Teil ihrer Mitglieder arm und elend sei.5

Die zugeordneten Hilfsformen für Menschen, die in Mangelsituationen lebten waren je nach Gesellschaftsform unterschiedlich: In den archaischen Gemeinschaften war es die milde Gabe, die dem (unverschuldet) Armen seinen Lebensunterhalt sichern sollte, im Mittelalter die Almosen. Ab dem Frühkapitalismus erkämpften sich die benachteiligten Bevölkerungsschichten Hilfe durch Institutionen und Organisationen.

Seit Ende der 1980er Jahre nun scheint sich das Wesen, d.h. die Art, in der Armut auftritt, geändert zu haben und im Anschluss an Diskussionen um neue Begriffe wie „urban underclass“ wurde von einer „neuen Armut“ gesprochen. Was heißt das nun? ­ Olliver Callis vom Hambur ­ ger Institut für Sozialforschung beschreibt die Entwicklung folgendermaßen:

„ Im Jahr 1989 fasste die europäische Gemeinschaft den Beschluss, ihre Aktionen gegen Arbeitslosigkeit und Armut unter das Motto des „Kampfes gegen social exclusion“ zu stellen. Mit diesem Begriff, der im Deutschen meist mit sozialer Ausgrenzung oder sozialer Exklusion übersetzt wird, brachte sie die Besorgnis zum Ausdruck, dass ange­ sichts steigender Arbeitslosigkeitszahlen und wachsender sozialer Ungleichheit in vielen Ländern ein Teil der Bevöl­ kerung vom Rest der Gesellschaft gleichsam abgekoppelt werden könnte.“6

Eine neue Form von sozialer Ungleichheit, die quer zu allen Schichten verlaufe, müsse bekämpft werden, ist hier eine der Thesen. Auch die Spaltung der Gesellschaft in ein „Drinnen und ein Draußen“ gehört zu dieser Perspektive.

Im folgenden Theorieteil soll nun in einem ersten Schritt die Begriffsbestimmung von Armut unternommen werden. In einem zweiten Schritt wird mit einem historischen Überblick die Entwicklung von Armut in Europa und in Deutschland skiz­ ziert. Die Entwicklung der Exklusionsdebatte anhand eines Literaturüberblicks, sowie der Dar­ stellung unterschiedlicher Exklusionskonzepte soll im weiteren Verlauf die Ausgangsbasis für die im zweiten Teil der Arbeit unternommene, sekundärempirische Untersuchung der Entwicklung von Armuts­ und Ausgrenzungsprozessen in Deutschland seit den 1980er Jahren, schaffen.

2 Armut

In der Bundesrepublik Deutschland existiert, in der sozialen Hierarchie ganz unten anges­ iedelt, eine breite Schicht Menschen, die in Armut lebt. Diese Menschen haben eine geringere Lebenserwartung als der Durchschnitt der Bevölkerung, geringere Chancen ihren Zustand zu ver­ ändern, verminderte Aussichten auf hochwertige Bildungsabschlüsse und leben mitunter ohne ausreichend Nahrung sowie in unhygienischen Zuständen.

Armut ist nun sicherlich kein neues Phänomen in der Menschheitsgeschichte. Aber gerade in Deutschland hatte es bedingt durch die Wirtschaftswunderära nach dem zweiten Weltkrieg und die damit einhergehende, bis Mitte der 1970er Jahre anhaltende Periode eines steten ökonomis­ chen Wachstums, die Tendenz gegeben, die Armutsproblematik als Problem von Entwicklungsl­ ändern zu betrachten und Armut in Deutschland selbst als Ausnahmesituation zu betrachten. Seit Mitte der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre lässt sich in Deutschland der Trend zu einer verstärkten sozialen Polarisierung feststellen: Die Zahl der industriell Beschäftigten sinkt propor­ tional zur zunehmenden Bedeutung der Dienstleistungsberufe. Die Zahl der Armen beginnt stetig zu steigen und parallel dazu steigt auch die Zahl jener in den obersten Einkommensschichten an.

„Die Wiederentdeckung der Armut in der Bundesrepublik Anfang der 70er Jahre, nicht zuletzt durch Jürgen Roths schnell bekannt werdende Reportagen mit ihrem provozierenden Titel Armut in der Bundesrepublik (1971), hob das Paradoxon der gesellschaftlichen Situation hervor: Armut in der Wohlstandsgesellschaft, so oder so ähnlich lauteten weitere Buchtitel und Reportagen.“7

2.1 Armutskonzepte

Was ist nun Armut, wann beginnt Armut und wo sind die Grenzen zwischen arm und „nicht­arm“ anzusiedeln? So nahe liegend diese Fragen sind, so komplex ist ihre Beantwortung. Es handelt sich hier nicht um rein technische Fragen, sondern um Fragestellungen normativer wie auch politischer Natur, die abhängig sind vom Entwicklungsstand einer Gesellschaft, davon, wie viel Ungleichheit eine Gesellschaft zu akzeptieren bereit ist und nicht zuletzt auch abhängig von der Perspektive unter der man sie betrachtet.

„Die eigene Armutserfahrung und die öffentliche Meinung darüber klaffen häufig weit auseinander - das gilt auch für die Differenz von Armutserfahrung und dem tatsächlich gegebenen Ausmaß der Armut.“8

Oder um es mit Simmel zu sagen: „ Arm ist derjenige, dessen Mittel zu seinen Zwecken nicht zureichen “ 9

Die Bestimmung von Armut als Mangelbegriff liefert also eine erste Annährung. Mangel be­ zieht sich in erster Linie ganz allgemein auf die wirtschaftliche Lage einer Person oder Gruppe und beinhaltet, dass die Betroffenen den für sie notwendigen Lebensunterhalt nicht alleine zu er­ reichen in der Lage sind. Hier kann unterschieden werden in eine absolute und eine relative Di­ mension, sowie in eine objektive und eine subjektive Dimension.10

Bereits 1889 veröffentliche der englische Sozialforscher Charles Booth eine Arbeit, die im damaligen London höchstes Aufsehen erregte: In der Studie „Life and Labour of the People in England“ gelangte er zu den Ergebnissen, dass nahezu ein Drittel der Londoner11 in Armut leb­ ten.12

„ Booth war einer der ersten, der versuchte, zuverlässige Kriterien für die Definition der absoluten Armut zu finden, worunter man einen Mangel an grundsätzlichen Voraussetzungen für ein körperlich gesundes Leben versteht - gesundes Essen und eine Unterkunft, um die körperlichen Funktionen wirksam aufrecht zu erhalten.“13

Booth definierte Armut also anhand eines, zum Überleben der betreffenden Person notwendigen, Existenzminimums. Die soziologische Forschung entwickelte allerdings noch weitere Armuts­ konzepte, welche sich vergleichbar zum Mangelbegriff in verschiedene Gruppen einteilen lassen:

Konzepte der absoluten Armut orientieren sich unmittelbar am Existenzminimum. Dabei wird davon ausgegangen, dass es innerhalb einer Gesellschaft ein bestimmbares, absolutes Mini­ mum an notwendigen Gütern gibt, ohne die sich ein menschenwürdiges Leben nicht mehr führen lässt. Die Armutsgrenze wird hier z.B. durch die Berechnung des zum Überleben notwendigen Kalorienbedarfs eines Menschen festgelegt. Armutsausmaß und soziale Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft kann mit einer solchen Armutskonzeption in Industrienationen nicht adäquat dargestellt werden.14

Konzepte der relativen Armut basieren auf ressourcenorientierten Armutsmaßen und be­ rücksichtigen im Gegensatz zu Modellen absoluter Armut, materielle und soziale Mängel.15 Hier wird davon ausgegangen, dass es ein bestimmbares Maß der Abweichung vom gesellschaftlichen Durchschnitt gibt, jenseits dessen eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht mehr möglich sei.16 Mittels welcher Methode und mit welchen Indikatoren dabei die jeweilige Armutsgrenze er­ mittelt wird, ist auf der Ebene der konzeptionellen Unterscheidung zunächst unerheblich.17 Über­ wiegend werden solche Konzepte in empirischen Analysen verwendet. Häufig werden folgende Ansätze verwendet:

- Relative Einkommensarmut
- Soziokulturelles Existenzminimum
- Deprivationskonzepte: Relative und multible Deprivation
- Lebenslagenkonzept
- Politische Armut

Konzepte subjektiver Armut erfassen den Umgang und das Erleben von Mangelsituatio­ nen. Arm ist hier, wer nach eigenem Urteil zu wenig zum Leben hat, um damit zurechtzukom­ men. Hierbei werden in den verschiedenen Lebensbereichen wie Gesundheit, Bildung und Woh­ nung, Kumulationen von Unterversorgungslagen, sowie das jeweilige subjektive Wohlbefinden und die individuelle Wohlstandsbewertung erfasst. Problematisch ist hierbei einerseits die Ver­ gleichbarkeit der subjektiven Angaben, sowie andererseits die prinzipielle Meßbarkeit des Wohl­ standsniveaus.

Eine politisch festgesetzte Armutsgrenze stellt z.B. der durch die Sozialhilfe/Hilfe zum Lebensun­ terhalt garantierte Mindestbedarf dar. Diese Grundsicherungsleistung wird nach einem komple­ xen Verfahren, basierend auf Daten der Verbraucherstichprobe, errechnet, und liegt knapp ober­ halb der 40%. Armutsschwelle.18

Nach europäischen Konventionen wird generell als arm bezeichnet, wenn das Haushalts­ einkommen, bzw. das verfügbare Einkommen eines Individuums, weniger als 50% des gesamt­ wirtschaftlichen Durchschnitts des betreffenden Landes beträgt. Zusätzlich zur 50%­Schwelle existieren auch eine 60%­Schwelle, welche armutsnahe Bevölkerungsgruppen kennzeichnet, so­ wie eine 40%­Schwelle unter welche strenge Armut subsumiert wird. Für die BRD ist es nun ebenfalls nahe liegend, Armut als ein mehrdimensionales, soziales Phänomen zu betrachten, das sinnvoll durch die Relation des Lebensstandards des Einzelnen, zur Entwicklung des Lebensstan­ dards einer gesamten Gesellschaft, erfasst werden kann.

2.2 Armut im historischen Kontext

Im Folgenden soll nun die Problematik von Armut und Exklusion in den historischen Kontext gesetzt werden. Roberts Castels Ausführungen zeichnen den Wandel im Umgang mit der Problematik der Armut in Europa von der Unterscheidung zwischen würdigen Armen und unwürdigen Armen im Frühmittelalter über die Entstehung „der sozialen Frage“ bis zur Einführ­ ung moderner wohlfahrtsstaatlicher Instrumente, nach. Danach wird ein kurzer Überblick über die Armutsentwicklung in der BRD folgen. Der Ansatz, des französischen Sozialwissenschaftlers Serge Paugam, soll das Fundament für die weitere Untersuchung von Armutsentwicklung in der BRD, sowie dem Entstehen des Diskurses über soziale Exklusion, vervollständigen. Sein eher konstruktivistischer Ansatz, unterscheidet den Umgang mit Armut jeweils nach ökonomischem Entwicklungsstand der Gesellschaft. In einem zweiten Schritt soll daraufhin die Entwicklung der Diskussion um soziale Exklusion mit einem Überblick über die Ansätze angelsächsischer, fran­ zösischer und deutscher Vertreter dargestellt werden. Daran wird sich die Darstellung des Unter­ suchungsaufbaus und die Darlegung der Thesen anschließen. Im Hauptteil der Arbeit wird eine sekundärempirische Untersuchung erfolgen, und von einer zusammenfassenden Diskussion der Ergebnisse abgeschlossen werden.

2.2.1 Historische Entwicklung der Ausgrenzungsproblematik: Robert Castel

Robert Castel zeichnet in seinem Werk „Die Metamorphose der sozialen Frage“19 den his­ torischen Verlauf des Umgangs mit dem Problem der Armut, nach. Die ständischen Gesellschaft­ en im christlich geprägten Frühmittelalter unterschieden zwischen unwürdigen Armen und wür­ digen20 Armen. Zwischen Menschen die trotz körperlicher Arbeitsfähigkeit in Armut geraten waren, und Armen (auch: natürliche Armut) die Ihren Lebensunterhalt aufgrund offensichtlicher körperlicher Gebrechen nicht (voll) zu erwirtschaften in der Lage waren, oder unverschuldet in Armut geraten waren (z.B.: Witwen,Waisen, Invaliden).

Auch im Mittelalter orientierten sich die Institutionen, die wohlfahrtliche Hilfen leisteten , (ins­ besondere die Kirchen), am Konzept des würdigen Armen. Der arbeitsfähige Arme hingegen wurde als Bedrohung gesellschaftlichen Zusammenhalts und traditioneller Werte betrachtet. Ge­ setze gegen Landstreicherei und Vagabundentum, die Einrichtung sogenannter Armenhäuser,21 sowie eine Vielzahl an Strafmaßnahmen, und die Beschneidung von Bürgerrechten waren die Kennzeichen einer ausgeprägten Dynamik von Kriminalisierung und Stigmatisierung arbeits­ und mittelloser Menschen.

Ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte des 18. Jahrhunderts rückte, in Folge von Be­ völkerungswachstum, der Strukturkrise der feudalen Agrargesellschaft und der beginnenden In­ dustrialisierung, die Pauperismusfrage22. Also die Frage, wie mit der sich rapide vergrößernden, strukturellen Massenarmut umgegangen werden solle. Seit dem 19. Jahrhundert werden im Zuge der Pauperismusfrage die sozialen Probleme breiter Bevölkerungsschichten unter dem Topos der sozialen Frage subsummiert und Abhilfemöglichkeiten diskutiert. Armut entsprach nunmehr der Lage des städtischen Industrieproletariats. Unmenschliche Arbeitsbedingungen in den Fabriken und geringe Entlohnung der Arbeiter kumulierten mit schlechten Wohn­ und Lebensbedingungen sowie mangelnden sozialen Absicherungsmöglichkeiten und beschränktem Zugang zum Bildungssystem. Die sozialen Probleme verdichteten sich um 1850 zur Arbeiterfrage und die entstehende Arbeiterbewegung kämpfte für Rechte der sozialen Sicherung, Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung, bessere Arbeitsbedingungen, sowie nicht zuletzt um Verkürzun­ gen der Arbeitszeit.

Der Umgang mit Armut feudaler Gesellschaften, geprägt von polizeilichen Maßnahmen, Stigmatisierung, Erziehungsbemühungen und Ausgrenzung der armen Bevölkerung konnte nun, aufgrund der zentralen Stellung der Arbeiter im Produktionsprozess, nicht mehr ohne weiteres fortgesetzt werden. Die Möglichkeiten zur Auflösung der sozialen Frage bestanden zu diesem Zeitpunkt darin, entweder eine Umkehr der herrschenden Verhältnisse vorzunehmen und die Ver­ teilungsungleichheiten bezüglich Einkommen, Arbeit und Kapital zu beseitigen oder aber die Arbeiter mittels Reformen des staatlichen Systems hin zu einem wohlfahrtstaatlichen System zu befrieden, um so die Gefahr eines „Auseinanderbrechens“ der Gesellschaft abzuwenden.

Castel schlussfolgert nun, dass eine positionale Homologie zwischen „den Nutzlosen der Erde“ , den „Vagabunden“ aus der Zeit vor der industriellen Revollution, den „Elenden“ des 19. Jahrh. und den unterschiedlichen Kategorien von Nichtbeschäftigbaren von heute, existiere.23

Die Zonen der Integration, Verwundbarkeit und Entkopplung24:

Castels Thesen zufolge teilt sich nach den wirtschaftlichen Schockwellen der 80er Jahre und der Reorganisation der Unternehmen und der Weltwirtschaft die Gesellschaft in drei Zonen:

1. Zone der Entkopplung: ca. 10%­19%
2. Zone der Verwundbarkeit: 25%­30%
3. Zone der Integration: ca. 40%

1984 bis 1989 galten 2,7% der Bevölkerung als arm und ungefähr 15 % der Bevölkerung lagen ein bis zweimal vorrübergehend unter der Armutsgrenze. Schon 1995 war die Zahl der Armen dann um mehr als das dreifache angestiegen auf 10% Arme und auf 25 % die ein­ oder zweimal unter die Armutsgrenze fielen. Bei 20 % der Bevölkerung konnte man 1995 von Knappheit spre­ chen, und bei 40% von relativer Sicherheit oder Integration.

Statt von Exklusion, also einer Zustandsdimension zu sprechen scheint es Castel angemessener, die Zeitdimension in den Mittelpunkt der Analyse zu stellen, um damit dem Prozesscharakter die­ ser sozialen Phänomene gerecht zu werden.25 In der Konsequenz spricht er dann nicht mehr von „Ausgrenzung“, sondern sieht den Terminus der „Entkopplung“ oder „Abkopplung“ von der Ge­ sellschaft als geeigneter an, um dieses soziale Phänomen zu beschreiben.

Immer heftiger werdende soziale Ungleichheiten, sowie eine sich verfestigende soziale Randständigkeit innerhalb der Gesellschaft, weisen auf strukturelle Ursachen hin. Der Wider­ spruch zwischen der kapitalistischen Akkumulation und dem Gemeinwohl wird größer. Das radi­ kal „Neue“ an der sich abzeichnenden sozialen Frage wird von Castel nun definiert, als das Pro­ blem, dass schrittweiser Abbau sozialer Sicherungen und Rückzug des Staates aus der Verant­ wortung für eine solidarische Daseins­Vorsorge, heutzutage auf hochgradig individualisierte In­ dividuen trifft. Auf Menschen, welche längst nicht mehr in festen Familienverbänden oder sozia­ len Netzwerken vergleichbar mit den Arbeiternetzwerken zu Beginn des letzten Jahrhunderts oder der vor einigen Jahrzehnten ebenfalls noch stärker ausgeprägten Solidarität innerhalb von Großfamilien eingebunden sind, sondern in der Mehrheit als wichtigstes soziales Netzwerk im Erwachsenenleben dasjenige im Beruf haben.

Robert Castel sieht nun in dieser Entwicklung eine positionale Homologie zwischen „den Nutzlosen der Erde“, den Vagabunden aus der Zeit vor der industriellen Revolution, dem Paupe ­ rismus (oder: den „Elenden“ ) des 19. Jahrh. und den unterschiedlichen Kategorien von Nichtbe ­ schäftigbaren von heute.26 Beide Gruppen stehen bzw. standen am äußersten Rand der Gesell­ schaft. Die damit einhergehende soziale Frage stellt so auch immer eine Frage nach dem gesamt­ gesellschaftlichen Konstrukt dar; danach, wieviel Spannungen zwischen den diametralen Positio­ nen der obersten Schichten und denen, welche sich am untersten Rande der Gesellschaft befin­ den, möglich ist, ohne dass die ganze Gesellschaft daran auseinanderzubrechen droht.

Soziale Ausgrenzung als Teil der neuen sozialen Frage:

Die dafür verantwortlichen Prozesse sieht Castel als ebenfalls vergleichbar: Homolog in ihrer Dynamik und unterschiedlich nur in ihrer Manifestation. Die Rolle der Lohnarbeit betrachtet er als den großen „Integrator“ des letzten Jahrhunderts, und gerade dass sich der Status der Lohnarbeit verändert hat, und dies fortwährend tut, scheint ihm, die Ursache der heute unter dem Exklusionsbegriff zusammengefassten, sozialen Probleme zu sein:

„ Die Lohnarbeiter(innen)schaft hat lange an den Rändern der Gesellschaft „ kampiert “ ; sie hat sich dann darin ein ­ gerichtet, ist aber in einer untergeordneten Position verblieben; schließlich hat sie sichüber die ganze Gesellschaft ausgebreitet und allerorten ihr Gepräge hinterlassen. Doch just in dem Moment, als die der Arbeit anhaftenden At ­ tribute zur Kennzeichnung des für die Platzierung und Klassifizierung eines Individuums in der Gesellschaft verant ­ wortlichen Status endgültig die Oberhand gegenüber anderen Identitätsstützen wie der Familienzugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer konkreten Gemeinschaft gewonnen haben, wird diese zentrale Rolle der Arbeit brutal in Frage gestellt. “ 27

Die vorangegangene soziale Frage der Zeit der Industrialisierung und der fordistischen Produkti­ ons­ und Wirtschaftsverhältnisse, war die der Ausbeutung. Die heutige sei nun die der Abkopp­ lung; denn die Überzähligen seien noch nicht einmal mehr ausgebeutet. Dazu müssten sie ja in gesellschaftliche Werte konvertierbare Kompetenzen besitzen.

Ein Teil der Bevölkerung der westlichen Industrienationen wird schlichtweg nicht mehr benötigt, und statt Problemlösungen dafür zu finden, wie untergeordnete, abhängige Akteure zu vollwertigen Individuen aufgebaut werden könnten, geht es heute zumeist darum, die Existenz dieser Personen so unauffällig wie möglich zu gestalten.

2.2.2 Der Umgang mit Armut in Europa: Serge Paugam

Der französische Sozialwissenschaftler Serge Paugam, 28 beschreibt in seinem Aufsatz „Armut und soziale Exklusion: Eine soziologische Perspektive“29 Phänomene sozialer Ausgren­ zung aus einer konstruktivistischen Perspektive mit Bezug auf Thesen Simmels. Sein Aufsatz fo­ kussiert insbesondere den Umgang mit Armut und mit den von Armut Betroffenen, je nach Ar­ beitsmarkt­ und wirtschaftlicher Lage einer jeweiligen Gesellschaft.

Paugam beschreibt die Problematik sozialer Exklusion als hoch aktuelles und gesell­ schaftlich zentrales Thema, welches auf ambivalente Art und Weise in Gesellschaft, öffentlic­ hem Diskurs und den Sozialwissenschaften präsent ist, vergleichbar mit der Thematik der sozia­ len Ungleichheit, die die Debatten zur Zeit des europäischen Wirtschaftswachstums bestimmte. Die wirtschaftlichen und sozialräumlichen Veränderungen sieht er als Motor der Problematik:

„ Die Verschlechterungen auf dem Arbeitsmarkt und die Schwächung sozialer Bindungen aufgrund von Eheschei - dungen und Trennungen, Vereinzelung und sozialräumlicher Krisenerscheinungen sind wichtige Faktoren zur Erklä­ rung dieser Entwicklung.“30

Ambivalent nun scheint ihm die Exklusionsdebatte unter anderem dadurch, dass nicht ge­ sichert sei, ob der Terminus „Exklusion“ als soziologische Kategorie sinnvoller oder auch nur eindeutiger wäre, als der der Armut:

„So(...)ist es längst nicht sicher, dass der Begriff der Exklusion mehr taugt. Exklusion ist als soziologische Kategorie in vielerlei Hinsicht genauso nebulös und mehrdeutig wie Armut. (...) Julien Freund behauptet sogar, dass der Be­ griff der Exklusion „ angefüllt ist mit Sinn, Unsinn und Widersprüchlichkeit, und der Beschreibung von nahezu allem und jedem dient. “ (Freund, in Xiberras 1994)“31

Im Vergleich zu den unterschiedlichen Armutskonzepten stellt Paugam fest, dass das Konzept der sozialen Ausgrenzung weniger statisch erscheint.32 Ebenso ist zu beobachten, dass die Armuts­ definitionen und Konzepte eng mit Konzepten der Ungleichheit verbunden sind; das Konzept der sozialen Exklusion jedoch deutlich weniger.

Ob nun die sozialen Probleme mit Armut oder mit sozialer Exklusion bezeichnet würden: Fazit bleibe, dass die aktuellen, einschneidende Verschlechterungen auf den Arbeitsmärkten, mit einer parallel einhergehenden Schwächung sozialer Bindungen, dazu führten, dass nicht mehr Ent­ fremdung am Arbeitsplatz oder Ausbeutung die gesellschaftlichen und sozialen Fragen bestim­ men. Stattdessen seien die wachsenden Abhängigkeiten großer Gruppen der Bevölkerung, von sozialer und staatlicher Unterstützung eines Wohlfahrtsstaats, der dies kaum zu leisten in der Lage ist, das brennende soziale Problem.

Er konstatiert schließlich, dass auf brisante gesellschaftliche Fragen, wie Phänomene der Armut und sozialen Exklusion keine entgültigen Antworten gefunden werden könnten und erach­ tet es diesbezüglich für sinnvoll, statt die Phänomene selbst, verstärkt den Kontext der ökonomi­ schen, Wohlfahrtstaatlichen­, Institutionellen­ und Arbeitsmarktbedingungen unter denen sie auftreten, zu fokussieren. Im Hinblick darauf verweist er auf Simmel und dessen Position von Armut als ambivalenter soziologischer Kategorie. Sie zeige, dass erstens insbesonders der soziale und institutionelle Aufbau einer Gesellschaft für eine soziologische Untersuchung von Armut wichtig sei. Und zweitens, dass eben diese Institutionen nicht statisch (sondern von sozialen Pro­ zessen geformt) sind. Sowie, zum Dritten, dass der Status armer und ausgegrenzter Personen je von der Bedeutung, die eine Gesellschaft Kriterien wie ökonomischer/sozialer Partizipation oder der Höhe des Lebensstandarts zumisst, abhängt.

Dimensionen und Idealtypen des gesellschaftlichen Umgangs mit Armut:

Paugam schlägt vor, zwei Dimensionen des gesellschaftlichen Umgangs mit Armut zu un­ terscheiden: Zum Ersten eine makrosoziologische Perspektive, die sich dem Phänomen der Ar­ mut über die Art und Weise wie sie sich je sozial präsentiert und wie in der Folge seitens staatli­ cher Institutionen mit ihr umgegangen wird; zum Zweiten, ergänzend dazu eine mikrosoziologi­ sche Perspektive, welche die Erfahrungen derer, die von Armut betroffen sind, sowie ihren Um­ gang mit der Situation fokussiert. Diese Differenzierung soll nun erleichtern, Armut im jeweili­ gen sozialen Kontext, in welchem sie auftritt, zu verorten.

Schließlich unterscheidet er in drei Idealtypen des gesellschaftlichen Umgangs mit Armut: i nte ­ grierte Armut, marginale Armut sowie ausschließende Armut.

a) Gesellschaften mit integrierter Armut: Dieser Typus des gesellschaftlichen Umgangs mit Ar­ mut ist verbreitet in (noch) nicht so stark industrialisierten, wenig fortgeschrittenen Gesellschaf­ ten, die nur wenig ökonomische Strukturen und ein gering ausgeprägtes Sozialsystem besitzen. In ihnen ist mehr ein Bezug zu traditionalen Formen der Armut als auf soziale Exklusion festzu­ stellen. Arme machen eine große Gruppe an der Bevölkerung aus und ihre Lage ist stark verbrei­ tet, was dazu führt, dass sie trotz niedrigem Lebensstandart kaum soziale Stigmatisierung erfah­ ren und weiter in soziale Netzwerke eingebunden bleiben. Arbeitsplatzverlust bedeutet hier nicht zwingend Statusverlust, und eine meist ausgeprägte Schattenökonomie kann diesen zusätzlich kompensieren.

b) Marginale Armut: Dieser Typus des gesellschaftlichen Umgangs mit Armut ist hauptsächlich in fortgeschrittenen Industrieländern zu finden, welche eine überschaubare Arbeitslosen­ problematik besitzen und ausreichend Steuern einnehmen, um soziale Sicherungen für alle Mitglieder der Gesellschaft zu gewährleisten. Hier wird ebenfalls mehr Bezug auf traditionale Formen von Armut genommen, als auf Exklusion. Arme stellen hier nur einen kleinen Teil der Bevölkerung dar; ihre Existenz an sich, kann sich desillusionierend auf den Fortschrittsglauben der übrigen Gesellschaftsmitglieder auswirken, da sie vor Augen führt, dass trotz relativem Wohlstand ein „Herausfallen“ aus dem Netz der ökonomischen Austauschbeziehungen möglich ist.33 In der Konsequenz alimentiert der Wohlfahrtsstaat die von Armut Betroffenen, ohne dabei stärkeren Druck auf Reintegration ins Arbeitsleben auszuüben. Die Betroffenen werden bei diesem Typus oft als „integrationsunfähig“ stigmatisiert und erleiden schwere Statusbeschädi­ gungen. Häufig sind dabei Karrieren von einer betreuten Hilfsmaßnahme zur anderen der Fall.

c) Ausschließende Armut: Bei diesem Typus ist kennzeichnend, dass die Zahl der Armen stetig zunimmt. Immer mehr Menschen sind von prekären Beschäftigungen einerseits34 oder von lang andauernder Arbeitslosigkeit andererseits, betroffen.35 Hoffnungslosigkeit und Gefühle des „un­ vermeidlichen Abstiegs“ sind bei diesen Armen dominant und im Gegensatz zu Gesellschaften mit Formen marginaler Armut ist hier die ganze Gesellschaft betroffen, da sich die soziale Frage stellt und das gesellschaftliche Gefüge brüchig werden lässt. Dieser Umgang mit Armut findet sich in Gesellschaften, in denen Veränderungen in der Produktionsweise (z.B. durch wirtschafli­ che Globalisierung) dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit hoch und die Beschäftigungssituation instabil wird. Familiäre Bindungen seien zwar noch vorhanden, aber geschwächt, und können deshalb ökonomische und soziale Ungleichheiten nicht mehr abfedern. Schatten­ und Untergrundökonomie werden von den staatlichen Institutionen zu stark bekämpft, um als alterna­ tive Beschäftigungsmöglichkeit zur Verfügung zu stehen und soziale Interventionsinstrumente, die zur Bekämpfung von integrierter Armut hilfreich sind, versagen. Ausschließende Armut be­ trifft eher das Problem der Exklusion denn das der Armut.

2.2.3 Entwicklung von Armut und Wohlfahrtsstaat in Deutschland:

Die Begründung staatlich geförderter deutscher Sozialpolitik lässt sich auf Bismarck zu­ rückführen, der darin eine Möglichkeit zur Entschärfung der, durch den Protest der Arbeiterbe­ wegung bezüglich ihrer Lebens­ und Arbeitssituation entstandenen, sozialen Konflikte, sah. Wehler beschreibt, dass es hierbei aber weder um eine Humanisierung der Arbeitswelt noch um die Verfolgung christlicher oder sonstiger weltanschaulicher Motive ging:

„Vielmehr kam (...)das nüchterne machttechnische Kalkül zum Zuge, angesichts der Drohkulisse, die durch die einschneidenden ökonomischen und sozialen Disparitäten des industriekapitalistischen Wachstumsprozesses und die Fundamentalopposition der organisierten Arbeiterschaft erzeugt wurde, die ge­ fährdete Legitimationsbasis eines sehr jungen, durchaus noch nicht stabilisierten Staates zu befestigen. Inso­ fern handelte es sich um eine innovative "Antwort" auf eine Herausforderung, die über die Reaktion auf ver­ schärfte Verteilungskämpfe weit hinausging. Die Loyalität der systemkritischen Kräfte sollte durch ihre mate­ rielle Sicherstellung als Staatsrentner, durch eine "kollektive Massenbestechung" (H. Rosenberg), aus der Bis­ marck keinen Hehl machte, zurückgewonnen werden.“36

Für die bisher am stärksten Diskriminierten bedeutete diese Politik wenigstens den Ge­ winn eines Mindestmaßes an sozialen Sicherungen und in der Gesellschaft erlangte der Grund­ wert der sozialen Sicherung zunehmend an Bedeutung.37 „Auch die NS­Diktatur setzte daher aufgrund der positiven Erfahrungen die großzügig erweiterte Sozialpolitik des `Volksstaats` als probates Mittel der Loyalitäts­ dauerhaft ein Dasein ausserhalb der Produktionsphäre fristet, und in der Folge in immer stärkere Abhängigkeit von den Systemen wohlfahrtsstaatlicher Fürsorge gerät. gewinnung und Herrschaftsstabilisierung ein - mit unleugbarem Erfolg, wie sich herausstellte.“38

Nach dem zweiten Weltkrieg stand das zerstörte Nachkriegsdeutschland vor einer desola­ ten sozialen und wirtschaftlichen Lage, die z.B. Wehler als noch dramatischer als die Krisenzei­ ten von 1879/1880 oder die Weltwirtschaftskrise 1923 einschätzt.39 Von diesem Zeitpunkt an, bis zu den 1980er Jahren, lassen sich in Deutschland fünf verschiedene Phasen von Armutsauspräg­ ungen beobachten:

Eine erste Phase, in welcher Armut weit verbreitet war, stellt die eben skizzierte Zeit der 1940er und 1950er Jahre dar, die durch die immensen Zerstörungen des zweiten Weltkriegs und von Wiederaufbaubemühungen geprägt waren. Der Zusammenbruch des politischen und wirt­ schaftlichen Systems führte zu Hunger, Massenobdachlosigkeit und Massenarbeitslosigkeit. Ar­ mut war ein weit verbreitetes, alltägliches Phänomen, das breite Bevölkerungsschichten betraf. Mit Anlaufen der Wirtschaft veränderte sich dieser Zustand in den 1950er Jahren. Als Auslöser dafür lassen sich die Debatten um das Sozialhilfegesetz (1949) sowie das Lastenausgleichsges­ etz40 (1952)41 festmachen. Eine „(...)Wende von der Armut des Volks zur Armut des Einzelnen“, kenn­ zeichnet diese zweite Phase von Armut, in der noch jungen Republik. Die weitere wohlfahrts­ staatliche Politik orientierte sich allerdings weiterhin an Bismarkscher Tradition: „Im allgemeinen war die Bundesrepublik auf den "klassischen Entwicklungspfad der deutschen Sozialordnung" zurückgekehrt, indem sie die Absicherung gegen "Standardrisiken" fortschrieb, wie sie in der Renten­, Kranken­ und Unfallversicherung seit langem fixiert worden war.“42

Als Beginn einer dritten Phase, kann die (sehr populäre) Reform des Rentengesetztes 1957, und die aus dem Jahre 1961 stammende Reform des seit 1924 geltenden Fürsorgerechtes, betrachtet werden. „Das ab 1962 geltende Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bewirkte die ‘Individualisierung’ der staatlichen Fürsorge in Form persönlicher Hilfen in Ausnahmesituationen, beispielsweise bei Krankheiten oder Be­ hinderungen als Armutsursache.“43

Die „Wirtschaftswunderära“ schließlich verlangsamte den Prozess der fürsorgepolitischen Ent­ wicklung; die dramatische soziale Lage der Bevölkerung in der direkten Nachkriegszeit war ent­ schärft worden, und bei annähernder Vollbeschäftigung, verschwand das Problem kollektiver massenhafter Arbeitslosigkeit und Armut schlechthin aus dem Fokus der Bevölkerung und der politischen Debatte.44 In Verbindung mit der gestiegenen Kaufkraft ermöglichte die fordistische Massenproduktion schließlich auch den unteren Schichten, mehr und mehr die Orientierung am Lebensstil der Mittelschicht.

In den 1970er Jahren schließlich tauchte die schon verschollen geglaubte soziale Frage wieder im kollektiven Bewusstsein auf: Der damalige CDU­Generalsekretär Geißler45 sah den Sozialstaat in der Krise und diagnostizierte, dass große Gruppen der Bevölkerung (Ältere, Fami­ lien, Frauen, Obdachlose) benachteiligt würden und am allgemeinen Wohlstand nicht angemes­ sen beteiligt seien. Geißler löste damit eine bis heute andauernde Diskussion über „die neue so­ ziale Frage“ aus. Mit der Zunahme der Arbeitslosigkeit und Armut in den 1980er Jahren, bedingt durch die beiden Ölpreisschocks in den Jahren 1973 und 1981, die allgemeine Zunahme der Er­ werbsbeteiligung der Bevölkerung46 und Veränderungen in der Struktur des Arbeitsmarktes zu Beginn der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in Deutschland, wurden auch bezüg­ lich der sozialen Sicherungssysteme nachhaltige Kostendämpfungsversuche unternommen. In Deutschland rückte dadurch der Begriff „neue Armut“ in den Fokus politischer und wissen­ schaftlicher Analysen. Armut betrifft nicht mehr nur die Gruppen der Rentner, Obdachlosen, So­ zialhilfempfänger und Menschen, denen aufgrund physischer oder psychischer Einschränkungen der Zugang zum Arbeitsmarkt verschlossen ist, sondern im verstärkten Ausmaß auch junge und arbeitsfähige Menschen, Familien, alleinerziehende Mütter, Kinder, junge Erwachsene und ältere Menschen, die noch keinen Rentenanspruch haben sowie Langzeitarbeitslose und Geringqualifi­ zierte. Aufgrund von struktureller Armut und Arbeitslosigkeit, sowie der Zunahme der davon betroffenen Gruppen, schwingt schliesslich in der Bedeutung des Begriffs „neue Armut“ die Be­ fürchtung mit, dass Armut ein allgemeines Risiko geworden wäre, dass prinzipiell jeden treffen könne.47

Zur sozialstaatlichen Entwicklung in Deutschland lässt sich nun konstatieren, dass das deutsche Wohlfahrtssystem ein konservatives Wohlfahrtsystem darstellt, welches in den Grundzügen bis heute am ständischen Geist des Bismarckschen Systems anknüpft.48 Zwar ist eine ausgeprägte Staatsaktivität bezüglich der sozialen Absicherungen der Individuen festzustellen, jedoch nicht mit dem Ziel einer Verminderung des Wohlstandgefälles oder der Verringerung der sozialen Un­ terschiede innerhalb der Bevölkerung, sondern vielmehr um den Schutz bestehender Statushirar­ chien zu garantieren. Selbige sind in Deutschland nun maßgeblich von der jeweiligen Position eines Individuums auf dem (stark segmentierten) Arbeitsmarkt abhängig, und werden direkt ins System der sozialpolitischen Versorgung übersetzt, wo sie fortwirken:49

„Es herrscht überwiegend das Leistungsprinzip: Nur wer arbeitet und in die Versicherungen einzahlt (oder bei einer erwerbstätigen Person mitversichert ist), hat Ansprüche auf Gegenleistung. Sicherungsansprüche sind weitgehend an die Stellung des Einzelnen im Erwerbssystem gekoppelt (‘Lohnarbeitszentrierung’). Soziale Sicherheit muss durch Teilnahme am Erwerbsleben ‘verdient’ werden. Das Konstrukt des ‘Normalarbeitsverhältnisses’ und das Modell des ‘Male­Breadwinners’ sind zudem normativer Bezugspunkt für die soziale Sicherung und Wohlfahrt der Bürgerinnen und Bürger und wirken sich oft zusätzlich negativ auf bestimmte Bevölkerungsgruppen aus (z.B. Frauen, Alleiner­ ziehende etc.).“50

3 Soziale Exklusion: Literaturüberblick

Der Diskurs um soziale Ausgrenzung nimmt seinen Anfang mit Arbeiten klassisch­so­ ziologischer Theoretiker wie Max Weber, Georg Simmel und Emilie Durkheim. Weber bei­ spielsweise beschrieb schon Anfang des 20. Jahrhunderts wie Phänomene sozialer Schließungen an der Entstehung sozialer Ungleichheiten beteiligt seien. Um 1960 erlangte die Begrifflichkeit „soziale Exklusion“ im Kontext gesellschaftspolitischer Debatten, sowie in der Literatur in Frankreich, an Präsenz. Mit, den Ausgegrenzten, waren diejenigen gemeint, welche am wirt­ schaftlichen Aufschwung nicht teilhaben konnten. In den 1980er Jahren gewann diese Problema­ tik in ganz Europa an Brisanz. Bedingt durch die weltweite Ölkrise, folgte ein ökonomischer Abschwung sowie steigende Massenarbeitslosigkeit und ein struktureller Wandel des Arbeits­ marktes.

Der Begriff der sozialen Exklusion ist dabei untrennbar mit dem Begriff der Integration verbunden, und während bei Armutskonzepten Mängel im Bezug auf wirtschaftlichen Ressour­ cen im Fordergrund stehen, erweitert sich dieser Blickwinkel mit der Debatte um soziale Exklusion zu Teilnahmebeschränkungen am gesellschaftlichen Leben und auch bezüglich sozia­ ler und staatsbürgerlicher Rechte. Die Exklusionsdebatte ist nun in der Traditionslinie der franzö­ sischen Armutskonzepte entstanden, und der Exklusionsbegriff ist 1989 auch von der Euroäi­ schen Gemeinschaft in den offiziellen Sprachgebrauch aufgenommen worden und „sowohl ihre po­ litischen Programme zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armu t als auch ein[en] Teil ihrer Forschungsförde ­ rung unter das Motto „ combat social exclusion “ 51 gestellt worden. In den USA, bzw. dem angelsächsischem Raum, wird hingegen häufig von urban underclass ge­ sprochen. Damit werden Folgen verfestigter Armut, wie räumliche Segregation, Ghettoisierung und starke Benachteiligung armer Menschen und/oder bestimmter Ethnizitäten beschrieben. Grund dafür ist eine unterschiedliche ideengeschichtliche Tradition der einzelnen Kulturkreise, unterschiedliche Vorstellungen von Fragen des Zusammenlebens und der Integration, wie auch unterschiedliche Ausprägungen von Armutslagen und ihren Konsequenzen.

3.1 USA / angelsächsische Länder: Konzept der „ urban underclass “

Der schwedische Forscher Gunnar Myrdal führte in den 1960er Jahren den Begriff „urban underclass“ ein, und prognostizierte für bestimmte US­amerikanische Städte und Regionen, aufgrund von Deindustrialisierungsprozessen, das Entstehen einer Klasse von Erwerbslosen, die nicht mehr in den Arbeitsmarkt zu integrieren sei, und sozial isoliert und dauerhaft von der Wohlfahrtsproduktion ausgeschlossen wäre. Eng verbunden ist das underclass­Konzept mit dem Konzept „(sub­)culture of poverty“52, des US­amerikanischen Anthropolgen Oscar Lewis53, wel­ cher in seinen Untersuchungen eine Verselbständigung der Lebensweise armer Menschen, ohne Bezug zur Kultur der Mehrheitsgesellschaft konstatierte, und im Weiteren auch vor generationen­ übergreifender Verfestigung von Armutslagen warnt.

Speziell in den 1980er Jahren richtete sich in den USA der Fokus verstärkt auf sozial schlecht integrierte Menschen, wobei diesbezüglich Probleme räumlicher Segregation im Vorder­ grund standen. Stadtbezirke, in welchen die Abwesenheit staatlicher Institutionen sowie eine hohe sozialstrukturelle und ethnische Homogenität der Bewohner augenfällig wurde,54 entwi­ ckelten sich zu Problembezirken mit überproportional hohen Arbeitslosen­, Armuts­ und Krimi­ nalitätsraten. Im darauf folgenden öffentlichen und politischen Diskurs der USA wurden jedoch die Konzepte von Myrdal und Lewis, welche auf diese Entwicklung Bezug nehmen, von Politik und Öffentlichkeit uminterpretiert: Die marginale ökonomische Lage der dunkelhäutigen Bevöl­ kerung, und damit verbundene Mängel an gesellschaftlicher Teilhabe und Verfestigung von Ar­ mutslagen („Vererbung“ von Armut), bis hin zu geografischen, städtischen Spaltungs­ und Segre­ gationsprozessen, wurde nicht als Folge gesellschaftlicher Ungleichverteilung von Arbeit, Ein­ kommen und Wohnraum betrachtet. Stattdessen wurde das Verhalten der Betroffenen selbst (z.B.: persönliche Defizite, mangelnde Motivation) für die Situation verantwortlich gemacht55. Auch rassistische Konnotationen schwangen in dieser Debatte mit, und der Politik diente sie letztend­ lich als Legitimation von Kürzungen der Sozialleistungsansprüche. Wilson versuchte in den 1980er Jahren schließlich noch einmal, den underclass­Begriff sozialräumlich und sozialstruktu­ rell zu fundieren. Dazu untersuchte er Abwanderungsprozesse der schwarzen Mittelschichten aus den inneren Bezirken amerikanischer Großstädte, welche dort eine Konzentration von Langzeit­ arbeitslosen, Niedrigqualifizierten und Armen zur Folge hatte. Für die Herausbildung einer un ­ derclass hält er das Zusammentreffen der Faktoren „ökonomisch marginale Situationen“ (bzw. einer schlechten Anbindung an den Arbeitsmarkt), „sozialer Isolation“56 und „räumliche Konzentration von Armut und Benachteiligungen“, für ausschlaggebend.

Die Wissenschaftler Devine und Wright unterscheiden schließlich, darauf aufbauend, vier Merkmale einer Unterklasse: Dauerhafte Armut, die Ablehnung gesellschaftlich geltender Werte und Normen, Kriminalität und die räumliche Konzentration von benachteiligten Bevölker­ ungsschichten.57

Als Fazit lässt sich ziehen, dass der underclass­Begriff in der US­amerikanischen Debatte zum „Sammelbecken für Diskriminierungen, kulturelle Zuschreibungen und Stigmatisierung(...)“58 geworden ist, und auch die Übertragung auf Europa und die BRD schwierig ist. Das Ausmaß von Armut und ethnischer Segregation59 in den hiesigen Großstädten ist (trotz aller Probleme in manchen Bezirken) im Moment kaum mit der Situation in den USA zu vergleichen. Trotzdem steigt auch in Deutschland mit zunehmender sozialer Polarisierung und der Zunahme struktureller Arbeitslosigkeit, sowie dem Wandel vom versorgenden zum animierenden Wohlfahrtsstaat, dies­ bezüglich die Besorgnis. In der Öffentlichkeit werden Phänomene und Thesen wie das einer „Hartz­ IV­Kultur“, oder das einer Bevölkerungsgruppe der „Überflüssigen“60 diskutiert, welche Nähe zum underclass­Konzept haben: Sie weisen auf Befürchtungen bezüglich dem Entstehen neuer Ungleicheitsstrukturen, die quer zur horizontalen Schichtung der Gesellschaft verlaufen, und Spaltungen innerhalb der Gesellschaft in eine Klasse der „Dazugehörigen“ und eine der „Nichtdazugehörigen“, hin.

„Auch wenn der underclass­Diskurs (...) an eine individualistisch­funktionalistische Tradition wohlfahrtsstaatlicher Ideologie gebunden ist, während das Interpretationsmodell der sozialen Ausgrenzung die Integrationsleistungen des Sozialstaats und die Gewährleistung sozialer Rechte reflektiert (...)“61, verbindet beide Ansätze die Vorstel­ lung einer Abkopplung eines Teils der Bevölkerung von der allgemeinen Wohlstandproduktion und damit, dem Rest der Gesellschaft.

3.2 Entstehung des Exlusionsbegriffs in der französischen

Soziologie

In den 1970er Jahren wurde das Thema soziale Exklusion im Buch „Les Exclus“ des Franzosen René Lenoir entdeckt, der das Phänomen der Ausgrenzung weniger als Folge extremer Armut betrachtet, sondern es als gesellschaftliche Pathologie darstellt, welche auf Menschen, die nicht zu assimilieren seien, zurückgehe.62 In Frankreich erfreute sich der Begriff nun schnell großer Beliebtheit. Rudolf Stichweh führt dies darauf zurück, dass es „ (...) `Sozialpolitik` als eine etablierte politische und theoretische Kategorie in Frankreich im Unterschied zu England und zu Deutschland nicht zu geben scheint, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Probleme des Ausschlusses gr öß erer Bevölkerungskategorien nicht in die Termini der Zuständigkeit und des Mass ­ nahmenkataloges eines besonderen Politikbereichs, vielmehr als eine Frage der gesamtgesellschaftlichen Differenzierung gesehen werden. “ 63

Damit, so Stichweh im Weiteren, werde es möglich, auch sehr heterogene Kategorien von Betroffenheit zusammenzufassen.64 1996 schließlich beschrieb Didier Fassin65 vier Bereiche in denen Exklusionsphänomene zu beobachten seien: Die Schule, die Stadt, den Arbeitsmarkt und den Bereich der sozialen­ und medizinischen Sicherung. Heute lassen sich drei Ebenen der Ana­ lyse von Exklusionsphänomenen und diesbezüglicher Theoriebildungsversuche in der französi­ schen Soziologie zusammenfassen:

1. Das Werk „Die Metamorphose der sozialen Frage“ des Sozialwisenschaftlers Robert Castel ist exemplarisch für einen Ausgrenzungsbegriff, der den Zerfall des Arbeitnehmerstatus und da ­ mit einhergehend auch das Brüchigwerden von Arbeitnehmerrechten, staatsbürgerlichen Rech ­ ten, sowie sozialen Rechten und Absicherungen, in den Mittelpunkt stellt. Castel analysiert die Geschichte der Lohnarbeit als Wandel vom individuellen Vertragsverhältnis zum durch kollekti­ ve Rechte geschützten Status, und stellt dabei ihre besondere Bedeutung für die Integration des Individuums in die Gesellschaft, heraus. Die Arbeitnehmerschaft sei seit der Industrialisierung der zentrale soziale Integrationsmotor. Castels Definition von Exklusion als Begriff mit den bei­ den Doppelbestimmungen „ non ­ integration “ und „ non ­ insertion “ gehört zu seinen relvantesten Erkenntnissen:

a) „non­integration“ in den Arbeitsmarkt und damit verbundene ökonomische Prekarität
b) „non­insertion“ in soziale Nahbeziehungen bzw. Brüchigkeit der sozialen Beziehungen.

Als soziale Exklusion beschreibt er den (...) Zustand all derer, die sich außerhalb der lebendigen sozialen Austauschbeziehungen gestellt sehen “ . 66 Dabei kommt nun, laut Castel, der Erwerbsarbeit die zentrale Rolle bei der Vermittlung gesellschaftlicher Zugehörigkeit zu, gefolgt von den beiden Modi der gesellschaftlichen Nahbeziehungen und auch dem der politischen­ und institutionellen Teilhabe. Zu seinen wichtigsten Implikationen gehören im Weiteren, dass die Ausgrenzung der Gegenwart nicht der Ausgrenzung von heute entspreche; dass wir es also heute mit einem Problem neuer Qualität zu tun haben, sowie, dass Exklusion kein Randphänomen sei, sondern ein grundlegender Prozess in den kapitalistischen Gesellschaften. Trotzdem weist er explizit darauf hin, dass soziale Exklusion nicht mit wachsender sozialer Ungleichheit gleichgesetzt werden dürfe, sondern eine besondere Art von Ungleichheit darstelle.

2. Eine weitere Lesart sozialer Exklusion richtet den Fokus auf das Ende der Industriegesell ­ schaft. In Ihrem Zentrum steht insbesondere die abnehmende Bedeutung der Arbeiterbewegung. Als Beispiel dafür seien hier die Autoren der Studie „Im Aus der Vorstädte“, Dubet und Lapey­ ronnie genannt, die statt, wie bei Castel geschehen, mittels dem durkheimschen Solidaritätsmod­ ell, Exklusion durch staatliche Maßnahmen als verhinderbar zu betrachten, den Konflikt zwi­ schen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zum Kern sozialer Integration machen. Im Zentrum die­ ser Interpretation steht dabei, dass die Integrationskraft der Arbeiterbewegung schwindet67 und diejenigen, welche sich in Mangellagen befinden, sich im Gegensatz zur Zeit der Industrialisier­ ung, nur noch schwer zu einem kollektiven Akteur innerhalb der Gesellschaft formieren können, um ihren Interessen Ausdruck zu verleihen. Soziale Exklusion sei nun das Phänomen, welches auf einen generellen Wandel in der sozialen Ordnung hindeutet. Dubet und Lapeyronnie folgern, dass Ausgrenzung Ausbeutung ersetzt habe.

Das in der Industriegesellschaft die soziale Frage prägende Moment des Konflikts zwi­ schen dem Arbeiter, seinen Arbeits­ und Lebensbedingungen, seinen Arbeitnehmerrechten und den in der Regel konträren, auf Profit ausgerichteten Interessen des Arbeitgebers, wird nach die­ ser Lesart ersetzt durch ein „Konfliktbündel“. Dieses sei geprägt von diversen sozialen Proble­ men: Kämpfe um kulturelle Anerkennung und urbane Segregation68 sowie Jugendarbeitslosigk­ eit, Langzeitarbeitslosigkeit, und nicht zuletzt die Ethnisierung sozialer Konflikte, würden sich hier vermischen. Die soziale Frage habe sich verräumlicht69 und gehe nun über den Produktions­ bereich hinaus, verbinde sich dabei mit privaten und kulturellen Aspekten und sickere so selbst in Beziehungsnetze ein, so die Diagnose von Dubet und Lapeyronnie welche die Exklusionsdebatte aus stadtsoziologischer Perspektive diskutieren. Soziale Ausgrenzung sei dann gegeben, wenn materielle Deprivation70 zusammen mit Benachteiligungen bzw. Teilhabedefizite in mehreren re­ levanten gesellschaftlichen Teilbereichen wie Bildung, medizinischer Versorgung und politischen Partizipationmöglichkeiten vorliegen.71

3. Eine dritte Analyseebene stellt die Idee vom „animierenden Staat“ dar. Exemplarisch seien hier Jacques Donzelot und Phillipe Estebé genannt, die eine liberale Lesart von Ausgrenzung vertreten. Ausgrenzung wird hier als Krise der Institutionen gesehen, ja gleichsam als philosophische Krise, die aufzeige, dass die sozialstaatlichen Methoden überholt und gleichsam überaltert seien, um den heutigen Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht zu werden. Hierfür wird gerade die Massenarbeitslosigkeit als Beweis angeführt. Zudem gebe es auch eine kontraprodukt­ ive Seite sozialer Absicherung: Eine Abhängigkeitskultur hätte sich eingeschlichen72 und fehlen­ de Anreize wieder aktiv am Berufsleben teilzunehmen seien das Indiz dafür, dass eine morali­ sche Mobilisierung der Arbeitslosen vonnöten sei.

3.3 Der Exklusionsdiskurs in Deutschland: Literaturüberblick

Während auf Ebene der EU schon seit den 1980er Jahren der Kapf gegen „social exclution“ ein beherrschendes Thema war und in Ländern wie Frankreich seit geraumer Zeit ein hitziger Diskurs über die sozialen Probleme der Moderne entbrannt war, ereichte der Exklusionsdiskurs die deutsche Sozialwissenschaft und die Öffentlichkeit verspätet. Kronauer stellt hierzu die provozierende Frage, wie man denn angesichts von über vier Millionen Arbeitslosen in den 1990er Jahren (davon ca. die Hälfte Langzeitarbeitslose) nicht von Exklusion sprechen habe können. Er beantwortet diese Frage mit der These, dass eben hierfür der Grund sei, dass hierzulande Ausgrenzung so gut funktioniere; gerade die Mittelschichten, die z.B. in den USA erst begannen über die soziale Situation der armen Bevölkerung zu debattierten, als die ökonomische Lage auch von ihrem Lebensstandart Abstriche erforderte, seien in Deutschland noch lange nicht von sozialen Problemen betroffen gewesen.

„ Noch in den 1990er Jahren blieben zwei Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von Arbeitslosigkeit verschont. Auf das dritte Drittel konzentrieren sich die Risiken, arbeitslos zu werden (...). Gegenwärtig sehen wir Anzeichen, dass sich dies ändert. Die Mittelklassen werden ihrererseits dadurch erschüttert, dass es ihnen an den weißen Kragen geht.“73

3.3.1 Modi und Dimensionen der gesellschaftlichen Zugehörigkeit: Martin Kronauer

Kronauer definiert nun soziale Exklusion als zentrale Kategorie für eine kritische Gesell­ schaftsanalyse und will dabei eine soziologische Perspektive etablieren, die sich von populären, unkritischen Lesarten sozialer Exklusion, abhebt. Statt Exklusion als Phänomen zu deuten, wel­ ches sich mit einer Randgruppe der Bevölkerung beschäftigt, um dessen Wiedereingliederung es gehe, versucht er, Exklusion als eine Kategorie, die vom Rande in die Mitte der Gesellschaft ver ­ weist, zu denken. Dadurch wird nun der Blick auf Phänomene des Wandels sozialer und politi­ scher Ungleichheitsstrukturen gelenkt. Charakteristikum von Exklusion sei im Weiteren, dass Ausschluss weniger denn je Ausschluss aus der Gesellschaft, sondern Ausschluß innerhalb der Gesellschaft, darstelle. Kronauer konstatiert hier eine Gleichzeitigkeit von Drinnen ( ein Teil der Gesellschaft sein) und Draußen (trotzdem nicht an ihr teilhaben können74 ).

Für die Industrienationen Westeuropas zeigt Kronauer, dass in den ersten 25 Jahren nach dem zweiten Weltkrieg, Teilhabe an der Gesellschaft durch ein Integrations­ und Wachstumsmo­ dell vermittelt wurde, welches auf starkem wirtschaftlichen Wachstum und Beschäftigungs­ wachstum (bedingt durch den Wiederaufbau) fußte und eine Ausweitung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen zur Folge hatte. Die vorherrschende sozialökonomische Ungleichheit in der Bevölke­ rung wurde dadurch nicht vermindert, aber bis zu den 1970er Jahren durch einen „Fahrstuhlef­ fekt“, der den Lebensstandart der meisten Mitglieder der Bevölkerung erhöhte, abgemildert. Die wohlfahrtsstaatliche Programmatik impliziert dabei, dass persönliche und politische Rechte nur sichergestellt werden können, wenn sie durch materielle und soziale Absicherungen, bzw. Rechte, ergänzt werden. Die Schwachstellen dieser Programmatik liegen darin, dass mit zunehmender Ausdehnung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen und dem parallelen Rückgang der Subsistenzwirt­ schaft, auch ein Rückgang der familiären Hilfsleistungen zu beobachten ist, und somit die Indivi­ duen schließlich in starke Abhängigkeit zum Staat geraten75. Eine weitere Schwachstelle ist die Abhängigkeit der Finanzierbarkeit wohlfahrtsstaatlicher Leistungen von einer möglichst konstant hohen Erwerbsbeteiligung76.

„ Marshall sprach deshalb in seinen Vorlesungen von einer 'Pflicht zur Erwerbsarbeit'. Er erwähnte allerdings nicht, dass einer solchen Pflicht kein Recht auf Erwerbsarbeit gegenübersteht - und in kapitalistischen Marktwirtschaften auch nicht gegenüberstehen kann. Denn ein Recht auf Arbeit würde im Kern in das Eigentumsrecht der Kapitalbe­ sitzer (...) eingreifen und somit das grundlegende Machtgefälle in diesen Gesellschaften in Frage stellen.(...) Die Verbindung von sozialen Rechten und kapitalistischer Marktwirtschaft ist schon deshalb immer prekär. Prekär blei­ ben damit aber auch sozialökonomische Zugehörigkeit und Teilhabe.“77

Durch annähernde Vollbeschäftigung konnte, so Kronauer, dieser Konflikt bis zu den 1970ern überdeckt werden. Aufgrund von Umbrüchen in der Erwerbsarbeit (u.a. dem Rückgang der industriellen Arbeit, der starken Entwicklung des tertiären Sektors mit der Folge von konstant hoher Arbeitslosigkeit), sowie Erosionen des Kompromisses zwischen Kapitaleigentümern und Beschäftigten und auch der verstärkten Individualisierung von Lebensformen seien aber seitdem für viele Menschen Zugehörigkeit und Teilhabe in den folgenden Dimensionen78 in Frage gestellt:

(A) Ausschluss aus Interpendenzbeziehungen:

- Ausschluss aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung: Ausgrenzung bedeutet hier, keinen an­ erkannten Platz in der Gesellschaft zu haben.

- Ausschluss aus sozialen Netzen: Ausgrenzung bedeutet hier soziale Isolation.

(B) Ausschluss von Teilhabemöglichkeiten (Partizipation)

- Ausschluss von materieller Teilhabe: Ausgrenzung bedeutet, nicht mithalten zu können.

- Ausschluss von politisch­institutioneller Teilhabe: Ausgrenzung bedeutet Macht­ und Chan­ cenlosigkeit.

- Ausschluss von kultureller Teilhabe: Ausgrenzung bedeutet, von gesellschaftlich geteilten Le­ benszielen abgeschnitten zu sein.

Aus seiner Analyse lässt sich folgendes Fazit ziehen: Ausgrenzung heute besteht, in der Unterscheidung zu historischen Formen der Ausgrenzung darin, dass einerseits (in der BRD zu­ mindest für diejenigen Gesellschaftsmitglieder mit deutscher Staatsangehörigkeit) eine formale Berechtigung auf Zugehörigkeit besteht, dieser Anspruch aber andererseits nicht eingelöst wer­ den kann. ­ Wenn z.B. eine ökonomische Notsituation es unbezahlbar macht, bei juristischen Pro­ blemen einen adäquaten Fachanwalt hinzuzuziehen; oder die finanziellen Mittel es nicht zulas­ sen, kulturellen Aktivitäten nachzugehen und informelle soziale Kontakte zu pflegen; oder auch, wie Kronauer es beschreibt, die im Alltag erfahrene Ohnmacht und Hilflosigkeit gegenüber der eigenen Lebenssituation es unterhöhlt, politische Rechte wahrzunehmen.79

3.3.2 Exklusion in der Systemtheorie

Auch die Systemtheorie operiert mit den Begriffen Exklusion und Inklusion; wenn gleich deren Bedeutung hier zuerst einmal eine spezifische, nicht der des Terminus Exklusion in der Ar­ mutsforschung entsprechende ist: In der Luhmanschen Systemtheorie80 nimmt die funktionale Differenzierung als ein Merkmal moderner Gesellschaften eine zentrale Position ein.

„Verschiedene Teilsysteme wie beispielsweise Politik, Recht, Wirtschaft oder Gesundheit, differenzieren sich aus, folgen jeweils einer Eigenlogik, sind selbstreferentiell geschlossen und funktional autonom. Aus der daraus abgelei­ teten funktionalen Gleichheit der gesellschaftlichen Teilsysteme wird gefolgert, dass vertikale soziale Ungleichheit zwar noch vorhanden sei, aber kein dominantes gesellschaftskonstituives Prinzip mehr darstelle.“81

Verteilungskonflikte oder soziale Ungleichheit scheinen so ausserhalb der systemtheoretischen Logik zu stehen; Böhnke weist darauf hin, dass es unbestritten sei, dass funktionale Differenzie­ rung, ebenso wie soziale Ungleichheit strukturgebende Mechanismen der Gesellschaft sind. In welchem Verhältnis sie aber zueinander stehen ist jedoch bislang strittig.

Niklas Luhmanns selbst öffnete die Systemtheorie, nach Reisen in die Favelas Südamerikas82 und angesichts der desolaten Situation der dortigen Bevölkerung, dem Gedanken der sozialen Ungleichheit. Die Logik der funktionalen Differenzierung schien ihm für das dortige Ausmaß an Elend nicht ausreichend. In der Folge fanden einige Versuche statt, von systemtheoretischer Seite eine Adaption des in der Armuts­ und Arbeitslosigkeitsforschung aktuellen Begriffs der sozialen Exklusion vorzunehmen, bzw. die Vereinbarkeit beider Ansätze zu untersuchen.

Aus systemtheoretischer Perspektive wurde gesellschaftliche Teilhabe in stratifizierten Gesellschaften z.B. über die Zugehörigkeit zu Ständen geregelt. In modernen, funktional diffe­ renzierten Gesellschaften sei nun aber gesellschaftliche Teilhabe auf der Ebene der Teilsysteme anzusiedeln, die jeweils autonom voneinander agieren. Inklusion wird so definiert als Berück­ sichtigung eines Individuums (oder auch einer Gruppe) im Kommunikationsprozess eines jewei­ ligen Teilsystems. Exklusion stellt dementsprechen, die soziale Nichtberücksichtigung in einem solchen Teilsystem dar, z.B. wenn nicht an Regionalwahlen teilgenommen werden kann, weil kein legaler Aufenthaltsstatus vorliegt. Nach Luhmann können sich solche Exklusionen aus un­ terschiedlichen Teilsystemen jedoch gegenseitig kumulativ verstärken, was in Widerspruch zu der zuvor definierten Autonomie der einzelnen Teilsysteme steht. Diese Widersprüchlichkeit wird von Luhmann schließlich versucht zu lösen, indem er zusätzlich den Terminus Exklusion 2 ein­ führt: Exklusion 2 wird definiert, als blockierter Zugang zu Teilsystemen der Gesellschaft (also ähnlich zu Definitionen der Armutsforschung).

Der Widerspruch ist aber weiter vorhanden und liegt darin, dass nach dem systemtheore­ tischen Ansatz eine Gesellschaft keinerlei Gründe hat, irgendein Individuum auszuschließen, dass Exklusion in der Logik der funktionalen Differenzierung nicht strukturell ist, sondern je­ weils systemimmanent begründet.83 - Und doch eine Vollinklusion aller Personen faktisch nicht zu realisieren ist. Luhmann argumentiert hierzu, dass eine funktional differenzierte Gesellschaft extrem ungleiche Verteilungen von öffentlichen wie auch privaten Gütern erzeugen könne, dies aber an die beiden Bedingungen der T emporalisierung (extrem ungleiche Verteilungen seien nur temporär, und eine rasche Änderung des Zustandes sei möglich), sowie der Interdependenzunterbrechung (Verluste in einem Teilsystem ziehen keine Verluste in anderen Teilsystemen nach sich) geknüpft sei. Gerade aber das Phänomen der Interdependenz, also mögliche „Kettenreaktionen“ die z. B. ein Verlust der Arbeitsstelle84, oder ein Pflegefall in der Familie nach sich ziehen kann, stellen für die Armutsforschung einen wesentlichen Auslöser für Abstiegsdynamiken und Armutsprozesse dar.85

Auch Martin Kronauer kritisiert in seinem Aufsatz „Exklusion in der Armutsfor­ schung und der Systemtheorie“, dass Luhmanns systemtheoretische Persektive keine Lösung für den Widerspruch, dass einerseits keine Person aus allen Teilsystemen ausgeschlossen werden kann86, andererseits in der Praxis Menschen existieren, die so stark und multibel depriviert sind, dass ihnen die Teilnahme an existenziellen Teilsystemen wie Bildung, Politik, Wohnen, Wohl­ fahrt und Arbeitsmarkt in der Tat nicht möglich ist (z.B. Straßenkinder in Südamerika). Zudem würden systemtheoretisch keine Ursachen bzw. Gründe für das Stattfinden von Exklusion 2 er­ kannt werden.

Aus systemtheoretischer Sicht versucht schließlich der Sozialwissenschaftler Nassehi die­ se Widersprüche aufzulösen, indem er postuliert, dass der Exklusion 1­ Begriff auf moderne, voll funktional ausdifferenzierte Gesellschaften anzuwenden sei, während der Exklusion 2­ Begriff nur auf noch nicht voll ausdifferenzierte, eher traditionale Gesellschaften in Regionen, die sehr stark benachteiligt seien, (z.B. südamerikanische Slums) anzuwenden wäre. Kronauer führt dies­ bezüglich wiederum kritisch an, dass es gute Gründe gäbe, nun sowohl anzunehmen, dass ge­ sellschaftliche Teilsysteme eine relative Eigenständigkeit besäßen, als auch, dass nichtsdestotrotz eine starke Verbindung zwischen den Teilsystemen bestehe. Er zeigt, dass dieses „Übersetzungs­ problem“ (Wieso sich also Veränderungen in einem Teilsystem auch in anderen bemerkbar ma­ chen), schon von Marshall und Bourdieu zu lösen versucht wurde (Untersuchungen zu Citizen­ ship von Marshall oder Kapitalsorten von Bourdieu), aber dennoch keine für die Systemtheorie befriedigende Lösung zur Auflösung dieser Widersprüche erkennbar wäre.87

[...]


1 Negt, Oskar: Arbeit und menschliche Würde; Steidl Verlag, Göttingen 2001, 2008; S. 15.

2 OECD: Mehr Ungleichheit trotz Wachstum?, Einkommensverteilung und Armut in den OECD­ Ländern; OECD Publikation; 2008; S. 128.

3 Vgl.: Loke, Matthias; Hammerschmidt Ruprecht: Armut in Deutschland, Kluft zwischen arm und reich wächst; in: Berliner Zeitung; 22.10.2008; S.15.

4 Castel, Robert: Die Metamorphose der sozialen Frage, Eine Chronik der Lohnarbeit; UVK Universitätsverlag Konstanz GmbH;Konstanz; 2000.

4 Ungleich verteilter Besitz an Produktionsmitteln führt dazu, dass diejenigen, die nur ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, in die Ausbeutungslogik der Kapitalakkumulationsprozesse derer die die Produnktionsmittel besitzen, eingebunden sind. In der Folge führt dies zu sozialen Ungleichheiten, die sich beispielsweise in ungleich verteiltem ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapital ausdrücken, und sich schließlich in Schicht­ und Klassenunterschieden manifestieren.

5 Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen, Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen; 7. Auflage; München; dtv; 1996.

6 Callies, Oliver: Mariginalisierungen und Exklusionsverläufe; abgeschlossenes Projekt des Hamburger Instituts für Sozialforschung; Arbeitsbereich 'Die Gesellschaft der Bundesrepublik'; Hamburg; 2003; WWW: www.his­ online.de; 12.12. 2008.

7 Schäfers, Bernhard: Soziologie und Gesellschaftsentwicklung, Aufsätze 1966­1996; Leske+Budrich Verlag; Opladen; 1996; S. 254.

8 Schäfers, Bernhard (1996): S. 243­244.

9 Simmel, Georg: Der Arme; In: Soziologie, Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung; Duncker & Humblot Verlag; 5. Auflage; Berlin; 1968; S.369.

10 Vgl.: Eichler, Daniel: Armut, Gerechtigkeit und soziale Grundsicherung. Einführung in eine komplexe Thematik; VS­Verlag für Sozialwissenschaften; Opladen; 2001. S.6.

11 Über 900.000 Personen.

12 Vgl.: Giddes, Anthony; Fleck Christian (Hrsg.) u.a.: Soziologie; 2. überarb. Auflage; Verlag Nausner&Nausner; Graz; 1999; S. 294 ff.

13 Giddes, Anthony; Fleck, Christian (1999): S. 294.

14 Ein Haushalt ohne Internetzugang oder fliessend Wasser stellt z.B. in Entwicklungs­ und Schwellenländern kaum, in europäischen Ländern hingegen sehr wohl ein Problem dar.

15 Arm ist dann diejenige Person, deren Lebens­ und/oder Konsumstandart unter einem errechneten Durchschnittsmaß liegt, bzw. gesellschaftlich anerkannte Vorstellungen bezüglich des Lebensstandarts unterschreitet.

16 Relevant hierfür sind in der Regel: Einkommen, Arbeitsbedingungen, Lebensbedingungen, Umwelt (Wohnung, Infrastruktur, Freizeit, etc.) u.a.

17 Vgl.: Groh­Samberg, Olaf; Goebel, Jan: Armutsmessungen im Zeitverlauf, indirekte und direkte Armutsindikatoren im Vergleich ; in: Wirtschaftsdienst; Zeitschrift für Wirtschaftspolitik; 87. Jahrgang, Heft 6, Juni 2007; S. 398.

18 Vgl.: Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands. Gesellschaftliche Entwicklungen vor und nach der Vereinigung; 3. Aufl., Westdeutscher Verlag; Wiesbaden; 2002; S. 247ff.

19 Castel, Robert (2000): S. 15.

20 Würdig im Sinne von: Würdig sein Armenhilfe zu bekommen.

21 Die Einweisung in selbige Häuser erfolgte mitunter zwangsweise; die sanitären Standarts waren schlecht, ansteckende Krankheiten grassierten in den oftmals überbelegten Einrichtungen, und ein Aufenthalt in einem solchen Armenhaus war eher mit einem Gefängnisaufenthalt als dem Aufenthalt in einer Fürsorgeeinrichtung zu vergleichen. vgl.: Castel Robert (2000): S. 15 ff.

22 "Pauperismus ist ein neuerfundener Ausdruck für eine neue, höchst bedeutsame und unheilvolle Erscheinung, den man im Deutschen durch die Worte Massenarmuth oder Armenthum wiederzugeben gesucht hat. (...) Der Pauperismus ist da vorhanden, wo eine zahlreiche Volksclasse sich durch die angestrengteste Arbeit höchstens das nothdürftigste Auskommen verdienen kann, und auch dessen nicht sicher ist (...)" Der Brockhaus: Allgemeine deutsche Real­Encyklopädie; Conversations­Lexikon; 11. Bd.; Leipzig; 1846; S. 15.

23 Vgl.: Castel, Robert (2000): S. 15.

24 Vgl.: Castel, Robert (2000): S. 16.

25 Arbeitslosigkeitskarrieren verdeutlichen zum Beispiel, dass Ausgrenzung oft nicht statisch ist.

26 Vgl.: Castel, Robert (2000): S. 15 ff.

27 Vgl.: Castel, Robert (2000): S. 336.

28 Forschungsdirektor am am CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique) in Frankreich.

29 In: Häußermann, Hartmut; Kronauer, Martin; Siebel, Walter; (Hrsg.): An den Rändern der Städte; Suhrkamp Verlag; 1. Auflage; Frankfurt am Main 2004; S. 71­98.

30 Häußermann, Hartmut; Kronauer, Martin; Siebel, Walter; (2004): S. 72.

31 Häußermann, Hartmut; Kronauer, Martin; Siebel, Walter; (2004): S. 72.

32 Gerade Biografien, Verläufe von Armutsphasen, sowie subjektive Aspekte 'gefühlter' Deprivation spielen eine elementarere Rolle.

33 Zum Beispiel Straßenkinder in Industrienationen. Totgeschwiegen - aber dennoch vorhanden.

34 Und damit verbundener geringerer Einkommensposition, mit Folgen wie schlechtere Wohnsituation und Gesundheitsversorgung und schwächeren Einbindungen in familiäre und soziale Netze.

35 Gerade Langzeitarbeitslosigkeit ist verbreitet, und führt dazu, dass eine größere Gruppe der Bevölkerung

36 Wehler, Hans­ Ulrich: Deutsche Gesellshaftsgeschichte; 1949­1990; C.H. Beck Verlag oHG Biederstein Verlag; München; 2008; S. 257­258.

37 Wehler, Hans­Ulrich (2008): S.258.

38 Ebd.: S. 258.

39 Zehn Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, vier Millionen Kriegsopfer (Invaliden, Witwen,Waisen) 3,4 Millionen Ausgebombte, zwei Millionen Evakuierte, 1,6 Millionen Spätheimkehrer, dazu sechs Millionen aufgrund des Weltkriegs „displaced persons“ waren zu versorgen. Zusätzlich kamen die Probleme der Wiedereingliederung von 13 Millionen Soldaten sowie starke Benachteiligung von Millionen durch die Währungsreform auf Deutschland zu. Vgl.:Wehler, Hans­ Ulrich (2008): S. 259.

40 Das Gesetz über den Lastenausgleich (LAG) hatte das Ziel den Deutschen, die infolge des Zweiten Weltkriegs Vermögensschäden oder besondere andere Nachteile (zerbombte Häuser z.B.) erlitten hatten, teilweise finanziellen Schadensersatz zu leisten.

41 Sozialpolitisch wurde versucht die Situation in den Griff zu bekommen, und Gesetze die umverteilenden Charakter hatten, insbesondere das Gesetz über die Kriegsopferverorgung (1950), das Wohnungsbaugesetz (1951) und das Lastenausgleichsgesetz (1952), führten zu eine Abmilderung der desolaten sozialen Situation vieler Menschen.

42 Wehler, Hans­ Ulrich (2008): S.259.

43 Wehler, Hans­ Ulrich (2008): S.258.

44 Allenfalls Menschen die aufgrund von Krankheit oder Behinderung unterstützt werden mussten, sowie Menschen in vorübergehenden Notlagen waren auf staatliche Unterstützung angewiesen.

45 Heiner Geißler: Geboren 1930 und von 1977 bis 1989 Generalsekretär der CDU.

46 Maßgeblich durch steigende Arbeitsbeteiligung der weiblichen Bevölkerung im Kontext des Rückkgangs des Modells des männlichen „Familienernährers“.

47 Ulrich Beck charakterisiert schliesslich das Eigentümliche an dieser „neuen Armut“ sei, dass sie nicht mehr in einem kollektiven klassenspezifischen Kontext auftrete, sondern als individuelles Einzelschicksal begriffen werde. vgl.:Beck, Ulrich: Risikogesellschaft, Auf dem Weg in eine andere Moderne: Frankfurt am Main; Suhrkamp; 1986.

48 Der SPIEGEL:

49 Vgl.: Salz, Günther: Armut durch Reichtum; Lambertus Verlag; Freiburg; 1991; S.100.

50 Ebd.: S.100.

51 Kronauer, Martin: „Exklusion“ in der Armutsforschung und der Systemtheorie; Anmerkungen zu einer problematischen Beziehung; Beitrag für den internationalen Workshop „Exclusion ­ Theoretical and Empirical Problems” in Bielefeld, 17. April 1998 ; URL: www.sofi.uni­goettingen.de/fileadmin/SOFI­Mitteilungen/Nr._26/ kronauer.pdf; 12.01.2009.

52 Deutsch: (Sub­) Kultur der Armut.

53 Vgl.: Lewis, Oscar: Five Families, Mexican Case Studies in the Culture of Poverty; 1959.

54 Arme und in der Mehrheit dunkelhäutigen Menschen.

55 In der Konsequrenz wurden soziale Rechte beschnitten und die Dauer des Erhalts von Sozialleistungen stark verkürzt.

56 Vgl.: Koch, Max: Ausbeutung und Ausgrenzung. Das Konzept der ‘Underclass’. In: Herkommer, Sebastian (Hrsg.): Soziale Ausgrenzungen. Gesichter des neuen Kapitalismus; Hamburg; 1999; S. S.38.

57 Koch, Max (1999): S.35­59.

58 Böhnke, Petra: Risiken sozialer Ausgrenzung; Verlag Barbara Budrich; Opladen; 2006a; S. 51.

59 Vgl.: Koch, Max (1999): S.41

60 Zu Konzept der „Überflüssigen vgl.: Bude, Heinz (2008)

61 Böhnke, Petra (2006a): S. 52.

62 Vgl.: Mittelweg 36: Zeitschrift des Hamburger Institut für Sozialforschung;10.Jhg.; Dez.01/Jan.02; S.50.

63 Mittelweg 36: Zeitschrift des Hamburger Institut für Sozialforschung;10.Jhg.; Dez.01/Jan.02; S.51.

64 Den arbeitslosen Unternehmer dessen Betrieb insolvent ging, ebenso wie eine alleinerziehende Mutter oder eine Person mit körperlicher Behinderung.

65 Didier Fassin; französischer Soziologe und Arzt für innere Medizin und Anthropologie.

66 Castel, Robert ( 2000); S. 13.

67 Während In den Industriegesellschaften die Arbeiterbewegung Arme und Ausgegrenzte integrieren konnte, und damit soziale Probleme durch Solidaritätsbeziehungen absorbierte, schwindet diese Möglichkeit parallel zum Niedergang der Arbeiterbewegung. Vgl.: Mittelweg 36; 10.Jhg.; Dez.01/Jan.02; S.51.

68 Die französischen Vorstädte, die sich wie ein Gürtel um die Großstädte legen und ehemals vom Industriepro­ letariat bevölkert waren, sind in den vergangenen 20 Jahren zum Konfliktherd par excellence geworden. Im Jahr 2005 gelangten die jugendlichen Banlieubewohner in die Abendnachrichten rund um den Globus: Nachdem zwei junge Leute nach einer Personenkontrolle der Polizei flüchteten und dabei umkamen, beherrschten wochenlange Auschreitungen der Jugendlichen die Seiten der Nachrichtenblätter. Insbesondere die Folgen urbaner Segrgationsprozesse haben in Frankreich besondere Dringlichkeit bezüglich einer Lösungsfindung.

69 Ca. fünf Millionen Franzosen leben in "Problemgebieten" (ZUS ­ Zone Urbaines Sensibles), womit zumeist Banlieues gemeint sind. Als ZUS gelten Stadtteile mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit und geringem Bildungsniveau d. Bevölkerung. „ Im Jahr 2004 war die Arbeitslosenquote in den ZUS mit 20,7 Prozent doppelt so hoch wie im nationalen Durchschnitt. Für die Jugendlichen unter 25 Jahre lag sie sogar bei 36 Prozent. Das Durchschnittseinkommen liegt in der Banlieue bei 10 540 Euro, während es ansonsten in Frankreich 17 184 Euro beträgt. In der Pariser Metropolregion (Ile ­ de ­ France) lebt jeder Jugendliche unter 20 Jahren in einer ZUS ­ Nachbarschaft. Die soziale Benachteiligung der Bewohner, die ethnische Vielfalt, infrastrukturelle Unterentwicklung und politische Vernachlässigung amalgieren in den Banlieue zu einer gesellschaftlichen Problemlage, in der Rassismus, Gewalt und Unsicherheit einen besonderen Nährboden haben “ Eckard, Frank: Frankreichs Schwierigkeiten mit den Banlieue; Zeitung: Das Parlament; Ausg. 38; 17.09.2007; Beilage: Aus Politik und Zeitgeschichte; Bundeszentrale für politische Bildung; S. 23.

70 Vgl.:Dubet, Francois; Lapeyronnie, Didier: Im Aus der Vorstädte; Der Zerfall der demokratischen Gesellschaft; Klett­Cotta Verlag; 2003; S. 51.

71 Vgl.: Häussermann, Hartmut; Siebel, Walter: Stadtsoziologie, Eine Einführung; Campus Verlag; Hamburg; 2004.

72 Vgl.: Mittelweg 36: Zeitschrift des Hamburger Institut für Sozialforschung;10.Jhg.; Dez.01/Jan.02; S.51.ff.

73 Kronauer, Martin: „Exklusion“ als Kategorie einer kritischen Gesellschaftsanalyse. Vorschläge für eine anstehende Debatte; In: Bude, Heinz; Willisch, Andreas: Das Problem der Exklusion­ Ausgegernzte, Entbehrliche, Überflüssige; Hamburger Edition; HIS Verlag; Hamburg; 2006; S. 27.

74 Sei es im ökonomischen, kulturellen oder sozialen Bereich.

75 Der Staat ist in der Lage familiäre und ähnliche soziale Netzwerke bezüglich sozialer Absicherungen in Notlagen, zu einem gewissen Teil zu ersetzen.

76 Oder aber bei niedriger Erwerbsbeteiligung, die Bereitschaft zu Umverteilungsprozessen zwischen Arbeitslosen und Arbeitsplatzbesitzern.

77 Kronauer, Martin: „Exklusion“ als Kategorie einer kritischen Gesellschaftsanalyse. Vorschläge für eine anstehende Debatte; in: Bude, Heinz; Willisch, Andreas: Das Problem der Exklusion; Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige; Hamburger Edition; HIS Verlag; Hamburg; 2006; S. 32.

78 Vgl.: Kronauer, Martin (2006): S. 27­45.

79 Kronauer, Martin (2006): S.38.

80 Vgl.: Luhmann, Niklas: Individuum, Individualität, Individualismus; In: Luhmann, Niklas: Gesellschaftsstruktur und Semantik; Band 3; Frankfurt am Main; 1989; S. 149­258. und: Luhmann, Niklas: Soziologische Aufklärung 6, Die Soziologie und der Mensch; Opladen; 1995.

81 Böhnke, Petra: Risiken sozialer Ausgrenzung; Verlag Barbara Budrich; Opladen; 2006a; S. 66.

82 Sowie auch Reisen in ehemalige, von den Bergwerksunternehmen aufgegebene Bergarbeitersiedlungen mit starker Massenarbeitslosigkeit in Wales.

83 Vgl.: Böhnke, Petra: Risiken sozialer Ausgrenzung; Verlag Barbara Budrich; Opladen; 2006a; S. 67.

84 z.B.: Verlust Arbeitsplatz, Mietzahlung für Wohnung zu hoch, in der Folge Überschuldung, Zwangsräumung, und möglicherweise Obdachlosigkeit. Ohne Wohnung jedoch keine Arbeitsstelle etc.

85 Vgl.:Kronauer, Martin: „Exklusion“ in der Armutsforschung und der Systemtheorie; Anmerkungen zu einer problematischen Beziehung; Beitrag für den internationalen Workshop „Exclusion ­ Theoretical and Empirical Problems” in Bielefeld, 17. April 1998 ; S. 6. URL: www.sofi.uni­goettingen.de/fileadmin/SOFI­ Mitteilungen/Nr._26/kronauer.pdf; 12.01.2009.

86 Selbst ein Ausschluss aus dem System der Arbeit ziehe keinen Ausschluss aus dem System der ökonomischen Teilhabe am kapitalistischen System nach sich, da auch eine arbeitslose Person Nahrungsmittel kaufen müsse, und so an den gesellschaftlichen und ökonomischen Austauschbeziehungen teilnehme. Vgl.: Kronauer, Martin (1998).

87 Kronauer, Martin (1998): S. 4.

Excerpt out of 121 pages

Details

Title
Armut, neue Armut oder soziale Exklusion? Armut in Deutschland im Zeitvergleich zwischen 1980 und 2005
College
University of Tubingen  (Institut für Soziologie)
Grade
2,0
Author
Year
2009
Pages
121
Catalog Number
V137822
ISBN (eBook)
9783668302204
ISBN (Book)
9783668302211
File size
2200 KB
Language
German
Keywords
armut, exklusion, deutschland, zeitvergleich
Quote paper
Juliana Kuemmel (Author), 2009, Armut, neue Armut oder soziale Exklusion? Armut in Deutschland im Zeitvergleich zwischen 1980 und 2005, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137822

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