Durch die Vorschrift des § 12 Aufenth G / EWG werden für den Personenkreis, der von dieser Bestimmung erfaßt wird, die allgemeinen Eingriffsbefugnisse nach dem Ausländergesetz eingeschränkt. Unmittelbar geschützt werden sollen freizügigkeitsberechtigte EG- Angehörige sowie deren Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 1 und 2 Aufenth G / EWG.
Darüber hinaus ist der Frage nachzugehen, inwieweit § 12 Aufenth G / EWG für den aufenthaltsrechtlichen Status von türkischen Staatsangehörigen aufgrund des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1 / 80 ARR von Bedeutung ist.
Gliederung
A) Einführung
B) Systematik des § 12 AufenthG / EWG
I. Geschützter Personenkreis
1.) Freizügigkeitsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AufentG / EWG
2.) Freizügigkeitsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AufentG / EWG
a) Erste Auffassung
b) Zweite Auffassung
c) Dritte Auffassung
d) Eigene Stellungnahme
3.) Freizügigkeitsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AufentG / EWG
4.) Freizügigkeitsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AufentG / EWG
5.) Freizügigkeitsberechtigte nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufentG / EWG
II. Freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen
1.) Erste Ansicht
2.) Zweite Ansicht
3.) Stellungnahme
III. Zulässigkeit der Vornahme von freizügigkeitsbeschränkenden Maßnahmen
1.) Allgemeine Voraussetzungen für alle Maßnahmen
a) Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG / EWG
aa) Gründe der öffentlichen Ordnung
bb) Gründe der öffentlichen Sicherheit
cc) Gründe der Gefährdung der Gesundheit
b.) Persönlich begründeter Anlaß gem. § 12 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG/ EWG
c.) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
2.) Zusätzliche Voraussetzungen bei der Ausweisung
a) Ausweisung bei strafrechtlicher Verurteilung
aa) Erste Meinung
bb) Zweite Meinung
cc) Dritte Meinung
dd) Stellungnahme
b) Ausweisung bei Verstoß gegen melderechtliche Vorschriften
c) Ausweisung bei Bezug von Sozialhilfe
d) Ausweisung bei einem sonstigen erheblichen Nachteil
aa) Erste Ansicht
bb) Weitere Ansicht
cc) Stellungnahme
e) Ausweisung bei Aufenthaltserlaubnis- EG
C.) Der Status türkischer Staatsbürger
I. Aufenthaltsstatus unmittelbar aus § 12 AufentG / EWG
II. Vergleichbarer Aufenthaltsstatus
1.) Erste Meinung
2.) Zweite Meinung
3.) Stellungnahme
Thema: Die Stellung des Ausländers nach § 12 Aufenth G / EWG
A) Einführung
Durch die Vorschrift des § 12 Aufenth G / EWG werden für den Personenkreis, der von dieser Bestimmung erfaßt wird, die allgemeinen Eingriffsbefugnisse nach dem Ausländergesetz eingeschränkt. Unmittelbar geschützt werden sollen freizügigkeitsberechtigte EG- Angehörige sowie deren Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 1 und 2 Aufenth G / EWG.
Darüber hinaus ist der Frage nachzugehen, inwieweit § 12 Aufenth G / EWG für den aufenthaltsrechtlichen Status von türkischen Staatsangehörigen aufgrund des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1 / 80 ARR von Bedeutung ist.
B) Systematik des § 12 AufenthG / EWG
I. Geschützter Personenkreis
Welcher Personenkreis Freizügigkeit genießt, ergibt sich aus § 1 Abs. 1 und 2 AufentG / EWG.
1.) Freizügigkeitsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AufentG / EWG
Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/ EWG genießen Ausländer Freizügigkeit, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind, und im Geltungsbereich dieses Gesetzes eine Beschäftigung als Arbeiter oder Angestellter oder zu ihrer Berufsausbildung ausüben oder ausüben wollen als sog. Arbeitnehmer.
Ausüben wollen bedeutet, daß nicht schon ein Arbeitsverhältnis in Aussicht stehen muß. Der Aufenthalt muß lediglich dem Zweck dienen, sich in einem anderen Mitgliedsstaat um Stellen zu bewerben, die auch tatsächlich angeboten werden[1].Unter einer Beschäftigung ist eine Tätigkeit im Lohn oder Gehaltsverhältnis zu verstehen[2].
2.) Freizügigkeitsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AufentG / EWG
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Aufenth G / EWG genießen ferner Ausländer Freizügigkeit, die Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind und sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes niedergelassen haben oder niederlassen wollen, um eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben, sog. niedergelassene selbständige Erwerbstätige.
Selbständige Erwerbstätige sind beispielsweise Angehörige der freien Berufe, Gewerbetreibende, sowie leitende Angestellte. Der Begriff der Dienstleistung ist weit zu verstehen. Er umfaßt jede gewerbliche und berufliche Leistung, die an einen Empfänger in einem anderen Staat der Gemeinschaft erbracht wird, wie etwa grenzüberschreitende Montagearbeiten[3].
Umstritten ist, inwieweit Prostituierte als Erwerbstätige anzusehen sind.
a) Erste Auffassung
Nach einer ersten Auffassung sei die Eigenschaft als Erwerbstätige zu verneinen[4]. Begründet wird dies damit, daß nach dem gemeinschaftlichen Begriff der Freizügigkeit nur Tätigkeiten geschützt werden sollen, die von jedermann ausgeübt werden könnten[5]. Auch handele es sich um eine sittenwidrige und sozialschädliche Tätigkeit[6].
b) Zweite Auffassung
Die EuGH bezieht die Prostitution in den Bereich der Freizügigkeit mit ein, sofern diese Tätigkeit im Aufenthaltsland nicht grundsätzlich verboten sei. Die Mitgliedstaaten könnten nur Maßnahmen gegenüber EG- Staatlern ergreifen, sofern sie diese auch bei ihren Landsleuten durchführen dürften[7].
c) Dritte Auffassung
Nach Auffassung des Hess VGH seien Prostituierte in Deutschland von der Freizügigkeitsgarantie in ihrem Status als Erwerbstätigen geschützt, da Prostitution für Deutsche generell nicht verboten sei. Nach der Rechtsprechung im Steuerrecht sowie im Zivilrecht werde der Prostitution nicht generell die Sozialverträglichkeit abgesprochen. Ansonsten werde gegen höherrangiges Recht verstoßen[8].
d) Eigene Stellungnahme
Die erste Auffassung ist abzulehnen. Nicht verständlich ist, weshalb die Betätigung als Prostituierte nicht jedermann offensteht. Auch Männer können als Prostituierte arbeiten. Vor allem ist besteht aber ein Wertungswiderspruch, wenn im Steuerrecht die Prostitution als Erwerbstätigkeit angesehen wird, wo sie dem Staat infolge der hohen Einnahmen der Prostituierten nützt, in anderen Bereichen jedoch nicht als schutzwürdig anerkannt wird, wo sie dem Staat nicht genehm ist. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.
Von einem hinreichenden Willen zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ist nur dann auszugehen, wenn eine ernstzunehmende Gewinnerzielungsabsicht besteht. Diese darf nicht von völlig untergeordneten Bedeutung sein und sich in einer unwesentlichen Betätigung erschöpfen. Eine unwesentliche Betätigung liegt vor, wenn ein Niedergelassener innerhalb eines Aufenthaltes von 11 Jahren lediglich ein Bild für 3.700 DM verkauft.[9]
3.) Freizügigkeitsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AufentG / EWG
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AufhG / EWG besitzen auch Ausländer Freizügigkeit, die Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes, ohne sich dort niederzulassen, als selbständige Erwerbstätige im Rahmen des Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Leistungen im Sinne des Artikel 60 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erbringen oder erbringen wollen, sog. Erbringer von Dienstleistungen. Erbringer von Dienstleistungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Aufenth G / EWG sind insbesondere Personen, die entweder als selbständig Tätige oder im Auftrage eines in ihrem Heimatland befindlichen Arbeitgebers in einem anderen Mitgliedsstaat konkret umschriebene Aufträge ausführen[10].
4.) Freizügigkeitsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AufentG / EWG
Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 Aufenth G / EWG genießen Freizügigkeit auch Ausländer, die Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind und sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes, ohne dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, im Rahmen des Dienstleistungsverkehrs Leistungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Nr. 3 empfangen oder empfangen wollen.
Erbringer von Dienstleistungen in diesem Sinn sind Personen, die in einem anderen Mitgliedsstaat Aufträge entgegennehmen. Darunter fallen vor allem Touristen oder Patienten, die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen[11].
5.) Freizügigkeitsberechtigte nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufentG / EWG
Verbleibeberechtigte Familienangehörige im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Aufenth G / EWG sind der Ehegatte und die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind, sowie die Verwandten in aufsteigender und in absteigender Linie der in Absatz 1 genannten Personen oder ihrer Ehegatten, denen diese Personen oder ihre Ehegatten Unterhalt gewähren. Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sind keine Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift[12].
[...]
[1] Hailbronner, § 1 AufenthG / EWG, Rdn. 6
[2] Hailbronner, § 1 AufenthG / EWG, Rdn. 8
[3] Hailbronner, § 1 AufenthG / EWG, Rdn. 16
[4] BVerwG 60, 284 (288); Hailbronner, § 12 AufenthG / EWG, Rdn. 51;
[5] Hailbronner, § 1 AufenthG / EWG, Rdn. 16
[6] BVerwG 60, 284 (289)
[7] EuGH, NJW 1983, 1250 f.
[8] Hess VGH, InfAuslR 1989, 148 (149f.)
[9] OVG Münster, Beschluß vom 3.11.1995, AZ: 18 B 815/94 (bislang unveröffentlicht)
[10] Kloesel, § 1 AufenthG / EWG, Rdn. 12
[11] Kloesel, § 1 AufenthG / EWG Rdn. 17; EuGH, EZAR 810 Nr. 2, Seite 1 (5)
[12] Kloesel, § 1 AufenthG / EWG Rdn. 17; EuGH, EZAR 810 Nr. 4, Seite 1 (4)