Weise, heilende Frauen im Hochmittelalter und in Wolfram von Eschenbachs 'Parzival'


Term Paper, 2001

48 Pages, Grade: 1


Excerpt


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Wundheilerinnen, aber auch „wissenschaftlich“ tätige Ärztinnen) dort widerspiegeln. Zudem soll geklärt werden, ob die heilkundlichen Anwendungen sich eher einheitlich gestalten oder ob sich unterschiedliche Konzeptionen ausmachen lassen.

Es soll auch die Frage behandelt werden, ob unter den Heilerinnen des „Parzival“ eine differenzierte Rollenverteilung oder gar Arten von Hierarchie, Zusammenarbeit und/oder Arbeitsteilung besteht; dazu sollen entsprechende Passagen des „Erec“ Hartmanns von Aue als Vergleichstexte mit herangezogen werden. Außerdem soll die literarische Inszenierung der Heilung Gawans untersucht werden; es handelt sich hierbei um einen Prozess, an dem als heilende Personen nur Frauen beteiligt sind.

Zusätzlich spielt die Interpretation des Verhältnisses von Heilung der Seele zur Heilung des Körpers eine ebenso große Rolle wie die Heilungsthematik um das Verhältnis zwischen Frau und Mann.

2. Zur Situation heilender Frauen im Mittelalter und zum Verhältnis von

Magie und Wissenschaftlichkeit

2.1.Heilende Frauen im Mittelalter und die Trennung von Schul- und Volksmedizin. Zum Forschungsstand.

Eine Einschätzung der Bedeutung heilender Frauen im Mittelalter gestaltet sich insofern schwierig, als medizinhistorische Untersuchungen sich im allgemeinen auf die Wiedergabe und Auswertung spätmittelalterlicher Traktate und Kompilationen sowie auf allgemeinere Darstellungen vornehmlich der Entwicklung der Buchmedizin beschränken. 5

Wie und in welchem Umfang Frauen heilkundlich tätig waren, darüber scheint keine einheitliche Meinung zu herrschen. Bereits Schönfelds Arbeit konzentriert sich auf v.a. schulmedizinisch tätige Ärztinnen wie z.B. die salernitanischen Frauen 6 . Der Autor stellt einige bekannte Heilerinnen sozusagen als Einzelerscheinungen dar 7 ; dem Gesamtphänomen

5 Kennzeichen der mittelalterlichen Schulmedizin sind z.B. die Nachfolge Galens und der Bezug zur antiken Medizin. Galens „Vier-Säfte-Lehre“ war nach Bekanntwerden der Schriften des Hippokrates zur Doktrin geworden. Vgl. Klaß, 1990, S. 39. Für einen „gesunden“ Körper ging man von einem ausgeglichenen Verhältnis der vier Säfte aus; bei Krankheiten wurde dieses als gestört betrachtet. In der Diagnostik beschränkte man sich vor allem auf die Symptomatologie; im Mittelpunkt des Interesses stand die Analyse der Körperausscheidungen (Vgl. ebd., 40). Die Harnschau (Vgl. ebd.) war eine Methode, die von Schulmedizinern, jedoch nicht nur von diesen angewendet wurde.

6 Vgl. Schönfeld, 1947, S. 63; 75

7 Vgl. ebd., S.81. Becker und auch Ketsch hingegen betonen die strukturelle Verbreitung dieses Phänomens. (Vgl. Becker , 1977, S. 98)

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mittelalterlicher Heiler- und Zauberinnen dargestellt werden, die mit den in dieser Arbeit untersuchten heilenden Damen des „Parzival“ möglicherweise oder mit Sicherheit in Beziehung stehen.

2.3. Das Phänomen der Hofmagier und die Heilkunde am Hof

In Kapitel II.4 35 setzt Maksymiuk die traditionelle Verbindung von Weisheit und Magie im Volksglauben in Relation zu der machtvollen Position und gleichzeitig dem hohen Bildungsgrad der Hofmagier. 36 Er zeigt dabei vor allem die Verquickung von höfischer Macht, Weisheit und magischen Praktiken. 37 Dies ist sowohl bezüglich „charismatischen“ Herrschern von Bedeutung als auch bei anderen höfischen Personen, die Magie ausübten 38 . Literarische Gestalten wie Cundrie, Clinschor und Merlin finden ihre Entsprechung in historischen Personen, die am Hof tatsächlich magisch tätig waren. 39 Ihnen gemeinsam ist ihr hoher Bildungsgrad, ihre machtvolle gesellschaftliche Stellung sowie die Ausübung magischer Tätigkeit.

2.4. Zur Bedeutung heilkundlich tätiger Frauen im Mittelalter

2.4.1. Gebildete Frauen im höfischen Bereich, ihre heilkundliche Tätigkeit und ihr traditionelles Erbe

Laut Becker waren höfische Frauen mit hohem Bildungsgrad im Hochmittelalter keine Seltenheit. Adelige Frauen waren neben dem Klerus der erste Personenkreis, der Lesen und Schreiben lernte. Dieses Wissen benutzten sie auch, um zu buchmedizinischen Kenntnissen zu gelangen 40 . Im ganzen galt lange Zeit „die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, als „Weiber- und Mönchskram“ 41 ; die Beschäftigung mit Büchern, so hieß es, „halte die Männer von ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Kampf, ab.“ 42 Becker erstellt Analogien zwischen den Visionen der sicherlich bekanntesten heilkundlich tätigen adeligen Frau, Hildegard von Bingen, und den

35 Vgl. ebd., S.50-54

36 Vgl. ebd., Kapitel III, S.65- 86.

37 Vgl. ebd.

38 Vgl. ebd.

39 Vgl.ebd.

40 (Vgl. Becker, 1977, S. 98) Becker konstatiert auch, dass es sich bei den heilkundlich tätigen adeligen Frauen nicht um eine Einzelerscheinung handelte.

41 Becker, 1977, S. 105

42 Ebd.

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germanischen Seherinnen 43 - dies zeigt, in welchem Maße traditionelle Strukturen auch in den christlichen Bereich mit hineinwirkten.

Seit dem 11. Jahrhundert ist die häufige Wahrnehmung heilkundlicher Funktionen durch höfische Frauen belegt. 44 So ist es wahrscheinlich, dass sich der seit dem 11. Jahrhundert auftretende neue Bildungsanspruch der höfischen Frauen mit der Pflege traditionell überlieferten Wissens mischte.

Die mittelalterliche „weise Frau“ ist dennoch nicht mit der höfisch gebildeten, Adelskreisen entstammenden Frau unbedingt identisch- auch, wenn es hier sicherlich Überschneidungen gab. 45 Inwiefern sich bei Cundrie und evtl. auch bei Arnive Elemente beider Frauentypen finden, soll Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sein. Ein für die Frauenheilkunde wichtiger Zweig der Heilkunst war die Wundheilung. Es war u.a. Aufgabe der adeligen Frauen, die Wunden der in Turnieren und bei Kämpfen verletzten Ritter zu versorgen. 46 Auch im chirurgischen Bereich waren sehr viele Frauen tätig. 47

Schönfeld konstatiert, dass z.B. im „Erec“, im „Tristan“ und im „Parzival“ „vornehmste Frauen“...den verwundeten Rittern durch Verband, Auflegen von Kräutern und Pflastern, Anwendung von Arzneien und Wundsegen“ „ hilfreich waren“. 48 Inwiefern jedoch im „Parzival“ diesbezüglich vornehmlich von einer bloßen „Hilfstätigkeit“ die Rede ist, bzw. was für ein Grad an Wertschätzung den chirurgischen bzw. wundheilerischen Fähigkeiten der höfischen Frauen dort zukommt, soll später noch geklärt werden.

2.4.2. Weise Frauen 2.4.2.1.„Pagane“ Wurzeln

Schönfeld erwähnt bezüglich der adeligen Heilerinnen in den höfischen Romanen in lediglich zwei Sätzen die „Wilde Wibe“, Hexen und Priesterinnen“ germanischen Ursprungs, die

43 Becker weist diesbezüglich ebenfalls auf die Verbindung zu den mittelalterlichen weisen Frauen hin. Vgl.ebd.,101

44 Vgl.ebd.,105

45 Vgl. Maksymiuks Untersuchungen Cundries als „Hofmagierin“, 1990, S.99- 104 und 109- 117

46 Becker, 1977, S.84

47 Höfische und nicht höfische Frauen übernahmen gleichermaßen chirurgische Aufgaben. Zur Chirurgie im allgemeinen vgl. auch Gundolf Keil: Chirurg, Chirurgie, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. II, München/Zürich 1983, Sp. 1845- 1859.

48 Schönfeld, 1947, S. 84. Er weist auch auf die Verbindung zu den nordischen „sagas“ hin, in denen Frauen Verletzte verbinden und chirurgisch behandeln. Vgl. ebd., S.74

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heilten, weissagten und zauberten. 49 Freilich bemüht er sich kaum um eine Darstellung der Zusammenhänge. Vor allem Becker schildert hingegen die Notwendigkeit, die Herkunft der mittelalterlichen weisen Frauen im höfischen und im nicht-höfischen Bereich im Hinblick auf ihre Wurzeln z.B. in der germanischen Mythologie hin genauer zu untersuchen. 50 Der Frau wurden bei den Germanen besondere seherische Gaben sowie Kenntnisse in der Kräuerheilkunde zugeschrieben.

„Grimm weist....auf die Tradition der weisen Waldfrauen und wildiu wip hin, die auch holzfrowe und waltminne genannt werden konnten, und betont ihre Verwandtschaft mit Nornen, Walküren und Merminnen. Gleich diesen sind sie heilkundig, jedoch auch ,todansagende frauen, die noch späterhin klagefrauen, klagemütter genannt werden und der weissagenden Bertha gleichen.’ (Grimm, S.359) Gleich Bertha und Holda spinnen und weben 51 auch diese ‘wilden weiber’. Und sie sind in der Lage, Menschen in ihr ‘Reich’ zu entrücken.“

Eine Traditionslinie zur mittelalterlichen weisen Frau, die ebenfalls heilkundig und weissagend sind, ist naheliegend 52 ; auf eine mögliche Verbindung zu den heilenden Frauen im höfischen Roman ( v.a. Cundrie und Arnive) soll später näher eingegangen werden.

2.4.2.2. Die weise Frau im Mittelalter

Die mittelalterliche weise Frau definiert sich über ihren Kontakt mit überirdischen Mächten. Dabei bestand die Vorstellung, Schadenszauber sei die Verkehrung von Heil- und Fruchtbarkeitszauber; die „Hexe“ und böse Zauberin erschien als das bösartige Pendant der positiv besetzten weisen Frau. 53 Die weise Frau setzte ihre Fähigkeiten also nicht ein, um anderen damit zu schaden, sondern um zu heilen, bzw. um durch andere bewirkten Schadenszauber abzuwenden; je nach Wirkungsbereich waren manche weise Frauen z.B. auf das Hellsehen spezialisiert; sie konnten Diebe überführen oder verlorene Gegenstände ausfindig zu machen etc. Viele von ihnen waren jedoch überwiegend heilkundlich tätig. 54 In Fällen, in denen ihre Heilkunst bzw. ihre seherische Gabe nicht funktionierte, liefen sie freilich Gefahr, als „Hexe“ diskriminiert zu werden. 55 In der Tradition der „Bella Donna“, einer Bezeichnung, mit welchem die weisen Frauen bei den Germanen als „Inbegriff des

49 Vgl. Schönfeld, 1947, S.74

50 Vgl. Becker, 1977, S. 83 ff.

51 Zingsem, 1999, S. 258. Die weisen Frauen der Germanen lassen laut Zingsem häufig schamanistische Züge erkennen. (Vgl. Zingsem, 1999, S. 258) In der Tat dienten während der Hexenverfolgung die angeblich schamanistische Praxis (z.B. der Herstellung von Flugsalben etc.) als einer der vielen Vorwürfe der Hexerei. (Vgl. ebd., S. 267 f.)

52 Vgl. Becker, 1977, S. 83 ff.

53 Vgl. Ahrendt-Schulte, 1994, S. 83

54 Vgl. ebd S. 83- 102

55 Vgl. ebd.

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Guten und Schönen“ 56 geehrt wurden, waren sie insgesamt aber auch im Hochmittelalter noch hoch angesehen und erfuhren vielfach große Verehrung.

„Tausend Jahre hindurch war die Hexe der einzige Arzt des Volkes. Die Kaiser, Könige, Päpste, die reichen Barone hatten einige Doktoren aus Salerno, Mauren und Juden, aber die Masse jeden Standes, ja man könnte sagen in der Welt,, fragte nur die Saga oder kluge Frau um Rat. Wenn sie nicht heilte, beschimpfte man sie und nannte sie Hexe. Aber gewöhnlich belegte man sie aus einem mit Furcht gemischten Respekt mit dem Namen „gute Frau“ oder schöne Frau [...] , derselbe Name, den man den Feen gab.“ 57

Gerade die traditionelle Vermischung der weisen Frau und der Fee ist für die Interpretation mythologischer Züge der Heilerinnen im „Parzival“ von Bedeutung. 58

2.4.3. Ausgebildete Ärztinnen

Trotz des Ausschlusses der Frauen aus den Hochschulen seit Salerno lässt sich die Existenz zahlreicher häufig angesehener Ärztinnen nachweisen; darunter befanden sich vielfach auch Spezialistinnen. 59 Diese arbeiteten wohl vornehmlich nach schulmedizinischen Kriterien. Bereits Schönfeld erwähnt, dass auch gewerbsmäßige Ärztinnen existierten- auch solche, die im höfischen Bereich tätig waren. So sucht Blanchefleur im „Tristan“ (1) einen Ritter, den sie liebt, als „arzatinne“ verkleidet auf. 60 Ob diese Frauen sich allerdings maßgeblich von der Konzeption der „weisen Frauen“ unterscheiden, darüber sagt Schönfeld nichts aus. Auch hier stellt sich jedenfalls die Frage einer Verbindung zu der hier untersuchten Thematik im „Parzival“.

2.4.4. Andere Arten von Heilerinnen

Im übrigen waren Frauen im Mittelalter auch noch vielfach in folgenden Bereichen tätig:

- Als Apothekerinnen, Kräuterfrauen, als Zuckermacherinnen und Wasserbrennerinnen; die „gebrannten Wasser“ waren nur für die äußerliche medizinische Anwendung bestimmt.

- Sehr häufig als Hebammen; dieser Tätigkeitsbereich überschnitt sich häufig mit den „weisen Frauen“ u.a. Arten von Heilerinnen

- Als Nonnen, die Klostermedizin betrieben

- Als Baderinnen, die ebenfalls heilkundliche Tätigkeiten ausführten; dieser Beruf wurde von Männern wie von Frauen ausgeübt und war häufig weniger geachtet.

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Details

Title
Weise, heilende Frauen im Hochmittelalter und in Wolfram von Eschenbachs 'Parzival'
College
Free University of Berlin
Grade
1
Author
Year
2001
Pages
48
Catalog Number
V186269
ISBN (eBook)
9783656996316
ISBN (Book)
9783656996392
File size
825 KB
Language
German
Keywords
weise, frauen, hochmittelalter, wolfram, eschenbachs, parzival
Quote paper
Magistra Artium Eva Köppl (Author), 2001, Weise, heilende Frauen im Hochmittelalter und in Wolfram von Eschenbachs 'Parzival', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186269

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