Ethische Aspekte des kognitiven Enhancements am Beispiel von Modafinil


Diploma Thesis, 2010

84 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 MODAFINIL
2.1 STRUKTUR UND WIRKUNG
2.2 KLINISCHE WIRKSAMKEIT
2.3 OFF-LABEL-GEBRAUCH
2.4 WIRKMECHANISMUS
2.5 ABHÄNGIGKEITSPOTENTIAL
2.6 RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN
2.7 LANGZEITFOLGEN
2.8 WIRKUNGEN BEI GESUNDEN

3 EINSATZ ALS KOGNITIVER ENHANCER
3.1 KOGNITIVES ENHANCEMENT
3.2 MEDIENPRÄSENZ
3.3 HÄUFIGKEIT VON KOGNITIVEM ENHANCEMENT
3.4 ZWISCHENFAZIT
3.5 PROGNOSE

4 ETHISCHE ASPEKTE
4.1 ROLLE DER ÄRZTE
4.2 ENANCEMENT VS. TREATMENT
4.3 MEDIKALISIERUNG
4.4 KOSTEN-NUTZEN-ABWÄGUNG
Individuelle Ebene
Gesellschaftliche Ebene
4.5 ETHISCHE DISKUSSION
Argumente, die für eine Einnahme sprechen
Argumente, die gegen eine Einnahme sprechen

5 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

GLOSSAR

LITERATURVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

Pharmakologisches kognitives Enhancement bezeichnet den Einsatz von Medikamenten bei gesunden Personen zur Verbesserung kognitiver Funktionen. Ursprünglich zur Behandlung von Krankheiten entwickelt, stehen als Nebenprodukt biomedizinischer Forschung eine Vielzahl von Psychopharmaka zur Verfügung, die auch von Gesunden verwendet werden können und tatsächliche oder vermeintliche Wirkungen zeigen.

Modafinil ist der Wirkstoff des verschreibungspflichtigen Medikaments Vigil®, welches in Deutschland seit 1998 zur Behandlung der übermäßigen Tagesschläfrigkeit bei der Schlafkrankheit Narkolepsie zugelassen ist. Da es sich pharmakologisch von den anderen Psychostimulanzien unterscheidet, wurde es als vielversprechender, neuartiger Wirkstoff wahrgenommen, der spezifisch nur die Wachheit fördert und im Gegensatz zu herkömmlichen Stimulanzien nicht zu einer zentralen Erregung des vegetativen Nervensystems führt, welche die bekannten nervösen Nebenwirkungen verursachen. Der mit Modafinil erzielte Umsatz des Herstellers Cephalon wird in den USA zu etwa 90 % auf den Einsatz außerhalb der zugelassenen Indikation zurückgeführt.

In jüngster Vergangenheit wurde vielfach in den populären Medien über einen vermeintlich stark zunehmenden Trend zum Missbrauch verschreibungspflichtiger Medikamente zum Zweck einer kognitiven Leistungssteigerung, darunter auch Modafinil, berichtet. Demnach soll der Gebrauch besonders unter Schülern und Studenten weit verbreitet sein. Sind die dargestellten Szenarien realistisch und der zunehmende Missbrauch von Medikamenten zum kognitiven Enhancement tatsächlich so verbreitet, wie in den Medien dargestellt? Ist vielleicht sogar zu befürchten, dass dieser Trend zunimmt und eventuell weitreichende soziale und gesellschaftliche Folgen mit sich bringt?

Um diese Frage zu beantworten, möchte ich zunächst einen Blick auf Modafinil selbst werfen und die tatsächliche Wirksamkeit und Sicherheit beleuchten. Anschließend werde ich, um die Diskussion nicht auf reine Hypothezität zu gründen, den empirischen Befund bezüglich eines nichtmedizinischen Gebrauchs von leistungssteigernden Medikamenten untersuchen und hier wichtige fördernde Trends und Einflüsse des Phänomens Enhancements herausarbeiten. Schlussendlich möchte ich die ethischen Implikationen, eventuelle Risken und Potenziale, sowie Argumente diskutieren, die für und gegen eine Verwendung von Modafinil als kognitiven Enhancer sprechen und mögliche Wege eines sinnvollen Umgangs aufzeigen.

2 MODAFINIL

Modafinil (2-diphenyl-methylsulfinyl-acetamid) ist der Wirkstoff des verschreibungs- pflichtigen Medikaments Vigil®1, welches in Deutschland seit 1998 zur Behandlung der übermäßigen, krankhaften Tagesschläfrigkeit bei Narkolepsie2, seit 2003 beim obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom3 zugelassen ist und seit 2005 beim sogenannten chronischen Schicht- arbeiter-Syndrom4, wenn schlafhygienische Maßnahmen zu keiner ausreichenden Besserung geführt haben. Bis Ende Februar 2008 fiel es unter das Betäubungsmittelgesetz, seit März 2008 ist es ein verschreibungspflichtiges Medikament und somit per Rezept in der Apotheke zu beziehen. Es ist zurzeit in über 30 Ländern zur Behandlung der Narkolepsie zugelassen.5

Modafinil ist der primäre Metabolit von Adrafinil, welches in den späten 1970er Jahren6 aus der vom französichen Verteidigungsministerium unterstützten7 Entwicklung einer Reihe von Benzhydrylsulfinyl-Verbindungen des französischen pharmazeutischen Unternehmens Laboratoire Louis Lafon in Maisons-Alfort hervorging. Adrafinil ist der Prototyp einer neuartigen Klasse wachheitsfördernder Stimulanzien,8 für die der Direktor des Labors, Michael Jouvet, die Bezeichnung „eugrégorique“ (griech. „eu“ gut und „gregor“ Wachheit)9 prägte, welche in der wissenschaftlichen Literatur jedoch nicht sonderlich verbreitet ist. Ein Artikel des British Medical Journal von 1989 berichtet, dass Jouvet Modafinil als „eine große französische Entdeckung“ bezeichnete und bemerkte, dass er es selbst gelegentlich einnehmen würde, um seine eigene Produktivität zu fördern, und dass es auch z.B. Schülern zur Unterstützung beim Bestehen ihrer Examen zur Verfügung stehen sollte.10

In Frankreich wird Modafinil seit 1994 unter dem Namen Modiodial zur Behandlung von Narkolepsie eingesetzt, 1998 wurde es in Großbritannien, sowie in den USA von der US- amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) für die Behandlung von Narkolepsie zugelassen. Das US-amerikanische pharmazeutische Unternehmen Cephalon Inc., mit dem Hauptsitz in Frazer in Pennsylvania, erwarb 1993 die Rechte für Modafinil von Lafon, bis es dieses im Jahr 2001 schließlich ganz aufkaufte.11 2002

gab Cephalon Inc. bekannt, dass es sämtliche Verkaufsrechte für Modafinil von der Merckle GmbH für Deutschland, Österreich, die Schweiz und einige weitere europäische Länder, sowie für Spanien von der Cepa Schwarz Pharma zurückerworben hatte.12 Vertreiber von Vigil® ist seit 2002 in Deutschland die deutsche Tochtergesellschaft von Cephalon, die Cephalon GmbH in Martinsried. Hersteller ist Cephalon Frankreich, ehemals Lafon.

Es ist in 100 und 200mg Tabletten verfügbar und für den Einsatz für Menschen im Alter von 16-65 zugelassen. Die für einen Erwachsenen empfohlene Tagesdosis beträgt 200 bis 400mg, wobei die Pharmakokinetik in einem Dosierungsbereich zwischen 100 und 600mg pro Tag linear und dosisunabhängig verläuft und somit die gleiche Wirksamkeit zeigt.13 Nach oraler Einnahme wird die höchste Plasmakonzentration erst nach 2-4 Stunden erreicht und hält bis zu 15 Stunden an.14

Ein Nachteil von Modafinil sind seine Kosten. Es ist erheblich teurer als z.B. Koffein und andere Stimulanzien. So betrug laut dem Arzneiverordnungsreport der mittlere Preis einer verordneten definierten Tagesdosis (DDD) im Jahr 2008 8,43 EUR. Im Vergleich z.B. zu dem Wirkstoff Methylphenidat in dem bekannten Medikament Ritalin®15 von 1,72 EUR ist dies etwa fünfmal teurer.16 Die hohen Kosten und die erst nach etwa 2-4 Stunden langsam eintretenden Wirkung mit dem Ausbleiben von euphorischen Gefühlen, tragen wohl dazu bei, die Attraktivität von Modafinil als „Straßendroge“ zu mindern.

2.1 Struktur und Wirkung

In den Werbeanzeigen der Massenmedien, sowie im Internet vermarktet Cephalon das Medikament zur Verbesserung der Wachheit und zur Verringerung von „ausgeprägter Schläfrigkeit“ („excessive sleepiness“).17 18 Der Hauptwirkstoff Modafinil fördert demnach spezifisch nur die Wachheit, im Gegensatz zu herkömmlichen Stimulanzien19 wie Koffein oder Amphetaminen, die dafür bekannt sind ein relativ breites Wirkspektrum zu haben und dadurch zu einer Erregung mehr oder weniger des gesamten Gehirns und Zentralnerven- systems zu führen. Diese verursacht auch die gut dokumentierten Nebenwirkungen wie u.a.

Herz-Kreislauf-Probleme wie eine Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks, Zittern, Nervosität und Unruhe, Hyperaktivität, Insomnie und reduziertem Appetit bis hin zu Psychosen und Abhängigkeit.20

Die Hauptvertreter der heute therapeutisch verwendeten Psychostimulanzien leiten sich vom Amphetamin ab wie z.B. auch der Wirkstoff Methylphenidat, welcher in zahlreichen verschreibungspflichtigen Medikamenten enthalten ist, die in der Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) angewendet werden.21 Aufgrund ihrer stimulierenden Wirkung auf den Sympathikus werden Amphetamine und deren Derivate auch als sogenannte indirekte Sympathomimetika bezeichnet, da sie durch eine Hemmung der Wiederaufnahme, sowie Stimulation der Ausschüttung die Konzentration von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin im synaptischen Spalt erhöhen.22 Die gesteigerte Wachheit und Aufmerksamkeit wird der erhöhten Dopaminkonzentration im aufsteigenden retikulären Aktivierungssystem (ARAS)23 und präfrontalen Kortex zugeschrieben.24 Ebenfalls mit einer erhöhten Konzentration von Dopamin werden jedoch auch die zentralnervösen Nebenwirkungen, sowie die euphorische Wirkung und somit das Abhängigkeitspotential in Verbindung gebracht.25

Modafinil gehört zur Gruppe der Sulfinylacetamide und unterscheidet sich sowohl chemisch als auch pharmakologisch deutlich von den amphetaminartigen Stimulanzien. Aufgrund der neuartigen Struktur und wachheitsfördernden Eigenschaften mit im Vergleich zu anderen Stimulanzien relativ begrenzten Nebenwirkungen, sowie dem Ausbleiben von euphori- sierenden, verstärkenden Wirkungen oder Belohnungseffekten, schien Modafinil der Prototyp einer vielversprechenden neuen Substanzklasse zu sein, die sich hinsichtlich ihrer zentralnervösen Wirkmechanismen qualitativ von den herkömmlichen Stimulanzien unter- scheidet und ein geringes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential aufweist.26

2.2 Klinische Wirksamkeit

Modafinil wurde an Kranken im Zusammenhang mit übermäßiger, krankhafter Tagesmüdigkeit und einhergehenden kognitiven Beeinträchtigungen untersucht, sowie an Gesunden mit und ohne vorhergehendem Schlafentzug. Bei allen drei indizierten Schlafstörungen konnten mehrere Studien eine signifikante Verbesserung der einhergehenden Tagesmüdigkeit und Reduktion des Schweregrades durch Modafinil nachweisen,27 ohne dass es zu einer Beeinträchtigung des Nachtschlafs kam.28 Bei Narkolepsiepatienten wurde anhand von Patiententagebüchern eine signifikante Verminderung von Schlafattacken gemessen.29 In einer Studie von 1999 wurde eine verbesserte Lebensqualität evaluiert,30 die bei der Narkolepsie durch die ständige Müdigkeit und die Gefahr der abrupt auftreten Schlafattacken meist enorm eingeschränkt ist und die als subjektive Beurteilung ein entscheidendes Kriterium zur Bewertung der Wirksamkeit von Modafinil darstellt.

2.3 Off-Label-Gebrauch

Krankhafte, übermäßige Tagesmüdigkeit, Erschöpfung und Antriebsschwäche sind häufig auch Symptome weiterer Krankheitsbilder und Störungen, die stark die Aktivität und Lebensqualität beeinträchtigen. Aufgrund seines pharmakologischen Wirkprofils erweist sich Modafinil auch außerhalb der zugelassenen Indikationen als wirksam für die Bekämpfung von Müdigkeit und zur Förderung von Wachheit und Antrieb. Wie der jährliche Umsatz Provigils® von etwa 500 Mio. Dollar im Jahr 2009, knapp die Hälfte des Gesamtumsatzes von Cephalon,31 32 verdeutlicht, wird es wohl auch in einem erheblichen Ausmaß außerhalb der zugelassenen Indikation eingesetzt.

Modafinil wurde getestet bei einer Reihe von neurologischen Störungen wie Multipler Sklerose, Myotoner Dystrophie, Parkinson, Schädel-Hirn-Trauma und psychiatrischen Störungen wie ADHS, Schizophrenie, Bipolarer Störung, Kokainabhängigkeit und zur Verminderung der Antriebsschwäche bei Depressionen als Ergänzung zu Antidepressiva. Des weiteren einzelne Studien mit vergleichsweise relativ wenigen Versuchspersonen in Zusam- menhang mit auftretender Müdigkeit bei HIV, Demenz, dem chronischen Erschöpfungs- syndrom, Fibromyalgie, biliärer Leberzirrhose, Amyotropher Lateralsklerose (ALS), Myasthenia gravis (Muskelschwäche), dem Post-Polio-Syndrom, bei Sedierung im Zusammenhang mit psychotroper Medikation, sowie nach einer Narkose.33

Bei einigen Krankheitsbildern hatte Modafinil einen beträchtlichen Placebo-Effekt auf die Wirkungen, wie bei Patienten mit traumatischen Gehirnverletzungen, depressiven Störungen, Schizophrenie, Post-Polio-Müdigkeit und Multipler Sklerose, jedoch lieferte es auch keinen größeren Vorteil als Placebo.34 Bei anderen Studien zeigten sich inkonsistente Ergebnisse, wie z.B. hinsichtlich der exzessiven Schläfrigkeit bei Parkinson und Kokainabhängigkeit, jedoch wiesen diese Studien auch extrem kleine Stichproben auf.35 Solange keine aussagekräftigeren Daten vorliegen, kann daher die Verwendung von Modafinil für diese Bedingungen nicht empfohlen werden.

2.4 Wirkmechanismus

Aufgrund der erwähnten Eigenschaften nahm man zunächst an, dass Modafinil seine Aktivität selektiv auf die neurophysiologischen Prozesse beschränkt, die mit Wachheit und Aufmerksamkeit verbunden sind und nicht wie Amphetamine mit dem Serotonin-, Noradrenalin- oder Dopaminsystem interagiert.

Nachdem man früher nach der sogenannten „Schlafstoff-Hypothese“ annahm, dass eine Art Schlafstoff existiert, der während des Wachzustandes produziert und bei Erreichen einer bestimmten Konzentration zum Einschlafen führt,36 weiß man heute, dass es sich bei der Schlaf-Wach-Regulation um einen aktiven Prozess handelt, der mit einer komplexen und hoch organisierten Abfolge physiologischer und verhaltensbiologischer Stadien und Prozesse einhergeht, an denen verschiedene Neurotransmitter beteiligt sind.37

Die pharmakodynamischen Eigenschaften von Modafinil sind komplex und trotz intensiver Forschung hinsichtlich der Wechselwirkung mit verschiedenen Neurotransmitter-Systemen, bleibt der präzise pharmakologische Wirkmechanismus noch immer weitestgehend ungeklärt und wird kontrovers diskutiert.38 Modafinil scheint jedoch auf viele Systeme zugleich Einfluss zu nehmen und nicht in spezifischer Weise zu wirken.

So führt die Verabreichung von Modafinil im Hypothalamus39 zu einer Erhöhung der Konzentration von Histamin, dem eine wichtige Rolle bei der Regulation des Schlaf-Wach- Rhythmus zugesprochen wird.40 Eine Aktivierung histaminerger Neurone, zeigt bei verschiedenen Spezies eine Zunahme von Schlaflosigkeit. Im Schlaf sinkt die Histaminkonzentration im Körper gegen Null.

Der Nukleus suprachiasmatikus, ein Kern des Hypothalamus, enthält direkte Afferenzen aus der Retina. Bei Dunkelheit produziert ein anderer Kernbereich, der Nukleus tuberomammillaris, des Hypothalamus weniger Histamin sowie ein Neuropeptid namens Orexin, welches vor relativ kurzer Zeit im Jahr 1998 in Neuronen des lateralen Hypothalamus entdeckt wurde.41 Orexin hat einen wesentlichen Einfluss auf das Schlaf-Wach-Verhalten, indem es über spezifische Rezeptoren auf den lateralen Hypothalamus wirkt und so zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit führt. Fehlfunktionen bzw. Mutationen dieses Rezeptors werden für das Krankheitsbild der Narkolepsie verantwortlich gemacht.42 Menschen mit Narkolepsie zeigen entweder gar keine oder nur eine sehr geringe Konzentration von Orexin im Gehirn.43

Durch Modafinil kommt es zu einer Zunahme der Orexin-Konzentration, indem es die Aktivität der entsprechenden Neurone im Hypothalamus anregt.44 Narkolepsiepatienten mit einem Mangel an Orexin profitieren in dieser Hinsicht von Modafinil.45 In einer Studie mit Orexin-Knockout-Mäusen46 zeigte Modafinil bei diesen jedoch eine höhere Effektivität, als bei ihren Wildtyp-Geschwistern,47 was nahe legt, dass die Wechselwirkung von Modafinil mit dem Orexinsystem komplexer ist und wohl auch nicht den Hauptwirkmechanismus darstellt.48

Weiterere kontrovers diskutierte Mechanismen, die ebenfalls für die wachheitsfördernde Wirkung verantwortlich sein könnten, ist eine indirekte Hemmung GABAerger Neurone des Hypothalamus, welche die Ausschüttung des schlaffördernden Neurotransmitters GABA im Hypothalamus verlangsamt.49

Hatten frühere Studien relativ geringe Modulationen von Modafinil mit den Katecholaminen50 festgestellt,51 implizieren einige neuere Studien doch nennenswerte Wechselwirkungen mit den Transmittern Noradrenalin und Dopamin, wenn auch im Vergleich zu Amphetaminen geringere. So wird auch eine Blockierung der Wiederaufnahme von Noradrenalin52 an den schlaferzeugenden Neuronen zur Erklärung der wachheitsfördernden bzw. schlafhemmenden Wirkung diskutiert.53 Weiterhin konnte in verschiedenen spezifischen Gehirnregionen von Ratten und narkoleptischen Hunden eine erhöhte extrazelluläre Dopaminkonzentration nachgewiesen werden.54 Bei einer Studie im Jahr 2001 blieb die wachheitsfördernde Wirkung Modafinils bei Knockout-Mäusen aus, denen der Dopamin-Transporter fehlte.55 Dies legt einen Zusammenhang des Wirkmechanismus mit dem Dopaminsystem nahe. Im Gegensatz zu den Amphetaminen wurde die wachheitsfördernde Wirkung Modafinils jedoch nicht vermindert durch den Dopamin-Rezeptor-Antagonist56 Haloperidol.57 Auch die Gabe von α- MPT (Alpha-Methyl-P-Tyrosine), welches die Dopaminsynthese blockiert und bei Ampheta- minen den aufputschenden Effekt vermindert, hat diese Wirkung nicht bei Modafinil.58 Im Vergleich zu dem Amphetaminderivat Methylphenidat zeigte Modafinil bei äquivalenter wachheitsfördernder Dosis in diskreten Gehirnbereichen bei Katzen spezifischere Aktivität.59

2.5 Abhängigkeitspotential

Im März letzten Jahres wurde im US-amerikanischen Ärzteblatt JAMA eine von der Regierung beauftragte nicht repräsentative60 Studie veröffentlicht, durchgeführt vom National Institute on Drug Abuse (NIDA), die einen Zusammenhang von Modafinil mit Dopamin auch beim Menschen nachweisen konnte.61 Es konnte sowohl ein Einfluss Modafinils auf Dopamintransporter, als auch eine erhöhte Dopaminkonzentration im Nukleus accumbens nachgewiesen werden, dem eine besondere Bedeutung im Belohnungssystem zugesprochen wird. Daraus zogen die Forscher den Schluss, dass das Abhängigkeitspotenzial demzufolge höher sein könnte, als bislang angenommen.

Cephalon reagierte mit einer Erklärung auf ihrer Webseite mit dem Hinweis auf die Verschreibungspflicht und der Einstufung von Modafinil durch die FDA als Substanz der Kategorie IV (Schedule IV) des Controlled Substances Act62,63 also der niedrigsten Kategorie der verschreibungspflichtigen oder verbotenen Substanzen. Dort heißt es, dass es wichtig ist, den Hinweis der Packungsbeilage mit Verschreibungsinformationen von Provigil® zu beachten, der besagt, dass Ärzte Patienten mit Tablettenabhängigkeit, Drogen- oder Alkohol- sucht in der Vorgeschichte sorgsam auf mögliche Anzeichen von Missbrauch überwachen sollten. Es ist allerdings fraglich, ob dies einen möglichen Missbrauch tatsächlich verhindern kann, insbesondere wenn Betroffene es darauf absehen, ein Rezept von ihrem Arzt zu bekommen.

Von Fällen, bei denen die Einnahme von Modafinil zu einer Abhängigkeit führte, wird in der Literatur nicht berichtet, jedoch werden derartige Effekte von einigen Forennutzern im Internet beschrieben.

Im Vergleich zu Amphetaminen ist das Abhängigkeitsrisiko von Modafinil insgesamt wohl als relativ gering einzuschätzen, wenn es auch nicht gänzlich auszuschließen ist. Im Gegensatz zu der Amphetamin-induzierten Wachheit, geht die durch Modafinil geförderte Wachheit nicht mit einer euphorischen Wirkung und einer vergleichsweise geringer ausgeprägten zentralen Erregung und den entsprechenden Nebenwirkungen einher,64 sowie die bei Amphetaminen bekannten Rebound-Effekte65 bleiben aus.66 Außer den bereits erwähnten Modulationen der extrazellulären Dopaminkonzentration wurden jedoch auch insbesondere bei einer hohen Dosis von 800mg und Personen mit Missbrauch in der Vorgeschichte entsprechende Effekte gemessen, die auf ein mögliches Suchtpotenzial hinweisen.67

Die Verschreibungsinformation zu Provigil® berichtet auch von verstärkenden Wirkungen, die sich bei Affen zeigten, die sich Modafinil selbst verabreichten, nachdem sie trainiert worden waren, sich Kokain selbst zu verabreichen.68

Die Einschätzung des Abhängigkeitspotenzials wird durch die Tatsache erschwert, dass die gegenwärtig vorliegenden empirischen Daten eine zu geringe Aussagekraft besitzen, da sie zu geringe Anzahlen an Stichproben von Versuchspersonen vorweisen und es diesbezüglich bislang keine wirklichen Langzeitstudien gibt.69

Nach dem bio-psycho-sozialen Erklärungsansatz wird die Gefahr einer Abhängigkeits- entwicklung, neben den spezifischen Wirkungen des Suchtmittels, der eingesetzten Dosis, Regelmäßigkeit der Einnahme und dem Verabreichungsweg, weiterhin durch ungünstige Umweltbedingungen und insbesondere auch eine individuelle angeborene Komponente bedingt.70 So bleibt hinsichtlich des Suchtpotenzials letztendlich ein unkalkulierbares Risiko bestehen.

2.6 Risiken und Nebenwirkungen

In mehrjähriger klinischer Erfahrung mit Modafinil wurde auch eine ganze Reihe verschiedener somatischer und psychiatrischer Nebenwirkungen dokumentiert. Am häufigsten, bei mehr als 10%, wurde von Kopfschmerzen (34%)71 und Übelkeit (11%) berichtet. Häufig, d.h. bei 1-10% oder 1 bis 10 Patienten von 100 traten u.a. Rückenschmerzen (6%), Grippesyndrom (4%) oder Brustschmerzen (3%), weiterhin neurologische Nebenwirkungen wie Nervosität (7%), Schlaflosigkeit (5%), Unbehagen (5%), Schwindel (5%), Depressionen (2%), Verwirrtheit (1%) oder Zittern (1%), kardiovaskuläre Nebenwirkungen wie Bluthochdruck (3%), Herzrasen (2%), Störungen des Verdauungssystems wie Durchfall (6%), Verdauungsstörungen (5%), Mundtrockenheit (4%), Apettitlosigkeit (4%) oder erhöhte Leberenzymwerte (2%), sowie Störungen der Atmungsorgane wie Schnupfen (7%), Rachenentzündung (4%) oder Asthma (1%) auf und selten72 zahlreiche weitere neurologische und vegetative Störungen.73

2008 wurde die Fachinformation zu Vigil® um Hinweise auf Komplikationen psychiatrischer Erkrankungen und die Möglichkeit schwerer Hautreaktionen ergänzt. Die Anwendung von Modafinil bei Patienten mit Psychosen, Depressionen und Manien in der Vorgeschichte soll laut Cephalon demnach im Hinblick auf das mögliche Auftreten oder die Verschlimmerung psychischer Symptome mit Vorsicht erfolgen. In seltenen bis sehr seltenen Fällen74 war es zu Zwischenfällen gekommen, in denen Patienten nach der Einnahme von Modafinil Psychosen, Manien, Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Suizidgedanken oder aggressives Verhalten entwickelten,75 zum Teil schon kurz nach Behandlungsbeginn und bei einer Dosis von nicht mehr als 200mg pro Tag.76 Es wird auch von einem Fall berichtet, bei dem eine Patientin, ohne psychiatrische Störung in der Vorgeschichte, in einer Studie über die Wirkung von Modafinil bei simulierter Schichtarbeit, eine akute Psychose entwickelte. Diese wurde jedoch auch den Bedingungen des erzwungenen, gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus und Schlafentzugs zugeschrieben.77

Weiterhin führte die Behandlung mit Modafinil in klinischen Studien mit Kindern und Jugendlichen (Alter < 17 Jahre) zu dermatologischen Komplikationen78 in Form von stark ausgeprägten Hautausschlägen, einschließlich eines Falls eines möglichen Stevens-Johnson- Syndroms und einer Multi-Organ-Überempfindlichkeitsreaktion mit Hautbeteiligung, die einen Abbruch der Therapie erforderten79 und ein bis fünf Wochen nach Behandlungsbeginn auftraten, in Einzelfällen, aber bereits auch erst nach mehreren Monaten.80 In klinischen Studien mit Erwachsenen wurden solche Fälle von Hautreaktionen nicht dokumentiert.81 Im Rahmen der weltweiten Erfassung von Berichten über unerwünschte Wirkungen nach der Zulassung wurden jedoch weitere Fälle schwerer Hautreaktionen sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern gemeldet.82 Da man einem beginnenden Hautausschlag nicht ansehen kann, ob er zu einer schweren Überempfindlichkeitsreaktion führt, wird dazu geraten das Medikament sofort abzusetzen, sofern keine andere Ursache ausgeschlossen werden kann.

Bei diesen dermatologischen Komplikationen handelt es sich um schwere allergische Reaktionen, die teilweise lebensbedrohlich sein können, allerdings ist zu beachten, dass Unverträglichkeitsreaktionen mit Beteiligung der Haut ein weitereichendes klinisches Spektrum umfassen und grundsätzlich durch praktisch jedes Arzneimittel ausgelöst werden können, wie häufig z.B. durch Penicillin, Chemotherapeutika oder Schmerzmittel. Sie sind als Immunreaktion von der Dosis unabhängig und treten nur bei spezifisch dazu veranlagten Personen auf.83 Da es eine Vielzahl weiterer möglicher Ursachen außer den pharma- kologischen Eigenschaften des Wirkstoffes für eine allergische Reaktion gibt, ist sie nicht vorhersehbar. Dasselbe Medikament kann bei verschiedenen Menschen völlig unter- schiedliche Arzneimittelreaktionen auslösen. Zu beachten ist auch, dass die Häufigkeit von Fällen, in denen es zu ernsthaften allergischen Reaktionen und Unverträglichkeiten kommt, immer noch relativ niedrig ist. Schätzungen zufolge beträgt die natürliche Rate für die ernsten dermatologischen Komplikationen in der Allgemeinbevölkerung etwa 1-2 Fälle pro 1 Mio. Personenjahre (PJ).84

Aus diesem Grund und aufgrund der Tatsache, dass die meisten Nebenwirkungen nur eine leichte bis mittelschwere Ausprägung aufwiesen, kann man trotz der zum Teil auch schwerwiegenden Nebenwirkungen daher dennoch konstatieren, dass Modafinil in klinischen Studien im Allgemeinen gut vertragen wurde. Dennoch bleibt ein nicht unerhebliches Risiko bestehen. Zumal der genaue Wirkmechanismus bislang auch nur unzureichend bekannt ist und Modafinil nicht so eine spezifische Wirkung vorweist, wie zunächst angenommen, sondern mit mehreren Systemen wechselwirken zu scheint, einschließlich des Noradrenalin- und Dopaminsystems. Daher ist es auch nicht überraschend, dass ein Medikament, welches notwendigerweise effektiv in das komplexe Gleichgewicht der Neurotransmittersysteme im Gehirn eingreift, nahezu unvorhersehbare Effekte in Teilsystemen zur Folge haben kann, die sich in den zahlreichen Nebenwirkungen äußern.

Wie auch in der Verschreibungsinformation für Provigil® erwähnt wird, ist bezüglich der Verwendung bei Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren die empirische Datenlage unzureichend und daher von einer Behandlung mit Modafinil abzusehen. Klinische Studien mit pädiatrischen Patienten (6-16 Jahre) zeigten recht unterschiedliche Ergebnisse, aber machen deutlich, dass auch hier die Verwendung ein unkalkulierbares Risiko darstellt. In einer klinischen Studie mit narkoleptischen Kindern und Jugendlichen im Alter von 5 bis 17 Jahren zeigten sich im Vergleich zum Placebo keine signifikanten Verbesserungen,85 in der Behandlung bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS hingegen zeigten sich recht vielversprechende Ergebnisse. Mehrere Studien konnten hier sowohl nach dem Urteil der Patienten, als auch der Eltern und Lehrer signifikante Besserungen von Kernsymptomen der ADHS und vergleichbare Effekte wie Methylphenidat nachweisen.86 Gerade in diesem Zusammenhang kam es aber gehäuft zu den bereits erwähnten ernsthaften Nebenwirkungen,87 so dass 2006 aus diesen Gründen die FDA einen Antrag Cephalons auf die Zulassung von Modafinil für die Therapie von ADHS ablehnte.88

2.7 Langzeitfolgen

Wie sich auch schon mit Methylphenidat zeigte,89 besteht in einer längerfristigen Anwendung bei Kindern und Jugendlichen außerdem das Risiko, dass der regelmäßige Gebrauch zu Beeinträchtigungen der Hirnreifung und zu Wachstumsverzögerungen des Gehirns führen könnte. Welche Folgen für den Organismus die Langzeitanwendung von Modafinil haben kann und ob bei dauerhafter, regelmäßiger Einnahme Schäden entstehen, ist schwer abzuschätzen, insbesondere auch bei der Verwendung durch Gesunde, die Modafinil einnehmen, um z..B. aufgrund der wachheitsfördernden Wirkung ihre Leistungsfähigkeit zu steigern.90 Zur Langzeiteinnahme bei Gesunden gibt es keinerlei empirische Daten, da Modafinil offiziell nur zur Behandlung von Kranken zugelassen ist, und auch die Dauer der klinischen Studien beträgt höchstens etwa drei Monate beträgt.91 Von daher lässt sich nicht ausschließen, dass solch ein Konsum mit Nebenwirkungen verbunden ist, die noch unbekannt sind und sich erst nach regelmäßiger, längerfristiger Einnahme herausstellen oder die so selten sind, dass sie zunächst nicht mit der Einnahme der Substanz in Verbindung gebracht werden, zumal hier der Gebrauch von Modafinil auch nicht von Ärzten überwacht wird. Substanzen, die die Freisetzung von Katecholaminen wie Dopamin oder Noradrenalin stimulieren, können zum Beispiel die Entwicklung psychischer Störungen begünstigen. Demzufolge lassen sich die Folgen einer langfristigen Medikation nicht hinreichend beurteilen und die regelmäßige Einnahme von Modafinil stellt auf lange Sicht ebenfalls ein unkalkulierbares Risiko dar.

Außer den potenziellen Risiken und Nebenwirkungen, sowie der Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung könnte bei längerfristiger Anwendung außerdem noch ein Gesund- heitsrisiko durch die Folgen einer Leistungssteigerung mit eventuell einhergehendem Schlafentzug entstehen, welches insbesondere bei dem Missbrauch von Modafinil durch Gesunde eine Rolle spielen könnte. Es ist schwer, genauere Prognosen über die langfristigen Folgen von solch einer medikamentösen Schlafunterdrückung und Leistungssteigerung abzugeben, da die Funktion und der Zweck von Schlaf bis heute nicht umfassend verstanden wird und auch aufgrund recht großer individueller Unterschiede, die in dem Bedürfnis nach Erholung und Schlaf bestehen. Da aber bekannt ist, zu welch gravierenden Konsequenzen chronischer Schlafentzug führen kann, besteht kein Zweifel daran, dass Schlaf unersetzlich ist und hier natürliche, biologische Grenzen bestehen. So wird es nicht ohne Folgen bleiben, wenn Körper und Geist sich nicht mehr ausreichend regenerieren können.

2.8 Wirkungen bei Gesunden

Die Eigenschaften Modafinils, die Vigilanz92 und Wachheit zu fördern, ohne die starken Nebenwirkungen und das hohe Suchtpotenzial von Amphetaminen aufzuweisen, weckten früh das Interesse des Militärs an Modafinil. Die veränderten strategischen Bedingungen moderner Kriegsführung wie die Einbeziehung innovativer Technologien und einer zunehmenden Unabhängigkeit militärischer Operationen von Umweltbedingungen, erfordern zunehmend eine Aufrechterhaltung der Wachheit und Aufmerksamkeit von Soldaten und militärischen Akteuren. Müdigkeit bei Soldaten in militärischen Einsätzen kann fatale bis tödliche Konsequenzen zur Folge haben und der Gebrauch von Psychostimulanzien, z.B. von Amphetaminen zum Ausschalten des Schlafbedürfnisses während eines Einsatzes, ist beim Militär weit verbreitet.93

So wurde die Untersuchung der Wirksamkeit Modafinils außerhalb eines klinischen Kontextes vor allem auch durch Studien des Militärs gefördert, welche auch zu dem Ruf Modafinils als kognitiver Enhancer94 beigetragen haben könnten. Diesbezüglich ist auch insbesondere die Frage von Interesse, inwiefern Modafinils Effektivität bezüglich der Steigerung von Wachheit, Aufmerksamkeit und Vigilanz globale Funktionen und die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert.

In einer vielrezipierten Studie in diesem Zusammenhang, welche am Aeromedical Research Laboratory der US-Air Force durchgeführt wurde, konnten sechs junge, gesunde Helikopter- piloten, die über 40 Stunden nicht geschlafen hatten, nach der Einnahme von Modafinil vier von sechs schwierigen Flugmanövern im Flugsimulator besser ausführen als mit Placebo.95 Sie berichteten über eine verbesserte Stimmung und Aufmerksamkeit, aber auch von unangenehmen Nebenwirkungen wie Schwindelgefühlen und Übelkeit. Angesichts der kleinen Stichprobe von nur sechs Personen ist hier allerdings die Generalisierbarkeit dieser Ergebnisse recht fraglich. Des weiteren bleibt unklar, welche kognitiven Funktionen im einzelnen von Modafinil unterstützt wurden.

Einer weitere, ebenfalls hinsichtlich des Zusammenhangs der Wirkung Modafinils bei Gesunden bekannte und vielrezipierte Studie der Psychiaterin Danielle Turner von der Cambridge Universität verfolgte das Ziel, den Einfluss Modafinils auf spezifische kognitive Funktionen zu differenzieren.96 Hierzu verabreichte man 60 gesunden, männlichen Probanden jeweils 100mg und 200mg Modafinil und ließ sie neben einer Placebogruppe die sogenannte „Cambridge Neuropsychological Test Automated Battery“ (CANTAB)97 durchführen. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenstellung von 12 PC-gestützten psychologischen Tests, die die Leistungsfähigkeit verschiedener kognitiver Funktionen erfassen sollen. Hierzu gehören Lernfähigkeit und Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit, räumlich- visuelle Analyse, Arbeitsgedächtnis, Problemlösen und räumliche Planungsstrategien.98 Im Vergleich zum Placebo zeigten die Versuchspersonen mit Modafinil verbesserte Werte für das Arbeitsgedächtnis, in der visuellen Mustererkennung und bei räumlicher Planungsfähigkeit. Ein interessanter Effekt zeigte sich bei dem Test zur visuellen Mustererkennung (Delayed Matching to Sample, DMTS) und insbesondere bei dem zur räumlichen Planungsfähigkeit (New Tower of London, NTOL). Mit Modafinil kam es zu einer leichten Verzögerung der Reaktionszeiten, beim NTOL verstärkt mit zunehmender Schwierigkeitsstufe der Aufgabe, die mit einer zunehmenden Fehlerrate der Placebogruppe einherging. Die verbesserten Ergebnisse in diesen Funktionen wurden mit der verlangsamten Reaktion in der Entscheidung in Zusammenhang gebracht. Im Gegensatz zu z.B. Methylphenidat, zeigten sich jedoch keine signifikanten Effekte beim Spatial Working Memory (SWM), welcher die Fähigkeit testet, räumliche Information zu behalten und im Arbeitsgedächtnis umzuformen, beim Spatial Span (SSP) ein Test zur Überprüfung der räumlichen Gedächtnisspanne, beim Rapid Visual Information Processing (RVIP), ein Test, der die Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit misst, sowie beim Intradimensional/Extradimensional Shift (IDED), welcher die Aufmerksamkeit und die Fähigkeit den Aufmerksamkeitsfokus zu verlagern misst, und dem Paired Associates Learning (PAL), der visuell-räumliche Gedächtnisleistungen erfasst. Anders als bei Methylphenidat zeigten sich aber auch keine Beeinträchtigungen durch Modafinil. Bis auf die Ergebnisse des Stop Signal Tasks (SST), welcher die Impulsivität von Reaktionen misst, waren die gemessenen Effekte dosisunabhängig. Das Ergebnis ist demnach relativ uneindeutig. Einige darauffolgende Studien konnten leichte Effekte aufweisen, aber die positiven Resultate der Turner-Studie bezüglich einer Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit nicht eindeutig bestätigen.99

Zwei Studien von Randall et al. aus den Jahren 2003 und 2004 konnten trotz umfangreicher kognitiver Tests lediglich schwache bis keine signifikanten Effekte nachweisen.100 Es wurde auch postuliert, dass diese uneindeutigen, sich teilweise widersprechenden Ergebnisse aufgrund der Verwendung verschiedener Testverfahren, -anleitungen und -dauer101 zustande

gekommen sein könnten, sowie aufgrund von einer zu geringen Stichprobengröße. Darauf wurden in einer weiteren Studie wiederum von Randall et al. die Ergebnisse der vorherigen Studien retrospektiv zusammengefasst und analysiert, um eine größere Versuchspersonenzahl zu erfassen.102 Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Variabilität der Ergebnisse nicht aufgrund verschiedener Testanleitungen oder Ermüdung zustande gekommen waren. Eine spätere Arbeit Randalls et al. von 2005 erbrachte das interessante Ergebnis, dass eine Steigerung zwar lediglich bei einem von mehreren Tests festzustellen war, der die Geschwindigkeit beim Erkennen visueller Reize erfasst, jedoch dies nur bei Versuchspersonen, bei denen zuvor ein durchschnittlicher bis niedrigerer Intelligenzquotient gemessen worden war.103 Die Autoren schlossen hieraus, dass bei Individuen, die bereits ein hohes Leistungsniveau aufweisen, Modafinil eine begrenztere Wirkung aufweist, als bei Individuen, die weniger leistungsstark und erholt sind. Hierbei berücksichtigten sie jedoch nicht den sogenannten Decken- oder Sättigungseffekt104.105 Dies weist auf einen Zusammenhang hin, den auch der Psychiater Klaus Lieb in seinem erst kürzlich erschienenen Buch „Hirndoping“ beschreibt und der zwischen dem Grad der physiologischen Aktivierung und der Leistungsfähigkeit besteht.106 Er kann durch eine inverse U-Funktion beschrieben werden und definiert den Nutzen einer kognitiven Leistungssteigerung in Relation zum gegenwärtigen Erregungszustand. Hierbei bleibt bei einer niedrigen Aktivierung des Organismus, wie im Schlaf oder bei entspannter Ruhe, die Leistungsfähigkeit relativ gering, bei einem mittleren Maß an Aktiviertheit besteht das größte Leistungspotenzial, bei dem die Leistungsfähigkeit bis zu einem Maximum gesteigert werden kann, bei einer weiteren Steigerung des Erregungsniveaus jedoch, wie z.B. bei starker Aufregung, nimmt das Leistungspotenzial entsprechend dem Kurvenverlauf ab und kann zur Folge haben, dass die Einnahme eines leistungssteigernden Medikamentes eine geringere oder gar keine Wirkung zeigt, bis hin zu sogar nachteiligen Effekten, wie es z.B. auch in Studien mit Amphetamin beobachtet wurde.107 Verschiedene Medikamentendosen zeigen ähnliche Effekte. Hier scheint also eine natürliche, biologische Grenze der Leistungsfähigkeit gegeben zu sein. Lieb beschreibt dieses Phänomen als eine Art universelles Prinzip, dass eine massive Steigerung von Funktionen in einem bestimmten Bereich, jeweils mit einer Verminderung und auf Kosten von anderen Funktionen einhergeht, wie beispielsweise im Falle von Menschen mit dem Savant-Syndrom.108 In diesen Zusammenhang könnten auch die Ergebnisse einer Übersichtsarbeit zu Modafinil von Raminder Kumar aus dem Jahre 2008 gebracht werden, welche bezüglich der Wirkung Modafinils auf Wachheit und Vigilanz bei Gesunden unter Schlafentzug eindeutigere Effekte konstatierte, als bei Gesunden ohne Schlafentzug.109

Ein weiterer nicht unbedeutender Aspekt, von dem erstmals in einer Studie von Baranski und Pigeau 1997 berichtet wurde, ist eine Überschätzung der eigenen kognitiven Fähigkeiten.110 2004 beschreiben Baranski et al. in einer weiteren Arbeit eine nicht-signifikante Tendenz zu Selbstüberschätzung.111 Eine neuere Studie von 2008, bei der das Fahrverhalten in einem Fahrsimulator von 16 gesunden Probanden nach einer Nacht Schlafentzug getestet wurden, bestätigt diesen Effekt.112 In allen drei Studien wurde jeweils 300mg Modafinil verwendet. Zwischen den objektiven Variablen zur Erfassung der Fahrqualität und der subjektiven Einschätzung wurde eine signifikante Diskrepanz gemessen, welche die Autoren als Überschätzung der eigenen Fähigkeiten interpretieren, die eventuell mit Kontrollverlusten und einer größeren Risikofreude verbunden sein könnte, wodurch die entsprechenden Personen sich und andere gefährden könnten.

Eine weitere erwähnenswerte Wirkung wurde in einer Studie am Walter Reed Army Institute of Research dokumentiert.113 Hierbei wurde die Variable „Humorverständnis“ („humor appreciation“) erhoben. Die Fähigkeit Humor zu verstehen, ist eine recht komplexe kognitive Fähigkeit, welche Prozesse des präfrontalen Kortex114 und integrative Informationsprozesse zwischen verschiedenen kortikalen und subkortikalen Arealen erfordert. In dieser Studie zeigten die Versuchspersonen, die Modafinil eingenommen hatten, im Vergleich zu Koffein und Amphetamin verbesserte Werte im Humorverständnis. Dieses Ergebnis untermauert die These, dass der Wirkmechanismus Modafinils, sich nicht lediglich auf Funktionen der SchlafWach-Regulation und Aufmerksamkeit beschränkt.

Im Vergleich zu Koffein und Amphetamin zeigte Modafinil hinsichtlich der Wachheit und Vigilanz ähnliche Wirksamkeit, jedoch mit längerer Wirkdauer. In einer Vergleichsstudie wurde die Wirkung von 600mg Koffein115, 400mg Modafinil, 20 mg Dextroamphetamin und einem Placebo auf die Wachheit und Aufmerksamkeit von Soldaten untersucht, die unter einem Schlafentzug von 45-50 Stunden litten.116 Bezüglich der Verbesserung der Wachheit, zeigten alle drei ähnliche Wirksamkeit, jedoch Unterschiede im Hinblick auf die Verbesserung spezifischer kognitiver Funktionen. Modafinil, aber auch Dextroamphetamin zeigten vergleichbare Leistungssteigerungen bei Tests, die das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis, als auch die Problemlösung betrafen, während allein bei Modafinil ein verbessertes sogenanntes Perseverationsverhalten117 gemessen wurde. Koffein hingegen zeigte größte Effektivität bei Tests bezüglich Impulskontrolle und Problemlösung. Die Autoren spekulieren hierzu, dass jede der Substanzen verschiedene, für jeweils spezifische kognitive Funktionen und Prozesse spezialisierte Netzwerke aktiviert.

[...]


1 Vigil® in Deutschland und Polen. Weitere Handelsnamen sind u.a.: Provigil® (USA, Großbritannien), Modasomil® (Österreich und Schweiz); Modiodal® (Frankreich, Spanien).

2 Siehe Glossar.

3 Siehe Glossar.

4 Siehe Glossar.

5 Cephalon 2008, Juli.

6 Goode 1998.

7 Dorozynski 1989.

8 Das erst kürzlich zugelassene Generikum Armodafinil gehört ebenfalls in diese Substanzklasse.

9 Jouvet 1987.

10 Dorozynski 1989.

11 Cephalon 2001.

12 Cephalon 2002.

13 Robertson und Hellriegel 2003.

14 Cephalon 2008,März.

15 Siehe Glossar.

16 Schwabe und Paffrath 2009, 799.

17 Siehe z.B. http://www.provigil.com/.

18 Siehe URL 1.

19 Siehe Glossar.

20 Benkert 2008.

21 Sowie in dem bekannten Medikament Ritalin.

22 Lin et al. 1992.

23 Siehe Glossar.

24 Wisor et al. 2001.

25 Dopaminergen Neuronen des auch als „Belohnungssystem“ bekannten mesocorticolimbischen Dopaminsystems im Mittelhirn wird eine Schlüsselrolle bei Lern- und Gedächtnisvorgängen und der bei Lernerfolg auftretenden euphorisierenden Wirkung zugesprochen. Man konnte im Tierversuch nachweisen, dass bei einer erhöhten Dopaminkonzentration im Bereich des Nucleus accumbens eine Selbststimulation stattfindet, bis hin zur Entwicklung von Suchtverhalten (Olds und Milner 1954).

26 Lyons und French 1991.

27 Kumar 2008.

28 Cephalon 2008, März.

29 Moldofsky et al. 2000.

30 Beusterien et al. 1999.

31 Siehe Glossar.

32 Siehe URL 2.

33 Ballon und Feifel 2006; Kumar 2008.

34 Kumar 2008.

35 Ebd.

36 Borbély und Tobler 1989.

37 Hasan et al. 2009.

38 Gerrard 2007; Minzenberg 2008.

39 Siehe Glossar.

40 Kumar 2008; Minzenberg und Carter 2008.

41 de Lecea et al. 1998.

42 Ebrahim et al. 2002.

43 Nishino et al. 2000.

44 Ballon und Feifel 2006; Kumar 2008; Minzenberg und Carter 2008.

45 Kumar 2008.

46 Siehe Glossar.

47 Willie 2005.

48 Kumar 2008; Minzenberg und Carter 2008.

49 Ballon und Feifel 2006; Kumar 2008; Minzenberg und Carter 2008.

50 Siehe Glossar.

51 Ballon und Feifel 2006; Kumar 2008.

52 Siehe Glossar.

53 Kumar 2008; Minzenberg und Carter 2008.

54 Kumar 2008.

55 Wisor et al. 2001.

56 Siehe Glossar.

57 Cephalon 2008, März. Ebd..

58 Ebd..

59 10 gesunde männliche Versuchspersonen im Alter von 23 bis 46 Jahren.

60 Volkow et al. 2009.

61 Siehe Glossar.

62 Cephalon 2009, März.

63 Lin et al. 2000 ; Kumar 2008.

64 Siehe Glossar.

65 Tourev et al. 1995; Edgar und Seidel 1997; Jasinski und Kovacevic-Ristanovic 2000; Myrick et al. 2004; Kumar 2008.

66 Kumar 2008.

67 Cephalon 2008, März.

68 Banerjee et al. 2004.

69 Förstl et al. 2006, 308.

70 Die jedoch auch in der derselben Studie in der Placebo-Gruppe bei 23% der Patienten auftraten.

71 Selten: 1 bis 10 Behandelte von 10.000.

72 Cephalon 2008, März.

73 Sehr selten: weniger als 1 Behandelter von 10.000.

74 Cephalon 2008, September.

75 Kumar 2008.

76 Mariani und Hart 2005.

77 Bei 13 Patienten von 1585.

78 Cephalon 2008, September.

79 Ebd..

80 Bei 0 von 4264 Patienten.

81 Ebd..

82 Kleuser 2007.

83 Cephalon 2008, September.

84 Cephalon 2008, März.

85 Kumar 2008.

86 Ebd.

87 Young 2006.

88 Swanson et al. 2007.

89 Siehe Kapitel 3.

90 Ballon und Feifel 2006.

91 Siehe Glossar.

92 Rasmussen 2008.

93 Siehe Kapitel 3.

94 Caldwell et al. 2000.

95 Turner et al. 2003.

96 Siehe auch: http://www.cantab.com/science/cantab-tests-all.asp. Robbins et al. 1994.

97 Kumar 2008.

98 Randall et al. 2003 ; Randall et al. 2004.

99 Welche das Ergebnis aufgrund der bei zunehmender Testdauer entstehenden Müdigkeit verfälscht haben könnte.

100 Kumar 2008.

101 Baranski und Pigeau 1997.

102 Baranski et al. 2004.

103 Gurtman et al. 2008.

104 Killgore et al. 2006.

105 Siehe Glossar.

106 Entspricht dem Konsum von ungefähr 5-6 Tassen Kaffee.

107 Killgore et al. 2009.

108 Siehe Glossar.

109 Kumar 2008.

110 Baranski und Pigeau 1997.

111 Baranski et al. 2004.

112 Gurtman et al. 2008.

113 Killgore et al. 2006.

114 Siehe Glossar.

115 Entspricht dem Konsum von ungefähr 5-6 Tassen Kaffee.

116 Killgore et al. 2009.

117 Siehe Glossar.

Excerpt out of 84 pages

Details

Title
Ethische Aspekte des kognitiven Enhancements am Beispiel von Modafinil
College
University of Tubingen  (Biologie - Ethik in den Biowissenschaften)
Grade
2,0
Author
Year
2010
Pages
84
Catalog Number
V188987
ISBN (eBook)
9783656128922
ISBN (Book)
9783656130192
File size
811 KB
Language
German
Keywords
Enhancement, Modafinil, Ethik, Bioethik, Pharmazie, Narkolepsie, Kognitives Enhancement, Neuroenhancement, Neurophilosophie, Medizin, Pharmakologie, Arzneimittelwesen, Biologie, Neurowissenschaften
Quote paper
Dipl. Biol. Sabine Kira Salowsky (Author), 2010, Ethische Aspekte des kognitiven Enhancements am Beispiel von Modafinil, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/188987

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