Die Rolle des Lehrers in der systemisch-konstruktivistischen Pädagogik


Hausarbeit, 2009

14 Seiten


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Wirklichkeit aus naturwissenschaftlicher Sicht
1.2. Wirklichkeit aus systemisch-konstruktivistischer Sicht

2. Systemisch-konstruktivistische Didaktik

3. Die Rolle des Lehrers
3.1. Konstruktivistische Unterrichtsmethoden
3.2. Systemische Arbeitstechniken im Kontext Schule
3.3. Umgang mit Lernproblemen
3.4. Verhaltensweisen und Handlungen des systemisch-konstruktivistisch orientierten Lehrers

4. Abschluss: 11 goldene Regeln

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Was ist Wirklichkeit?

1.1. Wirklichkeit aus naturwissenschaftlicher Sicht

Die empirische Sichtweise geht davon aus, dass „unabhängig von unseren Beobachtungen eine uns allen gemeinsame Wirklichkeit existiert, die wir wahrnehmen können, wie sie wirklich ist, um uns dann gemäß diesen Erkenntnissen richtig verhalten zu können“ (Balgo/Voß, 1999, S. 57). Die Welt sagt uns, wie wir uns verhalten müssen und wir verhalten uns dem entsprechend, „weil die Dinge nun einmal so sind, wie sie sind“ (Balgo/Voß, 1999, S. 58). Diese Annahme von Objektivität führt zu einer Welt voller Dualismen mit weitreichenden Konsequenzen: Es entsteht „zwangsläufig die Auffassung von „wahr und falsch“, „normal und verrückt“, „krank und gesund“, „böse und gut“, „schlau und dumm“ sowie in deren Folge „reich und arm“, „Freund und Feind“ und somit der Kampf der Gegensätze“ (Balgo/Voß, 1999, S. 58).

1.2. Wirklichkeit aus systemisch-konstruktivistischer Sicht

In der systemisch-konstruktivistischen Sichtweise sind Subjekt (Beobachter) und Objekt (die beobachtete Wirklichkeit) untrennbar miteinander verbunden. Es gibt keine Wirklichkeit, die unabhängig vom Beobachter ist! Stattdessen gibt es so viele Wirklichkeiten (Multi-versen) wie es Beobachter gibt (vgl. Balgo/Voß, 1999, S. 59). Jeder Mensch konstruiert sich sozusagen seine eigene Wirklichkeit. Diese Konstruktionen sind zeitgebunden, vom jeweiligen Beobachter abhängig und schreiben keine ewigen Wahrheiten fest (vgl. Reich, 1999, S. 71). Außerdem wird die Welt als Gesamtorganismus betrachtet, in der alle Dinge in Beziehung zueinander stehen. Jedes Einzelteil besteht nur in Beziehung zu anderen Teilen. Man spricht deshalb von Systemen (vgl. Balgo/Voß, 1999, S. 59). Da jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit konstruiert, können diese Wirklichkeitskonstruktionen weder „richtig“ noch „falsch“ sein. Eine objektive Sichtweise ist nicht möglich da das eigene Wirklichkeitsbild nie mit einem von der eigenen Erfahrung unabhängigen Bild verglichen werden kann (vgl. Balgo/Voß, 1999, S. 60).

2. Systemisch-konstruktivistische Didaktik

Aus systemisch-konstruktivistischer Sicht ist Didaktik „ein konstruktiver Ort der eigenen Weltfindung“ (Reich, 1999, S. 70). Wirklichkeit wird als Konstruktion von Beobachtern betrachtet. Jeder Mensch konstruiert sich also seine eigene Welt und die Didaktik bietet dazu einen Ort an, an dem dies möglich wird. Sich seine Wirklichkeit zu konstruieren - dazu gehört Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung. Dewey oder Freinet können mit ihren reformpädagogischen Ansätzen als Vorläufer einer konstruktivistischen Pädagogik gelten (vgl. Reich, 1999, S. 72). Die konstruktivistische Didaktik will es Lehrern und Schülern ermöglichen, ihre eigene Wirklichkeitskonstruktion zu finden; die Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und sich frei für eine Perspektive zu entscheiden. Jedoch können dabei gesellschaftlich übermittelte „Rekonstruktionen“ von Wirklichkeit nicht außer Acht gelassen werden: Sprache, Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer sind keineswegs überflüssig! Die konstruktivistische Didaktik wehrt sich jedoch gegen ein Curriculum, das zu lernendes Wissen fest vorgibt, da das oberste Ziel ist, Beobachtervielfalt zu entwickeln (vgl. Reich, 1999, S. 73f.). Die konstruktivistische Didaktik möchte kein Kategoriesystem vorgeben, an dem man sich orientieren soll, sondern kann nur Hilfe oder Anregung sein, für diejenigen die daraus ihre eigene Didaktik konstruieren (vgl. Reich, 1999, S. 76).

Des weiteren ist systemisch-konstruktivistische Didaktik eine Beobachtertheorie, die die „konstruktiven Akte des Aufklärens und der Reflexion“ den Lehrer und Schülern „in möglichst hoher Selbstständigkeit“ überlässt (Reich, 1999, S. 70). Schulunterricht findet auf zwei Ebenen statt: Neben der Inhaltsebene (Schulstoff, der unterrichtet wird) gibt es die Beziehungsebene (zwischen Schülern und Lehrern sowie bei Schülern untereinander). Gerade die Beziehungsebene mit ihren vielfältigen (kommunikativen und menschlichen) Problemen ist es, die den Lehrerberuf sehr belastend macht. Es ist also dringend notwendig, dass Reflexion über Geschehnisse im Schulunterricht auf professioneller Ebene stattfinden kann. Hinsichtlich der Beziehungsebene und menschlicher Kommunikation kann die systemisch-konstruktivistische Didaktik von Ansätzen aus der systemischen Therapie lernen. Außerdem ist es wichtig, dass diese Ansätze bereits in der Lehrerausbildung angewandt werden.

„Es bedarf einer steten, konstruktiven Aktivität in verschiedenen Rollen und unter unterschiedlichen Beobachterperspektiven, es bedarf einer Reflexion nicht nur auf kognitive Inhalte, sondern auch auf Gefühle, Einstellungen, Wertmuster usw., also einer Kommunikation über die Beziehungsseite selbst. Will man aber über die Beziehungsseite forschen und lehren, dann kommt auch der Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung eine zuweisende Aufgabe zu, die wir vor der Umsetzung in die Schule zunächst für die Hochschule, für die Lehrer- und Pädagogikausbildung fordern müssen“ (Reich, 1999, S. 78).

Als nächstes ist systemisch-konstruktivistische Didaktik eine „Konstruktion, die in Beziehungen ausgehandelt, im Nach- und Nebeneinander verschiedener Beobachter betrachtet und analysiert werden kann“ (Reich, 1999, S. 70). Jeder beliebige Inhalt, der im Unterricht vermittelt wird, steht immer auch in einer Beziehung zu den einzelnen Menschen im System Schule und ein Inhalt kann nur über Beziehung im Lernprozess vermittelt werden. Dies bedeutet, dass Schülern die Möglichkeit zur Mitbestimmung gegeben werden muss. Dies bedeutet für den Lehrer, dass er ein Stück weit loslässt, und den Schülern Freiheiten einräumt, ihren Lernprozess demokratisch auszuhandeln - was nicht leicht ist und nicht ohne eine funktionierende Beziehung zu den Schülern möglich ist. Dazu wäre eine qualifizierte Ausbildung der Lehrkräfte von Nöten (vgl. Reich, 1999, S. 80). Beziehungsreflexion bedeutet nicht nur, die Lehrer-Schüler- oder Schüler-Schüler-Beziehungen zu thematisieren, sondern auch, „die inhaltliche Seite des Unterrichts konstruktiv für die Schüler aufzuschließen und Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung nicht nur gelegentlich in einzelne Stunden einzubauen“(vgl. Reich, 1999, S. 80). Diese Forderungen kommen reformpädagogischen Ansätzen, z.B. von Freinet sehr nahe. Den Schülern soll die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst als Konstrukteure ihrer eigenen Wirklichkeit zu erleben.

Schließlich will systemisch-konstruktivistische Didaktik mehr sein, als eine bloße Theorie der Schülerorientierung. Eine wichtige Aufgabe ist es also, die bereits in der Praxis vorhandenen konstruktivistischen Ansätze zu erkennen und zu reflektieren. Der Begriff „Schülerorientierung“ ist heute weit verbreitet und vielfältige Unterrichtsmethoden sind darauf abgestimmt. Der Trend geht weg vom verpönten Frontalunterricht hin zur Schüleraktivität, bei der der Lehrer nur noch die Rolle als „Moderator“ übernehmen soll. Jedoch will systemisch- konstruktivistische Didaktik „die herkömmlichen Zuschreibungsmuster von Lehrer und Schüler systematisch auflösen“, da aus systemischer Sicht Lehrer und Schüler zusammen ein „zirkuläres Beziehungssystem“ bilden (vgl. Reich, 1999, S. 80). Reich betont, dass „jegliche effektive und tatsächlich realisierte Schülerorientierung einen mächtigen Lehrer voraussetzt, der ebenso selbsttätig und selbstbestimmt agieren können muss, wie man es idealtypisch von den Schülern erwartet“ (Reich, 1999, S. 81). Man sollte also bei den Diskussionen um Schülerorientierung den Blick auf den Lehrer nicht verlieren.

Das wesentliche Ziel der systemisch-konstruktivistischen Didaktik nach Reich ist es, Lehrern und Schülern Selbstvertrauen und Mut für die eigenen konstruktivistischen Erkenntnisse und für die Gestaltung ihrer Beziehungen zu geben (vgl. Reich, 1999, S. 83). Dazu bietet sie drei Beobachterperspektiven an, aus deren Sichtweise Unterricht stattfinden kann, nämlich Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion:

Das Motto der Konstruktionsperspektive lautet: „Wir sind die Erfinder unserer Wirklichkeit“(Reich, 1999, S.83). Schule ist ein Ort, an dem sowohl die Inhalte, als auch die zwischenmenschlichen Beziehungen konstruktivistisch ausgerichtet werden. Es gibt Raum für Selbsterfahrung, Ausprobieren, Experimentieren...und es werden individuelle Interessen thematisiert. Jeder Stoff schließt immer auch eine konstruktive Seite mit ein. Er ist etwas Neues für die Schüler und muss daher von ihnen konstruiert werden, um verstanden zu werden. Die Aufgabe des Lehrers ist es hierbei, den Schülern konstruktive Möglichkeiten des Verstehens und Anwendens bereitzustellen bzw. sie zusammen mit den Schülern zu erschaffen. Das Motto der Rekonstruktionsperspektive lautet: „Wir sind die Entdecker unserer Wirklichkeit“ (Reich, 1999, S. 84). Man muss die Welt nicht jedes Mal neu erfinden. Vieles wurde bereits erfunden, viele wichtigen Erkenntnisse wurden gewonnen und können in der Schule nicht einfach übergangen werden. Systemisch-konstruktivistischer Unterricht fragt jedoch nach Motiven, statt nach Fakten. Es geht nicht darum, die Vergangenheit zu rekapitulieren sondern zu rekonstruieren. Die Sichtweise lautet „Dies sehen wir aus unseren Augen konstruktiv so; jetzt schauen wir aus den Augen von X rekonstruktiv, was er oder sie gesehen hat“ (Reich, 1999, S. 85). Leitfragen können dann sein: Wer hat es damals so und wer hat es anders gesehen? Was wurde damals vielleicht übersehen? Welche Motive hatte X die Sache genau so zu sehen? Natürlich kann dieses Tiefeindringen in den Stoff nur unter einem gewissen Verlust von Breite geschehen.

Das Motto der Dekonstruktionsperspektive lautet: „Es könnte auch noch anders sein!“(Reich, 1999, S. 86). Hierbei geht es um den Wechsel des Beobachterstandpunkts um andere Sichtweisen zu gewinnen. Es geht darum, die Fragen zu entdecken, die bei den eigenen konstruktiven oder rekonstruktiven Handlungen ausgelassen wurden. Es geht darum, neugierig zu bleiben, die Dinge in Frage zu stellen und nicht der Illusion zu unterliegen, dass es eine letztendliche Wahrheit und somit Wirklichkeit gäbe (vgl. Reich, 1999, S. 87).

[...]

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Details

Titel
Die Rolle des Lehrers in der systemisch-konstruktivistischen Pädagogik
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Autor
Jahr
2009
Seiten
14
Katalognummer
V192163
ISBN (eBook)
9783656170174
ISBN (Buch)
9783656170181
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lehrer, Lehrerrolle, Konstruktivismus, systemisch, systemische Beratung, systemische Pädagogik, konstruktivistische Pädagogik, Rolle des Lehrers, Schule, Didaktik
Arbeit zitieren
Dipl. Päd. Lisa Frommer (Autor:in), 2009, Die Rolle des Lehrers in der systemisch-konstruktivistischen Pädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192163

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