Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Die zwei Grundsätze der Gerechtigkeit
2.1 Der erste Grundsatz der Gerechtigkeit: Das Freiheitsprinzip
2.2 Der zweite Grundsatz der Gerechtigkeit: Das Differenzprinzip
3. Sind die Hartz IV-Reformen nach John Rawls „Theorie der Gerechtigkeit“ gerecht?
3.1 Sicherung der individuellen Freiheitsrechte
3.2 Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe
3.3 Die Anpassung der Berechnung nach Bedürftigkeit
3.4. Die Regelungen der Eigenleistung und die Arbeitsbereitschaft als Bedingung für staatliche Leistungen
4. Der aktuelle Gesetzesentwurf zur Neuregelung von Hartz IV
5. Fazit
Anhang:
- Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Zahl der Hartz IV Empfänger ist im April diesen Jahres auf den höchsten Stand seit August 2007 angestiegen. 6,7 Millionen Deutsche bekamen die Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende, das Arbeitslosengeld II . Doch trotz der sinkenden Arbeitslosenzahlen steigt die Anzahl der Menschen, die auf eine staatliche Unterstützung ihrer Grundsicherung angewiesen sind. Zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosenzahlen und der Reformierung des Arbeitsmarktes führte 2005 die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Führung Gerhard Schröders die sogenannte Hartz IV-Reform als Teil der Agenda 2010 ein.
Bereits vor der Einführung der neuen Gesetze wurden Stimmen laut, welche z.B. die Zusammenlegung von Sozialhilfe und dem Arbeitslosengeld zum neuen Arbeitslosengeld II als ungerecht erachteten. Gegner der Reform organisierten sich in den sogenannten „Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau 2004“, bei denen zehntausende Menschen in verschiedenen deutschen Städten ihren Unmut zum Ausdruck brachten.1
Die Stimmen gegen die Hartz IV Gesetze und ihre Auswirkungen für den Arbeitsmarkt sind bis zum heutigen Tage nicht verstummt. Die Betroffenen fühlen sich durch die Regelungen ungerecht behandelt, Einige sprechen sogar von einer „menschenverachtender Behandlung“.2
Doch warum erscheint ein Gesetz bzw. eine Reform besonders für die Betroffenen als ungerecht? Was wäre im Gegenzug gerecht? Es gibt viele subjektiv differierende Vorstellungen von Gerechtigkeit, genauso wie verschiedene wissenschaftliche Konzeptionen.
Im Rahmen dieser Hausarbeit möchte ich anhand von John Rawls „ Theorie der Gerechtigkeit“ die Frage erörtern, ob die Hartz IV-Gesetze gerecht sind. In seinem Werk leitet Rawls ein „Prinzip sozialer Gerechtigkeit aus dem Prinzip der individuellen rechtlichen Freiheit“ her und erweitert das Prinzip des Rechtsstaates „um den sozialstaatlichen Grundsatz“.3
Sein Gerechtigkeitsmodell, basierend auf zwei entwickelten
Gerechtigkeitsgrundsätzen, gilt als eine der meist diskutierten Konzeptionen der zeitgenössischen politischen Philosophie4.
Die Untersuchung der Hartz IV- Regelung auf Übereinstimmungen mit John Rawls „Theorie der Gerechtigkeit“ bildet den Schwerpunkt dieser Arbeit, bei der ich die Frage klären möchte, ob die Gesetze nach dem Differenzprinzip als gerecht zu erachten sind. Auf Grund des umfassenden Inhalts der Hartz IV-Reform möchte ich mich auf die entscheidenden Elemente beschränken. Daran anknüpfend werde ich kurz den aktuellen Gesetzesentwurf zur Neuregelung vom Hartz IV beleuchten, um auch hier zu analysieren, ob sie mit der „Theorie der Gerechtigkeit“ konform ist. Diese Hausarbeit soll der Versuch sein, John Rawls Gedankenexperiment der „Theorie der Gerechtigkeit“ auf ein aktuelles politischen und gesellschaftliches Problem in der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden.
2. Die zwei Grundsätze der Gerechtigkeit
Die Grundidee auf der John Rawls Gerechtigkeitsmodell basiert, ist die Konzipierung des „Urzustandes“. In dieser fiktiven Situation haben sich freie und vernünftige Menschen auf Basis völliger Gleichheit und eines Informationsdefizits für Gerechtigkeitsprinzipien entschieden. Das Informationsdefizit wird von Rawls als „Schleier des Nichtwissens“ bezeichnet, unter welchem die Menschen u.a. keine Kenntnis über ihr Alter, ihre gesellschaftliche Stellung oder moralische Einstellung haben. Die Rawlsschen Grundsätze der Gerechtigkeit sind bestimmt durch die Entscheidungen, welche die rationalen Menschen in dieser fiktiven Situation des Nichtwissens, der Gleichheit und Freiheit treffen.
Sie gelten im Wesentlichen für Institutionen und nicht für die Handlung Einzelner.5 Die Grundsätze entsprechen den Idealvorstellungen der sozialen Gerechtigkeit.6
2.1 Der erste Grundsatz der Gerechtigkeit: Das Freiheitsprinzip
Das erste von John Rawls unter den Bedingungen des Urzustands formulierte Verteilungsprinzip, ist der Grundsatz der rechtlich- politischen Gerechtigkeit. Es lautet:
„Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreiche System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.“7
Bei dem Grundsatz handelt es sich um ein egalitäres Verteilungsprinzip für immaterielle Güter8, das die Grundfreiheiten der Menschen festgelegt . Sie sind für alle in gleicher Weise geltend und es wird eine Maximierung der individuellen Freiheiten verlangt.
Zu den Grundfreiheiten der Menschen zählen beispielsweise die Rede- und Versammlungsfreiheit, die Gewissens- und Gedankenfreiheit und die Religionsfreiheit.
Die Gerechtigkeitsprinzipien stehen in lexikalischer Ordnung: das erste ist dem zweiten vorgeordnet.9 Durch diese Ordnung können Verletzungen der durch den ersten Grundsatz geschützten Grundfreiheiten nicht durch größere gesellschaftliche oder ökonomische Vorteile gerechtfertigt werden. Die Grundfreiheiten können nur eingeschränkt werden, wenn sie mit anderen Grundfreiheiten kollidieren.10
Der Wert den die Personen den einzelnen Rechten und Pflichten beimisst ist unterschiedlich und ist von der sozioökonomischen Stellung der Person abhängig: „je besser die materiellen Lebensverhältnisse, umso höher wird der Wert der Grundfreiheiten eingeschätzt“.11
Der geringere Wert der Freiheit wird über den zweiten Grundsatz, das Differenzprinzip ausgeglichen.
2.2 Der zweite Grundsatz der Gerechtigkeit: Das Differenzprinzip
Der zweite von Rawls entwickelte Grundsatz entsprich einem sozioökonomischen Verteilungsprinzip:
„Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu regeln, dass sie sowohl
(a) den am wenigsten Begünstigten vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.“12
Mittels des zweiten Grundsatzes werden bestehende gesellschaftliche und wirtschaftliche Ungleichheiten unter bestimmte Legitimationsbedingungen gestellt. So können diese Ungleichheiten nur dann gerechtfertigt werden, wenn die Begünstigung einer Person oder gesellschaftlichen Gruppe auch die Stellung der am wenigsten Begünstigten verbessert.
Die Verteilung von Einkommen, Vermögen und Chancen muss nicht gleich sein, sie ist aber so zu gestalten, dass sie für jeden innerhalb der Gesellschaft Vorteile bringt. Demnach besteht „Ungerechtigkeit (...) einfach in Ungleichheiten, die nicht jedermann Nutzen bringen“.13 Rawls nennt den ersten Abschnitt des Grundsatzes „das Differenzprinzip“ (Quelle). Der zweiten Teil des Grundsatzes, auch als Grundsatz der fairen Chancengleichheit bezeichnet, beinhaltet den offenen Zugang jedermanns zu allen gesellschaftlichen und politischen Positionen und Ämtern „im Sinne einer fairen, die Auswahl sozialer und natürlicher Zufälligkeiten mildernden Chancengleichheit“.14 Menschen mit unterschiedlichen natürlichen Gaben, die nicht im Bereich institutionellen Einflusses liegen, sollen gleiche Chancen und Erfolgsaussichten haben.
Die Hauptaussage des zweiten Gerechtigkeitsgrundsatzes kann folglich lauten: „So gleich wie möglich, so ungleich wie nötig!“15
3. Sind die Hartz IV-Reformen nach John Rawls „Theorie der Gerechtigkeit“ gerecht?
Die Frage, ob die Hartz IV Gesetze nach Rawls gerecht sind, kann nur mittels der Gerechtigkeitsgrundsätze definiert werden, denn für Rawls ist der Begriff Gerechtigkeit „durch seine Grundsätze für die Zuweisung von Rechten und Pflichten und die richtige Verteilung gesellschaftlicher Güter“ definiert.16 Demnach ist gerecht, was den beiden Grundsätzen entspricht. Auch Forderungen an den Einzelnen durch das Prinzip der Fairness werden Anwendung finden. Bei der Reform handelt es sich um eine sozioökonomische Neuregelung, deswegen wird sie in ihrer Bewertung primär unter dem Differenzprinzip beachtet.
Im Folgenden möchte ich die wesentlichen Grundzüge der Hartz- Reform aus dem Jahr 2005 auf Übereinstimmung mit den Sätzen der Gerechtigkeit untersuchen, umso zu ermitteln, ob die Reform nach John Rawls Gerechtigkeitsmaßstab als gerecht eingestuft werden kann.
3.1 Sicherung der individuellen Freiheitsrechte
Nach dem ersten Grundsatz des Gerechtigkeitsmodells muss jedem Menschen innerhalb der Gesellschaft ein gleiches System an Freiheiten und Rechten zustehen, welches Ihnen ihre individuellen Freiheitsrechte sichert. Diese werden auch im Zuge der Hartz-4 Reform nicht angetastet, denn in Deutschland sind die Grundrechte der Bürger in den Artikeln 1-19 des Grundgesetz festgeschrieben und gelten für alle gleichermaßen.
In seinem Werk fordert Rawls die „Unverletzlichkeit (der Menschen und ihrer Rechte, Anmerk. C. Barz), die auch im Namen des Wohls der ganzen Gesellschaft“ nicht aufgehoben werden kann.17
Auch dieser Forderung kommen die staatlichen Institutionen nach.
Die Grundrechte in Deutschland sind durch die sogenannte Ewigkeitsgarantie geschützt, welche die Artikel 1 und 20 umfasst.18
[...]
1 ATTAC Deutschland (archivierter Beitrag der Tagesschau vom 11.10.2004): <http://www.attac-leipzig.de/allg/material/2004/tagesschau.PDF>, (14.09.2010, 13:33 Uhr).
2 Bafög-aktuell: <http://www.bafoeg-aktuell.de/News/2010/04/12/hartz-iv-empfaenger-fuehlen-sich-von-jobcentern- menschenverachtend-behandelt >, (15.09.10, 12:22 Uhr).
3 Kersting, Wolfgang, John Ralws zur Einführung, Junius Verlag GmbH: Hamburg 1993,S.21.
4 Ebd. S. 7.
5 Kühn, Hans-Jürgen, Soziale Gerechtigkeit als moralphilosophische Forderung. Zur Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls, Bouvier Verlag Herbert Grundmann: Bonn 1984, S. 20.
6 Ebd. S. 20.
7 Rawls, John, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Suhrkamp-Verlag: Frankfurt am Main 1975, S. 81.
8 Kersting, Wolfgang, John Ralws zur Einführung, Junius Verlag GmbH: Hamburg 1993,S.50.
9 Rawls, John, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Suhrkamp-Verlag: Frankfurt am Main 1975, S. 62.
10 Kühn, Hans-Jürgen, Soziale Gerechtigkeit als moralphilosophische Forderung. Zur Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls, Bouvier Verlag Herbert Grundmann: Bonn 1984, S. 23.
11 Kersting, Wolfgang, John Ralws zur Einführung, Junius Verlag GmbH: Hamburg 1993,S.54.
12 Rawls, John, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Suhrkamp-Verlag: Frankfurt am Main 1975, S. 104.
13 Ebd. S. 83.
14 Kersting, Wolfgang, John Ralws zur Einführung, Junius Verlag GmbH: Hamburg 1993,S.59.
15 Ebd. S. 67.
16 Rawls, John, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Suhrkamp-Verlag: Frankfurt am Main 1975, S.26.
17 Ebd. S. 19.
18 Bundeszentrale für politische Bildung, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2009, Art 79/3.