Mit dem Aufkommen der sogenannten „Neuen Medienkunst“ hat sich nicht nur die Kunst an sich geändert, sondern auch die Art ihrer Rezeption. Die Künstler setzen auf die interaktive Öffnung ihrer Werke und fordern den vormals passiven Betrachter zu aktiver Partizipation und Mitgestaltung des Werks auf. Dadurch ergeben sich nicht nur neue Herausforderungen für das anfangs überrumpelte, an stummes Sehen gewöhnte Kunstpublikum, sondern insbesondere auch für die Arbeit des Kurators, der allen Ansprüchen gerecht werden muss, denen des Künstlers und der Museumsbesucher. Eben diese neuen Aufgaben sollen in der folgenden Arbeit aufgezeigt werden anhand der Videokunst, die in den 1960ern die Vorreiterrolle der Medienkunst übernahm und sich Akzeptanz und Eingliederung in den Museumskontext erst erkämpfen musste, sowie der Internetkunst, die mit dem Internet ab Mitte der 90er Jahre entstand und als aktuellstes Beispiel der Medienkunst auftritt. Die Konzentration soll dabei besonders auf der Frage liegen, welche Räumlichkeiten die moderne Medienkunst benötigt, um angemessen rezipiert werden zu können, und ob sie, die alle Grenzen sprengen möchte, überhaupt noch in den stark begrenzten Museumskontext passt.
HS Kuratieren als kulturelle Praxis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
SS 2011
Sandra Kuberski
18. August 2011
Der Kurator im Zeitalter der neuen Medienkunst
Mit dem Aufkommen der sogenannten „Neuen Medienkunst“ hat sich nicht nur die Kunst an sich geändert, sondern auch die Art ihrer Rezeption. Die Künstler setzen auf die interaktive Öffnung ihrer Werke und fordern den vormals passiven Betrachter zu aktiver Partizipation und Mitgestaltung des Werks auf. Dadurch ergeben sich nicht nur neue Herausforderungen für das anfangs überrumpelte, an stummes Sehen gewöhnte Kunstpublikum, sondern insbesondere auch für die Arbeit des Kurators, der allen Ansprüchen gerecht werden muss, denen des Künstlers und der Museumsbesucher. Eben diese neuen Aufgaben sollen in der folgenden Arbeit aufgezeigt werden anhand der Videokunst, die in den 1960ern die Vorreiterrolle der Medienkunst übernahm und sich Akzeptanz und Eingliederung in den Museumskontext erst erkämpfen musste, sowie der Internetkunst, die mit dem Internet ab Mitte der 90er Jahre entstand und als aktuellstes Beispiel der Medienkunst auftritt. Die Konzentration soll dabei besonders auf der Frage liegen, welche Räumlichkeiten die moderne Medienkunst benötigt, um angemessen rezipiert werden zu können, und ob sie, die alle Grenzen sprengen möchte, überhaupt noch in den stark begrenzten Museumskontext passt.
Medienkunst stellt den traditionellen Kunstbegriff des auratischen, geschlossenen Einzelwerkes in Frage. Wie jedes Kunstwerk fordert auch die Medienkunst eine gewisse Betrachtungsdauer, um sich dem Betrachter anzunähern. Im Gegensatz zu aber etwa einem klassischen Gemälde führt das bloße, neutrale Beobachten zu nichts. Der Betrachter soll und muss sich selbst in das Werk einbringen, er muss zum „User“ desselben werden. Auch ist eine längere Beschäftigung mit diesem notwendig, um verschiedene Facetten der Arbeit kennenzulernen und einen Eindruck von der Idee zu bekommen, die dahinter steht.
In Abgrenzung zur Videokunst hat der Inhaltsbogen des Internetkunstwerkes auch bei längerem Betrachten keine genau definierte Handlung oder einen fertigen Rahmen, den man verpasst, wenn man einige Zeit an einen anderen Ort geht. Vielmehr lebt das Werk von seiner Prozesshaftigkeit, verändert sich also ständig. Der Betrachter wird dadurch zur aufgefordert, immer wieder zu kommen (statt für eine vorgegebene Zeit zu bleiben wie in der Videokunst) und dadurch auf das Werk einzuwirken. Faktor dieses prozesshaften Charakters ist das Geschehen in Echtzeit. Die einzelnen Stadien des Werkes wiederholen sich nicht wie ein Video, das im Ausstellungskontext immer wieder von vorne gezeigt wird. Viel mehr reagiert es auf die Einwirkungen des Benutzers, passt sich diesen immer neu an.
Die neue Medienkunst löst somit auch bisher geltende Regeln der Kunstbetrachtung ab: vorher durfte man Kunstwerke nie anfassen, geschweige den sie verändern. Heute ruft sie genau dazu auf: das Kunstpublikum ist nicht nur Konsument, sondern Partizipant.
In Zeiten des Internets gibt es eigentlich viele Alternativen zum Realraum des Museums, so können Arbeiten nur online in einem virtuellen „Museumsraum“ gezeigt werden, der einer breiten Öffentlichkeit zu jeder Zeit frei zugänglich ist. Allerdings unterliegt die Arbeit hier der Gefahr, in der schieren Masse an verfügbaren Arbeiten, sowie generell in den Weiten des Internets unterzugehen, da der interessierte Kunstrezipient sich nur schwer einen Überblick verschaffen kann. Die Prüfung und Selektion der Informationen im Internet ist heute wichtiger denn je, und so ist auch auf der Ebene der Kunst im Internet eine Kuratorfigur vonnöten.
Nach wie vor ist es aber das Museum, das als ultimative Bestätigung aller Kunstwerke gilt. Erst die Sakralisierung durch die „heiligen Hallen“ des Museums scheint das Kunstwerk wirklich als solches zu legitimieren. Das wird etwa am Beispiel der Videokunst klar: das Video an für sich ist unendlich reproduzierbar, erfüllt also kaum den Anspruch des einmalig geschaffenen Kunstwerkes. Im Museumskontext dann aber wird es als eben solches Einzelwerk ausgestellt, auf einem Sockel etwa, der ihn zur „hohen Kunst“ erhebt.
Das Museum wirkt auch in Hinblick auf die Rezeption des Werkes. Das Kunstpublikum, das auch im Alltag, sowohl auf der Arbeit als auch in der Freizeit, mit Fernsehen und Computern zu tun hat, braucht das „sakrale“ Umfeld, um die Kunst angemessen rezipieren zu können. Es muss von seiner Alltagswahrnehmung umschalten auf das kritische Beobachten der Kunstwahrnehmung.
Ein weiterer Faktor ist der, dass Medienkunst allgemein schwer zu verkaufen ist. Weder mit dem Videoband oder der Datei, noch mit der komplette Monitorpräsentation oder Rauminstallation lässt sich als Einzelobjekt handeln, denn im Gegensatz zur Malerei kann sich der Privatsammler nichts davon über sein Bett hängen. Das Sammeln und Archivieren wird auch dadurch erschwert, dass mit der fortschreitenden Neuerung der Technik die Arbeiten „veralten“ und vielleicht bald nicht mehr kompatibel sind mit neuen Geräten und Programmen. Die Künstler sind in Folge dessen abhängig von Sponsoren oder Stipendien, die auf eine klassische Präsentation im Museum setzen.
Die neue Kunst brachte allerdings auch viele neue Ansprüche und Voraussetzungen mit sich, denen ein Museum sich erst anpassen musste. So beschreibt etwa der Künstler Tom Sherman das Museum als Ort, an dem tote Dinge zur Erinnerung aufbewahrt werden, was sich auf den ersten Blick kaum mit der lebendigen „Live“-Medienkunst vereinen lässt.[1]
Nachdem nun erläutert wurde, wieso auch die moderne Medienkunst noch den traditionellen Museumskontext benötigt, soll näher erläutert werden, welche Voraussetzungen der Ausstellungsraum erfüllen muss.
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[1] Zitiert nach: cook, Sarah, Immaterialty and Its Discontents, In: New Media in the White Cube and Beyond, hg. v. Christiane Paul, Berkeley and Los Angeles, 2008, S. 28.
- Citation du texte
- Sandra Kuberski (Auteur), 2011, Der Kurator im Zeitalter der neuen Medienkunst, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195955