Jahresrückblicke im deutschen Fernsehen als Medienrituale


Dossier / Travail, 2009

35 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitionen des Ritualbegriffs und des Medienrituals

3. Der Ritualbegriff von Albert Bergesen
3.1 Drei Ebenen Ritueller Ordnung von Albert Bergesen
3.1.1 Rituale der Mikroebene
3.1.2 Rituale der Mesoebene
3.1.3 Rituale der Makroebene

4. Anwendung Bergesens Theorie auf Jahresrückblicke im deutschen Fernsehen
4.1 Medienrituale der Mikroebene
4.2 Medienrituale der Mesoebene
4.3 Medienrituale der Makroebene

5. Fazit und weitere Forschungsfragen

Literaturverzeichnis

Medienverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Im Dezember 2008 konnten Fernsehzuschauer in Deutschland über fünfzig Stunden, also gut zwei Tage lang, Fernsehjahresrückblicke anschauen. Eröffnet wurde die Schlacht um Marktanteile und Zuschauerzahlen am 7. Dezember 2008 um 20.15 Uhr. Zeitgleich sendeten das „Zweite Deutsche Fernsehen“ (ZDF) mit Johannes B. Kerner und „RTL Television“ (RTL) mit Günther Jauch Jahresrückblicke im Live-Format. Beide Sender erreichten Zuschauerzahlen oberhalb von fünf Millionen.

Nach einer Phase der Abstinenz dieser Formate Mitte Dezember erreichten die TV-Jahresrückblicke nach den Feiertagen um Weihnachten ihren quantitativen Höhepunkt. Vom 27. Dezember bis zum Silvestertag hatten Fernsehzuschauer nun die Möglichkeit, sich bei mindestens vier Jahresrückblicken täglich der Erinnerungskultur hinzugeben und zurück zu schauen. In einer differenzierten Gesellschaft gibt es für jeden aktiven Medienrezipienten einen entsprechenden Jahresrückblick, der seinen Interessen entspricht. Ob politische Satire, Comedy, Musikshow oder Sport, die Zoo-Doku oder das Lieblings-Lifestyle-Magazin – es wird zurück geblickt.

Ich vertrete die These, dass Jahresrückblicke typische Medienrituale sind und werde den Beweis dafür theoretisch führen, aber auch anhand eigener untersuchter Beispiele belegen. Nach Vorstellung einiger Ritualdefinitionen und Medienritualdefinitionen renommierter Forscher, wird die umfangreiche Definition rituellen Handelns von Albert Bergesen näher vorgestellt. Bergesen unterscheidet drei Dimensionen rituellen Handelns, die auf Medienrituale im Allgemeinen und Jahresrückblicke im Besonderen praktisch angewendet werden.

Grundlage meiner Analyse werden drei verschiedene Jahresrückblicke sein: die Live-Jahresrückblick-Show „Menschen, Bilder, Emotionen“ mit Publikum (RTL), der Jahresrückblick „Was Hessen 2008 bewegte“ aus dem Regionalfernsehen mit Gästen (Hessischer Rundfunk), und der allgemeine kommentierte Jahresrückblick „SPIEGEL TV-SPECIAL – Der Jahresrückblick 2008“ (VOX).

2. Definitionen des Ritualbegriffs und des Medienrituals

Der Ursprung von Ritualen geht auf monokulturelle Gesellschaften zurück, in denen zur Festigung geistlicher oder weltlicher Macht gemeinschaftliche Zeremonien ausgeführt wurden. Je pluralistischer sich Gesellschaften entwickelten und differenzierten, Subkulturen und Teilgesellschaften ausbildeten, desto mannigfachere und differenziertere Rituale bildeten sich

heraus. Sie dienten dazu, Werte, Normen, Ordnung und Macht in den entstandenen Gruppen, Kulturen und Gesellschaften zu festigen.

Belliger und Krieger führen zwei zentrale Begriffe in die jüngere wissenschaftliche Betrachtung der ‚Ritualtheorien‘ oder ‚ritual studies‘ ein: „Performance“ und „ritualisiertes Handeln“. „Gemeint ist damit, dass fast jede Handlung unter bestimmten Bedingungen „ritualisiert“ werden kann“ (Belliger/Krieger, 2006, S. 10). Einerseits herrscht Konsens über die Schwierigkeit einer allgemeingültigen Begriffsbestimmung und Ritualdefinition, andererseits aber auch darüber, dass eine Ritualdefinition vielschichtig sein muss und verschiedene Ebenen des Handelns einbeziehen soll.

Platvoet fasst Eigenschaften und Funktionen des Rituals unter Dimensionen[1] zusammen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass Rituale „in einer derart grossen morphologischen Vielfalt vorhanden [sind], dass die Wissenschaft bis heute keine eindeutige Definition hat finden können“ (Platvoet, 2006, S. 173). Er betont außerdem die besonderen Fähigkeiten des Rituals in Abgrenzung zu normaler Interaktion. Diese generieren Aufmerksamkeit in einer relevanten Gruppe und verleihen lokale, temporale, kausale und modale Besonderheit.

„Ein Ritual ist eine Reihenfolge stilisierten sozialen Verhaltens, das von normaler Interaktion durch seine besonderen Fähigkeiten unterschieden werden kann, die es ermöglichen, die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer – seiner Gemeinde wie auch eines breiteren Publikums – auf sich zu ziehen, und welche die Zuschauer dazu bringen, das Ritual als ein besonderes Ereignis, das an einem besonderen Ort und/oder zu einer besonderen Zeit, zu einem besonderen Anlass und/oder mit einer besonderen Botschaft ausgeführt wird wahrzunehmen.“ (Platvoet, 2006, S. 187)

Rappaport akzentuiert hingegen die ordnende Funktion von Ritualen. Die Handlungen und Aussagen werden dabei in kaum veränderter Form ausgeführt. Das Ritual etabliert Konventionen, die in Folge auch akzeptiert werden. Somit beinhaltet das Ritual nicht nur Symbolcharakter (Rappaport, 2006).

Eine sehr umfangreiche Definition, die auf verschiedenen Dimensionen rituellen Handelns beruht, stellt Bergesen vor. Er beschreibt drei Ebenen ritueller Praxis (Mikro-, Meso-, Makroebene), die im nächsten Kapitel genau vorgestellt und in der weiteren Betrachtung auf Medienrituale angewendet wird.

Grimes versucht, Ritualformen und -arten in einfacher Form zu typologisieren und zu begründen. Er stellt fest, dass, trotz Unterscheidungen von Ritual-Typologien[2] , sich diese wiederum gegenseitig durchdringen und ineinander überfließen. Er nennt hier „Übergangsrituale,

Jahreszeiten-Rituale, Intensifikationsrituale, Rebellionsrituale, religiöse Rituale, profane oder (säkulare) Rituale“ (Grimes, 2006, S.117).

Viehoff nennt im Rahmen einer Untersuchung zu Ritualisierungen von Emotionen in den Medien, Übergangsrituale, „die ganze Gruppen und Gesellschaften betreffen“ (Viehoff, 2007, S. 125). Er führt hier u.a. Naturzyklen wie Saat, Ernte, und Sonnenwende an. Man kann aber – wenngleich es sich um einen von Menschenhand geschaffenen Übergang handelt – den kalendarischen Jahreswechsel ebenfalls zu diesen ritualisierten Übergängen zählen. In der späteren Analyse der Jahresrückblicke im deutschen Fernsehen wird diese Form des ritualisierten Übergangs näher betrachtet. Ferner gliedert Viehoff diese Übergänge in agrarische, religiöse, berufliche und moderne Gesellschaften betreffend, und deren spezifische Ausbildung von Ritualen (Viehoff, 2007). Genannt wird hier auch die Strukturierung des öffentlichen Raums in modernen Gesellschaften durch Gedenkfeiern, Erinnerungstage und andere. Diese determinieren Rituale im Allgemeinen und Medienrituale im Besonderen. Des Weiteren generiert er vier Dimensionen des Fernsehens als Ritual[3] . Eben diesen Erinnerungscharakter greift auch Günther auf, schreibt Ritualen und Medienritualen eine Gedenk- und Erinnerungsfunktion zu. Dadurch wird Vergangenes im Ritual vergegenwärtigt und so wieder gesellschaftsrelevant konstituiert. Als Beispiele werden hier Gedenktage, Jahrestage, Jubiläen, Festtage und andere, „die in ritualisierter und außeralltäglicher Form begangen werden[...]“, genannt (Günther, 2006, S. 187).

„Mit ihren Programmen, konkreten Medienbeiträgen und Inhalten begründen sie eine eigene mediale Erinnerungspraxis in Form von festen Programmbestandteilen und Sendeformaten, vom täglichen Kalenderblatt (z.B. bei mdr Figaro, Hörfunk), über Themenabende oder ganze Programmwochen.“ (Günther, 2006, S. 188)

In heutigen modernen Gesellschaften nehmen Medien einen hohen Stellenwert ein. Sie sind daher auch maßgeblich an der Abbildung gesellschaftlicher Rituale und an der Konstruktion ganz eigener Rituale beteiligt. Belliger und Krieger begründen die ritualisierende Wirkung der Massenmedien wie folgt:

[...]


[1] Platvoet fasst Eigenschaften und Funktionen von Ritualen in dreizehn Dimensionen zusammen. Diese sind: interaktiv, kollektiv, Gewohnheit, traditionalisierende Innovation, expressiv, kommunikativ, symbolisch, multimedial, Performance-Dimension, performativ, ästhetisch, strategisch und integrativ. (Platvoet, 2006, S. 175-183)

[2] Vereinfachte Ritualtypen von Grimes: 1. Ritualisierung (körperlich, ökologisch), 2. Anstandsregel (interpersonal, formal), 3. Zeremonie (zwischen Gruppen, politisch), 4. Magie (technologisch, kausal, Zweck-Mittel-orientiert), 5. Liturgie (religiös, sakral), Feier (spielerisch, theatralisch, ästhetisch). (Grimes, 2006, S. 117)

[3] Dimensionen des Fernsehens als Ritual von Reinhold Viehoff: 1. Fernsehen als Medium ritueller Performanz; 2. Fernsehen als Medium der Ritualisierung von Macht; 3. Fernsehen als Medium ritueller Abbildung von Normen und Geboten, Klassifikationen, Logiken, Identitäten und emotionalen Ausdrucksmustern; 4. Fernsehen als Medium der Magie des Ästhetischen. (Viehoff, 2007, S. 130)

Fin de l'extrait de 35 pages

Résumé des informations

Titre
Jahresrückblicke im deutschen Fernsehen als Medienrituale
Université
Martin Luther University  (Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften)
Cours
Medienrituale
Note
1,3
Auteur
Année
2009
Pages
35
N° de catalogue
V202043
ISBN (ebook)
9783656279778
ISBN (Livre)
9783656281511
Taille d'un fichier
1373 KB
Langue
allemand
Annotations
Ausdrücklich loben möchte ich die umfassende tabellarische Dokumentation der verschiedenen Auswertungsschritte, welche einen systematischen Überblick über die erworbenen Daten ermöglicht und verhindert, den Text durch sprachliche Beschreibungen unnötig zu verlängern. Dokumentation und Auswertung innerhalb des Textes ergänzen sich hervorragend, ohne redundant zu sein. Dennoch handelt es sich insgesamt um eine sehr gute Arbeit, die auf überzeugende Weise einen theoretischen Ansatz in ein empirisches Design umsetzt und dabei zu aufschlussreichen Ergebnissen kommt.
Mots clés
Medienrituale, Jahresrückblicke, ritual studies, rituelles Handeln, Übergangsrituale, Fernsehen als Ritual, Ritual, rituelle Ordnung, Mikroebene, Mesoebene, Makroebene, Ritualisierungen, Albert Bergesen, ritueller Prozess, Riten, Interaktionsrituale, TV-Rückblicke, TV-Rituale
Citation du texte
Alexander Kauka (Auteur), 2009, Jahresrückblicke im deutschen Fernsehen als Medienrituale, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202043

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