Suchtpotenzial von Onlinerollenspielen und Konsequenzen für den Jugendmedienschutz


Bachelorarbeit, 2009

39 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Nutzungs- und Wirkungsforschung zu Computerspielen
2.1 Nutzungsmotive
2.2 Wirkungsforschung

3 Onlinespiele: Definition und Nutzungsdaten
3.1 Definition und Merkmale am Beispiel des Spiels „World of Warcraft“
3.2 Nutzungsdaten zu Online(rollen)spielen

4 Jugendgefährdende Komponenten in Onlinerollenspielen
4.1 Abhängigkeitspotenzial
4.2 Problematik des Begriffs „Onlinesucht“
4.3 Anzeichen und Kriterien einer Computerspielsucht
4.4 Entwicklungsbeeinträchtigung durch übermäßiges Spielen

5 Konsequenzen für den Jugendmedienschutz
5.1 Regelungskompetenz
5.2 Die USK: Struktur, Prüfverfahren und Kritik
5.3 Bewertung der USK-Einstufung von Onlinerollenspielen
5.4 Forderungen zum Schutze Jugendlicher

6 Fazit

1 Einleitung

Seit den schrecklichen Amokläufen, die sich in den letzten Jahren an deutschen Schulen ereigneten, ist in Politik und Gesellschaft eine hitzige Debatte über das Verbot von „Killerspielen“ entbrannt. Immer wieder wird ihnen die Schuld für die Verrohung und Abstumpfung von Jugendlichen zugeschoben, obwohl ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Spielen von brutalen Egoshootern wie Counter Strike und der Ausübung realer Gewalt durch die Forschung bisher nicht bewiesen werden konnte. Trotzdem fordert so mancher Politiker ein rigoroses Verbot solcher Spiele und kaum jemand leugnet, dass solche Spiele eine Beeinträchtigung auf Kinder und Jugendliche ausüben können. Die nicht enden wollende Diskussion lenkte die mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf das Genre und die Probleme, die es mit sich bringt und forderte zur Auseinandersetzung auf. Während beim Thema „Computerspiele und Jugendschutz“ nun also jeder automatisch an Killerspiele denkt, wurde ein anderer, ebenso wichtiger Bereich lange vollkommen außer Acht gelassen. Onlinespiele, vor allem die Untergruppe der Onlinerollenspiele zeichnen sich nicht durch brutale Gewaltdarstellungen aus, sondern durch die deutlich längeren Nutzungszeiten, die inzwischen in mehreren Studien belegt wurden (u.a. Cypra 2005; Quandt & Wimmer, 2008; Rehbein et al. 2009). Der Verkaufsschlager „World of Warcraft“ ist inzwischen nach Counter Strike zum zweitbeliebtesten Onlinespiel der deutschen Jugendlichen avanciert (Quandt & Wimmer, 2008, S. 179), der Spielehersteller Blizzard Entertainment verdient ein Vermögen an den Millionen von Spielern. Spiele wie dieses bergen durch spezielle spielimmanente Faktoren ein erhöhtes Abhängigkeitspotenzial. Neben der Diskussion, ob Computerspiele überhaupt eine „Sucht“ im psychologischen Sinne hervorrufen können, was diese ausmacht und wie sie in Zukunft gehandhabt werden soll, soll in dieser Arbeit auch auf die sich daraus ergebenden Ansprüche an den gesetzlichen Jugendmedienschutz eingegangen werden. Experten fordern die Aufnahme des Abhängigkeits­potenzials in den Katalog der Prüfungsanstalt USK, die Spiele bislang nur bezüglich ihrer Gewaltdarstellungen prüft. Probleme stellen sich hierbei nicht nur durch die vielen verschiedenen Meinungen zum Thema, das gerade erst am Beginn seiner wissenschaftlichen Aufarbeitung steht, sondern auch durch die unklaren Kompetenzen im Bereich des Jugendmedienschutzes. Die Grenzen zwischen Träger- und Telemedien verschwimmen bei Spielen, die zwar auf CD-ROM gekauft, anschließend aber ausschließlich online gespielt werden. Außerdem ist zu diskutieren, ob es überhaupt sinnvoll ist, dem Gesetzgeber die Verantwortung zu überlassen und ob im richtigen Umgang mit Medien nicht viel mehr die Erziehungsberechtigten gefragt sind.

Wichtige Quellen waren die Arbeiten des Hans-Bredow-Instituts, die sich zwar nicht mit dem Suchtpotenzial, aber bereits mit der Definition von Onlinespielen und der rechtlichen Situation auseinandergesetzt haben. Empirische Erhebungen zu Rezipienten und Nutzungszeiten lieferten Thorsten Quandt und Jeffrey Wimmer von der FU Berlin, sowie Olgierd Cypra, der im Rahmen einer Diplomarbeit an der Universität Mainz über 10.000 Spieler befragte. Die neueste repräsentative Studie, die einige Aufmerksamkeit erregte, stammt vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, das gerade 44.000 Neuntklässler auf ihr Computerspielverhalten untersuchte.

2 Nutzungs- und Wirkungsforschung zu Computerspielen

2.1 Nutzungsmotive

Bevor auf die Besonderheiten von Online(rollen)spielen eingegangen werden kann, sollten zunächst allgemeine Nutzungsmotive und Wirkungsansätze von Computerspielen vorgestellt werden. Warum spielen Menschen überhaupt Computerspiele? Was macht ihren Reiz aus? Computerspiele dienen in erster Linie der Unterhaltung. Anhand der Theorie des Mood Management (Zillmann & Bryant, 1985) lässt sich die Auswahl bestimmter Spiele und die damit beabsichtigte Stimmungsregulation erklären. Menschen wählen unbewusst aber intuitiv Medien aus, die den gewünschten (manipulierenden) Effekt auf ihre Stimmung ausüben, also beispielsweise eine unterhaltende Funktion haben. Eigenaussagen von befragten Computerspielern in Studien weisen aber auf eine weitaus bewusstere Nutzung und Auswahl von Computerspielen im Sinne des Uses and Gratifications Approach (Katz & Foulkes, 1962) hin. Sie geben bekannte Mediennutzungsmotive wie die Bekämpfung von Langeweile, Stressabbau und Eskapismus - die Möglichkeit zur Flucht aus dem Alltag - an (Kunczik & Zipfel, 2006, S.290f). Neben diesen allgemeinen Nutzungsmotiven, wie sie in der Uses-and- Gratifications-Forschung beispielsweise auch für das Fernsehen ermittelt wurden, kommen aber noch weitere, für Computerspiele spezifische hinzu. Computerspiele zeichnen sich durch Interaktivität aus, was ihre Nutzung von der ausschließlich passiven Nutzung eines Fernsehers unterscheidet. Das Medienerlebnis vollzieht sich in unmittelbarer Abhängigkeit von den Handlungen des Spielers, der aktiv die Spielnarration vorantreibt. Damit einher geht nach Jürgen Fritz (2003a) das Bedürfnis nach Macht und Kontrolle, das oft sogar im Mittelpunkt der Spielmotivation steht. Spieler haben die Möglichkeit, in der virtuellen Welt aktiv zu agieren und Macht, Herrschaft und Kontrolle über ihre Umwelt auszuüben. Gerade für Kinder und Jugendliche kann dies eine Kompensation für den alltäglich erlebten Kontrollverlust durch die Eltern in der realen Welt sein. „Die Spieler nutzen die Spiele zwar als Mittel gegen Langeweile und mangelnde Anregungen in ihrer Lebenswelt. Im Wesentlichen dienen sie jedoch zur Selbstmedikation gegen Misserfolgsängste, mangelnde Lebenszuversicht und gegen das Gefühl, ihr eigenes Leben nicht beherrschen und kontrollieren zu können“ (Fritz, 2003a, S.9). Computerspiele bieten Erfolgserlebnisse in Leistungsbereichen und zu Spielinhalten, die sich die Spieler selbst aussuchen, und deren Schwierigkeitsgrad sie zum Teil selbst bestimmen können. Deshalb ist eine weitere Nutzungsdimension das Leistungshandeln in Computerspielen. Die Spiele fordern dauerhaft gute Leistungen, die belohnt werden (durch Punkte oder höhere Levels). Gleichzeitig werden schlechte Leistungen bestraft. Laut Klimmt (2006) generiert sich Unterhaltung in Computerspielen geradezu aus den emotionalen Konsequenzen von Erfolgserlebnissen. Das erfolgreiche Handeln und Meistern von Aufgaben in Computerspielen ist mit positiven Emotionen verbunden und führt in den so genannten Flow-Zustand (Klimmt, 2006, S.66f; Fritz, 2003b; Schlütz, 2002, S.70). Beim „Flow“ handelt es sich um einen emotionalen Zustand, bei dem der Spieler vollkommen mit dem Spiel verschmilzt. „Im Flow-Zustand folgt Handlung auf Handlung, und zwar nach einer inneren Logik, welche kein bewußtes Eingreifen von Seiten des Handelnden zu erfolgen scheint. Er erlebt den Prozeß als ein einheitliches „Fließen“ von einem Augenblick zum nächsten, wobei er Meister seines Handelns ist und kaum eine Trennung zwischen sich und der Umwelt, zwischen Stimulus und Reaktion (...) verspürt“ (Csikszentmihalyi, 2000, S.59). Computerspiele eigenen sich durch die individuelle Anpassung von Levels an das Können der Spieler ganz besonders zum Erreichen dieses Zustandes. Überfordern Computerspiele den Spieler permanent, führt das im Umkehrschluss meistens zu Frustration, Unterforderung zu Langeweile, das Unterhaltungserlebnis geht verloren und das Spiel wird nicht mehr gespielt (vgl. Behr, Klimmt & Vorderer, 2008, S.228). Bei Onlinerollenspielen fördern die ganz individuelle Spielerfahrung und die nahezu ununterbrochene Aktivität im Spiel, sowie ständiges Feedback das Flow-Erleben in besonderem Maße, was mit den durchschlagenden Erfolg dieser Spiele ausmacht (Seifert & Jöckel, 2008, S.301). Ein weiteres Nutzungsmotiv, das vor allem auf Netzwerkspiele, also Onlinespiele zutrifft, ist der Wettbewerb mit anderen Spielern. Das Besiegen von anderen Spielern kann ebenfalls als Meistern einer Herausforderung gesehen werden und ist mit positiven Emotionen verbunden. In Netzwerkspielen kommt es häufig zu Bündnissen zwischen mehreren Spielern, die dann im Team spielen. Dadurch werden soziale Gratifikationen vermittelt. Geselligkeit und Zugehörigkeitsgefühl sind hier die Nutzungsmotive (Kunczik & Zipfel, 2006, S.290f).

Die bisher aufgeführten möglichen Motive zur Nutzung von Computerspielen können von Person zu Person stark variieren. Auch sind die verschiedenen Spiele zu unterschiedlich, so dass Nutzungsmotive nur schwer zu vereinheitlichen sind. Daniela Schlütz (2002) entwickelte auf der Basis des Uses-and-Gratifications-Approach ein Nutzungsmodell für Computerspiele, bei dem mehrere Gratifikationsebenen unterschieden werden und auch eine Erlebniskomponente miteinbezogen wird. In zwei empirischen Untersuchungen erwiesen sich die Motive der Mediennutzung als stark situationsabhängig. Alleinsein förderte beispielsweise eine habituelle Nutzung von Computerspielen, Gesellschaft dagegen Unterhaltung und Eskapismus. Die Diskrepanz zwischen gesuchten und erhaltenen Gratifikationen war bei Computerspielen (im Gegensatz zu Fernsehen oder Internetnutzung) äußerst gering, was auf den hohen Grad an Interaktivität und Einflussmöglichkeiten zurückzuführen ist (Schlütz, 2002, S.75ff.).

2.2 Wirkungsforschung

Untersuchungen zur Wirkung von Computerspielen konzentrierten sich bisher auf violente Spiele und die Frage, ob Gewaltdarstellungen die Gewaltbereitschaft des Spielers fördern. Im Vergleich zu passivem Fernsehen wurde beim aktiven Spielen eines Computergames eine wesentlich höhere Beeinflussung erwartet. Hinzu kommt, dass der Spieler statt einer beobachtenden eine Ego-Perspektive einnimmt und sozusagen selbst violent handelt, was die emotionale Wirkung steigert. Gewalt ist in den meisten Spielen unvermeidbar und oft die einzige Möglichkeit, im Spiel voranzukommen. Dieselben Gewaltakte werden immer und immer wiederholt, was zu Lerneffekten führt. Hinzu kommt natürlich, dass die gezeigte Gewalt immer realistischer und detailreicher wird (Kunczik & Zipfel, 2006, S.295f). Trotz dieser offensichtlichen Argumente ist es bis heute nicht gelungen, einen eindeutigen Einfluss von virtueller Gewalt auf reale Gewaltbereitschaft zu beweisen. Oft war das Stimulusmaterial für die Experimente ungeeignet oder aber die Korrelation unklar. Langzeitstudien fehlen. Sowohl die Katharsis- als auch die Habitualisierungsthese wurden untersucht - die Ergebnisse blieben allerdings ohne große Aussagekraft. Pfeifer und Kleinmann veröffentlichten 2006 die Ergebnisse einer Studie, wonach die erhöhten Mediennutzungzeiten von Jugendlichen und die konsumierten entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte einen direkten Einfluss auf das Absacken von schulischen Leistungen haben, was dann besonders bei Jungen schließlich zu erhöhter Jugendgewalt führe. In Fachkreisen wurde diese Studie weithin kritisiert, da dem Leser eine monokausale Argumentationskette suggeriert wird, die so nicht belegbar ist. Genauso gut könnten schlechte Schulnoten zu Frustration und dadurch zu erhöhtem Medienkonsum führen. Auch wenn ein Zusammenhang belegt werden konnte, ist die Richtung unklar (Nieding & Ohler, 2006, S.50f).

Es ist allerdings stark davon auszugehen, dass gewissen Personen- und Situationsvariablen die Wirkung von Computerspielen auf den Spieler beeinflussen. Hierzu zählen beispielsweise Alter, Geschlecht, Persönlichkeitseigenschaften oder soziales Umfeld. Dadurch kommt es zur Bildung so genannter „Problemgruppen“. Nicht jeder jugendliche Gamer ist ein potenzieller Amokläufer. Sicher haben seine Persönlichkeit, sein soziales Umfeld und seine Lebenssituation einen erheblichen Einfluss auf die Art und Weise, wie die Computerspiele auf ihn wirken (Kunczik & Zipfel, 2006, 158ff).

Bisher konnte also nicht erwiesen werden, dass ein paar Stunden Zocken nach der Schule irgendeinen negativen Einfluss auf die Spieler hat. Was aber, wenn daraus sieben Stunden täglich werden? Onlinerollenspiele zeichnen sich durch deutlich erhöhte Nutzungszeiten aus. Wieso das so ist und ob und wie der Jugendschutz gefordert ist, soll nun im Folgenden diskutiert werden.

3 Onlinespiele: Definition und Nutzungsdaten

3.1 Definition und Merkmale am Beispiel des Spiels „World of Warcraft"

Bevor überhaupt Forschungsergebnisse herangezogen werden können, müssen zunächst einige wichtige Begriffe geklärt werden. Was versteht man unter einem Onlinerollenspiel, was unter MMORPGs? Durch welche Merkmale zeichnen sich solche Spiele aus, was macht ihre Faszination aus?

Ganz allgemein können unter „Onlinespielen“ solche digitalen Spiele verstanden werden, die mit Hilfe des oder über das Internet spielbar sind (Schmidt, Dreyer & Lampert, 2008, S.10). Dazu zählen neben Browser­Games und LAN-Spielen vor allem auch die MMOGs (Massively Multiplayer Online Games), in denen sich der Spieler mittels eines „Avatars“, einer individuell gestalteten Spielfigur durch eine schier grenzenlose Welt bewegt und mit einer Vielzahl anderer Spieler interagiert. Viele Vertreter dieser Gattung sind in fiktiven Fantasy- oder Science-Fiction-Welten angesiedelt und bedienen sich Spielmechanismen des Rollenspiels, weshalb sie MMORPGs (Massively Multiplayer Online-Roleplaying Games) genannt werden. MMORPGs gibt es mittlerweile seit über zehn Jahren. „Hierzulande hat das Genre bis vor wenigen Jahren eine untergeordnete Rolle gespielt. Die verfügbaren Spiele waren eher was für Freaks und Fans, die mit der schwülstigen Fantasyrhetorik etwas anfangen konnten und bereit waren, viel Zeit in das Erarbeiten des jeweiligen Spieles zu investieren.“ (Höschen, 2006, S.135). Erst in diesem Jahrtausend erschienen graphisch wesentlich besser entwickelte Spiele wie „Everquest“ oder „Guild Wars“, die Onlinegames die breite Aufmerksamkeit der Käufer verschafften. Das heute bei weitem bekannteste und beliebteste MMORPG ist sicherlich „World of Warcraft“ von dem renommierten Spielehersteller Blizzard Entertainment, an dessen Beispiel einige Merkmale von MMORPGs dargelegt werden sollen. Das 2004 erschienene World of Warcraft (kurz „WOW“ genannt) zählt inzwischen weltweit 11,5 Millionen Abonnenten (Stand 2009). Es gilt als „breakthrough hit“, das Onlinespiele überhaupt erst zum Massenphänomen machte (Quandt, 2008, S.169). Die Software wird auf DVD für derzeit 15 € gekauft (bereits erschienene Add-ons ca. 30 € und anschließend online über einen Server gespielt. Der Nutzer zahlt dafür eine monatliche Gebühr von 13 € werden gleich mehrere Monate im Voraus bezahlt, vergünstigt sich dieser Preis etwas. Allein an dieser Bezahlart wird schon klar, dass es Ziel der Anbieter sein muss, die Spieler möglichst lange für ihr Produkt zu begeistern, um möglichst regelmäßige Zahlungen zu bewirken (Seifert & Söckel, 2008, S. 299).

Die gesamte Spielwelt (eine Parallelwelt namens Azeroth) ist in einer comichaften, dreidimensionalen Grafik dargestellt und quasi unendlich groß. Bisher sind zwei Add-ons erschienen, die der Spielwelt zusätzlich neue Kontinente hinzugefügt haben. Der Nutzer erstellt sich einen persönlichen Charakter (Avatar) mit ganz individuellen Fähigkeiten und kann sich frei durch diese Welt bewegen und dabei mit anderen Spielern interagieren. Laut Selbstbeschreibung haben in World of Warcraft „tausende von Spielern die Möglichkeit, gemeinsam eine riesige, sich kontinuierlich weiterentwickelnde Welt zu erforschen, neue Freundschaften zu schließen, Monster zu jagen und sich in epische Abenteuer zu stürzen, die sich über Tage und Wochen erstrecken können.“[1] Räumliche und zeitliche Grenzen sind weitestgehend aufgehoben. An die Stelle linearer Strukturen treten komplexe, aber offene Spielwelten, die zu jeder Zeit und von jedem Ort betreten werden können.

Jeder Spieler startet bei Level 1 und kann sich durch das Lösen von Aufgaben, so genannter „Quests“ auf das jeweils nächst höhere Level vorarbeiten (insgesamt sind 70 Level, seit dem neuesten Add-on 80 Level zu erreichen). Was zu Beginn recht schnell geht, wird immer schwieriger und zeitaufwendiger. Ab einem bestimmten Level ist es nicht mehr möglich, Gegner alleine zu besiegen, Teamplay ist gefragt. Spieler schließen sich so genannten „Gilden“ an, Gemeinschaften von 30 bis zu 100 Spielern, die dann gemeinsam Aufgaben bewältigen. Was sich zunächst positiv und die Sozialkompetenz fördernd anhört, wird aber schnell zu einem sozialen Zwang. Onlinewelten wie World of Warcraft sind persistent, dass heißt, die Spielwelt läuft weiter, auch wenn einzelne Spieler nicht online sind. „Dadurch entsteht eine Art Parallelwelt zum normalen Alltag, die ihrerseits Zeit erfordert. Die Persistenz erhöht den Druck auf den Spieler, öfter und mehr Zeit online zu verbringen, um nichts zu verpassen bzw. um gegebenenfalls einschreiten zu können (z. B. wenn während der Abwesenheit Angriffe erfolgen)“ (Schmidt et al., 2008, S.53). Diese oft mehrere Stunden dauernden Feldzüge werden im Vorhinein penibel geplant und jedem einzelnen Spieler kommt eine spezielle Aufgabe zu, die den Fähigkeiten und Kräften seines Avatars entspricht. Wer zu einem vereinbarten Angriff nicht erscheint, riskiert den Erfolg der gesamten Gruppe, weswegen er danach sozial geächtet und mit Ausschluss aus der Gilde bedroht werden kann (was einem immensen Macht- und Prestigeverlust gleichkommen würde). Spielfremde Gründe zählen hier nicht. Die gemeinschaftliche Arbeit stärkt das Motivationspotenzial und zugleich den Willen, im Spiel zu bleiben. Laut Quandt & Wimmer bejahten 61% der Spieler die Aussage, „dass man Spieler nicht während einer Spielsession im Stich lässt - auch wenn man das Spiel eigentlich beenden wolle oder anderes zu tun hätte“ (Quandt & Wimmer 2008, S.183). 79% der Onlinerollenspieler an, einer Gilde anzugehören (Quandt & Wimmer, 2008, S.182).

Ein weiteres Merkmal ist die Kommunikation im Spiel. „Über Chat oder „Teamspeak“ kann mit anderen Spielern (ggfs. aus aller Welt) kommuniziert werden, was den Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen unterstützt und einen eigenen Reiz ausüben kann“ (Schmidt et al., 2008, S.54). Neben der ohnehin komplexen Spielhandlung wird auf Chatkanälen pausenlos kommentiert und diskutiert. Das soziale Gefüge wird dadurch ungemein gestärkt. Vor allem der Voice-to-voice-Chat, bei dem über Headsets miteinander gesprochen wird, bringt die Menschen hinter den Avataren einander näher und reduziert die ansonsten im Internet übliche Anonymität. Hinzu kommen so genannte „Raid-Gemeinschaften“, Zusammenschlüsse von Gilden, die sich immer einem bestimmten Projekt widmen, außerhalb des Spiels auf Homepages organisiert sind, dort Leistungspunkte an die Mitglieder verteilen und begehrte Spielitems versteigern. Wer in eine renommierte Raid-Gemeinschaft aufgenommen werden will, muss oft spezifische Voraussetzungen erfüllen, zum Beispiel tägliches Spielen vom frühen Abend bis spät in die Nacht, an Wochenenden oft die doppelte Zeit. Dazu kommt Vorbereitungszeit im Spiel und permanente Evaluation und Nachbereitung der Schlachtzüge in Foren. Auf diese Weise wächst neben der sozialen Bindung eines Spielers an das Spiel und seine Spielgruppe auch die Verpflichtung, sich regelmäßig in die Spielwelt einzuloggen, da er innerhalb der Gruppe wichtige Aufgaben übernimmt, die im Rahmen komplexer Spielmissionen zentrale Bedeutung haben. Mit wachsender Spielerfahrung und höheren Spielerfolgen ist es Spielern möglich, ihre Avatare immer stärker aufzuwerten, neue Ausrüstungsgegenstände und Fähigkeiten zu erwerben und in neue Bereiche der Spielwelt vorzudringen. So wird World of Warcraft für ambitionierte Spieler schnell zum Fulltimejob, das „echte“ Leben zur Nebensache. Durch den intensiven Kontakt mit anderen Spielern werden auch persönliche, spielfremde Themen besprochen, die Personen hinter den Spielcharakteren werden zu einem Ersatz für reale Freunde (oft sind aber auch die realen Freunde ebenfalls Spieler). Der Spieler gerät in einen Sog, denn je mehr Zeit er investiert, desto besser wird die Spielfigur. Dies ist vielleicht der größte und gefährlichste Unterschied zu anderen Computerspielen: Geschicklichkeit oder Können am PC bedeutet nichts, investierte Zeit alles. „In the real world, you get older, more tired, sicker, and more disenchanted every year until you eventually shrivel up and die. In the virtual world, you get richer, stronger, more adept, more knowledgeable, and more powerful every day until you eventually become invincible and omniscient” (Kelly, 2004, S.93). Yee (2002) erarbeitete anhand dieser Eigenschaften ein Fünf-Faktoren­Modell der Grundmotivationen für das Spielen von MMORPGs, die spezifische Grundbedürfnisse der Spieler reflektieren: Die Bildung von sozialen Beziehungen (relationship), das Eintauchen in die Spielwelt (immersion), das Erlangen von Macht und Erreichen bestimmter ,Stufen’ oder Ziele im Sinne der Spielvorgaben (achievement), das Erreichen von Führungspositionen (leadership), aber auch das Manipulieren anderer zum eigenen Nutzen (grief). All diese Bedürfnisse werden in Onlinerollenspielen besser und umfassender als in jedem anderen Spielgenre befriedigt (Yee, 2002).

3.2 Nutzungsdaten zu Online(roHen)spielen

Haushalte, in denen Jugendliche leben, sind zu 99% mit einem Computer ausgestattet, 96% haben einen Internetzugang.

[...]


[1] http ://www. wow-europe. com/de/i nfo/faq/general.html

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Suchtpotenzial von Onlinerollenspielen und Konsequenzen für den Jugendmedienschutz
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung)
Note
1,5
Autor
Jahr
2009
Seiten
39
Katalognummer
V212474
ISBN (eBook)
9783656406723
ISBN (Buch)
9783656405986
Dateigröße
538 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
onlinerollenspiele, mmorpg, world of warcraft, nutzungsmotive, jugendmedienschutz, usk, killerspiele, jugendschutz, mood management, suchtgefahr, suchtpotenzial, spielsucht, onlinesucht, nutzungsdaten, abhängigkeitspotenzial, abhängigkeit, verhaltenssucht
Arbeit zitieren
Marlena Bräu (Autor:in), 2009, Suchtpotenzial von Onlinerollenspielen und Konsequenzen für den Jugendmedienschutz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212474

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