Techno- und Ravekultur als posttraditionale Vergemeinschaftung von Jugendlichen


Tesis (Bachelor), 2013

70 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Lebensphase Jugend
2.1 Historischer Rückblick
2.2 Begriffsbestimmung Jugend
2.2.1 Psychologische Merkmale der Lebensphase Jugend
2.2.2 Soziologische Merkmale der Lebensphase Jugend
2.3 Differenzierung des Jugendbegriffs
2.3.1 Pubertät und Adoleszenz
2.4 Paradigma des Übergangs in den Erwachsenenstatus
2.4.1 Erwartungen an die Jugendlichen innerhalb der Lebensphase
2.4.2 Entstrukturierung der Lebensphase Jugend
2.5 Wandel der Jugend
2.5.1 Individualisierung
2.5.2 Kommerzialisierung
2.6 Jugendkulturelle Stile und Szenen im 21. Jahrhundert
2.6.1 Die Postmoderne
2.7 Resümee

3. Topographie der Techno- und Ravekultur
3.1 Anfänge elektronischer Musik
3.2 Entwicklung des Genres Techno in Deutschland
3.2.1 Berlin und Frankfurt
3.3 Darstellung der Techno-Stile
3.3.1 House
3.3.2 Trance/Ambient
3.4 Rave-, Event- und Clubkultur
3.4.1 Loveparade
3.5 Die Szene
3.5.1 Protagonisten
3.5.2 Der DJ
3.5.3 Der Raver
3.5.4 Stilisierung des Selbst

4. Jugendkultur Techno
4.1 Die Theorie der Subkultur
4.1.1 Subkultur und ihre Entwicklung
4.2 Techno- und Ravekultur als eine altersspezifische Teilkultur
4.3 Techno- und Ravekultur als Szene für posttraditionale Vergemeinschaftungen
4.3.1 Difference und Unity
4.4 Techno- und Ravekultur als eine Gegenkultur
4.5 Betrachtung der Techno- und Ravekultur als eine ästhetische Kultur

5. Schlussbetrachtung

6. Glossar

7. Literaturverzeichnis

8. Eidesstattliche Erklärung

1. Einleitung

Mein persönliches Interesse an der Techno- und Ravekultur, habe ich bereits vor mehr als zehn Jahren entdeckt. Es begann alles damit, dass ein guter Freund von mir sich als DJ und Veranstalter von monatlichen Club-Events ausprobierte. An diesen Freitagabenden wurde vorwiegend „Deep-House“ gespielt, eine verwandte Musikrichtung von Techno. Dieser Musikrichtung bin ich bis heute, mit ein paar wenigen Ausflügen treu geblieben. Diese und weitere Club-Events waren der Einstig in die Techno-Szene und sind meine Verbindung zu ihr bis heute. Sie symbolisierten für mich eine Parallelwelt in der alles und nichts möglich war. Ich konnte mich zur Musik gehen lassen und die Sorgen und Ängste des Alltags spielten in dem Moment der Verdichtung keine zentrale Rolle für mich.

Hauptaugenmerk dieser Bachelor-Thesis soll es sein, das subkulturelle Phänomen, Techno- und Ravekultur als Form einer posttraditionalen Vergemeinschaftung von Jugendlichen, zu analysieren. Diese Betrachtung werde ich basierend auf der kritischen Auseinadersetzung mit verschiedenen Jugendkulturtheorien durchführen, um schlussfolgernd eine aktuelle Konkretisierung und Charakterisierung des Phänomens Techno- und Ravekultur herbeiführen zu können.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Oberthemen. Im ersten Teil dieser Arbeit wird eine grundlegende Begriffsbestimmung der Lebensphase Jugend vorgenommen. Hierfür wird im Mittelteil dieses Kapitels auf das Paradigma des Übergangs von Jugend in den Erwachsenenstatus näher eingegangen. Zentraler Fokus sind die Erwartungen an die Jugendlichen sowie die Entstrukturierung der Lebensphase Jugend in der Postmoderne. Fortfahrend wird auf den Wandel der Lebensphase Jugend eingegangen, unter Berücksichtigung der Begriffe Individualisierung und Kommerzialisierung. Der letzte Teil des Kapitels beinhaltet die Auseinandersetzung mit jugendkulturellen Stilen und Szenen im 21. Jahrhundert.

Der zweite Teil dieser Ausarbeitung beschäftigt sich mit der Techno- und Ravekultur. Zentrale Gesichtspunkte sind hier die Anfänge von elektronischer Musik sowie die Entstehung der Techno- und Ravekultur in Deutschland. Diese Anfänge werden unter Betrachtung der wichtigsten Metropolen, Berlin und Frankfurt, konkretisiert.

Im Mittelteil dieses Kapitels wird näher auf die verschiedenen Subgenres von Techno eingegangen um Differenzierungen innerhalb der Techno- und Ravekultur aufzuzeigen. Die Elemente Rave, Event und Clubkultur haben hier eine zentrale Funktion. Zum Schluss werde ich die Techno-Szene mit Hilfe von Protagonisten konkreter darstellen. Selbstinszenierungspraktiken übernehmen hierbei eine wichtige Rolle.

Im dritten Teil werde ich mich mit dem Phänomen der Jugendkultur Techno beschäftigen. Im weiteren Verlauf wird über eine theoretische Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit Subkultur und deren Entwicklung, eine Übersicht über den aktuellen Theoriediskurs angeführt. Danach wird unter der Verwendung der Begrifflichkeit posttraditionale Vergemeinschaftungen, die Techno- und Ravekultur als solche charakterisiert. Mit Hilfe der klassischen Techno Mottos „Difference“ und „Unity“, soll die These von Techno- und Ravekultur als posttraditionale Vergemeinschaftung weiter ausgeführt werden. Zum Schluss werde ich die Techno- und Ravekultur auf ihre Beständigkeit als altersspezifische Teilkultur, Subkultur und ästhetische Kultur prüfen.

2. Lebensphase Jugend

„Jugend will, daß man ihr befiehlt, damit sie die Möglichkeit hat, nicht zu gehorchen.“
Jean-Paul Sartre (1905-1980) französischer Philosoph und Schriftsteller.

Wir alle haben diese bestimmte Phase unseres Lebens mehr oder weniger durchlebt. Die Höhen und Tiefen, verbunden mit aufregenden Erlebnissen und Ereignissen, welche mit den Freunden, der Freundin oder der Familie geteilt wurden. Zur Lebensphase Jugend gehören die Schattenseiten sowie die euphorischen Glücksmomente. Dieses abwechslungsreiche Spannungsfeld ist es, was die Lebensphase Jugend ausmacht.

Rousseau bezeichnet 1762 in seinem Buch „Emil oder Über die Erziehung“ die Lebensphase Jugend als „zweite Geburt“. In der Pubertät, meint Rousseau, erwacht der heranwachsende Mensch das erste Mal zu realem Leben.

Bourdieu sieht in der Jugend mehr als „nur ein Wort“ (Bourdieu 1993, S. 136). Er versteht die Lebensphase der Jugend als eine der wichtigsten Phasen innerhalb des menschlichen Lebenszyklus. Die Jugend ist eine Phase des Umbruchs im Lebenslauf der Jugendlichen, die durch den Ablösungsprozess aus der Herkunftsfamilie gekennzeichnet ist. Geltende Normen und Werte der Gesellschaft werden von den Heranwachsenden hinterfragt. Das Individuum bezieht diese moralischen Vorgaben auf sich, wendet diese an oder konstruiert sie neu (Bourdieu 1993, S. 136ff). Dies verschärft sich in unserer stark leistungsorientierten Gesellschaft, eine Zeit, charakterisiert durch Individualisierung (Beck 1994, S. 44ff), Globalisierung und Pluralisierung. Für Jugendliche wird es heute immer schwieriger sich innerhalb der Gesellschaft zu orientieren und einen festen Standpunkt im Leben einzunehmen. Problematisch ist es auch vorgegebenen, teils widersprüchlichen Ansprüchen an sie, gerecht zu werden. Die Postmoderne bietet den Jugendlichen immer größer werdende Herausforderungen, derer sie sich annehmen und stellen müssen. Ein Beispiel hierfür ist, dass verlängerte Verweilen von Jugendlichen in Schul- und (Aus-)Bildungsinstitutionen (Hurrelmann 2010, S. 8).

Als grundlegender Ausgangspunkt bei einer Definition von Jugend als Lebensphase ist auf Erik Erikson (1902-1994) zu verweisen, der in seinem Buch „Childhood andSociety“ die „Identitätstheorie“ der Jugend anführt. Diese Theorie lieferte gute Gründe für die Annahme, dass Jugend eine feste Zeit für den Übergang von Kindheit in die Erwachsenenwelt benötigt. Erikson vertrat die Ansicht, dass die Entwicklung der Jugend stark von der Ausbildung der eigenen Persönlichkeit auf psychosexueller und psychosozialer Entwicklung abhängt. Dadurch kann dann eine Weichenstellung für die Formung einer Identität erfolgen und diese sich lebenslang entwickeln (Erikson 1950, S. 273).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass nach Erikson Autonomie als ein wesentliches Kennzeichen und eine Voraussetzung für die Lebensphase Jugend gilt. David Riesman, in Anlehnung an Erikson, führt weiterhin an, dass die Lebensphase Jugend eine Phase ist, „in der der Jugendliche nicht nur lernen will und muss, wer er ist, sondern auch was „man“ ist und tut!“ (Abels nach Riesman 2008, S. 95). Nach Erikson ist die Jugendphase durch einen Sozialisationsprozess gekennzeichnet. Dieser Sozialisationsprozess ist als eine Phase zu verstehen, in der alte Prinzipien der Verhaltensorientierung abgegeben werden, um diese gegen grundsätzlich neu erlernte auszutauschen und zu verfeinern. Abels führt später an, dass die Lebensphase Jugend als ein Zeitraum zu verstehen ist, indem die Jugendlichen ihre ganz eigene „Identität“ entwickeln (Abels 2010, S. 258ff).

„Identität ist das Bewusstsein, ein unverwechselbares Individuum mit einer eigenen Lebensgeschichte zu sein, in seinem Handeln eine gewisse Konsequenz zu zeigen und in der Auseinadersetzung mit Anderen eine Balance zwischen individuellen Ansprüchen und sozialen Erwartungen gefunden zu haben“ (Abels 2010, S. 258).

2.1 Historischer Rückblick

In historischen Kulturen und Gesellschaften bestand noch keine eigenständige Lebensphase Jugend. Eine erste frühe Annahme einer Dreiteilung Kindheit, Erwachsensein und Alter, nahmen die Griechen im 8. Jahrhundert vor Chr. vor (Schäfers/Scherr nach Levi/Schmitt 2005, S. 55). Eine weitere Annäherung an eine konkrete Lebensphasenbeschreibung und Charakterisierung ist auf Aristoteles zurückzuführen, der in seiner „Rhetorik“ eine der wichtigsten Aussagen auf die Jugend bezogen, gemacht hat:

„Die Lebensalter aber sind Jugend, Mannesalter und Greisenalter […] Die Jugendlichen sind in ihrem Charakter nach zu Begierde disponiert und geneigt, das zu tun, wo nach ihre Begierde tendiert. Und sie sind so disponiert, dass sie von den leiblichen Begierden am ehesten der Geschlechtslust anhängen und darin unbeherrscht sind […]“ (Aristoteles 1980, S. 120).

Aristoteles bringt zum Ausdruck, dass die Jugendlichen auf Grundlage ihres Charakters und der damit verbundenen Begierde gewillt sind, sich zu verselbständigen etwas zu tun. Dieses Handeln basiert auf dem Verlangen und der Lust etwas erfahren zu wollen. In der Zeit des Bürgertums der griechischen Stadtstaaten, ist eine erste Annäherung an eine Jugendphase fest zu machen. Von der künftigen Elite wurde verlangt, mit einem besseren Wissen, Logik und rhetorischer Begabung ausgestattet zu sein, um spätere Führungspositionen einnehmen und verwalten zu können. Dies hatte zur Folge, dass eine längere Einbindung in den Akademien, Rednerschulen und Gymnasien beansprucht wurde. Schäfers/Scherr sehen in „Jugend“ gepaart mit „Bildung“ erste Annäherungen an eine eigenständige Lebensphase Jugend (Schäfers/Scherr 2005, S. 56).

Zusammenfassend ist anzuführen, dass die Lebensphase Jugend grundsätzlich eine lange Zeit eine Angelegenheit der oberen Schichten war. Außerdem wurde wenn von Jugend die Rede war immer von männlichen Jugendlichen gesprochen. Diese beiden Aspekte änderten sich erst langsam im 20. Jahrhundert.

Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts wurde ein sehr geringer männlicher Teil des Nachwuchses als „junge Herren“ bezeichnet. Für eine ebenfalls sehr kleine Gruppe von jüngeren Männern nutzte man ab Mitte des 18. Jahrhunderts die Begrifflichkeit der „Jünglinge“ (Roth 1983, S. 25). Alle anderen jungen Menschen wurden als Bauernburschen, Gesellen oder Soldaten, also nach Berufsbezeichnungen und nicht nach der Lebensphase an sich, dekliniert (Roth 1983, S. 25). Ab dem 18. Jahrhundert etablierten sich moderne, bis in die Gegenwart fortwirkende Jünglings- und Jugendideale. Der Erzieher, Philosoph und Aufklärer Rousseau gilt als „Erfinder“ einer eigenständigen „Jugendphase“. Er schrieb als erster der Jugend einen Sonderstatus gegenüber den Erwachsenen zu. Gegen 1912 tauchte erstmalig der Begriff der „Jugendkultur“ auf, welcher durch Gustav Wyneken und Siegfried Bernfeld eingeführt wurde. Geprägt wurde dieser Begriff durch die Wandervogelbewegung. Mit dem vorgelebten Geist und Lebensgefühl der Jugend als Wandervogel, ist nach Ferchhoff erstmals eine autonome Jugendkultur jenseits von Familie entstanden (Ferchhoff 2007, S. 33). Durch die Entstehung der bürgerlichen Familie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und derer zunehmender Verhäuslichung und Pädagogisierung von Kindheit und Jugend, kann Jugend im neuzeitlichen Sinne und spätestens mit der Wandervogeljugend zum Inbegriff „kultureller Entwicklung“ definiert werden (Rosenmayr 1974, S. 61, Reulecke 2006, 313ff, Ferchhoff 2007, S. 34). Somit wurde die Jugend, jung sein, Jugendlichkeit generell, zum gesellschaftlichen Zeitbild unter funktionalisierter Perspektive: „Wer die Jugend hat, hat die Zukunft“ (Ferchhoff 2007, S. 35). Darüber hinaus begann ab dem 20. Jahrhundert ein Kampf um die Jugend von Seiten der Kirchen, Verbände, Parteien und dem Staat, derer sich jeder annehmen wollte. Ab dann, so Ferchhoff in Anlehnung an Reulecke, wurde nicht nur ein biologisches Durchgangsstadium zwischen Kindheit und Erwachsensein damit assoziiert, sondern auch ein „altersunabhängiger Lebensstil“ (Ferchhoff 2007, S. 35-36).

2.2 Begriffsbestimmung Jugend

Ausgangspunkt dieses Kapitels soll es sein, dem Leser verschiedene Definitionen von Jugend aufzuzeigen. Auf Grundlage der „Destandardisierung“ und „Entstrukturierung“ der Lebensphase Jugend (Ferchhoff/Olk 1988, Heitmeyer 1985, Breyvogel 1989, Hurrelmann 1994), hat sich ein gesamtgesellschaftlicher Strukturwandel vollzogen. Dadurch wurden extreme Veränderungen innerhalb der Lebensbedingungen der Jugendlichen herbeigeführt (Ferchhoff 2004, S. 55). Eine Festlegung auf einen einzigen Jugendbegriff, ist in pluralisierten Gesellschaften nicht möglich. Auf diese Differenzierung des Begriffs von Jugend, werde ich im nachfolgenden Kapitel näher eingehen.

„Jugend - das ist zunächst kein klar definierter wissenschaftlicher Begriff, sondern ein Wort aus der Alltagssprache“ (Schäfers/Scherr 2005, S. 17). Des Weiteren führen Schäfers und Scherr an, dass eine verallgemeinernde Aussage über „die Jugend“, die so als eine homogene soziale Gruppe nicht mehr besteht, folgendermaßen zu beschreiben ist:

„Jugend ist eine gesellschaftlich institutionalisierte, intern differenzierte Lebensphase, deren Verlauf, Ausdehnung und Ausprägung wesentlich durch soziale Bedingungen und Einflüsse [sozioökonomischer Lebensbedingungen, Strukturen des Bildungssystems, rechtliche Vorgaben, Normen und Erwartungen] bestimmt sind“ (Schäfers/Scherr 2005, S. 23).

Schäfers und Scherr weisen darauf hin, dass ein traditionelles Verständnis von Jugend als Lebensphase, mit klar strukturierten Abläufen, Beginn der Pubertät, Eintritt in die Arbeitswelt, Gründung einer Familie sowie konkrete Festlegung auf private und berufliche Bereiche, nicht mehr angemessen sei (Schäfers/Scherr 2005, S. 21). Ihrer Ansicht nach existieren unterschiedliche, zeitliche auseinander fallende Formen des Übergangs von der Jugendphase in die Erwachsenenphase. Des Weiteren sei noch zu berücksichtigen, dass Verhaltensweisen und Problematiken, die traditionell als jugendtypische Identitätssuche bezeichnet werden, sich nicht mehr konkret auf die Jugendphase eingrenzen lassen (Schäfers/Scherr 2005, S. 21).

Mit Bezug auf das oben angeführte Zitat, über das nicht mehr vorhandene traditionelle Verständnis der Jugendphase, schlägt Ronald Hitzler vor, von der Jugend als ein „soziales Phänomen“ auszugehen. Die Jugendphase als soziales Phänomen gewinnt eigenständige Inhalte und Lebensstile. Die Besonderheit ist, dass das „weitgehend losgelöst von scharfen Altersgrenzen“ stattfindet (Hitzler 1999, S. 1).

Wilfried Ferchhoff definierte die Lebensphase der Jugend wie folgt:

„Mit dem Begriff Jugend werden so gesehen in der Regel die Heranwachsenden (Adolescents) gekennzeichnet, die nicht mehr Kind, auch nicht mehr Kids und noch nicht vollends mündig-selbstständige Erwachsene sind“ (Ferchhoff 2007, S. 90).

Ferchhoff verweist in seiner Definition von Jugend darauf, dass die Festlegung der Begrifflichkeit von Jugend immer als ein Prozess von Außenstehenden zu begreifen ist. Er führt weiter an, dass auf der Basis einer Ausdifferenzierung der Lebensphase Jugend eine Unschärfe dieser eingetreten ist, sodass „von einer Relativität des Jugendbegriffs“ (Ferchhoff 2007, S. 91) gesprochen werden kann. „Die Jugendphase franst per definitionem aus“ (Ferchhoff 2007, S. 91).

Nach Klaus Hurrelmann kommt der Lebensphase Jugend eine besondere Bedeutung zu. Ihr Verlauf bestimmt die innere, psychische und körperliche Entwicklung des Individuums. Hurrelmann schreibt der Lebensphase Jugend folgende Besonderheit zu: In der Phase erfolgt die Auseinadersetzung in einer „besonders intensiven und turbulenten Form“ (Hurrelmann 2004, S. 7).

Hurrelmann sieht in den Angehörigen der Lebensphase Jugend „die Vorreiter einer modernen Lebensführung“ (Hurrelmann 2010, S. 8). Sie sind gezeichnet durch soziokulturelle Selbständigkeit und sozioökonomische Unselbstständigkeit (Hurrelmann 2010, S. 8). Im Vergleich zu den oben angeführten Aussagen von Schäfers / Scherr, Ferchhoff, und Hitzler ist Jugend nach Hurrelmann heute vielmehr als eine Verstimmung zwischen soziokultureller Selbstständigkeit und sozioökonomischer Unselbständigkeit zu verstehen (Hurrelmann 2010, S. 8).

Hurrelmann sieht in der lebenszeitlichen Aufschiebung der Erwerbstätigkeit „eine in sich gefügte eigenständige Lebensphase, die den Widerspruch zwischen den mit dem Alter ansteigenden persönlichen Autonomiebedürfnissen und den ökonomischen Hemmnissen zur Umsetzung dieser Autonomie zu bewältigen hat“ (Hurrelmann 2010, S. 8).

Abels beschreibt die Jugendphase als wechselseitig (Abels 2008, S. 80). Die Jugendlichen nehmen auf der einen Seite die Rolle der Erwachsenen ein und orientieren sich an ihnen. Dies passiert heute vor allem darüber, dass sie schon früh über ihr eigenes Konsumverhalten bestimmen können (Abels 2008, S. 80ff). Auf der Kehrseite sind Jugendliche unselbstständig und abhängig. Jugendliche befinden sich heute in immer noch längeren schulischen wie beruflichen Ausbildungen. In diesem Zeitraum leben sie mit ihren Eltern in einem gemeinsamen Haushalt, was zu einer ökonomischen Abhängigkeit führt und nicht den Weg zur ökonomischen Selbstständigkeit ebnet (Abels 2008, S. 80).

An diesem Punkt der Ausarbeitung kann festgehalten werden, dass bei der Begriffsbestimmung Jugend die verschiedenen Wissenschaften unterschiedliche Betrachtungsweisen und Ansätze verfolgen. Es wird deutlich, dass die Lebensphase Jugend sich wandelt. Ob dieser Wandel positiv oder negativ auszulegen ist und welche Konsequenzen, Auswirkungen, oder auch Vorteile dieser für die Lebensphase Jugend mit sich bringt, lässt sich nicht abschließend bewerten.

2.2.1 Psychologische Merkmale der Lebensphase Jugend

Thema dieses Unterkapitels soll es sein, dem Leser einen Einblick in die Betrachtungsweisen der Entwicklungspsychologie, unter Anführung zentraler Entwicklungsaufgaben des Jugendalters, zu bieten.

Elemente der Entwicklungspsychologie sind die körperlichen, emotionalen und kognitiven Veränderungen, welche das Individuum in seiner Entwicklung erfährt (Oerter/Dreher 2002, S. 258ff, Schäfers/Scherr 2005, S. 75). Die Entwicklungspsychologie beschreibt die Entwicklungsphase des Jugendalters als eine Phase „der konstruktiven Anpassung“ an körperliche und seelische Veränderungen. Als zentraler Bestandteil ist die soziale Veränderung innerhalb der Jugend anzuführen (Coleman 1984, S. 49). Aktuelle Sichtweisen der Entwicklungspsychologie weisen darauf hin, dass die psychische und körperliche Entwicklung in einem hohen Maße von den gesellschaftlichen Gegebenheiten beeinflusst werden (Fend 2000, S. 129). Als zentraler Gesichtspunkt der Entwicklungspsychologie ist der Eintritt der Geschlechtsreife, auch Pubertät genannt, anzuführen. Diese Veränderung des Hormonhaushalts führt zu einem „Ungleichgewicht in der körperlichen Entwicklung und psychischen Dynamik der Persönlichkeit“ (Hurrelmann 2010, S. 26).

Die Bedeutung der Pubertät ist nicht zu unterschätzen.

„Sie markiert insofern einen tief greifenden Einschnitt in der Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen, als eine völlig neue, qualitativ gegenüber der Kindheit andersartig gestaltete Form der Verarbeitung von körperlichen, psychischen und Umweltanforderungen“ (Hurrelmann 2010, S. 26).

Die Jugendlichen stehen vor der Bewältigung von besonderen Entwicklungsaufgaben, wie beispielsweise die psychosoziale Abgrenzung vom Elternhaus, welche als Abnabelungsprozess verstanden werden kann. Diese Anforderungen an die Jugendlichen bringen zeitgleich neue Aufgaben mit sich. Die Jugendlichen müssen sich mit neuen Herausforderungen auseinandersetzten, die ihnen vorher nicht bekannt waren.

Klaus Hurrelmann benennt vier zentrale Entwicklungsaufgaben des Jugendalters:

1. Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz, wie beispielsweise, die Aufnahme einer Arbeitsstelle, um eine ökonomische Grundlage zu schaffen.
2. Entwicklung des inneren Bildes von der Geschlechtszugehörigkeit, wie beispielsweise, der Aufbau einer sozialen Beziehung zu anderen.
3. Entwicklung selbständiger Handlungsmuster für die Nutzung des Konsumwarenmarktes, wie beispielsweise, die Fähigkeit zu erlangen im Umgang mit Geld.
4. Entwicklung eines Werte- und Normensystems und eines ethischen und politischen Bewusstseins, wie beispielsweise, eine Mitgliedschaft in einer Partei (Hurrelmann 2010, S. 27-28).

2.2.2 Soziologische Merkmale der Lebensphase Jugend

Der wesentliche Fokus der Entwicklungspsychologie sind emotionale und kognitive Vorraussetzungen und Entwicklungen des Menschen. Die Soziologie im Gegensatz dazu unterscheidet in soziale Gruppen. Die Lebensphase Jugend wird als besonderes Gruppenphänomen analysiert (Fend 2005, S. 22).

„Die Jugendphase ist aber auch deshalb von hohem gesellschaftlichem Interesse, weil sich an den Jugendlichen besonders gut ablesen lässt, wie das Individuum in einer Gesellschaft, die sich strukturell rapide verändert, zu denken und handeln lernt oder - pessimistischer gesprochen - gezwungen ist“ (Abels 2008, S. 79).

Schäfers und Scherr legen zentrale soziologische Merkmale fest, die für eine Annäherung an den Jugendbegriff essenziell sind:

- Jugend als eine Lebensphase im Kontext der gesellschaftlichen Ordnung der Altersgruppe, durch die Kindern, Jugendlichen und Erwachsennen unterschiedliche Recht und Pflichten zugewiesen, Möglichkeiten eröffnet und Zwänge auferlegt werden;
- die Auswirkungen der gesellschaftlichen [ökonomischen, politischen, rechtlichen usw.] Bedingungen auf Jugend als lebenslange Lebensphase;
- die Einstellungen und Praktiken, die bei Jugendlichen in einer jeweiligen gesellschaftlichen Situation vorzufinden sind;
- Jugendkulturen und sog. Jugendprobleme sowie die gesellschaftlichen Reaktionen auf;
- jugendkulturelle Selbstdefinitionsprozesse und Abgrenzungsprozesse zwischen Jugendkulturen sowie gegenüber „der Erwachsenengesellschaft“;
- die gesellschaftlichen Bemühungen, auf Jugendliche [insbesondere durch Pädagogik und Jugendpolitik] gezielt einzuwirken (Schäfers/Scherr 2005, S. 18).

In Anlehnung an die soziologische Betrachtungsweise von Jugend ist festzuhalten, dass die Soziologie ihren wesentlichen Fokus auf „die Auswirkungen der gesellschaftlichen Bedingungen auf Jugend als Lebensphase“ (Ecarius/Eulenbach 2011, S. 14) legt. Weiterhin untersucht die Soziologie, welche speziellen Rechte und Möglichkeiten in der Lebensphase Jugend zentral sind sowie Pflichten und Zwänge auferlegt werden (Scherr 2009, S 18).

2.3 Differenzierung des Jugendbegriffs

Es konnte deutlich werden, dass traditionelle Statusübergänge von Jugend, wie beispielsweise die Geschlechtsreife als Beginn für die Jugendphase, die Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses oder einer Eheschließung als Beendigung von diesem, an Bedeutung verlieren.

„Vor allem in Folge der Verlagerung der Pubertät und der Verlängerung der Ausbildungszeiten hat sich in der sozialwissenschaftlichen Diskussion eine Sichtweise durchgesetzt, die Jugend als eine zeitlich ausgedehnte Lebensphase begreift, die weder mit dem biologischen und psychodynamisch fundierten Erwachsenwerden noch mit der vollen Rechtsmündigkeit endet“ (Schäfers/Scherr 2005, S. 24).

Wesentlicher Bestandteil dieses Kapitels soll es sein, dem Leser verschiedene Differenzierungsversuche aufzuzeigen, um eine Überleitung in das übernächste Unterkapitel zu ermöglichen.

Rechtsgrundlage für den Jugendbegriff ist § 7 („Begriffbestimmungen“) des Kinder- und Jugendhilfegesetzes SGB VIII. In diesem steht:

„(1) Im Sinne des Buches ist

1. Kind, wer noch nicht 14 Jahr alt ist, […]
2. Jugendlicher, wer 14 aber noch nicht 18 Jahre alt ist,
3. junger Volljähriger, wer 18, aber noch nicht 27 Jahre alt ist,
4. junger Mensch, wer noch nicht 27 Jahre alt ist“

Remplein nimmt die Differenzierung der Jugendalter wie folgt vor:

- 12-14 Jahre „Vorpubertät“
- 14-16 Jahre „Pubertät“
- 16-17 Jahre „frühe Adoleszenz“
- 17-19 Jahre „mittlere Adoleszenz“
- 19-21 Jahre „späte Adoleszenz“

Remplein verwendet das Jugendalter als Oberbegriff und unterteilt darunter in verschiedene Unterphasen. Als Besonderheit muss festgehalten werden, dass Remplein den Mädchen einen Vorsprung von 2 Jahren für jede dieser Phasen einräumt (Remplein 1963, S. 28).

Oerter/Dreher führen den Begriff Adoleszenz als Oberbegriff für die Lebensphase Jugend ein. Die Adoleszenz reicht vom vollendeten 10. bis zum 21. Lebensjahr und wird in Unterphasen aufgeteilt (Oerter/Dreher 1995, S. 312).

Hurrelmann als Soziologe führt eine andere Differenzierung an. Er spricht von einer „internen Untergliederung der Lebensphase“ die folgendermaßen zu differenzieren ist (Hurrelmann 2010, S. 41):

- Frühe Jugendphase: die 12- bis 17-Jährigen in der „pubertären Phase“
- Mittlere Jugendphase: die 18- bis 21-Jährigen in der „nachpubertären Phase“
- Späte Jugendphase: die 22- bis 27-Jährigen in der Übergangszeit auf die Erwachsenenrolle (Hurrelmann 2010, S. 41).

2.3.1 Pubertät und Adoleszenz

Schwerpunkt dieses Kapitels soll es sein, die Begrifflichkeiten Pubertät und Adoleszenz in ihrer Funktion und Differenz zu erläutern. Zu Anfang ist anzuführen, dass die drei Kernbegriffe „Jugend“, „Pubertät“, und „Adoleszenz“ weniger klar abgrenzbare oder subsumierbare Altersphasen darstellen, sondern eher auf unterschiedlichen Forschungstraditionen und Betrachtungsperspektiven hinweisen. „Soziologen, sprechen von der Jugend, Psychologen von der Adoleszenz und Biologen von der Pubertät“ (Fend 2005, S. 22).

Unter der Begrifflichkeit „Pubertät“ wird biologisch das Einsetzen einer körperlichen Umgestaltung der Gefühle und Erlebniswelten der Jugendlichen verstanden. Der Eintritt in die Pubertät lässt den Jugendlichen drastische Veränderungen seines Körpers erfahren, gleichzeitig ist er von seiner kognitiven Entwicklung her erstmalig in der Lage, sich selbst aus der Perspektive anderer zu betrachten (Oerter/Dreher 1995, S. 356). „Es ist die beginnende Selbstreflexion, die zugleich eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit mit sich bringt“ (Oerter/Dreher 1995, S. 356).

Bei der Pubertät stehen folgende Entwicklungsmerkmale im Vordergrund:

- Wachstum, wie beispielsweise Gewicht und Körpergröße
- Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale, wie beispielsweise Körperbeharrung oder Brustentwicklung
- Primäre Geschlechtsmerkmale, wie beispielsweise Entwicklung von Penis und Hoden (Fend 2005, S. 102).

Es lässt sich also festhalten, in Anlehnung an Fend, dass mit dem Einsetzen der Pubertät der Jugendliche einer starken körperlichen Veränderung ausgesetzt ist. Diese bringt innerhalb der Gefühls- und Erlebniswelt des Jugendlichen einen Umbruch mit sich. Schäfers und Scherr verweisen darauf, dass auf Grund einer Veränderung der sexuellen Reife, die heute viel früher eintritt, unter den Jugendlichen oftmals ungewollte Verstimmungen entstehen (Schäfers/Scherr 2005, S. 82).

„Als Adoleszenz bezeichnet man die Zeit, die junge Menschen brauchen, um sich mit der neuen durch den pubertären Umbruch ausgelösten Situation psychisch zu arrangieren und sich einen neuen Platz in der Gesellschaft zu suchen“ (Schröder/Leonhardt 1998, S. 30). Somit kann die Adoleszenz als eine Lebensphase verstanden werden, in der die Jugendlichen kontinuierlich eine „geschlechtliche, kulturelle und berufliche Identität“ bilden (Schröder/Leonhardt 1998, S. 11). Die Adoleszenz ist als eine Phase des „Suchen und Ausprobieren“ zu beschreiben in den Bereichen Freizeit, Beruf oder Ausbildung, die schnell zu einer Überforderung für die Jugendlichen werden kann (Saner 1999, S. 26).

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Detalles

Título
Techno- und Ravekultur als posttraditionale Vergemeinschaftung von Jugendlichen
Universidad
Niederrhein University of Applied Sciences Mönchengladbach
Calificación
1,3
Autor
Año
2013
Páginas
70
No. de catálogo
V267787
ISBN (Ebook)
9783656577614
ISBN (Libro)
9783656577584
Tamaño de fichero
576 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
techno-, ravekultur, vergemeinschaftung, jugendlichen
Citar trabajo
Nicolai Lemm (Autor), 2013, Techno- und Ravekultur als posttraditionale Vergemeinschaftung von Jugendlichen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/267787

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