Die Beteiligung der Hilfsschullehrer am Euthanasieprogramm der NS-Zeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Entstehung der Hilfsschulen

3. Die Hilfsschule in der NS-Zeit
3.1 Erziehungs- und Bildungsideal in der NS-Zeit
3.2 Sozialdarwinismus und eugenisches Gedankengut
3.3 Eugenisches Gedankengut bei den Hilfsschullehrern
3.4 Das „Schicksal“ des Hilfsschulkindes
3.5 Die (indirekte) Beteiligung der Hilfsschullehrer am Euthanasieprogramm..
3.6 „Gewinn“ für die Hilfsschule

4 Zusammenfassung und kritische Würdigung der Arbeit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Ziel der Arbeit ist, die Frage nach der indirekten Beteiligung der Hilfsschullehrer am Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zu untersuchen.

Ein besonderer Fokus wird hierbei auf die Probleme in der Etablierung und Anerkennung der Hilfsschule gelegt.

Dabei wird sowohl die Entstehung der Institution Hilfsschule, als auch die Situation der Hilfsschullehrer und die des Hilfsschulkindes betrachtet.

Neben der Entstehung der Hilfsschule wird die Rolle der Hilfsschule während der NS-Zeit anhand der stattgefundenen fachlichen Diskurse untersucht .

Welche Auswirkungen hatte die NS-Zeit auf die Weiterentwicklung der Hilfsschule, wie stellt sich neben der Institution Hilfsschule das Bild der Lehrerschaft und die Rolle des Hilfsschulkindes dar?

Und hat der „Anerkennungskampf“ um die Hilfsschule und den Berufsstand der Hilfsschullehrer letztendlich neben den positiven Aspekten der „Hilfe“ für Kinder mit besonderem „Förderbedarf“, also der Erfüllung des pädagogischen Auftrages, auch die politische Durchsetzung der Eugenik und der Zwangssterilisation der Hilfsschüler begünstigt und begleitet?

Der Pädagoge Albert Reble schreibt über die Geschichte der Pädagogik, dass Kenntnisse über den historischen Verlauf der Pädagogik unerlässlich sind für unser gegenwärtiges Verständnis und Vorgehen in der pädagogischen Arbeit. Erziehungsfragen sind ohne Kenntnisse ihrer historischen Kontexte nicht nachvollziehbar (vgl. Reble, A., 2004, S.14f.).

2. Die Entstehung der Hilfsschulen

Um die Frage nach der Beteiligung der Hilfsschullehrer an Euthanasie und Sterilisationsverfahren während der NS-Zeit zu untersuchen ist es wichtig, die Entstehung der Hilfsschule und den Werdegang der Professionen zu erläutern.

Somit beginnt diese Arbeit mit einem Überblick über die Geschichte der Hilfsschule und die ausschlaggebenden gesellschaftlichen Faktoren für die Konstruktion der Hilfsschule und des Hilfsschulkindes.

Viele Faktoren führten im frühen 19. Jahrhundert zu der Modernisierung des Schulwesens, darunter die vollständige Durchführung der Alphabetisierung sowie der Anstieg der Schulbesuchsquote und die öffentlichen Ausgaben für das Bildungswesen (vgl. Ellger-Rüttgardt 2008, S. 145).

Es entwickelte sich eine immer größere Heterogenität in der Gesellschaft und im Schulwesen.

Die Leistungsunterschiede zwischen den Schülern wurden durch den Anstieg des Leistungsdruckes in der Schule immer größer.

Dieser Unterschied äußert sich sowohl im "oberen Leistungsbereich", wie auch im „unteren Leistungsbereich“, also bei den sogenannten „Schwachsinnigen“ (vgl. Höck, 1979, S. 40).

Der Stand der Volksschullehrer zu Beginn des 19. Jahrhunderts war äußerst schwierig.

Sie hatten mit großer Klassenstärke, geistiger Schulaufsicht und schlechter Bezahlung zu kämpfen. Die Überfüllung der Volksschulen wurde durch das Gesetz der allgemeinen Schulpflicht ausgelöst (vgl. Ellger-Rüttgardt 2008, S. 119).

Die industrielle Revolution führte zur Umstrukturierung und zunehmenden Maschinisierung. Der Staat stellte veränderte Anforderungen an die schulische Bildung. Dies legitimierte die Volksschule zur Selektion der „leistungsschwachen“ Schüler.

Durch die Wirtschaftskrise in Deutschland folgten Einschränkungen in allen staatlichen Einrichtungen, von denen auch die Schule betroffen war.

Der Unterricht der "behinderten" Kinder kam zu der Zeit der Industrialisierung als pädagogische Aufgabe hinzu (vgl. Ellger-Rüttgardt 2008, S. 119).

Der zunehmende heterogene Leistungsstand der Schüler war für die Volksschullehrer nicht zu bewältigen. Viele Kinder erhielten nicht die pädagogisch notwendige Unterstützung.

An Schulen wurden „Nachhilfeklassen“ gegründet, die den „Schwachbegabten“ eine besondere Förderung zukommen lassen sollten, damit sie den Anschluss an den Volksschulunterricht ermöglicht bekommen und wieder in ihre Klasse zurückgeführt werden konnten. Diese Rückführung gelang jedoch meist nicht (vgl. Ellger-Rüttgardt, 2008,S.152).

Die neuentstandene Gruppe der Hilfsschullehrer, ehemalige Volksschullehrer, ist während des Entstehungsprozesses ihrer neuen Profession und Schulform stets bemüht eine autonome, eigenständige sich deutlich von der Volksschule abgrenzenden Schulform zu entwickeln.

Es entwickelte sich zunehmend eine selbständige Schulform. 1859 wurde in Halle die erste Hilfsschule eröffnet. Durch die Hilfsschulen sollten die benachteiligten Kinder zu nützlichen Mitgliedern der Gemeinschaft erzogen werden. Die Volksschule sollte entlastet werden.

1898 erfolgte die Gründung eines eigenen Lehrerverbandes.

Viele Hilfsschullehrer sahen in der neuen Profession eine Chance auf bessere Bezahlung durch attraktive Zulagen und einfachere Arbeitsbedingungen aufgrund der kleineren Klassen. Zudem erhofften sie sich höheres Ansehen durch den Anspruch des Spezialistentums (vgl. Ellger-Rüttgardt, 2008, S.155f).

Die Hilfsschule hatte in ihrer Entstehungszeit viele Kritiker vor allem aus dem Anstaltswesen, die auf den nicht deutlich abgrenzbaren Unterschied zwischen Anstaltszögling und Hilfsschulkind hinwiesen.

Unter Anbetracht dieser Kritik, und dass die Ausgaben für einen Hilfsschüler häufig doppelt so hoch wie für einen Volksschüler waren (vgl. Höck 1979, S. 17), versuchten die Hilfsschullehrer durch die Konstruktion des Hilfsschulkindes, also des „schwachsinnigen“ aber „noch bildbaren“ Kindes, die Schulform wieder zu legitimieren. Sie betonten in ihren Argumenten die Chance der Erlangung der Arbeitsfähigkeit durch die Hilfsschulbildung und die noch viel teurere Fürsorgeerziehung in den Anstalten, die sonst, oft ein Leben lang, für die nicht Bildbaren drohe.

Durch diese Abgrenzung sollte vor allem die Profession des Hilfsschullehrers als notwendig und qualitativ nicht zu ersetzende Lehrergruppe für den Unterricht der „leicht schwachsinnigen“ Kinder herausgestellt werden (vgl.Höck 1979, S.33,35).

In vielen Punkten lässt sich von einer „Konstruktion des Hilfsschulkindes“ zu Gunsten des Hilfsschullehrers sprechen. So bestehen laut Thümmel (2003) in der Gründungsphase der Hilfsschule "eher organisatorische Differenzen zwischen Anstalten und Hilfsschulen [...] als Unterschiede zwischen Anstaltszöglingen und Hilfsschülern" (Thümmel, 2003, S. 44).

Höck (1979) beschreibt die Hilfsschüler als ein "Opfer der Forderung nach Leistung in einem Jahresklassensystem" und der gesellschaftlichen Heterogenität.

Das Bild des Hilfsschullehrers über seine Schüler war zu der Zeit des Kaiserreichs „geprägt durch konservativ-nationale Anschauung“ (Ellger-Rüttgardt 1980, S. 220).

Laut Ellger -Rüttgardt (2008, S. 138) waren die meisten Hilfsschullehrer der Ansicht, dass „die Zugehörigkeit ihrer Schüler zu den armen Volksschichten nicht etwa als Auswirkung sozialer Ursachen [zu betrachten ist], sondern [machten] mangelhafte geistige Veranlagung für soziales Elend verantwortlich“.

Höck (1997, S.53) konstatiert dagegen, dass die Mehrzahl der Hilfsschulkinder ein erworbenes Gebrechen hat und „Träger normalen Erbgutes“ ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Hilfsschullehrer seit der Entwicklung einen Kampf um Ansehen und Etablierung in das deutsche Schulsystem führten. Als Produkt dieses „Kampfes“ konstruierten sie das Hilfsschulkind, das ihre „Notwendigkeit“ und Legitimation belegen sollte. Die allgemeine Stimmung der Gesellschaft, der Wunsch nach Vereinheitlichung und Differenzierung, die nationale Identitätskrise und die allgemeine Schulpflicht waren Faktoren, die diese Entwicklung begünstigten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Beteiligung der Hilfsschullehrer am Euthanasieprogramm der NS-Zeit
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Rehabilitationswissenschaften Humboldt Universität)
Veranstaltung
Modelle und Paradigmen der Rehabilitationswissenschaften
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
21
Katalognummer
V275486
ISBN (eBook)
9783656682080
ISBN (Buch)
9783656682196
Dateigröße
904 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
beteiligung, hilfsschullehrer, euthanasieprogramm, ns-zeit
Arbeit zitieren
Ann-Cathrin Roeske (Autor:in), 2014, Die Beteiligung der Hilfsschullehrer am Euthanasieprogramm der NS-Zeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275486

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