Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Interkulturelles Lernen: Ein Definitionsversuch
3 Zum interkulturellen Lernen im DaF-Unterricht mit Kindern
4 Praktische Umsetzung interkulturellen Lernens im DaF-Unterricht
4.1 Begrüßungsformeln als Beispiel interkulturellen Lernens im DaF- Unterricht.
4.2 Interkulturelles Lernen anhand des Projekts: Globales Lernen mit Kindern
5 Schlussfolgerung
Quellen- und Literaturverzeichnis
Anhang
1 Einleitung
Der Schlüssel Willst du dich selber erkennen, so sieh wie die andern es treiben, Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz. F. Schiller, ÄTabulae votivae― S. 159. Musenalmanach für das Jahr 1797.
Die Kommunikation zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen ist nicht immer einfach, Missverständnisse sind keine Seltenheit. Häufig jedoch sind nicht fehlende Sprachkenntnisse der Auslöser dafür, sondern vielmehr zu wenig Wissen über die andere Kultur. Weil schon kleinste alltägliche Sprechhandlungen kulturell differieren können, muss beim Erlernen einer Fremdsprache wortwörtliches Übersetzen schnellstmöglich aus den Köpfen verbannt werden. Der traditionelle Fremdsprachenunterricht jedoch stellte genau diese Methode in den Vordergrund und ließ der Wissensvermittlung über Sitten, Traditionen, Gebräuche und Lebens- bzw. Werteinstellungen der jeweiligen Zielsprache zu wenig Raum.
Der interkulturelle Ansatz nach List1 wandte sich schließlich gegen die Wort- für-Wort-Übersetzung und verlangt, aus der Perspektive der eigenen Kultur die fremde zu betrachten. Interkulturelles Lernen beschreibt demnach den Lern- und Lehrprozess, der den Mangel an Vermittlung kulturellen Verständnisses ausgleichen soll. Durch einen Perspektivwechsel soll erreicht werden, dass sich Schüler mit dem Eigenen und Fremden auseinandersetzen, um die eigenen Kategorien nicht einfach auf eine unbekannte Kultur zu projizieren. Erst dieses Bewusstmachen der eigenen Kultur lässt uns einen anderen Einblick erhalten. Die sprachlichen und nicht- sprachlichen Regeln der menschlichen Kommunikation sowie das Sich-Einlassen auf Wertesysteme und Einstellungen von Angehörigen einer Kultur machen interkulturelles Lernen aus — Faktoren, die eben diesen Ansatz unverzichtbar für einen erfolgreichen Fremdsprachenerwerb machen.
Im Folgenden soll daher geklärt werden, was wir heute unter interkulturellem Lernen verstehen, welche Relevanz dieses für einen erfolgreichen Fremdsprachenerwerb hat, und wie man die theoretischen Erkenntnisse praktisch in den Unterricht Deutsch als Fremdsprache (DaF) mit Kindern umsetzen kann.
2 Interkulturelles Lernen - ein Definitionsversuch
Bekanntlich geht der Begriff des interkulturellen Lernens auf die interkulturelle Pädagogik zurück.2 Dieses Konzept umfasst verschiedene Ziele und Inhalte, die für das Fach im Diskurs von großer Bedeutung sind. Mittlerweile haben sich dennoch zwei unterschiedliche Ausprägungen vermischt: einerseits die landeskundliche Ausprägung interkulturellen Lernens, die sich auf den Fremdsprachenunterricht bezieht und in der vorliegenden Arbeit in erster Linie behandelt werden soll. Andererseits die, Müller zufolge3, ältere, migrationspädagogische Ausprägung. In den 70er Jahren diente der Begriff des interkulturellen Lernens zur Analyse und Erörterung der Probleme multikultureller Klassen und wurde damals noch als Ausländerpädagogik betrachtet. In dieser ging es vornehmlich darum, den Unterricht zum Ausgleichen von Defiziten der deutschen Sprache und Kultur zu nutzen.
Stellt man Migrationspädagogik und die eher landeskundlich dominierte Variante des interkulturellen Lernens gegenüber, so stellt Letzteres eine Innovation im Zuge der Fremdsprachunterricht-Reform dar. Seit den 80ern geht es also im Fremdsprachunterricht darum, neben reinen sprachlichen Kompetenzen auch interkulturelle Gesichtspunkte auf die Agenda zu bringen. So argumentiert auch Bleyhl, der das Erlernen einer Fremdsprache nicht nur auf das reine Vokabellernen reduziert, sondern eine ÄSozialisation in die andere Kultur hinein―4 fordert. Sprache wird somit zu einer Ausdrucksform der jeweiligen Kultur.
Interkulturelles Lernen darf jedoch nicht mit dem Begriff der Landeskunde gleichgesetzt werden. Folgen wir Bleyhl und Bredella/Delanoy, so bezieht sich die traditionelle Landeskunde auf die Oberflächenstruktur, also auf Faktenwissen, Kenntnisse über das Leben der Angehörigen einer Kultur, geographische und historische Voraussetzungen, politische Strukturen, und so weiter.5 Interkulturelles Lernen geht jedoch in die Tiefenstruktur hinein und ist jenen Mechanismen gewidmet, die dem menschlichen Handeln zugrunde liegen, wie etwa bestimmte Verhaltensmuster oder Bedeutungen.
Die aktuelle Diskussion um interkulturelles Lernen spiegelt wieder, wie unterschiedlich die inhaltlichen Schwerpunkte des Begriffs gesetzt werden. Für Christ stellt interkulturelles Lernen einen Lernprozess dar, der für die Persönlichkeitsbildung des Schülers zuträglich ist, da der eigene Standpunkt vertreten oder aber auch angepasst werden soll. Rein landeskundlicher Unterricht könnte dies nicht leisten.
,,[Interkulturelles Lernen] beschäftigt sich mit dem als fremd Empfundenen, Erfahrenen, Erkannten und hat zum Ziel, mit diesem Fremden vertraut zu werden bzw. vertraut zu machen. Das Vertrautwerden ist ein Prozess, der vielfach oder gar im allgemeinen nicht abgeschlossen werden kann; er hat nicht etwa das Ziel, das Fremde als solches aufzuheben […], sondern, es soll in ein anderes Verhältnis zum Bekannten und bereits Gewussten gebracht werden; also sowohl vertraut werden wie anders bleiben […]"6.
Eigene Standpunkte zu überdenken und genügend Spielraum für andere Sichtweisen zuzulassen ist also ein Hauptziel interkulturellen Lernens. Eigenes soll tiefgründiger erschlossen, zum Fremden mehr Vertrauen gefunden werden - nur so ist ein Vergleich verschiedener Perspektiven möglich. Weitere Vorteile für die Persönlichkeit eines Schülers, der mit interkulturellem Lernen vertraut ist, nennen Knapp und Knapp-Potthoff: ÄKenntnisse über andere Kulturen und die Beziehung der eigenen Kultur zu ihnen; Einstellungen zu den Angehörigen anderer Kulturen, was im Falle der Anderssprachigkeit der Partner (…) das Erlernen fremder Sprachen bedeutet.―7 Doch auch die Reflektion der eigenen Kultur darf hierbei nicht außer Acht gelassen werden - denn ein Lernprozess kann wohl nur dann stattfinden, wenn das eigene Selbst, die eigene Identität, nicht verleugnet, sondern ein Teil des Ganzen wird. Nach Freudenstein8 macht gerade dies das interkulturelle Lernen aus. Gerade in unserer multikulturellen Gesellschaft ist das Konzept des interkulturellen Lernens unverzichtbar, schließlich streben wir ein friedliches und verständnisvolles Miteinander an, in dem Diskriminierung jeglicher Art keinen Platz haben sollte. Der Fremdsprachenunterricht kann deshalb als ein geeignetes Bindeglied zwischen den Kulturen fungieren. Die Gefahr liegt allerdings darin, dass Schüler hier zwar mit einer anderen als der eigenen Kultur in Berührung kommen, diese Erfahrung jedoch künstlich erzeugt und somit nicht authentisch ist. Eine besonders lebensnahe Gestaltung des Unterrichts ist daher unverzichtbar.
Obwohl also, wie die bisherigen Ausführungen zeigen, der Begriff des interkulturellen Lernens nicht eindeutig einzugrenzen ist, so ist doch allen Definitionsversuchen eines gemein: das Verständnis der Ziel- und Ausgangssprachenkultur soll verbessert, sowie die Wahrnehmungsfähigkeit des Einzelnen und eine aktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst gefördert werden.9 Demzufolge kann interkulturelles Lernen selbst eigentlich nicht als das Lernziel für ein bestimmtes Fach gelten, sondern eher als Äein Richtziel, das im erzieherischen Gesamtzusammenhang gesehen werden muss10 ".
Dabei überrascht es wohl kaum, dass interkulturelles Lernen selbst in multikulturellen Klassenverbänden kein Selbstläufer ist, sondern oftmals über eine lange Zeit hinweg erarbeitet werden muss. Müller gibt daher drei Voraussetzungen für ein Erfolg versprechendes und nachhaltiges interkulturelles Lernen: zum einen soll eine gemeinsame interkulturelle Situation geschaffen werden, ein Prozess der Interaktion zwischen Angehörigen der unterschiedlichen Kulturen muss stattfinden und ein Lernresultat erkennbar sein.11 Im nachfolgenden Kapitel soll daher die Relevanz interkulturellen Lernens für den DaF-Unterricht aufgeführt werden und inwieweit sich dies praktisch mit Kindern umsetzen lässt.
3 Zum interkulturellen Lernen im DaF-Unterricht mit Kindern
Um interkulturelles Lernen im DaF-Unterricht zu fördern bzw. den Erwerbsprozess zu erleichtern, sollte man Burwitz-Melzer zufolge den Schülern die fremde Kultur durch die fremde Sprache erschließen, um es möglichst lebensnah zu gestalten. Von großer Wichtigkeit sei es deshalb jede Stunde an diesem Thema zu arbeiten, denn interkulturelles Bewusstsein erlernt man nur allmählich12. Vielmehr handelt es sich im Allgemeinen um einen Prozess des Äsich vertrautmachens mit dem Fremden―13, der sich immer weiter entwickelt und nie abgeschlossen wird.
Radikale Meinungsänderungen von den Kindern sind also nicht zu erwarten. Das Wesentliche ist, dass es ihnen gelingt, angstfrei agieren zu können, um ihre kognitiven und affektiven Kräfte auszuprobieren bzw. Ihre Meinungen zu formulieren. Demzufolge sollte man als DaF-Lehrer immer wieder den nötigen Spielraum für das interkulturelle Lernen schaffen: Kinder brauchen Fiktionale- oder Sachtexte, die es ihnen ermöglichen, Einstellungen, Werten und fremdkulturellen Gebräuchen zu begegnen, sie mit der Eigenkultur zu vergleichen und sie spielerisch für sich selbst auszuprobieren14.
Mohan zufolge haben beide, Heimat- und Sachkunde und Fremdsprachenunterricht, einen kulturellen Fokus: ―It is in the area of teaching culture, broadly interpreted, that the second language course and social studies courses approach each other most closely15 ".
Sobald man diesen Ansatz nachvollzogen hat, wird deutlich, dass sich eine fremde Kultur durch die fremde Sprache am ehesten erschließen lässt. Dieser Ansatz wird von Edmondson unterstützt, denn ihm zufolge soll interkulturelles Lernen Teil einer integrierten Fremdsprachenvermittlung sein, d.h. kein eigener autonomer Unterricht, sondern die Informationen der fremden Kultur sollen durch die sprachlichen Inhalte übermittelt werden.16
[...]
1 Vgl. List, Gudula: ÄInterkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht? Fremdsprachenunterricht im Dienst des interkulturellen Lernens.― In: Karl-Richard Bausch (et al.) Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht: Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr Verlag, 1994, S. 133.
2 Vgl. Wendt, Michael: ―Konstruktion statt Instruktion: neue Zugänge zu Sprache und Kultur im Fremdsprachenunterricht.― Frankfurt/ Main u.a. 2000, S.168.
3 Vgl. Müller, Bernd-Dietrich: ÄFremdsprachenunterricht als Ausgangspunkt für interkulturelles Lernen.― In: Karl-Richard Bausch (et al.) Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht: Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr Verlag, 1994, S. 155.
4 Vgl. Bleyhl, Werner: ÄDas Lernen von Fremdsprachen ist interkulturelles Lernen.― In: Karl-Richard Bausch (et al.) Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht: Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr Verlag, 1994, S.11.
5 Vgl. Bleyhl, Werner: ÄDas Lernen von Fremdsprachen ist interkulturelles Lernen.― S.11. und Doyé, Peter: ÄInterkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht.― In: Karl-Richard Bausch (et al.) Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht: Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr Verlag, 1994, S. 45.
6 Christ, Herbert: ÄFremdverstehen als Bedingung der Möglichkeit interkulturellen Lernens.― In: Karl- Richard Bausch (et al.) Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht: Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr Verlag, 1994, S. 33.
7 Zitiert nach Doyé, Peter: ÄInterkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht.― S. 44.
8 Vgl. Freudenstein, Reinhold: ÄAlles interkulturell - oder was?― In: Karl-Richard Bausch (et al.) Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht: Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr Verlag, 1994, S. 57.
9 Vgl. Gnutzmann, Claus: ÄInterkulturelles Lernen: Auch im Fremdsprachenunterricht?― In: Karl-
Richard Bausch (et al.) Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht: Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr V. 1994, S. 65.
10 Wendt, Michael: ―Konstruktion statt Instruktion: neue Zugänge zu Sprache und Kultur im Fremdsprachenunterricht.― S.168.
11 Vgl. Müller, Bernd-Dietrich: ÄFremdsprachenunterricht als Ausgangspunkt für interkulturelles Lernen.― S. 155.
12 Vgl. Burwitz-Melzer, Eva: ÄCrossing boarders on tiptoes: Interkulturelles Lernen für Anfänger.― Verlag Adapt. S. 12.
13 Christ, Herbert: ÄFremdverstehen als Bedingung der Möglichkeit interkulturellen Lernens.― S. 35.
14 Vgl. Burwitz-M., Eva: ÄCrossing boarders on tiptoes: Interkulturelles Lernen für Anfänger.― S. 14.
15 Zitiert nach Mohan, Bernard A. (1986): ÄLanguage and content― In Kubanek-German, Angelika: „Kindgemäßer Fremdsprachenunterricht: Didaktik der Gegenwart.“ Bd. 2, Münster u.a. Waxmann Verlag, 2003, S. 106.
16 Vgl. Edmondson, Willis: ÄWas trägt das Adjektiv ÄInterkulturell― zu unserem Verständnis vom Lernen im Fremdsprachenunterricht bei?― In: Karl-Richard Bausch (et al.) Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht: Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des