Der Prozess der Zivilisationen und die Genese des Staates


Term Paper, 2011

19 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Begriff „Zivilisation“

3. Das Menschenbild und die Methodologie von Norbert Elias

4. Psyochogenese und Zivilisierung des Verhaltens

5. Die Soziogenese des Nationalstaates
5.1 Feudalismus und zentrifugale Kräfte
5.2 Die Vorrausetzungen für die Zentralisierung der Herrschaft
5.3 Die Monopolisierung und Zentralisierung der königlichen Herrschaft
5.4 Vom königlichen zum öffentlichen Herrschaftsmonopol

6. Der Wandel der Nationalstaatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ein Flugzeug ist ein typischer Ort einer zivilisierten Gesellschaft. Eine große Gruppe, von sich größtenteils fremden Menschen, befindet sich gemeinsam in einem engen Raum. Die Mitglieder dieser Gruppe haben ein gemeinsames Ziel: Die sichere, schnelle und angenehme Verfrachtung von einem Ort an einen anderen. Die einzelnen Mitglieder sind in der Erreichung dieses Zieles voneinander abhängig. Es bedarf der Zurückhaltung und der Selbstkontrolle eines jeden einzelnen, Passagieren wie Crew, damit dieses Ziel erreicht wird. Dazu ist es erforderlich, dass jeder in seiner Rolle bleibt und die mit ihr verbundenen Erwartungen erfüllt. Meistens sind diese Erfordernisse so gut internalisiert, dass sie nicht mal mehr als solche war genommen werden. Ein schreiendes und quengelndes Kind mag den Flug vielleicht unerträglich machen, da es diese Anforderungen noch nicht internalisiert, das zurückhalten der Triebe noch nicht erlernt, hat, davon einmal abgesehen, verläuft ein Flug aber in aller Regel reibungslos.

Dass des aber auch anders kommen kann, zeigt eine Nachricht, die vor kurzem die Boulevardpresse erreichte. Der französische Schauspieler Gérard Depardieu, bekannt für seine gelegentlichen Wutausbrüche, saß in einem Flugzeug von Paris nach Dublin das sich gerade in der Startphase befand, als er offenbar seinen Trieben nicht mehr Einhalt gebieten konnte. Er stand auf mit den Worten: „Ich will pinkeln,ich will pinkeln.1 “ Als ihn eine Stewardess darauf hinwies, dass er warten müsse bis die Maschine in der Luft sei, urinierte der Schauspieler in den Gang des voll- besetzten Flugzeugs. Daraufhin musste die Maschine den Startvorgang abbrechen um gereinigt zu werden. Der Start verzögerte sich um zwei Stunden. Dass diese Tat für Aufsehen sorgen konnte, liegt, neben der großen Prominenz des Akteurs, wohl an der Außengewöhnlichkeit und schieren Unglaublichkeit, wie der Schauspieler seinen natürlichen Körperfunktionen nachgab. Einzig, dass Depardieu alkoholisiert gewesen sein soll, wie in den Medien gemutmaßt wird, oder mit einer krankheitsbedingten Blasenschwäche, mit der er selbst sein Verhalten zu Entschuldigen versucht, erklären die Tat zumindest Teilweise, auch wenn sie sie in den Augen der Gesellschaft nicht Rechtfertigen. Wenn Depardieu nun keine ernsthaften Konsequenzen drohen, so ist zumindest sein Ruf beschädigt. Attribute, die einem bei solch einem Verhalten, wie es der Schauspieler an den Tag legte, in den Sinn kommen sind schnell gefunden: Asozial, Ekelhaft, Schamlos oder auch Unzivilisiert.

2. Der Begriff „Zivilisation“

Der Begriff „Zivilisation“ wurde über die Geschichte und über die verschiedenen Länder hinweg sehr ambivalent gebraucht. In erster Linie wird Zivilisation als ein großräumiges Gebilde mit einem ihm eigenen Wertesystem und Weltbild, also einen Kultureis, der gewisse Merkmale wie beispielsweise eine hohen Grad an Arbeitsteilung, Urbanisierung und Wohlstand aufweist, verstanden. Der Begriff wird hier Synonym für den Begriff Hochkultur verwendet. Er spiegelt das Selbstbewusstsein des Abendlandes wieder und enthält alle Fortschritte, die das Abendland in den letzten Jahrhunderten in den Bereichen Wissenschaft, Technik, Politik und Wirtschaft erreicht hat. In diesem Sinne wird dann vom Abendland als Zivilisation gesprochen. Vor allem im 18. und 19. Jahrhundert wurde der Begriff im Abendland und vor allem in Frankreich und England zur Abgrenzung zum unzivilisierten, „barbarischen“ Teil der Welt verwendet. Damit einher ging zum einen ein Fortschrittsglaube und zum anderen ein gewisses Überlegenheitsgefühl der eigenen Kultur. So wurde der Zivilisierung der wilden Barbaren auch als Rechtfertigung für den Kolonialismus verwendet. Der Begriff Zivilisation ist also meist, und vor allem in Frankreich und England, positiv konnotiert und wird als Prozess eines kulturellen Wandels oder als Produkt eines Prozesses von einer niedrigeren kulturellen Stufe auf eine höhere Verstanden. Manchmal wird der Begriff Zivilisation auch einfach nur als Synonym für Kultur verwendet. In anderem Kontext, und vor allem in Deutschland, wird der Begriff aber auch gerade in Opposition zum Kulturbegriff verwendet. Hier steht dann Zivilisation für alle materiellen Erzeugnisse des Menschen, also vor allem Technologie, während Kultur alle geistigen Erzeugnisse, wie Religion, Moral und Kunst umfasst. Damit kann einhergehen, dass der Begriff Kultur positiv besetzt wird und mit dem Begriff Zivilisation negative Tendenzen, wie ein angeblicher Werteverfall, oder eine zunehmende Bürokratisierung und Technokratisierung beschrieben werden.

Norbert Elias versteht Zivilisation im Sinne eines Zivilisierungsprozesses. Für ihn ist dieser Prozess der Wandel der Persönlichkeitsstruktur des Menschen. Diese Wandel drückt sich durch ein Überführen von Fremd- in Selbstzwänge, durch eine zunehmende Regulierung der eigenen Triebe und Impulse, und durch ein Fortschreiten der Scham- und Peinlichkeitsschwelle aus.

3. Das Menschenbild und die Methodologie von Norbert Elias

Da die Methodologie und die Aussagefähigkeit einer soziologischen Theorie in starkem Maße von dem Menschenbild des Theoretikers abhängt, ist es wichtig das Menschenbild von Elias zubetrachten. Elias kritisiert alle Ansätze, die von einem Einzelmenschen, einem „Homo Clausus“2 ausgehen. Dies Vorstellung des Menschen, dessen inneres durch eine unsichtbare Wand von der Außenwelt getrennt ist, entspricht zwar dem Selbstbild und der eigenen Wahrnehmung eines Menschen, der in einer individualisierten westlichen Gesellschaft aufwuchs, existiert so in der Realität aber nicht. Dieses Bild eines unabhängig von der Außenwelt existierenden Menschen ist ein Produkt der abendländischen Zivilisation. Elias lehnt aber auch alle Erklärungsversuche die von einem abstrakten Ganzen ausgehen ab. Er will „das denken als ob Individuum und Gesellschaft zwei verschiedene und überdies auch antagonistische Figuren seien3 aufheben. Elias wählt einen eigenen Ansatz, den er Figuration nennt. Er sieht den einzelnen Menschen immer eingebettet in eine Gemeinschaft. Jeder Mensch ist von Natur aus und durch seine Sozialisation von anderen Menschen abhängig. Menschen kommen deshalb nur in Pluralitäten, in sozialen Geflechten und Konstellationen vor, in Figurationen. Diese Figurationen können sehr direkt sein, wie z.B die Figuration zwischen der Mutter und ihrem Kind, die Figuration kann aber auch sehr Abstrakt, die Interdependenzkette also dementsprechend sehr viel länger sein, wie z.B das Verhältnisse zwischen den Bewohnern eines Landes. Die Psyche des einzelnen Menschen, also z.B auch wie rational oder triebhaft sich jemand verhält, ebenso wie die Sozialstruktur einer Gesellschaft hängen immer von der Art der Figurationen ab. Diese Figurationen sind in einem ständigen Wandel, einem evolutionären Prozess unterworfen. Diese Verflechtungsordnung „ist es, die dem Prozess der Zivilisation zugrunde liegt.4 Diese Prozesse nennt er auf psychischer Ebene Psychogenese und auf gesellschaftlicher Ebene Soziogenese. Psychogenese und Soziogenese können nie getrennt voneinander betrachtet werden. Ebenso müssen sie immer als Produkte ihrer historischen Entwicklung betrachtet werden 5. Der Wandel der Figurationen verläuft weder Rational noch Irrational, da sie von niemandem bewusst geplant werden. Vielmehr verhält es sich so: „dass sich aus allem Planen und Handeln der Menschen vieles ergibt, was kein Mensch bei seinem Handeln eigentlich beabsichtigt hat.6 “ Dem Prozess der Zivilisation wohnt eine Eigendynamik und Eigengesetzmäßigkeit inne. Diese Gesetzmäßigkeiten ausfindig zu machen ist das Ziel der Figurationssoziologie. Hat man einmal „Kenntnis ihrer ungeplanten Gesetzmäßigkeit7, so muss man sich ihnen nicht mehr hingeben, sondern kann die Prozesse bewusst steuern.

In den 1930er Jahren verfasste Elias das Buch „Über den Prozess der Zivilisation“, mit dem er versuchte eine universelle Zivilisationstheorie aufzustellen. Im ersten Band widmet er sich der Psychogenese und im zweiten Band der Soziogenese. Objekt seiner Untersuchung ist Westeuropa, und vor allem Frankreich zwischen dem 9. und dem 19. Jahrhundert. Von hieraus breitete sich die abendländische Zivilisation über ganz Europa und mehr und mehr auch über die ganze Welt aus.

4. Psyochogenese und Zivilisierung des Verhaltens

Für Norbert Elias ist der Auslöser für die Wandlungsprozesse, die er Zivilisation nennt, ein Wandel der Figurationen in denen die Menschen zusammenleben verantwortlich. Im Mittelalter bestanden in weit geringerem Maße als heute Interdependenzen zwischen den Menschen und die gesellschaftliche Differenzierung war sehr viel geringer. Die meisten Menschen lebten in kleinen Familienverbänden weitestgehend Autark von ihren eigenen Erzeugnissen. Sie waren von wenigen Menschen abhängig. Im Prozess der Zivilisation verändern sich nun die Beziehungsverhältnisse. Der Kreis der Menschen mit denen der Einzelne in Kontakt kommt und von denen er abhängig ist, wird immer größer. Das Beziehungsgeflecht wird immer komplexer und ausdifferenzierter und die Interdependenzketten immer länger. Deshalb muss der Mensch in seinem Verhalten eine immer größere Rücksicht auf andere nehmen. Er muss sein Verhalten und seine Persönlichkeit anpassen, um diesen veränderten Anforderungen gerecht zu werden. Er muss sich selbstdisziplinieren und seine emotionalen Impulse und seine Triebe immer mehr unter Kontrolle haben. Die Sitten werden immer feiner. Die Scham- und die Peinlichkeitsschwelle rücken vor, das heißt immer mehr Handlungen, wie zum Beispiel die Sexualität oder die natürlichen Ausscheidefunktionen des Menschen werden Angstbesetzt und Tabuisiert. Die Umgangsformen verfeinern sich immer mehr. Der Mensch beginnt sein eigenes Verhalten und das der anderen immer stärker zu reflektieren. Die Zivilisation erfordert es, das der Mensch sein Verhalten immer rationaler plant und die Wirkung seines Verhaltens immer mehr überdenkt: „Je dichter das Interdependenzgeflecht wird, in das der Einzelne mit der fortscheitenden Funktionsteilung versponnen ist, je größer die Menschenräume sind, über die sich dieses Geflecht erstreckt... desto mehr ist der Einzelne in seiner sozialen Existenz bedroht, der spontanen Wallungen und Leidenschaften nachgibt; desto mehr ist derjenige gesellschaftlich im Vorteil, der seine Affekte zu dämpfen vermag, und desto stärker wird jeder Einzelne auch von klein auf dazu gedrängt die Wirkung seiner Handlungen oder die Wirkung der Handlungen von Anderen über eine ganze Reihe von Kettengliedern hinweg zu bedenken8. Meistens sind diese Anforderungen so gut internalisiert worden, das sie gar nicht mehr als Anforderungen wahrgenommen werden. Sie sind zu Selbstzwängen geworden. Elias wertete als empirische Basis seiner Arbeit vor allem Manierbücher aus dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit aus. Vor allem an Ess- und Trinksitten stellt er dar, wie sich die Formen im Laufe der Zivilisierung immer weiter verfeinert haben und die Nahrungsaufnahme mit immer mehr Vorschriften versehen wurde. Hieß es z.B in den Manierbüchern im späten Mittelalter noch, man solle„nicht über oder auf den Tisch“ spucken, sondern unter oder hinter sich. Ansonsten wurde dass spucken überhaupt nicht beanstandet. Im 17. Jahrhundert galt es dann schon unverschämt, vor höherstehenden Personen auf die Erde zu spucken. Im 18. Jahrhundert wurde die Benutzung eines Taschentuchs zum Spucken verlangt. Im 19. Jahrhundert galt das Spucken dann zu jederzeit als Ekelhaft9. Heute haben die Erwachsenen des Abendlandes diese Anforderungen so weit internalisiert, dass sie meist überhaupt nicht mehr die Notwendigkeit und den Drang verspüren zu Spucken und es demnach auch in den Manierbüchern gar nicht mehr erwähnt werden muss.10

[...]


1 http://www.sueddeutsche.de/leben/gerard-depardieu-uriniert-in-flugzeug-ich-will-pinkeln-ich-will-pinkeln-1.1132045

2 Elias, 1989, Bd. I, S. L

3 Elias, Was ist Soziologie ?, 2004, S.140

4 Elias, 1989, Bd. II, S. 314

5 Oder um es in den Worten Hegels auszudrücken: „ Ein Phänomen ist mit seiner Geschichte identisch“

6 Elias, 1989, Bd. II, S. 314

7 Elias, 1989, Bd. II, S. 316

8 Elias, 1989, Bd. II, S. 321 ff.

9 Elias, 1989, Bd I, S. 208 ff.

10 In anderen Teilen der Welt hingegen ist das Spucken noch weit verbreitet

Excerpt out of 19 pages

Details

Title
Der Prozess der Zivilisationen und die Genese des Staates
College
University of Augsburg  (Soziologie)
Course
Modernisierung und sozialer Wandel
Grade
1,3
Author
Year
2011
Pages
19
Catalog Number
V302075
ISBN (eBook)
9783956876325
ISBN (Book)
9783668005662
File size
498 KB
Language
German
Keywords
prozess, zivilisationen, genese, staates
Quote paper
Sebastian Steidle (Author), 2011, Der Prozess der Zivilisationen und die Genese des Staates, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302075

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