Von „Doing“ zu „Undoing Gender“. Konzeptentstehung, Kritik und Weiterentwicklung


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2014

17 Pages, Note: 1

Dorothee Baum (Auteur)


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

I) Einleitung

II) Das Konzept des Doing Gender: West/Zimmerman

III) Ausgangspunkt: Transsexuellen-Studien

IV) Sex, Sex-Category und Gender

V) Fortbildung des Konzeptes des Doing Gender
A. Doing Difference: Festermaker/West
B. Genderparadoxien: Lorber

VI) Kritik am Konzept des Doing Gender
A. Soziale Veränderung vs. Omnirelevanz von Gender
B. Verselbstständigung des Konzeptes des Doing Gender
C. Omnipräsenz und differenzielle Relevanz: Gildemeister

VII) Undoing Gender und Degendering
A. Undoing Gender bei Deutsch
B. Degendering bei Lorber
C. Undoing Gender bei Hirschauer

VIII) Performing Gender: Butler

IX) Schlusswort

Literaturverzeichnis

I) Einleitung

Dieser Beitrag befasst sich mit der Entstehung des Konzeptes „doing gender“, seiner Kritik dran und seiner Weiterentwicklung. An erster Stelle wird das auf Candace West und Don H. Zimmerman und mit ihnen auf die Transsexuellenstudien von Suzanne Kessler und Wendy McKenna und insb. jene von Harold Garfinkel zurückgehende Konzept des „doing gender“ erläutert. Fortgesetzt wird mit der Weiterentwicklung dieses Konzeptes bei West und Sarah Fenstermaker (doing difference) und bei Judith Lorber (Genderparadoxien). Im Anschluss wird die Kritik am Konzept des „doing gender“ zusammengefasst, drauf aufbauend werden drei prominente Gegenkonzepte erläutert: das „undoing gender“ bei Francine M. Deutsch und bei Stefan Hirschauer sowie das „degendering“ bei Judith Lorber. Abschließend wird dem ethnomethodologischen Konzept des „doing gender“ von West und Zimmerman der diskurstheoretischer Ansatz Judith Butlers („gender performance“) gegenübergestellt.

II) Das Konzept des Doing Gender: West/Zimmerman

Das ethnomethodologische Konzept des „doing gender“ geht auf den gleichnamigen Beitrag von Candace West und Don H. Zimmerman im Journal Gender & Society im Jahre 1987 [West/Zimmerman 1987] zurück. Es bedurfte allerdings zehn Jahre, um die Drucklegung dieses bereits 1977 verfassten Beitrages zu erwirken [vgl. West/Zimmerman 2009: 112], ein Beitrag der aus heutiger Sicht die Theoriebildung wesentlich beeinflusst hat.

„Doing gender“ versteht Geschlecht als erworbene Eigenschaft, als fortlaufenden Herstellungsprozess, der gender methodisch reproduziert und in alltägliche Interaktionen eingebettet in nahezu jeder menschlichen Aktivität stattfinden kann. West und Zimmerman transformierten somit den zugewiesenen (gender-)Status in einen ausgeführten (gender-)Status und verschoben Weiblichkeit und Männlichkeit als vorgegebene, essentielle Eigenschaft eines Individuums hin zu einer in einem Beziehungsgefüge beständig herzustellenden interaktionalen sozialen Eigenschaft: „Doing gender means creating differences between girls and boys and women and men, differences that are not natural, essential, or biological. Once the differences have been constructed, they are used to reinforce the ‘essentialness’ of gender.“ [West/Zimmerman 1987: 137].1 Dem ethnomethodologischen Ansatz folgend handelt es sich bei der Geschlechterdifferenz somit um eine kollektiv hergestellte soziale Wirklichkeit, die ständig reproduziert werden muss und nicht etwa mit Feststellung des Geburtsgeschlechtes oder dem (frühkindlichen) Sozialisationsprozess abgeschlossen ist.

III) Ausgangspunkt: Transsexuellen-Studien

Ausgangspunkt für West und Zimmerman waren die Transsexuellen-Studien von Suzanne Kessler und Wendy McKenna [Kessler/McKenna 1978] und insb. jene zum Fall „Agnes“ von Harold Garfinkel [Garfinkel 1967]. Diese Studien zeigen deutlich, dass weibliches bzw. männliches Verhalten erst auf sozialer Ebene erlernt werden muss, um nach außen hin stimmig und glaubwürdig zu wirken und akzeptiert zu werden. Sie verdeutlichen aber auch die Durchdrungenheit des Alltages vom sexuellen Status, der einen invarianten aber nicht wahrgenommenen Hintergrund des täglichen Lebens bildet [Garfinkel 1967: 118] und selbst Transsexuelle an die Vorstellung einer biologisch begründeten Natur der Zweigeschlechtlichkeit bindet.

In Hinblick auf Agnes, einer/s als männlich erzogenen Transsexuellen, die/der sich 1958 einer operativen Geschlechtsangleichung an eine Frau unterzog und deren/dessen Weg Garfinkel vor und nach dieser Operation einige Zeit verfolgte und analysierte, heben West und Zimmerman drei an Agnes gestellte Herausforderungen besonders hervor:

(1) die Überzeugungsarbeit gegenüber Ärzten und Psychiatern, eine „wirkliche“ Frau zu sein,
(2) sich selbst als Frau zu präsentieren und in der Gesellschaft als Frau aufzutreten und
(3) das Geheimnis, einen Penis zu besitzen (bzw. besessen zu haben und nun eine künstliche Vagina zu besitzen), zu bewahren.

Die Transsexuellen-Studien zeigen besonders deutlich, wie (moralische) bedeutsam die Übereinstimmung von sex, sex-category und gender und die Eindeutigkeit bzw. Glaubwürdigkeit der Geschlechtszughörigkeit für die gesellschaftliche Akzeptanz einer Person sind, und wie gering hier das individuelle Gestaltungsvermögen ist, soll ein gesellschaftlicher Ausschluss und eine Position am Rande oder außerhalb der Gesellschaft vermieden werden. Verdeutlicht wird aber auch, wie rigide das gesellschaftliche verhandelte Geschlecht mitunter durchgesetzt wird und dass das Geschlecht eben nicht ein natürliches, sondern ein gesellschaftlich konstruiertes ist.

IV) Sex, Sex-Category und Gender

Unter teilweisem Rückgriff auf Erving Goffman [insb. Goffman 1976] nehmen West und Zimmerman eine analytische Dreiteilung in die Kategorien sex (Geburtsklassifikation), sex-category (soziale Zuordnung) und gender (soziales Geschlecht) vor, um den Fall Agnes angemessen erschließen zu können [West/Zimmerman 1987: 131 ff.].

Sex meint hierbei die Geburtsklassifikation in die Kategorie männlich oder weiblich nach (gesellschaftlich vereinbarten) biologischen Kriterien. Sex-category bezieht sich hingegen auf die kategorische Zuordnung zum Status weiblich oder männlich im Alltag durch (gesellschaftlich erforderliche) identifikatorische Darstellung und andere Charakteristiken, wobei sex und sex-category nicht übereinstimmen müssen. Sex-category ist wiederum nicht gleichbedeutend mit der Erreichung von gender. Während sich sex category auf das die institutionelle und kulturelle Ebene bezieht, findet gender auf der interaktionalen Ebene statt. Erst die erfolgreiche Konfiguration von situationsadäquaten geschlechtsspezifischen Verhaltenseigenschaften entlang der sozialen normativen Vorgaben führt zu einem von außen als schlüssig und intelligibel wahrgenommenen Gesamtbild.

West und Zimmerman grenzen sich hiermit bewusst von der gängigen analytischen Zweiteilung in die Kategorien sex und gender ab, die gender lediglich als gesellschaftliche Konstruktion auf die Natur auffasst: “When we view gender as an accomplishment, an achieved property of situated conduct, our attention shifts from matters internal to the individual and focuses on interactional and, ultimately, institutional arenas. In one sense, of course, it is individuals who "do" gender. But it is a situated doing, carried out in the virtual or real presence of others who are presumed to be oriented to its production. Rather than as a property of individuals, we conceive of gender as an emergent feature of social situations: both as an outcome of and a rationale for various social arrangements and as a means of legitimating one of the most fundamental divisions of society.“ [West/Zimmerman 1987: 126].

Es sind nach West und Zimmerman somit die Individuen, die gender leben bzw. „tun“, wobei das situationsadäquate Verhalten des einzelnen nach außen, auf die virtuelle oder reale Präsenz von anderen Personen gerichtet ist, von denen die gleichen Orientierungs- und Verhaltensmuster angenommen werden [West/Zimmerman 1987: 126].2 West und Zimmerman begreifen daher gender weniger als individuelle Eigenschaft von Individuen, sondern vielmehr als ein Merkmal, das sozialen Situationen entspringt, das gleichzeitig Ergebnis und Bedingung für diverse soziale Arrangements ist und die Spaltung der Gesellschaft legitimiert und reproduziert: „Doing gender involves a complex of socially guided perceptual, interactional, and micropolitical activities that cast particular pursuits as expressions of masculine and feminine ‚natures’.” [West/Zimmerman 1987: 126]. Obwohl Geschlecht in diesem Konzept von den Mitgliedern der Gesellschaft durch ihr „Tun“ hervorgebracht wird, stellt doing gender somit dennoch die interaktiven und somit institutionellen Bereiche der Gesellschaft in den Mittelpunkt.

Hierbei produziert und reproduziert doing gender auch die hierarchischen sozialen Arrangements: „The sex category/gender relationship links the institutional and interactional levels, a coupling that legitimates social arrangements based on sex category and reproduces their asymmetry in face-to-face interaction. Doing gender furnishes the interactional scaffolding of social structure, along with a built-in mechanism of social control. In appreciating the institutional forces that maintain distinctions between women and men, we must not lose sight of the interactional validation of those distinctions that confers upon them their sense of ‚naturalness’ and ‚rightness’.”

V) Fortbildung des Konzeptes des Doing Gender

A. Doing Difference: Festermaker/West

Zusammen mit Sarah Fenstermaker erweiterte West mit dem Konzept des „doing difference“ [West/Fenstermaker 1995; vgl. auch Fenstermaker/West 2002] die ethnomethodologische Perspektive des Konzeptes des doing gender auf die Kategorien Rasse und Klasse, um das Zusammenspiel von Geschlecht, Rasse und Klasse zu verdeutlichen.3 Auch bei den Differenzkategorien Rasse und Klasse handelt es sich demzufolge um eine Herrschaftsordnung, die auf natürliche, essentielle Unterschiede zurückgeführt wird, die aber ebenso wie bei der Geschlechterordnung nur scheinbare sind. Im Konzept doing difference wird die Differenz als ein soziales „Tun“ verstanden, als einen Mechanismus zur Organisation der Beziehungen zwischen Individuen und institutioneller Praxis und zwischen Herrschaftsformen. Es sind somit die Mitglieder der Gesellschaft selbst, die als etablierte Angehörige der Kategorien Geschlecht, Rasse und Klasse durch ihr „doing difference“ Unterschiede erst untereinander generieren. Das Doing gender kann hierbei auch hinter ein doing class oder ein doing race zurücktreten.

[...]


1 Mit ihrer Feststellung „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“ (im Originaltext: „On ne naît pas femme, on le devient“) hatte Simone de Beauvoirs [Beauvoirs 1949] das Konzept des „doing gender“ allerdings bereits vorweggenommen. Vgl. auch [Frye 1983: 34]: „We do become what we practise being.“

2 Vgl. auch „[...] a person's gender is not simply an aspect of what one is, but, more fundamentally, it is something that one does, and does recurrently, in interaction with others.“ [West/Zimmerman 1987: 140].

3 Eine Vorgehensweise, die heute unter dem Schlagwort der „Intersektionalität“ diskutiert wird.

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Von „Doing“ zu „Undoing Gender“. Konzeptentstehung, Kritik und Weiterentwicklung
Note
1
Auteur
Année
2014
Pages
17
N° de catalogue
V308125
ISBN (ebook)
9783668062283
ISBN (Livre)
9783668062290
Taille d'un fichier
533 KB
Langue
allemand
Mots clés
doing, undoing, gender, konzeptentstehung, kritik, weiterentwicklung
Citation du texte
Dorothee Baum (Auteur), 2014, Von „Doing“ zu „Undoing Gender“. Konzeptentstehung, Kritik und Weiterentwicklung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308125

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