Die iranische Revolution: Modernisierung, Religion und Herrschaft


Notes (de cours), 2012

31 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

„Selbststärkung“

Akteure in der Wechselwirkung von Reform und Widerstand

Die Weisse Revolution, der Ölboom und die Folgen

Der Sturz des Schahs

Die regionalen Auswirkungen der Revolution

Die Radikalisierung der Islamischen Republik und der Krieg mit dem Irak

10 Jahre Revolution – die Zeitenwende von 1989

Bibliographie

Einleitung

In den siebziger Jahren galt der Schah von Iran, Mohammad Reza Pahlavi, als einer der mächtigsten Regenten in der damals so genannten Dritten Welt. Er war ein enger Verbündeter der USA im scheinbar ewigen Duell des Kalten Krieges und trat mit Billigung Washingtons im Persischen Golf als westlicher Sicherheitsgarant auf. Iranisch-kaiserliche Elitetruppen kämpften im benachbarten Oman gegen einen kommunistisch inspirierten Aufstand, und der Schah agierte als wenig beliebter, aber potenter Schirmherr der schwachen und fragilen Golfemirate. Er kommandierte eine der am besten ausgerüsteten Armeen in der Region, wenn nicht der gesamten Dritten Welt. Dank der im Zuge des Ölbooms in die Staatskasse geschwemmten Petrodollars konnte sich diese Armee modernstes Material amerikanischer Provenienz leisten, das selbst für NATO-Verbündeten ausserhalb ihrer finanziellen Reichweite lag. Aber nicht nur im militärischen Bereich investierte der Iran gewaltige Summen. Der Schah hatte versprochen, sein Land bis ins Jahr 2000 in den Club der am meisten industrialisierten Staaten zu führen. Der Iran war zu jener Zeit das Schwellenland, der emerging market der siebziger Jahre schlechthin, vergleichbar heute mit China oder Indien. Als Folge des anfangs der siebziger Jahre vervierfachten Ölpreises nahm das disponible Staatseinkommen gewaltig zu. Der Kaufkraft und Finanzpotenz des Landes schien keine Grenze mehr gesetzt zu sein. Ganze Industrieanlagen wurden bestellt und im Iran schlüsselfertig aufgebaut. Schweizerische Firmen wie die damalige BBC, eine der Vorläuferfirmen der heutigen ABB, machte im Iran Bombengeschäfte. 41'000 amerikanische und mehrere tausend andere westliche Berater lebten im Land, um diesen gewaltigen Technologietransfer im militärischen und zivilen Bereich zu bewältigen. Das Land durchlief eine umfassende Modernisierung, und der Iran galt bei vielen westeuropäischen und nordamerikanischen Besuchern, aber auch manchen Einheimischen als die modernste und aufgeschlossenste, als die westlichste und fortschrittlichste Gesellschaft im Nahen Osten – wenigstens erschien es oberflächlich so. Die rasch wachsende Hauptstadt Teheran kannte, wie es sich für eine richtige Metropole gehörte, seinen täglichen Verkehrsstau. In den teuren Einkaufsstrassen flanierten Damen der Oberschicht in der neusten Pariser Mode und ihre Töchter trugen die Miniröcke, die damals üblich waren. Die Mehrheit der Bevölkerung, wenigstens in den grössten Städten, wohnte nicht in unhygienischen Slums und Bretterbuden, wie man das aus anderen Drittwelt-Metropolen kannte, sondern in zwar wenig schmucken, aber funktionalen Wohnblocks mit fliessend Wasser und Elektrizität. Und über all dem, über dieser, wie es schien, hervorragenden Bilanz mit glitzernder Fassade, thronte, im wahrsten Sinne des Wortes, der Schah.

Es war denn auch eine gewaltige Überraschung und brutale Ernüchterung, als dieser scheinbar so erfolgreiche und unantastbare Potentat innerhalb weniger als eines Jahres gestürzt wurde. Politiker, Militärs, Geheimdienstler, Akademiker, Journalisten – sie alle rieben sich die Augen. Wie war es möglich, dass man das nicht hatte sehen kommen, fragten sich viele. Wie haben wir uns derart blenden, verführen lassen?

Die Überraschung beschränkte sich aber nicht bloss darauf, dass der Schah gestürzt wurde. Im rigiden ideologischen Muster des Kalten Krieges waren Revolutionen das Privileg der Linken, der Progressiven, der Kommunisten. Allein schon die Tatsache, dass der Schah amerikanischer Verbündeter war, macht ihn zur Zielscheibe linker Kritiker und Gegner, zuhause und im Ausland. Nach der unerbittlichen Logik des Kalten Krieges hätte folglich sein Sturz nur durch linke Kräfte bewirkt werden können, an deren Spitze gemäss marxistischer Lehre eine "revolutionäre Avantgarde" zu stehen hatte. Bei allen "richtigen" Revolutionen des letzten halben Jahrhunderts war das ja so gewesen: 1917 hatten in Russland Lenin und die Bolschewisten die Revolution angeführt, 1949 in China Mao Zedong und die Kommunistische Partei, 1959 in Kuba Fidel Castro und seine "barbudos", die bärtigen Guerilleros, die mit ihm von der Sierra Maestra aus den Diktator Batista und seine amerikanischen Freunde vertrieben.

Doch im Iran lief etwas ganz anderes ab. Zwar stand an der Spitze des Aufstandes gegen den Schah durchaus so etwas wie eine straff organisierte "revolutionäre Avantgarde". Doch es war nicht etwa die lokale kommunistische Partei oder eine andere, wenigstens ordentlich linke Partei. Nein, es war vielmehr ein grosser Teil des schiitischen Klerus, und der Anführer der Revolution war Ayatollah Ruhollah Khomeini, ein Geistlicher. Klerus und Priester waren aber - immer nach marxistischer Diktion - Vertreter der am meisten rückwärtsgewandten, der reaktionärste Teile von Gesellschaft und Elite. Und das Volk, das sich da erhob, kämpfte offensichtlich nicht für den Sozialismus oder ein anderes fortschrittliches Ideal. Michel Foucault, französischer Philosoph und Intellektueller mit linken Neigungen, war in jenen Monaten im Iran unterwegs als Reporter. Er war begeistert vom Revolutionären, von der urtümlichen Kraft des Volkszorns. Als er aber bei seinen Recherchen die Demonstranten fragte, wogegen und wofür sie denn kämpften, antwortete vier von fünf Befragten: "Gegen den Schah" und "Für die islamische Regierung!" Von diesen Antworten war er dann doch sehr überrascht. Für viele Beobachter der damaligen Ereignisse war das das herausragende Merkmal dieser Revolution: Sie passte nicht ins Schema.

„Selbststärkung“

Iran war nie kolonialisiert worden. Das war eine Fügung, der im 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht viele Staaten ausserhalb Europas und Amerikas zuteil wurde. Thailand fällt noch in die gleiche Kategorie, ebenso Äthiopien. Und natürlich China und Japan. Allerdings gibt es beträchtliche Unterschiede bei den Gründen, weshalb in diesen Ländern keine Kolonialisierung stattfand: Im Falle von Iran, Thailand, China und bis zu einem gewissen Grad auch Äthiopien war die Bewahrung der Unabhängigkeit das Resultat von Rivalitäten unter den Kolonialmächten. Diese trafen sich in ihrem jeweiligen Expansionsdrang auf dem Territorium eines dieser erwähnten Staaten, und da die Kolonialmächte sich vor einer Konfrontation untereinander scheuten, beliessen sie diese Staaten formell unabhängig. Im Fall von Iran waren diese beiden Kolonialmächte das viktorianische England, das von Süden und Südosten in den Iran drängte, sowie das zaristische Russland, das von Norden Druck machte. Japan, auf der anderen Seite, wurde verschont, weil es als einziges aussereuropäisches Land erfolgreich eine Modernisierung durchführte und letztlich aus eigener Kraft dem kolonialen Druck widerstehen konnte. In den anderen, von den Europäern bedrängten Staaten gab es zwar auch solche Reformversuche. In Anlehnung an die nach 1850 eingeleiteten chinesischen Reformen spricht man in diesem Zusammenhang von Reformen der "Selbststärkung". Der Schwerpunkt dieser Selbststärkungsreformen la dabei einerseits auf der Zentralisierung staatlicher Macht, meist in den Händen des Monarchen, andererseits beim Aufbau einer schlagkräftigen Armee. Bezeichnend ist denn auch das Motto, unter dem die Reformen etwa in Japan vorangetrieben wurden: „Fukoku kyhohei – reiches Land, starke Armee.“ Um die neue Armee aber auch unabhängig vom Ausland ausrüsten zu können, war indes eine eigene Schwerindustrie nötig, welche die notwendige Bewaffnung herstellen konnte. Eine leistungsfähige und erfolgreiche Schwerindustrie zog aber eine vollständige Umgestaltung der Wirtschaft und letztlich auch der Gesellschafft und des Staates nach sich. Aus feudalen Agrarmonarchien sollten innert weniger Jahre zentralistisch-bürokratisch regierte Industriestaaten werden.

Es ist kein Wunder, dass die meisten aussereuropäischen Staaten diesen rasanten Übergang nicht oder nur sehr unvollständig schafften und schliesslich doch noch unter koloniale Herrschaft, zumindest aber in eine demütigende halbkoloniale Abhängigkeit fielen. Ein wichtiger Grund für die Erfolglosigkeit der Reformen war der Widerstand seitens lokaler Eliten, welche durch diese Reformen ihre eigene Macht zugunsten zentralstaatlicher Strukturen beschnitten sahen. Traditionelle, oft religiöse Kreise lehnten die Übernahme fremder, konkurrierender Weltanschauungen und Ideologien ab; weite Teile der von ihr in mannigfaltiger Weise abhängigen breiten Bevölkerung folgte ihnen in dieser Ablehnung, gefährdeten die Reformen doch die althergebrachte Lebensweise. Vielerorts, etwa in China, zeigten sich aber selbst die zentralstaatlichen Strukturen unfähig, sich selbst zu modernisieren. Das Gewicht der Tradition war zu schwer, als dass man sich davon lösen konnte. Schliesslich war die Haltung der Kolonialmächte bezüglicher Reformen ambivalent. Denn letztlich richteten sich diese ja gegen sie. Andererseits betrieben die wenigsten Kolonialmächte einen planmässigen, systematischen Ausbau ihrer überseeischen Imperien. Der Übergang zu einer systematischen Kolonialisierung setzte erst um etwa 1880 ein und blieb auf einen Zeitraum von etwas mehr von 20 Jahren beschränkt. Vorher waren Kolonien in der Innenpolitik der meisten Kolonialstaaten oft auch umstritten; sie wurden von ihren Gegnern als teuer und moralisch korrumpierend angesehen. In einem Punkt herrschte allerdings grosser Konsens durch das ganze 19. Jahrhundert hinweg: nämlich bezüglich der Notwendigkeit, die rohstoffreichen (oder angeblich rohstoffreichen) überseeischen Gebiete dem Welthandel zu öffnen. Sie sollten also kommerziell zugänglich sein – letztlich war dies auch der Grund, weshalb 1853 der amerikanische Commander Perry mit seinen Kanonenbooten in der Bucht von Tokio auffuhr und die Machthaber Japans zwang, das Land zu öffnen. Er löste damit, wohl ungewollt und gar nicht in dieser Form beabsichtigt, jene Reformen aus, die das Land auf den Pfad einer raschen, umfassenden Modernisierung führten und die Kolonialisierung Japans verhinderten. Wie auch immer: Die Kolonialmächten waren in der Regel gegenüber Modernisierungsreformen in aussereuropäischen Ländern nicht abgeneigt und förderten sie gar. Das Problem war, wenn diese Reformen scheiterten oder wenigstens nicht zum Ziel führten, effiziente und moderne Verwaltungen einzurichten, die ausländischen Kaufleuten, Händlern und Bankiers Rechtssicherheit und Besitztitel sichern konnten. Die Kolonialmächte sahen sich dann, aus ihrer eigenen Logik heraus, oft zur Intervention und eventuell zur Besetzung dieser Länder gezwungen.

Akteure in der Wechselwirkung von Reform und Widerstand

Iran war nach 1500 eines der drei monarchischen Grossreiche, welche die damalige islamische Welt dominierten und prägten: die anderen waren einerseits das Osmanische Reich, das von Ungarn bis in den Kaukasus und in den Irak sowie bis zu den Grenzen Marokkos reichte, und andererseits das fast den ganzen indischen Subkontinent umfassende Reich der Moghul. Nach 1700 begann diese Ordnung zu bröckeln, als Folge innerer Schwächungen und äusserem Druck. Als erstes kollabierte das Reich der Moghule. Das Osmanische Reich reagierte auf territoriale Verluste ab den 1830er Jahren mit einer Reihe von Reformen, die allerdings den Erhalt des Reiches langfristig auch nicht zu sichern vermochten; knapp hundert Jahre später wurde das Osmanische Reich durch die kemalistische Türkei abgelöst. Iran, oder, wie es damals noch genannt wurde, Persien, erlebte nach einer Zeit der Wirren im 18. Jahrhundert 1785 den Wechsel zu einer neuen Dynastie, den Kadscharen. Der kadscharische Staat war ein relativ lockeres Gebilde, über weite Teile des Reiches übte der Kaiser – der Schah - nur eine symbolische Herrschaft aus und die reale Macht vor Ort lag in den Händen von lokalen Stammes- und Feudalfürsten. Die Bevölkerung des Reichs belief sich auf etwas über 6 Millionen, wovon noch die Hälfte Nomaden und damit zu einem grossen Teil der Gewalt einer Zentralregierung faktisch entzogen waren.

Kurz nach dem Dynastiewechsel zu den Kadscharen kam es zu einer Reihe von kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem zaristischen Russland. Persien verlor grosse Gebiete im Norden. Ein Staatsbankrott verschärfte die Lage. Wie im Falle der Osmanen lancierten die Kadscharen nun eine Reihe von Reformen, um den Staat und die Gesellschaft zu modernisieren und stärken. Damit begann eine Phase, welche die Geschichte des Landes bis an den Vorabend der Revolution bestimmte – ja, die Revolution ist vielmehr Teil dieser Phase, und man sich mit Fug und Recht fragen, ob sie bis heute schon abgeschlossen ist. Drei durchaus heterogene Akteursgruppen bestimmten das Feld. Sie waren: der zunehmend bürokratisierte Zentralstaat, bis 1979 verkörpert durch die Monarchie (bis 1925 unter der Dynastie der Kadscharen, danach der Pahlavi); die mit dem Zentralstaat zeitweise paktierenden, zeitweise zu ihm in Opposition stehenden intermediären Kräfte, und schliesslich die Kolonialmächte beziehungsweise die ausländischen Akteure.

Zuerst zum Zentralstaat. Ziel der angestossenen Reformen war die Bildung eines Gewaltmonopols für die Monarchie: Voraussetzung für jede effiziente, moderne Verwaltung – ein Prozess, der in Europa tief im Mittelalter eingesetzt hatte und mit der Französischen Revolution im Wesentlichen zum Abschluss gekommen war. In Iran, wie in anderen aussereuropäischen Staaten, wo der Druck der Kolonialisierung bereits zu spüren war, musste dieser Prozess beschleunigt vor sich gehen. Doch die Schahs der Kadscharen waren im Dilemma: Die Durchsetzung von Ruhe und Ordnung als öffentlichem Gut und Bestandteil des Gewaltmonopols war nur möglich durch die Zusammenarbeit mit den lokalen Grossgrundbesitzern und Stammesfürsten. Doch es waren gerade sie, welche vielerorts die Hauptbedrohung von Ruhe und Ordnung waren, etwa durch das Austragen von Privatfehden. Das gleiche Dilemma zeigte sich beim Verhältnis zu den Kolonialmächten. Denn so sehr das Ziel der Reformen die Bewahrung der Selbstständigkeit des Landes war, so sehr waren die Schahs abhängig von ausländischen Fachkräften. Die Vergabe von Wirtschaftskonzessionen, Lizenzen und Monopolen an reiche Ausländer wurde zu einer der wichtigsten Ressourcenquellen des Zentralstaates. 1901 erhielt der britische Millionär und Abenteurer William Knox d'Arcy eine Konzession für die Ausbeutung von Öl. Eine moderne Armee und Polizei konnte nur dank Mithilfe des Auslandes aufgebaut werden. Italienische und schwedische Berater z.B. spielten lange eine wichtige Rolle bei der iranischen Nationalpolizei; nach 1942 übernahmen die Amerikaner diese Funktion, die bis 1976 andauerte. Da Persien nie zur Kolonie wurde, konnte die Monarchie allerdings die Rivalität der Kolonialmächte zu ihren Gunsten ausnutzen, was ihren Spielraum erhöhte und letztlich der Bewahrung der Selbstständigkeit des Landes zugutekam.

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert erlebte Iran mehrere Schübe monarchischer Zentralisierung und Modernisierung. Der nachhaltigste und wirkungsvollste dieser Schübe war jener, der nach der Absetzung der Kadscharen zu Beginn der 1920er Jahre durch einen ehrgeizigen Offizier namens Reza Khan einsetzte. Er war der Vater des später gestürzten Schahs, und er begründete die letzte Herrscherdynastie in Iran, die Pahlavi. Nach dem Vorbild der kemalistischen Türkei lancierte er Reformen. Trotz Rückschlägen und Misserfolgen, unter anderem beim Versuch, mit den Engländern einen neuen Vertrag über die Verteilung des Erdöleinkommens auszuhandeln, schuf er die Grundlagen für eine – im regionalen Vergleich – relativ entwickelte Industrie und einen verhältnismässig kompetenten Staat. Dabei zeigte er sich wenig zimperlich, auch bewunderte er Nazi-Deutschland. Er verlangte vom Ausland, fortan nicht mehr den Namen „Persien“ zu benutzen, sondern nur noch das heute gebräuchliche „Iran“ (Land der Arier).

Die intermediären Kräfte, die ausserhalb der monarchischen Zentralstaatlichkeit standen, waren einerseits traditionelle Kräfte wie etwa die Stammesfürsten, die Geistlichkeit oder der Bazar mit seinen einflussreichen Kaufmannsfamilien, Zünften und Gilden. Oft richtete sich der Widerstand dieser traditionellen Kräfte gegen die Reformen des Zentralstaates, weil sie die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen ihres eigenen Status antasteten. Andererseits kamen im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts, als Produkt der Modernisierung des Landes, neue Kräfte dazu: zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften, aber auch neue gesellschaftliche Schichten, so etwa ein modernes, an westlichen Vorbildern und am westlichen Lebensstil orientiertes städtisches Bürgertum. Diese unterstützten in der Regel die Reformen des Zentralstaates gegen die traditionellen Autoritäten wie die Geistlichkeit oder die Stammesfürsten. Andererseits waren sie sich wiederum mit letzteren einig in ihrer Opposition gegen die zum Teil sehr autoritären Methoden des Zentralstaates. Wie die Monarchie gingen diese Kräfte zur Verteidigung ihrer Rechte und Förderung ihrer Interessen Zweckallianzen mit einzelnen Kolonialmächten ein; denn diese verfolgten oft eine Politik der doppelten Absicherung: Sie bevorzugten zwar eine stabile und willfährige Zentralregierung, liehen aber gleichzeitig ausgesuchten intermediären Kräften ihre Unterstützung, falls die Zentralregierung sich als weder stabil noch als willfährig zeigten. So unterstützen die Briten in der ganzen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Stammesführer der Bachtiaren, Ghashghai, Araber, Kurden und Baluchen im Süden des Landes, um sich dort eine Einflusszone zu halten. Die Geistlichkeit wiederum suchte die Unterstützung der Briten, als Reza Khan mit der Ausrufung einer Republik nach türkischem Vorbild liebäugelte (was dem Klerus, angesichts der Behandlung, welche Atatürk ihren türkischen Berufskollegen angedeihen liess, als Teufelszeug erschien). Sie konnten schliesslich Reza Khan von seinen republikanischen Plänen abbringen und die eigene Kaiserkrönung schmackhaft zu machen. Was die modernen intermediären Kräfte anbelangte, suchten einige, wie etwa die Kommunisten, ihr Heil in der Anlehnung an eine ausländische Macht - der Sowjetunion.

Wie gesagt: Beide Gruppen spannten gelegentlich zusammen gegen die autokratischen Methoden der Schahs. Eine erste machtvolle Demonstration ihres Durchsetzungsvermögens zeigte sich in den 1890er Jahre, als die Geistlichkeit zum Boykott von Tabak aufrief, nachdem der Schah das Tabak-Verkaufsmonopol an einen britischen Major vergeben hatte. Der Schah musste die Konzession schliesslich zurücknehmen. Zu einer regelrechten Eruption gegen den monarchischen Absolutismus kam es aber 1905/1906. Nicht zuletzt unter dem Einfluss der Ereignisse im benachbarten Russland, wo dem Zar nach revolutionären Unruhen eine Verfassung abgerungen wurde, forderten Geistlichkeit, Basar und Stämme ein Mitspracherecht. Der Schah musste schliesslich ein Parlament und eine Verfassung zugestehen. Sie schränkten den bisher formal geltenden monarchischen Absolutismus ein; wenigstens auf dem Papier wurden nun aus bisher rechtlosen Untertanen Persiens Bürger. Die Umwälzungen dieser sogenannten Konstitutionellen Revolution stürzte das Land aber schliesslich in Instabilität, die bis in die zwanziger Jahre anhielt, als Reza Khan die Macht übernahm. Er regierte autoritär; die Verfassung blieb indes formell in Kraft. 1941 wurde er zur Abdankung gezwungen und die parlamentarische Regierungsform lebte erstmals so richtig auf. Diese Phase erreichte ihren Höhepunkt in den frühen fünfziger Jahren. 1951 verstaatlichte Ministerpräsident Mohammad Mossadegh gegen den Widerstand Grossbritanniens die iranischen Erdölvorkommen. Das führte zu einer tiefen Krise mit London; die Briten boykottierten fortan iranisches Erdöl, was dem Land eine schwere Rezession bescherte. Trotzdem gewann Mossadegh durch diesen Schritt ungeheure Popularität. Der Schah unterstützte ihn anfänglich. Doch schon bald begann er Mossadegh als Rivalen zu fürchten. Er suchte Unterstützung bei den Engländern und Amerikanern; diese wiederum waren besorgt, da Mossadeghs nun auch Support durch die Kommunisten erhielt. Es war die Zeit des Kalten Krieges. Die Armee, die Geistlichkeit und andere konservative Kreise der iranischen Gesellschaft waren zutiefst besorgt und fürchteten um ihre Stellung unter einem immer mehr nach links abdriftenden Mossadegh. Das alles kulminierte schliesslich in dramatischen Ereignissen im August 1953. Am Ende dieser Vorgänge war Mossadegh abgesetzt, der Schah und die mit ihm verbündeten Kräfte hatten sich durchgesetzt. Das Parlament wurde entmachtet; mit Unterstützung der Armee herrschte nun wieder der Schah.

Das führt zur dritten Akteursgruppe, nämlich den Kolonialmächten beziehungsweise den Grossmächten. Die Bedeutung ausländischer Fachkräften und Abenteurern für die Modernisierung des iranischen Staates ist bereits erwähnt worden. Bei den Kolonialmächten überwog bis zum Ersten Weltkrieg der russische Einfluss. Nicht zuletzt unter dem Eindruck eines möglicherweise bevorstehenden Krieges mit Deutschland beendeten Russland und Grossbritannien allerdings ihre Rivalität und einigten sich 1907 darauf, Iran in Einflusszonen aufzuteilen - die Russen erhielten den Norden inklusive der Hauptstadt Teheran zugewiesen, die Briten jenen Teil des Südens, der direkt an die eigenen Herrschaftsgebiete im heutigen Pakistan angrenzten. Die Kadscharen blieben aber auf dem Thron und Iran konnte sich zumindest nominell die Unabhängigkeit bewahren, was London und Moskau ohnehin mehr diente, konnten sie dadurch doch eine aufwändige und kostspielige eigene Verwaltung einzurichten vermeiden.

So sehr Russland vor dem Ersten Weltkrieg den grösseren Einfluss hatte, so sehr wuchs das Interesse Grossbritanniens am Iran. 1908 fand man Öl bei Abadan im Süden des Landes; die britische Flotte rüstete derweilen von Kohle- auf Ölfeuerung um. Iran wurde zum weltweit zweitgrössten Erdölproduzent nach den USA. Die britische Regierung erwarb die Aktienmehrheit der Anglo-Persian Oil Company, der Vorläuferin der heutigen BP, die das Monopol für Erdölförderung im Iran hatte. Nach der bolschewistischen Revolution in Russland 1917 gewann Iran aus britischer Sicht weiter an Bedeutung, nämlich als Pufferzone gegen die Sowjetunion. Die Briten förderten den Aufstieg von Reza Khan, der einen kommunistischen Aufstand im Norden Iran niederschlug und damit den Einfluss der Sowjetunion auf null reduzierte. Doch Reza Khan, der nach der Thronbesteigung den Namen in Reza Schah wechselte, missfiel wie allen iranischen Nationalisten der Einfluss Grossbritanniens. Er suchte deshalb Alternativen, um das Gewicht Englands auszubalancieren. Er lehnte sich zeitweise vermehrt an Frankreich an und suchte ein engeres Verhältnis zur Türkei; vor allem aber suchte er, wie erwähnt, in den dreissiger Jahren die Nähe zu Nazi-Deutschland.

Das wurde ihm im Zweiten Weltkrieg zum Verhängnis. Die Briten und die Sowjetunion waren jetzt Verbündete im gemeinsamen Kampf gegen Hitler; sie fürchteten, dass Reza Schah auf die deutsche Seite wechseln könnte, wie dies bereits im April 1941 die irakische Regierung getan hatte. Damit wäre im Rücken der Allianz, die gegen die Achsenmächte kämpfte, eine zweite Front entstanden. Um dem zuvorzukommen, marschierten im August 1941 britische und sowjetische Truppen in den Iran ein. Reza Schah leistete nur kurz Widerstand und kapitulierte schliesslich beziehungsweise dankte ab und ging ins Exil. Das Land wurde in Besatzungszonen eingeteilt, mit den Sowjets im Norden und den Briten im Süden. Iran schien wieder in die düstersten Zeiten des Imperialismus zurückgeworfen. Zwar war es theoretisch Verbündeter der Alliierten, doch faktisch wurde es behandelt wie besetztes Feindesland. Immerhin verpflichteten sich die Alliierten, innert sechs Monate nach Beendigung des Kriegszustandes den Iran wieder zu räumen. Zudem wurden die Briten im Süden zunehmend durch die Amerikaner als neue Macht ersetzt.

Als 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, wurde Iran zu einem ersten Kampffeld des heraufziehenden Kalten Krieges. Die Sowjets weigerten sich, ihrer Verpflichtung nachzukommen und sich aus dem Norden zurückzuziehen. Stattdessen forderten sie eine Beteiligung an der iranischen Erdölförderung; zudem ermutigten sie Separatisten unter den Kurden und in Aserbaidschan, ihre eigenen Staaten auszurufen. Die Amerikaner dagegen unterstützten den Schah und seine Regierung. Nach einigen diplomatischen Verrenkungen und auch militärischen Drohungen seitens der Amerikaner zogen die Sowjets im Frühjahr 1946 doch noch ab, ihre kurdischen und aserbaidschanischen Verbündeten lieferten sie der Rache des Schahs aus.

[...]

Fin de l'extrait de 31 pages

Résumé des informations

Titre
Die iranische Revolution: Modernisierung, Religion und Herrschaft
Université
University of Zurich
Cours
Master of Advanced Studies in Applied History
Auteur
Année
2012
Pages
31
N° de catalogue
V314451
ISBN (ebook)
9783668137875
ISBN (Livre)
9783668137882
Taille d'un fichier
751 KB
Langue
allemand
Mots clés
Revolution, Islamismus, Iran, Khomeini, Schah, USA, Naher Osten, Saddam Hussein, Irak, Islamische Revolution, Modernisierung, Kolonialismus, Kolonialisierung, Politischer Islam, Iranisch-Irakischer Krieg, Golfkrieg
Citation du texte
Dr. phil. hist. Rolf Tanner (Auteur), 2012, Die iranische Revolution: Modernisierung, Religion und Herrschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314451

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