Tag für Tag versorgen verschiedene Medienkanäle die deutsche Bevölkerung mit aktuellen Nachrichten. Die Errungenschaften in den Bereichen der Massenmedien und der digitalen Technologien ermöglichen jederzeit und allerorts einen Zugriff auf die aktuellsten Informationen. In unserer „Informations- und Wissensgesellschaft“ (Zillien 2009) ist die Nachrichtenversorgung gar Bestandteil der verfassungsrechtlich gesicherten „Grundversorgung“. Die öffentlich-rechtlichen Nachrichtenversorger sind angehalten, die demokratische Ordnung und das kulturelle Leben in der Bundesrepublik zu bewahren und zu befördern (BVerfGE 73, 118 [155]).
Im Jahre 1970 stellten Tichenor, Donohue und Olien ihre Hypothese der wachsenden Wissensklüfte vor und stellten damit die bisherigen Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung auf den Prüfstand. Der, wie ursprünglich angenommen, homogenisierenden Rolle der Massenmedien (Integration und Sozialisation) stellte sich somit eine dysfunktionale Differenzierungstheorie entgegen (Isolation und Ungleichheit). Die Autoren der Wissenskluft-Hypothese argumentieren, dass Massenmedien eine strukturelle Ungleichverteilung von Wissen transportieren. Steigt demnach der medienvermittelte Informationsfluss in einem Gesellschaftssystem, so verstärken sich auch die Wissensdisparitäten zwischen den Bevölkerungssegmenten mit einem höheren und einem niedrigeren sozioökonomischen Status, da Erstere in größerem Ausmaß von diesen Informationen profitieren. Dieses (scheinbar) paradoxe Phänomen ist Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Denn obgleich die Formulierung der Ausgangshypothese bald ein halbes Jahrhundert zurück liegt, so erfährt die Wissenskluftforschung unter der Maxime „Digital Divide“ noch heute eine rege Beforschung und ist von großer gesellschaftspolitischer Brisanz.
Der konfliktorientierte und gesellschaftskritische Ansatz der Wissenskluft-Hypothese zieht jedoch nicht nur die Erfüllung der Aufgabe der vierten Gewalt in Zweifel, nämlich die egalitäre Erhöhung des Wissensstandes der Gesamtbevölkerung, ferner wankt auch die Erfüllung der politischen Funktion der Massenmedien. Im Verlaufe der Arbeit stelle ich vor, inwiefern der anwachsende Informationsfluss das für den „mündigen Bürger“ nötige Mindestmaß an „Rezeptwissen“ (vgl. Berger/Luckmann [1966] 1977) und somit seine Politikmündigkeit beeinflusst.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- „Knowledge Gap\" - Die Ausgangshypothese
- Empirische Begründung der Hypothese
- Weiterentwicklung der Ausgangshypothese
- Differenzierung nach Themen
- Differenzierung nach Wissensformen
- Differenzierung nach Einflussfaktoren
- Differenzierung nach Art der verursachten Klüfte
- Zwischenresümee
- Das Fernsehen als „Knowledge-Leveler“?
- Das Gesellschaftssystem der Moderne
- Wissenskluftforschung heute: „Digital Divide“
- „Digital Divide“ – Eine reale Bedrohung?
- Neue Medien und soziale Ungleichheiten
- Closing the Gaps – Konzepte, Kritiken und Kalamitäten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der „Knowledge-Gap-Hypothese“ und untersucht die wachsenden Wissensklüfte in der Gesellschaft. Sie analysiert die Entwicklung der Hypothese von ihren Anfängen bis hin zur aktuellen Diskussion um den „Digital Divide“. Dabei werden die Auswirkungen des Informationsflusses auf die politische Mündigkeit der Bürger und die Rolle der Massenmedien im Kontext sozialer Ungleichheit beleuchtet.
- Entwicklung und Bedeutung der „Knowledge-Gap-Hypothese“
- Analyse der Ursachen und Folgen der Wissensklüfte
- Die Rolle des Fernsehens und neuer Medien im Kontext der Wissenskluftforschung
- Bedeutung des „Digital Divide“ für die soziale Ungleichheit
- Mögliche Ansätze zur Reduzierung von Wissensklüften und deren Kritik
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Ausgangshypothese der Wissenskluftforschung vor und erläutert deren Bedeutung für die Medienwirkungsforschung. Kapitel 2 beleuchtet die empirische Begründung der Hypothese und Kapitel 3 diskutiert die Weiterentwicklung der Hypothese, die sich durch verschiedene Differenzierungen in Teilaspekte aufteilt.
Die Kapitel 4 und 5 befassen sich mit dem Fernsehen als potenziellem „Knowledge-Leveler“ und dem Gesellschaftssystem der Moderne, während Kapitel 6 die aktuelle Wissenskluftforschung unter dem Begriff „Digital Divide“ behandelt.
Kapitel 7 analysiert die Herausforderungen des „Digital Divide“ für die Gesellschaft, und Kapitel 8 befasst sich mit den Auswirkungen neuer Medien auf soziale Ungleichheiten.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit zentralen Themen der Wissenskluftforschung, insbesondere der „Knowledge-Gap-Hypothese“, „Digital Divide“, „Massenmedien“, „soziale Ungleichheit“, „politische Mündigkeit“ und „Informationsfluss“. Darüber hinaus werden wichtige Begriffe wie „Rezeptwissen“, „Kapitalsorten“ (Bourdieu) und „Informationsgesellschaft“ behandelt.
- Citar trabajo
- Frank Harper (Autor), 2014, Die Wissenskluft-Perspektive, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319433