Die Europäische Demokratie. Inwiefern hat der Vertrag von Lissabon das Demokratiedefizit der EU behoben?


Trabajo Escrito, 2016

21 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Gliederung

1. Einleitung

2. Die europäische Demokratie

3. Der Streit um das Demokratiedefizit
3.1 Mythos Demokratiedefizit
3.1.1 Majone – Die EU in der Legitimationskrise
3.1.2 Moravcsik
3.2 Die „Standard-Version“ des Demokratiedefizites

4. Charakterisierung des Demokratiedefizites
4.1 Die Autoren
4.2 Kritikpunkte
4.2.1 Institutionelle Defizite
4.2.2 Strukturelle Defizite

5. Der Vertrag von Lissabon
5.1 Grundlegendes
5.2 Neuerungen
5.2.1 Repräsentative Elemente:
5.2.2 Partizipative Elemente
5.2.3 Stärkung nationaler Parlamente

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Zu Beginn der 1990er Jahre und spätestens mit der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrages über die Europäische Union (im Folgenden auch EU genannt) wandelte sich die Wahrnehmung der europäischen Politik. Der „permissive Konsens“[1], der die Europäische Gemeinschaft bis dato getragen hatte, befand sich in der Auflösung. Der Europäische Integrationsprozess hatte als Projekt der wirtschaftlichen und politischen Elite seinen Anfang genommen.[2] Dadurch erschien der europäische Integrationsprozess größtenteils nicht auf dem Wahrnehmungsradar der Öffentlichkeit. Durch die Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages rückte die europäische Politik dann ins Sichtfeld der europäischen Bevölkerung. Denn zunehmend „erscheint die EU nun als eine politische Institution, die Herrschaft ausübt und damit den komplexen Kriterien politischer Legitimation in der Moderne unterliegt“.[3] An die Stelle des wohlwollenden Desinteresses der breiten europäischen Bevölkerung trat eine kritische Auseinandersetzung mit europäischen Politikprozessen.

Seitdem litt und leidet die EU bis heute an sinkenden Zustimmungswerten. Auch die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen nimmt immer weiter ab.[4] Aber die Bedeutung der EU wächst weiterhin, unter anderem für das alltägliche Leben der europäischen Bürger. Denn seit 1992 steigt die Anzahl der von der EU erlassenen Gesetze und Verordnungen.

Daraus ergibt sich die Frage, wieso die Bürger diese Wichtigkeit verkennen oder sie vor dem Hintergrund der mangelnden Legitimation sogar ignorieren. Das Demokratiedefizit könnte der Schlüssel auf die Antwort dieser Frage sein.

Nachdem der Entwurf einer europäischen Verfassung scheiterte, hat die Europäische Union im Vertrag von Lissabon versucht, mit Reformen der EU-Institutionen auf das Problem des Demokratiedefizites zu reagieren. Es wurde erwartet, dass der Vertrag von Lissabon die demokratische Legitimation der EU erhöhen, die Arbeitseffizienz steigern und die Zuständigkeiten innerhalb der EU klar definieren würde. Diese Hausarbeit soll beitragen, anhand dieser Indikatoren zu klären, inwiefern das Demokratiedefizit mit dem Vertrag von Lissabon behoben werden konnte. Daraus könnte in weiterführender Forschung geschlossen werden, wie sich die EU entwickeln müsste, um das Demokratiedefizit zu begrenzen und damit steigende Wahlbeteiligung zu generieren.

Die Hausarbeit setzt sich zum Ziel, die wissenschaftliche Debatte über das Demokratiedefizit wiederzugeben. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Kontroverse zwischen Hix/Follesdal und Majone/Moravcsik sowie ihren Vorstellungen über Demokratie und das Demokratiedefizit.

Außerdem ist es Ziel der Hausarbeit, das Demokratiedefizit zu charakterisieren und zu untersuchen, inwiefern es der EU mit dem Vertrag von Lissabon gelungen ist, das Demokratiedefizit zu beheben. Dazu werden die Komponenten des Demokratiedefizites und die Neuerungen des Lissabonner Vertrages zusammengetragen und gegenübergestellt. Grundlage hierfür ist eine genaue Literaturrecherche zum Thema.

Den Schlussteil bildet das Fazit, das aus dieser Gegenüberstellung gewonnen werden konnte.

2. Die europäische Demokratie

In diesem Teil wird die Grundsatzdebatte zum Demokratiedefizit zwischen Simon Hix und Andreas Follesdal, die die demokratische Legitimation der EU-Institutionen kritisch sehen, und Giandomenico Majone und Andrew Moravcsik, die die EU in einer Legitimationskrise sehen, umrissen.

Um die Argumentation der Autoren verstehen zu können, ist es wichtig, ein Bild von den unterschiedlichen demokratietheoretischen Herangehensweisen zu haben.

Die Definitionen der Demokratie sind so vielfältig wie ihre Erscheinungsformen. Von dem griechischen Begriff „demokratia“ abgeleitet (demos = Volk und kratein = herrschen) bedeutet es so viel wie „Volksherrschaft“ oder „Herrschaft des Volkes“[5].

Andreas Follesdal hat 1998 folgende 6 Bedingungen für eine moderne Demokratie aufgestellt:[6]

1.) institutionally established procedures that regulate,
2.) competition for control over political authority,
3.) on the basis of deliberation,
4.) where nearly all adult citizens are permitted to participate in
5.) an electoral mechanism where their expressed preferences over alternative candidates determine the outcome
6.) in such ways that the government is responsive to the majority or to as many as possible.

Dem gegenüber stellen Majone und Moravcsik ein anderes, reduziertes Demokratieverständnis. Für sie „bedeutet Demokratie in erster Linie die Verhinderung von Machtmissbrauch. Gemessen an diesem Kriterium ist die EU demokratisch, denn die konsensorientierte Form der Entscheidungsfindung und die Vielzahl von Vetospielern stellen sicher, dass Macht zahlreichen Kontrollen und Beschränkungen unterliegt.“[7]

3. Der Streit um das Demokratiedefizit

Grundsätzlich können in der Debatte um das Demokratiedefizit zwei Lager ausgemacht werden. Zwischen Majone und Moravcsik auf der einen Seite und Hix und Follesdal auf der anderen Seite hat sich eine große Konfliktlinie in Bezug auf das Demokratiedefizit aufgetan. Während Majone und Moravcsik argumentieren, die EU leide unter keinem Demokratiedefizit, sondern eher unter einer Legitimationskrise[8], legen Hix und Follesdal in ihrem Kommentar „Why there is a democratic deficit in the EU“ im Journal Of Common Markets eine „Standard-Version des Demokratiedefizites“[9] fest.

3.1 Mythos Demokratiedefizit

Hix‘ und Follesdals „Standard-Version“ des Demokratiedefizites gingen zahlreiche Publikationen von Giandomenico Majone und Andrew Moravcsik voraus, die ein Demokratiedefizit anzweifeln.

3.1.1 Majone – Die EU in der Legitimationskrise

Giandomenico Majone sieht die EU als ein nichtstaatliches Gebilde, das deshalb auch keinen demokratischen Ansprüchen, wie sie normativ formuliert werden, unterliegen müsse. Vielmehr sei die EU ein „regulatory state“, der lediglich das Ziel hat Marktverfehlung zu korrigieren oder technokratische Lösungen für grenzübergreifende Probleme zu finden.[10] Von diesem Punkt ausgehend behauptet Majone, dass eine Demokratisierung gar nicht wünschenswert sei. Die Partizipation an einer technokratischen Lösungsfindung solcher grenzübergreifenden Probleme würde eher unbedachte, kurzfristig angelegte Lösungen nach sich ziehen, die aber nicht im längerfristigen Interesse seien.[11]

So gesehen leide die EU lediglich an einer Legitimationskrise, deren Lösung sich Majone folgendermaßen vorstellt:

„What the EU needs is more transparent decision-making, ex post reviews by courts and ombudsmen, greater professionalism and technical expertise, rules that protect the rights of minority interests, and better scrutinity by private actors, the media and parlamentarians at both the EU and national levels.“ [12]

Außerdem sieht Majone eine Gefahr in der zunehmenden Politisierung der EU:

„A less technocratic, more political Commission may enjoy greater democratic legitimacy, but eventually it will have to face the same commitment problem of all democratic governments“ [13]

Die Legitimationsquelle liegt für Majone in der friedenssichernden und wohlfahrtsfördernden Politik der EU, die wenn auch wenig partizipatorisch ausgelegt, ihren Zweck durchaus erfüllt.

3.1.2 Moravcsik

Moravcsiks Argumentation geht, ebenso wie die Majones, von der Grundlage aus, dass die EU genug positiven Output generiert, um legitim zu sein.[14]

Moravcsik fügt hinzu, dass die Europäische Union genügend checks and balances unterliegt und zudem durch die demokratisch legitimierten Nationalstaaten ausreichend legitimiert ist:

„Constitutional checks and balances, indirect democratic control via national governments, and the increasing powers of the European Parliament are sufficient to assure that the EU policy-making is, in nearly all cases, clean, transparent, effective, and politically responsive to the demands of European citizens.“ [15]

Weiter, so Moravcsik, würden viele Wissenschaftler die Europäische Union als eine von den Nationalstaaten losgelöste Institution betrachten. Man übersehe aber dabei, dass die Europäische Union nur solche Aufgaben erfülle, welche auch in den europäischen Nationalstaaten an Expertenkommissionen delegiert werden würden. Diese seien vor allem solche, die von Natur aus wenig partizipatorisch angelegt seien, da sie ein hohes Maß an Expertise benötigen. Dadurch würde lediglich die Effizienz und Leistungsfähigkeit des politischen Systems steigen.[16]

Moravcsiks Schlussfolgerung ist, dass die EU ohne diesen Zusammenhang betrachtet undemokratisch erscheine, es in Wirklichkeit aber gar nicht sei.[17]

Moravcsik akzeptiert allerdings auch den Standpunkt, dass es den EU-Institutionen an demokratischer Legitimation mangelt. Er sieht ein Problem darin, dass mit dem Europäischen Parlament lediglich eine von drei maßgebenden EU-Institutionen dezentral vom Volk gewählt werde. Dieser Fehler sei aber im Lichte der ausreichenden Output-Legitimation der EU hinnehmbar.[18]

3.2 Die „Standard-Version“ des Demokratiedefizites

Simon Hix und Andreas Follesdal haben 2005 in einem zusammen verfassten Fachzeitschriftsbeitrag eine erweiterte „Standard-Version“ des Demokratiedefizites festgelegt.

Der Artikel wurde in Reaktion auf die Äußerungen Giandomenico Majones und Andrew Moravcsiks verfasst.

Hix und Follesdal stellen fest, dass es keine allgemeingültige Definition des Demokratiedefizites gäbe. Vielmehr unterscheide sich die Auslegung von Wissenschaftler zu Wissenschaftler.

Hix stellt fest, dass die EU mit ihren weitreichenden Institutionen und Befugnissen, beispielsweise einer Gesetzgebung, die für alle Mitgliedstaaten bindend ist, weitaus mehr ist, als eine internationale Organisation und deshalb den demokratischen Standards der Mitgliedsstaaten entsprechen. Geht man diesen Ansprüchen nach, so zeichnen sich deutliche Defizite in Bezug auf die Demokratisierung der EU-Institutionen ab.[19]

In dem Artikel führen Hix und Follesdal fünf wesentliche Punkte aus, die das Demokratiedefizit am besten charakterisieren.

1.) Hix und Follesdal behaupten, dass schon das Zustandekommen europäischer Politik undemokratisch sei. So sei die Exekutive der Europäischen Union im Vergleich zu ihrer demokratischen Legitimation mit überproportional vielen Kompetenzen ausgestattet. Im Vergleich zu den Mitgliedsstaaten, in denen die Exekutiven von den gewählten Parlamenten abhängig sind, sei die Europäische Kommission unabhängig von der Kontrolle der nationalen Parlamente. Dies führe dazu, dass Regierungen bei ihren Entscheidungen auf europäischer Ebene keine Rücksicht auf ihre nationalen Parlamente nehmen müssten.[20]
2.) An diesen Punkt anknüpfend argumentieren Hix und Follesdal, dass das Europäische Parlament nicht genügend Befugnisse habe. Auch wenn Hix und Follesdal sehen, dass das Europäische Parlament seit den 1980ern sukzessiv verstärkt wurde, kann für sie die Übertragung des Veto-Rechts und die Verfügung über die nicht-obligatorischen Ausgaben an das Europäische Parlament das Übergewicht des Ministerrates und der Europäischen Kommission nicht aufbrechen.[21]
3.) Als dritten Punkt monieren Hix und Follesdal die Wahlen zum Europaparlament. Ihnen fehlt der wirkliche Bezug zu gesamteuropäischen Inhalten, denn die antretenden Parteien seien länderspezifisch und würden wenig Wert auf europäische Politikinhalte legen. Stattdessen sei die Europawahl eine „Wahl zweiter Klasse“[22], denn die Interessen der Bürger haben, so Hix und Follesdal, höchstens einen indirekten Einfluss auf das Agendasetting europäischer Politik. Um diesem Problem Einhalt zu gebieten, schlagen die beiden Wissenschaftler eine Wahl mit herkömmlicher Regierungsbildung vor.
4.) Viertens befinden Hix und Follesdal, dass die Europäische Union schlicht zu weit von den Wählern entfernt sei. Sie unterscheide sich zu sehr von den nationalen Demokratien, beispielsweise durch den Zwang zwischen gesamteuropäischen und nationalstaatlichen Lösungen zu vermitteln und Einigungen zu erzielen. In Folge dessen sei die EU so komplex, dass sie von den Wählern gar nicht komplett verstanden werden könne. Außerdem könne die Debatte im Europäischen Parlament durch die multilinguale Zusammensetzung und das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit nicht verfolgt und kontrolliert werden.
5.) Als Ergebnis dieser Defizite ergibt sich für Hix und Follesdal folgende Schlussfolgerung:
„Governments are able to undertake policies at the European level that they cannot pursue at the domestic level, where they are constrained by parliaments, courts and corporatist interest group structures.“ [23]

[...]


[1] Lindberg, L. N.; Scheingold, S. A. (1970): Europe's Would-be Polity: Patterns of Change in the European Community: Prentice-Hall.

[2] Rauh, Christian; Zürn, Michael (2014): Zur Politisierung der EU in der Krise. In: Martin Heidenreich (Hg.): Krise der europäischen Vergesellschaftung?. Soziologische Perspektiven.

[3] Ebd.

[4] Europäisches Parlament (2015): Wahlbeteiligung.

[5] Raveloson; Jean-Aimé A.; Becker, Paula (2008): Was ist Demokratie?

[6] Aus: Føllesdal, Andreas; Koslowski, Peter (Hg.) (1998): Democracy and the European Union. Conference Democracy and the European Union.

[7] In: Hurrelmann, Achim (2008): Demokratie in der Europäischen Union. Eine Bestandsaufnahme. Aus: Majone, Giandomenico (1998): Europe's "Democratic Deficit". A Question Of Standards.; Moravcsik, Andrew (2002): Reassessing Legitimacy in the European Union.

[8] Majone, Giandomenico (2000): The Credibility Crisis of Community Regulation.

[9] Follesdal, Andreas; Hix, Simon (2006): Why There is a Democratic Decifit in the European Union. A Response to Majone and Moravcsik.

[10] Majone, Giandomenico (1998): Europe's "Democratic Deficit". A Question Of Standards.

[11] Ebd.

[12] In: Follesdal, Andreas; Hix, Simon (2006): Why there is a democratic deficit in the European Union. Aus: Majone, G. (2000): The Credibility Crisis of Community Regulation.

[13] Aus: Ebd.

[14] Moravcsik, Andrew (2002): In Defense of the “Democratic Deficit”: Reassessing Legitimacy in the European Union.

[15] Moravcsik, Andrew (2002): In Defense of the “Democratic Deficit”: Reassessing Legitimacy in the European Union.

[16] Aus: Schäfer, Armin: Nach dem permissiven Konsens. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union. In: Moravcsik, Andrew: In Defense of the “Democratic Deficit”: Reassessing Legitimacy in the European Union.

[17] Moravcsik, Andrew: In Defense of the “Democratic Deficit”: Reassessing Legitimacy in the European Union.

[18] Ebd.

[19] Follesdal, Andreas; Hix, Simon (2006): Why there is a democratic deficit in the European Union.

[20] Ebd.

[21] Ebd.

[22] Reif, Karlheinz; Schmitt, Hermann (1980): Nine Second-Order Elections. A conceptual framework for Analysis of European Election Results.

[23] Aus: Follesdal, Andreas; Hix, Simon (2006): Why there is a democratic deficit in the European Union.

Final del extracto de 21 páginas

Detalles

Título
Die Europäische Demokratie. Inwiefern hat der Vertrag von Lissabon das Demokratiedefizit der EU behoben?
Universidad
Free University of Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Curso
Europäische Integration
Calificación
1,3
Autor
Año
2016
Páginas
21
No. de catálogo
V324293
ISBN (Ebook)
9783668234253
ISBN (Libro)
9783668234260
Tamaño de fichero
544 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
europäische, demokratie, inwiefern, vertrag, lissabon, demokratiedefizit
Citar trabajo
Jan Onno Steenweg (Autor), 2016, Die Europäische Demokratie. Inwiefern hat der Vertrag von Lissabon das Demokratiedefizit der EU behoben?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/324293

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