Angebotsmanagement und "Competitive Bidding"-Modelle in der Bauwirtschaft


Trabajo de Seminario, 1999

49 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Ausschreibungssituation, die Einflußfaktoren auf das Angebots ­ma ­nagement und die Grundzüge von "Competitive Bidding"-Modellen

3. Ausgewählte "Competitive Bidding"-Modelle
3.1. Wahrscheinlichkeitsmodelle – das Modell von Pin und Scott
3.1.1 Die Modellierung des bidding problems
3.1.1.1 Gegenstand und Ziel des Modells
3.1.1.2 Annahmen und Voraussetzungen des Modells
3.1.1.3 Die Formulierung des Modells
3.1.2 Kritik
3.1.2.1 Fehleranfälligkeit des Modells – eine Sensitivitätsanalyse
3.1.2.2 Modellinterne Kriterien
3.1.2.3 Modellexterne Kriterien – Praxisbezug
3.2 Nutzenmodelle – das Modell von Dozzi, AbouRizk und Schroeder
3.2.1 Die Modellierung des Problems der Nutzenmaximierung
3.2.1.1 Gegenstand und Ziel des Modells
3.2.1.2 Annahmen und Voraussetzungen des Modells
3.2.1.3 Die Formulierung des Modells
3.2.2 Kritik
3.2.2.1 Komplexität und Flexibilität des Modells – eine Beispielrechnung
3.2.2.2 Modellinterne Kriterien
3.2.2.3 Modellexterne Kriterien – Praxisbezug
3.3 Resümee: Vergleich und Bewertung der Modelle

4. Anhang
4.1 Tabellen für k-Werte und cn-Werte
4.2 Von-Mises-Verfahren und Berechnung von Eigenwerten und Eigen ­vektoren

5. Literaturverzeichnis
5.1 Verzeichnis der verwendeten Literatur
5.2 Verzeichnis weiterer, nicht in die Arbeit eingegangener Literatur

1. Einleitung

Der Begriff des "Competitive Bidding" bezeichnet das Bieten unter Wettbewerbs­be­din­gun­gen, d. h. das Formulieren von Angeboten in der Situation der Ausschreibung (Sub­mission)[1]. Kennzeichnend für diese Situation ist das Bieten mehrerer Wettbewerber, wobei Preisentscheidungen im Rahmen einer Ausschreibung als endgültig anzusehen sind[2]. "Competitive Bidding" in der Bauwirtschaft bezieht sich somit auf die Abgabe von Angeboten und Angebotspreisen für eine qualitativ und quantitativ präzisierte Bauleistung. Der Bieter steht dabei einerseits vor der Frage, ob er überhaupt bieten will (problem of bidding), andererseits vor der Frage, wie ein Angebot zu gestalten ist, das zugleich Kon­kurrenz­an­ge­bote schlägt und einen ausreichenden oder optimalen Gewinn mit sich bringt (bidding problem). Die Problemstellung des bidding problem legen de Neufville, Hani und Lesage folgendermaßen dar[3]:

A bidder must, first of all, develop a good estimate of the actual costs of construction, properly accounting for all the uncertainties in the price of labour and materials, the quantities required, and the difficulties. To obtain a worthwhile contract, he must in addition outguess his competitors and should do so at the least cost to himself. If his bid is too high, he fails to get the contract and loses the time and money spent on preparing the proposal. When he bids much lower than his rivals, he loses again. This time he obtains the contract, but has undertaken to fulfill it at a price far lower than necessary. [...] A good bid will both allow for a decent profit and yet be fractionally less than any others.

Das Problem besteht demnach darin, daß ein hoher Angebotspreis mit einem hohen Deckungsbeitrag bzw. Gewinn verbunden ist, aber nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit, den Auftrag zu erhalten, während ein niedriger Preis mit einer hohen Zuschlagswahrschein­lich­keit verknüpft ist, aber nur einen geringen Gewinn oder sogar einen Verlust bedeuten kann. Die Festlegung des Angebotspreises zwischen dem im voraus unbekannten "Prohi­bi­tiv­preis" des zweitbilligsten Anbieters und der durch die auftragsabhängigen Kosten bestimm­ten kurzfristigen Preisuntergrenze ist das Hauptproblem, das bei der Angebotsabgabe auf dem Baumarkt zu lösen ist. Jeder Wettbewerber muß folglich die Entscheidungsgröße "Zu­schlags­prozentsatz" und die Erwartungsgröße "Erfolgswahrscheinlichkeit" unter Berücksichti­gung seiner Zielsetzung und seiner Nutzenvorstellung gegeneinander abwägen.

Da der Angebotspreis niedrig genug sein muß, um zu gewinnen, und hoch genug, um Gewinn zu machen, sind eine große Anzahl von Einflußgrößen und schwer quantifizierbarer Kri­terien zu berücksichtigen[4]. Eine gute Entscheidung setzt in der Praxis vor allem eine gute Schätzung der eigenen Kosten und etwaiger Risiken des Projektes voraus. Die Entscheidung für oder gegen die Abgabe eines Angebots und über die Wahl des prozentualen Gewinn­auf­schlags erfolgt hier zumeist aufgrund subjektiver Faktoren wie der Erfahrung aus vergan­ge­nen Projekten, der groben Einschätzung der Mitbieter u. a. und kann daher eine sub­optimale oder sogar verlustträchtige Lösung bedeuten.

Somit bietet sich die Modellierung des Entscheidungsproblems durch ein möglichst ver­lässliches und praxisnahes "Competitive Bidding"-Modell an, das zur Objektivierung und Optimie­rung der Entscheidung beitragen sollte. Modelle, die Wahrscheinlichkeiten für den Er­halt eines Zuschlags ausweisen, sind zumeist darauf ausgerichtet, den Angebotspreis zu be­stimmen, der zur Maximierung des erwarteten Gewinns (Maximierung des mit der Wahr­scheinlichkeit des Zuschlags gewichteten Gewinns) oder zum Erhalt des Zuschlags führt. Hier wäre insbesondere auf die Modelle von Friedman (1956) und Gates (1967) hinzuweisen; Wahr­scheinlichkeitsmodelle zur Lösung des bidding problem bauen zumeist auf diesen Modellen auf oder modifizieren sie. Derartige Modelle bieten eine begrenzte und geordnete Anzahl von Regeln und Vorschriften zur Informationsverarbeitung mit dem Ziel, den Planungs- und Entscheidungsprozeß zu unterstützen[5]. Es handelt sich also um Entschei­dungs­modelle unter Unsicherheit für das Finden der bestmöglichen oder befriedigenden Alterna­tive anhand eines vorgegebenen Zielerreichungsgrades. Die Anforderungen an derar­tige Modelle sind zum einen Konsistenz und Kohärenz (modellinterne Kriterien), insbesondere Stimmigkeit der angenommenen Voraussetzungen, Zutreffen der angesetzten Wahrschein­lich­keitsverteilungen etc., zum anderen Praktikabilität und Handhabbarkeit (modellexterne Krite­rien); das Modell sollte aufgrund des geforderten Praxisbezugs relativ einfach und über­schau­bar gestaltet und an verschiedene Aufträge anpassungsfähig sein, mit zugänglichen Infor­mationen arbeiten und vor allem eine größere Anzahl von optimalen Entscheidungen empfehlen als subjektive, nicht formalisierte Entscheidungsprozesse. Insbesondere aufgrund des hochgradig komplexen und theoretischen Charakters einiger Modelle und der Schwierig­keit, die erforderlichen Input-Daten der Modelle zu erheben, werden "Competitive Bidding"-Modelle in der Praxis nur selten, manche Modellformulierungen überhaupt nicht angewandt[6]. Thormälen führt in diesem Zusammenhang jedoch an, daß eine Befragung in den USA erge­ben hat, daß mehr als ein Drittel aller Unternehmen, die sich an Ausschreibungen beteiligen, bei der Preisfestsetzung zumindest eine formale entscheidungstheoretische Methode be­nutzen[7].

Im folgenden werden wir, ausgehend von dem oben aufgezeigten problem of bidding und dem bidding problem beispielhaft zwei "Competitive Bidding"-Modelle vorstellen und sie auf ihre Praxistauglichkeit überprüfen. Da eine empirische Prüfung der Anwendbarkeit der Modelle und des Ergebnisses ihrer Anwendung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, be­schränken wir uns darauf, zum einen modellinterne Voraussetzungen und Annahmen zu unter­suchen, zum anderen modellexterne Anforderungen zu prüfen. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang vor allem die Fehleranfälligkeit der einzelnen Modelle: Da die ver­wendeten Daten zumeist geschätzt sind, stellt sich die Frage, welche Ergebnisse einzelne Modelle liefern, wenn Input-Daten eine prozentuale Fehlerspanne aufweisen, wie dies z. B. bei vorab kalkulierten Kosten in der Bauindustrie häufig der Fall ist. Zu diesem Zweck bieten sich Beispielrechnungen an, die zum einen die Fehleranfälligkeit der einzelnen Modelle, zum anderen ihre flexible Anwendung auf ein konkretes Projekt aufzeigen sollen. Bei der Dar­stel­lung der einzelnen Modelle gehen wir zuerst auf Ziel und Gegenstand der Modelle und ihre Voraus­setzungen und Annahmen ein, stellen dann die mathematische bzw. theoretische For­mu­lierung des Modells vor und referieren jeweils die Modellergebnisse. Die anschließende Kritik führt die Modelle anhand einer Beispielrechnung vor; unsere Kritik bezieht sich zum einen auf modellinterne, zum anderen auf modellexterne Faktoren, mit denen die Pra­xis­taug­lichkeit des Modells bewertet werden soll. Zum Schluß soll die Praxistauglichkeit der ein­zel­nen Modelle miteinander verglichen und ein Resümee gezogen werden .

Dabei greifen wir auf das Modell von Pin und Scott (1994) zurück, weil es ein ein­faches Wahrscheinlichkeitsmodell darstellt, das beispielhaft das bidding problem behandelt und eine entscheidungstheoretische Lösung vorschlägt; das Modell von Dozzi, AbouRizk und Schroeder (1996) soll als Beispiel eines flexibleren nutzentheoretischen Modells dienen, das mehrere Entscheidungskriterien berücksichtigt. An Literatur seien weiterhin die klassischen Modell­formulierungen von Friedman (1956) und Gates (1967) ge­nannt; Pin und Scott greifen so z. B. auf das Friedmansche Modell zurück. Einen guten Über­blick über die Anwendung von "Competitive Bidding"-Modellen in der Bauwirtschaft liefern weiterhin die Arbeiten von Thormälen (1978) und Lützenroth (1977), die jedoch nur am Rande in die folgende Unter­suchung eingegangen sind.

2. Die Ausschreibungssituation, die Einflußfaktoren auf das Angebotsmana­gement und die Grundzüge von "Competitive Bidding"-Modellen

"Competitive Bidding"-Modelle behandeln, wie gesagt, Ausschreibungssituationen. Handelt es sich um eine Ausschreibung mit detaillierter Leistungsbeschreibung[8], wird auf­grund der Homogenität der ausgeschriebenen Leistungen der Preis zum wichtigsten, wenn auch nicht notwendig zum alleinigen Kriterium für den Erhalt des Zuschlags; weiterhin kann in Ausschreibungssituationen davon ausgegangen werden, daß die Angebote unabhängig voneinander abgegeben werden, da Preisabsprachen zum Ausschluss führen; schließlich ist die Angebotsabgabe befristet, d. h. der Bieter kann nur in einem vorgegebenen Zeitrahmen eine Entscheidung über sein Angebot bzw. die Teilnahme am Bieten selbst fällen[9]. Über die Bedeutung des Angebotsmanagements, das sich zum Fällen von Entscheidungen gegebenen­falls "Competitive Bidding"-Modellen bedient, schreibt Ahmad[10]:

These decisions are very important as they have profound effects on the day-to-day operations and the long-term performance of the construction firm. In practice, however, bid decisions are usually made in a largely subjective manner. [...] As a result, mistakes are often made, causing loss to the firm and adversely affecting the industry. The basis on which bid decisions should be made is usually not clear to the bidder. [...] The usual practice is to make bid decisions on the basis of intuition derived from a mixture of gut feelings, experience, and guesses. The complexity of the problem is so overwhelming that even experienced contractors feel that the industry should have a better technique for arriving at bid decisions.

Das charakteristische Problem der Ausschreibungssituation, nämlich der Mangel an sicherer und vollständiger Information über das Verhalten der Konkurrenten, aber auch z. B. über die wahren eigenen Kosten, findet sich auch in den entsprechenden Modellierungen wieder, die mit Schätzwerten oder stochastischen bzw. statistischen Werten arbeiten. Die Unvoll­kom­men­heit der Informationsgrundlage in der bidding-Situation führt zu zwei Arten von Modell-ansätzen, nämlich einerseits zu spieltheoretisch orientierten, andererseits zu solchen, die auf der Entscheidungstheorie beruhen[11]. Spieltheoretische Ansätze können jedoch Aus­schreibungs­situationen mit einer großen Anzahl von Bietern nicht erfassen; im Gegensatz zu ent­scheidungstheoretischen Modellen ist hier der mathematische Aufwand wesentlich größer, das Modell weniger anpassungsfähig und komplexer, folglich mit zunehmender Anzahl von Kon­kurrenten schwer zu handhaben; die Modelle behandeln vielfach nur gleichgewichtige Angebotsstrategien für Spezialfälle wie den 2-Anbieter-Fall, den 2-Perioden-Fall oder den Nullsummen-Fall[12]. Spieltheoretische Angebotsmodelle haben aus diesem Grund bisher keine praktische Bedeutung erlangt.

Entscheidungstheoretischen Modelle lassen sich nach der verwendeten Methode in Wahrscheinlichkeitsmodelle, Nutzenmaximierungsmodelle und Modelle unterteilen, die die Wertentwicklung eines Projektes in einem bestimmten Zeitraum untersuchen[13]. Geht man vom Prozeß der Angebotsentscheidung aus, lassen sich Modelle für das problem of bidding (Entscheidung über Bieten/Nicht-Bieten) und Modelle für das bidding problem (Entscheidung über Angebotspreis und Angebotsmodalitäten) unterscheiden. Das bidding problem kann im übrigen nicht unabhängig vom Selektionsproblem betrachtet werden, wenn mit Sicherheit be­kannt ist, daß die Zahl der Angebotsgelegenheiten in einem bestimmten Zeitraum be­grenzt ist, und wenn Unsicherheit über Zahl, Art und Zeitpunkt der kommenden Angebots­ge­legen­heiten besteht.

Werden im Rahmen des Angebotsmanagements derartige Modelle verwendet, müssen vorab die zu verfolgenden Ziele geklärt sein, also die Frage, was der Anwender über­haupt optimieren möchte (Maximierung des Gewinnerwartungswertes der potentiellen Aufträge, angemessene Verzinsung des investierten Kapitals, Minimierung des Risikos von extrem hohen Verlusten, Minimierung der Gewinne der Konkurrenten, Erlangung eines Anschlußauftrages zur Sicherung der Kapazitätsauslastung). Erst aufgrund der Einzelziele oder Zielkombinationen können die einzusetzenden Modelle bestimmt und entsprechende Angebotsstrategien ergriffen werden.

Die Faktoren, die die Angebotsstrategie eines Unternehmens bestimmen, können in unternehmensbedingte (betriebswirtschaftliche), ausschreibungsbedingte und marktbedingte Faktoren unterteilt werden. Aus einer betriebswirtschaftlichen Sicht muß das Angebotsmana­ge­ment beachten, daß aus Kostengründen ein Zwang zur permanenten Auslastung der Unternehmung besteht, d. h. die vorhandenen personellen und maschinellen Kapazitäten müssen durch hereinzuholende Aufträge ausgelastet werden, um u. a. die Bereit­schafts­kosten der Unternehmung zu decken[14]. Insofern ist die Auftragslage ein entscheidendes be­triebs­wirtschaftliches Kriterium für das Angebotsverhalten der Unternehmung; hat das Auf­trags­polster ein bestimmtes kritisches Auftragspolster unterschritten, ist z. B. der Zuschlag anzu­passen, um den Auftragseingang zu erhöhen. Je länger die Bindungsdauer der Unter­nehmung an einmal getroffene Kapazitätsentscheidungen ist, um so wichtiger ist die Ge­staltung eines erfolgversprechenden Angebotspreises und der Kapazitätsauslastung. Neben dem Auftragsrisiko kann auch das Kalkulationsrisiko für eine Unternehmung gewichtig sein. Mangelnde Korrigierbarkeit der Preisentscheidung und unsichere Kostenschätzung können sehr große Verlustmöglichkeiten durch ungenaue Kostenschätzung bedeuten. Weiterhin wird der Zuschlagsprozentsatz in der Praxis nicht nur unter erfolgswirtschaftlichen, sondern auch unter finanzwirtschaftlichen Aspekten festgelegt; von besonderer Bedeutung für die Re­finanzierung sind die laufenden Einnahmen aus Anzahlungen des Auftraggebers ent­sprechend dem Baufortschritt. Die finanzwirtschaftlichen Kennzeichen (cash-flow -Merkmale) eines Bauvorhabens lassen sich schon bei der Angebotsbearbeitung erfassen und spiegeln sich – insbesondere bei Großprojekten – ebenfalls in der Preisforderung wider.

Zu den ausschreibungsbedingten Faktoren für das Angebotsverhalten zählt natürlich, welche Kriterien für den Erhalt des Zuschlags ausschlaggebend sind, ob der Angebotspreis maßgebend ist und der Zuschlag nach der Methode des niedrigsten oder des durchschnittlichen Angebotspreises erfolgt[15] oder ob weitere Kriterien einflußreich sind[16]. Weiterhin zählen dazu Ausschreiber, gewählte Ausschreibungsart, Ausschreibungszeitpunkt, Ausschreibungszeitpunkt, Art, Größe und Ausführungsort. Insofern den Ausführungen von Herbsmann und Ellis zufolge[17] die Mehrheit von Verträgen in der Bauindustrie durch das Vergabesystem des niedrigsten Angebotspreises bestimmt wird, ist die Preisgestaltung das ein­­zige Erfolgskriterium[18]. Je nach Ausschreibungart liegen verschiedene Marktstrukturen vor, die einen unterschiedlichen Grad an Preisautonomie für den Bieter mit sich bringen; die Marktstruktur wiederum beeinflußt zu schätzende Parameter, wie Anzahl der Bieter, Streuung der Angebotspreise, Kosten der Mitbieter etc. Je nach ausgeschriebenem Projekt­typ können unterschiedliche Kriterien eine ausschlaggebende Rolle für den Erhalt des Zu­schlags spielen[19].

3. Ausgewählte "Competitive Bidding"-Modelle

3.1 Wahrscheinlichkeitsmodelle – das Modell von Pin und Scott

3.1.1 Die Modellierung des bidding problem

3.1.1.1 Gegenstand und Ziel des Modells

In ihrem "Bidding"-Modell für Renovierungsarbeiten entwickeln Pin und Scott ein auf sta­tisti­sche Erhebungen beruhendes Modell für die Bauwirtschaft auf der Grundlage von rund 1350 im Zeitraum zwischen 1984 und 1987 erfaßten Rennovierungsaufträgen[20]. Der Ansatz folgt der klassischen Modellformulierung von Friedman und erweitert dieses "Competitive Bidding"-Modell durch Methoden zur Schätzung der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Angebote, ihres Mittelwertes und ihrer Varianz. Damit zielt die Modellerweiterung von Pin und Scott darauf ab, dem Modellbenutzer ein einfaches Verfahren an die Hand zu geben, um entweder die Erfolgswahrscheinlichkeit bei Abgabe eines bestimmten Angebots zu be­stimmen oder um ein Angebot festzulegen, daß mit der gewünschten Erfolgswahr­schein­lichkeit gewinnt. Sie wollen Antwort geben auf die zwei Fragen: Wie hoch ist bei einem gege­benen prozentualen Zuschlag auf die geschätzten Kosten eines ausgeschriebenen Baupro­jektes die Wahrscheinlichkeit, die niedrigste Preisforderung zu stellen und damit die Kon­kurren­ten im Preiswettbewerb zu schlagen? Welcher prozentuale Zuschlag ist zu wählen, um mit einer gegebenen Wahrscheinlichkeit die niedrigste Preisforderung zu stellen und damit im Preiswettbewerb erfolgreich zu sein? Dies bedeutet, daß der Anwender des Modells auf der Grundlage der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Konkurrenzgebote "höher" bieten und damit die Differenz zum nächst höheren Angebot verringern kann, d. h. die margin im Sinne des nicht ausgeschöpften Gewinns soll verringert werden. Mit ihrem Modell zielen die Autoren auf das bidding problem (die preispolitische Entscheidung), da es nur angewandt werden kann, wenn das Selektionsproblem bereits gelöst wurde.

3.1.1.2 Annahmen und Voraussetzungen des Modells

Pin und Scott gehen von der Annahme aus, daß die Angebote der Wettbewerber stichprobenartig erfaßt werden können und normalverteilt sind. Die Annahme der Normalverteilung und der Unabhängigkeit der Angebote voneinander wird durch die Vielzahl von Einflußfaktoren auf die Angebotspreise begründet, die insgesamt als Zufallselemente anzusehen seien und daher unter Hinweis auf den zentralen Grenzwertsatz[21] die Stichprobe einer Normalverteilung darstellten; dies bedeutet, daß bei der Angebotsabgabe keine Absprachen oder Preisfestlegungen (price fixing) vorliegen dürfen. Empirische Tests, d. h. statistische Tests auf Normalverteilung, haben laut Pin und Scott gezeigt[22], daß die Anpassung der Stichproben an eine Normalverteilung gut ist. In ihrem Modell wird vorausgesetzt, daß die Konkurrenzangebote ein arithmetisches Mittel Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten besitzen, das vom unbekannten Erwartungswert bzw. Mittelwert m der Verteilung abweicht, und daß der Anwender über die entsprechenden Daten und Informationen verfügt, wie z. B. die Angebotspreise der Konkurrenz und die eigenen Kostenschätzungen bei ähnlichen Aufträgen. Weiterhin erfordert ihr Modell, daß der Bieter die Anzahl der Mitbieter weiß oder schätzen kann. Zusätzlich erfordert ihr Verfahren, daß der Variationskoeffizient als Maßstab der rela­tiven Streuung der Konkurrenzangebote durch multiple lineare Regression angemessen er­faßt und die Kostenschätzung des Bieters als Konstante angesehen werden kann[23]. Schließ­lich geht das Modell davon aus, daß Aufträge nach der Methode des niedrigsten An­gebots ver­geben werden und der Angebotspreis das ausschlaggebende bzw. das einzige Kriterium für die Erteilung des Zuschlags ist.

3.1.1.3 Die Formulierung des Modells

Das Modell von Pin und Scott erfordert als ersten Schritt, daß der Anwender eine Kostenschätzung oder Kostenkalkulation für den potentiellen Auftrag macht. Um ihre Vor­gehens­weise besser zu erläutern, nehmen wir beispielhaft an, es handele sich dabei um eine Summe von KSn (Kostenschätzung des neuen Auftrags) = 1.000.000 DM. Im nächsten Schritt muß der wahre Mittelwert aller Angebotspreise des neuen Auftrags geschätzt werden. Dabei wird die Kostenschätzung des neuen Auftrags in Verhältnis gesetzt zum Mittelwert des Quotienten aus den Kostenschätzungen bei vergangenen Ausschreibungen und dem arithmetischen Mittel aller Angebotspreise[24]. Das Verhältnis der geschätzten eigenen Kosten zum durchschnittlichen Angebot der Wettbewerber dient hier dazu, unterschiedlich hohe absolute Beträge der entsprechenden Konkurrenzpreise zu erfassen. Dieses Verfahren entspricht der klassischen Modellformulierung von "Competitive Bidding"-Problem, wie es auch Lützenroth aufzeigt[25].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten = arithmetisches Mittel der Angebotspreise der vergangenen Aus­schrei­bung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für den Fall, daß F nicht mittels eigener Datensammlungen aus alten Ausschreibungen er­mittelt werden kann und weder öffentliche Quellen, noch Daten anderer Bieter zur Ver­fügung stehen, muß der durchschnittliche prozentuale Gewinnaufschlag M der Kon­kurren­ten geschätzt werden, unter der Bedingung, daß sie über ähnliche Kosten­schätzungen ver­fügen. Daraus ergibt sich F zu:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Schätzung der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Konkurrenzpreise hat den Zweck, den Unsicherheitsgrad bezüglich der Kenntnis des Konkurrenzverhaltens im Modell zu berück­sichtigen; sie zeigt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit bestimmte Konkurrenzpreise eintreten. Pin und Scott verwenden hier die sog. "objektive Ermittlung" der Wahrschein­lich­keits­verteilung, die auf der Analyse früherer Konkurrenzangebote bei qualitativ ähnlichen Aus­schreibungsverfahren beruht.

Wir nehmen nun an, daß in unserem Beispiel der Anwender seinen gesammelten Daten alter Ausschreibungen einen Wert von F = 0,925 entnimmt. In diesem Fall ergäbe sich für mg:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im nächsten Schritt muß die Streuung der Angebote geschätzt werden. Zu diesem Zweck wird m/s in Beziehung zu m geschätzt und der Kehrwert des Variationskoeffizienten (W) verwendet, der als Maßstab für die Nähe der Angebote dient[26]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] Streng genommen bezeichnet "competitive bidding" ebenfalls das Bieten bei einer Auktion; dies ist jedoch nicht Gegenstand der Arbeit, denn im Gegensatz zur Ausschreibungen sind im Fall der Auktion Preisentscheidungen revidierbar.

[2] Eine Ausnahme bildet z. B. ein gestaffeltes Ausschreibungsverfahren mit mehreren Auswahl- oder Quali­fi­kationsentscheidungen, wie einer Vorabauswahl und einer engeren Verhandlungsrunde unter einer ausge­wähl­ten Bewerber- bzw. Bieteranzahl. In diesem Fall ist eine Preisentscheidung in den weiteren Verhandlungen durchaus modifizierbar und dient vor allem dem Eintritt in die nächste Verhandlungsrunde bzw. den engeren Kreis der Bieter.

[3] de Neufville, Hani, und Lesage (1977, S. 57.)

[4] Vgl. Dozzi, AbouRizk und Schroeder (1996, S. 119)

[5] Vgl. Lützenroth (1977, S. 5)

[6] Vgl. Pin und Scott (1994, S. 258)

[7] Vgl. Thormälen (1978, S. 25)

[8] Gemäß §9 Nr. 10 VOB/A ist auch eine Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm möglich; die Bieter er­halten ein Programm mit den technischen und funktionsbedingten Anforderungen und damit eine stoff- und kon­struktionsneutrale Darstellung der geforderten Leistung, die daher durchaus als inhomogen angesehen werden kann (verschiedene techn. Verfahren, Konstruktionen etc.). In der Praxis gebräuchlicher ist jedoch die Lei­stungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis (Gesamtleistung mit Gewerken und Teilleistungen). Vgl. dazu Hübers-Kemink (1987, S. 78f.)

[9] Zu den Ausführungen vgl. Lützenroth (1977, S. 12f.)

[10] Vgl. Ahmad (1990, S. 595)

[11] Lützenroth nennt als Autoren von spieltheoretischen Modellen William Vickrey, Griesmer, Shubik und Levitan, Robert B. Wilson und Michael Rothkopf, als Autoren entscheidungstheoretischer Modell vor allem Friedman und Gates – vgl. Lützenroth (1977, S. 35.)

[12] Vgl. Thormälen (1978, S. 24)

[13] Siehe dazu Dozzi, AbouRisk und Schroeder (1996, S. 122): "Utility theory model is one of three broad classifications of models (probability, present value, utility) that can be used to assist bidders to determine a bid that is the maximum expected value or minimum acceptable price".

[14] Vgl. Hübers-Kemink (1987, S. 52f.)

[15] Dazu Ioannou und Leu (1993, S. 131)

[16] So stellt Tiong für sog. BOT-Projekte (Build-Operate-Transfer), die die Erstellung und den Betrieb von Infrastrukturprojekten durch Privatunternehmen im Auftrag der öffentlichen Hand betreffen, eine Vielzahl von Einfluß- und Erfolgsgrößen fest; ein Zuschlag erfolgt hier nicht aufgrund des Angebotspreises – da der Nutzen des Projektes für die öffentliche Hand gerade in der Finanzierung durch Private liegt – sondern aufgrund von Faktoren wie erhobene Benutzungsgebühren, versprochene Sicherheiten etc. – vgl. Tiong (1996, S. 205f.) und Tiong (1992, S. 217f.)

[17] Vgl. Herbsman und Ellis (1992, S. 142)

[18] Herbsmann und Ellis (1992, S. 143) weisen darauf hin, daß im Vergabesystem von Italien, Portugal und Peru nicht der niedrigste Angebotspreis den Zuschlag erhält, sondern davon ausgegangen wird, daß das beste Angebot nahe am Mittelwert liegt. Insbesondere bei privaten Ausschreibungen kann es durchaus vorkommen, daß nur Angebote innerhalb eines "realistischen" Schätzbereiches berücksichtigt werden und das kleinste zu verantwortende Angebot den Zuschlag erhält; nach VOB/A kann von der Vergabe nach dem Prinzip des niedrigsten Angebots abgewichen werden, wenn ein Angebotspreis als unrealistisch niedrig erscheint.

[19] Die Modalitäten des Ausschreibungsverfahrens der öffentlichen Hand (Bund, Länder und Gemeinden, Personalkörperschaften u. a.) sind in der VOB/A geregelt; sie unterscheidet öffentliche und beschränkte Ausschreibung sowie die freihändige Vergabe. Die öffentliche Ausschreibung richtet sich an eine unbeschränkte Zahl von Unternehmen, die die nötige Qualifikation zur Durchführung des Auftrags besitzen, während bei beschränkter Ausschreibung aufgrund besonderer Leistungsanforderungen nur wenige ausgewählte Unternehmen zur Abgabe eines Angebots aufgefordert sind (vgl. VOB/A, §3 a – d); für eine freihändige Vergabe als Sonderform der Submission müssen die Bedingungen der VOB/A, §3, 4a – 4c erfüllt sein – vgl. Linge (1989, S. 90f.) Auch private Auftraggeber verwenden für Bauleistungen in der Regel ausschreibungsverwandte Verfahren; hier handelt es sich grundsätzlich um beschränkte Ausschreibungen, d. h. von privater Seite wird eine begrenzte Anzahl leistungsfähiger Unternehmer zur Abgabe von Angeboten aufgefordert und häufig eine Nachverhandlung mit mehreren der preiswertesten Bieter geführt – vgl. Lützenroth (1977, S. 29)

[20] Vgl. Pin und Scott (1994, S. 257f.) Die Angebotspreise der folgenden Jahre wurden auf die Maßzahl der Angebotspreise im Jahr 1986 bezogen.

[21] Der zentrale Grenzwertsatz besagt, daß eine Verteilungsfunktion von Zn gegen die Standardnormalverteilung konvergiert, also . Dies dient als Rechtfertigung dafür, beobachtete Zufalls­varia­blen als normalverteilt anzunehmen, wenn sie aus dem additiven Zusammenwirken vieler Einzeleinflüsse resul­tieren. Siehe dazu Hartung (1998, S. 122)

[22] Vgl. Pin und Scott 1994, S. 259). Pin und Scott verwenden den Test auf Schiefe und Exzeß. Siehe dazu Hartung (1998, S. 189) Da die Normalverteilung symmetrisch ist, muß ein Test auf Schiefe eine gerade Schiefe nachweisen – vgl. Hartung (1998, S. 47.) Weitere mögliche Tests wären ein c²-Anpassungstest oder ein Kolmogoroff-Smirnov-Anpassungstest – siehe dazu Hartung (1998, S. 182f.) Da für große Stichprobenumfänge der c²-Anpassungstest besser geeignet ist und ein großer Stichprobenumfang vorliegt (n>1000), wäre zur Überprüfung der Ergebnisse von Pin und Scott dieser Anpassungstest zu verwenden. Die Anpassung an eine Edgeworth-Verteilung würde sich laut Pin und Scott anbieten, aufgrund des geringen Unterschieds zwischen Normal- und Edgeworth-Verteilung sei dies in der Praxis jedoch nicht notwendig.

[23] Laut Pin und Scott (1994, S. 259) hängen Standardabweichung und Variationskoeffizient von der Größe und der Art des Rennovierungsauftrages ab; sie unterscheiden Aufträge für Transport und Verkehr, Industrie, Verwaltung und Ämter, Gesundheit und Wohlfahrt, Unterhaltung und Erholung, Religion und Kirchen, Erziehung und Wissenschaft und Wohnungsbau.

[24] Pin und Scott (1994, S. 262). Zu den Werten für cn siehe Anhang.

[25] Lützenroth (1977), S. 39f. Lützenroth zeigt hier ein Verfahren auf, das das Verhältnis des Angebotspreises des jeweiligen Wettbewerbers zu den geschätzten eigenen Kosten bestimmt, mithin den Kehrwert des Verfahrens von Pin und Scott bildet.

[26] Pin und Scott (1994, S. 260).

Final del extracto de 49 páginas

Detalles

Título
Angebotsmanagement und "Competitive Bidding"-Modelle in der Bauwirtschaft
Universidad
Technical University of Darmstadt  (Institut für Baubetriebswirtschaftslehre)
Curso
Ausgewählte Kapitel des Projekt- und Baumanagements
Calificación
1,7
Autor
Año
1999
Páginas
49
No. de catálogo
V33206
ISBN (Ebook)
9783638337410
Tamaño de fichero
768 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Angebotsmanagement, Competitive, Bidding, Bauwirtschaft, Ausgewählte, Kapitel, Projekt-, Baumanagements
Citar trabajo
Jochen Müller (Autor), 1999, Angebotsmanagement und "Competitive Bidding"-Modelle in der Bauwirtschaft, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33206

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