Die moderne Ganztagsschule in Deutschland. Ein Vorschlag zur Optimierung mit Hilfe der Pädagogik John Deweys


Tesis (Bachelor), 2015

52 Páginas, Calificación: 1,1


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema
1.2 Forschungsinteresse und Forschungsstand
1.3 Aufbau der Arbeit

2. Die moderne Ganztagsschule in Deutschland
2.1 Von der traditionellen Ganztagsschule des 19. Jhd. zur modernen Ganztagsschule heute
2.2 Drei Formen der Ganztagsschule
2.3 Ziele der Ganztagsschule in Deutschland und die fehlende Theorie ..
2.4 Das Konzept der Ganztagsschule in Schleswig-Holstein
2.5 Ergebnisse der StEG genauer betrachtet

3. John Deweys Pädagogik
3.1 John Dewey und seine Pädagogik - eine kurze Einführung
3.2 Pragmatismus
3.3 John Deweys Demokratiegedanke
3.4 Experience, Inquiry und Communication
3.5 Deweys Laborschule
3.6 Kritik an Dewey

4. Dewey und die moderne Ganztagsschule
4.1 Ansatzpunkte
4.2 Das Erfahrungslernen bei Dewey und heutige Ansätze
4.3 Deweys Laborschule - eine gebundene Ganztagsschule?
4.4 Dewey und die Ganztagsschule - ein Weg für die Zukunft?

5. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Am Ganztagsschulbetrieb teilnehmende Schüler/-innen nach Form des Ganztagsschulbetriebes 2008 bis 2012 (Quelle: KMK, 2013, S.14).S

Abbildung 2: Obergeschoss der Laborschule John Deweys: Felder se- kundärer Erfahrungen (Quelle: Dewey, 1924, S. 52)..S

Abbildung 3: Erdgeschoss der Laborschule John Deweys: Felder primä- rer Erfahrung (Quelle: Dewey, 1924, S. 49).S.

Tabellenverzeichnis

Tabelle 2: Unterschiede Laborschule und gebundene Ganztagsschule (Quelle: eigene Darstellung).S

Tabelle 3: Parallelen Laborschule und gebundene Ganztagsschule (Quel- le: eigene Darstellung)S.

1. Einleitung

1.1 Hinführung zum Thema und Fragestellung

Die Ganztagsschullandschaft in Deutschland hat eine lange Geschichte vor- zuweisen. Bereits seit dem 19. Jahrhundert kann in Deutschland von einer existierenden Ganztagsschule gesprochen werden (vgl. Hesener, 2006, S.1 ff). Im Laufe der bildungspolitischen Geschichte Deutschlands gab es aber immer wieder unterschiedliche Ansätze der Ganztagsschule, die immer dann thematisiert wurden, wenn die bestehende Halbtagsschule, die an sie gestell- ten Aufgaben nicht mehr ausreichend erfüllen konnte (Hesener, 2006, S.1). Begründet wird die Ganztagsschulorganisation mit den gesellschaftlichen Veränderung, wie z.B. die steigende Berufstätigkeit von Frauen und die damit einhergehen negativen Konsequenzen für Kinder (Hesener, 2006, S.6). Die aktuelle Thematisierung des Ganztagbereiches ist aber besonders auf die Jahre 2000 und 2003 zurückzuführen. Zu den Zeitpunkten wurden die Ergeb- nisse der PISA-Studien präsentiert. Dabei konnte festgestellt werden, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern im Bereich Schulbildung nur einen Rang im Mittelfeld belegt. Außerdem hängt der Schul- und Bildungser- folg der Kinder im Vergleich zu anderen Ländern überdurchschnittlich stark von ihrer sozialen Herkunft ab (BMFB, 2010, S.1). Von dieser Situation aus- gehend soll der Fokus im Ganztagsschulbereich nun darauf liegen, dass er u.a. die Funktion eines Schulentwicklungsinstrumentes einnehmen und somit zur besseren Förderung der Schüler dienen soll. Diese Förderung soll ganz- heitlich erfolgen, d.h. Einfluss auf die Wissensvermittlung, Erziehung und So- zialisation der Kinder haben (Hesener, 2006, S.6). Es stellt sich die Frage, ob die Ganztagsschule in Deutschland diese Forderung unter den gegebenen Voraussetzungen erfüllen kann. Zur Förderung und Unterstützung wurde 2003 das Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ von der Bundes- regierung ins Leben gerufen und mit vier Milliarden Euro ausgestattet. Ziel ist es, die Ganztagsschullandschaft in Deutschland auszubauen und zu entwi- ckeln (BMBF, 2010, S.1). Die Bundesregierung verfolgt, laut ihrer Homepage, durch den Ausbau von Ganztagsschulen die Ziele „ Mehr Chancengleichheit“, „eine bessere Bildung“ und „Ganztagsschulen als Unterstützung für Familien“ (BMBF, 2010, Absatz 5). Begleitend zu diesem Förderprogramm wurde die erste „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“, kurz StEG, durchgeführt, mit dem Ziel, Entwicklungspotenziale- und bedarf sowie Effekte der Ganztagsschule zu erschließen (Das Konsortium der StEG, 2010, S.2). Die Ergebnisse dieser Studie sollen in dieser Arbeit erläutert werden und es soll aufge- zeigt werden, in welchen Bereichen die Ganztagsschule bereits einen positi- ven Einfluss hat und in welchen Bereichen es noch Handlungsbedarf gibt. Gerade in den Bereichen, in denen es noch Handlungsbedarf gibt, sollte ge- klärt werden, mit welchem pädagogischen Ansatz eine Verbesserung stattfin- den kann. Denn interessanterweise stößt man bei der Suche nach pädagogi- schen Ansätzen, die hinter dem Modell Ganztagsschule stehen, auf kein ein- heitliches Konzept. Einige Ganztagsschulen verfolgen das Montessorikonzept, andere nehmen die inklusive Pädagogik als Hauptansatz, wiederum andere Schulen entwickeln ihren eigenen Ansatz, der aus mehreren pädagogischen Konzepten zugleich besteht. Es stellt sich die Frage, ob es einen pädagogi- schen Ansatz gibt, der zur Optimierung der Ganztagsschullandschaft beitra- gen kann.

In dieser Arbeit soll der pädagogische Ansatz von John Dewey als Verbesse- rungsansatz untersucht werden. Gerade die Verknüpfung von Unterricht und weiterem Lernen am Nachmittag trägt bei John Dewey eine große Bedeutung. In seiner eigens gegründeten Laborschule fand ein neues, ganztägiges Ler- nen statt. Beschäftigt man sich intensiver mit John Deweys Theorie, stößt man immer wieder auf Punkte, die der Konzeption der heutigen Ganztagsschule ähneln. Da Deweys Pädagogik in Deutschland lange nicht oder nur unzu- reichend analysiert wurde, hat dies zu Missverständnissen und Verkürzungen geführt (vgl. Neubert, 2012, S.224). Daher soll in dieser Arbeit Deweys Päda- gogik dargestellt und erklärt werden, und geprüft werden, inwieweit sie ein Ansatz für eine Optimierung in der deutschen Ganztagsschullandschaft sein könnte. Dazu werden in der Arbeit hauptsächlich die beiden großen Themen „Ganztagsschule in Deutschland“ und „John Deweys Pädagogik“ untersucht und miteinander verknüpft. Die leitende Forschungsfrage ergibt sich daher wie folgt:

Inwieweit kann die Pädagogik von John Dewey eine Optimierung der modernen Ganztagsschule in Deutschland darstellen?

1.2 Forschungsinteresse und Forschungsstand

Im Folgenden soll kurz geklärt werden, welche Berechtigung die Frage nach einer Optimierung der Ganztagsschule in Deutschland durch eine pädagogi- sche Theorie hat. Wie im vorangegangenen Absatz erwähnt, gibt es kein ein- heitliches pädagogisches Konzept in der Ganztagsschullandschaft in Deutsch- land. Das Konsortium der StEG verfasste 2010 die prägnante Aussage: „Oh- nehin reicht ein breites Spektrum an Angeboten allein nicht aus, um das Po- tenzial der Ganztagschule für eine optimale Förderung der Lernenden voll zu erschließen. Eine zentrale Rolle für die Wirksamkeit spielt die pädagogische Gestaltung der außerunterrichtlichen Angebote.“ (StEG-Konsortium, 2010, S.24). Dieter Wunder spricht schon 2006 mit seinen Aussagen das gleiche Problem an, wenn er davon spricht, dass „es keine präzise Vorstellung von Ganztagsschule gibt“ und dass es „weder fertige Konzepte der Praktiker, noch präzise Aussagen aus der Wissenschaft über optimale Formen der Ganztags- schule gibt.“ (Wunder, 2006, S.156). Auch andere Pädagogen, wie Dieter Holtappels oder Christian Kuhlmann, die sich mit dem Gebilde Ganztagsschu- le auseinandergesetzt haben, sprechen von mangelnden wissenschaftlichen Theorien bezüglich der Ganztagsschule (vgl. Kuhlmann & Tillmann, 2009). Es wird deutlich, dass es bis heute kein grundlegendes pädagogisches Konzept für Ganztagsschulen gibt. Auch sieht es nicht danach aus, dass sich in der Zukunft dahingehen etwas ändern wird. Der Ansatz, das Konzept von John Dewey daraufhin zu prüfen, ob es sich als eben dieses pädagogische Konzept beweisen könnte, ist also durchaus von Interesse. Dabei sollte aber klar sein, dass der Versuch, John Deweys Pädagogik als pädagogischen Ansatz für Ganztagsschule zu analysieren, wie eben gesagt, nur ein theoretischer Ver- such ist.

Genau wie die Problematik der Festsetzung eines pädagogischen Grundkon- zeptes, besteht auch im Forschungsstand der Ganztagsschule in Deutschland ein beträchtliches Defizit (Holtappels, 2006, S.12.). Die bis dato vorliegenden Studien beziehen sich vorwiegend auf die Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Kinder, von Eltern und Lehrerinnen / Lehrern. Forschungen zur Qualität der pädagogischen Gestaltung, zur pädagogischen Wirksamkeit und zu den Effekten auf die Schüler sind rar. Holtappels definiert vier Forschungsschwer- punkte, aus denen Forschungserkenntnisse gewonnen werden können:

1. Den Ausbaustand von Ganztagsschulen und schulischen Ganztagsangebo- ten. Hier werden lediglich Zahlen in Bezug auf den Ganztagsschulbesuch dar- gestellt.

2. Nachfrage, Motive und Akzeptanz bei den Eltern. Hier handelt es sich um Elternbefragungen zu den Ganztagsschulangeboten.

3. Erkenntnisse der Ganztagsschulforschung zu pädagogischen Gestaltungs- formen und Wirkungen. Dieser Bereich ist für die vorliegende Arbeit von be- sonderem Interesse, jedoch sind die Ergebnisse, die Holtappels präsentiert, über 20 Jahre alt, sodass die Erkenntnisse veraltet sind. Für weitere Felder, vor allem für Fachleistungen, sind pädagogische Wirkungen nicht nachgewie- sen.

4. Studien zu besonderen Organisationskonzepten. Hier geht es vor allem um die Schulstrukturen, die mit der Ganztagsschule verbunden sind (Holtappels, 2006, S.12 ff).

Die wohl wichtigste Studie der letzten Jahre in Bezug auf die Ganztagsschule in Deutschland ist, wie schon im ersten Abschnitt erwähnt, die Studie zur Ent- wicklung von Ganztagsschulen 2005 - 2010, kurz StEG. In drei Erhebungs- wellen, 2005, 2007 und 2009, wurden mehr als 300 Ganztagsschulen unter- sucht. Der Fokus der Untersuchungen liegt auf der Entwicklung der Schulen und die damit verbundene Wirkung des Ganztags. Anhand des gesammelten Datenmaterials wird aufgezeigt, welchen Beitrag die ganztägige Organisati- onsform zur Qualitätsverbesserung leistet (Das Konsortium der StEG, 2010, S.3). Diese Studie ist zurzeit die größte Studie zur Qualitätsentwicklung von Ganztagsschulen, daher werden hauptsächlich die Ergebnisse dieser Studie in dieser Arbeit präsentiert und analysiert. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wird dann der Optimierungsansatz verfolgt. Die zweite StEG findet zum aktu- ellen Zeitpunkt statt. Aus ihr wurden noch keine Ergebnisse veröffentlicht, so- dass die StEG 2010 die aktuellsten Ergebnisse und Erkenntnisse zum Ganz- tagsschulbereich in Deutschland liefert.

1.3 Aufbau der Arbeit

Zunächst soll in folgendem Kapitel die moderne Ganztagsschule dargestellt werden, um einen Einblick darin zu bekommen, wie die heutige Ganztags- schule entstandt und wie ihr aktueller Status im Schulsystem ist. Dies ist wich- tig, um zu erkennen, welche Forderung an die Ganztagsschule gestellt wer- den, welchen Bezug diese Forderungen haben und inwieweit die Ganztags- schule diesen Forderungen nachkommen kann. Dazu gehört in 2.1 die Ent- wicklung von der traditionellen Ganztagsschule des 19. Jahrhunderts bis zur modernen Ganztagsschule heute. Danach werden die drei gängigen Formen der heutigen Ganztagsschule dargestellt. Die gebundene, die teilweise ge- bundene und die offene Ganztagsschule. Nachfolgend werden die Ziele der Ganztagsschule dargestellt und es wird noch einmal auf die fehlende Theorie hinter der Ganztagsschule eingegangen. Um mit diesem Hintergrundwissen eine Vorstellung davon zu bekommen, wie eine Ganztagsschule organisiert werden kann, wird dann in 2.4 ein einzelnes Konzept einer Ganztagsschule vorgestellt. Wie schon erwähnt, ist die StEG die entscheidende Studie zur Ganztagsschullandschaft in Deutschland. In Kapitel 2.5 werden Ergebnisse aus der Studie dargestellt und interpretiert. Der dritte Teil der Arbeit bezieht sich dann auf die Theorie von John Dewey. Die wichtigsten Begriffe aus sei- ner Theorie und seinen Werken werden vorgestellt. Dazu gehören der Prag- matismus, der Demokratiegendanke und die Grundideen von Experience, In- quiry und Communication. Seine Theorie fand vor allem Anwendung in seiner Laborschule, die in Kapitel 3.5 kurz umrissen wird. Um ein differenziertes Bild von John Deweys Pädagogik zu bekommen, wird zum Ende des dritten Teils der Arbeit die Kritik an Dewey dargestellt. Mit diesem Teil der Arbeit soll ein differenziertes Bild von John Deweys Theorie aufgezeigt werden, anhand dessen geprüft werden kann, ob die Theorie einen Optimierungsansatz für Ganztagsschulen bietet.

Im vierten Teil der Arbeit geht es dann darum, die Ganztagsschule und John Deweys Pädagogik miteinander zu verknüpfen. Dafür werden zunächst An- satzpunkte herausgefiltert. In Kapitel 4.2 soll besonders auf das Erfahrungs- lernen bei Dewey und im schulischen Bereich heute eingegangen werden, da das Erfahrungslernen einen elementaren Bereich in Deweys pädagogischen Vorstellungen ausmacht. In 4.3 wird dann Deweys Laborschule näher unter- sucht und mit der heutigen Ganztagsschule verglichen, bevor dann in 4.4. auf Grundlage der bis dahin gewonnen Erkenntnisse, festgestellt werden soll, inwieweit Deweys Theorie als Optimierungsansatz sinnvoll ist. Den Abschluss der Arbeit bilden dann ein Fazit und ein Ausblick.

2. Die moderne Ganztagsschule in Deutschland

2.1 Von der traditionellen Ganztagsschule des 19. Jhd. zur modernen Ganztagsschule heute

Wie schon in der Einleitung erwähnt, hat die Ganztagsschule in Deutschland eine lange Tradition und ist in das 19. Jahrhundert zurückzuführen. Die traditi- onelle Ganztagsschule im 19. Jahrhundert war allerdings, nicht wie heute, ein Konzept für sich. Eine ganztägige Organisation der Schule war damals in Deutschland und auch in anderen Ländern üblich. Der Unterricht fand in der Regel von 8:00 bis 12:00 Uhr und von 14:00 bis 16:00 Uhr statt. Hausaufga- ben wurden nach dem Unterricht erledigt. Ein Hauptkennzeichen dieser Schul- form war die Konzentration auf den Unterricht, sowohl vormittags als auch nachmittags (Ludwig, 2003, S.26).

Gegen Ende es 19. Jahrhundert änderte sich diese Schulorganisation. Die halbtägige Schulorganisation setzte sich sowohl im höheren Schulwesen, als auch in der Volksschule durch (Hesener, 2006, S.2). Die Gründe für diese Änderung waren im Volksschulwesen, die damals noch verbreitete Kinderar- beit am Nachmittag und die wegen Klassenüberfüllung erforderliche Einfüh- rung eines Schichtunterrichts. Im höheren Schulwesen wurde die Verände- rung durch die weiten Schulwege sowie die Klagen der Schüler, überlastet zu sein, begründet. Kennzeichen der neuen Halbtagsschule blieb aber die Kon- zentration auf den Unterricht. (Ludwig, 2003 S.26). Interessanterweise wurde die ganztätige Schulorganisation in anderen Ländern beibehalten und weiter- entwickelt. Insbesondere in den USA wurden neben dem Unterricht weitere Felder mit in die Schulorganisation aufgenommen: Erzieherische Aufgaben, sozialpädagogische und sozialpolitische Aufgaben, didaktisch-pädagogische Aufgaben, Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt, mehr Möglichkeiten der politi- schen Bildung, Förderung von Spiel, Sport und musischen Aktivitäten, Förde- rung von individuellen Neigungen und Lösung bei Hausaufgabenproblemen.

Die theoretische Grundidee kam hier prägnanterweise von John Dewey (Ludwig, 2003, S.27).

Zur Jahrhundertwende entwickelte sich in Deutschland dann die reformpäda- gogisch beeinflusste, moderne Ganztagsschule. Dabei richtete sich die Re- formpädagogik gegen die bestehende Unterrichtsschule, die eine rein kogniti- ve Förderung der Kinder betrieb. Ziel war es nun, dass die Schule über die Unterrichtsarbeit hinaus auch weitere erzieherische und sozialpädagogische Aufgaben übernehmen sollte. Einen großen Einfluss zur damaligen Zeit hatte Hermann Lietz, der mit der Errichtung von Landeserziehungsheimen, Einrich- tungen entwickelte, die in einer naturnahen Umgebung, Kinder ganzheitlich fördern sollten (Hesener, 2006, S.2). Lietz entwickelte einen Tagesablauf, in dem Unterricht, körperliche Betätigung in sportlicher und handwerklicher Art, musisch-künstlerischer Erziehung und abendlichen Besinnungsstunden in der Kapelle als wesentliche Elemente dienten (Ludwig, 2003, S.27). 1906 stellte dann Ernst Kapff einen Schulentwurf in Anlehnung an das Landeserziehungs- heim von Lietz dar. Darin fordert er eine Neukonzeption der Schule und be- gründet diese mit dem gesellschaftlichem Wandel, der sich im Zuge der Ent- wicklung zur Industriegesellschaft bemerkbar machte (Ludwig, 2003, S.28). Dieses und weitere Konzepte, die aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts stammen, sind ein wesentlicher Schritt in Richtung moderner Ganztagsschule, auch wenn sie damals keine Umsetzung in die Praxis der Schulorganisation gefunden haben (Hesener, 2006, S.3). Es wird aber deutlich, dass hier ein schulpädagogischer Richtungswechsel entstand, der noch bis heute andauert. Im Jahr 1904 wurde dann ein reformpädagogisches Konzept in die Praxis um- gesetzt. Die Wald- und Freiluftschule Charlottenburg wurde gegründet. Hier handelte es sich um eine Schule, in der kränkliche und gesundheitlich gefähr- dete Kinder aus verschiedenen Charlottenburger Volksschulen, ganztägig betreut wurden. Im Unterricht wurde eine Individualisierung angestrebt und die Selbstständigkeit gefördert. Auch für gesunde Mahlzeiten und Erholungszeiten wurde gesorgt. 1906 empfahl das Kultusministerium dann die Schaffung wei- terer Schulen nach diesem Vorbild. Daraufhin wurde diese Schulform auch tatsächlich ausgeweitet (Ludwig, 2003, S.31). Ein weiterer wichtiger Baustein in der Entwicklung zur modernen Ganztagsschule.

Der 1. Weltkrieg verhinderte nun aber die Fortsetzung der reformpädagogi- schen Ansätze, sodass die Entwicklung zu dieser Zeit verständlicherweise ersteinmal stagnierte. Nach Ende des 1. Weltkrieges aber, und einem politischen Umsturz, gab es neue Impulse (Ludwig, 2003, S.32). Die Expansion der Frei- und Waldluftschulen war enorm, sodass zu Beginn der 30er Jahre schon etwa 70 Schulen dieser Art existierten (Hesener, 2006, S.3). Leider führte die politische Entwicklung wieder dazu, dass der pädagogische Fortschritt erst- einmal stoppte. Der Ausbruch des Nationalsozialismus verhinderte nämlich den weiteren Ausbau der Frei- und Waldluftschulen (Hesener, 2006, S.4). Nach dem 2. Weltkrieg gab es dann verschiedene Intentionen, den Ganztags- schulbereich wieder auszubauen. Auf der einen Seite wollten die Besat- zungsmächte das Bildungswesen schnell wieder aufbauen, auf der anderen Seite sollte eine ganztägige Schule einen Ausgleich zum Nachkriegsnotstand in den Familien dienen. Traditionell familiäre Funktionen, die durch die Familie nicht mehr übernommen werden konnten, sollten in der Schule stattfinden. Deshalb wurden die reformpädagogischen Gedanken aus der Vorkriegszeit wieder aufgegriffen (Hesener, 2006, S.4). Diese Entwicklung während und nach den beiden Weltkriegen stellt sicherlich eine Besonderheit dar.

Im Jahre 1955 wurde der erste Ganztagsschulverband „Gemeinnützige Ge- sellschaft Tagesheimschule e.V.“ gegründet. Seine Aufgabe bestand in der Förderung und Entwicklung der Ganztagsschulen, mit dem Ziel, konkrete Vor- schläge für die Gesetzgebung in Bezug auf Ganztagsschule zu unterbreiten (Hesener, 2006, S.4). Harald Ludwig geht davon aus, dass in der Zeit zwi- schen 1945 und 1965 durch das reformpädagogisches Denken alle wichtigen Formen der ganztägigen Schulerziehung realisiert oder entwickelt wurden, die für die heutige Organisation von Bedeutung sind. Hinzu kommt, dass erstmals 1955 und 1965 auch empirische Forschungsergebnisse größeren Umfangs zum Themenbereich der ganztägigen Schulerziehung vorgelegt wurden (Lud- wig, 2003, S.38). Der deutsche Bildungsrat veröffentlichte 1968/69 „Empfeh- lungen der Bildungskommission zur Einrichtung von Schulversuchen mit Ganztagsschulen“. Darin vorhanden waren genaue Zielsetzungen, Motive und Aufgaben. Allerdings führten diese Pläne wieder nicht zu einer Umsetzung (Hesener, 2006, S.5).

Durch kritische Überprüfungen des Schulwesens in den 70er Jahren kam es zu einem vorübergehenden Stillstand des Modernisierungsschubes. Erst in den 80er und 90er Jahren ging die Entwicklung in eine Art Renaissance der Ganztagsschule über, vor allem auch durch die deutsche Wiedervereinigung und die damit verbundene Abbau des Hortsystems der DDR. Die in den Jahren danach entstandene Europäisierung, führte zu einem weiteren Aufleben der Ganztagsschule in Deutschland, aber auch in Europa (Hesener, 2006, S.5). Die seitdem andauernden Bemühungen im Bereich Ganztagsschule wurden immer wieder durch die Knappheit der zur Verfügung gestellten Res- sourcen beeinflusst (Ludwig, 2003, S.40). Harald Ludwig beschreibt die Situa- tion 2003 wie folgt: „Es besteht die Gefahr, dass im Rahmen dieser Entwick- lung die im Laufe der Ganztagsschulgeschichte erarbeiteten und erprobten pädagogisch-didaktischen Standards für ganztägig Schulerziehung nicht ein- gehalten werden … Denn die Gründe, die schon zu Anfang unseres Jahrhun- derts zur Forderung nach modernen Ganztagsschulen führten, haben sich durch die weiteren gesellschaftlichen Entwicklungen noch verschärft und zu- sätzliche Dimensionen erhalten.“ (Ludwig, 2003, S.40).

Die Entwicklung zur heutigen modernen Ganztagsschule wurde dann Anfang des 21. Jahrhunderts durch den sogenannten „Pisaschock“ stark beeinflusst. Kuhlmann und Tillmann beschreiben die Zeit zwischen 2000 und 2003 vor allem als ein Politikum im Bereich Ganztagsschule, das mit dem Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ 2003 einen Höhepunkt fand (Kuhlmann & Tillmann, 2009, S.24).

Bevor die Ziele der heutigen modernen Ganztagsschule erläutert werden, soll zunächst aufgezeigt werden, in welchen Formen die heutige moderne Ganztagsschule existiert.

2.2 Drei Formen der Ganztagsschule

Der KMK definierte den Begriff „Ganztagsschule“ im März 2003. Unter ande- rem heißt es in der KMK-Definition: „Unter Ganztagsschulen werden Schulen verstanden, bei denen im Primar- oder Sekundarbereich über den vormittägli- chen Unterricht hinaus an mindestens drei Tagen in der Woche ein ganztägi- ges Angebot für die Schülerinnen und Schüler bereitgestellt wird, das täglich mindestens sieben Zeitstunden umfasst, an allen Tagen des Ganztagsschul- betriebes den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern ein Mittagessen be- reitgestellt wird und die Ganztagsangebote unter Aufsicht und Verantwortung der Schulleitung organisiert und in enger Kooperation mit der Schulleitung durchgeführt werden sowie in einem konzeptionellen Zusammenhang mit dem Unterricht stehen (KMK, 2013, S.4).

Nun unterscheidet der KMK auch drei unterschiedliche Formen von Ganz- tagsschule. „In der voll gebunden Form sind alle Schülerinnen und Schüler verpflichtet, an mindestens drei Wochentage für jeweils mindestens sieben Zeitstunden an den ganztägigen Angeboten der Schule teilzunehmen. In der teilweise gebundenen Form verpflichtet sich ein Teil der Schülerinnen und Schüler (z.B. einzelne Klassen oder Klassenstufen), an mindestens drei Wo- chentagen für jeweils mindestens sieben Zeitstunden an den ganztägigen Angeboten der Schule teilzunehmen. In der offenen Form können einzelne Schülerinnen und Schüler auf Wunsch an den ganztägigen Angeboten dieser Schulform teilnehmen. Für die Schülerinnen und Schüler ist ein Aufenthalt, verbunden mit einem Bildungs- und Betreuungsangebot in der Schule, an mindestens drei Wochentagen im Umfang von täglich mindestens sieben Zeit- stunden möglich“ (KMK, 2013, S.5).

In folgender Grafik wird aufgezeigt, in welchem Anteil die genannten Formen vorliegen. Dabei werden die gebundene und die teilweise gebundene Form zusammengezählt.

Abbildung 1.: Am Ganztagsschulbetrieb teilnehmende Schüler/-innen nach Form des Ganztagsschulbetriebes 2008 bis 2012 (Quelle: KMK, 2013)

Begründet werden die unterschiedlichen Formen damit, dass so die Besonderheiten der einzelnen Bundesländer berücksichtigt werden können (Holtappels, 2006, S.6).

Aufgrund von finanzieller und institutioneller Rahmenbedingungen und spezifi- scher Nachfragesituationen sind im Laufe der Jahre einige Mischformen ent- standen, die Günther Holtappels aufzählt (Holtappels, 2006, S.6). Jedoch sind diese Mischformen für diese Arbeit weniger von Bedeutung, da es sich dort, wie erwähnt, vornehmlich um individuelle Strukturen handelt. Festzuhalten bleibt, dass es momentan grundsätzlich drei Grundformen der Ganztagsschu- le in Deutschland gibt. Im nächsten Kapitel sollen nun die Ziele der modernen Ganztagsschule heute erläutert werden und der theoretische Hintergrund be- leuchtet werden.

2.3 Ziele der Ganztagsschule in Deutschland und die fehlende Theorie

Wenn über die Ziele der Ganztagsschule in Deutschland gesprochen wird, dann gibt es eine Reihe von Perspektiven, aus denen man Ziele betrachten kann. Christine Hesener, von der TU Dortmund, beschreibt diese wie folgt: „Die Ziele der Ganztagsschule können aus verschiedenen Perspektiven auf- gezeigt werden. Zum einen können offizielle Gesetzestexte herangezogen werden. Zum anderen die Wünsche, die Eltern äußern, die ihr Kind zu einer Ganztagsschule schicken oder dies wollen. Als dritte Quelle können aktuelle Projekte, wie das IZBB oder das Familienprojekt Dortmund angeführt werden, um die Intentionen aufzuzeigen, die mit der flächendeckenden Einführung der Ganztagsschule verbunden werden.“ (Hesener, 2006, S.6). Die offiziellen Zie- le legt die Bundesregierung fest. Das Bundesministerium für Bildung und For- schung, kurz BMBF, spricht bei der Ganztagsschulentwicklung von einem ge- lungenen Projekt zwischen Bund und Ländern, welches mit dem, in der Einlei- tung angesprochenen Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreu- ung“, kurz IZBB, an Qualität gewinnt (BMBF, 2010, Absatz 1). Dazu werden folgende Ziele vom BMBF ausgegeben:

1. Mehr Chancengleichheit. Die Ganztagsschule soll die Abhängigkeit des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft verringern. Dies soll vor allem durch individuelle Förderung geschehen.

2. Bessere Bildung. Durch die zusätzliche Zeit ist es möglich, den Unterricht mit außerschulischen Bildungs- und Freizeitangeboten zu verzahnen und somit die Förderung von Kompetenzen zu verbessern. Auch hier steht die individuelle Förderung wieder im Vordergrund.

3. Unterstützung für Familien. Qualitativ hochwertige Betreuung soll es den Familien ermöglichen, Familie und Beruf gerecht zu vereinbaren. (BMBF, 2010, Absatz 3 ff).

Christine Hesener benennt als zweite Quelle die Sichtweise der Eltern. Es gibt eine Vielzahl von Elternbefragungen zum Themengebiet Ganztagsschule. Somit gibt es auch eine Vielzahl von Ergebnissen. Die Befragungen sind überwiegend regional begrenzt und damit auch regional individuell. Die Stutt- garter Zeitung z.B. berichtete zum Thema Ganztag im Juli 2014: „Die Wün- sche der Eltern sind grenzenlos.“ (Allgöwer, 2014, Absatz 5). Dabei bezieht sich die Zeitung auf den Kreis Reutlingen und Weinheim. Im Landkreis Osnab- rück wurde 2013 eine große Elternbefragung zu verschiedenen Schulthemen durchgeführt. Und selbst innerhalb des Landkreises gab es bei der Befragung zum Thema Ganztagsschule regionale Unterschiede (vgl. Projektgruppe Bil- dung und Region, 2013). Um herauszufiltern, was im Allgemeinen die Wün- sche der Eltern sind, sollen Ergebnisse der StEG herangezogen werden. Die StEG erarbeitete die Erkenntnis, dass Eltern zufriedener sind, wenn sie bei den Hausaufgaben entlastet werden und sich bei Erziehungsproblemen unter- stützt fühlen. Außerdem sind Eltern zufriedener, je mehr Ressourcen eine Schule zur Verfügung hat. Auch sind Eltern zufriedener, wenn das Nachmit- tagsangebot an allen Tagen der Woche stattfindet. Die größte Auswirkung auf die Elternzufriedenheit haben die Aus- und Rückwirkungen der Ganztagsschu- le auf ihr Kind (Das Konsortium der StEG, 2010, S.29). Daraus lässt sich ab- leiten, dass die Eltern sich Entlastung, Hilfestellung, ein vielfältiges und tägli- ches Nachmittagsangebot und einen positiven Einfluss auf ihre Kinder von der Ganztagsschule wünschen. Als dritte Quelle können laut Hesener aktuelle Projekte herangezogen werden. Sie nennt beispielsweise das IZBB, die staat- liche Förderung mit rund 4 Milliarden Euro. Aus diesem und weiteren Projek- ten - es gibt eine Vielzahl - kann entnommen werden, dass der Ausbau der Ganztagsschullandschaft ein weiteres großes Ziel ist.

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Detalles

Título
Die moderne Ganztagsschule in Deutschland. Ein Vorschlag zur Optimierung mit Hilfe der Pädagogik John Deweys
Universidad
University of Hagen
Calificación
1,1
Autor
Año
2015
Páginas
52
No. de catálogo
V338277
ISBN (Ebook)
9783668280496
ISBN (Libro)
9783668280502
Tamaño de fichero
613 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Ganztagsschulen, John Dewey, moderne Schule, Schulsystem Deutschland, Pädagogik
Citar trabajo
Jannis Ender (Autor), 2015, Die moderne Ganztagsschule in Deutschland. Ein Vorschlag zur Optimierung mit Hilfe der Pädagogik John Deweys, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/338277

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