Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Der historische Kontext des Erziehens
1. Die Aufklärung
1.1 Jean-Jaques Rousseau
1.2 Das aufklärerische Erziehen
2. Die deutsche Klassik und der Idealismus
2.1 Immanuel Kant
2.2 Erziehen im Idealismus
3. Die pädagogische Romantik
3.1 Pestalozzi und der Gedanke der Volkserziehung
3.2 Erziehen in der Romantik
4. Die Vormoderne
4.1 Johann Friedrich Herbart
4.2 Das vormoderne Erziehen
5. Moderne
5.1 Maria Montessori
5.2 Erziehen in der Moderne
III. Fazit: Die Möglichkeit eines Universalverständnisses von Erziehen
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Diese Arbeit möchte sich mit der Handlungsform des Erziehens kritisch auseinandersetzen. Im ersten Teil soll nun zunächst die Verbindung zur Wissenschaft der Pädagogik hergestellt werden, bevor im zweiten Teil näher auf den historischen Wandel der Erziehung eingegangen werden wird. Abschließend soll dann versucht werden eine universelle Definition der Handlungsform zu formulieren und ein Fazit gezogen werden.
Für das Verständnis ist es noch wichtig zu erwähnen, dass die Begriffe „Erziehen“ und „Erziehung“ synonym verwendet werden.
Nun soll zunächst versucht werden den Begriff der Erziehung etwas zu klären und die Verbindung zur Pädagogik herzustellen.
Zunächst einmal muss Erziehung als Konstrukt verstanden werden, da es sich um keinen Beobachtungsbegriff handelt. Das Erziehen ist nicht direkt beobachtbar, jedoch gibt es konkrete Verhaltensweisen, die als „Erziehung“ betrachtet werden können. Wenn man sich mit der Thematik befasst sollte man sich bewusst machen, dass ein großer
Interpretationsspielraum zur Verfügung steht und die Rede über die Erziehung stets die Rede über die Rede der Erziehung ist.1
Die Auseinandersetzung mit dem Menschen und das Streben nach Interaktion mit ihm machen es zu einem pädagogischen Phänomen. Aber nicht nur allein deswegen ist das Erziehen mit der Pädagogik verknüpft. Die Wissenschaft der Pädagogik leitet sich vom griechischen Wort paidagogike techne ab und bedeutet wörtlich „Knabenführungskunst“. Pädagogik soll sich mit der Erziehung der Kinder und Erwachsenen beschäftigen und ist so eng verwurzelt mit der Handlungsform des Erziehens.2
Im Folgenden soll nun betrachtet werden inwiefern sich das Verständnis von Erziehung von der Aufklärung bis zur Moderne gewandelt hat.
II. Der historische Kontext des Erziehens
Das Verständnis von Erziehung ist historisch fundiert und baut aufeinander auf. Deshalb soll nun auf einige ausgewählte Abschnitte des historischen Wandels der Erziehungsvorstellung ein Blick geworfen werden. Dafür werden zuerst die gesellschaftlichen und allgemeinen Vorstellungen und Ideale dargelegt. Daraufhin wird dann ein Vertreter der Epoche exemplarisch vorgestellt werden um abschließend ein Fazit, welche Bedeutung die Epoche für das Verständnis von Erziehung hat. Es wird mit der Epoche der Aufklärung begonnen werden und mit der Moderne abgeschlossen werden,
1. Die Aufklärung
Die Zeit der Aufklärung ist aus historischer Sicht eine entscheidende Epoche und umfasst zeitlich die politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa und Nordamerika seit den Religionskriegen. Themen dieser Zeit sind unter anderem religiöse Toleranz, Pressefreiheit, die Idee des Naturrechts des Menschen und die Garantie von Menschen- und Bürgerrechten, die alle in Relation zur Betonung der Vernunft stehen. Dieses Denken steht in einem Zusammenhang zum pädagogischen Denken, denn die Aufklärung als Prozess hin zum Aufgeklärt-Sein bedarf der Unterstützung und die politische, moralisch-sittliche und auch ökonomische Emanzipation bzw. Mündigkeit sowie gesellschaftliche Brauchbarkeit sind nur durch Erziehung zu realisieren. Der Mensch rückt in der Epoche der Aufklärung in den Mittelpunkt und so auch dessen Erziehung und Bildung.3
Rousseau gilt als Verkünder des Evangeliums der Freiheit, der Natur und des Herzens, der Menschenrechte und der Menschenwürde. Er nimmt damit eine große Rolle in der europäischen Geschichte ein. Rousseau gilt als Wegbereiter der französischen Revolution. Literarisch hat er vor allem die Sturm-und- Drang-Bewegung beeinflusst und pädagogisch in Deutschland auf die Aufklärungsbewegung um 1900 eingewirkt. Das alles lässt sich durch sein Denken begründen: Die Aufklärung findet hier mit ihren Ideen ihren Höhepunkt und sogleich lässt sich ein Ansatz zur Überwindung herausfiltern.4
1.1 Jean-Jaques Rousseau
Rousseaus Idee zur Erziehung hält er in dem fiktiven Erziehungsroman „ É mile ou de l ’é ducation “ fest. Dieser besteht aus insgesamt 5 Büchern, in denen er ein Programm der natürlichen Erziehung verkündet. Seiner Auffassung nach besteht die Aufgabe des Erziehens darin, dem Zögling „all das, was uns bei der Geburt noch fehlt und dessen wir als Erwachsene bedürfen“5 zu vermitteln und unterteilt sich deshalb in drei Vermittlungsinstanzen: Erziehung durch die Natur, durch den Menschen und durch die Dinge. Die Natur übernimmt dabei die innere Ausbildung der Fähigkeiten und Organe, durch den Menschen erlernt man den Gebrauch der Entwicklung und durch die Dinge offenbart sich die eigene Erfahrung im Umgang mit den Gegenständen. Rousseau erkennt, dass der Erfolg des Erziehers immer ungewiss ist und mit der Qualitäten des Erziehers und den sieben Prinzipien der Erziehung verknüpft ist. Der Erzieher muss tugendhaft, also unkäuflich und moralisch, selbst Vater oder ein Übermensch sein, zum Erzieher in Abstimmung auf den Zögling erzogen werden, in der Erziehung eine Lebensaufgaben sehen und lediglich einmal erziehen, seine Erziehung schon vor der Geburt des Zöglings beginnen und seine Erziehung inhaltlich auf die menschlichen Pflichten beschränken. Darüber hinaus muss sich die Erziehung an der Eigenständigkeit und -aktivität des Zöglings orientieren, denn „der Mensch ist von Natur aus gut, und wird von der Gesellschaft unterdrückt“6 und nach den Stufen der kindlichen Entwicklung agieren. Ziel soll dabei stets die Natur selbst sein. Rousseau fordert zusätzlich eine Unterscheidung zwischen der Erziehung zum Staatsbürger und zum selbstständigen Menschen und proklamiert die negative Erziehung als Weg.7
1.2 Das aufklärerische Erziehen
Rousseau setzt den Erfolg der Erziehung in Relation zur Qualität des Erziehers und fordert deshalb eine Erziehung fernab der Gesellschaft. Er ist darüber hinaus der Meinung, dass ein Erzieher nicht mehrere Kinder erziehen kann sondern sich auf ein Einzelnes konzentrieren muss. Er erkennt die Unfertigkeit des menschlichen Wesen an und fordert deshalb mehr als eine Erziehungsinstanz. Erziehung begrenzt sich bei Rousseau auch nicht auf den Zögling sondern er gesteht dem Erziehenden Unwissenheit zu und verlangt, dass dieser sich selbst am Zögling zum Erzieher erzieht. Rousseau erkennt den Zögling in seiner Individualität an und eröffnet so die Möglichkeit einer neuen Sichtweise, die in den folgenden Epochen noch aufgenommen werden wird.
2. Die deutsche Klassik und der Idealismus
Um 1800 beginnt in Deutschland die Epoche der Klassik, in der geschichtliche Ereignisse wie die Französische Revolution, der Wiener Kongress oder auch der Beginn der Industrialisierung stattfinden. Goethe und Schiller, die als die deutschen Schriftsteller gelten, verfassen in dieser Epoche einen Großteil ihrer Schriften. Aber auch die Philosophen der Aufklärung spielen weiterhin eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund soll nun auf Immanuel Kant näher eingegangen werden.
2.1 Immanuel Kant
Kant hält erstmals im Wintersemester 176/77 eine Vorlesung über Pädagogik an der Universität Königsberg, weil es die Regierung vorgibt. Doch anstatt der vorgegeben Literatur verwendet er seine eigenen Gedanken als Quellen. Er bezieht sich auf Rousseau, dem er ein Umdenken zu verdanken hat: Denn durch ihn erkennt er die Freiheit und Würde des Menschen an und stellt sich deshalb die Frage, ob Erziehung so überhaupt stattfinden kann. Er sieht einen Konflikt, wenn die Freiheit des Zögling anzuerkennen ist und sich diese doch gleichzeitig im Lauf des Erziehens entwickeln, bilden, fördern und pflegen, kurz: kultivieren, soll. Für Kant entsteht dadurch ein Widerspruch, da Erziehung zur Freiheit durch Zwang entsteht. In der Vorlesung über die Pädagogik präsentiert Kant aber seine Lösung des Problems: Die Auffächerung des Wortes „Pädagogik“ in die Dimensionen erzieherischen Handelns. Diese bezeichnet er als Disziplinierung, Kultivierung, Zivilisierung und Moralisierung. Disziplinierung verfolgt das Ziel des Abschleifens der Rohigkeit des Zöglings durch die Legitimation von Grenzen. Diese haben eine negative Wirkung auf den Zuerziehenden und halten ihn so von Fehlern ab. Diese Dimension kann also auch als Bezähmung der Wildheit bezeichnet werden. Die Dimension der Kultivierung zielt auf die Aneignung von Geschicklichkeit wie zum Beispiel das Lesen oder das Schreiben ab und versucht das mittels Belehrung und Unterweisung zu erreichen. Zivilisierung dagegen schult die Fähigkeit des Erreichens der eigenen Ziele über Kommunikation und Interaktion. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür sind Manieren, Artigkeit und Klugheit. Die Dimension der Zivilisierung kann also auch als rationale Verwendung interaktiver und kommunikativer Mittel verstanden werden. Die Moralität, oder auch der Akt der Freiheit, widmet sich der Beförderung der moralischen Anlage durch die Erziehung. Hier soll zum Guten erzogen werden, was so viel bedeutet, wie, dass moralisch relevante Situationen besprochen werden um die moralische Urteilskraft zu schärfen.8
2.2 Erziehen im Idealismus
Die Stufentheorie Kants, welche auf die Moralität abzielt, fasst seine Auffassung von Erziehung zusammen und zeigt, dass Erziehen neben den bisher genannten Aufgaben noch die moralische Bildung hinzubekommt. In der Zeit Immanuel Kants verlässt die Erziehung das Verständnis im Sinne einer Sicherung der existierenden Sitte und der Lebensform. Das Hauptmerkmal ist nun, dass „Kinder […] nicht dem gegenwärtigen, sondern dem zukünftig möglich bessern Zustande des menschlichen Geschlechts, das ist: der Idee der Menschheit, und deren ganzer Bestimmung angemessen, erzogen werden“9 sollen. Diese Form der Erziehung soll von allen Seiten verfolgt werden, also sowohl von der Familie also auch von Seiten des Staates. Erziehen wird also zur Gemeinschaftsangelegenheit und gerät in das Verhältnis von Politik und Pädagogik. Kant fordert in diesem Zusammenhang eine Reformstrategie, die die private Initiative als eigentlichen Impuls für den möglichen gesellschaftlichen Fortschritt versteht. Die öffentliche Erziehung soll also nicht mehr ohne die familiäre und primäre Erziehung betrachtet werden sondern als Beförderung dieser guten Privaterziehung. Er bezeichnet das Verständnis von Erziehung zu seiner Zeit so: „ Vielleicht, dass Erziehung immer besser werden, und dass jede Generation einen Schritt näher tun wird zu Vervollkommung der Menschheit; denn hinter der Edukation steckt das große Geheimnis der Vollkommenheit der menschlichen Natur. Von jetzt an kann dies geschehen. Denn nun erst fängt man an, richtig zu urteilen, und deutlich einzusehen, was eigentlich zu einer guten Erziehung gehöre. “10.
3. Die pädagogische Romantik
Die Strömung der Romantik findet kulturgeschichtlich vom Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts statt und kann als Reaktion auf ihre Zeit verstanden werden. Vor allem die beginnende Industrialisierung, der Verlust von Ganzheitlichkeit in der modernen Welt und der rationalistische Fokus der Zeit fördern das Bedürfnis nach Leichtigkeit und Schönheit und machen es der Kunst in all ihren Facetten leicht diesen gerecht zu werden. Das romantisch-pädagogische Denken basiert vor allem auf Herder, der die Vernunft als „spätere Vernunft“, die die schöpferische Bewegung des Lebens nicht zu erfassen vermag definiert und so die Idee einer „lebendigen Vernunft“ kreier, die im Selbst des individuellen Ich gefunden werden kann. In der Romantik wird auch das Verständnis des Kindes neu konstruiert. Alles ist auf dieses ausgelegt und der Pädagoge versteht sich in der Rolle des Erziehers als Gärtner, der dem Kind bei der Entfaltung seiner Innerlichkeit hilft.11
Der Fokus auf das Kind begründet, dass im Folgenden Pestalozzis Verständnis von Erziehung dargelegt werden soll. Auch wenn dieses zeitlich nicht ganz in die Epoche der Romantik gehört, hat es doch seine Auswirkung auf diese gehabt, da zum Beispiel Vertreter wie Friedrich Fröbel sich mit seiner Auffassung auseinandersetzten und von ihr geprägt wurden.
3.1 Pestalozzi und der Gedanke der Volkserziehung
Johann Heinrich Pestalozzi wird im Nachhinein als Pädagoge, Erziehungstheoretiker und Sozialreformer bezeichnet. Er steht wie viele zu seiner Zeit unter dem Einfluss Jean- Jaques Rousseaus. Das zeigt sich in seiner Auffassung, dass die Natur dem Menschen alles mitgegeben hat, was zur Entwicklung braucht. 1771 gründet er auf Gut Neuhof eine Armenschule, durch die er die Bedeutung sozio-ökonomischer Verhältnisse erkennt. Die Zeit des industriellen Umbruchs lässt ihn erkennen, dass Rousseaus Gedanke des „Lernens an der Natur“ immer stärker im Widerspruch zur technisch geprägten Lebenswelt steht. Diese gesellschaftlichen Veränderungsprozesse fordern neue pädagogische Lösungsversuche, weshalb Pestalozzi sich für eine breitgestreute Ausrichtung des Unterrichts entscheidet um sich an die ökonomischen Bedingungen anzupassen.12
Um seine Auffassung von Erziehung zu verstehen, muss zunächst Pestalozzis Anthropologie dargelegt werden. Für ihn ist der Mensch das Produkt unterschiedlicher Kräfte.
[...]
1 Reichenbach, S. 21
2 Burkard, S. 11
3 Reble, S. 135 ff
4 Reble, S. 151
5 Reble, S. 177
6 Reble, S. 177
7 Reble, S. 166 ff.
8 Benner, S. 123 ff.
9 Benner, S. 131
10 Benner, S. 133
11 Benner, S. 153 ff.
12 Reble, S. 220 ff.