Tourismus bei den Yanomami

Analyse einer ethnischen Einheit


Dossier / Travail, 2013

25 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundstrukturen der Tourismusethnologie

3. Reisemöglichkeiten zu den Yanomami
3.1. Privatreisen
3.2. Feldforschung

4. Die Perspektive der Yanomami
4.1. Vorteile
4.2. Nachteile

5. Stattfindender Fremdenverkehr
5.1. Erfahrungsberichte
5.2. Diskussionen

6. Zusammenfassung und Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Was passiert mit einer indigenen Gruppe, wenn ihr Gebiet von Touristen besucht und sie selbst zur Sehenswürdigkeit wird? Kann man ohne Bedenken jede Region der Welt touristisch erschließen oder sollten manche unberührt bleiben? Auf welche Weise findet Tourismus in solch schwer zugänglichen Gebieten wie dem Amazonas-Gebiet überhaupt statt? Und welche Perspektiven haben Indigene selbst zu dem Thema?

Im Folgenden werde ich diese und weitere Fragen am Beispiel der Yanomami und ihren „Besuchern“ behandeln, um durch das Betrachten eines konkreten Falls zu Antwortansätzen bezüglich des Themas zu gelangen. Die Yanomami sind eine indigene Gruppe, die im Grenzgebiet des nordwestlichen Brasiliens und des südöstlichen Venezuelas lebt. Ihr Reservat erstreckt sich auf eine Gesamtfläche von ca. 192 000 km². Sie wohnen in ungefähr 363 Dörfern und hatten vielleicht schon um 1750 Begegnungen mit der „westlichen Welt“, aber erst Mitte der 1950er Jahre schafften Missionare und Ethnologen einen anhaltenden Kontakt. Es lässt sich keine genaue Angabe darüber machen, wie viele Yanomami heute noch existieren, aktuelle Schätzungen sprechen von ca. 21 000 (Hames 1994: 374).

Ich werde meine Ausführungen mit einem generellen Einblick in die Tourismusethnologie und deren Themen und Grundannahmen beginnen, um diese Fragestellungen dann anschließend am Beispiel der Yanomami zu untersuchen. Als nächstes betrachte ich die Reisemöglichkeiten, die zu den Yanomami bestehen (auf Ebene der Privatreisen und knapp auch auf Ebene der Feldforschung), um einen Überblick darüber zu geben, mit welchen Mitteln und unter welchen Voraussetzungen man überhaupt in ihr Gebiet gelangen kann. Im Folgenden gehe ich auf die Perspektive der Yanomami selbst zum Thema ein. So wird die Problematik zunächst von der Seite der Indigenen beleuchtet, bevor ich im nächsten Kapitel auf Erfahrungsberichte von bereits dort gewesenen, nicht-indigenen Besuchern eingehe. Abschließend betrachte ich auf Grundlage der bisher dargestellten Positionen und Thematiken verschiedene Kontroversen, die das Reisen zu indigenen Gruppen generell ausgelöst hat und versuche zu einem Fazit zu gelangen, das zusammenfasst, was der Tourismus für indigene Gruppen im Allgemeinen und die Yanomami im Besonderen bedeutet und inwiefern er ihr Leben verändert hat. Ich stütze mich dabei hauptsächlich auf Quellen aus dem Internet, da es zu diesem „jungen“ Thema der Ethnologie (Fischer 1982: 37,38) nur wenig Literatur gibt. Daher fehlen vereinzelt genauere Angaben zu den Quellen, wie in einem Fall eine nicht zu erschließende Jahreszahl oder die wahren Namen von Forenbenutzern, deren Beiträge ich aufgegriffen habe. In einigen Fällen war es mir nicht möglich, den Namen des Autors überhaupt herauszufinden – hier führe ich dann lediglich den Namen der Organisation an. Auch nutze ich als zusätzliche Quellen zwei Telefonate, die ich im Zuge meiner Recherche mit bereits bei den Yanomami gewesenen Personen geführt habe.

Ausklammern werde ich in dieser Arbeit die Rolle und Verantwortung, die speziell Ethnologen bei den genannten Kontroversen zukommt oder zukommen kann. Ich versuche stattdessen u.a., allgemein die Folgen zu untersuchen, die das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen mit sich bringen kann und welche Verantwortungen sich daraus für die Beteiligten ergeben.

2. Grundstrukturen der Tourismusethnologie

Während Tourismus in anderen Disziplinen (z.B. Geographie, Wirtschaftswissenschaften) schon länger Forschungsgegenstand ist, untersucht die Ethnologie das Thema erst seit den 1960er Jahren (USA) bzw. den 1980er Jahren (Deutschland) (Fischer 1988: 483/484). Tourismus ist für die Ethnologie bedeutsam: als „eine Form interkultureller Kontakte und Kommunikation, als Anlass für Kulturwandel in den bereisten Ländern mit vermuteten überwiegend negativen, destruktiven Auswirkungen, vor allem durch Kommerzialisierung der einheimischen Kultur“ (Fischer 1988: 483/484). Weiterhin kann die Situation des Touristen Ähnlichkeiten mit der des Feldforschers haben bzw. Feldforscher können mit Touristen identifiziert und in ihre Rolle gedrängt werden. Fischer beschreibt z.B., dass sowohl Ethnographen als auch Touristen Authentizität, „die echte Kultur“ des Landes suchen, ungeachtet dessen, was die Mitglieder dieser Kulturen eigentlich selbst wollen – zwar aus unterschiedlichen Motiven, aber dennoch mit ähnlichen Vorstellungen von der jeweiligen Kultur (1982: 47).

In jedem Fall führte und führt Tourismus zu stärkerem Interesse an der Ethnologie (Fischer 1988: 483/484).Was sind nun die Fragestellungen und Themen, mit denen sich die Tourismusethnologie befasst? Einmal fragt sie nach den Voraussetzungen, Funktionen und Folgen des Tourismus: was sind sozioökonomische Bedingungen und Entwicklungen für Tourismus (Wahrlich 1984: 117-119)? Diskutiert wird auch die Frage, ob Tourismus eher ein Weg aus der suggerierten „Unterentwicklung“ oder ein Weg zu neuen sozialen und regionalen Differenzen ist (Wahrlich 1984: 21; 25). Ein weiteres wichtiges Themengebiet, auf das ich in der Arbeit besonders eingehen werde, ist der Kulturkontakt und seine Folgen. Inwiefern erfolgen Kulturberührungen und –zusammenstöße, verflechten sich die betroffenen Kulturen oder kommt es sogar zu einer Akkulturation oder einem sog. „Kulturschock“ (Wahrlich 1984: 43-53)? Auch die humanitären Funktionen des Tourismus (z.B. Völkerverständigung) und die Gast-Gastgeber-Beziehung (in welchem Verhältnis stehen Touristen und Einheimische zueinander?) werden untersucht (Wahrlich 1984: 135-139; 149 ff.). Ein anderes Teilgebiet ist „der Reisende“. Seine Vorstellungen, Erwartungen und etwaige Einstellungsänderungen durch eine Reise werden betrachtet (Wahrlich 1984: 100 ff.; 177-180), sowie verschiedene Sozialprofile und „Typen“ von Touristen (Wahrlich 1984: 138). Urlaubsmotive, Werbung, Massentourismus und Funktionen von Reisen (z.B. Reisen als Flucht oder als „Fertigprodukt“) sind weitere Inhalte der Teildisziplin (Wahrlich 1984: 117; 120; 122-123; 133), auf die ich in dieser Arbeit allerdings nur teilweise eingehen werde.

Die Tourismusethnologie untersucht also drei Gruppen von Menschen: solche, die sich in ihrer Freizeit befinden (Touristen), die, die bei der Arbeit sind (die Beschäftigten in der Tourismusindustrie) und diejenigen, die sich zugleich als aktive und passive Beobachter beschreiben lassen (die Einheimischen, die zugleich auch zur zweiten Gruppe gehören können; Burns 2000: 72). Burns beschreibt als einen Untersuchungsgegenstand somit die Kultursynthese aus der lokalen, alltäglichen Kultur, der „Tourismuskultur“ allgemein und der Kultur des Herkunftslandes der einzelnen Touristen und nennt interkulturelle Begegnungen und die daraus folgenden sozialen Transaktionen den Schlüssel zum ethnologischen Verständnis von Tourismus (2000: 79, 72). Er sieht weiter das Verhältnis von Einheimischen und Touristen als eines mit Zonen gegenseitiger Abhängigkeiten: die „gebende“ Seite (die Touristen) sorgt für das Wohlergehen der „nehmenden“ Seite (die Einheimischen), und umgekehrt – somit sind beide Gruppen eigentlich zugleich „Geber“ und „Nehmer“ (2000: 79). Zuletzt stelle ich zwei Tourismustheorien vor, wobei ich die zweite auch am Beispiel der Yanomami nachvollziehen werde: Tourismus als Ritual oder „heilige Reise“, bei der die Touristen die drei von van Gennep (1960) entwickelten Übergangsriten durchlaufen (Burns 2000: 75) und Tourismus als Form des Imperialismus, bei der die Touristen als moderne Imperialisten gesehen werden, die dem besuchten Land ihre Kultur mehr oder minder „aufzwingen“ (Burns 2000: 77). Abschließend lässt sich sagen, dass die Ethnologie dem Tourismus anfänglich sehr kritisch gegenüberstand (siehe z.B. oben die Definition von Fischer 1988).

Doch nun ist auch hier die Frage nach ökonomisch rentablen Alternativen für die betroffenen Länder aufgekommen und man ist von diesem kritischen Standpunkt zu einem objektiveren gelangt (Burns 2000: 79). Im Laufe meiner Arbeit werde ich beide Perspektiven anhand von beispielhaften Kontroversen und Erfahrungsberichten betrachten. Nachdem ich nun einen allgemeinen Überblick über die Grundfragen und Themen der Tourismusethnologie gegeben habe, werde ich im Folgenden die Reisemöglichkeiten beschreiben, die in ein so abgelegenes Gebiet wie das Amazonas-Gebiet bestehen, um später dann darauf einzugehen, wer diese Reisen unternimmt und welche Folgen und Diskussionen sich aus diesen Möglichkeiten ergeben.

3. Reisemöglichkeiten zu den Yanomami

3.1. Privatreisen

Wer die im Grenzgebiet von Brasilien und Venezuela auf beiden Seiten der Grenze lebenden Yanomami besuchen will, sieht sich einigen Hindernissen gegenübergestellt. Von einem Besuch auf eigene Faust wird fast ausschließlich abgeraten und ein Übersetzer und „cultural guide“, also jemand, der nicht nur die Sprache der Indigenen spricht, sondern auch ihre Kultur und somit ihr Verhalten genauestens versteht, ist in jedem Fall hilfreich, wenn nicht sogar unumgänglich (thrudur84 [Lonely Planet] 2009; Telefonat mit Dienstl und Haverkamp 2012). Neben den generell für Brasilien und Venezuela geltenden Gesundheitswarnungen werden einige für das Amazonas- Gebiet besonders hervorgehoben, wie z.B. Malaria, Gelbfieber und Flussblindheit (Lonely Planet 2012). In Venezuela kontrolliert das Militär das Gebiet – das Reservat der Yanomami zu betreten ist illegal (Telefonat mit Haverkamp 2012; Colebozbournen [Lonely Planet] 2012; Ramos et al. 2003; Croes 2004). Um die auf brasilianischer Seite lebenden Yanomami zu besuchen, braucht man die Genehmigung der „Indianerschutzbehörde“ FUNAI (Fundação Nacional do Índio) (Colebozbournen, Kit Taylor [Lonely Planet] 2009; Petrus [Lonely Planet] 2011; Telefonat mit Haverkamp 2012). Die Regierungen tragen keine Verantwortung für Unfälle im Yanomami-Reservat (Petrus [Lonely Planet] 2011) und die Yanomami selbst versuchen z.B. Straßenbau zu verhindern, um das Eindringen weiterer Fremder zu vermeiden (Ramos et al. 2003). Generell sind die Indigenen misstrauisch gegenüber Fremden, v.a. aufgrund negativer Erfahrungen z.B. mit den Goldsuchern und Missionaren (Pacific Island Travel 2007). Die Yanomami selbst arbeiten dennoch oft als Tourguides, da dies ein durchaus ertragreiches Geschäft für sie ist (Telefonat mit Haverkamp 2012; Rowan [Lonely Planet] 2007) – bereits hier kann man sehen, dass auch die Indigenen sich die Frage nach den ökonomischen Alternativen zum Tourismusgeschäft zu stellen scheinen (siehe Kap.2), und dass die Antwort häufig zugunsten der Tourismusbranche ausfällt. Dass man eine Genehmigung der FUNAI benötigt, um in das Reservat zu gelangen, oder dass der Zugang in Venezuela generell verboten ist, stellt kein unumstößliches Hindernis dar – illegaler Zutritt durch Bestechung der FUNAI-Wachposten oder des Militärs ist nicht unüblich (Telefonat mit Dienstl und Haverkamp 2012).

Einige Yanomami-Dörfer außerhalb des Reservats können zudem legal und ohne Genehmigung besucht werden – von Dienstl wurden diese Dörfer jedoch scherzhaft als „Neckermann-Dörfer“ bezeichnet, da die Yanomami ihr „traditionelles“ Leben hier nur noch für die Touristen leben und ansonsten eigentlich bereits einen sehr „westlich“ orientierten Lebensstil pflegen (Telefonat mit Dienstl und Haverkamp 2012). Auch in dieser Aussage finden sich meiner Meinung nach einige Punkte der Tourismusethnologie wieder: zum einen die Folgen des Kulturkontakts (der Yanomami-Kultur mit „dem Westen“), und zum anderen sagt es etwas über den Erwartungshorizont der Touristen aus, die in dieses Gebiet reisen : sie haben eine bestimmte Vorstellung davon, wie ein Yanomami „zu sein hat“ und möchten diesen so „authentisch“ ,also so nah an ihrer persönlichen Vorstellung wie möglich sehen. Ein weiteres Thema, dass bezüglich Reisen in das Amazonas-Gebiet angesprochen werden muss, ist der sog. „Ökotourismus“. Im Folgenden werde ich einen Artikel, der „Ökotourismus“ im Amazonas-Gebiet beschreibt, exemplarisch betrachten. Der Artikel, auf den ich mich beziehe, stammt von einer Autorin namens Donnalynn Gazza.

Über sie und den Rahmen des Artikels konnte ich leider nicht mehr herausfinden, als dass sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (1999) auf der „School of International Service“ in New York war. Gazza beschreibt, dass der Ökotourismus ein Weg ist, um die Abholzung des Regenwaldes zu verlangsamen, da der Profit aus dieser Tourismusform ausschließlich dem Erhalt der Umwelt zu Gute komme. Sie führt als Beispiel eine Lodge in Brasilien an, die angeblich gebaut wurde, ohne einen einzigen Baum zu fällen. Weiterhin berichtet Gazza von einem Programm (GATS, General Agreement on Trade in Services), das hilft, Ökotourismus als nachhaltige Entwicklungsalternative zu fördern und das Amazonas-Gebiet zu schützen. Einige indigene Völker, u.a. die Yanomami, nehmen an diesem Programm teil und werden durch die Teilnahme angeblich selbst gefördert (es wird allerdings nicht näher spezifiziert auf welche Art und Weise).

Die indigenen Gruppen sehen Ökotourismus laut der Autorin „as the most rational and lucrative alternative in protecting the rainforest, creating jobs, and generating revenue for local needs such as education and community health. These groups also see ecotourism as a way of maintaining their cultural integrity”. Sie spricht also auch Themen wie Kulturkontakt an, indem sie sagt, dass viele der Gruppen Angst hätten, ihre kulturelle Identität durch das Eindringen von Touristen aus anderen Kulturkreisen zu verlieren. Sie unterstützen daher laut Gazza Ökotourismus, um über die Bewahrung der Natur ihre kulturelle Identität aufrecht zu erhalten. Konkret hilft das Programm den Gruppen z.B. Grenzen zu setzen, was die Zahl der Tage betrifft, die Touristen im Amazonas-Gebiet bleiben können (Gazza 1999). Als Nächstes möchte ich knapp zusammengefasst eine exemplarische Tour vorstellen, deren Hauptziel der Besuch von Yanomami-Dörfern ist. Bei dem Reiseveranstalter handelt es sich um „backpacker-tours.com“, die Tour nennt sich „Expedition Yanomami“. Das Team besteht laut eigenen Angaben teils aus deutschen, teils aus venezolanischen Mitgliedern.

[...]

Fin de l'extrait de 25 pages

Résumé des informations

Titre
Tourismus bei den Yanomami
Sous-titre
Analyse einer ethnischen Einheit
Université
University of Hamburg  (Institut für Ethnologie)
Cours
Analyse einer ethnischen Einheit: Die YanomamiAnalyse einer ethnischen Einheit: Die Yanomami
Note
1,3
Auteur
Année
2013
Pages
25
N° de catalogue
V375979
ISBN (ebook)
9783668524682
ISBN (Livre)
9783668524699
Taille d'un fichier
549 KB
Langue
allemand
Mots clés
yanomami, amazonas, brasilien, venezuela, ethnien, stamm, tourismus, nachhaltigkeit, indigene
Citation du texte
Katharina Wilhelm (Auteur), 2013, Tourismus bei den Yanomami, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375979

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