Die Darstellung von Bewusstseinsänderungen durch Halluzinogene in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Aspekte und Effekte bei Hermann Hesse, Bernward Vesper und Martin Suter


Thèse de Bachelor, 2014

48 Pages, Note: 13,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
1
2. Drogen: Geschichte und Definitionen
3
2.1 Die Kulturgeschichte der Drogen
3
2.2 Halluzinationen und Halluzinogene
5
3. Darstellungsweisen der Bewusstseinsänderung in literarischen Werken
7
3.1 Unterbewusste Parallelwelten in Hermann Hesses Der Steppenwolf 1920er
8
3.2 Trips als Reise zu der Selbstfindung in Bernward Vespers Die Reise 1960er
14
3.3 Negative Rauscherfahrung in Martin Suters Die dunkle Seite des Mondes 1990er
19
4. Vergleich: Beziehung zwischen Halluzinogen und Protagonist
25
4.1 Leitmotiviken: Selbstverwirklichung und Gesellschaftsflucht
25
4.2 Wirkungsweisen der dargestellten Drogen
31
4.3 Heilung oder Ruin?
35
5. Wirkungsästhetik des Rausches
38
6. Fazit
43
7. Bibliographie
45
8. Anhang: Eigenständigkeitserklärung

- 1 -
1. Einleitung
,,... verlassen wir das Reich der Träume und
dringen zu neuen Wirklichkeiten vor."
1
Die verschärfte Überwachung einiger Drogen, die im 20. Jahrhundert ihren Anfang nimmt,
lässt diese Rauschmittel nicht einfach von der ,Bildfläche` verschwinden. Im Gegenteil, es
tritt ein zunehmendes Interesse an den berauschenden Mitteln zutage. Diese
gesellschaftliche Faszination über die Drogenthematik wird als Inspirationsquelle neben
der bildenden Kunst auch in der Literatur genutzt, um die Leserschaft schriftlich
berauschen und gezielte Aussagen vermitteln zu können.
2
Die deutschsprachige Literatur
bietet inzwischen eine umfassende Sammlung an Werken, die sich unter anderem mit dem
Thema Drogen und die Wirkung der Drogen anhand der literarischen Figuren befasst.
Diese wurden mehrfach auch von Autoren verfasst, die unter Drogeneinfluss standen oder
mit bestimmten Substanzen experimentierten, um herauszufiltern zu können, inwiefern
diese ihre Schreibweise und Kreativität beeinflussen.
3
Die deutschsprachige Literatur
beschäftigt sich erst im 20. Jahrhundert ausgedehnter mit der Drogenthematik. Von Hans
Fallada über Walter Vogt, in den verschiedensten Werken findet eine literarische
Auseinandersetzung statt. Die Drogen, die das Bewusstsein der handelnden Figur so stark
beeinflussen, dass die Persönlichkeit oder das Bewusstsein davon signifikante
Veränderungen tragen, sind die Halluzinogene. Schwerpunkt dieser Arbeit werden die
Merkmale der literarischen Darstellungsweisen einer Rauscherfahrung durch
bewusstseinsverändernde Substanzen und ihre direkte Verbindung zu der Hauptfigur sein.
Untersucht wird demnach, wie mit der Darstellung eines Rausches in der
deutschsprachigen Literatur umgegangen wurde, welche Absichten der Autor damit
wahrscheinlich verfolgte und inwiefern eine kulturgeschichtliche Verbindung zu der
Rauschdarstellung besteht. Hierzu werden drei unterschiedliche Werke herangezogen, die
insgesamt den Zeitraum des 20. Jahrhunderts abdecken.
Welche Besonderheiten die Drogenthematik in der Neuen Sachlichkeit beinhaltet, wird
anhand des komplexen Werkes Der Steppenwolf von Hermann Hesse beleuchtet. Der Leser
erfährt in dem Roman eine kontrastreiche Reise zwischen Mensch und Tier, Vergangenheit
und Zukunft, bis hin zu einem Einblick in die zerstreute Gedankenwelt des Protagonisten.
1
Jünger, Ernst. Annäherungen: Drogen und Rausch. Stuttgart: Ernst Klett, 1970. S. 429.
2
Vgl. Jay, Mike (Übers. von Michael Haupt). High Society: Eine Kulturgeschichte der Drogen. Darmstadt:
Primus Verlag, 2011. S. 7.
3
Vgl. Resch, Stephan. Rauschblüten: Literatur und Drogen von Anders bis Zuckermayer. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht, 2009. S. 9. (Folgend: Resch, Stephan. Rauschblüten.)

- 2 -
Dieses Werk ist nicht umsonst von der amerikanischen ,Hippiekultur` in den 1960er Jahren
zu einem ,Kultroman` transformiert und aufgrund der untypischen Darstellungsweise des
inneren Konfliktes stark verehrt worden.
4
Ein Nobelpreis zeichnet dieses Werk 1946 aus
und mittlerweile lässt es sich aus der Welt der Klassiker nicht mehr wegdenken.
5
Aus der
Blütezeit der Drogenkultur, insbesondere der Halluzinogene in den 1960er Jahren, wird
das autobiographische Romanessay Die Reise von Bernward Vesper mit seinen
facettenreichen ,LSD-Anschauungen` als Vergleichswerk herhalten. Der Leser wird hier
nicht nur in das Reich der Vergangenheit von Vesper geführt, sondern erfährt zusätzlich,
wie dieser, im eigenen Versuch mit der Droge, nach Erkenntnis strebt.
6
Die
Gegenwartsliteratur, welche als Schriftbeispiel mit Drogenthematik für das Ende des 20.
Jahrhunderts dient, ist Die dunkle Seite des Mondes von dem Schweizer Schriftsteller
Martin Suter. In dieser Erzählung wird die moderne Geschäftswelt mit der Nostalgie der
1960er Jahre zusammengeführt. Neben den dargestellten Rauscherfahrungen wird eine
laufende Ermittlung einbezogen, sodass dem Roman bereits ein ,Krimi-Charakter`
zugeschrieben werden kann. Hier treten insbesondere die negativen Auswirkungen von
Halluzinogenen hervor, mit denen der Autor dem Protagonisten zusätzlich eine völlig neue
Persönlichkeit schafft.
Der letzte Teil der Arbeit beschäftigt sich anschließend damit, die Darstellungsweisen der
Drogen und die Änderung des Bewusstseins der Hauptfigur in den jeweiligen Werken
miteinander zu vergleichen. Hierzu wird eine eingehende Analyse herhalten, um die
dargestellte Drogenthematik und die damit verbundenen Auswirkungen für den
Protagonisten darzulegen. Zuletzt wird berücksichtigt, wie sich die Erzählweise und die
Sprache über die Halluzinogene in dem Jahrhundert verändern. Dies dient der
Schlussbetrachtung, ob bestimmte Merkmale für die deutschsprachige Drogenliteratur aus
einer solchen Veränderung hervorgehen und was für eine Wirkung die Inszenierung
letztendlich auf den Leser hat.
4
Vgl. Esselborn-Krumbiegel, Helga. ,,Hermann Hesse: Der Steppenwolf." In: Bogdal, Klaus-Michael und
Kammler, Clemens (Hg.): Oldenbourg Interpretationen, Band 17. Oldenbourg Verlag: München, 1988. S.
20. (Folgend: Esselborn-Krumbiegel, Helga. Hermann Hesse: Der Steppenwolf.)
5
Vgl. Esselborn-Krumbiegel, Helga. Hermann Hesse: Der Steppenwolf. S. 21.
6
Vgl. Resch, Stephan. Rauschblüten. S. 93.

- 3 -
2. Drogen: Geschichte und Definitionen
2.1 Die Kulturgeschichte der Drogen
In vielen Kulturen hatten ,,Drogen"
7
bereits seid Anbeginn der Menschheit die Funktion,
als essentielles Rausch- und Heilmittel zu dienen. Neben Flora und Fauna waren es vor
allem die indigenen Völker Mittelamerikas die sich die Wirkungsweise der Drogen,
insbesondere der Halluzinogene zunutze machten. Die, um 300 v. Chr., von den Azteken
getrockneten Blätter des Peyote-Kaktus, wurden für die Herstellung der halluzinogenen
Droge Meskalin verwendet. Die Benutzung einer weiteren halluzinogenen Substanz, der
Pilzgruppe Psilocybe, geht ebenfalls auf die Traditionen der Indianerstämme dieser Region
zurück. Rituelle Praxen waren bei der Einnahme das eigentliche Leitmotiv und
Hauptinteresse der Schamanen.
8
Obwohl viele der Rauschmittel zu Beginn oft
unangenehme physische Wirkungen aufwiesen ­ die stark an Vergiftung denken ließen ­
etablierten sich diese dennoch aufgrund ihrer frühen kulturellen Wertschätzung und
Akzeptanz, in der Gesellschaft.
9
Im späten 19. Jahrhundert wuchs, aufgrund der
verbesserten Analysetechnik das Interesse der Chemiker Europas an der Wirkung und
Zusammensetzung bewusstseinsverändernder Substanzen, die anschließend durch Reisen
in die entsprechenden Länder Amerikas erstmals untersucht werden konnten.
10
Vor dem 20. Jahrhundert waren nur wenige Verbote einiger Drogen bekannt. Ein Beispiel
für eine solche Untersagung ist die Ablehnung des Alkoholkonsums im Islam hinsichtlich
der religiösen Motivik und Abneigungen gegen die öffentliche Trunkenheit. Dennoch ist es
zu Beginn des sozialen Wandels, in der Moderne des 19. Jahrhunderts, ein Leichtes
gewesen, sich eine Vielzahl von heutzutage überwachten Rauschmitteln in der Apotheke
zu verschaffen. Zu diesen zählten Kokain, Haschisch und Heroin. Sie wurden häufig in
Form von Pillen, Injektionen, Tränken und Tinkturen verkauft.
11
Das europäische 19.
Jahrhundert wird passend dazu auch als Zeitalter des Rausches betitelt.
12
Dem schließt sich
hingegen ein neues Jahrhundert an, welches zahlreiche Umbrüche in der Kulturgeschichte
7
Der Begriff ,Drogen` wird im weiteren Sinne für jene Mittel verwendet, die auf das Bewusstsein und den
Körper eine biochemische Wirkung entfalten. Seit dem 20. Jahrhundert steht der Begriff in Zusammenhang
mit Illegalität und Bewusstseinsveränderung, dies wird in der Gesellschaft negativ aufgefasst. Vgl. hierzu:
Jay, Mike. S. 49.
8
Resch, Stephan. ,,Provoziertes Schreiben: Drogen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945". In: Kraft,
Herbert (Hg.): Historisch - Kritische Arbeiten zur deutschen Literatur, Band 41. Frankfurt am Main: Peter
Lang, 2007. S. 172. (Folgend: Resch, Stephan. Provoziertes Schreiben.)
9
Vgl. Jay, Mike. S. 22.
10
Vgl. Resch, Stephan. Provoziertes Schreiben. S. 172.
11
Vgl. Jay, Mike. S. 36.
12
Vgl. Kupfer, Alexander. Die künstlichen Paradise: Rausch und Realität seit der Romantik - Ein Handbuch.
Stuttgart: Metzler, 1996. S. 54.

- 4 -
der Drogen mit sich bringt. Die Prohibition in den Staaten beschwört eine Welle von
gesellschaftlichen Abgrenzungen und zunehmende Kriminalität herauf.
13
Bestimmte
Drogen werden als nicht mehr kompatibel mit der zivilisierten Gesellschaft der Zukunft
angesehen und deswegen untersagt.
14
Drogen waren von nun an eher in den Bereichen der
medizinischen Versorgung und Forschung, als öffentliches Genussmittel oder in illegalen
,Untergrund-Aktivitäten` beziehungsweise im Handel wiederzufinden.
15
Der Einsatz von
Rauschmitteln in der entwickelten Gesellschaft ist grundlegend anders motiviert, als es bei
den indigenen Naturvölkern der Fall ist. Die nativen Amerikaner bezweckten mit der
Rauschwirkung, Heilserfahrungen und zielorientierte Visionen zu erhalten, die moderne
Gesellschaft hingegen benutzt die Wirkung der Drogen um individuelle Probleme zu
lösen.
16
Hauptgründe für eine Konfliktlösung mittels Drogen sind die Verarbeitung der
zwei Weltkriege und die Unterdrückung des Individuums in der fortschreitenden
Massenkultur.
17
Die Nachfrage nach bestimmten Rauschmitteln durch die Gesetze
einzugrenzen, ist ebenfalls nicht von langer Dauer geblieben, da die Beziehungen zu dem
internationalen Markt dem entgegenwirkten.
18
In den 1920er Jahren bricht eine ,Kokain-Welle` aus, die sich vor allem in der
Drogenliteratur bemerkbar macht. Auch während des Krieges wurde das Kokain stark
konsumiert, um Schmerzen oder psychische Beschwerden zu behandeln.
19
Einhergehend
mit dem Wirtschaftsboom und der Weiterentwicklung der Jugend in Form des Hippie-
Kultes in den 1960er Jahren, entsteht eine neue ,,um Drogen zentrierte Subkultur"
20
. In
dieser steigt das Verlangen nach einer Wirklichkeitsflucht und Weltverzauberung durch
alte und neue Drogen. Überdies entwickeln sich in dieser Kultur neue soziale
Verhältnisse.
21
Mit der ungeplanten Entdeckung des Lysergsäurediethylamid, kurz LSD,
im Jahre 1943, wurde ein neuer Grundstein für die Welt der Halluzinogene gelegt. Der
Chemiker A
LBERT
H
OFMANN
entwickelte die Substanz zufälligerweise, als er einen
Mutterkornpilz für medizinische Zwecke erforschte.
22
In der Nachkriegszeit sorgte die
Entdeckung des LSD für sehr viel Aufsehen. Das Halluzinogen ist insbesondere in der
13
Vgl. Jünger, Ernst. S. 90.
14
Vgl. Jay, Mike. S. 39.
15
Ebd. S. 106f.
16
Vgl. Kawohl, Birgit. Drogen und Literatur: Am Beispiel deutschsprachiger Literatur zwischen den
Weltkriegen.
o.O. , 1994. S. 4.
17
Vgl. Kupfer, Alexander. S. 54.
18
Vgl. Jay, Mike. S. 167.
19
Vgl. Resch, Stephan. Rauschblüten. S. 15.
20
Jay, Mike. S. 39f.
21
Vgl. Jay, Mike. S. 39 - 44.
22
Ebd. S. 103.

- 5 -
Medizin verwendet worden. Dies, um beispielsweise traumatisierte Patienten zu
behandeln, denen durch das LSD ein Weg zu der Verarbeitung dieser Beschwerden
ermöglicht wurde.
23
Doch sind auch diese Wirkstoffe schnell als Droge eingestuft und
zusammen mit dem Meskalin in den 1960er Jahren unter staatliche Kontrolle gesetzt
worden.
24
Die synthetischen Drogen des 20. Jahrhunderts wie LSD, Ecstasy oder
Methamphetamin haben vor allem das Interesse der internationalisierten Jugendkultur
geweckt.
25
Einen weiteren Meilenstein in der Drogengeschichte des 20. Jahrhundert macht die
Entdeckung neuer Wirkstoffe aus. In der Subkultur der 1960er waren die psychedelischen
Eigenschaften der ,Zauberpilze` noch unbekannt. Erst gegen Ende dieses Jahrzehnts wurde
der spitzkegelige Kahlkopf als europäischer Pilz, der den Wirkstoff Psilocybin enthält,
identifiziert.
26
In den 1990er Jahren wird vermehrt auf die altbekannten Drogen
zurückgegriffen, dieses Muster macht sich auch in der Kunst und Literatur der Zeit
bemerkbar.
27
Die Ausbreitung der Drogen in der Gesellschaft ­ bei der jegliches Medium
berücksichtigt wird ­ und die Entdeckung oder Erschaffung neuer Drogen ist ein
fortschreitender Prozess, der stets Teil der Zukunft sein wird. In dieser Entwicklung ist
nicht nur die Drogenforschung in dem Bereich der Medizin involviert die Oberhand
gewinnt zunehmend der wirtschaftliche Aspekt. Denn der illegale Drogenhandel gehört
heute zu einem der ,,größten internationalen Märkte, neben Waffen und Öl"
28
.
2.2 Halluzinationen und Halluzinogene
Um überleitend auf die Gruppe der halluzinogenen Drogen zu sprechen zu kommen, wird
vorerst eine Erläuterung zu der Begriffsbezeichnung angeführt, die auch unmittelbar mit
der Selektion dieser Drogen zusammenhängt. Aus der kontroversen Bezeichnung
,Halluzinogene` kommt die Ableitung zu ,Halluzinationen` unmittelbar in den Sinn.
29
Der
Bezug lässt auf die Wirkungsweise der mit dieser Begrifflichkeit versehenen Substanzen
schließen. Der Ausdruck ,Halluzinationen` ist von dem Psychiater J
EAN
TIENNE
E
SQUIROL
für jene Zustände benutzt worden, die geistige und seelische Abnormitäten
23
Vgl. Jay, Mike. S. 103.
24
Ebd. S. 104.
25
Ebd. S. 170.
26
Ebd. S. 70.
27
Vgl. Resch, Stephan. Rauschblüten. S. 16.
28
Jay, Mike. S. 107.
29
Vgl. Spitzer, Manfred. Halluzinationen: Ein Beitrag zur allgemeinen und klinischen Psychopathologie.
Berlin: Springer-Verlag, 1988. S. 100.

- 6 -
aufweisen.
30
Dem hat sich eine Reihe an Diskussionen um eine gültige Definition des
Begriffes angeschlossen. Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass
Halluzinationen in Zusammenhang mit Wahrnehmung und Täuschung stehen.
31
Prägnanter
gesagt sind Halluzinationen eine im ,,Wachzustand erlebte Sinnestäuschung"
32
. Diese
können alle Sinne, doch insbesondere den Seh- und Hör-Sinn, betreffen. Oft treten
Halluzinationen im ,,Verlauf drogeninduzierter Rauschzustände"
33
auf, dadurch kommt
auch die Begriffsübernahme für die Halluzinogene zustande.
Die Halluzinogene sind in ihrer Wirkung eine auffällige Gruppe von Drogen, deshalb sind
diese in eine eigenständige Kategorie selektiert worden. Nach der Wirkungsweise unterteilt
H
ANSCARL
L
EUNER
die Halluzinogene in ,,Halluzinogene I. Ordnung (Beispiele: LSD,
Mescalin, Psilocybin und Haschisch) und Halluzinogene II. Ordnung (Beispiel:
Atropin)"
34
. Die erste Gruppe ruft optische Erscheinungen ohne ausgeprägte Trübung oder
Beeinträchtigung des Bewusstseins hervor. In Ordnung II. ist die gegenteilige Wirkung der
Fall.
35
Mit diesen Substanzen wurde dementsprechend oft experimentiert, um etwa eine
Verbindung zwischen der Droge und eine damit zusammenhängende Kreativität
nachweisen zu können.
36
Dabei wurde festgestellt, dass Halluzinogene den Zugang zu dem
Unterbewussten erleichtern, Visionen hervorrufen oder Offenheit steigern können.
37
Der
Versuch, die Wirkung der Droge auf das Bewusstsein zu projizieren, stößt auf viel Kritik.
Falls ein Halluzinogen sich auf das wache Bewusstsein auswirkt, dann nur auf bereits
bestehende Bewusstseinsinhalte.
38
Daher ist eine ,,Bewusstseinsveränderung [...] lediglich
in dem Tatbestand wechselnder Perspektiven zu sehen."
39
Es werden höchstens
,,vorhandene oder verdrängte Elemente der Psyche beleuchtet"
40
. Die Drogenwirkung ist
bei jedem Menschen anders und ,,abhängig von der Substanz, der Dosierung, der
Umgebung [...], der Vorerfahrung und Erwartung der Person an die Droge sowie deren
kulturellen Hintergrund"
41
.
30
Vgl. Spitzer, Manfred. S. 2.
31
Ebd. S. 9.
32
Kupfer, Alexander. S. 251.
33
Ebd.
34
Leuner, Hanscarl. Halluzinogene: Psychische Grenzzustände in Forschung und Psychotherapie. Stuttgart:
Hans Huber, 1981. S. 33.
35
Vgl. Leuner, Hanscarl. S. 33.
36
Vgl. Resch, Stephan. Provoziertes Schreiben. S. 173.
37
Ebd. S. 173f.
38
Vgl. Kupfer, Alexander. S. 234.
39
Kupfer, Alexander. S. 234.
40
Ebd.
41
Spitzer, Manfred. S. 137.

- 7 -
3. Darstellungsweisen der Bewusstseinsänderung in literarischen Werken
Die Drogenthematik findet vergleichsweise spät ihren Weg in die Literatur, wenn
vergegenwärtigt wird, dass Rauschmittel schon seit der Antike Bestandteil der Menschheit
sind. Insbesondere die deutschsprachige Literatur hat sich lange Zeit geweigert, eine solche
Thematik aufzugreifen.
42
Beachtet man parallel dazu, dass die Erforschung der in der
heutigen Kultur bekannten psychoaktiven Substanzen wie Morphium, Heroin, Kokain,
LSD, Psilocybin oder Meskalin auf den deutschen oder deutschsprachigen Raum
zurückgehen.
43
Man würde also vermuten, dass eine literarische Auseinandersetzung
ebenfalls in dem deutschsprachigen Raum ihren Anfang nimmt. Ein Grundstein der
Drogenliteratur wird jedoch von dem Engländer T
HOMAS
D
E
Q
UINCEY
zu Beginn des 19.
Jahrhunderts mit seinem autobiographischen Werk Bekenntnisse eines englischen
Opiumessers
gelegt.
44
Eine deutschsprachige literarische Darstellung des Rausches findet
erst im 20. Jahrhundert statt. Vertreter, die den Anfang eines solchen Experiments wagen,
sind unter anderem E
RNST
J
ÜNGER
oder G
OTTFRIED
B
ENN
.
45
Diese neue Art des
Schreibens hat sich danach relativ schnell verbreitet, sodass dem Beispiel weitere
Schriftsteller folgten. Gründe für das Schreiben über Drogen und unter Drogeneinfluss sind
individueller Natur, doch hebt sich eine ausschlaggebende Inspiration hervor. Mit der
wachsenden Überwachung der Drogen in der zivilisierten Gesellschaft wächst auch das
Interesse für den Rausch und ,,die Droge wird ein wichtiges Mittel der künstlerischen
Weltaneignung"
46
. Künstler und Schriftsteller begeben sich von nun an auf die Suche nach
anderen Daseinsformen und dem Entkommen aus der chaotischen alltäglichen Welt.
47
Studien haben gezeigt, dass Schriften die unter Drogeneinfluss entstanden sind,
authentischer wirken, wenn eine Übergangsphase zwischen Rausch und Nüchternheit liegt,
indem das Erlebte sinngemäß verschriftlicht werden kann.
48
Durchaus realistische
Darstellungen über den Rauschzustand wurden jedoch auch von Autoren, die keine eigene
Drogenerfahrung gemachten haben, verfasst.
49
Da das 20. Jahrhundert einen interessanten
und vielfältigen Punkt in der Geschichte der Literatur über Drogen definiert, wird anhand
der drei Erzählungen folgend aufgezeigt, wie der Rauschzustand zu jener Zeit literarisch
42
Vgl. Resch, Stephan. Provoziertes Schreiben. S. 7f.
43
Ebd. S. 7.
44
Vgl. Kawohl, Birgit. S. 1.
45
Vgl. Resch, Stephan. Provoziertes Schreiben. S. 7.
46
Kupfer, Alexander. S. 86.
47
Vgl. Kupfer, Alexander. S. 86.
48
Vgl. Resch, Stephan. Rauschblüten. S. 9.
49
Ebd. S. 10.

- 8 -
dargestellt wurde. Die Zeitskala von den Goldenen 1920ern über die 1960er bis hin zum
Ende des Jahrhunderts ist nicht willkürlich gewählt. Sie markiert die sowohl für die
Drogengeschichte als auch für die Drogenliteratur ausschlaggebenden Zeitpunkte, denn zu
dieser Zeit findet erstmals eine intensivere Auseinandersetzung mit der Thematik im
deutschsprachigen Raum statt. Um sich näher mit dem Thema der Halluzinogene in der
Literatur zu beschäftigen, sollte nicht außer Acht gelassen werden, wie die Darstellung des
Rausches für den Leser wahrgenommen wird und ob dieser durch die Schriften die
dargestellte Rauscherfahrung nachvollziehen kann. Anhand einer Analyse kann hinterher
herauskristallisiert werden, ob eine Inspirationsquelle genutzt oder ob signifikante
Rauschmerkmale verarbeitet wurden.
50
3.1 Unterbewusste Parallelwelten in Hermann Hesses Der Steppenwolf 1920er
In der Schaffenszeit von Der Steppenwolf, zwischen 1923-27, begleiteten Hermann Hesse
neben körperliche Schmerzen vor allem auch psychisch belastende Umstände.
51
Briefe,
Gedichte und Tagebucheinträge dieser Zeit lassen einen autobiografischen Bezug zu dem
Roman ausmachen.
52
Daher hat die Verarbeitung der Beschwerden, neben anderen
Schriften von ihm, auch in diesem Werk einen Platz gefunden. Der Roman ist erstmals
1927 erschienen und hat anfangs für viel Furore gesorgt.
53
Denn die etablierte Gesellschaft
der Kriegszeit wusste mit der Offenlegung einer entstehenden Krankheit durch die
gesellschaftlichen Umstände nicht umzugehen.
54
Hesse und sein Werk wurden daher stark
von der deutschen Gesellschaft kritisiert oder missverstanden. Trotzdem sind diese dann in
den 1960er Jahren von der amerikanischen Jugend verehrt worden.
55
Das Buch ist zu
einem essenziellen Bestandteil der ,Hippie-Bewegung` herangewachsen, da diese Jugend
sich genauestens mit dem Widerstand gegen die Oberschicht, die Abneigung gegen das
zivilisierte Leben und die Ausweichversuche in Drogen identifizieren konnte.
56
Als ,Steppenwolf` wird, in eben diesem Roman, die fast 50-jährige Hauptfigur Harry
Haller bezeichnet. Haller wird als Intellektueller dargestellt, der mit sich selbst und mit
seinem Umfeld im Zwiespalt steht. In Begleitung von seinem Alter Ego Hermine und dem
50
Vgl. Kupfer, Alexander. S. 245.
51
Vgl. Schneider, Christian Immo. Hermann Hesse. München: C. H. Beck Verlag, 1991. S. 84.
52
Vgl. Esselborn-Krumbiegel, Helga. Hermann Hesse: Der Steppenwolf. S. 8.
53
Ebd. S. 16.
54
Vgl. Schwarz, Egon ,,Hermann Hesse und die Zukunft". In: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Hermann Hesse
10/11. TEXT+KRITIK. Zeitschrift für Literatur.
München, 1997. S. 16 - 26. Hier: S. 21.
55
Vgl. Esselborn-Krumbiegel, Helga. Hermann Hesse: Der Steppenwolf. S. 20.
56
Vgl. Schwarz, Egon. S. 22.

- 9 -
Musiker Pablo begibt dieser sich auf eine Reise in sein inneres Selbst. Auf der Suche nach
Selbstfindung wird er auf verschiedenste Weise mit seiner Vergangenheit konfrontiert.
57
Die Erzählsituation wandelt in dem Roman zwischen mehreren Ebenen. Die Aufteilung
setzt sich aus dem ,Vorwort des Herausgebers`, den ,Aufzeichnungen von Harry Haller`
und dem ,Traktat vom Steppenwolf` zusammen. Hermann Hesse schildert die Erzählung
aus drei verschiedenen Erzählperspektiven. Anfangs wird als ,,objektivierender Bürger"
58
erzählt. Der Erzähler beschreibt die Lebensgeschichte von Haller aus Sicht des Neffen der
Zimmerwirtin
59
und nimmt damit eine außenstehende Position ein. Es wird aus der
Vergangenheit berichtet und interpretiert: ,,Der Steppenwolf war ein Mann von annähernd
fünfzig Jahren, der vor einigen Jahren eines Tages im Hause meiner Tante vorsprach."
60
Im weiteren Verlauf des Romans wird aus Harry Hallers Aufzeichnungen mittels eines Ich-
Erzählers berichtet. Der Erzähler schlüpft allerdings beim ,Traktat vom Steppenwolf` eher
in die Form eines ,,Künstler-Ich"
61
. Er nimmt hier eine allwissende Haltung ein und spricht
durch einen auktorialen Erzähler:
Bei Harry Haller [...] war es anders, in ihm liefen Mensch und Wolf nicht nebeneinander
her, [...] sondern sie lagen in ständiger Todfeindschaft gegeneinander [...] und wenn Zwei
in Einem Blut und Einer Seele miteinander todfeind sind, dann ist das ein übles Leben.
62
Ein letzter Perspektivenwechsel findet in dem Abschnitt über das ,Magische Theater` statt.
Das erzählende Ich gestattet dem Leser die Nähe eines Tagebucheintrages und vermittelt
dadurch verstärkt das Gefühl, Einblick in die Seele von Haller zu bekommen.
63
In dem
Magischen Theater findet inhaltlich zudem ein Wechsel zwischen mehreren Zeiten statt,
diese werden zusätzlich miteinander verknüpft: ,,Der ganze Riesenspiegel war voll von
lauter Harrys oder Harry-Stücken [...] Einige von diesen vielen Harrys waren so alt wie
ich, einige älter, einige uralt, andere ganz jung."
64
Diese Arten eines Erzählerwechsels
können den Leser dazu verleiten, sich selbst mit dem inneren Konflikt auseinanderzusetzen
57
Vgl. Resch, Stephan. Rauschblüten. S. 76.
58
Schneider, Christian Immo. S. 86.
59
Vgl. Esselborn-Krumbiegel, Helga. ,,Strategien der Leserlenkung in Demian und Der Steppenwolf: Hesses
Antwort auf die moderne Textkontingenz." In: Solbach, Andreas (Hg.): Hermann Hesse und die literarische
Moderne: Kulturwissenschaftliche Facetten einer literarischen Konstante im 20. Jahrhundert: Aufsätze.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004. S. 271 - 285. Hier: S. 279. (Folgend: Esselborn-Krumbiegel, Helga.
Strategien der Leserlenkung.
)
60
Hesse, Hermann. Der Steppenwolf. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974. S. 7.
61
Schneider, Christian Immo. S. 86.
62
Hesse, Hermann. S. 55.
63
Vgl. Esselborn-Krumbiegel, Helga. Hermann Hesse: Der Steppenwolf. S. 29.
64
Hesse, Hermann. S. 229.
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Résumé des informations

Titre
Die Darstellung von Bewusstseinsänderungen durch Halluzinogene in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Aspekte und Effekte bei Hermann Hesse, Bernward Vesper und Martin Suter
Université
Justus-Liebig-University Giessen
Note
13,0
Auteur
Année
2014
Pages
48
N° de catalogue
V376471
ISBN (ebook)
9783668535602
ISBN (Livre)
9783668535619
Taille d'un fichier
654 KB
Langue
allemand
Mots clés
Deutsche Literatur, Vergleichende Literatur, 20. Jahrhundert, Drogenliteratur, Halluzinogene, Hermann Hesse, Martin Suter, Bernward Vesper, Steppenwolf, Die dunkle Seite des Mondes, Analyse, Rausch in Literatur, Wirkungsästhetik
Citation du texte
Ivonne Mnich (Auteur), 2014, Die Darstellung von Bewusstseinsänderungen durch Halluzinogene in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Aspekte und Effekte bei Hermann Hesse, Bernward Vesper und Martin Suter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/376471

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