Geschlechterverhältnisse im Wandel? Geschlechtsspezifische Auswirkungen von Arbeitsverhältnissen und Berufsstrukturen in einer veränderten Arbeitswelt


Seminar Paper, 2017

43 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Fordismus
2.1 Die Rolle der Frau in der fordistischen Gesellschaft
2.2 Die Institutionalisierung von Geschlechterverhältnissen durch den Sozialstaat
2.3 Der fordistische Kapitalismus als Stabilisator geschlechtlicher Arbeitsteilung und geschlechtssegregierter Arbeitsmärkte

3. Postfordismus
3.1 Frauen im Postfordismus
3.2 Atypische Arbeitsverhältnisse, Prekariat und Flexibilisierung der Arbeitswelt
3.3 Die Umstrukturierung des Arbeitsmarktes aus vergeschlechtlichter Perspektive
3.3.1 Der vergeschlechtlichte Habitus (Bourdieu) als Erklärungsansatz geschlechtlicher Identitäten am Arbeitsmarkt
3.3.2 Verarbeitungsmuster sozialer Unsicherheit nach Klaus Dörre
3.4 Der Wandel der Geschlechterverhältnisse in post-industriellen Berufs- strukturen
3.4.1 Professionelle Berufe
3.4.2 Organisationsdominierte Berufe
3.4.3 Medien- und Kulturberufe

4. Résumé

Literaturverzeichnis

Abstract

Die Seminararbeit geht der Frage nach, ob und inwiefern tradierte Geschlechterrollen angesichts moderner Formen von Arbeit und neuen Arbeitsverhältnissen einem Wandel unterliegen. Um diesen Wandel möglichst präzise abzubilden, wird auch die Veränderung der Berufsstrukturen untersucht. Dies erschien uns notwendig, um zu eruieren, ob ein eventueller Wandel der Geschlechterverhältnisse generell in allen Berufsfeldern feststellbar ist oder auf unterschiedlichen Qualifikationsniveaus basiert.

Grundlage der Forschungsfrage bildet die Annahme, dass die mit dem Ende des fordistischen Zeitalters einsetzende Erosion des männlichen Familienernährermodells und die im Postfordismus aufkommenden neuen Arbeitsverhältnisse auch die Geschlechterverhältnisse entsprechend prägten und veränderten. Höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, höhere Bildungsabschlüsse, Gleichstellungspolitiken, ein verändertes Organisationsverständnis und die Entgrenzung von Arbeit und Leben lassen dieser Annahme nach einen Entgeschlechtlichungsprozess erkennen, der tradierte Geschlechterarrangements zunehmend in Frage stellt.

Mittels umfangreicher Literaturrecherche konnte eine Antwort gefunden werden, welche ein „Degendering“ in bestimmten Bereichen unter eingeschränkten Bedingungen bestätigt. In viel größerem Ausmaß ist aber ein Re-Gendering bzw. eine Zementierung von tradierten und habitualisierten Geschlechterrollen sowohl auf institutioneller Ebene, wie auch im Beruflichen, als auch im Privaten feststellbar. Von einem Wandel der Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnisse kann daher nur bedingt die Rede sein.

1. Einleitung

Lebens- und Arbeitswelten sind insbesondere seit den 1980er Jahren massiven Veränderungen unterworfen. Als Triebkräfte gelten der technologische, sozioökonomische, -kulturelle und -strukturelle Wandel, der nicht nur einen Paradigmenwechsel von der fordistischen Industriegesellschaft zur postfordistischen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft mit sich brachte, sondern auch feministische Emanzipationsbewegungen in entscheidendem Ausmaß mitgestaltete. Dadurch wurden erstmals Geschlechterverhältnisse thematisiert und die Frau als Subjekt öffentlichkeitswirksam wahrgenommen. Frauen als Arbeitende und die Zusammenhänge zwischen Erwerbs- und Reproduktionsarbeit wurden nicht nur medial zum Thema, sondern auch in den Sozialwissenschaften. (Vgl. Gottschall 2010, 672)

Obwohl weibliche Erwerbstätigkeit auch in der Industriegesellschaft des Fordismus keine Randerscheinung war und Frauen im Zuge der Tertiarisierung der Arbeitswelt eine immer größere Bedeutung einnahmen, hat sich die Betrachtung von Arbeit, Beschäftigung und Arbeitsmarkt aus der Genderperspektive erst seit erheblich kürzerer Zeit als Untersuchungsgegenstand der Arbeitssoziologie[1] und Arbeitsmarktforschung[2] durchgesetzt (vgl. Gottschall 2010, 672f). Einen nicht minderen Beitrag dazu leistete die Frauen- und Geschlechterforschung, indem sie typische Frauenarbeitsbereiche untersucht und Debatten aus der Frauenforschung in den Mainstream der Arbeitssoziologie getragen hat (vgl. Gottschall 2010, 672). Im Gegensatz zur Arbeitssoziologie, welche immer noch sehr erwerbsarbeitszentriert ist, fokussiert die Auseinandersetzung mit dem Thema „Arbeit“ in der Frauen- und Geschlechterforschung nicht nur auf die Erwerbsarbeit, sondern nimmt auch die Haus- und Familienarbeit, Eigen- und Subsistenzarbeit und ehrenamtliches und zivilgesellschaftliches Engagement in den Blick (vgl. Aulenbacher/Wetterer 2009, 7f). Zudem hat die Frauen- und Geschlechterforschung aufgezeigt, dass Produktionsweisen und Arbeitsverhältnisse ohne Einbezug der gesellschaftlichen Organisation von Geschlechterverhältnissen nur unzureichend erklärt werden können, da diese als fundamentale Regelungsverhältnisse in allen Gesellschaftsformationen existieren (vgl. Weiss 2007, 35).

Die Frauen- und Geschlechterforschung leistet somit bei der Untersuchung der Geschlechterverhältnisse in Bezug auf Arbeit aus der Geschlechtsperspektive ihren Beitrag als Querschnittmaterie zur Arbeitssoziologie und Arbeitsmarktforschung. Die Untersuchung der Fragestellung erfolgte ebenfalls aus diesem Aspekt heraus, wobei innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung zwei Forschungsstränge relevant waren: zum einen konzentrierten wir uns auf Ansätze, welche die Organisation von Arbeit im Verhältnis von Geschlecht unter Berücksichtigung der Entwicklung vergangener und gegenwärtiger Gesellschaften fokussieren. Eine besondere Rolle spielen hier die Arbeitsorganisation und insbesondere die Rolle der Frauen im Fordismus und Postfordismus. Zum zweiten sind für die Beantwortung unserer Forschungsfrage sozialkonstruktivistische, institutionstheoretische und professionssoziologische Zugänge von Bedeutung, welche Prozesse der sozialen Konstruktion von Geschlecht zum Thema gemacht haben, die sich im Medium von Arbeit bzw. Arbeitsteilung vollziehen (vgl. Aulenbacher/Wetterer 2009, 7f).

Als Basis unserer Überlegungen dienen soziale, institutionelle aber auch ökonomische Wandelerscheinungen, welche verschiedene Prozesse in Gang gesetzt haben, die von einem Bedeutungsverlust des Normalarbeitsverhältnisses durch Ausweitung atypischer und/oder prekärer Beschäftigung auch in sogenannten Männerdomänen, einer verstärkte Präsenz von Frauen in klassischen Männerberufen bis hin zu einer stärkeren Frauenbeteiligung in expansiven wissensintensiven Dienstleistungen reichen. Als wesentliche Elemente des Wandels von Erwerbsarbeit lassen sich die Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsbedingungen, Tendenzen zur Subjektivierung von Arbeit und eine Verschiebung der Grenzen zwischen Erwerbstätigkeit und Arbeit und Privatsphäre identifizieren. Als Motor des Wandels agieren neben staatlichen und supranationalen Akteuren, Betrieben und Gewerkschaften auch die sozialen Praxen der Gesellschaftsmitglieder selbst, insbesondere die Lebensentwürfe und realisierten Erwerbs- und Lebensformen von Frauen (vgl. Gottschall 2010, 684). Daher gehen wir davon aus, dass das Familienernährer-Modell zum einen durch eine Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, zum anderen durch eine verstärkte Erwerbsbeteiligung und höhere Präsenz von Frauen in qualifizierten Berufsfeldern im Schwinden begriffen ist. Die Einführung von betrieblichen, nationalen und supranationalen Gleichstellungsregelungen bei einer gleichzeitigen arbeitspolitischen Deregulierung führen uns zudem zu der Behauptung, dass die Chancen und Arbeitsbedingungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt deutlich verbessert worden sind und sich auf dieser Grundlage ein „Entgeschlechtlichungsprozess“ abzeichnet.

Die Forschungsfrage basiert daher auf der Hypothese, dass die aktuelle Umbruchsdynamik auch eine Abschwächung der Geschlechterungleichheit mit sich bringt. Diese vollzieht sich nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern durch die geschlechtsunabhängige Entgrenzung von Arbeit und Leben auch in der privaten Sphäre, wodurch sich in beiden Bereichen Chancen ergeben, die zu einem Wandel der tradierten Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen und Rollenzuweisungen führen können.

2. Fordismus

Der Fordismus entwickelte sich ab den 1920er Jahren mit dem Beginn der Massenproduktion am Fließband und löste den Taylorismus als vorherrschendes System der Arbeitsorganisation ab.[3] Der Fordismus zeichnet sich dadurch aus, dass die Produktion möglichst standardisiert, also nach einem Plan mit klaren Vorgaben ohne individuellen Entscheidungsspielraum der ArbeiterInnen, durchgeführt wird, wobei auch die für einen Arbeitsschritt nötige Zeit genau festgelegt ist. Die einzelnen Arbeitsschritte werden zerlegt und von jeweils zuständigen Stellen erledigt, dabei gibt es häufig nur relativ niedrige Qualifikationsanforderungen und somit auch eine hohe Zahl an Stellen für HilfsarbeiterInnen. Zentrale Eigenschaft des sich aus dem Fordismus entwickelten fordistischen Wirtschaftssystems ist der Massenkonsum und die Massenproduktion. (Vgl. Lackner 2006, 113ff)

Die Staaten Kontinentaleuropas waren in den Nachkriegsjahrzehnten durch ein fordistisches Produktionssystem geprägt, womit neben spezifischen ökonomischen Akkumulationsweisen eine Regulation der politisch-sozialen Verhältnisse einherging.[4] Diese waren gekennzeichnet durch einen hohen Grad an wirtschaftlicher Steuerung, den Ausbau einer staatsinterventionistischen Wachstums-, Einkommens- und Beschäftigungspolitik, die Einbindung von starken, staatstragenden Gewerkschaften mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad und bedeutenden korporativen sozialpartnerschaftlichen Elementen sowie der Verallgemeinerung der Kernfamilie als spezifische Familienform. (Vgl. Weiss 2007, 36)

Die Arbeitsverhältnisse im Fordismus haben fast immer die Form eines Normalarbeitsverhältnisses, es handelt sich also um unbefristete Vollzeitstellen. Dadurch war es durchaus üblich, bei einem einzigen Unternehmen seine gesamte berufliche Laufbahn zu verbringen, zumindest aber war Kontinuität im Lebenslauf der Normalfall. (Vgl. Kress 1998, 490)

2.1 Die Rolle der Frau in der fordistischen Gesellschaft

Grundsätzlich orientierte sich die Rolle der Frau im Fordismus am bürgerlichen Familien- und Frauenbild, welches durch eine strikte Trennung von öffentlicher und privater Sphäre gekennzeichnet war und als allgemein gültiges Familienmodell zur Norm erhoben wurde (vgl. Weiss 2007, 39). Die Rolle der verheirateten Frau war demnach häufig die der Hausfrau, die für die Reproduktionsarbeit zuständig war. Grundsätzlich basierte der Fordismus jedoch auf dem „male-breadwinner-model“, in dem der Mann die Familie mit dem Einkommen aus seiner Vollzeitstelle versorgte und Frauen eher als unerwünschte, lohndrückende Konkurrenz der Männer am Arbeitsmarkt gesehen wurden (vgl. Kress 1998, 490).

Ab den späten 1960er Jahren kam es zwar zu einer Zunahme der Frauenerwerbsquote, was jedoch ausschließlich auf Teilzeitarbeit, geringfügiger Beschäftigung oder befristeter Beschäftigung zurückzuführen war. Voll erwerbstätige Frauen und Mütter entstammten entweder aus der ArbeiterInnenschicht oder es handelte sich um höher gebildete kinderlose Frauen. Damit einher ging eine Hierarchisierung des Arbeitsmarktes zwischen den Geschlechtern, was sich auch in familiären Verhältnissen widerspiegelte. Selbst bei einer (relativ seltenen) Vollerwerbstätigkeit der Frauen gab es nur wenige Haushalte, in denen sich Männer an der familialen Arbeit beteiligten. Entlastung holten sich die Frauen durch private und selbst organisierte Netzwerke, welche meist auf verwandtschaftlicher Hilfe gründeten. (Vgl. Jurczyk et al. 2009, 48)

2.2 Die Institutionalisierung von Geschlechterverhältnissen durch den So- zialstaat

Der Ausbau des Sozialstaates hatte unter anderem eine Einbeziehung von beinahe der gesamten Bevölkerung in das Sozialversicherungssystem zufolge, was vor allem durch die Mitversicherung von Familienangehörigen erreicht wurde. Dieser Umstand ist jedoch von Anfang an mit einer geschlechtsspezifische „Schlagseite“ verbunden, da das Sozialversicherungssystem, wie es in Österreich gehandhabt wird, erwerbszentriert ist und Frauen benachteiligt, die überwiegend unbezahlte Arbeit im Haushalt, in der Kindererziehung und in der Pflege verrichten. Die Gründe dafür sind aus historischer Perspektive in der „sozialen Frage“ und in der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts verankert, welche als „Männerfrage“ konzipiert war. Frauenarbeit – bezahlte wie unbezahlte – wurde nur wenig Beachtung geschenkt, höchstens im Zusammenhang mit der Veränderung der Arbeit und der Arbeitsverhältnisse im Zuge der Industrialisierung. Schon Karl Marx begriff die Frau im Zusammenspiel mit der Maschinerie des Betriebes als Konkurrenz, welche männliche Arbeitskraft, definiert durch Muskelkraft, entwertet. Dadurch, dass der Einsatz von Maschinen die Arbeitsbedingungen in vielerlei Hinsicht erleichterte, weniger an physische Voraussetzungen gebunden war und kaum mehr spezifischen Fähigkeiten erforderte, wurden zunehmend auch Frauen (und Kinder) in den Fabriken als Arbeitskräfte eingesetzt. Schon damals gab es also eine Unterscheidung von Arbeit nach geschlechtsspezifischen Trennlinien, indem „unqualifizierte“ Arbeit den Frauen zugewiesen wurde. (Vgl. Weiss 2007, 37f)

Die Rolle der Frauen als Industriearbeiterinnen und Hausarbeiterinnen fand abseits erwähnten Konkurrenzdenkens infolge maschineller Zuarbeitung kaum Anerkennung oder Beachtung. Diese Betrachtungsweise klammert die materielle Reproduktion aus, da Frauenarbeit als nicht-ökonomische Kategorie betrachtet wurde. (Vgl. Weiss 2007, 39)

Demnach entwickelten sich die Gewerkschaften als „Männerbünde“, innerhalb derer partikulare männliche Interessen im Namen der gesamten ArbeiterInnenschaft verallgemeinert wurden. Durch die Einbindung der Gewerkschaften in korporatistische Systeme (auf Österreich bezogen entspricht dies der Einbindung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes in die Sozialpartnerschaft) und damit in das politische System, ist die Ausgestaltung der Geschlechterverhältnisse bis heute hoch institutionalisiert. Frauenthemen und -interessen werden durch die männlich dominierte Allianzenbildung bewusst zum Verschwinden gebracht und in private Sphären abgeschoben. Damit werden aber auch hierarchische Geschlechterverhältnisse politisch abgesichert, woraus sich schließlich eine Zweigeteiltheit der Ansprüche ergibt: jene, die aus der Lohnarbeit resultieren und auf Männer abgestimmt sind und jene, die davon abgeleitet bestehen, wie dies im Falle der Mitversicherung von Familienangehörigen in der Krankenversicherung deutlich wird. Soziale Absicherung wird also von der Erwerbstätigkeit des Ehemannes abhängig gemacht, geschlechtsspezifische Hierarchien somit zementiert und Frauenarbeit als „Nicht-Arbeit“ generell entwertet. (Vgl. Weiss 2007, 38f)

Die bereits zu Beginn der Industrialisierung markierte Trennlinie in qualifizierte Männer- und unqualifizierte Frauenarbeit mit den entsprechenden Konsequenzen etwa auf die Entlohnung und die Qualität der Arbeitsverhältnisse verschärfte sich infolge der Automatisierung der Arbeit, wo sich Männer plötzlich in „unqualifizierten“ Frauenarbeitsplätzen wiederfanden. Damit einher ging ein allgemeines Absenken des Lohnniveaus, wobei angemerkt werden muss, dass dies die Männerlöhne nicht in demselben Ausmaß traf, wie die Frauenlöhne.[5] Dennoch konnte der von den Gewerkschaften immer eingeforderte Familienlohn in vielen Branchen nicht mehr gewährleistet werden. (Vgl. Weiss 2007, 40)

Aus der Institutionalisierung der Geschlechterverhältnisse durch den Wohlfahrtsstaat kann auch erklärt werden, warum ein Großteil der Frauen bis heute besonderen Arbeitsmarktrisiken ausgesetzt ist: Dadurch, dass der kapitalistische Wohlfahrtsstaat in seiner historischen Entwicklung auf das „male-breadwinner-model“ zugeschnitten war, wurde der Arbeitsmarkt als keine flächendeckende Institution begriffen. Dadurch, dass nicht alle daran teilnehmen (können), war man bei der Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaats darauf bedacht, für die ausgeschlossenen Gruppen über institutionelle Ansprüche Alternativrollen bereitstellen. Im Fall von Frauen beziehen sich diese Ansprüche auf Versorgung durch Ehe und Familie. Diese bis heute wirksame wohlfahrtsstaatlich vermittelte Alternativrolle belastet Frauen in ihrer personalen Identität und beschränkt ihre strategischen Handlungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Somit werden sie zu einer „Problemgruppe“ des Arbeitsmarktes, welche durch besondere Ausbeutbarkeit, hohes Arbeitslosigkeitsrisiko und Vertretungsschwäche gekennzeichnet ist. (Vgl. Gottschall 2010, 675f)

Geschlechterungleichheit und die schwache Position von Frauen am Arbeitsmarkt resultieren aus dieser Begründung heraus also auf der wohlfahrtsstaatlichen Ausgestaltung, welche durch die Bereitstellung einer Alternativrollenoption Frauen in ihren arbeitsmarktstrategischen Handlungsmöglichkeiten benachteiligt. Zudem kann aufgezeigt werden, dass der Arbeitsmarkt erheblich durch sozialstaatliche Regulierungen strukturiert wird. Institutionen regeln die Teilhabe an marktvermittelter und nicht-marktvermittelter Arbeit, wobei darunter nicht nur sozial- und arbeitspolitische Regelungssysteme verstanden werden, sondern auch normative Vorstellungen.[6] Die unterschiedliche soziale Positionierung von Männern und Frauen stellt sich darüber als relativ dauerhaft her. (Vgl. Gottschall 2010, 676/679)

2.3 Der fordistische Kapitalismus als Stabilisator geschlechtlicher Arbeits- teilung und geschlechtssegregierter Arbeitsmärkte

Die Etablierung des Sozialstaats im fordistischen Kapitalismus[7] und seine geschlechtsspezifische Ausgestaltung hängen eng mit der historischen Entwicklung des Kapitalismus selbst zusammen. Dieser ist auf die physische, psychische und generative Reproduktion von Arbeitskräften angewiesen. Da der Markt aber nur in begrenztem Ausmaß imstande ist, diese Funktionen zu gewährleisten, haben sich unterschiedliche Formen der Arbeitsmarktintegration von Männern und Frauen und eine geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation herausgebildet (vgl. Weiss 2007, 40):

Erwerbsarbeitsverhältnisse sind auf Arbeitskräfte ausgerichtet, die kontinuierlich und voll verfügbar sind, was sowohl eine dauerhafte Freistellung von Familien- und Hausarbeit als auch eine „reproduktive“ Versorgung voraussetzt. (Vgl. Weiss 2007, 40)

Aufgrund der geschlechtsspezifischen Zuweisung von Haus- und Familienarbeit an die Frauen, sind diese für eine Vollerwerbstätigkeit nicht „voll“ verfügbar und von daher strukturell in der Konkurrenz um bezahlte Arbeit benachteiligt. Hinzu kommt, dass Arbeit in der gesellschaftlichen Auffassung mit Erwerbsarbeit gleichgesetzt wird, was „typische“ Frauenarbeit als Arbeit ausschließt. Das hat zur Folge, dass Frauenarbeit auch im Erwerbssystem systematisch abgewertet wird. (Vgl. Weiss 2007, 41)

Die Transferierung von bestimmten, von Frauen unbezahlt erbrachten Dienstleistungen, wie Pflege oder Kinderbetreuung ins Erwerbssystem, war mit keiner vollständigen Verberuflichung verbunden, was Frauen bis heute massiv diskriminiert (vgl. Weiss 2007, 41). Während im dualen Berufsausbildungssystem Berufsschulunterricht, betriebliche Praxis und Beschäftigung eng miteinander gekoppelt sind und dieses traditionell auf Facharbeiterpositionen in Industrie und Handwerk abzielt, sind Ausbildungen im „typischen“ Frauensegment der Sozial-, Erziehungs- und Assistenzberufe an ein Vollzeitschulsystem geknüpft. Damit fällt der mit der Lehrlingsausbildung verbundene Qualifikationsschutz[8] weg, ebenfalls die Einbindung in die Betriebsverfassung, in Tarifverträge und starke Interessenvertretungen[9]. Zu den genannten Nachteilen des Schulberufssystems kommt hinzu, dass dieses teils kostenpflichtig ist und Aufstiegsmöglichkeiten bei Übergang in den Beschäftigungsstatus aufgrund der starken Hierarchisierung nach Bildungsniveau und der fehlenden Akademisierung nur begrenzt vorhanden sind. Das von Frauen dominierte berufsfachliche Segment geht zwar mit einer qualifizierten Berufsausbildung einher, ist aber dennoch mit einer relativ geringen Entlohnung und Arbeitsbedingungen, welche eher keine längerfristige Ausübung erlauben, gekennzeichnet. (Vgl. Gottschall 2010, 681)

Die Unterschiede zwischen beiden Ausbildungsformen sind in der geschlechtsspezifischen Ausgestaltung der fordistischen Gesellschaft verankert: „Während die Lehrlingsausbildung auf eine Familienernährerposition zielte, sollte die Schulberufsausbildung Frauen auf Aufgaben in Ehe und Familie oder aber im Fall der Nichtverheiratung auf eine angemessene ‚familiennahe‘ Berufstätigkeit vorbereiten.“ (Gottschall 2010, 681)

Aus den dargestellten Implikationen des fordistischen Kapitalismus auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, Arbeitsmarktsegregation und -integration ziehen wir folgenden Schluss: Eine unabhängige Existenz, materielle und sozialstaatliche Absicherung sind nur für den männlichen Vollerwerbsarbeiter vorgesehen und möglich. Frauen werden in diesem System als „dem Mann zugehörig“ betrachtet, ihre Aufgaben im Rahmen der Familie verortet. Festgeschrieben wurde dieses System im von Männern entwickelten Sozialstaat als Regulationsmodus des fordistischen Kapitalismus. (Vgl. Weiss 2007, 41)

Bereits in den 1970er Jahren begann das geschlechterpolitische Arrangement des Fordismus mit seinem männlich fokussierten Sozialstaatsmodell brüchig zu werden. Mehrere Faktoren waren dafür ausschlaggebend:

Unter dem Druck der zweiten Frauenbewegung wurden frauen- und geschlechterpolitische Anliegen auf dem politischen Parkett verstärkt wahrgenommen und geschlechterpolitische Reformen durchgesetzt.[10] (Vgl. Weiss 2007, 42)

Der Wandel der ökonomischen Verhältnisse, allen voran der Trend zur Tertiarisierung aber auch die Hochkonjunktur verlangten nach einer Erwerbsintegration von Frauen, was diesen Zugang zu den bestehenden arbeits- und sozialrechtlichen Schutzmechanismen bescherte (vgl. Weiss 2007, 43). Dadurch eröffneten sich neue Handlungschancen und größere Autonomiespielräume, was eine Herauslösung aus der häuslichen, um die Familie zentrierte „Normalbiographie“ ermöglichte. (Vgl. Diezinger 1991, 11)

Die Bildungsexpansion führte zu einer verstärkten Bildungsbeteiligung, von der vor allem junge Frauen überdurchschnittlich profitierten (vgl. Weiss 2007, 43). Darauf zurückzuführen ist eine verstärkte Partizipation in jenen Arbeitsmarktsegmenten, die im Zuge der Tertiarisierung expandiert sind und mit relativ hohen Qualifikationsanforderungen einhergehen (Bildung, Erziehung, Gesundheit, Finanzdienstleistungen). (Vgl. Gottschall 2010, 684)

Die Individualisierungswelle als Kernbestand der Modernisierung löste viele Menschen von ihren traditionellen Weltbildern. Frauen legten vermehrt Wert auf ihre eigene Individualität, eine Werteverschiebung hin zu Selbstverwirklichung und persönlicher Freiheit fand statt. (Vgl. Baumgartner 2008, 43/59f)

[...]


[1] Die Arbeitssoziologie befasst sich vordergründig mit der betrieblichen Situation und Nutzung von Arbeitskräften, insbesondere in den Dimensionen Arbeitsorganisation und -anforderungen, Qualifikationen, Belastungen, Entlohnung und Interessenvertretung. (Vgl. Gottschall 2010, 672)

[2] Die Arbeitsmarktforschung untersucht das Verhältnis von Arbeitskraftangebot und -nachfrage. (Vgl. Gottschall 2010, 672)

[3] Henry Ford war mit seiner Automobilproduktion ein Pionier dieser neuen Produktionsform, weshalb diese Produktionsweise nach ihm benannt wurde. (Vgl. Lackner 2006, 113)

[4] Der Fordismus als Akkumulationsregime: Neben dem industriellen Produktionssektor regelte es auch die Konsumationsbedingungen. Bezeichnend ist zudem die Beeinflussung von Klassenstrukturen, Wertvorstellungen und Lebensweisen indem es die „globalen, gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Verhältnisse“ (Hirsch 1995, 75) bestimmte.

[5] Näheres dazu in Kapitel 3.2

[6] Siehe dazu Kapitel 3.2 und das Habitus-Konzept nach Pierre Bourdieu

[7] Der fordistische Kapitalismus bezeichnet eine historische Phase des Kapitalismus, die durch Massenproduktion und Massenkaufkraft geprägt war. Erstmals in der Geschichte war ein Großteil der Bevölkerung in der Lage, über den existenznotwendigen Bedarf hinaus dauerhafte Konsumgüter zu erwerben. Dies wurde über eine standardisierte Massenproduktion und damit verbundene Preissenkungen ermöglicht, womit auch Produkte des gehobenen Bedarfs für den Normalverbraucher erschwinglich wurden. Die Sicherstellung der erhöhten Massenkaufkraft erfolgte mittels Reallohnerhöhungen. (vgl. Wirtschaftsuniversität Wien 2003, online)

[8] Der fehlende Qualifikationsschutz führt dazu, dass dieselben Tätigkeiten auch von un- und angelernten Personen ausgeführt werden können, wie dies z.B. in der Altenpflege der Fall ist. (Vgl. Gottschall 2010, 681)

[9] In den entsprechenden Segmenten fehlen starke Interessenvertretungen und Berufsverbände. (Vgl. Gottschall 2010, 681)

[10] 1975: Reform des Strafrechts mit Einführung der Fristenregelung

1976: Reform des Ehe- und Familienrechts

1978: Scheidungsreform

1979: Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei der Festsetzung des Entgelts

(Vgl. Weiss 2007, 42)

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Details

Title
Geschlechterverhältnisse im Wandel? Geschlechtsspezifische Auswirkungen von Arbeitsverhältnissen und Berufsstrukturen in einer veränderten Arbeitswelt
College
University of Linz  (Institit für Gesellschafts- und Sozialpolitik)
Grade
1,0
Authors
Year
2017
Pages
43
Catalog Number
V383711
ISBN (eBook)
9783668590120
ISBN (Book)
9783668590137
File size
638 KB
Language
German
Keywords
Postfordismus, Arbeitszeitmodelle, Geschlechterverhältnisse, Degendering, postindustrielle Berufsstrukturen
Quote paper
Maria Grashäftl (Author)Dominik Prüller (Author), 2017, Geschlechterverhältnisse im Wandel? Geschlechtsspezifische Auswirkungen von Arbeitsverhältnissen und Berufsstrukturen in einer veränderten Arbeitswelt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383711

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