Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Kompetenz
2.1 Der Begriff: Kompetenz
2.2 Definition von Kompetenz
2.3 Kompetenzmessung
2.4 Einflussorte von Kompetenz (Schule, Beruf)
2.5 Kritische Zusammenfassung
3. Habermas Gesellschaftstheorie
3.1 Die Theorie des Kommunikativen Handelns
3.2 Diskurstheorie
3.3 System - Lebenswelt
3.4 Kolonialisierung der Lebenswelt
4. Zusammenfassende Kritik
Literatur
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Kompetenzmodell Erpenbeck, von Rosenstiel 2007:
Abbildung 2: Kompetenzstruktur des DQR, Quelle: Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen 2011: 5
Abbildung 3: Reproduktionsprozesse und strukturelle Komponenten der Lebenswelt, Quelle: Habermas 1988a: 214
Abbildung 4: Krisenerscheinungen bei Reproduktionsstörungen, Quelle: Habermas 1988a: 215
Abbildung 5: Beziehungen zwischen Lebenswelt und System, Quelle: Habermas 1988a: 473
Abbildung 6: Auswertungsraster des KKR, Quelle: Kauffeld et al. 2007: 231
Abbildung 7: Darstellungsraster der Dimensionen moderner Kompetenzmessverfahren, Quelle: Erpenbeck, von Rosenstiel 2007:
Abbildung 8: Auswertung des Handbuchs Kompetenzmessung, Quelle: erarbeitet aus Erpenbeck, von Rosenstiel 2007
1. Einleitung
Diese Ausarbeitung versucht eine kritische Analyse des, in den letzten Jahren eine zunehmende Verbreitung und Beliebtheit erfahrenden, Kompetenzbegriffes. Hierzu wird Kompetenz und Kompetenzmessung in einem ersten Abschnitt (s. 2. Kompetenz) ausgehend von dem Standardwerk „Handbuch Kompetenzmessung“ in entsprechenden Unterpunkten ausführlich erläutert. Der Kompetenz-Abschnitt schließt mit einer kritischen Zusammenfassung, die auf theorieimmanente Leerstellen hinweist (2.5 Kritische Zusammenfassung). Es wird aufgezeigt, dass der zuvor explizierte Kompetenzbegriff einseitig auf die produktive Verarbeitung von Veränderung und Komplexitätszunahme abzielt. Moralische Fragen nach den Ursachen von gesellschaftlichen Veränderungen und den langfristigen Folgen der, vom Kompetenzbegriff explizit erfassten, spontanen und kreativen Lösungshandlungen werden nicht gestellt.
Diese Leerstelle soll mit der Habermas´schen Gesellschaftstheorie gefüllt werden. Diese wird im folgenden Abschnitt skizziert (3. Habermas Gesellschaftstheorie). Insbesondere die im letzten Unterpunkt beschriebene Kolonialisierung der Lebenswelt (3.4) liefert einen theoretischen
Anknüpfungspunkt an den Kompetenzbegriff.
Im letzten Abschnitt (4. Zusammenfassende Kritik) wird versucht, die Gefahren eines rein zweckrational, ohne moralische Reflexionsebene, ausgerichteten Kompetenzbegriffes mithilfe des Habermas´schen Kolonialisierungstheorems zu begründen.
2. Kompetenz
Der Kompetenzbegriff wird im Folgenden auf der Grundlage des Standardwerkes „Handbuch Kompetenzmessung“ von John Erpenbeck und Lutz von Rosenstiel (vgl. Erpenbeck, von Rosenstiel 2007) erläutert. Dazu wird unter 2.1 zunächst eine begriffliche Fassung von Kompetenz im weiteren Sinne gegeben, während anschließend unter 2.2 (Definition von Kompetenz) eine detaillierte Beschreibung der wissenschaftlichen Kriterien erfolgt. Der alltagspraktische Niederschlag dieser theoretischen Ausführungen wird anhand von Kompetenzmessverfahren (2.3) und weiteren Einflussorten von Kompetenz (2.4) aufgezeigt. Abschließend werden die theoretischen Leerstellen des erläuterten Kompetenzbegriffes in einer Kritischen Zusammenfassung aufgezeigt (2.5).
2.1 Der Begriff: Kompetenz
Im Folgenden soll der Begriff Kompetenz sprachlich gefasst werden. Dies ist nötig, da er sowohl im alltäglichen, als auch beruflichen und wissenschaftlichen Gebrauch zwar immer häufiger, aber dadurch nicht zwangsläufig eindeutiger, Verwendung findet. Der Verfasser übernimmt die begriffliche Definition, welche Erpenbeck und von Rosenstiel im Vorwort ihres Handbuches zur Kompetenzmessung geben:
„Kompetenzen sind in Entwicklungsprozessen entstandene, generalisierte Selbstorganisationsdispositionen komplexer, adaptiver Systeme - insbesondere menschlicher Individuen - zu reflexivem, kreativem Problemlösungshandeln in Hinblick auf allgemeine Klassen von komplexen, selektiv bedeutsamen Situationen (Pfade).“ (Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XI)
Besonders hervorzuheben ist hierbei der Begriff “Selbstorganisations- dispositionen“, welcher nach Meinung des Verfassers den bedeutendsten Unterschied des Kompetenz- zu anderen Mess- und Kategorisierungsbegriffen menschlichen Handelns beinhaltet. Erpenbeck und von Rosenstiel bezeichnen sinnvolles Handeln in nicht vorgegebenen, unstrukturierten Situationen als Selbstorganisation (vgl. Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XI). Dadurch grenzen sich Kompetenzen von Wissen, Fertigkeiten und/ oder Qualifikationen ab, da letztgenannte sich auf klar umrissene, dadurch erlernbare und abprüfbare Bereiche beziehen. Den Zusammenhang beschreiben Erpenbeck und von Rosestiel so:
„ […] Fertigkeiten, Wissen, Qualifikationen [sind] eben keine Kompetenzen - wiewohl es keine Kompetenzen ohne Fertigkeiten, Wissen und Qualifikationen gibt.“ (Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XI)
Folgende Grafik verdeutlicht dies:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Kompetenzmodell Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XII
Kompetenzen stellen eine übergeordnete Kategorie gegenüber Wissen, Fertigkeiten und Qualifikationen dar, beinhalten diese aber auch. Hauptunterschied ist, wie bereits erläutert, die Selbstorganisation, welche spontane Handlungsfähigkeit ermöglicht. Normen, Werte und Regeln in den gestrichelten Kreisen sind handlungsleitende Einflüsse.
Erpenbeck und von Rosenstiel begründen ihre begriffliche Fassung von Kompetenz auf dreierlei Weise:
1. Bedarfsanalystisch: In mehreren europäischen Ländern werden Kompetenzen, deren Erwerb und Nachweis, zu einem wichtigen Kriterium für den beruflichen Erfolg. Auch in Deutschland gibt es durch eine Zusammenarbeit der Arbeitsgemeinschaft betriebliche Weiterbildungsforschung (ABWF) mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 1992, im Rahmen des Projektes „Qualifikations-Entwicklungs-Management“ (QUEM) (vgl. ABWF 2003), Bestrebungen, den Kompetenzbegriff stärker mit beruflicher und betrieblicher Weiterbildung zu verknüpfen. (Vgl. Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XVII)
2. Geschichtlich: Seit White 1959 (vgl. White 1959: 297 - 333 in Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XVIII) werden Kompetenzen als selbstorganisiert verstanden und seit McClelland 1973 (vgl. McClelland 1973 in Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XVIII) wird versucht diese Dispositionen anhand von Performanz, wie bei anderen psychologischen Konstrukten auch, zu messen. Erpenbeck und Rosenstiel begründen die zunehmende Relevanz des Kompetenzbegriffes mit einem gesellschaftlichen Wandel. „Der Transformation der Informationsgesellschaft in eine Wissensgesellschaft entspricht eine Transformation der Qualifikationsgesellschaft in eine Kompetenzgesellschaft.“(Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XIX)
Sachverhaltszentrierte Qualifikationen werden demnach zusehends von subjektzentrierten Kompetenzen abgelöst. (Vgl. ebd.)
3. Durch eine neue Lernkultur: Erpenbeck und von Rosenstiel schreiben,
dass Lernen in der Risikogesellschaft, da ein Verweis auf Beck ausbleibt ist unklar, welche Risiken gemeint sind, eine neue Lernkultur braucht. Dieses neue selbstorganisierte Lernen soll, in Form von Kompetenzen, wiederum selbstorganisierte Handeln ermöglichen. Die neue Lernkultur wird damit zur Voraussetzung des Kompetenzerwerbes. Dies ist erforderlich, um 1. Die Folgen der Globalisierung bewältigen zu können, 2. das Verlangen der Bevölkerung nach selbstorganisiertem Lernen zu stillen, 3. weil, „[…] fremdorganisierte Steuerungsstrukturen allenthalben die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben.“ (Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XX). (Vgl. ebd.)
An dieser Begründung des Kompetenzbegriffes zeigt sich dessen enge Verknüpfung mit den gesellschaftlichen und vor allem auch wirtschaftlichen Entwicklungen. Die Komplexität von Entscheidungsprozessen nimmt zu und Problemlösungsprozesse werden als die strategisch wichtigsten Prozesse für Unternehmen und Organisationen beschrieben (vgl. Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XXI) Eine kritische Reflexion dieser Verquickung oder der beeinflussenden Größen unterbleibt aber. Formulierungen wie, „Was wir erwarten, sind überraschende Lösungen, ist schöpferisch Neues.“ (Erpenbeck, von Rosenstiel 2007 XIX) zeigen, dass die unternehmerischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sich in der Konzeption des Kompetenz-Begriffes niederschlagen. Die Anpassung an ökonomische Erfordernisse kann man so ähnlich sicherlich auch bei Qualifikationen feststellen, welche in Form von Zertifikaten und Zeugnissen, die jeweiligen schulischen und beruflichen Fertigkeiten abbilden sollen. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Qualifikationen und Kompetenzen, welcher den Wirtschaftsbezug bei letzteren problematisch macht. Durch den expliziten Bezug auf „[…] Handlungsfähigkeit in offenen, unsicheren, komplexen Situationen […]“ (Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XII) richtet sich der Kompetenz-Begriff auf zukünftiges Handeln, während Qualifikation vergangenes Handeln in normierten Prüfungssituationen nachweisen. Das Ungefähre, welches im zukünftigen Handeln liegt, wird durch Faktoren, wie Werte, Regeln und Normen (s. Abb. 1) fassbar und erklärbar gemacht. Diese Erweiterung um eine ethische Dimension des Handelns wird von Erpenbeck und von Rosenstiel aber nicht weiter reflektiert. Dabei liegt genau hierin die Gefahr einer Vermischung von wirtschaftlichen Interessen mit allgemeinen ethischen Grundsätzen.
2.2 Definition von Kompetenz
Erpenbeck und von Rosenstiel unterscheiden zwei grundlegende Typen von Kompetenzen bei Lösungsprozessen:
1. Gradientenstrategien: Das Optimum der Problemlösung wird über eine schrittweise Annäherung in einem eng begrenzten Rahmen gesucht.
Erpenbeck und von Rosenstiel ordnen diese als Selbststeuerungsstrategie ein. (Vgl. Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XXI)
2. Evolutionsstrategien: Die Verortung der optimalen Lösung ist unbekannt. Daher werden neue, kreativ erzeugte Lösungen benötigt, ohne dass deren Verortung im Vorhinein festgelegt werden kann.
Erpenbeck und von Rosenstiel ordnen diese als Selbstorganisationsstrategie im engeren Sinne ein (Vgl. Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XXII)
Diese beiden unterschiedlichen Lösungsprozesse stellen verschiedene Anforderungen an die beteiligten Individuen. Dabei werden vier Kompetenzklassen unterschieden:
- Personale Kompetenzen: Die reflexive Disposition zur Selbsteinschätzung, Ethik, persönlichen Weiterentwicklung und Kreativität - Aktivitäts- und umsetzungsorientierte Kompetenzen: Disposition zum zielgerichteten und umsetzungsorientierten Handeln, sowohl alleine, als auch in Kooperation mit anderen.
- Fachlich-methodische Kompetenzen: Disposition, fachliche Kenntnisse und Instrumente lösungsspezifisch anzuwenden und/ oder kreativ weiterzuentwickeln.
- Sozial-kommunikative Kompetenzen: Die Disposition, kommunikativ und kooperativ zu handeln. (Vgl. Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XXIV)
Aktivitäts- und umsetzungsorientierte Kompetenzen werden u.U. nicht als eigene Klasse aufgefasst, sondern im Rahmen der anderen Klassen erfasst oder vernachlässigt.
Diese vier Kompetenzklassen stellen eine grundlegende Unterteilung von Kompetenzen dar, auch wenn einzelne Teilaspekte der einzelnen Klassen, je nach Untersuchungsblickwinkel, ergänzt, vernachlässigt und/ oder in Ausnahmefällen auch andere eingeordnet werden können. Erpenbeck und von Rosenstiel unterteilen daher verschiedene Kompetenzgruppen, die einzelne Kompetenzklassen fokussieren und ein entsprechend eingeengtes Verständnis von Kompetenz haben. (Vgl. Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XXV)
Ein Beispiel für eine Kompetenzgruppe mit dem Verständnis von Kompetenzen als fachbetonte Qualifikationen, auf die Kompetenzklasse der fachlichmethodischen Kompetenzen fokussierend, ist der Deutsche Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR). Der DQR wurde Anfang 2011 verabschiedet und stellt die nationale Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) dar, dessen Ziel die europaweite Vergleichbarkeit von Qualifikationen ist. (Vgl. Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen 2011: 3)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Kompetenzstruktur des DQR, Quelle: Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen 2011: 5
Im DQR werden mit der Fachkompetenz und der Personalen Kompetenz nur drei der obig aufgeführten vier grundlegenden Kompetenzklassen aufgeführt. Die Sozial-kommunikative Kompetenz wird dabei als Sozialkompetenz der Personalkompetenz untergeordnet (s. Abb. 2), während die Aktivitäts- und umsetzungsorientierte Kompetenz in diesem Zusammenhang vernachlässigt wird.
Am DQR wird deutlich, wie schwierig die Messung, Darstellung und Vergleichbarkeit von Kompetenzen in der Praxis ist. Denn über die formalen Qualifikationen des deutschen Bildungssystems hinaus, gibt es bisher keine Möglichkeiten informelle Kompetenzen anerkennen zu lassen:
„Es ist aber darüber hinaus umso wichtiger, als vor dem Hintergrund eines drohenden Fachkräftemangels eine Validierung und Anerkennung der in nicht- formalen und informellen Lern- sowie in Arbeitsprozessen gewonnenen Kompetenzen dringend erforderlich ist. Im Rahmen des DQR-Entwicklungs- prozesses sind bereits Empfehlungen zur Einbeziehung von nicht-formal und informell erworbenen Kompetenzen in den DQR erarbeitet worden, welche die zur Umsetzung noch notwendigen Klärungsprozesse und Arbeitsschritte beschreiben.“ (Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen 2011: 5)
Die entsprechenden Empfehlungen einer Arbeitsgruppe (vgl. Arbeitsgruppe zur Einbeziehung nicht-formal und informell erworbener Kompetenzen in den DQR 2011) und die Stellungnahme des Arbeitskreises DRQ (vgl. Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen 2012) hierzu, bleiben aber vage und richten sich vor allem auf die Überführung von Kompetenzen in formale Qualifikationen oder die Vergleichbarmachung mit diesen.
2.3 Kompetenzmessung
Für die einzelnen Kompetenzgruppen, lehnt sich die Messmethodik an die jeweiligen relevanten Bezugswissenschaften und deren Methodologien an (z.B. für Personale Kompetenzen an die Motivations- und Persönlichkeitspsychologie) (vgl. Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XXIVf.). Kompetenzen können grundsätzlich als Momentaufnahme für den aktuellen Zeitpunkt oder als Entwicklungskurve im zeitlichen Verlauf gemessen werden. Die tatsächliche Gestalt des Messdesigns richtet sich dabei nach dem Zweck der Messung. (Vgl. Erpenbeck, von Rosenstiel 2007: XXVI)
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