Das Fragemotiv in Wolfram von Eschenbachs "Parzival" und Peter Handkes "Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land"

Vom richtigen Fragen und Nicht-Fragen


Texte Universitaire, 2018

24 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Fragemotiv in Wolframs „Parzival“
2.1 Höfische Kommunikationsnormen und der tumbe Parzival
2.2 Parzival in der Gralsburg Munsalvaesche
2.3 Das Verbot nach dem Namen zu fragen
2.4 Das Fragen bei Gawan

3. Das Fragemotiv bei Peter Handkes „Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land“
3.1 Die verschiedenen Fragen der Fragegesellschaft
3.1.1 Mauerschauer und Spielverderber
3.1.2 Das alte Paar
3.1.3 Die jungen Schauspieler
3.2 Peter Handkes Parzival

4. Peter Handkes Rezeption von „Parzival“
4.1 Motive von „Parzival“ in „Das Spiel vom Fragen“
4.2 Handkes Motivation

5. Schlussbetrachtung

6. Bibliographie

1. Einleitung

„Wir könnten uns viel Frust und manchmal auch viel Leid ersparen, wenn wir uns öfters trauen würden, echte Fragen zu stellen und „von Herzen zu sprechen“. Leider hindert uns unsere gute Erziehung daran“1, so heißt es in einem Werk über Kommunikations- und Dialogformen in der Postmoderne. Die Frage nach dem richtigen Fragen, dem echten Fragen und dem Nicht-Fragen durch Barrieren, die auf Gesellschaftsnormen wie Höflichkeit und Taktgefühl bauen, beschäftigt bereits mehrere Epochen das Miteinander der Menschen. Wann überschreitet das Stellen einer Frage eine Grenze, gilt als unhöfl–ich, dringt zu sehr in den Gefragten ein und wann ist aber das unterlassene Stellen einer Frage, das Nicht-Fragen, ein Frageversäumnis, welches lasterhafte Konsequenzen mit sich zieht, vielleicht sogar sündhaft ist. Dass eine Differenzierung von echten und unechten Fragen problematisch ist, zeigen Verfehlungen von Kommunikation, bei denen eine Antwort verwehrt bleibt.

Bereits im Mittelalter stellt sich die Fage nach dem richtigen Fragen, Wolfram von Eschenbachs Parzival scheitert durch eine unzureichende Einschätzungskompetenz und fehlenden Sinn für situatives Entscheiden kläglich an der wohl bedeutendsten Frage des Werkes, nämlich nach dem Befinden des Gralskönigs Anfortas, durch ein einfaches Nicht-Stellen dieser Frage. Erst viel später schafft Parzival diese entscheidende Frage zu stellen und erlöst damit die Gralsgesellschaft, um schließlich selbst zum Gralskönig zu werden. Die richtige Frage bringt Erlösung und eine Fragekompetenz erweist sich als notwendig, um als ausgezeichneter Ritter alle aventiure zu bestehen. Diese Schlüssel­frage ist allerdings nicht der einzige Anhaltspunkt für eine sich lohnende Beschäftigung mit dem Motiv des Fragens bei „Parzival“, viel eher zieht sich dieses durch den gesamten Roman und zeigt auf, wie vielfältig und bedacht das Stellen oder Nicht-Stellen von Fragen, abhängig von Ziel und Situation, sein kann. Dabei spielen zum einen die höfischen Normen, durch die Verinnerlichung jener sich Parzival vom richtigen Fragen abgehalten fühlt, und zum anderen die Überschreitung dieser zum Bestehen von aventiure und Bewältigung höherer, transzendenter Aufgaben. In der Forschung wurde sich bei dem Motiv des Fragens in „Parzival“ vorrangig mit dem Frageversäumnis auf der Gralsburg in Verbindung mit Parzivals Sündhaftigkeit beschäftigt2, lediglich Mireille Schnyder nimmt in „Topographie des Schweigens“ auch intensiven Bezug auf ein angebrachtes Fragen und Schweigen in dem Roman und stellt vorherrschende höfische Normen auch unabhängig von Gurnemanz Lehre und deren Überschreitungen in den Fokus.

Auch der österreichische Dramaturg Peter Handke geht auf die Suche nach dem richtigen, nach dem echten Fragen, indem er in seinem Theaterstück „Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land“ eine Fragegesellschaft auf die Reise in ein mythisches Land schickt, mit dem Ziel dort durch das richtige Fragen zu sich selbst zu finden. Auch hier tritt ein Parzival auf, der mit dem mittelalterlichen Ritter kaum etwas gemein hat, bis auf die fehlende Fragekompetenz. Stumm und gewalttätig, fast wie ein wildes Kind, beginnt dieser Parzival ebenfalls eine Reise und erfährt ganz zum Schluss auch seine Erlösung, durch Selbsterkenntnis und das Erreichen des mythischen Ortes wird er schlussendlich zum rationalen Sprecher.

Die beiden Werke vereint die Problematik des Frageversäumnisses und stellt uns vor die Frage, wie genau das Motiv des Fragens jeweils vorkommt und wie an welchen Stellen aus welchen Gründen gefragt oder nicht gefragt wird. Außerdem offeriert diese Vereini­gung und Rezeption von seiten Handkes eine Betrachtung der bestehenden Bezüge und des Aufgreifens des mittelalterlichen Romans.

Darüber hinaus gilt es letztlich zu schlussfolgern, wie die Rekonstruktion dessen von Handke motiviert ist, um Rückschlüsse auf die Gründe für eine anhaltende Beschäfti­gung mit und das Interesse an dem mittelalterichen Stoff zu ziehen, wobei sich die Untersuchung dessen auch auf das Fragemotiv beschränken soll.

Zu diesem Zweck wird zunächst Wolframs Parzival auf das Fragemotiv hin analysiert, um anschließend Handkes Stück nach ähnlichen Aspekten zu untersuchen. Im letzten Schritt dieser Arbeit erfolgt schließlich ein Herausstellen von Parallelen der Werke bezüglich des untersuchten Motivs sowie ein Betrachten der hergestellten Bezüge von Handke, um letztlich noch seine Motivation dahinter kurz zu erörtern.

Peter Handkes Theaterstück wurde in der Forschung bereits hinsichtlich der Rekon­struktion des Parzivalstoffes untersucht3, diese Arbeit soll nun daran anschließend das Motiv des Fragens kleinschrittig und situativ in beiden Werken untersuchen, um neue Erkenntnisse im Hinblick auf das Fungieren vom richtigen Fragen und Nicht-Fragen und derer Darstellung in der gewählten Literatur zu erhalten.

2. Das Fragemotiv in Wolframs „Parzival“

Die Untersuchung vom Fragen in Wolfram von Eschenbachs Versroman „Parzival“, welcher am Anfang des 13. Jahrhunderts entstand und den unvollendeten Roman Chrétien de Troyes‘ „Parceval le Galois. Conte du Graal“ weiterverarbeitet4, drängt sich nahezu auf, wenn betrachtet wird, welche Schlüsselfunktion das Stellen einer Frage für den Erfolg des Helden hat: oeheim, waz wirret dir?‘ (Parz. 795,29), die Frage, die Parzival schon bei seinem ersten Besuch auf der Gralsburg hätte stellen sollen und wegen des Nicht-Stellens er sich vermeintlich sündhaft macht, die Frage, die letztlich Anfortas von seinem Leiden befreit und Parzival selbst zum Gralskönig macht.

An dieser Stelle ist das vielfach diskutierte Frageversäumnis schwer in seiner Bedeu­tung, es hängt mit dem tiefgehenden, verzögerten Zusammenschluss von Gralsgemein­schaft und Artuswelt zusammen und stellt Parzivals tumpheit als im entscheidenden Moment verheerend dar, da das Fragen bei Anfortas einen viel höheren Stellenwert einnimmt als das Einhalten höfischer Verhaltensnormen.

Darüber hinaus führt es zu einem Frageverbot, das letztlich Parzivals Sohn zum Ver­hängnis wird.

Es ist aber zusätzlich bedeutend, wie die höfischen Verhaltensnormen bezüglich des Fragens noch kenntlich werden und an welchen Stellen ein Brechen jener als gerechtfertigt erscheint. So schlägt Gawan, der zweite Protagonist und Held in „Parzival“, sich durch energisches Fragen durch seine aventiure und ein enges Verhältnis von Mittel und Zweck wird deutlich. Es gilt zu untersuchen, wann eine Frage Grenzen überschreitet, wann die höfischen Verhaltensregeln dennoch sekundär sind und eine solche Grenzüberschreitung dem Leser als geduldet offeriert wird, aber auch, wann eine Frage entscheidend für den Eintritt in eine aventiure ist.

In einem ersten Schritt sollen dazu die höfischen Kommunikationsnormen mit dem Fokus auf das Fragen umrissen und dabei Bezug auf Parzivals Erziehung durch seine Mutter und Gurnemanz genommen werden.

2.1 Höfische Kommunikationsnormen und dertumbeParzival

Von hoher Bedeutung für das Bestehen eines Ritters am Hof gilt eine höfische Kultiviertheit, die mit einer ausreichenden Erziehung und Aufklärung erreicht werden kann. Zu den erwarteten ritterlichen Tugenden zählen Genügsamkeit, Güte, Mitleid, Redegewandtheit, Taktgefühl (Parz. 170,16-28) und nicht zuletzt, die Kompetenz nicht zu viele Fragen zu stellen. So ist es feste Vorschrift der weltlichen Didaxe „die Zunge zu zügeln“ und ein oftmals angebrachtes Schweigen wird in eben dieser zuht begründet.5

Unnütze Fragen und zu viel Neugierde gelten als unangemessenes Eindringen in den Befragten und somit als unhöflich.

Da Parzival diese Vorschriften in Herzeloydes Erziehung in Soltane nicht erfährt, ist ihm ein Zugang zu solchen allgemeingültigen höfischen Regeln verwehrt, eine eigene rationale Entscheidungs- und Unterscheidungskompetenz kann sich nicht entwickeln und jegliche höfische Dialogkenntnis bleibt ihm fremd. Er wird sogar von seiner Mutter, die auf eine baldige Rückkehr durch Scheitern und Zurückweisung ihres Sohnes hofft, lächerlich angezogen und ohne hilfreiche Ratschläge, die ihn in der höfischen Welt bestehen lassen würden, in diese hinausgelassen (Parz. 116-128).

Diese tumpheit bleibt Parzival während seiner Reise erhalten und sorgt dafür, dass er im entscheidenden Moment nicht in der Lage ist, einen später verinnerlichten Lehrsatz situativ angemessen anzuwenden.

Über die höfischen Kommunikationsformen wird Parzival nämlich sehr wohl unterwegs aufgeklärt, so wird er im dritten Buch erstmals von dem Gastwirt Gurnemanz über die ritterlichen Tugenden und Verhaltensnormen unterrichtet: irn sult niht vil gevrâgen (Parz.171,17), ist der Ratschlag, den der junge Ritter sich so sorgsam einprägt und ähnlich einem kategorischen Imperativ weiterverhandelt.

Allerdings ist diese Verhaltensanweisung keineswegs eine ultimative Handlungs­maxime, viel eher geht es lediglich um das gezüchtigte, höfische Fragen, wie der Erzäh­ler später deutlich macht:

sîn manlîch zuht was im sô ganz,

sît in der werde Gurnamanz

von sîner tumpheit geschiet

unde im vrâgen widerriet,

ez enwære bescheidenlîche, (Parz.188, 15-19)

Es ist demnach zu differenzieren zwischen einer erwünschten Zensur von zu neugieri­gen, unangebrachten Fragen und dem Fehlinterpretieren dessen als allgemeines Frageverbot seitens Parzivals.

An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass das richtige Fragen und Nicht-Fragen eine zentrale Rolle in den Kommunikationsnormen des Mittelalters spielte und Grenzüber­schreitungen durch falsches Fragen in aller Tiefe thematisiert wurden.

Ebenfalls wird hier schon erkenntlich, dass die Grenze zwischen erlaubtem und unan­ge­brachtem Fragen verschwimmen kann und angedeutet, dass die Anwendung angeeigneter gesellschaftlicher Normen ein entwickeltes Urteilsbewusstsein erfordert. Dies wird Parzival bei seinem ersten Besuch in Munsalvaesche zum Verhängnis.

2.2 Parzival in der Gralsburg Munsalvaesche

Als Parzival im fünften Buch in der Absicht seine Mutter aufzusuchen an dem See Brumbane auf Anfortas trifft, der an der frischen Luft ist, um seine Wunde zu lüften, ist ironischerweise das erste was er tut, eine Frage zu stellen. Er erkundigt sich bei dem Fischerkönig nach der nächstgelegenen Herberge (Parz. 225,13-17).

An dieser Stelle ist herauszustellen, dass Parzival wenigstens verstanden hat, dass das Fragenstellen kontextabhängig ist, da nach dem Weg oder nach einer Unterkunft zu fragen für ihn nicht in das ‚du sollst nicht zu viel fragen‘ Raster fällt. Deutlich wird also, dass er Gurnamanz‘ Ratschlag sehr wohl als einen auf Fragen persönlichen Anliegens bezogenen sieht und auch in der Lage ist, zwischen solchen und alltäglichen, praktischen Frage zu unterscheiden.

Dieser Unterschied zeigt sich auch im postmodernen gesellschaftlichen Verständnis von einer angemessenen Fragekultur auf, Erkundigungen nach dem Weg oder der Uhrzeit gelten nicht als ‚echte‘ Fragen, letztere sind wir hingegen viel eher „nicht gewohnt […] zu stellen, was daran liegen mag, dass in unserer Kultur […] Fragen als Zeichen von Dummheit oder schlechten Manieren gelten könnte.“6

Als Parzival nun auf der Gralsburg empfangen wird, erlebt er ausreichend Verwunder­liches, so trägt ein Knappe eine blutige Lanze vor die versammelte Gemeinschaft, woraufhin diese zu Weinen anfängt (Parz. 231 17-26). Außerdem übergibt Anfortas ihm sein über alle Maßen wertvolles Schwert, eine Tat, die offensichtlich Nachfragen auf­wirft, doch weder bedankt Parzival sich, noch fragt er nach dem genauen Grund für das so kostbare Geschenk, stattdessen bleibt er stumm.

Spätestens die durch den Gral vollbrachten Wunder erkennt Parzival als sonderbar, traut sich allerdings nicht, danach zu fragen und sagt sich, dass er auch ohne zu fragen herausfinden könne, was die Gründe für dieses absonderliche Verhalten sind:

er dâhte «mir riet Gurnamanz

mit grôzen triwen âne schranz,

ich solte vil gevrâgen niht.

waz op mîn wesen hie geschiht

die mâze als dort pî im?

âne vrâge ich vernim

wiez dirre massenîe stêt.» (Parz. 239, 11-17)

Dieses Verhalten Parzivals, welches dazu führt, dass Anfortas noch nicht erlöst wird, ist in der Forschung breit diskutiert worden. Dabei wird das Nicht-Fragen oft als sündhaft markiert, das Fragen selbst hingegen als einerseits erlösend und andererseits symbolisch für den Eintritt in die aventiure. 7 Während sein Schweigen meistens als zu große zuht und Unfähigkeit Parzivals Gurnemanz‘ Ratschlag richtig zu interpretieren und situativ anzuwenden herausgestellt wird, ist Velten der Meinung, dass sein Schweigen „nicht verwunderlich“8, sondern durch das Tragen einer religiösen Valenz sogar situationsangemessen sei, demnach geschehe Parzivals Schweigen aus Ehrfurcht. Allerdings wird durch die zuvor zitierte Passage, in der durch eine fokalisierte Perspektive die Gedanken des jungen Ritters kenntlich gemacht werden, deutlich, dass er lediglich selbst strikt an den vermittelten Normen festhält. So weist auch der Erzähler daraufhin, dass durch zuht in vrâgens doch verdrôz (Parz.239,10). Allerdings ist es ebenfalls irreführend, Parzivals Schweigen lediglich durch „zu große zuht9 zu erklären. So schreibt Schnyder von einer nötigen „Verletzung der höfischen zuht für die größere Aufgabe“. Außer Frage steht, dass das Stellen der Frage für eben diese größere Aufgabe, Anfortas von seinen Leiden zu befreien, nötig ist, allerdings wäre das Stellen von mehreren Fragen auf der Gralsburg keineswegs eine Verletzung der zuht. Viel eher wird die Tugend des Mitleids verletzt, die, wie Parzival sehr wohl gelernt hat, ebenfalls zu höfischer zuht beiträgt. Dennoch fragt er nicht nach dem Grund für die Tränen der Gralsgesellschaft oder nach dem Leiden des Fischerkönigs. Auch bei dem Empfangen des Schwertes wäre eine Nachfrage bescheidenliche. Demnach scheitert Parzival viel eher an seiner tumpheit als an zu großer zuht und macht sich durch jene schuldhaft, denn was als zu große zuht bezeichnet wird, meint viel eher ein überspitztes, wortge­treues Verhandeln verinnerlichter Normen.

Das Fragen trägt somit sowohl einen erlösenden Charakter, und gleichzeitig im Falle ei­ner Unterlassung einen sündhaften10, wodruch das Fragemotiv christlich religiös behaf­tet wird.

Denn Erlösung erhält die Gralsgesellschaft, wenn Parzival im sechzehnten Buch nach jahrelanger erfolgloser Suche endlich nach Munsalvaesche zurückkehrt, durch die Lehre des Einsiedlers Trevrizent nun weiß, wie er verfahren muss und Anfortas durch das Fragen nach seinem Leiden schließlich von diesem befreit (Parz.795,29-796,4)11. Dass Parzival danach selbst zum Gralskönig wird, konnotiert dieses darüber hinaus mit einem Erfolg des Helden, mit dem Bestehen von aventiure und verdeutlicht die erlösende Symbolik vom Fragen.

Diese religiöse Komponente wird noch bekräftigt, wenn betrachtet wird, welche Konse­quenzen der Erzähler dem Frageversäumis zuschreibt, denn auch Parzivals Sohn sieht sich später mit diesem konfrontiert.

2.3 Das Verbot nach dem Namen zu fragen

Dass das Fragen in „Parzival“ bedeutungsschwer ist, zeigt sich auch nachdem der Held endlich zum Gralskönig wird. Durch die Mitleidsfrage entsteht eine Verbindung des arturischen Hofs mit christlicher Frömmigkeit und der göttlichen Präsenz, denn Parzival wird, von Gott auserwählt, zum Erlöser und ist gleichzeitg angesehener und geachteter Ritter. Hier endet Wolframs Versroman allerdings noch nicht, denn das Frageversäumnis hat zur Folge, dass auf dem heiligen Gral ein tatsächlich sehr wörtlich zu nehmendes Frageverbot erscheint: Sobald ein Tempelritter durch die Hand Gottes über Fremde Herr werde, so solle er diese davor warnen, ihn nach seinem Namen oder seiner Herkunft zu fragen, denn sô diu vrâge wirt gein im getân, sô mugen sis niht langer hân (Parz.819,1-2). Diese Anweisung wird darin begründet, dass nun die Ritter der Gralsgesellschaft eine Empfindlichkeit gegenüber Fragen entwickelt hätten, da Anfortas solange auf eine hatte warten müssen (Parz.819,2-8). Dieses Frageverbot zeigt eine Parallele zu dem vermeintlichen Frageverbot Gurnemanz‘, die an Ironie grenzt. Wenn der Ratschlag bloß nicht zu viele Fragen zu stellen generalisiert und wie von Parzival wortgetreu ausgelegt wird, wird das Fragen kategorisch abgelehnt, auch in Situationen, in denen es nicht begründet erscheint. Genauso absolut ist das Verbot, das auf dem Gral erscheint, und die Begründung dahinter beinahe genauso stumpf, wie Parzivals tumbe Interpretation der Verhaltensnorm, denn es grenzt an Willkür, durch die schlechten Erfahrungen mit dem Fragen ein ganz anderes, spezifisches Fragen zu vermeiden, beziehungsweise zu verbieten. Dies impliziert, dass entweder die Sentenzen bezüglich des Fragens bei Wolfram letztlich insgesamt sehr einseitig zu verstehen sind und in der Folge auch Parzivals Nicht-Fragen demnach doch ein Einhalten der zuht darstellen würde12, oder aber, und dies scheint wahrscheinlicher, durch das neue Frageverbot noch einmal unter­strichen werden soll, wie verheerend ein so absolutes und nicht schlüssig begründetes Gebot sich auswirken kann. Eine weitere Option stellt dar, dass das sündhafte Nicht- Stellen der Mitleidsfrage nun in Rechnung gestellt wird, also Gott eine bestrafende Rolle einnimmt, die das Fragen erneut stark religiös behaftet. Gleichzeitig wird die Problematik des Fragens und Nicht-Fragens auf Parzivals Sohn übertragen, denn Wolfram endet seinen Versroman mit einem Ausblick auf die Schwan­rittersage: Loherangrin, Parzivals Sohn, kommt nach Brabant, um die Fürstin zu heiraten, nicht ohne vor dem Fragen zu warnen (Parz.825, 21-25), doch letztlich lässt sich nicht verhindern, daz in ir vrâge dan vertreip (Parz.826). Dies kehrt die bisher leitmotivisch vermittelte Botschaft der Notwendigkeit, an der richtigen Stelle zu fragen, um. Hier wird die Wichtigkeit, an der richtigen Stelle (in diesem Fall unabhängig von höfischen Verhaltensregeln, sondern im Bezug auf ein von Gott auferlegtes Kriterium) nicht zu fragen, betont.

[...]


1 Hartkemeyer, Martina et. al. :Miteinander Denken.Das Geheimnis des Dialogs. 3. Aufl. Stuttgart 2001, S.92.

2 So geht Bumke dem Motiv des Fragens im „Parzival“ bereits ausführlich in „Wolfram von Eschenbach“ nach, behandelt dabei jedoch lediglich Parzivals Versagen in Munsalvaesche und das daraus entstehende sündhafte Laster für Parzival, also eine nachträgliche religiöse Interpretation des Fragemotivs (S.68), und das Frageverbot, mit dem Loherangrin letztlich konfrontiert ist, welches aber gleichzeitig in engem Zusammenhang mit der religiösen Behaftung einhergeht (S.122). Dies steht beispielhaft für den Fokus der Untersuchungen in der Mediävistik bezüglich des Fragemotivs bei „Parzival“.

3 Besonders Chiriac liefert eine umfangreiche Analysen bezüglich Handkes Motivation den mittelaterlichen Stoff weiterzuverarbeiten.

4 Vgl. Kühn, Dieter: Der Parzival des Wolfram von Eschenbach. 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1987, S.18.

5 Schnyder, Mireille: Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200. Göttingen 2003, S.156.

6 Hartkemeyer (2001), S.92.

7 Vgl. Schnyder (2003), S. 374.

8 Velten, Hans Rudolf: Lachen und Schweigen in Wolframs „Parzival“, in: Röcke, Werner/Velten, Hans Rudolf (Hrsg.): Lachen Und Schweigen. Grenzen und Lizenzen der Kommunikation in der Erzählliteratur des Mittelalters. Berlin 2017, S.86.

9 Schnyder (2003), S.375.

10 Sowohl Cundrie als auch Sigune beschuldigen Parzival eines sündhaften Verhaltens durch das unterlassene Stellen der Mitleidsfrage

11 Verwunderlich bleibt an dieser Stelle, aus welchem Grund die Frage immer noch wirksam ist, da Trevrizent Parzival und somit auch die Leser darüber unterrichtet, dass das Leid des Gralkönis ein Ende haben würde, wenn ein Ritter unaufgefordert und ohne auf diese Frage aufmerksam gemacht worden zu sein (wenn dies geschehe dann würden die Schmerzen sogar noch schlimmer werden) in der ersten Nacht auf der Gralsburg nach Anfortas‘ Leid fragen würde (Parz.483, 24-30 – Parz.484 2) Parzival ist allerdings dadurch sehr wohl gewarnt worden,wenn auch nicht von der Gralsgesellschaft selber und seine Macht zur Erlösung hätte durch das Versäumnis in der ersten Nacht verwirken müssen.

12 Dies meint, dass bei einer sehr wenig reflektierten Auslegung (und wenig refelktiert scheint auch das Frageverbot auf dem Gral) von Gurnemanz' Ratschlag, nämlich einer solchen, bei der er tatsächlich ein wortgetreues Frageverbot gleichgültig der Beschaffenheit der Fragen offeriert, Parzival diese tatsächlich durch ein Stellen der Mitleidsfrage brechen würde und demnach ein Nichteinhalten der zuht gegeben wäre.

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Das Fragemotiv in Wolfram von Eschenbachs "Parzival" und Peter Handkes "Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land"
Sous-titre
Vom richtigen Fragen und Nicht-Fragen
Université
University of Hamburg
Note
1,7
Auteur
Année
2018
Pages
24
N° de catalogue
V469977
ISBN (ebook)
9783668946026
ISBN (Livre)
9783668946033
Langue
allemand
Mots clés
fragemotiv, wolfram, eschenbachs, parzival, peter, handkes, spiel, fragen, reise, land, nicht-fragen
Citation du texte
Johanna Willruth (Auteur), 2018, Das Fragemotiv in Wolfram von Eschenbachs "Parzival" und Peter Handkes "Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/469977

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