Die handlungsleitenden Fragen für die vorliegende Untersuchung sind demnach:
Welche Rahmenbedingungen beeinflussten die jeweilige Haltung der beiden Lager?
Wie konnten die innergewerkschaftlichen Kontroversen zumindest so weit aufgelöst werden, dass eine verbandsweit getragene Forderung nach einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn aufgestellt werden konnte?
Im Januar 2019 jährt sich die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland zum vierten Mal. In den langwierigen und kontroversen Diskussionen im Vorfeld dieser Einführung wurde oft auf die 1918 im Stinnes-Legien-Abkommen festgeschriebeneTarifautonomie Bezug genommen und sie war wohl das am häufigsten bemühte Argument. Interessanterweise diente dieses Argument beiden Lagern: Während seine Befürworter in einem gesetzlichen Mindestlohn eine Stärkung der Tarifautonomie sahen, stellte er für seine Gegner einen eklatanten, nicht hinzunehmenden staatlichen Eingriff in das Tarifsystem dar, der das Prinzip der Tarifautonomie gänzlich unterlaufe. Diese unterschiedliche Lesart war unter anderem verantwortlich für eine etwa ein Jahrzehnt andauernde innergewerkschaftliche Debatte , die erst 2006 auf dem Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mit dem Beschluss, einen gesetzlichen Mindestlohn zu fordern, eine verbandsweit gemeinsame Richtung einschlug und in die 2007 begonnene Mindestlohn-Kampagne des DGB mündete.
Bei der innergewerkschaftlichen Debatte zeichneten sich schnell zwei Lager ab: Dienstleistungs- vs. Industriegewerkschaften, wobei die Dienstleistungsgewerkschaften (Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)) als Befürworter und die Industriegewerkschaften (IG Metall und IG BCE) als Gegner eines gesetzlichen Mindestlohnes auftraten. Doch wie kam es dann zu dem Beschluss, einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland zu fordern?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Historische Entwicklung des deutschen Modells der Industriellen Beziehungen
1.2. Konzeptioneller Rahmen
1.3. Die Arena „Tarifautonomie“ und ihre Akteure
1.4. Instrumente der Arbeitsmarktpolitik
2. Entwicklung der Rahmenbedingungen des deutschen Tarifsystems
2.1. Arbeitsmarkt: Erosion des Flächentarifvertragssystems / Ausweitung des Niedriglohnsektors
2.2. Wissenschaft: Allgemeiner Mindestlohn als probates Mittel gegen „Armut trotz Arbeit“
2.3. Gesellschaft: Steigende plebiszitäre Zustimmung
2.4. Politik: Handlungsdruck aufgrund der negativen Arbeitsmarktentwicklung seit der deutschen Wiedervereinigung
2.5. Organisation: Sinkende Organisationsstärke der Einzelgewerkschaften
3. Wie reagieren die gewerkschaftlichen Akteure auf die veränderten
sozioökonomischen Einflussfaktoren?
3.1. Dienstleistungsgewerkschaften
3.1.1 Positionsentwicklung der NGG
3.1.2 Positionsentwicklung von ver.di
3.2. Industriegewerkschaften
3.2.1 Positionsentwicklung der IG Metall
3.2.2 Positionsentwicklung der IG BCE
4. Der DGB auf dem Weg zum gesetzlichen Mindestlohn
4.1. Der DGB-Bundeskongress
4.2. Die „Initiative Mindestlohn“
4.3. Der DGB-Bundeskongress
5. Fazit und Ausblick
6. Literatur
Abkürzungsverzeichnis
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