Werte, ihr Wandel und seine Bedeutung für die Soziale Arbeit


Dossier / Travail de Séminaire, 2018

21 Pages, Note: 1


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Werte

3. Wertewandel
3.1. Wertewandelsforschung
3.2. Die gesellschaftliche Bedeutung von Werten

4. Ableitungen für die Soziale Arbeit der Zukunft

5. Fazit

Literatur

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

Die Rolle der Sozialen Arbeit entwickelt sich immer entlang der jeweiligen strukturel­len Veränderungen einer Gesellschaft und den sich daraus ergebenen sozialen und kulturellen Folgen für ihre Mitglieder. Der These, dass die subjektiven Einstellungen, Wahrnehmungen, Werthaltungen und Verhaltensweisen der Menschen wiederrum durch die veränderten Bedingungen beeinflusst werden, soll im Folgenden nachge­gangen werden, um Überlegungen anstellen zu können, inwiefern sich hieraus neue Herausforderungen für die Soziale Arbeit ergeben. Bilden sich auf Grund veränderter Wertvorstellungen bei Staat, Bevölkerung und wirtschaftlichen Unternehmen unter Umständen neue vulnerable Gruppen jenseits der traditionellen heraus? Welchen Einfluss hat dies auf die Prozesse in der Sozialen Arbeit?

Um sich diesem Thema anzunähern, erfolgt zunächst eine Eingrenzung des Wer­tebegriffs und ein Exkurs in die Wertewandelsforschung, gefolgt von einer Betrach­tung der Werteprioritäten in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft. Auf die von Horst Opaschowski (2013) formulierten Schlussfolgerungen, wie demnach die Ge­sellschaft der Zukunft aussehen könnte, wird im Anschluss eingegangen. Wer gehört womöglich zu ihren Gewinner*innen, wer zu den Verlierer*innen?

Mit der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit hat der Begriff der „Sozialen Dienstleis­tungen“ längst Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden. Mit dem sozi­alen Wandel kommt auch der Ruf nach Innovationen in diesem Bereich. Wie kann der Sozialstaat den bevorstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen begeg­nen, um den sozialen Frieden zu sichern? Wie können Markt und Wohlfahrtsstaat in Einklang gebracht werden und trotzdem ihrem Auftrag, soziale Gerechtigkeit anzu­streben und allgemeine Lebensrisiken der Bürgerinnen abzusichern gerecht wer­den?

Von einer allgemeinen Betrachtung der Erfordernisse in der Sozialen Arbeit, wird mit Hinblick auf die prognostizierten Wertehaltungen in der Gesellschaft der Zukunft ab­schließend der Versuch unternommen, ein innovatives sozialarbeiterisches Konzept darzustellen, welches möglicherweise geeignet sein könnte, die neuen sozialpoliti­schen Forderungen an die Soziale Arbeit mit den Bedarfen der Adressatinnen in Einklang zu bringen.

2. Werte

Die Idee von Werten lässt sich bis zu Plato und Aristoteles zurückverfolgen, die sich bereits mit der Vorstellung von Glück als wünschenswerten Zustand, Fragen nach dem „Guten an sich“ und der Vorstellung von einem „guten Leben“ beschäftigten (vgl. Pöge 2017). Der eigentliche Begriff des Wertes geht jedoch auf den ökonomischen Kontext zurück, in dem der Wert sehr stark von den Bedürfnissen desjenigen abhän­gig ist, der etwas als wertvoll deklariert. Seine situative Geltung lässt sich an dem folgenden Beispiel veranschaulichen: nach einem langen Fußmarsch durch die sen­gende Hitze ist mir ein Glas lauwarmes Wasser ungemein wertvoll, während ich die­ses bei dem Blick in die Cocktailkarte einer Strandbar nicht einmal in Erwägung zie­hen würde. Im 19. Jahrhundert „kaperten“ einige Philosophen wie Hermann Lotze den ökonomischen Begriff des Wertes und stellten ihn von seiner Anbindung an ei­nen Gegenstand, wie auch von seiner Situativität frei. Es galt, die absoluten Gel­tungsansprüche der Religionen und Ideologien auf das Gutsein aufzulösen, indem die Formulierung moralischer Werte eine differenziertere Betrachtungsweise des Gu­ten, bzw. Bösen erlaubte (vgl. Sommer 2018:100f.). Seit jener Zeit gibt es Werte im­mer nur im Plural. Sie konstituieren sich aus der kommunikativen Interaktion zu kommunikativen Realitäten, entsprechend der Definition von Clyde Kluckhohn (1951):

„Allgemein geteilte, grundlegende Auffassungen von Wünschenswertem.“ (Kluckhohn 1951, zitiert nach Köthemann 2014)

Anders gesagt, sind „Werte allgemein akzeptierte Vorstellungen darüber, was wir für richtig oder falsch halten. Sie ermöglichen ein verlässliches Miteinander,- in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Doch Werte ändern sich ständig und unterschiedliche Wertvorstellungen konkurrieren miteinander“ (vgl. RHI 2018). Nicht nur der Einzelne, sondern auch Familien, Unternehmen, soziale Schichten, ganze Gesellschaften kommen als Träger von Werten in Frage (vgl. Hradil 2018:20).

Nach Rokeach (zitiert nach Pöge 2017) ist das individuelle Wertesystem, welches sich aus einer Rangreihenfolge von Werte-Prioritäten zusammensetzt, maßgebend für das Handeln sozialer Akteure. Prinzipiell besitzen alle Menschen dieselben Wer­te, jedoch unterscheiden sie sich hinsichtlich des Ausmaßes der jeweiligen Zustim­mung und der individuellen Prioritäten. Dem relativ stabilen persönlichen Werteprofil räumt Rokeach dennoch die Möglichkeit einer Neuordnung oder Wandlung ein, die über Änderungen in der Selbstkonzeption oder eine Steigerung der Selbsterkenntnis zustande kommen kann, wenn nämlich Diskrepanzen zwischen dem Selbstkonzept und den eigenen Wertehaltungen identifiziert werden. Hiermit sind dem (moralischen oder kompetenten) Selbstbild widersprechende Werte und Verhaltensweisen ge­meint, die letztendlich zu einer Selbst-Unzufriedenheit führen und einen Verände­rungsprozess in Gang setzen (vgl. ebd.).

Diese tief sitzenden Vorlieben sind nach Hradil (2018) eher als Einstellungen zu be­zeichnen, die wegen ihrer bewertenden und handlungsleitenden Kraft Werten zwar durchaus ähneln, sich jedoch auf konkrete Lebensbereiche beziehen und in ihrer Beeinflussbarkeit oberflächlicher sind.

Der Einfluss von Werten auf die Gesellschaft wird z. B. in ihren Normen deutlich, die zur Regelung menschlichen Handelns entsprechend bestimmter Wertvorstellungen Geltung finden. Hradil (2018) hat sich an einer Systematisierung der Vielzahl von Wertvorstellungen versucht, die sich auf die derzeit meist diskutierten Werte bezieht:

Politisch relevante Werte. Unter diese Kategorie fallen die fundamentalen Werte unseres Gemeinwesens, wie z. B. Freiheit, Schutz des Lebens, Sicherheit, Solidari­tät, Gerechtigkeit, Demokratie, Toleranz und Gleichheit. Ihr Geltungsbereich be­schränkt sich nicht ausschließlich auf den politischen Bereich. Sie prägen das Selbstverständnis unseres alltäglichen Handelns und unseres Zusammenlebens. Diese Werte sind universal und besitzen dabei ein hohes Abstraktionsniveau, was in politischen Auseinandersetzungen nicht selten dazu führen kann, dass sie zu nützli­chen Leerformeln degradieren, die mit wechselnden, sogar gegensätzlichen Inhalten gefüllt werden können (vgl. ebd.).

Religiös fundierte Werte. In alltäglichen Werthaltungen, die unserem Zusammenle­ben zugrunde liegen, finden sich viele Werte die den Religionen entspringen, so etwa die Ehrlichkeit, Treue und Loyalität.

Biografische Werte. Anhand der Zielvorstellungen Einzelner lassen sich die Werte identifizieren, die als erstrebenswert angesehen werden. Diese sind bspw. Gesund­heit, Wohlstand, Ansehen, soziale Absicherung, Bildung, Autonomie oder Selbstver­wirklichung. Viele Feststellungen zum Thema «Wertewandel» beziehen sich hierauf. Diese Werte werden zwar von vielen Menschen, jedoch in unterschiedlichem Maße geteilt.

Dingliche Werte. Mit der Erhaltung, Bewunderung und Nutzung materieller Werte, die sich auch in Form von Kleidungsstilen, kulturellen und künstlerischen Leistungen ausdrücken können, finden viele Menschen ihren Lebensinhalt.

Hradil veranschaulicht anhand von zwei Wertepaaren, wie sich wichtige Werte wider­sprechen, gegenseitig beschränken, einander abschwächen oder sogar infrage stel­len können:

„Der Wert der Sicherheit (z. B. in Gestalt öffentlicher Überwachungsmaßnah­men) geht nicht selten zulasten des Werts der Freiheit. Der Wert der Solidari­tät läuft (in Gestalt mancher sozialpolitischer Leistungen) dem Wert der Selbstverantwortung entgegen.“ (ebd.)

Dass Werte nicht deckungsgleich mit dem Verhalten von Menschen sind, liegt, laut Hradil an der Tatsache, dass das Handeln nicht ausschließlich von Werten beein­flusst wird. Unser menschliches Tun oder Unterlassen wird des Weiteren von den individuellen Fähigkeiten geprägt, den möglicherweise konkurrierenden Werten oder den Bedingungen unter denen das Handeln erforderlich wird. Dieser Umstand, so Hradil, schützt die Werte davor selbstverständlich zu werden und nicht aus dem pri­vaten und öffentlichen Bewusstsein zu verschwinden (vgl. ebd.).

3. Wertewandel

Mit der fundamentalen Wandlung der politischen, ökonomischen und gesellschaftli­chen Strukturen im Deutschland des 20. Jahrhunderts änderten sich auch die allge­mein akzeptierten grundlegenden und handlungsleitenden Orientierungsstandards auf kollektiver, wie auf individueller Ebene. Dies fand Niederschlag in den Bereichen Erziehung und Bildung, der Einstellung zur Arbeit und zum Militär, den Geschlechter- beziehungen, sowie im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft (vgl. Rödder 2018).

3.1. Wertewandelsforschung

Die soziologische Wertewandelsforschung nahm ihren Anfang mit der Studie „The silent revolution in Europe“ des US-amerikanischen Politologen Ronald Inglehart (1971), der als Berater der Europäischen Gemeinschaft federführend an der Entwick­lung und Durchführung der Eurobarometer-Erhebungen beteiligt war (vgl. Gallus 2007:191). Die Umfrageergebnisse veranlassten Inglehart zu theoretischen Überle­gungen und Analysen zu den Veränderungen der politischen Kultur und der Wertpri­oritäten während der 1970er Jahre in den westlichen Industriegesellschaften. Er kam zu dem Schluss, dass sich in allen westlichen Ländern eine Verschiebung von mate­rialistischen zu post-materialistischen Werten vollzogen hatte. Demnach sei die Wertschätzung für die individuelle Freiheit, Selbstverwirklichung, Gruppenzugehörig­keit und Lebensqualität gestiegen, während bürokratische Autorität auf verstärkte Ablehnung stieße. Ingleharts Theorie zur Erklärung dieses Phänomens basiert auf dem Maslowschen Bedürfnispyramidenmodell, welches der Erklärung menschlicher Handlungsmotivation dient. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse, wie z. B. nach physischer Sicherheit steht demnach an erster Stelle. Ist dies nur unzureichend ge­geben, wird den nichtmateriellen Bedürfnissen, wie z. B. nach Selbstbestimmung, wenig oder keine Bedeutung beigemessen (vgl. Thome 2007:44). Inglehart leitete daraus seine Mangelhypthese ab, die besagt, dass Prioritäten eines Menschen sein sozio-ökonomisches Umfeld reflektieren: Den größten subjektiven Wert misst man den Dingen zu, die relativ knapp sind (vgl. Inglehart 1997:53).

Im Gegensatz zu Inglehart, verzeichnete der deutsche Soziologe Helmut Klages we­niger die Ablösung einer Werteform durch eine andere, sondern eine Mischung der Werte mit unterschiedlichen Schwerpunkten, also «Wertesynthesen». Er diagnosti­zierte für die Dekade bis in die Mitte der siebziger Jahre eine «Wertewandelsver­schiebung» von Pflicht- und Akzeptanzwerten (wie Disziplin, Gehorsam, Leistungs­bereitschaft, Ordnung und Pflichterfüllung) zu Freiheits- und Selbstentfaltungswerten (wie Emanzipation von Autoritäten, Gleichbehandlung, Ungebundenheit und Ab- wechslung)(vgl. Rödder 2015:103).

In seinem Werk 21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart aus dem Jahr 2015 kriti­siert der Historiker Andreas Rödder jedoch, dass die Umfrageforschung, die diesen Umfragen zugrunde lag, standardisierte Meinungsäußerungen zu vorab festgelegten Kategorien abfragte, ohne die soziale Praxis zu berücksichtigen. Zudem sei ein lang­fristiger Wandel gegenüber früheren Zuständen nicht verifizierbar, da die Umfragen auf feste Zeiträume festgelegt gewesen seien. Rödder weist darauf hin, dass sozial­wissenschaftliche Forschung immer auch Teil der politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit sei und oftmals von Regierung und politischen Parteien in Auftrag gegeben werde. Für ihn ist aus historisch-empirischer Perspektive die Feststellung des Wer­tewandels zwischen 1965 und 1975 nicht haltbar. Vielmehr haben „verschiedene zeitlich und thematisch versetzte Prozesse mit Verdichtungen und Beschleunigungen über die gesamte Hochmoderne hinweg“ stattgefunden (vgl. ebd.).

Die Erforschung typischer Werthaltungen findet fortlaufend statt und, ohne durchweg einen expliziten Zusammenhang zu den Diskussionen um den Wertewandel herzu­stellen, liefert sie Belege dafür, dass materielle und Sicherheitswerte keinesfalls be­deutungslos geworden sind. Vielmehr verbinden sie sich in vielfältiger Weise mit Be­strebungen zur Selbstverwirklichung (Hradil 2002). Typische Umfragen sind die Shell Jugendstudie, der European Social Survey oder der World Values Survey. Die Erhe­bungen dienen der Analyse der Wichtigkeit verschiedener Werte für Menschen und Gruppierungen und des Wandels in der Priorisierung (vgl. Köthemann 2014:2). Be­trachtet man die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, zeigen sich jedoch Unter­schiede hinsichtlich der Werteprioritäten. Die empirisch begründete Feststellung, die oberen Schichten teilten eher postmaterielle Wertvorstellungen, während Menschen von niedrigem sozio-ökonomischen Status, materielle Werte favorisierten (vgl. Hradil 2018) kann als Bestätigung Ingleharts Mangelhypothese bewertet werden.

[...]

Fin de l'extrait de 21 pages

Résumé des informations

Titre
Werte, ihr Wandel und seine Bedeutung für die Soziale Arbeit
Université
University of Applied Sciences Koblenz  (Sozialwissenschaften)
Cours
Modul 24 - Innovative Soziale Dienstleistungen
Note
1
Auteur
Année
2018
Pages
21
N° de catalogue
V540645
ISBN (ebook)
9783346158901
ISBN (Livre)
9783346158918
Langue
allemand
Mots clés
arbeit, bedeutung, soziale, wandel, werte
Citation du texte
Yvonne Mehigan-Byrne (Auteur), 2018, Werte, ihr Wandel und seine Bedeutung für die Soziale Arbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/540645

Commentaires

  • Pas encore de commentaires.
Lire l'ebook
Titre: Werte, ihr Wandel und seine Bedeutung für die Soziale Arbeit



Télécharger textes

Votre devoir / mémoire:

- Publication en tant qu'eBook et livre
- Honoraires élevés sur les ventes
- Pour vous complètement gratuit - avec ISBN
- Cela dure que 5 minutes
- Chaque œuvre trouve des lecteurs

Devenir un auteur