Einen Blick zu werfen auf verschiedene Oasen fraktaler Landschaften, soll im folgenden versucht werden, inmitten der Wüste aller Diskurse zwischen Geometrie und Literatur, insbesondere einen Blick auf einige Ortschaften zwischen Fraktal und Kunstwerk. Der erste Teil sei ein wissens(schafts)geschichtlicher Sprung in das Jahr 1977. Damals forschte der Physiker Libchaber über Bénard‘sche Zellen und deren Phasenübergänge. Aus Verwunderung über das spezifisch-dynamische Verhalten seiner Experimentieranordnung traf er sich mit dem damals über Iterations-Algorithmen logistischer Gleichungen arbeitenden Mathematiker Feigenbaum, und zusammen blickten sie erstaunt auf einige neu zu interpretierende physikalisch-mathematische Phänomene. Im zweiten Teil ist es Vermeers kleine gelbe Mauerecke, in der Prousts Dichter Bergotte das Totale aller Poesie erblickt und ihn sogleich sterben läßt. Was vor diesem Gemälde und beim Biß in das kleine Madeleinegebäck geschehen war, soll hernach im Lichte einer fraktalen Geometrie in Literatur und Malerei angeschaut werden. Doch nicht erst auf den letzten Seiten seiner Suche übernimmt Proust iterativfraktale Bilder in seine Sprache. Sein Begriff von Subjekt erscheint auf den ersten Seiten ebenso träumend wie gebrochen. Wir sind kein Ganzes, sondern immer schon sein Werden:
"Ich schlief wieder ein und wachte dann manchmal nur noch sekundenlang auf, gerade lang genug, um ein Knacken im Gebälk zu hören oder den Blick dem Kaleidoskop der Dunkelheit zu öffnen und dank einem kurzen bewußten Augenblick wohlig den Schlaf zu genießen […] dies Ganze, von dem ich nur ein kleiner Teil war und in dessen Unbewußtheit ich rasch zurücksinken würde. […] Der Schlafende spannt in einem Kreise um sich den Ablauf der Stunden, […] wieviel Zeit [ist] bis zu meinem Wachwerden verflossen […]; in einer Sekunde durchlief ich Jahrhunderte der Zivilisationen, und aus vagen Bildern […] setzte sich allmählich mein Ich in seinen originalen Zügen wieder von neuem Zusammen." (Proust 2000, S. 10 bis 12.)
Inhaltsverzeichnis
- I Das Fraktale
- II Kunstwerk
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Text untersucht die Schnittmenge von fraktaler Geometrie und Kunst, insbesondere in der Literatur und Malerei. Er verfolgt das Ziel, die Konzepte der Fraktalität auf literarische und künstlerische Werke anzuwenden und deren Bedeutung zu beleuchten.
- Fraktale Geometrie und ihre Anwendung auf Kunst und Literatur
- Die Darstellung von Zeit und Wahrnehmung in fraktalen Strukturen
- Vergleichende Analyse von wissenschaftlichen und künstlerischen Perspektiven auf Fraktale
- Der Einfluss fraktaler Konzepte auf die Gestaltung literarischer Erzählungen
- Die Rolle des Zufalls und der Ordnung im Universum und in der Kunst
Zusammenfassung der Kapitel
I Das Fraktale: Der erste Teil beginnt mit einer wissenschaftsgeschichtlichen Betrachtung, die die Entdeckung fraktaler Muster in den 1970er Jahren durch die Arbeit von Libchaber und Feigenbaum an Bénard'schen Zellen und logistischen Gleichungen beschreibt. Der Text verdeutlicht, wie die unerwartete Entdeckung physikalisch-mathematischer Phänomene zu neuen Interpretationsmöglichkeiten führte. Anschließend wird die Verbindung zu literarischen und künstlerischen Darstellungen hergestellt, indem der Bezug zu Prousts Werk und seiner Beschreibung von Zeit und Wahrnehmung hergestellt wird. Der Text betont die iterativ-fraktalen Bilder in Prousts Sprache und die Darstellung eines nicht-ganzen, sich ständig entwickelnden Subjekts. Die Darstellung von Zeit und Wahrnehmung als bruchstückhaft und zyklisch wird im Kontext von philosophischen Konzepten der Kreisbewegung in der Geschichte und der Unvorhersagbarkeit chaotischer Systeme erläutert. Die Diskussion um Determinismus versus Unbestimmtheit im Universum, veranschaulicht durch die gegensätzlichen Standpunkte von Einstein und Heisenberg, bildet einen weiteren wichtigen Aspekt des Kapitels. Schliesslich wird die Debatte über das anthropische Prinzip und dessen Auswirkung auf das Verständnis des menschlichen Ortes im Universum in Bezug auf fraktale Strukturen erörtert. Die Verknüpfung wissenschaftlicher und philosophischer Perspektiven auf Fraktalität ist hier besonders deutlich.
II Kunstwerk: Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Analyse von Vermeer's "kleiner gelber Mauerecke" als Beispiel für ein fraktales Kunstwerk. Die Beschreibung von Prousts Figur Bergotte, die im Anblick des Gemäldes das "Totale aller Poesie" erkennt und daraufhin stirbt, dient als Ausgangspunkt. Der Text untersucht die ästhetischen und philosophischen Implikationen der fraktalen Struktur in Malerei und Literatur, wobei er die Wiederholung und Variation von Motiven und die fraktale Natur von Wahrnehmung und Erinnerung beleuchtet. Durch die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Gemälde und Prousts Beschreibung werden Ähnlichkeiten zwischen der fraktalen Struktur des Bildes und der Struktur von Prousts Erzählweise aufgezeigt. Das Kapitel erörtert, wie die fraktale Perspektive das Verständnis der künstlerischen und literarischen Werke bereichert und neue Interpretationsebenen ermöglicht. Die Verbindung zwischen der fraktalen Geometrie und der subjektiven Wahrnehmung in der Kunst wird hier tiefgehend analysiert.
Schlüsselwörter
Fraktale Geometrie, Kunst, Literatur, Proust, Vermeer, Zeit, Wahrnehmung, Chaos, Ordnung, Determinismus, Unbestimmtheit, anthropisches Prinzip.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Fraktale Geometrie in Kunst und Literatur
Was ist der Gegenstand dieses Textes?
Der Text untersucht die Schnittmenge von fraktaler Geometrie und Kunst, insbesondere in der Literatur und Malerei. Er analysiert die Anwendung fraktaler Konzepte auf literarische und künstlerische Werke und beleuchtet deren Bedeutung.
Welche Themen werden behandelt?
Die zentralen Themen umfassen die Anwendung fraktaler Geometrie auf Kunst und Literatur, die Darstellung von Zeit und Wahrnehmung in fraktalen Strukturen, einen Vergleich wissenschaftlicher und künstlerischer Perspektiven auf Fraktale, den Einfluss fraktaler Konzepte auf literarische Erzählungen und die Rolle von Zufall und Ordnung im Universum und in der Kunst.
Welche Kapitel umfasst der Text?
Der Text besteht aus zwei Kapiteln: "I Das Fraktale" und "II Kunstwerk".
Was wird im Kapitel "I Das Fraktale" behandelt?
Dieses Kapitel beginnt mit einer wissenschaftsgeschichtlichen Betrachtung der Entdeckung fraktaler Muster. Es beleuchtet die Verbindung zu literarischen und künstlerischen Darstellungen, insbesondere Prousts Werk und dessen Beschreibung von Zeit und Wahrnehmung. Die Darstellung von Zeit und Wahrnehmung als bruchstückhaft und zyklisch wird im Kontext philosophischer Konzepte erläutert. Die Debatte um Determinismus versus Unbestimmtheit und das anthropische Prinzip werden ebenfalls diskutiert.
Was wird im Kapitel "II Kunstwerk" behandelt?
Dieses Kapitel analysiert Vermeers "kleiner gelber Mauerecke" als Beispiel für ein fraktales Kunstwerk. Es untersucht die ästhetischen und philosophischen Implikationen der fraktalen Struktur in Malerei und Literatur, die Wiederholung und Variation von Motiven und die fraktale Natur von Wahrnehmung und Erinnerung. Es werden Ähnlichkeiten zwischen der fraktalen Struktur des Bildes und Prousts Erzählweise aufgezeigt und die Bereicherung des Verständnisses künstlerischer und literarischer Werke durch die fraktale Perspektive erörtert.
Welche Schlüsselbegriffe sind wichtig für das Verständnis des Textes?
Schlüsselbegriffe sind: Fraktale Geometrie, Kunst, Literatur, Proust, Vermeer, Zeit, Wahrnehmung, Chaos, Ordnung, Determinismus, Unbestimmtheit, anthropisches Prinzip.
Welche Autoren werden im Text erwähnt?
Der Text erwähnt insbesondere Marcel Proust und seine Werke sowie den Maler Johannes Vermeer.
Welche wissenschaftlichen Konzepte werden behandelt?
Der Text behandelt Konzepte der fraktalen Geometrie, chaotischer Systeme, Determinismus und Unbestimmtheit sowie das anthropische Prinzip.
Für wen ist dieser Text gedacht?
Der Text ist für Leser gedacht, die sich für die Schnittmenge von Wissenschaft, Kunst und Literatur interessieren und ein fundiertes Verständnis der fraktalen Geometrie und deren Anwendung haben möchten.
- Arbeit zitieren
- Dr. des. Robert Dennhardt (Autor:in), 2001, A map is not the territory. Über fraktale Ortschaften und Prousts Mauerecke, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68379