Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Ausarbeitung der Themen Spracherwerb und Mehrsprachigkeit
2.1 Bruner: Wie das Kind sprechen lernt
2.1.1 Drei Aspekte, die ein Kind zum Spracherwerb bewältigen muss
2.1.2 Die kognitive Grundausstattung des Kindes
2.1.3 Spracherwerbstheorien und Spracherwerb laut Bruner
2.2 Apeltauer: Mehrsprachigkeit
2.2.1 Die unterschiedlichen Formen von Bilingualität nach Apeltauer
2.2.2 Eigene Deutung von Bilingualität und Mehrsprachigkeit mit Begründung in Anlehnung an die Definitionen in 2.2.1
2.2.3 Beispielsituationen, in denen die Chancen und Risiken einer bilingualen Erziehung deutlich werden
3 Reflexion
4 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Für die Ausarbeitung des Portfolios im Bereich Fachdidaktik in außerschulischen Vermittlungszusammenhängen habe ich mich für die Themen Spracherwerb und Mehrsprachigkeit entschieden.
Der übergeordnete Grund für meine Wahl liegt darin, dass ich aus privaten Gründen sehr interessiert an den beiden Themenfeldern bin. Ich habe zwei Kinder, die gerade dabei sind Sprechen zu lernen. Daher bin ich auch hoch motiviert, mehr zu diesen beiden Themen zu erfahren und tiefer in die Thematik einzusteigen. Die Erfahrung zeigt, dass es leichter fällt zu einem bestimmten Thema zu schreiben und sich damit auseinander zu setzen, wenn die intrinsische Motivation hoch und das Interesse groß ist.
Mein älterer Sohn ist gerade vier geworden und mein jüngster ist eineinhalb Jahre alt. Natürlich begleitet man als Elternteil die Sprachentwicklung seiner Kinder sehr eng, doch im Wesentlichen passiert dies unbewusst und intuitiv. Es reizt mich, auch die Theorie zur Sprachentwicklung näher kennen zu lernen, so dass ich diese dann mit meinen Erfahrungen aus der Praxis vergleichen kann und bestenfalls auch konstruktive Impulse bekomme.
Auch das Thema Mehrsprachigkeit ist mir aus dem Alltag bestens bekannt. Wir leben in einem sehr kinderreichen, multikulturellen Viertel und ein Großteil der Kinder in der Nachbarschaft und im Kindergarten wächst mit unterschiedlichen Sprachen auf. Daher ist es auch hier sehr spannend, mehr von diesem Themenfeld zu erfahren, die theoretischen Ansätze kennen zu lernen und der Frage nachzugehen, was Mehrsprachigkeit eigentlich bedeutet und welche Vor- und Nachteile dahinterstehen.
Unsere fünfjährige Nachbarstocher zum Beispiel hat eine chinesische Mutter und einen deutschen Vater, wobei sich die beiden Eltern auf Englisch unterhalten. Sie selbst spricht mit ihrer Mutter chinesisch, im Umgang mit ihrem Vater und den Kindern ihrer Umgebung deutsch. Allerdings kann sie ziemlich genau verstehen, was ihre Eltern auf Englisch zueinander sagen, sie selbst kommentiert dies allerdings auf Deutsch oder Chinesisch.
Bei der Behandlung des Themas Mehrsprachigkeit werden die theoretischen Hintergründe hierzu näher erläutert und auch das Beispiel dieses Mädchens erneut aufgegriffen.
Bezüglich der Vorgehensweise habe ich mich dazu entschlossen, die zu den Themen gestellten Fragen nacheinander abzuarbeiten. Allerdings habe ich mir erlaubt die Fragestellungen etwas umzuformulieren, so dass diese nicht als Frage oder Aufgabe erscheinen, sondern als passende Kapitelüberschriften zu finden sind.
In der Reflexion werde ich dann nochmal auf die Punkte, die ich in der Einleitung aufgeführt habe, zurückkommen und mit den gewonnenen theoretischen Kenntnissen vergleichen.
2 Ausarbeitung der Themen Spracherwerb und Mehrsprachigkeit
2.1 Bruner: Wie das Kind sprechen lernt
2.1.1 Drei Aspekte, die ein Kind zum Spracherwerb bewältigen muss
Laut Bruner gibt kann der Spracherwerb eines Kindes „auf mindestens drei verschiedene Arten verstanden werden“ (vgl. Bruner 1987: 13).
Der erste Aspekt, der hierbei beachtet wird, ist der formale Aspekt (ebd.). Dieser umfasst die Regeln für die korrekte Zusammenstellung von Sätzen, also die Syntax. „Die Regeln, nach denen Wörter zu grammatischen Sätzen kombiniert werden, sind der zentrale Gegenstand der Syntax“ (Meibauer et al. 2015: 122). Wie genau ein Kind die grammatikalischen Regeln lernt, lässt Bruner hier offen. Er betont jedoch, dass es wahrscheinlich nicht über reine Nachahmung passiert und Kinder die Grammatikregeln nicht um ihrer selbst willen lernen, sondern vielmehr als Instrument für den Umgang mit Wörtern (vgl. Bruner 1987: 13).
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich ein solches Verhalten auch im Umgang mit meinem älteren Sohn erlebe. Zum einen haben Kinder teilweise ihre eigenen Grammatikregeln, die jedoch nicht willkürlich sind, sondern durchaus eine Ableitung aus bereits erlernten Regeln sind. Zum Beispiel wendet er den Satz „Elea hat hier gesitzt!“ analog den Regeln des Satzes „Ich habe den Stift angespitzt.“ an und verwendet so seine eigene Grammatik, die analog bereits erlernten Regeln funktioniert. Er ist bestrebt und motiviert, weitere Regeln und den korrekten Spracherwerb zu lernen. Dies tut er nicht um der Korrektheit wegen, sondern damit seine Umwelt ihn auch eindeutig versteht und weiß, was er ausdrücken möchte und keine weiteren Fragen zum richtigen Verständnis nötig sind.
Der zweite Aspekt beschäftigt sich mit der „Fähigkeit, auf etwas zu verweisen, etwas zu meinen“ (ebd.). Es geht also um den Bereich der Semantik. „Die Semantik ist das Teilgebiet der Linguistik, das sich mit der Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken beschäftigt (Meibauer et al. 2015: 164). Da sich die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke nicht so einfach erfassen lässt, bleibt nur ein indirekter Zugang zu der Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke (vgl. ebd.).
Der dritte Aspekt des Spracherwerbs umfasst die „Funktion oder kommunikative Absicht“ (Bruner 1987: 14), also die Pragmatik.
Die Pragmatik befasst sich allgemein mit der Tatsache, dass Sätze von Personen mit Überzeugungen, Wünschen und Absichten in konkreten Situationen geäußert werden, an andere Personen mit Überzeugungen, Wünschen und Absichten gerichtet sind und in Zusammenhang stehen mit bereits erfolgten und sich anschließenden Äußerungen (Meibauer et al. 2015: 212).
Besonderer Fokus liegt bei diesem Aspekt der Sprache auf der Wirksamkeit und Effektivität von Sprache. So lernt ein Kind bei diesem Aspekt, wie es zum Beispiel Dank, Respekt, Be- reitschaft oder Ernsthaftigkeit ausdrücken kann und wie es den gesellschaftlichen Regeln mit Hilfe von Kommunikation entsprechen kann (vgl. Bruner 1987: 14).
Meine Kinder zum Beispiel lernen, dass es viel effektiver ist, um etwas höflich zu bitten („Mama, können wir bitte ein Buch lesen?“) anstatt lauthals zu fordern („Mama, ich will jetzt sofort ein Buch lesen!“). Beide Aussagen sollen zum gleichen Ergebnis führen, allerdings lernen sie, dass die zuerst aufgeführte Formulierung viel mehr Respekt und Höflichkeit und somit gesellschaftlich anerkannter und somit auch erfolgsversprechender ist.
Bruner stellt in seinen Ausführungen sehr deutlich dar, dass diese drei sprachlichen Aspekte (Syntax, Semantik, Pragmatik) voneinander abhängig sind und aufgrund dessen auch nicht nacheinander oder gar unabhängig voneinander gelernt werden können (vgl. ebd.).
2.1.2 Die kognitive Grundausstattung des Kindes
Laut Bruner zählen vier Anlagen zu den kognitiven Grundfertigkeiten eines Kindes:
- Mittel-Zweck-Bereitschaft
- Transaktionalität
- Systematik
- Abstraktheit
Auf diese vier Aspekte möchte ich zur Verdeutlichung nun etwas genauer eingehen und beschreiben, was Bruner genau damit meint.
Mittel-Zweck-Bereitschaft: Ein großer Teil der beim Kleinkind ablaufenden kognitiven Verarbeitungsprozesse begleiten und unterstützen zielgerichtetes Handeln (vgl. Bruner 1987: 17).
Er vertritt die Auffassung, dass das Verhalten von Säuglingen „sehr früh die Züge eines Mit- tel-Zweck-Zusammenhanges und aktiver Suche aufweist“ (Bruner 1987: 19). Als verdeutlichendes Beispiel gibt er in seinem Text an, dass Säuglinge ein großes Vergnügen daraus beziehen, wenn Effekte sich wiederholen und sicher reproduziert werden können (vgl. ebd.).
Als Beispiel aus meinen eigenen Erfahrungen denke ich an unseren 19 Monate alten Sohn. Dieser hat unbändige Freude daran, wenn er vor dem Eintreten in unser Haus die Klingel drücken darf und daraufhin das Geräusch der Klingel ertönt. Ich denke, dass dieses ein gutes Beispiel dafür ist, was Bruner uns verdeutlichen möchte. Das Verhalten ist zielgerichtet (der Klingelton soll ertönen), das Drücken der Klingel ist das Mittel zum Zweck, das Arm Ausstrecken beim Näherkommen der Haustür ist das aktive Suchen und der Effekt des Klingeltons ist sicher wiederholbar. Und jeden Tag, an dem er dieses Erfolgserlebnis hat, belohnt er uns mit einem strahlenden Lächeln und einem vergnügten Glucksen.
Transaktionalität: Ein Großteil der Aktivitäten in den ersten anderthalb Jahren ist außerordentlich sozial und kommunikativ (vgl. Bruner 1987: 20).
Und Bruner geht sogar noch einen Schritt weiter, er betont, dass soziale Interaktion sich sogar selbst antreibt und selbst verstärkt (ebd.). Anders herum sei das Zurückhalten sozialer Reaktionen das Schlimmste, was man einem Kind antun kann (ebd.).
Auch diese These von Bruner kann ich aus dem eigenen Erleben bestätigen. Meine Kinder leben durch soziale Interaktion auf und Lernen so unheimlich viel dazu, zum Beispiel beim gemeinsamen Spielen. Holt man aber im Beisein der Kinder zum Beispiel das Handy raus und konzentriert sich mit regloser Mimik nur auf den Inhalt des Handys, dann versuchen die Kinder verzweifelt wieder die Aufmerksamkeit und damit die soziale Interaktion wiederherzustellen. Soweit ich es beobachten kann, liegt also ein direkter Zusammenhang in der Qualität und Quantität der Interaktion von Kind und Bezugsperson und dem Lernen des Kindes.
Systematik: Außerdem beschreibt Bruner, „daß viele frühe Handlungen des Kindes in umgrenzten familiären Situationen ablaufen und einen erstaunlich hohen Grad an Ordnung und «Systematik» aufweisen“ (Bruner 1987: 21).
Um dieses zu verdeutlichen gibt er als Beispiel an, dass Kinder innerhalb ihres Repertoires alle Bewegungsmuster systematisch durchspielen und nicht etwa zufällig diese Dinge tun (vgl. ebd.). Diese Eigenschaft ist natürlich äußerst hilfreich in Bezug auf den Spracherwerb, da es auch hierfür „systematische Bewältigungsstrategien“ (Bruner 1987: 22) und „eine Bereitschaft für Ordnung“ (ebd.) benötigt.
Aus dieser Beobachtung heraus stellt Bruner zwei wichtige Punkte fest: Zum einen sind Kinder durch ihr Verhalten in der Lage, aus der Variation weniger Elemente viele Möglichkeiten zu erschaffen. Er nennt dies einen „«generativen Zug», der sich in Kombinations- und Variationsversuchen äußert“ (ebd.).
Zum anderen beschreibt Bruner, dass die vorsprachliche und sprachliche Kommunikation in einem strukturierten Rahmen stattfindet (ebd.). Er betont, dass man auch immer die Situation, in der gerade kommuniziert wird, einbeziehen muss und nicht nur die tatsächlichen Sprachäußerungen. Nur die Kombination der sprachlichen und nichtsprachlichen Elemente führe zur Kommunikationsfähigkeit (ebd.).
Abstraktheit: Als vierten Punkt bezüglich der kognitiven Grundausstattung des Kindes sagt Bruner, dass die kognitive Ausrüstung des Kindes einen systematischen Charakter habe und überraschend abstrakt sei (vgl. Bruner 1987: 23).
Durch einige Beispiele aus Versuchsübungen mit Kindern verdeutlicht er, dass Kinder bereits mit wenigen Monaten Regeln über Raum, Zeit und Wirkungszusammenhängen verinnerlicht haben (vgl. Bruner 1987: 23). So sei zum Beispiel bereits ein Säugling überrascht, wenn Gegenstände durch eine unnatürliche Art und Weise in Bewegung geraten (ebd.). So folgert er, dass die Wahrnehmung von Kindern kein Durcheinander sei, sondern geordnet, organisiert und hochabstrakten Regeln folgend (ebd.).
Die Fähigkeit zur Befolgung von abstrakten Regeln wird also nicht nur beim Spracherwerb gebraucht und angewendet, sondern auch in anderen Bereichen der Welt des Kindes (ebd.).
2.1.3 Spracherwerbstheorien und Spracherwerb laut Bruner
Bruner gibt zunächst einen Überblickt über die bereits vorhandenen Theorien, bevor er seine eigene These über den Spracherwerb aufstellt.
Zunächst wird die behavioristische Lerntheorie vorgestellt, die auf Augustin zurückgeführt werden kann. Nach dieser Theorie spielen die Anlage oder die kognitiven Fähigkeiten eines Kindes kaum eine Rolle, dafür jedoch das soziale Umfeld und die Umwelt eine umso größere Rolle. Die Vertreter dieser Theorie gehen davon aus, dass Sprache lernen ein Prozess der Nachahmung und des Auswendiglernens von Wörtern sei (vgl. Bruner 1987: 25). Diese Theorie lässt jedoch außer Acht, dass Sprache nicht nur aus Wörtern besteht, sondern auch zum Großteil aus Grammatik und kombinatorischen und generativen Aspekten (ebd.). So wird hier nicht erforscht, wieso Kinder aufgrund des syntaktischen Vorwissens Ausdrücke und Sätze bilden können, die sie eben nicht durch Nachahmung erlernt haben, sondern nie zuvor gehört haben (ebd.).
Die nativistische Theorie stürzte unter Chomsky diese behavioristische Theorie komplett um und stellte sehr extreme Theorien in eine andere Richtung auf. So hätten Kinder eine angeborene Sprachlernfähigkeit LAD (Language Acquisition Devise), welches den Kindern erlaube, „in der Oberflächenstruktur einer natürlich gesprochenen Sprache (...) universelle Grammatik zu erkennen“ (Bruner 1987: 26). Das Erlernen von Sprache sei mit minimalem Weltwissen und minimaler Zweiter-Kommunikation möglich und die Syntax sei weiterestgehend losgelöst von der Semantik und der Pragmatik (vgl. ebd.). Wie schnell ein Kind eine Sprache lerne, sei abhängig von der Performanz, zum Beispiel der Aufmerksamkeits- und Gedächtnisspanne des Kindes (vgl. Bruner 1987: 27).
Die Anlagen eines Kindes und die kognitiven Fähigkeiten spielten in der Theorie des Nativismus also eine sehr entscheidende Rolle, während hingegen das soziale Umfeld und die Umwelt eine eher untergeordnete Rolle spielen.
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