Wie wichtig ist die Gesundheit am Arbeitsplatz für die Berufswahl der Generation Z? Ein Anforderungsprofil zur Förderung der Mitarbeitergesundheit in Unternehmen


Livre Spécialisé, 2021

117 Pages


Extrait

Abstract

Kurzfassung

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitende Betrachtung

1.1 Problemstellung und Relevanz der Thematik

1.2 Zielsetzung der Arbeit

1.3 Aufbau der Arbeit

2 Veränderungen in der Arbeitswelt

2.1 Vier Trends der Neuzeit

2.2 Konsequenzen für die Organisation und das Individuum

3 Betriebliches Gesundheitsmanagement in der VUCA-Welt

3.1 Der Gesundheitsbegriff

3.2 Gesundheit am Arbeitsplatz

3.3 Einordnung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements in das St. Galler Management Modell

3.3.1 Das Neue St. Galler Management Modell

3.3.2 Die Umweltsphären, Anspruchsgruppen und Interaktionsthemen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

3.3.3 Die Prozesse, Ordnungsmomente und Entwicklungsmodi des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

3.3.4 Zusammenfassung

4 Die Generationen und ihre Einstellungen hinsichtlich Berufswelt und Gesundheit

4.1 Der Generationenbegriff

4.2 Einstellungen und deren Relevanz für Organisationen

4.3 Die generationenspezifische Zuordnung von Einstellungen

4.3.1 Generation Baby Boomer

4.3.2 Generation X

4.3.3 Generation Y

4.4 Generation Z – die Beschäftigten der Zukunft

5 Die Einstellungen der Generation Z hinsichtlich ausgewählter Merkmale

5.1 Begründung der Auswahl der Merkmale

5.2 Betriebliches Gesundheitsmanagement als Merkmal der Arbeitgeberattraktivität

5.3 Berufsbezogene Merkmale der Generation Z

5.3.1 Führungsverantwortung

5.3.2 Informationsbereitstellung vs. aktive Informationssuche

5.3.3 Nutzung digitaler Devices

5.3.4 Work-Life-Balance

5.3.5 Partizipation und Individualisierung

5.3.6 Unternehmenskultur

5.4 Ausgewählte gesundheitsbezogene Merkmale

5.4.1 Einstellung zu Gesundheit am Arbeitsplatz

5.4.2 Tatsächliches Gesundheitsverhalten

5.4.3 Einstellung zu spezifischen betrieblichen Gesundheitsangeboten

6 Methodik

6.1 Ableitung der Forschungsthemen und Hypothesen

6.2 Forschungsdesign und methodisches Vorgehen

6.3 Erhebungsinstrument und Durchführung der Datenerhebung

6.4 Einhaltung der Gütekriterien

7 Deskriptive Darstellung und Interpretation der Ergebnisse

7.1 Demografische Daten

7.2 Gesundheitsbezogene Einstellungen der Generation Z

7.2.1 Die Einstellungen der Generation Z hinsichtlich betrieblicher Gesundheitsangebote

7.2.2 Tatsächliches Gesundheitsverhalten

7.2.3 Maßnahmen zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung sind am beliebtesten

7.3 Berufsbezogene Merkmale der Generation Z

7.3.1 Auch die Generation Z strebt Führungsverantwortung an

7.3.2 Spezifische Gesundheitsangebote für Führungskräfte

7.3.3 Informationsbereitstellung durch den Arbeitgeber

7.3.4 Digitalisierungsaffine Gen Z‘ler wünschen sich betriebliche Gesundheitsangebote

7.3.5 Der Wunsch der Generation Z nach klarer Trennung zwischen Privat- und Berufsleben

7.3.6 Zusammenhang zwischen Work-Life-Balance und Wunsch nach betrieblichen Gesundheitsangeboten

7.3.7 Generation Z mit hohem Partizipationswunsch im Vergleich zu anderen Generationen

7.3.8 Generation Z wünscht individuelle Gesundheitsangebote

7.3.9 Der Wunsch nach moderner Unternehmenskultur

7.4 Arbeitgeberattraktivität

7.4.1 Steigerung der Arbeitgeberattraktivität durch Betriebliche Gesundheits­angebote

7.4.2 Gesundheit als Aufgabe des Arbeitgebers

8 Ableitung eines Anforderungsprofils

8.1 Umweltsphären, Anspruchsgruppen und Interaktionsthemen: Die Überarbeitung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

8.2 Prozesse, Ordnungsmomente und Entwicklungsmodi: Die Überarbeitung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

8.3 Zusammenfassung des Anforderungsprofils

9 Abschließende Betrachtung

9.1 Zusammenfassung der Ergebnisse

9.2 Kritische Reflexion

9.3 Ausblick

Anhangsverzeichnis

Literaturverzeichnis


Abstract

 

After digitization, globalization and Generation Y, German companies are facing the next big challenge: Generation Z. The adolescents and young adults born between 1995 and 2010 are making great strides into the professional world. They are influenced by the spread of the Internet, the digitalization of everyday life, the VUCA world and the environmental movement "Fridays for Future". Compared to their previous generations, they therefore bring different characteristics to the professional world. Corporate health management (CHM), a growing "scene" in companies, must take these characteristics into account with regard to the health of the workforce in order to meet the expectations of the target group. In the context of the thesis presented, Generation Z attitudes are examined with regard to work-related and health-related characteristics in order to create a requirement profile for CHM. An online survey was conducted in which 357 participants took part. People from the Generation Z are ranked first in the desire for corporate health offers. A CHM therefore contributes to a positive external image of the company. In the future, company measures that promote mental health will be desired, which may be due to the constant striving for leadership responsibility. Members of Generation Z would also like to take advantage of health offers during working hours in order to be able to pursue their private interests in their free time.

 

At this point I would like to thank all participants of the online survey. A big thank you goes to Prof. Eireiner, who supported me with understanding and expert advice, and to my wife Viktoria Sulzer, who supported me with her patience and creativity.

Kurzfassung

 

Deutsche Unternehmen stehen nach der Digitalisierung, Globalisierung und Generation Y vor der nächsten großen Herausforderung: der Generation Z. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind, kommen mit großen Schritten in die Berufswelt. Dabei sind sie geprägt von der Verbreitung des Internets, der Digitalisierung des Alltags, der VUCA-Welt sowie der Umweltbewegung „Fridays for Future“. Sie bringen daher im Vergleich zu ihren Vorgenerationen unterschiedliche Eigenschaften mit in die Berufswelt. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM), eine wachsende „Szene“ in Unternehmen, müssen hierbei diese Eigenschaften im Hinblick auf die Gesundheit der Belegschaft besonders berücksichtigen, um den zielgruppenspezifischen Erwartungen gerecht zu werden. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden Einstellungen der Generation Z hinsichtlich berufs- und gesundheitsbezogener Merkmale untersucht, um ein Anforderungsprofil eines BGMs zu erstellen. Dabei wurde eine Online-Umfrage erstellt, an der 357 Probanden teilnahmen. Hierbei rangieren Gen Z’ler beim Wunsch nach betrieblichen Gesundheitsangeboten auf Platz eins. Ein BGM trägt demnach zu einer positiven Außendarstellung des Unternehmens bei. Zukünftig werden betriebliche Maßnahmen, die eher die mentale Gesundheit fördert, gewünscht, was am stetigen Streben nach Führungsverantwortung liegen kann. Mitglieder der Gen Z möchten Gesundheitsangebote darüber hinaus eher innerhalb der Arbeitszeit wahrnehmen, um den privaten Interessen in ihrer Freizeit nachgehen zu können.

 

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Online-Umfrage bedanken. Ein großes Dankeschön geht an Frau Prof. Eireiner, die mich verständnisvoll und fachlich beratend betreut hat, sowie an meine Frau Viktoria Sulzer, die mich mit ihrer Geduld und Kreativität unterstützt hat.

Abkürzungsverzeichnis

BGF                                       Betriebliche Gesundheitsförderung

BGM                                      Betriebliches Gesundheitsmanagement

Gen Baby Boomer                 Generation Baby Boomer

Gen X                                    Generation X

Gen Y                                    Generation Y

Gen Z                                     Generation Z

Gen Z’ler                                Mitglieder der Generation Z

k. A.                                       keine Angabe

MINT                                     Akronym für den Fachbereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik

N                                            Stichprobengröße

p                                             Wahrscheinlichkeit des Signifikanzwertes

PrävG                                     Präventionsgesetz

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das neue St. Galler Management Modell (eigene Darstellung, in Anlehnung an Rüegg-Stürm, 2002, S. 22).

Abbildung 2: Neun-Phasen-Modell (eigene Darstellung).

Abbildung 3: Vorgehensweise des theoretischen und praktischen Teils im Sanduhr-Prinzip (eigene Darstellung).

Abbildung 4: Wunsch nach betrieblichen Gesundheitsangeboten, sortiert nach Generationen (eigene Darstellung).

Abbildung 5: Wunsch der Gen Z nach spezifischen betrieblichen Gesundheitsmaßnahmen, angezeigt werden die mittleren Ränge vom Auswertungstyp „Drag-Ranking“ (eigene Darstellung).

Abbildung 6: Analyse der Aussage "Mir ist eine klare Trennung zwischen Privat- und Berufsleben wichtig" innerhalb der Gen Z, Auswertung der Likert-Skala mit zehn Ausprägungen (eigene Darstellung).

 

 

1 Einleitende Betrachtung

 

Die Generation Y[1] ist derzeit in aller Munde. Unzählige Autoren[2] von Monographien, Zeitschriften und Artikel debattieren über die Einstellungen, der Werteorientierung und den idealen, berufsalltäglichen Umgang mit dieser Personengruppe. Mitglieder der Gen Y sind inzwischen nahezu alle im Berufsleben angekommen. Hinsichtlich des Berufseinstiegs stand deshalb das Personalmanagement im Rahmen der Erwartungen an die Arbeitswelt bis vor wenigen Jahren vor vielen Fragestellungen. Personalverantwortliche stehen nun vor der nächsten großen Herausforderung: die Generation Z[3].

 

Einstellungen und Werte hinsichtlich der Arbeitswelt werden zu Genüge erforscht. In Bezug auf Gesundheit sowie insbesondere Gesundheit am Arbeitsplatz jedoch weniger, wobei dies ein entscheidender Faktor für das Wohlbefinden, die Mitarbeiterzufriedenheit und demnach für die Produktivität, Leistungsfähigkeit sowie für den Unternehmenserfolg ist.

 

„Die Gesunden und die Kranken haben ungleiche Gedanken.“

 

Deutsches Sprichwort, nach Decker & Decker, 2015, S.252

 

Die Einstellung gegenüber Gesundheit scheint hierbei eine wesentliche Rolle für das individuelle Wohlbefinden zu spielen. In Bezug auf Generationen können sich diese unterscheiden. Für die Personalabteilung, insbesondere das Betriebliche Gesundheitsmanagement[4], haben Einstellungen zu Gesundheit am Arbeitsplatz eine große Bedeutung, auch um den Erwartungen von potentiellen Mitarbeitenden gerecht zu werden. Da Angehörige der Gen Z die jüngste Generation der Berufswelt darstellt und zukünftig verstärkt in den Arbeitsmarkt eintritt, wird diese in der vorliegenden Arbeit fokussiert.

 

1.1 Problemstellung und Relevanz der Thematik

 

Die Gen Z nimmt derzeit 27 % der globalen Population ein (Hessekiel, 2018, online). Keine andere Generation hat im Jahr 2018 mehr Mitglieder.[5] Nahezu alle dieser ab 1995 geborenen Personengruppe durchlebt aktuell die Zeit der Bildung.[6] Viele Mitglieder dieser Generation steigen aktuell und in naher Zukunft in die Berufswelt ein, während der Großteil der Baby Boomer[7] und der Generation X[8] in das Renteneintrittsalter kommt (Schermuly, 2016, S. 39). Die junge Generation wird in den kommenden Jahren Unternehmen vor neue Herausforderungen stellen, denn sie weisen andere Einstellungen und Werthaltungen auf, als es noch die Generationen vor ihnen taten. Beispielhaft sind hierbei die „Fridays For Future“-Bewegung und das Aufwachsen in einer internetbasierten Welt zu nennen (Albert et. al, 2019, S. 9). Für Organisationen gilt, diesen Einstellungen gerecht zu werden, um Talente aus der Gen Z zu gewinnen, sie langfristig an das Unternehmen zu binden sowie die Gesundheit, Produktivität und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden zu verbessern (Klaffke, 2014, S. 77). Nicht nur wegen des demografischen Wandels, sondern auch aufgrund des aufkommenden Trends des Gesundheitsbewusstseins, spielt dabei das BGM als Managementsystem in Organisationen eine bedeutende Rolle.

 

1.2 Zielsetzung der Arbeit

 

Zentrales Forschungsziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Bedeutung dieser Rolle eines BGMs für die Mitglieder aus der Gen Z zu prüfen. Es soll anhand berufs- und gesundheitsbezogener Einstellungen der Gen Z ein Anforderungsprofil erstellt werden, wie zukünftig die Mitarbeitergesundheit in Organisationen gefördert werden kann. Zum einen soll mithilfe der gesundheitsbezogenen Merkmale herausgefunden werden, ob betriebliche Gesundheitsangebote gewünscht sind. Zum anderen sollen strukturelle und formale Elemente aus den berufsbezogenen Merkmalen abgeleitet werden.

 

Die Analyse, ob gesundheitsförderliche Maßnahmen für Angehörige der Gen Z ein Merkmal der Arbeitgeberattraktivität und somit ein wesentlicher Faktor des Employer Branding darstellt, ist ein weiteres Forschungsziel der vorliegenden Arbeit.

 

1.3 Aufbau der Arbeit

 

Um die Zielerreichung gewährleisten zu können, ist ein strukturiertes Vorgehen notwendig. Zunächst werden Veränderungen der Arbeitswelt in den letzten Jahrzenten deskriptiv dargestellt werden, bevor das BGM auf Grundlage dieser Veränderungen und anhand des Neuen St. Galler Management Modells beschrieben wird. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die theoretische Darstellung der Generationen, wobei der Fokus auf den Einstellungen der Gen Z hinsichtlich berufs- und gesundheitsbezogener Merkmale gelegt wird. Im weiteren Verlauf wird die methodische Vorgehensweise der quantitativen Empirie beschrieben, bevor die Ergebnisse deskriptiv und interpretativ im Rahmen eines integrativen Prozesses dargestellt werden. Die Ableitungen und Konsequenzen der Ergebnisse, die zu einem Anforderungsprofil führen und anhand der Kategorien des Neuen St. Galler Management Modells dargestellt werden, bilden einen weiteren Schwerpunkt dieser Arbeit. Anschließend runden ein Fazit, eine kritische Reflexion und ein Ausblick die Thesis ab. Da im Rahmen der quantitativen Forschung Arbeitnehmer aus dem deutschen Arbeitsmarkt befragt werden, beziehen sich die Erkenntnisse aus dem theoretischen Rahmen sowie die Ergebnisse der Befragung auf die Berufswelt in Deutschland.

2 Veränderungen in der Arbeitswelt

 

Begriffe wie Digitalisierung, Globalisierung und demografischer Wandel prägen die moderne Arbeitswelt und -inhalte im Personalmanagement. Im Folgenden werden verschiedene Rahmenbedingungen beschrieben, deren Entwicklungen Einfluss auf Unternehmen und Mitarbeiter haben, um auf Basis derer die Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt zu thematisieren. Daraus resultieren Konsequenzen für die Organisation und das Individuum, die erläutert werden und als Grundlage für den weiteren Verlauf der Arbeit dienen.

 

2.1 Vier Trends der Neuzeit

 

Arbeitsanforderungen und -tätigkeiten verändern sich schon seit der Antike stetig (Schermuly, 2016, S. 21). Während die Arbeit in der Antike als Last angesehen wird, ist das Mittelalter vom christlichen Leitbild geprägt, welches Arbeit neben dem Dienst an Gott auch als Erfüllung ansieht. In dieser Zeitspanne ergründet das Christentum erstmals die Trennung zwischen Arbeitsleben und Freizeit, indem es den Sonntag als kollektive Arbeitsunterbrechung etabliert (ebd., S. 22f.). Mit der Industrialisierung ersetzen Maschinen zunehmend die Handarbeit, wodurch Arbeitskräfte mit ihren Familien in Ballungsräume ziehen, um Arbeit zu finden. Sie findet nicht mehr nur im eigenen Haushalt, sondern insbesondere in Fabriken statt (Hackl et al., 2017, S. 8f.; Schermuly, 2016, S. 25). Dadurch entwickelt sich die heute immer noch viel diskutierte Thematik der beruflichen Diskriminierung von Frauen, die zu dieser Zeit vorwiegend die Hausarbeit übernahmen (Komlosy, 2014, S. 136). Karl Marx und Frederick Taylor schlossen Mitte des 19. Jahrhunderts respektive Anfang des 20. Jahrhunderts daraus eine Entfremdung der Arbeit, da Arbeitnehmer nicht mehr ihre Fähigkeiten und Qualifikationen zur Erhaltung der Existenzgrundlage benötigen und sich durch ihre Arbeit eher unglücklich fühlen (Schermuly, 2016, S. 25f.).[9]

 

Das Verständnis von Arbeit und die Einstellungen der Arbeitnehmer sind einem ständigen und dynamischen Wandel ausgesetzt. Heute wird Arbeit ausdifferenziert, wobei der einzelne Mitarbeiter nur ein kleiner Teil einer großen Wertschöpfungskette darstellt (Wörwag & Cloots, 2018, S. 7). Inwiefern dieser Fakt im Zusammenhang zum Wert der Sinnhaftigkeit der Arbeit steht, wird im späteren Verlauf erörtert.

 

Begriffe wie New Work und Arbeitswelt 4.0 bestimmen die Berufswelt von heute.[10] Insbesondere vier Trends prägen diese neue Arbeitswelt: Digitalisierung, Globalisierung, demografische Entwicklung und Wertewandel (Hackl et al., 2017, S. 11ff.; Schermuly, 2016, S. 31ff.).[11] Diese Rahmenbedingungen prägen neben nahezu allen Lebensbereichen auch die Arbeitsbereiche sowie deren Prozesse und Strukturen (Dutsch, 2017, S. 19). Deshalb ist es für Unternehmen unerlässlich, sich an sie anzupassen und auf deren Basis zu handeln. In den folgenden Abschnitten wird jeweils auf die vier genannten Entwicklungen näher eingegangen.

 

Digitalisierung

 

Ein Trend im Bereich der Technologie ist die Digitalisierung. Sie beschreibt die „Zunahme virtueller Informationssammlung und -verarbeitung“ (Hackl et al., 2017, S. 17). Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 sehen 80 % der befragten Erwerbstätigen einen starken bis sehr starken Einfluss der Digitalisierung auf ihre Arbeitsinhalte und -tätigkeiten (Wörwag et al., 2018, S. 12). Dabei erkennen neun von zehn Unternehmen in dieser Entwicklung eine Chance (Hackl et al., 2017, S. 17).

 

Auswirkungen auf die Arbeitswelt zeigen sich insbesondere in der Digitalisierung von Prozessabläufen, was eine Beschleunigung in Produktentwicklungen und Produktivitätssteigerung mit sich bringt (ebd., S. 18). Aufgrund der mit der Digitalisierung einhergehenden Entwicklungen, wie zum Beispiel die Robotisierung, werden bisherige Tätigkeitsfelder abgeschafft und neue entstehen.

 

Globalisierung

 

Ein weiterer Trend, der die Arbeitswelt 4.0 bestimmt, ist die Globalisierung. Die Globalisierung hat sich mitunter aufgrund der Digitalisierung und der Vernetzungsmöglichkeiten unermesslich beschleunigt und stetig weiterentwickelt (Schermuly, 2016, S. 38). Sie wird als grenzüberschreitende Verflechtung von wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenhängen beschrieben (Hackl et al., 2017, S. 15). Globalisierung wirkt sich sowohl im steigenden Anteil der exportierten Waren als auch im wachsenden Tourismussektor aus. Nicht nur Ersteres, sondern insbesondere auch Letzteres ist für die Arbeitswelt von großer Bedeutung:

 

„Ein Virus aus Asien kann das Gesundheitssystem in Deutschland herausfordern. Jede Fassbombe, die auf eine Stadt im Nahen Osten fällt, kann die Flüchtlingskrise in Europa verschärfen.“

Schermuly, 2016, S. 38

 

Unternehmen – oft unabhängig von ihrer Größe – müssen mit Menschen aus verschiedenen Zeit- und Kulturzonen sowie aus unterschiedlichen Generationen zusammenarbeiten. Heterogenität in Teams wird zum Standard in Organisationen (Wörwag et al., 2018, S. 23).

Die Globalisierung wirkt sich in unterschiedlichen Formen auf die Arbeitswelt aus. Neben neuen Mobilitätsanforderungen und der permanenten Erreichbarkeit aufgrund der Vernetzung in unterschiedlichen Zeitzonen wird auch die Trennlinie zwischen Berufs- und Arbeitsleben immer unschärfer (Hackl et al., 2017, S. 15).

 

Demografischer Wandel

 

Ein Trend, mit dem sich derzeit insbesondere die Personalabteilung jeder Organisation auseinandersetzen muss, ist der demografische Wandel. Er zeichnet sich einerseits durch den Geburtenrückgang, andererseits durch die beständig steigende Lebenserwartung aus. Die jüngeren Menschen stellen daher neuerdings die Minderheit dar (SRH Fernhochschule, 2018, S. 1).

 

Diese beiden Faktoren wirken sich auf unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche aus. Insbesondere der Arbeitsmarkt wird vor großen Herausforderungen gestellt: Die Zahl der Erwerbsbevölkerung[12] wird bis 2030 deutlich sinken. Zudem steigt das Durchschnittsalter der 20- bis 66-jährigen (Hackl et al., 2017, S. 12).

 

Wertewandel

Der vierte Trend, der neben der Arbeitswelt auch weitere Lebensdimensionen beeinflusst, ist der gesellschaftliche Wertewandel. Hauptsächlich verursacht durch die drei genannten Trends fand insbesondere in den vergangenen Jahren dieser Wertewandel statt (Regenthal, 2009, S. 110). „Menschen haben unterschiedliche Werte“ (Hackl et al., 2017, S. 22) und empfinden sie unterschiedlich. Für manche geben flexible Arbeitszeiten mehr Raum für Eigeninitiative und Selbstverwirklichung, für andere bedeutet es Unsicherheit und Unplanbarkeit (ebd.). Dennoch sind solche arbeitsbezogene Werte typisch für bestimmte Generationen und grenzen sie voneinander ab (Pfeil, 2016, S. 127).

 

Der Wertewandel stellt die Unternehmen vor die Herausforderung, Arbeitnehmer mit unterschiedlichen Werthaltungen und Einstellungen zusammenzubringen. Die Einordnung und Abgrenzung verschiedener Generation auf der Grundlage von Werten und Einstellungen wird in Kapitel 4 detailliert betrachtet.

 

2.2 Konsequenzen für die Organisation und das Individuum

 

Die beschriebenen Veränderungen der Arbeitswelt – bedingt durch unterschiedliche Veränderungen der Rahmenbedingungen auf der Makroebene – haben Konsequenzen für die Meso- und Mikroebene: sowohl Organisationen und Unternehmen (Mesoebene) als auch Individuen und Arbeitnehmer (Mikroebene) sind den neuen Rahmenbedingungen der Gesellschaft und der Umwelt ausgesetzt und müssen sich diesen anpassen, um wettbewerbs- und konkurrenzfähig zu bleiben (Hackl et al., 2017, S. 24f.).

 

Die vier Trends, die im vorangegangenen Kapitel bereits beschrieben wurden, haben zur Folge, dass die Arbeitsabläufe schnelllebiger werden, Arbeitsergebnisse unsicherer vorherzusehen sind, die Arbeitstätigkeiten komplexer und Arbeitsinhalte mehrdeutiger werden. Für diese Auswirkungen auf Grundlage dieser Entwicklungen steht das Akronym VUCA[13] (Mack et al., 2016, S. 3). Es beschreibt die Schnelllebigkeit und Geschwindigkeit der modernen Arbeitswelt, auf die mit Antizipation und Anpassungsfähigkeit reagiert werden muss (van Tulder et al., 2019, S. 1).

 

Aufgrund dessen rückt die Leistungsfähigkeit und Produktivität der Arbeitnehmer in den Fokus: Die Trends auf der Makroebene beeinflussen die Prozesse und Tätigkeitsbereiche auf der Mesoebene in Unternehmen und Organisationen. Und Prozesse und Tätigkeitsbereiche beeinflussen wiederum die Gesundheit, das Wohlbefinden der Mitarbeiter und somit auch ihre Leistungsfähigkeit und Produktivität (Hurrelmann & Richter, 2016, S. 176). Sie sind es, die einerseits Trends erkennen und sie berücksichtigen, andererseits die Organisationen und Unternehmen voranbringen, entwickeln und somit neue Trends setzen (Brommer et al., 2019, S. 95). Deshalb ist auch eine steigende Tendenz zur Arbeitsplatzgesundheit erkennbar (Badura, 2017a, S. 19). Gesunde und zufriedene Mitarbeiter sind nachweislich leistungsstärker und produktiver (Decker & Decker, 2015, S. 22). Im nachfolgenden Kapitel 3 wird das BGM und dessen theoretische Grundlage betrachtet.

 

Die Trends der zukünftigen Arbeitswelt beeinflussen neben Organisationen und Unternehmen auch Individuen auf der Mikroebene. Die beschriebenen Entwicklungen prägen die aktuelle Arbeiterschaft, die in ihnen Chancen und Risiken sehen. Die beschriebenen Entwicklungen wirken insbesondere auf die zukünftigen Arbeitnehmer ein, die mit ihnen aufgewachsen sind und eine Arbeitswelt ohne Digitalisierung, Globalisierung und Vernetzung nicht kennen. Es ist zu erkennen, dass in der VUCA-Arbeitswelt nicht mehr die Funktion und der Beruf, sondern vielmehr der Mensch und dessen Werte, Einstellungen und Erwartungen im Mittelpunkt stehen (Hackl et al., 2017, S. 51). Aufgrund dessen entstehen Generationen, die unterschiedliche Werte und Einstellungen zu bestimmten arbeitsbezogenen Inhalten entwickeln (ebd., S. 49). Auf den Generationenbegriff, die Beschäftigten der Zukunft[14] und deren Einstellungen wird in Kapitel 4 eingegangen.

3 Betriebliches Gesundheitsmanagement in der VUCA-Welt

 

Dieses Kapitel zielt auf ein einheitliches Verständnis von Gesundheit und BGM. Eingangs soll der weit gefasste Gesundheitsbegriff auf einen für die vorliegende Arbeit relevanten Nenner synthetisiert werden, um anschließend die betriebliche Praxis des BGMs in das Neue St. Galler Management Modell zu übertragen.

 

3.1 Der Gesundheitsbegriff

 

Der Begriff Gesundheit soll zunächst für das bessere Verständnis definiert und für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit vereinheitlicht werden. Dies scheint jedoch ein realitätsfremdes Vorhaben zu sein, spielt der Gesundheitsbegriff doch in allen Lebensdimensionen eine Rolle, weshalb er von zahlreichen Perspektiven betrachtet wird. Die WHO hat sich ausgehend von ihrer Verfassung 1948 an einer allgemeingültigen Beschreibung für „Gesundheit“ versucht: Sie ist der „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ (Gogoll, 2004, S. 17). Die drei Säulen der Gesundheit bilden demnach die naturwissenschaftliche-medizinische, psychologische und soziokulturelle Perspektive.

 

Auch wenn die Definition heute noch als Vorbild aller Definitionen des Gesundheitsbegriffes dient, weisen die drei Betrachtungsebenen verschiedene Grundannahmen auf. Während die biomedizinische Perspektive Gesundheit als die Abwesenheit von Krankheit definiert und dabei den körperlichen Zustand betrachtet, wird die psychische Gesundheit als Autonomie und Selbstverwirklichung angesehen (Gogoll, 2004, S. 17; Noack, 2014, S. 22f.). Gesundheit nach dem soziologischen Verständnis zeigt sich durch die Reaktion auf die Realität und die Fähigkeit, die Rollen und Normen der Gesellschaft einzunehmen (Opper, 1998, S. 24f.). Das soziale Modell fokussiert die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die die Gesundheit beeinflussen. Während Gesundheit und Krankheit beim biomedizinischen Modell als objektive biologische Zustände betrachtet werden, die individuell zu verantworten sind, nimmt es die soziale Betrachtungsebene als soziale Konstruktion an, wofür die Gesellschaft die Verantwortung trägt (Hurrelmann & Richter, 2016, S. 12).

 

Gesundheit als Begriff mit einem einheitlichen Verständnis zu definieren ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Dennoch versteht der Autor unter Gesundheit einen dynamischen Prozess – und nicht Zustand – der von Wechselwirkungen zwischen Individuum und Umwelt geprägt ist. Täglich hat die Gesundheit gegen Anforderungen und Belastungen anzukämpfen.[15] Mit diesem Verständnis ist der Gedanke der Salutogenese von Antonovsky (1997) eng verknüpft. Hierbei steht die Gesunderhaltung trotz ungünstiger Lebensumstände im Mittelpunkt. Es handelt nicht von der Krankheitsvermeidung wie bei der Pathogenese, sondern geht der Fragestellung nach, warum Menschen trotz Widerständen und Belastungen gesund bleiben (Noack, 2014, S. 24). Für die vorliegende Arbeit ist ein detaillierter Einblick in das Salutogenese-Modell jedoch nicht relevant.[16]

 

3.2 Gesundheit am Arbeitsplatz

 

Die Weltgesundheitsorganisation WHO verfasste 1986 die Ottawa Charta, welche als Grundlage für diverse Maßnahmen der Gesundheitsförderung dient. Gesundheitsförderung wird hier als ein Prozess definiert, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen (BzgA, 2019, online).

 

Zudem werden verschiedene Settings definiert. Gesundheitsförderung findet nach der Ottawa Charta überall dort statt, wo Menschen spielen, lernen, arbeiten und lieben. An das vorangegangene Kapitel anschließend, werden auch hier die verschiedenen Perspektiven und Verständnisebenen von Gesundheit deutlich. Das Setting Betrieb ist für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung, wohingegen auch andere Lebensbereiche für Arbeitnehmer in Betracht gezogen werden müssen, um einen ganzheitlichen Ansatz gewährleisten zu können.[17] Die Erwerbstätigkeit spielt in der heutigen Gesellschaft eine bedeutende Rolle für den Menschen, denn sie wird nicht mehr nur für die Existenzsicherung ausgeführt, sondern vielmehr aufgrund der individuellen Selbstverwirklichung und Anerkennung. Einige Studien belegen, dass eine Korrelation zwischen Arbeit und Gesundheit sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht besteht. So können der Betrieb oder die Arbeitstätigkeiten eine Quelle der Krankheit, aber auch eine der Gesundheit sein (Naidoo & Willis, 2010, S. 334).

 

Betriebliche Gesundheitsförderung[18] wurde erstmals indirekt in der Ottawa Charta der Weltgesundheitsorganisation von 1986 erwähnt. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung[19] definiert BGF als jede systemische Intervention in Betrieben, „durch die gesundheitsrelevante Belastungen der Beschäftigten gesenkt und vorhandene Ressourcen gestärkt werden“ (Rosenbrock & Hartung, 2015, online).

 

Im Gegensatz zur BGF ist BGM ganzheitlicher und umfasst daneben auch den klassischen Arbeitsschutz. Sie ist von der Unternehmensleitung ausgehend und integriert weitere Ansätze mit dem Personalmanagement. BGM hält nicht nur den gesundheitsförderlichen, salutogenen, sondern auch den präventiven, pathogenen Ansatz für relevant (Ahlers, 2015, S. 43). Während unter BGF die Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheitskompetenzen von Mitarbeiter sowie die Gestaltung gesundheitsbezogener Bedingungen verstanden wird, zielt BGM auf die systematische und nachhaltige Schaffung gesundheitsförderlicher Strukturen und Prozesse (Ruppi-Lang, 2018, S. 328). Im Folgenden wird das BGM-Verständnis herangezogen, um der komplexen und schnellen VUCA-Welt mit einem ganzheitlichen und allumfassenden Ansatz entgegenzuwirken.

 

BGM erlebte auf Basis der Veränderungen in der Arbeitswelt einen Strom von Neuausrichtungen. BGM muss sich stetig den Arbeitsbedingungen anpassen, um die nachhaltige Nutzung zu sichern (Baxheinrich & Henssler, 2018, S. 301). Analog zu den Veränderungen sowohl in der Industrie als auch der Arbeitswelt wird von BGM 1.0 hin zu BGM 4.0 gesprochen. BGM 1.0 beschreibt die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanforderungen zur Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz (Lotzmann, 2019, S. 399). Während BGM 2.0 zusätzliche freiwillige Gesundheitsförderungsmaßnahmen einschließt, sind diese beim BGM 3.0 inhaltlich in eine Strategie integriert und zielen auf die Produktivität und Leistungssteigerung des Individuum und der Organisation ab (ebd., S. 399f.). BGM 4.0 unterscheidet sich zu den traditionelleren Perspektiven durch die digitale Komponente, die Berücksichtigung der Werte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie durch die Implementierung in die Unternehmensstrategie (Baxheinrich & Henssler, 2018, S. 302). Das BGM betrachtet nicht nur Maßnahmen und Angebote, sondern ist hier Teil der Unternehmenskultur und berücksichtigt die Werthaltungen und Einstellungen aller Generationen, die im Unternehmen tätig sind. Deshalb werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit spezifische betriebliche Gesundheitsangebote mit den Einstellungen zu bestimmten Merkmalen hinsichtlich der Arbeitswelt in Verbindung gebracht. Ein modernes BGM findet demnach in einer „bereichsübergreifenden Zusammenarbeit hinsichtlich gemeinsamer Analyse, Zielsetzung, Maßnahmenergreifung und Erfolgssteuerung“ (Lotzmann, 2019, S. 402) statt.

 

BGM setzt sich demzufolge aus unterschiedlichen Dimensionen und Bausteinen zusammen. Betriebliche Gesundheitsangebote sind ein solcher Baustein, welche den „Gesundheitszustand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten [und fördern], die Arbeitszufriedenheit [erhöhen] und ein gesundheitsgerechtes Betriebsklima“ (Wellmann, 2018, S. 20) pflegen soll. Für Matusiewicz (2019, S. 290) sind Betriebliche Gesundheitsangebote „alle Instrumente und Maßnahmen, die dem Arbeitnehmer eine körperliche und seelische Gesundheit am Arbeitsplatz ermöglichen“ sollen. Ein gutes Betriebsklima und hohe Arbeitszufriedenheit, Produktivität, Absentismus sowie das individuelle Gesundheitsverhalten der Beschäftigten sind Ansatzpunkte betrieblicher Gesundheitsangebote. Für ein modernes BGM ist die strategische Ausrichtung solcher Gesundheitsangebote auf Basis der Mitarbeiterbedürfnisse sowie die Integration in die Unternehmensstrategie von besonderer Bedeutung, sodass sie angenommen und sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber einen effektiven Nutzen darstellen. Weitere Ebenen des BGMs bilden das Wohlbefinden und die Potentialentfaltung von Mitarbeitenden (Lotzmann, 2019, 400). Diese und weitere Fokusse werden in Kapitel 4 im Rahmen der Generationenbetrachtung näher beleuchtet werden.

 

3.3 Einordnung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements in das St. Galler Management Modell

 

BGM ist in der ganzheitlichen Betrachtung nur schwer zu erfassen. Es agiert sowohl auf der Verhaltens- als auch auf der Verhältnisebene. So soll es zum einen ein gesundheitsgerechtes Verhalten am Arbeitsplatz fördern und zum anderen gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen schaffen (Badura et al., 2019, S. 230). Um den weit gefassten BGM-Begriff strukturiert und anschaulich darstellen zu können, wird auf ein Managementmodell zurückgegriffen.

 

Dabei soll sowohl das BGM als Managementdimension in einen strukturellen Rahmen als auch Bedingungen und temporäre Gegebenheiten der Gen Z eingeordnet werden. Aufgrund seiner konzeptionellen Eignung wird hierbei auf das Neue St. Galler Management Modell berufen.

 

3.3.1 Das Neue St. Galler Management Modell

 

Das klassische St. Galler Management Modell ist ein von Hans Ulrich 1972 entwickeltes Managementkonzept, welches von Bleicher als Modell der zweiten Generation weiterentwickelt wurde (Schwegler, 2009, S. 113). Rüegg-Stürm differenzierte es aus und entwickelte um die Jahrtausendwende das Neue St. Galler Management Modell (ebd.). Es basiert auf der Systemtheorie, der sogenannten Kybernetik I[20]. Auf dieses St. Galler Management Modell der dritten Generation basiert die vorliegende Arbeit. Das Modell vermittelt einen Bezugsrahmen, der einen „differenzierten Überblick über die verschiedenen Dimensionen eines integrierten Managements“ (Offermanns, 2011, S. 155) schafft. Unter Management versteht Rüegg-Stürm (2002) ein System von Aufgaben, welche zweckorientierte, soziotechnische Organisationen gestaltet, steuert und weiterentwickelt (Rüegg-Stürm, S. 37). Das Modell gibt also keine inhaltlichen Lösungen vor und kann daher in einen Bezug zu Gesundheitsdimensionen in Organisationen gesetzt werden. Es dient als praxisorientierte Steuerungshilfe, um mit komplexen Bedingungen und Umwelteinflüssen umgehen zu können (Doleski, 2015, S. 9). Das St. Galler Management Modell der dritten Generation wurde zwar von Rüegg-Stürm selbst ein weiteres Mal erweitert, das vorliegende Konzept jedoch ist heute noch in der Praxis gängig und auf das BGM anwendbar, weshalb es für die vorliegende Arbeit verwendet wird.[21]

 

Rüegg-Stürm (2002) unterscheidet in seiner ersten Überarbeitung sechs Kategorien des Managements (vgl. Abbildung 1) (Rüegg-Stürm, S. 21ff.). Diese außer- und innerbetrieblichen Kategorien reduzieren die Komplexität, die die neue Arbeitswelt und damit die Auswirkungen von Entscheidungen in Organisationen mit sich bringt (Doleski, 2015, S. 10).[22]

 

 

Abbildung 1: Das neue St. Galler Management Modell (eigene Darstellung, in Anlehnung an Rüegg-Stürm, 2002, S. 22).

 

Umweltsphären und Anspruchsgruppen bilden die Umweltbedingungen, die unternehmerisches Handeln beeinflussen. Interaktionsthemen sind Kommunikationsaspekte, über die Organisationen mit seinen Anspruchsgruppen interagiert. Unternehmerische Prozesse laufen auf Grundlage von Ordnungsmomenten als Handlungsrahmen ab und verändern sich mit der Zeit anhand verschiedener Entwicklungsmodi (Schwegler, 2009, S. 113). Verschiedene betriebliche Dimensionen und diverse unternehmerische Entscheidungen können anhand dieses Modells durch Einordnung in die verschiedenen Kategorien erklärt und begründet werden. Im Folgenden wird das BGM als Managementsystem in das St. Galler Management Modell eingeordnet, wobei dies im Anschluss der Ergebnispräsentation als Grundlage für das Anforderungsprofil dienen soll.

 

3.3.2 Die Umweltsphären, Anspruchsgruppen und Interaktionsthemen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

 

Umweltsphären

 

Die Umweltsphären Gesellschaft, Natur, Technologie und Wirtschaft sind Rahmenbedingungen, die einen indirekten oder direkten Einfluss auf das Managementsystem vorweisen. Sie bilden zentrale Rahmenbedingungen des unternehmerischen Handelns und lenken die Aufmerksamkeit auf erfolgskritische Trends im betrieblichen Umfeld (Schwegler, 2009, S. 114).

 

In Bezug auf BGM bildet hierbei die Gesellschaft die umfassendste Umweltsphäre, die Erwartungen und Einstellungen gegenüber BGM pflegt und bei den Planungen einer Managementstruktur berücksichtigt werden muss. Offensichtlich kann hier ein Link zur Forschungsfrage übertragen werden: Die mithilfe der vorliegenden Forschungsstudie ermittelten Einstellungen der Gen Z werden interpretiert und für das Anforderungsprofil in einen Zusammenhang mit BGM gebracht.[23] Als Teil der gesellschaftlichen Umwelt sind Politik und Recht weitere Elemente, die im Hinblick auf das BGM einen entscheidenden Einfluss nehmen (Bieger, 2019, S. 31). Insbesondere gesundheitsbezogene Mitarbeiterdaten müssen hochsensibel behandelt werden. Zudem gibt es rechtliche Bestimmungen in Bezug auf Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz, die das Präventionsgesetz bestimmt und die Beziehung zwischen Krankenkassen und Unternehmen verbessern soll (Gerlinger, 2018, online).

 

Darüber hinaus müssen Managementsysteme Veränderungstrends in der Technologie analysieren, um sich entsprechend anzupassen (Offermanns, 2011, S. 162). Die in Kapitel 2 dargestellten Trends der Arbeitswelt wie zum Beispiel Digitalisierung und Globalisierung sind Rahmenbedingungen, die das BGM beeinflussen. Zudem spielen Wirtschaftssysteme eine bedeutende Rolle, da BGM ein erfolgskritischer Faktor für die unternehmerische Finanzlage abbildet. Zum einen kann ein BGM eine finanzielle Last für das Unternehmen darstellen, wenn es keinen Nutzen aufweist. Zum anderen kann es durch Motivations-, Leistungs- und Produktivitätssteigerung eine Bereicherung für das Wirtschaftssystem bedeuten. Die Bereitstellung von finanziellen Ressourcen für Gesundheitsangebote ist zudem von der unternehmensinternen bzw. -externen Wirtschaftslage abhängig.

 

Anspruchsgruppen

 

Anspruchsgruppen sind Stakeholder, die vom Managementsystem direkt oder indirekt betroffen sind, und stellen notwendige Ressourcen zur Verfügung (Rüegg-Stürm, 2002, S. 29). Je nach unternehmerischem Kontext haben die Stakeholder unterschiedlich hohe Bedeutungen auf das Managementsystem (Bieger, 2019, S. 31).

 

In Bezug auf BGM sind insbesondere der Staat, Kapitalgeber, Kunden und Mitarbeitende von großer Bedeutung. Der Staat gibt rechtliche Rahmenbedingungen vor, die hinsichtlich der Arbeitssicherheit und Gesundheitsförderung einzuhalten sind. Organisationen müssen nach §20 und §20b PrävG[24] Maßnahmen zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken und zur Förderung der Gesundheit in Betrieben anbieten (Bundesgesundheitsministerium, 2015, online; Gimm, 2018, S. 345). Sie sind darüber hinaus frei, weitere Angebote zur gesundheitsbezogenen Produktivitäts- und Leistungssteigerung zu implementieren. Kapitalgeber als weiterer relevanter Stakeholder des BGMs ist die Organisation selbst. Welche finanziellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, ist insbesondere von der Unternehmenskultur abhängig. Die Kunden als Anspruchsgruppe eines BGMs sind die eigenen Mitarbeiter des Unternehmens. Auf der einen Seite sind sie es, die von den betrieblichen Gesundheitsangeboten profitieren. Auf der anderen Seite ist das BGM dazu veranlasst, diese Stakeholder durch zielgruppenspezifische Kommunikation anzusprechen und zur Teilnahme zu aktivieren. Mitarbeiter sind in diesem Fall die Arbeitnehmer der Gesundheitsabteilung einer Organisation, die für die strategische Ausrichtung des BGMs und den Maßnahmenkatalog zuständig sind. Die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit sind insbesondere für diese Anspruchsgruppe relevant, um den Erwartungen der in die Berufswelt kommenden Generation, demnach die zukünftigen Kunden des BGMs, gerecht zu werden.

 

Eine weitere Interessensgruppe des BGMs ist das Employer Branding als Fachabteilung des Human Resources Management. Das deutsche Synonym für Employer Branding ist Arbeitgebermarke und umfasst „die Positionierung und Kommunikation eines Unternehmens als attraktiven Arbeitgeber“ (Trost, 2009, S. 13). Arbeitgeberattraktivität ist währenddessen eine Folge der Methoden und Ansätze des Employer Branding und beinhaltet Faktoren wie Mitarbeiterorientierung, Führungskultur und äußere Rahmenbedingungen. Beispiele hierfür sind Gehalt, flexible Arbeitszeiten, ökologisch nachhaltiges Verhalten sowie Investitionen in die Gesundheit der Mitarbeitenden.[25] Die Relevanz dieser Merkmale ist jedoch von den individuellen Einstellungen abhängig und kann sowohl innerhalb einer Generation als auch generationsübergreifend variieren (Hesse, 2015, S. 53f.). Das Employer Branding stellt somit ein bedeutender Stakeholder für das BGM dar, der es für den Aufbau- und Unterstützungsprozess der Arbeitgebermarke nutzen kann, sofern in diesem Zusammenhang eine positive Einstellung der potentiellen Arbeitnehmerschaft vorliegt.

 

Interaktionsthemen

 

Wie in Abbildung 1 zu erkennen ist, haben die Anspruchsgruppen Normen und Werte sowie Anliegen und Interessen. Darüber hinaus werden Ressourcen ausgetauscht, wovon sowohl das Managementsystem als auch die Anspruchsgruppen profitieren können. Diese Elemente werden im St. Galler Management Modell Interaktionsthemen genannt. Über diese Inhalte kommuniziert das Managementsystem mit seinen Anspruchsgruppen, um Erwartungen abzuklären und Leistungen zu bewerkstelligen (Rüegg-Stürm & Grand, 2019, S. 56; Schwegler, 2009, S. 116). Hierbei kann zwischen kultur-, personen- und objektgebundenen Interaktionsthemen unterschieden werden (Offermanns, 2011, S. 163).

Wie in anderen Managementsystemen kommuniziert auch das BGM interaktiv mit ihren Anspruchsgruppen auf den drei genannten Ebenen. Kulturgebundene Interaktionsthemen wie Normen und Werte sind von den Unternehmenswerten abhängig. Die Unternehmenskultur im Sinne der Mitarbeiterorientierung beeinflusst sowohl die strukturelle und operative Gestaltung des firmeninternen Gesundheitswesens als auch die Teilnehmerquote an diversen Gesundheitsangeboten. Bei den personengebundenen Interaktionsthemen geht es für ein BGM im Kern darum, welche Erwartungen und Ansprüche unterschiedliche Mitarbeitergruppen haben. Objektgebundene Interaktionsgegenstände können im Rahmen von betrieblichen Gesundheitsmaßnahmen immaterielle sowie materielle Mittel sein. Hierbei werden mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen kommuniziert und Ressourcen ausgetauscht. Immaterielle Ressourcen sind beispielsweise Wissen und Know-How, das in Form von Beratungen und Vorträge an Kunden beziehungsweise Mitarbeiter des Unternehmens transferiert wird. Ein weiteres Beispiel hierfür sind Lizenzen und Verträge, die in Kooperation mit externen Partnern, Lieferanten und staatlichen Organisationen geschlossen werden. Materielle Ressourcen können Geräte, Räumlichkeiten oder digitale Plattformen sein, die mithilfe der Stakeholder genutzt werden können.

 

3.3.3 Die Prozesse, Ordnungsmomente und Entwicklungsmodi des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

 

Neben den drei beschriebenen außerbetrieblichen Kategorien des Neuen St. Galler Management Modells werden im Folgenden die drei innerbetrieblichen Elemente dargestellt. Analog zum vorangegangenen Subkapitel wird auch hier versucht, BGM als Managementsystem auszudifferenzieren, um die einzelnen Prozesse, Ordnungsmomente und Entwicklungsmodi anschaulich darzulegen.

 

Prozesse

 

Das Handeln in Managementsystemen vollzieht sich in Prozessen. Ein Prozess ist ein „System von Aufgaben, die auf mehr oder weniger standardisierte und vorgegebene Art und Weise zu erledigen sind“ (Schwegler, 2009, S. 116). Geschäftsprozesse basieren hierbei auf den Beziehungen zwischen den Organisationen, die miteinander wirken. Eine Unternehmung generiert auf Basis von Ressourcen, die von einer Organisation gestellt wird, eine Leistung für Dritte (Bieger, 2019, S. 36f.). Diese Geschäftsprozesse ermöglichen erst Unterstützungsprozesse in Form von Infrastruktur, Personalwesen oder Finanzen (ebd., S. 37). Managementprozesse fokussieren die Verwaltung und langfristige Sicherung von Ressourcen sowie wettbewerbsrelevante Trends. Normative Managementprozesse beschäftigen sich derweil mit gesellschaftlichen Normen und Werten, worauf die vorliegende Arbeit ein besonderes Augenmerk richtet (Rüegg-Stürm, 2002, S. 71).

 

Prozesse haben im Rahmen betrieblicher Gesundheitsmaßnahmen eine große Bedeutung. Insbesondere übergeordnete Geschäftsprozesse des Unternehmens müssen bei der Gestaltung eines BGMs berücksichtigt werden. Unternehmerische Geschäftsprozesse können Krankheitsrisiken verursachen oder aber auch Gesundheitsressourcen hervorrufen. Die Geschäftsprozesse eines BGMs stellen hierbei die Aktivitäten zwischen den zentralen Mitarbeitern und den Anspruchsgruppen dar, wobei nicht der Inhalt, sondern vielmehr die Art und Weise des Umgangs relevant ist. Prozesse, die diese Aktivitäten unterstützen, sind meist personeller, finanzieller oder infrastruktureller Natur. Unterstützungsprozesse können im BGM demnach externe Dienstleister in Form von Trainern und Beratern oder die Vermietung von Räumlichkeiten sein. Sie unterstützen das Ziel, Mitarbeiter einer Organisation gesund zu erhalten. Insbesondere operative und strategische Managementprozesse sind im BGM von Bedeutung, wenn es um die Verwaltung und Weiterentwicklung diverser Gesundheitsangebote geht. Hierbei muss beachtet werden, welche Ressourcen langfristig notwendig sind, alle Zielgruppen einer Belegschaft anzusprechen, um im BGM möglichst nachhaltig erfolgreich zu sein.

 

Ordnungsmomente

 

Die beschriebenen Prozesse basieren auf Ordnungsmomenten, die versuchen eine Standardisierung und Struktur vorzugeben. Strategien, Strukturen und Kulturen sind Bestandteile der Ordnungsmomente von Managementsystemen und sollen die Komplexität des unternehmerischen Alltagsgeschehen reduzieren (Schwegler, 2009, S. 117).

Im BGM sind diese drei Elemente im Hinblick auf den Effekt nach außen von großer Bedeutung. Das fehlende Wissen der strategischen Ziele und Nutzen der Gesundheitsmaßnahmen sowie die oftmals geringe, innerbetriebliche Wertschätzung des BGMs sorgen für kleine Teilnehmerzahlen. Betriebliche Gesundheitsangebote werden oftmals nicht als relevanten und erfolgskritischen Faktor für den Unternehmenserfolg angesehen, sowohl von Führungskräften als auch von Angestellten (Schaff, 2018, S. 173). Eine strukturierte Koordination der Gesundheitsmaßnahmen, die Kommunikation strategischer Ziele nach außen sowie eine Kultur, die von der übergeordneten Unternehmenskultur abhängig ist, führen zu einer hohen innerbetrieblichen Anerkennung betrieblicher Gesundheitsangebote. Die drei Ordnungsmomente des BGMs stehen derweil in Wechselwirkung zu den Ordnungsmomenten des Unternehmens. Strukturen, Strategische Prozesse und die Unternehmenskultur beeinflussen die Ordnungsmomente des Managementsystems BGM.

 

Als Beispiel einer strategischen Zielausrichtung eines BGMs ist die Erhaltung und Förderung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit sowie die Verbesserung der Motivation und Wohlbefinden der Beschäftigten (Ruppi-Lang, 2018, S. 328). Die Struktur beschreibt, wie diese Ziele erreicht werden können und werden beispielsweise in Form eines Portfolios aller Gesundheitsangebote dargestellt (Schwegler, 2009, S. 117).

 

Die Kultur eines BGMs entwickelt sich über mehrere Jahre hinweg und hat hinsichtlich der strategischen Ausrichtung einen großen Einfluss auf die eigene Entwicklung. Sie bestimmt die Kunden- beziehungsweise Mitarbeiterorientierung im Sinne der Partizipation der Belegschaft sowie die Art und Weise der Angebotsbewerbung und -vernetzung[26].

 

Entwicklungsmodi

 

Trotz des Versuchs, durch Ordnungsmomente die Komplexität zu reduzieren, muss die Umweltdynamik berücksichtig werden. Mithilfe von Entwicklungsmodi sollen anhand der Trends in den außerbetrieblichen Kategorien Umweltsphären, Anspruchsgruppen und Interaktionsthemen Veränderungen im Managementsystem angestoßen werden (Offermanns, 2011, S. 164). Hierbei geht es vorwiegend um Muster solcher Veränderungsprozesse, die den Handlungsbedarf schnell erkennen und Prozesse der Weiterentwicklung einleiten. Bei den Entwicklungsmodi kann zwischen einem innovativen und disruptiven Wandel unterschieden werden, den sogenannten Wandel erster und zweiter Ordnung. Während der Wandel erster Ordnung ein kontinuierlicher Prozess in Form einer inkrementellen Verbesserung ist, versteht sich der Wandel zweiter Ordnung diskontinuierlich in Form einer Veränderung in eine neue Richtung mit revolutionären Sprüngen (Vahs, 2015, S. 302ff.).

 

Auch das BGM muss Trends in der Außenwelt und im Betrieb berücksichtigen und darauf reagieren. Die vorliegende Forschungsarbeit als Beispiel nehmend sind in regelmäßigen Abständen die Einstellungen und Erwartungen der potentiell nachkommenden und der aktuellen Belegschaft zu operationalisieren, um Gesundheitsangebote an die Zielgruppe auszurichten. Muster solcher inhaltlicher Veränderungsprozesse können auf Basis von Erfahrungen und Empfehlungen entwickelt werden. Von inner- oder außerbetrieblichen Entwicklungen abhängig sind Entscheidungen bezüglich innovativer oder disruptiver Veränderungen. Zeichnen sich Trends ab, die Veränderungen bedürfen, müssen Mitarbeiter darauf aufmerksam gemacht werden, indem transparent und partizipativ kommuniziert wird (Windlinger et al., 2016, S. 235).

 

Eine Form der Erkenntnisgewinnung, ob Veränderungen eines BGMs notwendig sind, stellt die vorliegende Forschung dar. Die Ergebnisse in Kapitel 7 und 8 können die Grundlagen für Veränderungen im BGM im Hinblick auf Bedarfsermittlung und Bedürfnisbefriedigung bilden.

 

3.3.4 Zusammenfassung

 

Im vorangegangenen Kapitel wurde das St. Galler Management Modell der dritten Generation erläutert und das BGM als Managementsystem anhand dieses Konzepts ausdifferenziert. Das Modell besteht aus verschiedenen außer- und innerbetrieblichen Kategorien, die es erlauben, die Komplexität des unternehmerischen Handelns innerhalb einer Organisation oder eines Managementsystems zu reduzieren. Beim BGM ist eine Verzahnung vieler Dimensionen zu erkennen. Die scharfe Trennung der verschiedenen Inhalte und Materien des BGMs zeugt von der ungreifbaren Komplexität dieses Managementsystems. Nichtdestotrotz führt die Einordnung in das St. Galler Management Modell zu einem besseren Verständnis von BGM und dient als Grundlage für das Anforderungsprofil in Kapitel 8, wo auf Basis der Forschungsergebnisse verschiedene Stellschrauben der Veränderungen fokussiert werden.

4 Die Generationen und ihre Einstellungen hinsichtlich Berufswelt und Gesundheit

 

Die Veränderungen der Arbeitswelt, wie sie in Kapitel 2 beschrieben wurden, haben nicht nur Auswirkungen auf Organisationen auf der Mesoebene, sondern beeinflussen darüber hinaus das Individuum auf der Mikroebene. Im Folgenden werden der Generationenbegriff sowie die Einstellungen der Generationen erörtert, bevor die Gen Z in den Fokus rückt.

 

4.1 Der Generationenbegriff

 

Um zu verstehen, wie sich unterschiedliche Werthaltungen und Einstellungen in Bezug auf Arbeitswelt, Politik, Gesellschaft und Gesundheit entwickeln, werden in der Literatur drei unterschiedliche Erklärungsansätze genutzt: Erstens wird vom Alterseffekt gesprochen, der die Differenzen in Werten und Einstellungen im biologischen Alterungsprozess erklärt (Klaffke, 2014, S. 8).[27] Darüber hinaus kann das unterschiedliche Weltbild auf Basis der Lebensphasen erklärt werden (Gerlmaier et al., 2016, S. 38. Hierbei sind insbesondere die Lebensphasen gemeint, die von persönlichen, einschneidenden Gegebenheiten und bedeutsamen Rahmenbedingungen geprägt werden (ebd., S. 4; Oertel, 2007, S. 59).[28]

 

In der Literatur wird in Bezug auf Abgrenzungen hinsichtlich Werten, Einstellungen und Rahmenbedingungen zudem häufig von Generationen und Generationenmanagement gesprochen. Erstmals geprägt hat dieser Begriff Coupland, als er mit seinem Buch „Generation X“ den Generationenbegriff beschrieb (Scholz, 2018b, S. 2). Über den Ausdruck Generation gibt es unzählige Definitionen. Für Oertel (2007, S. 14) umfasst eine Generation „ein Menschenalter, ein Glied in der Geschlechterfolge oder die Gesamtheit der Menschen ungefähr gleicher Altersstufe“. Eine Generation ist auch immer geprägt „von bestimmten Ereignissen, die in ihrer Jugend eintreten“ (Scholz, 2014, S. 15f.).[29] Wichtige Ereignisse und Entwicklungen, die von geografischer, wirtschaftlicher, demografischer, politischer, rechtlicher und kultureller Natur sein können, bestimmen das Erleben und Handeln der jeweiligen Generationen und somit ihre Einstellungen (Oertel, 2014, S. 29).

 

Für die vorliegende Arbeit wird der Generationenbegriff genutzt, um diese Unterschiedlichkeit des Denkens und Handelns verschiedener Altersgruppen zu erklären. Der Unterschied zur Wertedifferenzierung anhand des biologischen Alters liegt darin, dass der Generationenbegriff unterschiedliche Rahmenbedingungen und temporäre Gegebenheiten miteinschließt. Werte und Charakteristika zwischen zwei gleichen Altersgruppen, die jedoch in unterschiedlichen Jahrhunderten lebten, können aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen differieren. Die Betrachtung der einzelnen Lebensphasen reicht hierbei auch nicht aus, da sich die Ausprägungen der gleichen Lebensphasen im Laufe der Zeit veränderten. So haben junge Eltern in der heutigen VUCA-Welt andere Werte als junge Eltern zur Kriegszeit.

 

Von außen werden Generationen durch verschiedene Werthaltungen, Einstellungen und Verhaltensweisen erkannt (Pfeil, 2016, S. 127). Ursache für die Entstehung von Generationen sind demnach prägende Ereignisse, Erkenntnisse und Entwicklungen (Oertel, 2014, S. 29). Ein weiterer Erklärungsansatz für die Entstehung von Generationen liefert zudem der Konstruktivismus gemäß der These, dass Einstellungen auf gegebene Umweltbedingungen basieren. Nach diesem pädagogisch orientierten Ansatz wirken sich Werte, Einstellungen und demnach Handlungen sowie Verhaltensweisen auf Grundlage von Ereignissen, Erfahrungen und Beobachtungen aus (Kauffeld, 2010, S. 60). Diese lösen demzufolge langfristig die Entstehung von Generationen aus, können aber auch intragenerative Unterschiede verursachen. Nicht unerwähnt bleiben darf nämlich die reine Zuordnung und Bestimmung spezifischer Merkmale einer ganzen Generation. Innerhalb gleicher Generationen können Einstellungen durch Tradierung, Erziehung und lokale Rahmenbedingungen differenzieren, was ein Hinweis darauf ist, dass Generationen auch vielfältig und ambivalent sein können (Albert et al., 2019, S. 42; Oertel, 2007, S. 17).

 

4.2 Einstellungen und deren Relevanz für Organisationen

 

Generationen werden also verschiedene Werte und typische Einstellungen zugeordnet. Sie stellen somit einen Differenzierungsfaktor dar, der Generationen voneinander trennt (Pfeil, 2016, S. 127). Im folgenden Abschnitt werden die Begriffe Werte und Einstellungen definiert, voneinander abgegrenzt und deren Relevanz für Organisationen beschrieben.

 

Während Werte im Allgemeinen stabil sind und kontinuierlich bestehen bleiben, sind Einstellungen ihnen untergeordnet und nicht immer konsistent (Oertel, 2014, S. 96). Werte sind dabei Grundüberzeugungen, die eine bestimmte Verhaltensweise oder einen Endzustand aus persönlichen oder gesellschaftlichen Gründen nach sich ziehen (Rokeach, 1973, S. 5).[30] Eine Einstellung ist ein dem Wert verwandtem „Konstrukt auf geringerem Abstraktionsniveau“ (Klein, 1991, S. 38). Sie sind wertende Aussagen über Objekte, Menschen oder Ereignisse und beschreiben, wie man zu etwas steht – unabhängig von der Zustimmung oder Ablehnung (Robbins, 2008, S. 93). Aufgrund der besseren Eignung für die Zielerreichung der vorliegenden Arbeit werden Einstellungen hierbei fokussiert.

 

Einstellungen sind besonders bedeutsam für Organisationen, da sie das Arbeitsverhalten beeinflussen (ebd., S. 94). Insbesondere im Recruiting müssen Einstellungen der Bewerber berücksichtigt werden, da eine Diskrepanz zwischen individuellen und organisationalen Werthaltungen zu Arbeitsunzufriedenheit sowie zur Demotivation führen kann (ebd., S. 106). Einstellungen, die Erwartungen nach sich ziehen, sind von den Unternehmen zu erfüllen, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern (Hackl et al., 2017, S. 51).

 

Einstellungen sind immer individuell, trotzdem prägen sie Kulturen und Familien, aber auch Generationen und Lebensphasen (Pfeil, 2016, S. 127; Robbins, 2008, S. 91). Verschiedene Generationen haben demnach unterschiedliche Auffassungen, während Angehörige der gleichen Generation oft gemeinsame Einstellungen pflegen (Hesse, 2015, S. 53). Die Berücksichtigung von Einstellungen ist auch im BGM von großer Bedeutung, da hierdurch spezifische und angepasste Gesundheitsmaßnahmen implementiert und angeboten werden können. Bei einem ganzheitlichen BGM werden sowohl Kulturen als auch Generationen berücksichtigt, um die Teilnahme aller Mitarbeitenden zu ermöglichen sowie – für die Unternehmensleitung relevant – die Leistungsfähigkeit aller Mitarbeitenden zu erhöhen (Englert & Ternès, 2019, S. 327; Halbe-Haenschke & Reck-Hog, 2017, S. 30).

 

4.3 Die generationenspezifische Zuordnung von Einstellungen

 

Die Vorstellungen, die Mitarbeitende von der Berufswelt haben, driften zunehmend auseinander (Hackl et al., 2017, S. 51). Dennoch werden in der Literatur arbeitsplatzbezogene Grundwerte aufgeführt, die allen Generationen zugeordnet werden können, wie zum Beispiel Arbeitsplatzsicherheit, Wertschätzung, soziale Kontakte, Einkommen und Gerechtigkeit. Ein detaillierter Blick auf die Grundwerte zeigen Übereinstimmungen mit der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow (1943). Während die Sicherheits- und sozialen Bedürfnisse mit den physiologischen Aspekten zu den Grundbedürfnissen gehören, sind Wertschätzungs- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse weitere menschliche Verlangen, die eine Organisation ihren Mitarbeitenden befriedigen muss (Stock-Homburg, 2010, S. 71).

 

Einstellungen können demnach generationenübergreifend sein, weshalb der Titel dieses Kapitels etwas provokant daherkommt. Auf Basis der Informationen des vorangegangenen Kapitels jedoch können spezifische Einstellungen und Haltungen Generationen zugeordnet werden. Im Folgenden werden generationentypische Charakteristika der zurzeit im Arbeitsmarkt aktiven Generationen aufgeführt sowie berufs- und gesundheitsbezogene Einstellungen beschrieben.

 

4.3.1 Generation Baby Boomer

 

Mitglieder der Gen Baby Boomer wurden im Zeitraum von 1945 bis 1964 geboren und erlebten – wie der Name schon vermuten lässt – einen regelrechten Babyboom (Scholz, 2014, S. 82). Sie wuchsen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg auf und brachten eine Aufbruchsstimmung mit sich, weshalb die Arbeit Spaß machen sollte (Scholz, 2018b, S. 5). Gekennzeichnet durch das zweigeteilte Deutschland und dem technischen Fortschritt spielt die Lebensqualität für die Babyboomer eine wichtige Rolle (Oertel, 2014, S. 34). Insbesondere der ausgeprägte Teamgeist sowie das Selbstbewusstsein kommt den Unternehmen zugute (ebd., S. 35).

Fin de l'extrait de 117 pages

Résumé des informations

Titre
Wie wichtig ist die Gesundheit am Arbeitsplatz für die Berufswahl der Generation Z? Ein Anforderungsprofil zur Förderung der Mitarbeitergesundheit in Unternehmen
Auteur
Année
2021
Pages
117
N° de catalogue
V991294
ISBN (ebook)
9783964873217
ISBN (Livre)
9783964873224
Langue
allemand
Mots clés
Generation Z, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Gesundheitsförderung, Human Resources Management, BGM, BGF, Digitalisierung, Einstellung, Werte, Betriebliche Gesundheitsförderung, Baby Boomer, Generation Y, Generation X, Personalmanagement, St. Galler Management Modell
Citation du texte
Julian Sulzer (Auteur), 2021, Wie wichtig ist die Gesundheit am Arbeitsplatz für die Berufswahl der Generation Z? Ein Anforderungsprofil zur Förderung der Mitarbeitergesundheit in Unternehmen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/991294

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