Literarische Wahnsinnsdarstellungen in Georg Büchners "Lenz"


Hausarbeit, 2007

15 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Schizophrenie: Definition und Symptome

3. Lenzens Wahnsinn: Anzeichen und Genese
3.1 Der Weg ins Steintal: Identitätsverlust
3.2 Ankunft im Steintal: Konsolidierung
3.3 Oberlins Abwesenheit: Degeneration
3.4 Oberlins Rückkehr: Identitätsverlust
3.5 Abtransport: Apathie

4. Abschließende Betrachtungen

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Georg Büchner beschreibt in seiner Erzählung den 19. tägigen Aufenthalt von Jakob Michael Reinhold Lenz (20. Januar bis 8. Februar des Jahres 1778) bei Pfarrer Oberlin, von dem Lenz durch die Empfehlung seines Freundes Christoph Kaufmann erfuhr und der helfen sollte, Lenzens kritischen seelischen Zustand wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Oberlin verfasst nach dem abrupten Ende des Aufenthaltes einen Rechtferti- gungsbericht, der Büchner als Vorlage dient.1

Während Oberlin sich gezwungen sieht zu erklären, warum er Lenz weggeschickt hat und dementsprechend die „Schuld für das Scheitern des Rettungsversuchs"2 bei Lenz sieht, entfällt dieser Zwang bei Büchner und er verschiebt die Perspektive von Oberlin auf Lenz. Somit „steht im ‚Lenz' der Krankheitsprozeß als solcher und gleichsam für sich, in allen seinen ‚Zuckungen und Andeutungen, dem ganz feinen, kaum bemerkten Mienenspiel' […] im Zentrum des Erzählens."3

In dieser Hausarbeit wird es darum gehen, jene „Zuckungen und Andeutungen" zu be- trachten. Zunächst wird kurz umrissen, was unter Schizophrenie verstanden wird und welche Symptome diese aufweist, um dann, im Rahmen von fünf Entwicklungsphasen, die Anzeichen für Lenz' Wahnsinn herauszuarbeiten. Nachkommend werde ich diese zusammenfassen und mit Überlegungen über die Gründe für Lenz' Wahnsinn abschlie- ßen.

2. Schizophrenie: Definition und Symptome

Schizophrenie ist eine psychische Krankheit, die in unregelmäßigen psychotischen Epi- soden verläuft. Auf dem Höhepunkt einer solchen Episode ist es dem Kranken nicht möglich, klar zu denken und sich angemessen in seiner Umwelt zu verhalten. Ausdruck, Sprache und Handlungen wirken für das Gegenüber bizarr und nicht verständlich.4 Aus der Sicht des Erkrankten bedeutet dies, dass sich seine innere und äußere Wahrnehmung verändert, ebenso die emotionale und kognitive Kommunikation, was sich in Ausdruck und Verhalten widerspiegelt.5

Man unterscheidet zwischen positiven und negativen Symptomen. Unter positiven Symptomen werden Verfolgungswahn und Sinnestäuschungen, die meist akustische Halluzinationen und Denkstörungen umfassen, verstanden. Bei Denkstörungen kommt es zu ungewöhnlichen Denkinhalten, irrationalen Überzeugungen und dem Stocken oder Abreißen von Gedanken.6

Als negative Symptome werden Defizite von Verhalten und Erleben begriffen. Beim Betroffenen wird eine „Verminderung von Bewegung, Mimik und Sprache, Antrieb, Initiative und Kreativität, Denken und Gefühlsintensität"7 beobachtet.

Des Weiteren spricht man von Gefühls- und Affektsymptomen. Hierbei kann es zu einem nahezu völligen Verlust positiver Gefühle kommen oder, im Gegensatz dazu, zur Er- höhter Intensität positiver Gefühle. In diesem Zusammenhang kann es vorkommen, dass der Kranke über einen schweren Verlust oder ein deprimierendes Ereignis lacht oder über ein schönes und heiteres Erlebnis entsetz ist.8

Die Folgen einer solchen Erkrankung sind oft negative gesellschaftliche Sanktionen.

3. Lenzens Wahnsinn: Anzeichen und Genese

3.1 Der Weg ins Steintal: Identitätsverlust

Während Lenz „durch's Gebirg"9 geht, nimmt er die Natur zunächst nicht sonderlich wahr, „er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nicht's am Weg, […] nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte."10 Hier wird, bereits auf der ersten Seite, das gestörte psychische Befinden Lenzens deutlich. Durch einge- hende Beschreibungen von Naturschauspielen (gleich zu Beginn in einem überlangen, atemlos erscheinenden Satz: 225, 23 - 226, 13) spiegelt Büchner Lenzens seelischen Zustand wider, was erkennen lässt, dass dieser an halluzinatorischen Wahnvorstellun- gen leidet: „Es war ihm alles so klein, so nahe, so naß, er hätte die Erde hinter den Ofen setzten mögen, er begriff nicht, dass er so viel Zeit brauchte, um einen Abhang hinunter zu klimmen, einen fernen Punkt zu erreichen; er meinte, er müsse Alles mit ein Paar Schritten ausmessen können."11 Im zweiten Teil des Satzes lässt sich ebenfalls ein ge- wisser Orientierungsverlust feststellen; Lenz weiß Raum und Zeit nicht richtig einzu- schätzen.

Gegen Abend wird er ruhiger und „alles so still, grau, dämmernd; es wurde ihm entsetz- lich einsam, er war allein, ganz allein […]."12 Der Sturm ist vorbei und es wird deutlich, dass es nur Momente sind, in denen es Lenz so ergeht und er sich so elend fühlt, dass diese Momente aber wieder vorbeigehen „und dann erhob er sich nüchtern, fest, ruhig als wäre ein Schattenspiel vor ihm vorübergezogen, er wußte von nichts mehr."13 Star- ken Empfindungen folgt ein Zustand der Teilnahmslosigkeit und Leere, was sich durch die gesamte Erzählung durchzieht.14

Plötzlich „faßte ihn eine namenlose Angst in diesem Nichts"15 und er beschleunigt sein Gehen, um ins Dorf zu kommen. Er ist dem Wahnsinn wohl noch nicht verfallen, aber „Es war als ginge ihm was nach, und als müsse ihn was Entsetzliches erreichen, etwas das Menschen nicht ertragen können, als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter ihm."16 Hier wird zum einen gezeigt, dass Lenz sich dessen bewusst ist, dass irgendetwas mit ihm nicht zu stimmen scheint und zum anderen, dass das, was in ihm vorgeht, etwas ist, das ihn für die anderen Menschen untragbar machen wird; er würde zum Außenseiter in der Gesellschaft.17 Zu diesem Zustand treibt ihn das es: „Überall präsentiert das ‚es' eine treibende, verheerende Kraft, die im Innern des Helden ihren Sitz hat und ihn von da aus drängt und jagt."18

[...]


1 Vgl. Hauschild, Jan-Christoph: Georg Büchner. Reinbek bei Hamburg 2004 (= Rowohlts Monogra- phien).

2 Vgl. Büchner, Georg: Lenz. Hg. v. Henri Poschmann. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente. Band I. Frankfurt am Main 1992, S. 815.

3 Reuchlein, Georg: Bürgerliche Gesellschaft, Psychiatrie und Literatur. Zur Entwicklung der Wahnsinns- thematik in der deutschen Literatur des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts. München 1986 (= Münchner Universitäts-Schriften 35). S. 389.

4 Vgl. Häfner, Heinz: Das Rätsel Schizophrenie. Eine Krankheit wird entschlüsselt. München 2000. S. 19.

5 Vgl. Häfner, Heinz: Das Rätsel Schizophrenie. S. 26.

6 Vgl. ebd. S. 26.

7 Ebd. S. 28.

8 Vgl. ebd. S. 100.

9 Büchner, Georg: Lenz.. S. 225.

10 Ebd. S. 225.

11 Büchner, Georg: Lenz. S. 225.

12 Ebd. S. 226.

13 Ebd.

14 Vg. ebd. S. 818.

15 Ebd. S. 226.

16 Ebd.

17 Vgl. Knapp, Gerhard P.: Georg Büchner. 3., überarb. Aufl. Stuttgart 2000 (= Sammlung Metzler 159). S. 144.

18 Thieberger, Richard: Lenz lesend. In: Georg Büchner Jahrbuch. Band 3. Hg. v. Hubert Gersch u.a. Frankfurt am Main 1984, S. 50.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Literarische Wahnsinnsdarstellungen in Georg Büchners "Lenz"
Hochschule
Universität Mannheim  (Philosophische Fakultät, Germanistik)
Veranstaltung
Georg Büchner
Note
3,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V154623
ISBN (eBook)
9783640673032
ISBN (Buch)
9783640673148
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literarische, Wahnsinnsdarstellungen, Georg, Büchners, Lenz, Georg Büchner, Wahnsinn, Psychose
Arbeit zitieren
Aljona Merk (Autor:in), 2007, Literarische Wahnsinnsdarstellungen in Georg Büchners "Lenz", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154623

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