Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Phantastische Kinder- und Jugendliteratur
2.1. Definitionsversuche
2.2. Gattungsmerkmale
3. Lesemotivation in der Grundschule
3.1. Zum Begriff der Lesemotivation
3.2. Entwicklung von Lesemotivation in der Grundschule
3.3. Förderung der Lesemotivation als Aufgabe des Literaturunterrichts
4. Harry Potter als Phantastisches Kinder- und Jugendbuch
4.1. Harry Potter – das Phänomen
4.2. Harry Potter und der Stein der Weisen im Literaturunterricht in der Grundschule
4.3. Unterrichtsideen zu Harry Potter und der Stein der Weisen
4.3.1. Vorüberlegungen
4.3.2. Pflichtthemen
4.3.3. Wahlthemen
4.3.4. Anschlussgespräch
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Er wird berühmt werden – eine Legende -, es würde mich nicht wundern, wenn der heutige Tag in Zukunft Harry-Potter-Tag heißt – ganze Bücher wird man über Harry schreiben – jedes Kind wird seinen Namen kennen![1]
Auch wenn Professor McGonagall, die Lehrerin für Verwandlung in Hogwarts, nicht für ihre Wahrsagekünste bekannt ist, kann diese Aussage von ihr wahrhaftig als Prophezeiung betrachtet werden, denn keine Figur aus einem Buch ist weltweit so bekannt. Obwohl sich die Popularität der neuen Medien mit dem Wandel der Zeit nicht leugnen lässt und der Wert des Buches besonders für die junge Generation mehr und mehr abnimmt, steht dennoch fest: Harry Potter ist und bleibt Lesekultur und verwandelt Lesemuffel in Leseratten. Aber was haben die Bücher an sich, dass auch die Kleinsten unter uns von ihnen verzaubert werden? Und viel mehr noch, wie können die Romane genutzt werden, um einen interessanten, kreativen und kindgerechten Literaturunterricht in der Grundschule zu gestalten? Diesen Fragen möchte ich in dieser wissenschaftlichen Arbeit auf den Grund gehen.
Im Folgenden werde ich mich mit der Förderung von Lesemotivation in der Grundschule durch phantastische Kinder- und Jugendliteratur am Beispiel von Harry Potter und der Stein der Weisen beschäftigen. Dazu beginne ich mit dem theoretischen Teil über Phantastische Kinder- und Jugendliteratur, indem ich Definitionsversuche und Gattungsmerkmale behandeln werde. Im Anschluss daran werde ich auf die Lesemotivation in der Grundschule eingehen. Dieses wird durch die Thematisierung des Begriffes der Lesemotivation erst allgemein gehalten und dann auf die Grundschule bezogen. Dabei wird auf die Entwicklung und Förderung der Lesemotivation durch den Literaturunterricht in der Grundschule spezifiziert.
Anschließend werde ich Harry Potter als phantastisches Kinder- und Jugendbuch thematisieren und somit den didaktischen Aspekt dieser Arbeit unterstreichen. Zuerst wird das Erfolgsrezept der Harry Potter -Romane thematisiert und daraufhin auf den Umgang des ersten Bandes Harry Potter und der Stein der Weisen im Literaturunterricht eingegangen. Im Zuge dessen werden auch Unterrichtsideen für den Literaturunterricht vorgestellt. Abschließend werde ich in einem Fazit meine Ergebnisse zusammenfassen und verdeutlichen, inwiefern sich meine zu Beginn gestellten Fragen beantworten lassen. Dabei werde ich mich besonders darauf konzentrieren, welche Schlüsse ich in Bezug auf die Lesemotivation bei der Auseinandersetzung mit dem Roman ziehen kann.
2. Phantastische Kinder- und Jugendliteratur
2.1. Definitionsversuche
In der theoretischen Diskussion der vergangenen Jahre über den Begriff der Phantastischen Kinder- und Jugendliteratur wird immer wieder über das Problem einer zu engen oder zu weiten Definition des Phantastischen gesprochen. Rank äußert sich dazu, indem er sagt, dass man erst von ‚Phantastik’ sprechen sollte, wenn das Phantastische zu einem dominanten Merkmal geworden ist, dass die Gesamtstruktur eines literarischen Textes prägt. Weiterhin formuliert er:
Phantastik in diesem weiten, phänomenologisch beschreibenden Sinn dient also als Oberbegriff für die einzelnen Textgruppen, die […] zu diesem Genre gezählt werden könnten: Mythos, Märchen, Sage, Legende, Fantasy, Science-Fiction, (Anti-)Utopie, Schauerroman und phantastische Erzählung. Ob man den Begriff so weit und undifferenziert fassen sollte, ist allerdings umstritten.[2]
In seinen Überlegungen geht er daher von einem Zwei-Welten-Modell aus. Es gibt die primäre, realistische Welt, die der sekundären, phantastischen Welt gegenübersteht. Dieses Modell bildet die Grundlage für die Überlegungen zur phantastischen Kinder- und Jugendliteratur[3].[4]
Seit den fünfziger Jahren finden die Textartenbegriffe ‚Phantastische KJL‘ oder ‚Phantastische Erzählung‘ im Bereich der KJL Verwendung. Diese haben neben realistischen auch phantastische Elemente in der Gesamtdarstellung der Welt oder auch nur in einzelnen Figuren, Gegebenheiten oder Elementen. Ein Streitpunkt bildet dabei die Frage, ob Erzählungen, die ausschließlich in der phantastischen Welt stattfinden, zur Phantastischen KJL gezählt werden können.[5]
Die Forschung der letzten vierzig Jahre unterscheidet drei generelle Definitionsversuche. Dazu zählt erstens die Phantastische KJL im engeren Sinne von Klingberg und Meißner. Ihnen zufolge werden nur die Texte dazugezählt, in denen eine realistische und eine phantastische Welt nebeneinander stehen. Dabei wird die Nonsensliteratur, auch surreal-komische KJL genannt, die durch das Motiv der verkehrten Welt, durch Verrücktheit und Komisches gekennzeichnet ist, und die Literatur, die nur in einer phantastischen, meist mythischen Welt spielt, ausgegrenzt. Demnach wird Tolkiens Der kleine Hobbit zur mythischen Erzählung und sowohl Erich Kästners Der 35. Mai, als auch Michael Endes Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer zur surreal-komischen Kinderliteratur und nicht zur Phantastischen KJL gezählt.
Binder und Müller hingegen fassen den Begriff der Phantastischen KJL weiter. Bei ihnen zählen surreal-komische und mythische KJL zur Phantastischen KJL. Dabei unterscheiden sie drei Varianten. Die erste Variante zeichnet sich dadurch aus, dass die phantastische und realistische Welt nebeneinander bestehen. Umsteigepunkte machen es möglich von der einen in die andere Welt zu gelangen. Bei Astrid Lindgrens Karlsson vom Dach ist der Umsteigepunkt von der realistischen in die phantastische Welt und umgekehrt das Fenster von Karlssons Zimmer. Bei der zweiten Variante spielt die Erzählung von Anfang bis Ende in der realistischen Welt und die phantastische Welt wird lediglich von einigen Requisiten oder Personen repräsentiert, die auf die realistische Welt verändernd einwirken. Als Beispiel kann hier Lindgrens Pippi Langstrumpf genannt werden, die durch ihre ungeheure Körperkraft und ihr Leben außerhalb der Zwänge und Konventionen der realistischen Welt auf diese einwirkt. Zuletzt gibt es noch die Variante, bei der die Geschichte nur in einer phantastischen Welt mit ihren außergewöhnlichen Bewohnern und eigenen Gesetzen spielt. Die phantastische Welt kann als Spiegelbild der realistischen Welt und der menschlichen Gesellschaft gesehen werden, wie es bei Tolkiens Der kleine Hobbit der Fall ist.[6]
Der letzte Definitionsversuch wird von Haas unternommen. Dabei wird die Phantastische KJL als Teil der Phantastik, welches das gesamte Gebiet der phantastischen Literatur und ihrer Teile umfasst, gesehen. Dazu zählen die Phantastik des Märchens und der Sage, der Science-Fiction und des Grauens, der phantastischen Erwachsenen- und der KJL. Das Neben-, Mit- und Gegeneinander von rationalen und irrationalen Prinzipien sind Kennzeichen der Phantastik. Weiterhin wird sie als „literarisiertes psychologisches Phänomen“[7] gesehen, das auf der einen Seite Angst und Schrecken und auf der anderen Seite auch Glücksgefühle bei dem Lesererzeugen kann. Zusammenfassend wird Phantastik hier nicht als Gattungsbezeichnung sondern vielmehr als Stilhaltung charakterisiert, der verschiedene Gattungen zugrunde liegen.[8]
Betrachtet man diese drei Definitionsversuche kritisch und überprüft sie mit Hilfe konkreter Textbeispiele, so zeigt sich schnell, dass Klingbergs und Meißners Ansatz zu eng gefasst ist. Lewis Carolls Alice im Wunderland oder E.T.A. Hoffmanns Der Nußknacker und der Mausekönig zählen demzufolge nicht mehr zur Phantastischen KJL, dabei sind gerade diese als traditionelle Textbeispiele für diese Gattung bekannt. Weiterhin besitzen ihre drei Gattungen eine sehr ähnliche, fast sogar identische Funktion, wodurch es immer wieder zu Schwierigkeiten bei der eigenen Analyse von Textbeispielen und bei der Funktionsbeschreibung kommen kann. Zwar schließt der Ansatz von Haas das Gesamtphänomen Phantastik gut auf, jedoch werden die eindeutigen Unterschiede zwischen Märchen, Sage, Science-Fiction und zwischen phantastischer Erwachsenen- und KJL dabei verwischt. Daher eignet sich sein Zugriff nicht für die Erfassung der einzelnen Gattungen der Phantastik. Es stellt sich heraus, dass der Ansatz von Binder und Müller auch die Übergangsformen der Phantastischen KJL gut erfassen kann und somit am besten für die Gattungsdiskussion und die praktische Arbeit in der Schule geeignet ist.[9]
2.2. Gattungsmerkmale
Binder formuliert für die Gattung der Phantastischen KJL folgende Merkmale: Erstens stehen sich oftmals die realistische Welt und das Wunderbare gegenüber. In der phantastischen Erzählung stoßen diese beiden Welten plötzlich aufeinander, wobei es einen Umsteigepunkt oder sprunghaften Wechsel von der einen in die andere Welt gibt. Zweitens gilt die kindliche Welt als zentrales Thema der Phantastischen KJL. Diese grenzt sich von der vernünftigen und langweiligen Welt der Erwachsenen ab und macht ungebrochene Phantasie möglich. Durch Phantasie werden Freiräume für „ungebundenes Spielen, für uneingeschränktes Ausprobieren und Durchspielen aller nur denkbaren Möglichkeiten“[10] geschaffen. Weiterhin ist die Phantastische KJL gekennzeichnet durch ihre Freude am Witzigen, Komischen, an der Ironie und am Wortspiel. Zuletzt wird das Geheimnisvolle und Unbegreifliche mit dem Phantastischen verbunden. Dadurch, dass es oft nur in Andeutungen existiert, bedeutet es für die kindliche Phantasie eine umso stärkere Anregung.[11]
In Anlehnung an Binder und Müller kann ihr Ansatz noch erweitert werden. Es wird nun nicht mehr von drei sondern von fünf Varianten ausgegangen. Dazu zählen die kindlichen Phantasiewelten, wozu beispielsweise Tolkiens Der kleine Hobbit und Endes Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer gehören. Alice im Wunderland von Caroll und Barries Peter Pan sind Beispiele für kindliche Traumgeschichten. Weiterhin existiert ebenso ein Nebeneinander von phantastischer und realistischer Welt, wie beispielsweise bei Lindgrens Karlsson vom Dach oder Rowlings Harry Potter. Es können jedoch auch nur phantastische Wesen in der realistischen Welt vorhanden sein, wie es bei Lindgrens Pippi Langstrumpf und Maars Eine Woche voller Samstage der Fall ist. Als letztes werden die mythischen Welten genannt. Dazu wird ebenfalls Rowlings Harry Potter und Tolkiens Der Herr der Ringe gezählt.[12]
Ein ähnliches Zwei-Welten-Modell wurde von Maria Nikolajeva (1988) entworfen. In diesem Modell existieren die primäre, realistische und die sekundäre, phantastische Welt durch das Charakteristikum der Fantasy. Dabei beziehen sich die beiden Welten nach klaren Gesetzmäßigkeiten aufeinander. Es gibt drei verschiedene Arten von Sekundärwelten. Als erstes wird die geschlossene Welt genannt. Diese Sekundärwelt hat keinen Kontakt zur Primärwelt, wie z.B. in Tolkiens Der kleine Hobbit oder Endes Jim Knopf. Bei der offenen Welt hingegen handelt es sich um eine räumlich und zeitlich abgetrennte Sekundärwelt, die aber Kontakt zur Primärwelt hat. Diese Sekundärwelt lässt sich in Carolls Alice im Wunderland oder Endes Eine unendliche Geschichte finden. Zuletzt gibt es die implizierte Welt, die im Text nicht als Sekundärwelt dargestellt wird, aber in der Primärwelt vorhanden ist wie beispielsweise durch eine Figur wie in Maars Sams -Geschichten. Nikolajeva weist darauf hin, dass der Kontakt zwischen der Primär- und Sekundärwelt durch Magie und Zauberei erfolgt.[13]
Als Folge der didaktischen Diskussion ergeben sich drei Funktionen der Phantastischen KJL. Die erste Funktion zeichnet sich dadurch aus, dass Phantastische KJL kompensatorisch sein kann. Damit ist gemeint, dass die Bedürfnisse oder Wünsche der Leser in die Literatur projiziert werden können. Weiter noch können Ansätze zu einer Bewusstmachung oder Bewältigung von eigenen Erlebnissen in Gang gesetzt werden. Ebenso kann sie eine pädagogische Funktion haben. Hierbei werden erwünschte Verhaltensweisen dem Leser vorgestellt und nahegelegt. Die emanzipatorische Funktion besteht darin, dass der Leser mit der „Veränderbarkeit von gesellschaftlichen Rollen, gesellschaftlich determinierten Verhaltensweisen und Strukturen“[14] in Berührung gerät. Die verschiedenen Funktionen treten in unterschiedlichen Kombinationen auf, wobei eine Funktion dominant sein kann. Die Phantastische KJL hat eine besondere didaktische Funktion dadurch, dass sie in gewisser Weise etwas mit der entwicklungspsychologischen Situation der Kinder zu tun hat. Sie hängt besonders mit den Phantasiebildern und Tagträumen der Kinder zusammen, so dass sie in der Literatur Teile ihrer eigenen emotionalen und kognitiven Situation wiedererkennen können.[15]
3. Lesemotivation in der Grundschule
3.1. Zum Begriff der Lesemotivation
Motivation kann im Allgemeinen definiert werden als „aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv bewerteten Zielzustand“[16]. Demnach möchte der Mensch aktiv einen Zustand erreichen, der für ihn als erstrebenswert empfunden wird. Dabei kann die Vermeidung von bestimmten Zuständen mit inbegriffen sein. Die Motivationsforschung ist sich einig, dass es nicht nur eine Form der Motivation gibt, genau so wenig, wie es nur eine Form der Lesemotivation gibt.[17] Lesemotivation wird eindeutig als wesentliche Komponente des Leseverhaltens eingestuft.
Denn wenn ohne Motivation nicht gelesen wird, reicht es nicht aus, bei der Leseerziehung nur an die Bildung von Fähigkeiten zu denken, da sie sich ohne Motivation nicht aktualisieren und realisieren.[18]
Lesemotivation als vielschichtiges und komplexes psychologisches Konstrukt lässt sich auf verschiedene Arten systematisieren. Dazu gehören die Unterscheidungsdimensionen angestrebter Zweck (Unterhaltung oder Information), Textart (fiktional oder non-fiktional), Kontext (Freizeit oder Schule/Beruf), Dauer (aktuell oder habituell), Anreiz des Lesens (intrinsisch oder extrinsisch), personale Quelle des Leseantriebs (eigene Person oder fremde Person(en)) und Funktionalität für des Leseverstehen (funktional oder dysfunktional).[19]
Sämtliche Formen der habituellen intrinsischen Motivation sind günstig für die Lesekompetenz und für das Leseverhalten und demnach bedeutsam für den Lernerfolg. Deshalb ist die Förderung der intrinsischen Motivation eine wichtige Aufgabe der schulischen Leseförderung. Aber auch extrinsische Motivationen, die entweder autonom sind oder mit sozialer Unterstützung einhergehen, wirken sich positiv auf die Lesekompetenz und das Leseverhalten aus. Nachteilig wirken sich die extrinsischen Motivationsformen aus, bei denen Heranwachsende Überforderung erleben und Vermeidungstendenzen entwickeln. Durch die Zwecke, mit denen Kinder in ihrer Freizeit lesen, können Lehrkräfte wichtige Anknüpfungspunkte für die Förderung von Lesemotivation in der Schule finden. Hierbei spielt auch die zeitliche Unterscheidung eine wichtige Rolle. Wird situative Lesemotivation wiederholt ausgelöst, so besteht die Chance, eine zeitlich stabilere Lesemotivation zu entwickeln.[20]
Auch in Studien wurden unterschiedliche Aspekte bzw. Dimensionen von Lesemotivation erfasst. Dabei sind die wichtigsten Erkenntnisse, dass wer (nicht) liest, dies aus intrinsischen bzw. extrinsischen bzw. Aspekten des Kompetenzerlebens tut. Die verschiedenen Formen der Lesemotivation bestehen dabei gleichzeitig nebeneinander. Zudem zeigen alle Studien, dass es immer ein soziales Lesemotiv gibt und zwar das extrinsisch motivierte Lesen, das angestrebt wird, um mit anderen über Gelesenes reden zu können.[21] Zusammenfassend gelten intrinsische und weitere Lesemotivationsarten, wie zum Beispiel die autonome Lesemotivation, Selbstwirksamkeitserfahrungen und der Wert des Lesens und bestimmte positive soziale, also extrinsische Varianten der Lesemotivation als besonders wichtig für eine gelingende Lesesozialisation.[22]
3.2. Entwicklung von Lesemotivation in der Grundschule
Die Möglichkeiten literarästhetische Kenntnisse und Fähigkeiten bereits im Deutschunterricht der Grundschule zu erwerben, werden durch die Separierung des Anfangsunterrichts unterschätzt. Zudem wird dabei übersehen, dass im Umgang mit anderen Medien, wie beispielsweise Film und Fernsehen, Fähigkeiten erworben werden können, die „in einer Art Transfer für die Begegnung mit literarischen Welten genutzt werden können“.[23]
Im Jahre 1999 führten Richter und Riemann im Rahmen eines Projektes an der Universität Erfurt eine Studie mit etwa 1000 Thüringer Kindern der Klassen 1 bis 5 durch. Die gewonnenen Befunde dieser Studie dienen als Grundlage für die Untersuchung der Frage, welchen Beitrag die Grundschule auf dem Hintergrund veränderter medialer Bedingungen zur Entwicklung von Lesemotivation leistet. Dabei ist es sinnvoll, auch auf die PISA-Studie zu verweisen, denn dort zeigte sich, dass 42% der deutschen Schülerinnen und Schüler angaben, dass sie ohne Vergnügen lesen.[24] Die durchgeführte Studie weist auf zwei Faktoren hin, die einen direkten Einfluss auf die Motivation der Schülerinnen und Schüler, Bücher und Geschichten zu lesen, haben. Zum einen ist dies der Spaß am Deutschunterricht. Dieser wirkt sich unmittelbar auf die Motivation der Kinder aus und beeinflusst zudem die Leseleistung, die wiederum eng mit der Lesemotivation zusammenhängt.[25] Es hat sich gezeigt, dass die Lektüreinteressen der Kinder bei der Literaturauswahl der Lehrenden zu wenig berücksichtigt werden. Dabei werden überwiegend Texte ausgewählt, die eine relativ leichte Sinnentnahme ermöglichen, wie zum Beispiel realistische Texte.[26]
Zum anderen wird durch den Wunsch der Kinder nach Anschlussgesprächen und die tatsächliche Gesprächshäufigkeit mit den Lehrern eine zentrale Stelle im Deutschunterricht eingenommen. Je mehr Gespräche stattfinden, umso größer sind Freude und Spaß am Deutschunterricht.[27] In der Realität sieht es jedoch so aus, dass der Stellenwert der lesemotivierenden Funktion von Gesprächen über Literatur unterschätzt wird. Demnach liegt eine hohe Diskrepanz zwischen dem kindlichen Wunsch nach Kommunikation und deren tatsächlicher Häufigkeit vor. Betrachtet man auf welche Weise sich der Wunsch nach Anschlusskommunikation von Klasse 2 bis 4 entwickelt, so fällt auf, dass er bezogen auf Lehrerin und Lehrer rapide zurückgeht.[28] Dabei sind Freunde mit 75% die bevorzugten Gesprächspartner und auch Eltern mit 66,7% häufig gewünscht. Am wenigsten möchten Kinder mit ihren Lehrern kommunizieren (28,9%).[29]
3.3. Förderung der Lesemotivation als Aufgabe des Literaturunterrichts
Die Ausbildung einer stabilen Lesemotivation zählt als besonders bedeutsames, wenn nicht sogar bedeutsamstes Ziel des Literaturunterrichts. Es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, wie wichtig die Berücksichtigung spezifischer Leseinteressen und –kompetenzen der Kinder bei der Auswahl der Texte ist. Ein herausfordernder Unterricht muss immer zwei Seiten genügen. Zum einen den besonderen Aspekt der literarischen Objekte und zum anderen der besonderen Situation der Subjekte, die literarisch gebildet werden. Dabei dürfen heutzutage die veränderte Stellung der Printmedien und die Einflüsse der visuellen Medien auf die kindliche Wahrnehmung nicht außer Acht gelassen werden. Somit hat die Institution Schule die Aufgabe den kompetenten Umgang mit verschiedenen Medien in den Literaturunterricht einzuschließen.[30]
Bei der Auswahl der Literatur in der Grundschule in Bezug auf die Lesemotivation muss sich immer wieder bewusst gemacht werden, dass die Spanne zwischen der Lesefähigkeit und –fertigkeit und dem Wunsch nach einer interessanten Geschichte sehr groß ist. Während die Geschichten, die den Bedürfnissen der Kinder entsprechen, den nicht genügend ausgeprägten Fähigkeiten im selbstständigen Erlesen gegenüberstehen, so unterfordert ein Text, den die Kinder selbstständig erlesen können oftmals ihr intellektuelles Vermögen, was schnell zu Desinteresse führen kann.[31] Deshalb ist es wichtig, dass der Erwerb von Lesefähigkeiten und –fertigkeiten zunächst getrennt von dem Erwerb von Lesemotivation und ästhetischer Genussfähigkeit abläuft. Wie bereits beschrieben, werden Lesefähigkeiten und -fertigkeiten mit leicht erschließbaren Texten erworben. Die Lesemotivation hingegen wird durch komplexere künstlerische Gebilde entwickelt, die aber meist nicht durch eigenes Lesen der Kinder erschlossen werden, sondern vielmehr durch Vorlesen durch die Lehrperson, Hörkassetten oder Zugang zum Text durch Illustrationen.[32]
[...]
[1] Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen. Hamburg 1998. S.19.
[2] Bernhard Rank: „Phantastik in der Kinder- und Jugendliteratur“. In: Knobloch/Stenzel: Zauberland und Tintenwelt. Fantastik in der Kinder und Jugendliteratur. Weinheim 2006. S. 13.
[3] Im Folgenden werde ich Kinder- und Jugendliteratur durch KJL abkürzen.
[4] Vgl. Bernhard Rank: „Phantastik in der Kinder- und Jugendliteratur“. In: Knobloch/Stenzel: Zauberland und Tintenwelt. Fantastik in der Kinder und Jugendliteratur. Weinheim 2006. S. 16 ff.
[5] Vgl. Günter Lange: Textarten – didaktisch. Grundlagen für das Studium und den Literaturunterricht. 6., völlig überarb. und veränd. Aufl. Baltmannsweiler 2011. S. 171.
[6] Vgl. Günter Lange: Textarten – didaktisch. Grundlagen für das Studium und den Literaturunterricht. 6., völlig überarb. und veränd. Aufl. Baltmannsweiler 2011. S. 172.
[7] Günter Lange: Textarten – didaktisch. Grundlagen für das Studium und den Literaturunterricht. 6., völlig überarb. und veränd. Aufl. Baltmannsweiler 2011. S. 173.
[8] Vgl. Günter Lange: Textarten – didaktisch. Grundlagen für das Studium und den Literaturunterricht. 6., völlig überarb. und veränd. Aufl. Baltmannsweiler 2011. S. 173.
[9] Vgl. Günter Lange: Textarten – didaktisch. Grundlagen für das Studium und den Literaturunterricht. 6., völlig überarb. und veränd. Aufl. Baltmannsweiler 2011. S. 173 f.
[10] Günter Lange: Textarten – didaktisch. Grundlagen für das Studium und den Literaturunterricht. 6., völlig überarb. und veränd. Aufl. Baltmannsweiler 2011. S. 174.
[11] Vgl. Günter Lange: Textarten – didaktisch. Grundlagen für das Studium und den Literaturunterricht. 6., völlig überarb. und veränd. Aufl. Baltmannsweiler 2011. S. 173 f.
[12] Vgl. Günter Lange: Textarten – didaktisch. Grundlagen für das Studium und den Literaturunterricht. 6., völlig überarb. und veränd. Aufl. Baltmannsweiler 2011. S. 174 f.
[13] Vgl. Bernhard Rank: „Phantastik in der Kinder- und Jugendliteratur“. In: Knobloch/Stenzel: Zauberland und Tintenwelt. Fantastik in der Kinder und Jugendliteratur. Weinheim 2006. S. 17f.
[14] Günter Lange: Textarten – didaktisch. Grundlagen für das Studium und den Literaturunterricht. 6., völlig überarb. und veränd. Aufl. Baltmannsweiler 2011. S. 176.
[15] Vgl. Günter Lange: Textarten – didaktisch. Grundlagen für das Studium und den Literaturunterricht. 6., völlig überarb. und veränd. Aufl. Baltmannsweiler 2011. S. 176.
[16] Maik Philipp: Lesesozialisation in Kindheit und Jugend. Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz in Familie, Schule und Peer-Beziehungen. Stuttgart 2011. S. 33.
[17] Vgl. Maik Philipp: Lesesozialisation in Kindheit und Jugend. Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz in Familie, Schule und Peer-Beziehungen. Stuttgart 2011. S. 33.
[18] Gertrud Bünning: Lesemotivation – aber wie? Zur Praxis der Buch- und Leseerziehung in Anfangsklassen. Düsseldorf 1981. S. 25.
[19] Vgl. Maik Philipp: Lesesozialisation in Kindheit und Jugend. Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz in Familie, Schule und Peer-Beziehungen. Stuttgart 2011. S. 34 f.
[20] Vgl. Maik Philipp: Lesesozialisation in Kindheit und Jugend. Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz in Familie, Schule und Peer-Beziehungen. Stuttgart 2011. S. 36 ff.
[21] Vgl. Maik Philipp: Lesesozialisation in Kindheit und Jugend. Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz in Familie, Schule und Peer-Beziehungen. Stuttgart 2011. S. 41 f.
[22] Vgl. Maik Philipp: Lesesozialisation in Kindheit und Jugend. Lesemotivation, Leseverhalten und Lesekompetenz in Familie, Schule und Peer-Beziehungen. Stuttgart 2011. S. 51.
[23] Monika Plath / Karin Richter: „Lesen lernen – Literatur genießen“. In: Grundschule 12/2003, S. 8.
[24] Vgl. Karin Richter: „Die Entwicklung von Lesemotivation und der Literaturunterricht in der Grundschule“. In: Bettina Hurrelmann (Hrsg.): Kindermedien nutzen. Medienkompetenz als Herausforderung für Erziehung und Unterricht. Weinheim: Juventa 2003, S. 118.
[25] Vgl. Karin Richter: „Die Entwicklung von Lesemotivation und der Literaturunterricht in der Grundschule“. In: Bettina Hurrelmann (Hrsg.): Kindermedien nutzen. Medienkompetenz als Herausforderung für Erziehung und Unterricht. Weinheim: Juventa 2003, S. 120.
[26] Vgl. Monika Plath / Karin Richter: „Lesen lernen – Literatur genießen“. In: Grundschule 12/2003, S. 8.
[27] Vgl. Karin Richter: „Die Entwicklung von Lesemotivation und der Literaturunterricht in der Grundschule“. In: Bettina Hurrelmann (Hrsg.): Kindermedien nutzen. Medienkompetenz als Herausforderung für Erziehung und Unterricht. Weinheim: Juventa 2003, S. 121.
[28] Vgl. Monika Plath / Karin Richter: „Lesen lernen – Literatur genießen“. In: Grundschule 12/2003, S. 8 f.
[29] Vgl. Karin Richter: „Die Entwicklung von Lesemotivation und der Literaturunterricht in der Grundschule“. In: Bettina Hurrelmann (Hrsg.): Kindermedien nutzen. Medienkompetenz als Herausforderung für Erziehung und Unterricht. Weinheim: Juventa 2003, S. 128.
[30] Vgl. Karin Richter: „Die Entwicklung von Lesemotivation und der Literaturunterricht in der Grundschule“. In: Bettina Hurrelmann (Hrsg.): Kindermedien nutzen. Medienkompetenz als Herausforderung für Erziehung und Unterricht. Weinheim: Juventa 2003, S. 117.
[31] Vgl. Karin Richter: „Die Entwicklung von Lesemotivation und der Literaturunterricht in der Grundschule“. In: Bettina Hurrelmann (Hrsg.): Kindermedien nutzen. Medienkompetenz als Herausforderung für Erziehung und Unterricht. Weinheim: Juventa 2003, S. 122.
[32] Vgl. Monika Plath / Karin Richter: „Lesen lernen – Literatur genießen“. In: Grundschule 12/2003, S. 9.