Das altenglische "Sturmrätsel" des Exeterbuches


Trabajo, 1999

22 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

I. Drei Rätsel oder eines?

II. Die Lösung des Rätsels

III. Die Quellen des „Sturmrätsels“

IV. Das poetische Werk

V. Literaturverzeichnis

VI. Anhang

I. Drei Rätsel oder eines?

Die Frage, die sich bei einer Beschäftigung mit den vorliegenden 104 Zeilen altenglischer Rätselliteratur stellt und die von Herausgebern zahlreicher Bücher über das Exeterbuch jeweils unterschiedlich beantwortet wurde ist, ob es sich um drei eigenständige Rätsel oder um ein zusammenhängendes Rätsel handelt. Die meisten Herausgeber, darunter auch Frederick Tupper, gingen davon aus, daß es sich hier um drei Rätsel handeln muß. Sie machten folgende Unterteilung: Das erste riddle von Zeile 1-15, das zweite von Zeile 16-30 und schließlich das dritte von Zeile 31-104. Als Lösungen für diese drei Abschnitte gaben die Autoren verschiedene Erscheinungsformen eines Sturmes an. Dietrich sieht ein Hauptthema - den Sturm - mit Unterthemen als Lösung der drei Rätsel. Diese Unterthemen sind: Sturm an Land (1-8a)1, Sturm auf See (8b-15), Ozeansturm (16-30), Erdbeben (31-46), der Sturm als bewegende Kraft für Wasser und Schiffe (47-65) und Gewittersturm (66-104)2. Dietrichs Unterteilung hat nun zur Folge, daß in drei riddles sechs Ereignisse oder Gegenstände verrätselt werden. Dem ist nun aber die Frage entgegenzusetzen, wieso der Rätselschreiber in einem riddle gleich mehrere Dinge thematisieren sollte. Dies ist zwar auch bei anderen Rätseln der Fall3, jedoch stehen diese nicht in thematischem Zusammenhang mit den Rätseln, die ihnen vorausgehen, bzw. nachfolgen.

Die Anhänger der „Drei-Rätsel-Theorie“ sehen ihre Begründung unter anderem in der Handschrift selbst. Nach Zeile 15 folgt im Manuskript eine kleine Leerstelle und das darauffolgende Hwilum beginnt mit einem Großbuchstaben, der jedoch kleiner ist als der des ersten Wortes (Hwylc) in Zeile eins. Großbuchstaben wurden vom Schreiber gewöhnlich am Anfang eines neuen Rätsels gesetzt. Nach Zeile 15 folgt ein Schlußzeichen (:-), das benutzt wurde, um das Ende eines Textes zu markieren.4 Trautmann sieht dieses Schlußzeichen schon als Verständnisfehler des Schreibers5, denn man darf nicht vergessen, daß beim Abschreiben des Ursprungtextes durchaus Fehler gemacht wurden. Dies konnte einerseits dadurch passieren, daß das dem Schreiber vorliegende Material von schlechter Qualität und dadurch stellen- weise unlesbar war oder andererseits durch Interpretationsfehler des Abschreibers. Die Unterteilung der übrigen 89 Zeilen in weitere zwei Rätsel ist jedoch nicht nachvollziehbar. Nach Zeile 30, die gleichzeitig das Ende der Manuskriptseite bildet, setzte der Schreiber einen einfachen Punkt, der hier aber nicht das Ende des Rätsels anzeigt. Punkte wurden entweder gesetzt, um einen Übergang, von lateinischen Buchstaben zu Runen und umgekehrt anzuzeigen6 oder um wie im vorliegenden Fall dem Leser am Ende einer Folioseite zu zeigen, daß der Text auf der nächsten Seite weitergeht.7

Ein weiterer Grund, die 104 Zeilen in drei Rätsel zu unterteilen ist das Auftauchen von Rateaufforderungen. Die Rateformeln treten in anderen Rätseln immer am Ende auf und somit wird hier auch davon ausgegangen, daß eine Formel das Ende des riddles anzeigt. Die erste Aufforderung findet sich in den Zeilen 14b-15: saga, hwa mec wecce, o þþ e hu ic hatte, þ e þ a hl æ st bere :- 8, die nächste in den Zeilen 27b-30: saga, þ oncol mon, hwa mec bregde of brimes f æþ mum, þ onne streamas eft stille weor þ a ð , y þ a ge þ w æ re, þ e mec æ r wrugon.9 Bis hierher stimmt das Auftauchen von Rateformeln mit den angegebenen Unterteilungen des Rätsels überein. Theoretisch dürfte die nächste Aufforderung zum Raten demnach erst am Ende des dritten Teils erscheinen. Dies trifft aber nicht zu, denn in Zeile 65b findet man eine weitere kurze Frage: hwa gestille ð þæ t? 10. Die letzte lange Frage steht am Ende des Textes in den Zeilen 102b-104: saga hw æ t ic hatte, o þþ e hwa mec r æ re, þ onne ic restan ne mot, o þþ e hwa mec st æðþ e, þ onne ic stille beom 7: 11 Die Form der Fragen stellt im Vergleich zu den anderen Rätseln des Exeterbuches eine Ausnahme dar. Die übrigen riddles enthalten entweder keine Rateaufforderung, enden im Falle einer Selbstbeschreibung12 mit den Worten „ saga, hw æ t ic hatte “, bzw. „ frige, hw æ t ic hatte “, oder im Falle einer Beschreibung eines Gegenstandes durch eine andere Person mit einer Aufforderung, das Beschriebene zu nennen.13 Im vorliegenden Text wird der Leser nun nicht nur aufgefordert herauszufinden, wer sich hinter dem ic versteckt, sondern auch, wer die treibende Kraft hinter dem ic ist. Eine solche doppelte Frage findet sich zweimal im Text: in den Zeilen 14b-15 und am Ende. Dies ist meiner Meinung nach ein Argument für die Einheit des Rätsels. Die beiden Fragen dazwischen fragen jeweils nur nach der treibenden Kraft.

Die Autoren, die den Text in drei eigenständige Rätsel unterteilen sehen ihre These durch die Verwendung des Wortes hwilum in der jeweils nachfolgenden Zeile der Rateformeln bestätigt. Hwilum wird als Anzeiger für den Beginn eines neuen Abschnittes gesehen und ihrer Ansicht nach würde hwilum das erste Wort des zweiten und dritten Teils (Zeile 16a und 31a) darstellen. Hierzu sei angemerkt, daß kein anderes Rätsel des Exeterbuches mit hwilum beginnt. Es wird vielmehr nach einer allgemeinen Beschreibung benutzt, was beispielsweise in Rätsel 22 deutlich wird:

IC eom wunderlicu wiht, wr æ sne mine stefne:
hwilum beorce swa hund, hwilum bl æ te swa gat,
hwilum gr æ de swa gos, hwilum gielle swa hafoc,
hwilum ic onhyrge þ one haswan earn,
gu ð fugles hleo þ or, hwilum glidan reorde
mu þ e gem æ ne, hwilum m æ wes song,
þæ r ic glado sitte. [...]

Ich würde das Auftauchen von hwilum in Anlehnung an Williamson14 eher als Zeichen der Einheit des Rätsels deuten. Es steht jeweils am Anfang der Zeilen 16, 31, 47, 66 und 98 und ist somit als Einleitung eines neuen Abschnittes des Rätsels zu sehen.

A.J. Wyatt, der in seiner Ausgabe noch drei getrennte Rätsel abdruckte, stellte sich aber in seinen Anmerkungen schon die Frage: „Are the first Three Riddles one riddle?“15. Moritz Trautmann war 1894 als erster der Auffassung, daß es sich um einen zusammenhängenden Text handelt. Außer den oben schon genannten Gründen, die auf ein zusammenhängendes Rätsel deuten, spricht dafür auch noch die fast mathematische Komposition. Jeder der fünf Unterteile besteht aus ca. 15 Zeilen: Teil eins von Vers 1-15, Teil zwei von 16- 30, Teil drei von 31-46 und Teil vier von 47-65. Der fünfte Teil (Verse 66-96) ist doppelt so lang und die übrigen 8 Zeilen bilden die Zusammenfassung des Textes. Ich denke, es handelt sich hierbei keinesfalls um einen Zufall, sondern um einen wohldurchdachten und durchstrukturierten Text, der eine Einheit bildet. Ein weiterer Grund, der auf ein langes Rätsel schließen läßt, ist, daß der Sprecher in allen Teilen des Rätsels derselbe ist.

Wägt man schließlich die Argumente für die Unterteilung in drei Rätsel gegen die für ein einziges Rätsel ab, so kann man wohl ohne Zögern davon ausgehen, daß es sich hier um ein Sturmrätsel handelt.

II. Die Lösung des Rätsels

Wenn die Herausgeber der Exeter Book Riddles sich auch nicht ganz einig darüber sind, um wie viele Rätsel es sich handelt, so haben sie doch eine gemeinsame Meinung über die Lösung. Wyatt löst mit „Storm on land“, „Storm at sea“ und „Storm“16, Williamson mit „Wind“17, Trautmann18 und Pinsker19 geben schließlich die Auflösung „Sturm“. Demnach wird das riddle auch traditionell als „Sturmrätsel“ betitelt. Neben dieser anerkannten Lösung gibt es aber auch einige andere Lösungsvorschläge, die von „Army“20 bis „Fire“21 reichen. Auf diese soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden, da sie sich bei näherer Betrachtung als eher unwahrscheinlich herausstellen.

Wie schon in Kapitel I. angedeutet, besteht das „Sturmrätsel“ aus fünf verschiedenen Abschnitten, die jeweils eine andere Erscheinungsform des Sturmes zum Thema haben, sowie einem sechsten Teil, der als Zusammenfassung des gesamten riddles zu sehen ist. Das Rätsel eröffnet mit einer Rateaufforderung, der sich gleich eine Beschreibung anschließt. Der Rätselgegenstand wird als etwas dargestellt, das stark und mächtig über die Lande zieht, Bäume entwurzelt, den Menschen den Tod bringt und ihr Hab und Gut zerstört. Zweifellos ist hier die Rede von einem gewaltigen Sturm, der über das Land zieht. Diese Beschreibung endet in Zeile neun und die darauffolgenden Verse waren und sind Grund für einige Spekulationen, denn was meint der Poet, wenn er von Wassermassen spricht, die das zu erratende Ding auf seinem Rücken trägt und die die Erdbewohner einhüllten? Trautmann gibt die Erklärung, daß es sich hier um das Wasser handelt, das den Menschen erst beim Baden umfließt, das dann verdunstet und schließlich vom Wind hinweggetragen wird.22 Pinsker hingegen geht in seinem völlig anderen Ansatz davon aus, daß es sich um eine Anspielung auf die Sintflut handelt. Das was der Sturm auf seinem Rücken trägt, ist das Wasser, das den Raum jenseits des Firmaments erfüllt und das, als die Große Flut herunterstürzte, Menschen verschlang und ertränkte.23 Ich tendiere dazu, mich Pinsker anzuschließen, denn der Text suggeriert in Vers 10a mit „ holme gehrefed24, daß sich zwischen Sturm und Wasser noch etwas befinden muß - nämlich das Firmament, das als Zelt die Welt umspannt. Das Wasser bildet keine Einheit mit dem Sturm, wie es Trautmann glauben läßt. Somit wird der Sturm im ersten Abschnitt als etwas beschrieben, das sich mit unvorstellbarer Kraft zwischen Land und Firmament bewegt. Williamson sieht in den ersten 15 Versen des Gedichtes eine allgemeine Beschreibung der Kraft, die der Wind oder der Sturm über die Menschen hat. Er bezieht sich in seiner Annahme auf die folgende Verwendung des Wortes hwilum, das - wie schon in Kapitel I. erläutert - in anderen Rätseln einer allgemeinen Beschreibung folgt.25 Meiner Meinung nach ist der erste Teil des riddles aber alles andere als allgemein gehalten und verdeutlicht in genauen Details die Kraft eines speziellen Sturmes, nämlich dessen an Land.

Der Sturm, der als Lösung für das gesamte Rätsel akzeptiert wird, kann in den ersten 15 Versen noch nachvollzogen werden. Im folgenden zweiten Teil (Vers 16-30) ist dies schon etwas schwieriger, denn hier wird beschrieben, wie das Rätselding unter die Wasseroberfläche taucht, um von dort aus die Meere aufzuwühlen. Hier drängt sich die Frage auf, wie das denn möglich ist. Kann ein Sturm wirklich unter der Meeresoberfläche wüten? Diese Frage soll für den Moment noch zurückgestellt werden und zu einem späteren Zeitpunkt in Kapitel III. näher beleuchtet werden. Das Geschehen spielt sich am, bzw. unter dem Meeresgrund ab, wie wir in den Versen 17-18a (under y þ a ge þ r æ c eor þ an secan, garsecges grund 26 ) erfahren. Des Weiteren ist dies daran zu erkennen, daß das Rätselding von den Wassermassen bedeckt wird (Vers 24a) und sich vom Meeresboden nicht losreißen kann (25b-26a). Die Lösung, die von Pinsker zu diesem Abschnitt des riddles angeführt wird, ist ein Seebeben, das einen hohen Wellengang mit zerstörerischer Kraft verursacht. Ich möchte an dieser Stelle etwas mehr differenzieren und mich den Kommentaren von Trautmann und Williamson anschließen, die mit „der Sturm als Erreger eines See- bebens“27, bzw. „submarine power of wind“28 lösen, da hierbei die Verbindung zwischen der Gesamtlösung Sturm und dem Seebeben deutlicher wird.

Gleiches gilt auch für Abschnitt drei (Vers 31-46), der als eine Fort- führung des vorhergehenden Teils zu sehen ist, da das zu erratende Ding nach wie vor unter der Erde eingeschlossen wird. Der Sturm ist nun aber nicht der Verursacher eines Seebebens, sondern der Erreger eines Erdbebens, d. h. „the subterannean power of wind“29 wird thematisiert. Das Rätselding wird unter der Erde in die Enge getrieben und kann nicht anders, als diese zum Beben zu bringen, was dazu führt, daß die Häuserwände und Behausungen der Menschen wackeln (Verse 37b-40a). Genau wie in Teil zwei des Rätsel ist der Wind auch hier nicht in der Lage, sich selbst zu befreien. Es bedarf ihm der Hilfe seines Herrn und Meisters, den es - wir erinnern uns - auch noch zu erraten gilt.

Der vierte Teil (Verse 47-65) bildet einen weiteren Pol zu Abschnitt zwei. Während der Sturm dort seine Kraft unterhalb der Wasseroberfläche unter Beweis stellt, tut er dies hier nun oberhalb der Meeresoberfläche. Der Sturm auf See wird als äußerst mächtig und mit einer zerstörerischen Kraft ausgestattet dargestellt. Wie auch schon in den Teilen eins und drei bezieht sich der Poet wieder auf die Auswirkungen, die diese Kräfte der Natur auf den Menschen haben. In den Versen 56b-63a wird ein Schiff beschrieben, das voll mit Menschen durch die Wellen hin- und hergeschleudert wird. Eine weitere Stelle (Vers 54b-55a) wird von den Kommentatoren unterschiedlich übersetzt. Pinsker zweifelt an der Übersetzung seiner Kollegen, die die Zeile þæ r bi ð hlud wudu, brimgiesta breahtm mit „then the ship is filled with the yells of sailors“30 übersetzten. Nach Pinsker liegt hier ein Irrtum vor, denn dieser Vers würde eine Unterbrechung im Text darstellen. Wieso sollte der Dichter seine Beschreibung der Macht der Wogen durch zwei Halbverse unterbrechen, die ein Thema - das Schicksal der Menschen - behandeln, das drei Zeilen später noch einmal behandelt wird? Pinsker geht davon aus, daß außer einer Fehlinterpretation des Wortes brimgiesta noch ein Lesefehler bei wudu vorliegt. Er übersetzt brimgiesta nicht mit „Seefahrer“ sondern mit „Brandungsgischt“.31 Bei wudu ist es schon etwas schwieriger, da man bei einer Emendation davon ausgehen muß, daß in der Handschrift die wyn -Rune für eine þ orn -Rune gelesen wurde, was zu einem völlig neuen Wort führt. Nach eingehenden linguistischen Überlegungen, geht Pinsker davon aus, daß das Wort nicht wudu sondern

* þ udu mit der Bedeutung „Aufprall / Geräusch beim Aufprall“ lauten müßte. Die neue Übersetzung würde nun folgendermaßen lauten: „Laut ist der Aufprall, das Getöse des Brandungsgischtes“.32 Für Pinskers Version spricht, daß sich seine Übertragung besser in den Gesamtkontext fügt, da nun zuerst die volle Macht des Meeres und dann die Auswirkungen auf die Seefahrer beschrieben wird. Auch dieser Teil des Rätsels endet mit einer Frage nach dem, der die Macht hat, diese Gewalten zu beruhigen (Vers 65b).

Der nun folgende Abschnitt (Verse 66-96) ist doppelt so lang wie die anderen und beschreibt einen Gewittersturm. In Analogie zu den vorangehenden Abschnitten beginnt der Dichter wieder mit einer dramatischen Beschreibung des Naturereignisses an sich (Verse 66a-79a), bevor er auf die Auswirkungen des Gewitters auf die Menschen eingeht (Verse 79b-88), um schließlich nochmals auf die treibende Kraft hinter dem Sturm zu verweisen (Vers 96). Bemerkenswert ist die Art der Darstellung des Gewittersturms, doch darauf soll in Kapitel IV. näher eingegangen werden.

Die letzten sieben Verse des riddles (97-104) bilden eine Art kurze Inhaltsangabe, wobei jedem Teil ein mit dem Wort hwilum beginnender Satz entspricht. Das Rätsel schließt mit einer Aufforderung, die in ihrem Aufbau der Rateformel in den Versen 14b-15 entspricht und in der der Leser aufgefordert wird herauszufinden, wer denn nun das ganze Rätsel hindurch gesprochen hat und wer oder was sich als treibende Kraft hinter ihm verbirgt.

Auffällig ist, daß trotz den im Text auftretenden doppelten Rätselfragen von Kommentatoren des Rätsels fast immer nur der Sturm als einzige Lösung angegeben wird. Die Antwort auf die Frage „Wer bewegt mich?“ wird entweder nur am Rande beantwortet oder gar ganz außer Acht gelassen. Im ersten Abschnitt des riddles wird in Vers 2b gefragt, „ hwa mec on si ð wr æ ce “ 33 und in Vers 14b „ saga hwa mec þ ecce “ 34. Wer oder was ist es nun, das den Sturm in seinen verschiedenen Erscheinungsformen weckt und auf den Weg schickt? Der Poet bezieht sich hier ohne Zweifel auf die Kraft der Natur, hinter der die göttliche Allmacht steht. Da die Fragen jeweils mit dem Wort hwa beginnen, ist davon auszugehen, daß sogar Gott selbst als Lösung anzusehen ist.

Geht man nun ganz mathematisch an das Problem der Gesamtlösung des Rätsels heran, so findet man heraus, daß den zwei Rateaufforderungen „ saga hwæt ic hatte “ in den Versen 15a und 102b - den einzigen Stellen, in denen nach dem sprechenden „Ding“ selbst gefragt wird - sechs ausführlichere Fragen gegenüberstehen, die sich auf Gott beziehen. Sie finden sich einerseits in Verbindung mit den Fragen nach dem „wer bin ich?“ in den Versen 14b (saga, hwa mec þ ecce) sowie als zweiteilige Frage in den Versen 103-104 (hwa mec r æ re, þ onne ic restan ne mot, o þþ e hwa mec st æðþ e, þ onne ic stille beom 35 ). Andererseits tauchen sie alleinstehend in den Versen 2b (hwa mec on si ð wr æ ce), 27b-30b (saga, þ oncol mon, hwa mec bregde of brimes f æþ um [...] 36 ) und 65b (hwa gestille ð þæ t?) auf.

Zu diesen direkten Rateaufforderungen kommen noch weitere An- deutungen auf die Macht, die hinter dem Sturm steht und diesen dirigiert. Dies ist der Fall an sieben Stellen des Rätsels: Gott wird hier beschrieben als hohe Macht (heahum meahtum), die den Sturm auf Wanderschaft schickt (Verse 10b-11a), als Wegweiser (min latteow) und derjenige, der den Wind aus seinem unterirdischen Gefängnis befreit (Verse 26b-27a), als der Herr (min frea 37 ), der den Sturm unter der Erde einsperrt und dort festhält (Verse 31ff.) und als derjenige, der den Sturm in Fesseln legt (efne swa mec wisa þ , se mec wr æ de on æ t frumsceafte fur þ um legde - Verse 43a-44b). In Vers 46 wird der Allmächtige wie schon an früherer Stelle mit einem Wegweiser (of þæ s gewealde, þ e me wegas t æ cne ð .) verglichen. Die folgenden Stellen sehen Gott als wahrhaften Schöpfer (so ð meotud - Vers 84) und als Herr des Sturms (meahtum gemanad mines frean - Vers 96). Die Wortwahl des Dichters zeigt, daß Gott das Höchste und Mächtigste darstellt, über dem nichts mehr anzusiedeln ist. Der Sturm selbst wird in Vers 97 schon als þ rymful þ eow (mächtiger Knecht) beschrieben. Die zwei Wörter stehen eigentlich in totalem Gegensatz zueinander (Oxymoron), denn ein Knecht kann nicht gleichzeitig viel Macht innehaben und jemand anderem unterworfen sein. Aus dieser Beschreibung kann man nun aber den Schluß ziehen, daß der Herr des Knechtes mit einer Macht ausgestattet ist, die weit über dem Vorstellbaren liegt und schon nicht mehr in Worte zu fassen ist, denn was ist schon größer als „mächtig“?

In meinen Augen ist es nicht ganz richtig, dieses riddle als „Sturmrätsel“ zu betiteln, denn ich sehe den Hauptschwerpunkt nicht in der Darstellung der verschiedenen Erscheinungsformen eines Sturmes, sondern eher in einer Ver- herrlichung der Macht Gottes. Da es aber als verwerflich gilt und als Sünde anzusehen ist, Gott selbst abzubilden und zu beschreiben, muß der Poet ihn indirekt darstellen und er tut dies dadurch, indem er erzählt, wie sich Gottes Macht in der Natur zeigt. Campbell löste das Rätsel schon mit „power of nature“ und Pinsker schloß sich ihm in gewisser Weise an, indem er als Lösungs- vorschlag „Die Allmacht Gottes in der Natur“ angibt.38 Auf der anderen Seite scheint Pinsker aber nicht ganz hinter diesem Vorschlag zu stehen, da er in seiner Ausgabe von 1985 wieder den Sturm als Gesamtauflösung gibt. Es ist zwar richtig, daß ein Ding das gesamte Rätsel hindurch in der ersten Person Singular redet, und daß es auch gilt, herauszufinden, um wen oder was es sich dabei handelt. Trotzdem wurde diese Art der Verrätselung doch vom Dichter nur gewählt, um einer direkten Abbildung Gottes aus dem Wege zu gehen und um an Beispielen, die dem Menschen bekannt sind, die Macht Gottes zu beweisen. Demnach würde ich es als besser befinden, die „Macht Gottes in der Natur“ als Lösung für das ganze Rätsel zu sehen.

III. Die Quellen des „Sturmrätsels“

Das Problem der Anerkennung des „Sturmrätsels“ als ein zusammen- hängendes riddle lag unter anderem darin begründet, daß ein Rätsel auch eine Lösung haben sollte. Diese Forderung ist im vorliegenden Fall etwas zu modifizieren, denn da nach zwei verschiedenen Dingen gefragt wird, sind auch zwei Lösungen anzugeben. Die Auflösung der Frage „ Saga hwa mec wecce “ wurde mit „Gottes Allmacht“ schon gegeben. Kommentatoren taten sich jedoch oft schwer damit, eine einheitliche Lösung zu der Frage „ Saga hw æ t ic hatte “ anzugeben. Dietrich, der sich als einer der ersten mit anglo-sächsischer Literatur auseinandersetzte, ging, wie bereits in Kapitel I. erwähnt, von drei Rätseln aus, die jeweils unterschiedliche Formen eines Sturmes darstellen. In Kapitel II. dieser Arbeit tauchte jedoch ein Problem auf, das die Lösung „Sturm“ in Frage stellt - jedenfalls dann, wenn man vom heutigen Stand der Wissenschaft ausgeht. Es sei hier noch einmal angemerkt, daß das „ ic “ im gesamten Rätsel dasselbe ist und somit das handelnde Ding alle beschriebenen Naturereignisse - Sturm an Land, Seebeben, Erdbeben, Sturm auf See und Gewittersturm - hervorruft. Der beschriebene Sturm an Land in den Versen 1-15, sowie der auf See (Verse 47-65) läßt sich für uns noch nachvollziehen. Schwieriger hingegen wird es bei den Ursachen des Erd-, bzw. Seebebens und des Gewitters. Kann der Wind unter der Erde verschwinden, um diese von unten zum Beben zu bringen? Wird der Donner durch zusammenstoßende Wolken hervorgerufen?

Da sich dieses Problem mit unserem modernen Wissen nicht lösen läßt, muß man die Antwort wohl in der Zeit der Entstehung des Textes, d.h. in der Weltsicht des frühen Mittelalters suchen, wo man auch fündig wird. Der Dichter des Rätsels lies beim Schreiben des Textes nicht seiner Phantasie und seinem Erfindungsreichtum freien Lauf, sondern er stützte sich auf antike, bzw. frühmittelalterliche wissenschaftliche Abhandlungen, die zu seiner Zeit Gültigkeit besaßen.

Von den Kommentatoren des ersten Rätsels werden unterschiedliche Quellen angegeben: Lukrez‘ De Rerum Natura, das zweite Buch von Plinius‘ Historia Naturalis, Bedas De Natura Rerum und Isidor von Sevillas De Natura Rerum.39 Alle Herausgeber der Exeter Book Riddles geben an, daß sich die Darstellung der im Rätsel vorkommenden Naturereignisse nicht auf eine einzige Quelle bezieht, sondern auf mehrere zurückgreift. Dies würde nun als Folge nach sich ziehen, daß der Verfasser des riddles all diese Quellen gekannt und gelesen haben muß, um daraus die für ihn interessanten und wichtigen Aspekte herauszuziehen. Es gibt jedoch ein weiteres antikes Werk, das alle Aspekte in sich vereint und das wahrscheinlich auch als Grundlage für die obengenannten Quellen gedient haben dürfte: Die Naturales Questiones des Stoikers Lucius A. Seneca.40 Bedas Erkenntnisse stammen zweifelsohne von Plinius und Isidor von Sevilla, die er teilweise wortwörtlich zitiert. Von den anderen drei Quellen kann aber davon ausgegangen werden, daß sie sich auf stoische Ansichten berufen. Es erscheint jedoch relativ unwahrscheinlich, daß der Dichter Zugriff auf Senecas Werk hatte, da nichts von einem Manuskript im anglo-sächsischen Raum bekannt ist.41 Dies muß nichts heißen, da ein etwaig vorhandenes Exemplar durch widrige Umstände verschwunden oder zerstört worden sein könnte. Da man aber sicher sein kann, daß die Quellen letztendlich auf die stoische Weltsicht zurückgehen, möchte ich im Folgenden die Art der Dar- stellung von Naturereignissen im „Sturmrätsel“ an Senecas Naturales Questiones belegen. Bei der Lösung unseres Rätsels bereiten nur die Darstellung von Erd- und Seebeben sowie die eines Gewitters gewisse Verständnisprobleme hinsichtlich der naturwissenschaftlichen Auffassung. Bei den Abschnitten, die den Sturm an Land und auf dem Meer behandeln, kann man problemlos die Gesamtlösung des Rätsels „Sturm“ nachvollziehen und aus diesem Grund möchte ich diese im Nachfolgenden ausklammern.

Seneca beginnt seine Darstellung der Gründe eines Erdbebens mit der Meinung von verschiedenen anderen Wissenschaftlern, wobei er sich selbst der Argumentation Archelaos‘ anschließt.

Spiritum esse qui moveat et plurimis et maximis auctoribus placet. [...] Venti in concava terrarum deferuntur; deinde, ubi iam omnia spatia plena sunt et in quantum aer potuit densatus est, is qui supervenit spiritus priorem premit et elidit ac frequentibis plagis primo cogit, deinde proturbat. Tum ille quaerens locum omnes angustias dimovet et claustra sua conatur effringere; sic evenit ut terrae motus futurus est, praecedit aeris tranquillitas et quies, videlicet quia vis spiritus queae concitare ventos solet in inferna sede retinetur. 42

Nobis quoque placet hunc spiritum esse qui possit tanta conari, quo nihil est in rerum natura potentius, nihil acrius, sine quo ne illa quidem quae vehementissima sunt valent. 43

Demnach entsteht ein Erdbeben dadurch, daß Luft durch Kanäle in unter- irdische Höhlen strömt. Da immer mehr Luft hinterher fließt, entsteht ein immenser Druck, der die Erde zum Beben bringt. Ähnlich verhält es sich bei einem Seebeben:

Spiritus intrat terram per occulta foramina, quemadmodum ubique, ita et sub mari; deinde, cum obstructus ille est trames per quem descenderat, reditum autem illi a tergo resistens aqua abstulit, huc et illuc refertur et sibi ipse occurens terram labefactat.44

Der Unterschied zum gewöhnlichen Erdbeben besteht lediglich darin, daß der Wind hier durch das Wasser am Zurückfließen gehindert wird. Er strömt hin und her, sucht einen Ausweg, stößt mit sich selbst zusammen und bringt damit den Meeresgrund zum Wackeln. Diese Darstellung stimmt völlig überein mit der im „Sturmrätsel“, wo der Dichter beschreibt wie der Rätselgegenstand von seinem Herren unter der Erde eingesperrt wird und beim Suchen nach einem Ausweg so heftig agiert, daß die Erde bebt (Verse 36b-37b). Des Weiteren schreibt der Poet, daß vor dem Beben absolute Stille über Land und Meer herrscht (Verse 40b-42b), ein Phänomen, das auch von Seneca thematisiert wird.45

Das Gewitter mit Blitz und Donner in seinen verschiedenen Er- scheinungsformen wird von Seneca sehr ausführlich behandelt. Er geht genau auf die unterschiedlichen Geräusche eines Donners vom Gruseln bis zum lauten Krachen und die verschiedenen Arten von Blitzen und Wetterleuchten sowie deren Entstehung ein. Für uns sind folgende Passagen von Interesse:

Fulmen ignem esse, et aeque fulgurationem, quae nihil aliud est quam flamma, futura fulmen, si plus virium habuisset.[...] Potest ergo fieri ut nubes quoque ignem eodem modo vel percussae reddant vel attritae.

Videamus quantis procellae viribus ruant, quanto vertantur impetu turbines. 46

Seneca sieht den Blitz und das Wetterleuchten als Feuer47 am Himmel, wobei das Wetterleuchten die schwache Form eines Blitzes darstellt. Das „Feuer“ wird hervorgerufen durch die Wärme, die beim Aneinanderreiben zweier Wolken entsteht. Der Verfasser des „Sturmrätsels“ spricht von dunklen Geschöpfen, die Feuer schwitzen (Verse 72b-73b), wobei sich die dunklen Geschöpfe auf die tiefschwarzen Wolken beziehen, aus denen die Blitze wie Feuerpfeile auf die Erde zucken. Die Erklärung für die Entstehung von Donner, die im riddle mit „ ond gebreca hludast, þ onne scearp cyme ð sceo wi þ o þ rum, ecg wi ð ecge48 (Verse 70b-72a) gegeben wird, findet ihre Entsprechung in folgender Text- passage der Naturales Questiones:

Praeter haec natura aptus est aer ad voces. Quidni, cum vox nihil aliud sit quam ictus aer? Debent ergo nubes utrimque conseri, et cavae et intentae. 49

Aus Senecas Sicht ist die Luft hervorragend dafür geeignet, Geräusche zu verursachen, denn ein Geräusch ist nichts anderes als Luft, gegen die geschlagen wird. Somit ist eine Wolke eine Art Trommel, deren Hohlraum mit Luft gefüllt ist und wenn nun eine andere Wolke vom Wind getrieben dagegenstößt, entsteht ein lautes Geräusch, das wir als Donner hören.

Ich denke, daß mit dieser kurzen Darstellung deutlich wurde, daß der Sturm - oder allgemeiner die Luft - in den Augen der frühmittelalterlichen Naturwissenschaft, die sich auf antike Ansichten stütze, tatsächlich als Auslöser für die im „Sturmrätsel“ beschriebenen Naturereignisse gesehen werden kann. Die wissenschaftliche Genauigkeit der Darstellung führt auch zu der Ansicht, daß man das riddle eher als ein Lehrgedicht denn als ein einfaches Rätsel sehen sollte. Zu Senecas Ausführungen sei noch angemerkt, daß es sich hierbei eher um naturphilosophische Aufsätze handelt, d.h. die Erscheinungen werden rein spekulativ erklärt, Beobachtungen und Erfahrungen beschrieben, ohne dafür irgendwelche Experimente durchgeführt zu haben.

IV. Das poetische Werk

Bereits bei den Überlegungen zur Einheit des Rätsels fiel auf, daß der Dichter die 104 Zeilen genau durchstrukturiert hat. Das riddle beginnt mit einer Aufforderung zum Raten und endet mit einer solchen, d.h. es wird ein Rahmen für den Text gegeben. Die Teile drei bis fünf beginnen jeweils mit dem Wort hwilum und die Teile eins bis sechs enden alle entweder mit einer Rateformel, die sich auf Gott bezieht (Verse 14b-15b, 27b-30b, 65b und 102b-104b) oder mit einer Anspielung auf den „Herrn“ des Sturms (Verse 46 und 96). Somit ist jeder Abschnitt klar erkennbar und der Leser wird durch die teilweise rhetorischen Fragen im Text immer wieder an das eigentliche Thema erinnert. Ich spreche von rhetorischen Fragen, da man davon ausgehen kann, daß die Lösung auf die Frage „Wer treibt mich?“ bereits nach dem ersten Teil bekannt ist und damit die folgenden Fragen keine Antwort mehr verlangen, weil sie diese schon implizit in sich tragen. Die letzten acht Verse des Gedichts spiegeln die Struktur der vorangehenden Zeilen fast genau wider. Hier wird auch die These von Williamson in gewisser Weise bestätigt, da er ja davon ausgeht, daß die ersten 15 Verse eine allgemeine Einführung darstellen50, die durch den folgenden Text genauer bestimmt wird. Geht man nun davon aus, daß jedem Teil des Gedichtes ein Satz in der Zusammenfassung am Ende entspricht, wäre Vers 97 eine Verweisung auf den ersten Teil, der mit „Sturm an Land“ gelöst wurde. Dieser Vers ist jedoch im Resümee sehr allgemein gehalten, während die folgenden sich genau den anderen Teilen zuordnen lassen. Es spricht außerdem für Williamsons Argumentation, daß es keine weitere Verweisung auf den Landsturm gibt. Die Aufzählung folgt mit einer Ausnahme der Reihenfolge im Gedicht, denn während sie im Text Seebeben, Erdbeben, Sturm auf See und Gewittersturm lautet, werden am Ende See- und Erdbeben vertauscht. Bemerkenswert ist hier auch noch die Tatsache, das selbst die unterschiedliche Länge der Abschnitte in der Zusammenfassung berücksichtigt werden. Der Gewittersturm, der im Rätsel in doppelt so vielen Versen dargestellt wird wie die anderen Phänomene, wird auch im Resümee (Verse 100b-102a) in doppelt so vielen Versen beschrieben.

Die genau durchdachte Struktur ist in meinen Augen schon ein deutlicher Hinweis auf den hohen poetischen Wert des Textes, der weiterhin in der sprachlichen Gestaltung erkennbar ist. Der Poet benutzt eine Metaphorik, die sich einheitlich durch das gesamte Gedicht zieht. Immer wieder ist die Rede von der Kraft, Gewalt und Macht des Sturmes und seines Herren (þ rymful - mächtig, þ rymma sumne h æ ste on enge - [hält mich] Mächtigen gewaltsam in der Enge, strong ond sti ð weg - stark und zielsicher), von Zerstörung (folcsalo b æ rne - Wohnstätten verbrenne, beamas fylle - Bäume fälle) und vom Elend der Menschen (w æ lcwealm wera - Mord und Tod den Menschen, micel mod þ rea monna cynne - große Seelenbedrängnis für das Menschen- geschlecht). Der Sturm selbst wird anthropomorphisiert und als Kämpfer dargestellt, der die Befehle seines Führers ausführt. Charakterisierend für ihn sind Wörter oder Sätze wie winnende (kämpfend), winne (ich kämpfe), bzw. „ ic þæ s orleges or anstelle “ (ich mache den Anfang dieses Kampfes). Diese Metaphorik findet ihren Höhepunkt in der bedrohlichen Darstellung des Gewittersturmes, in der nicht nur von einem einzelnen Kämpfer die Rede ist, sondern von einer gesamten Armee, die Todesspeere (Vers 83) auf die Erde niederschießt. Der Dichter baut in diesem Teil eine finstere Atmosphäre auf, denn durch den dunklen Himmel ziehen Gewitterwolken, die als earpan gesceafte (dunkle Geschöpfe), atol eored þ reat (schreckliche Reiterschar) und schwarz schreitende Gespenster (Verse 81b-82b) dargestellt werden. Die dunkle Situation wird von todbringenden Blitzen durchsetzt und Regen fällt unaufhörlich auf die Erde. Jeder, der sich nicht rechtzeitig vor diesen Naturgewalten in Sicherheit bringen kann, muß damit rechnen, sein Leben lassen zu müssen. Um diese Endzeitstimmung noch besser vorstellbar werden zu lassen, werden auch akustische Aspekte verwandt. In den Versen 69b-70b heißt es „ se bi ð swega m æ st, breahtma ofer burgum, ond gebreca hludast “, d.h. die Luft ist erfüllt von einem ungeheuren Lärm und Getöse. Die gesamtheitliche Darstellung, die alle Sinne anspricht, gibt dem Text eine ziemliche Dynamik, die der Leser auch nachvollziehen kann, man möchte sagen der Leser spürt den Windstoß. Diese Dynamik findet sich nicht nur in diesem Teil des riddles, sondern sie zieht sich durch das ganze Gedicht. Überall finden sich Wörter, die die Bewegung ausdrücken, so beispielsweise in den Versen 3a (astige - ich er- hebe mich), 4b (þ ragum wr æ ce - stürmisch dahinlaufend), 19b (fam gewealcen – der Schaum wird herumgeschleudert), 39b (weallas beofia ð - die Wände beben) oder in 86a-87a (of gestune l æ te ð str æ le fleogan, farende flan - aus dem Lärm seine Pfeile fliegen läßt, die fahrenden Pfeile). In allen Abschnitten übernimmt der Sturm einen aktiven Part und der Poet beschreibt das Geschehen mit äußerst differenzierten sprachlichen Mitteln. Man beachte in diesem Zusammenhang die Wortvielfalt, mit der der Sturm auf See beschrieben wird. Der Verfasser des „Sturmrätsels“ verfügte sicherlich über große Aus- druckskraft und Redegewandtheit. Es ist anzunehmen, daß es sich um einen gebildeten Mann handelte, da er erstens des Schreibens mächtig war und zweitens die lateinischen Quellen studieren konnte. Er hat uns sicherlich eines der eindrucksvollsten Zeugnisse altenglischer Rätselliteratur hinterlassen.

V. Literaturverzeichnis

Crossley-Holland, Kevin. The Exeter Book Riddles. London (Penguin) 1993.

Hacikyan, Agop. A linguistic and literary analysis of old English riddles. Montreal (Mario Casalini Ltd.) 1960.

Lapidge, Michael. „Stoic Cosmology and the Source of the First Old English Riddle“. In: Anglia . Tübingen 1994. 112/1-2. pp 1-25.

Mitchell, Stephen A. „Ambiguity and Germanic Imagery in OE Riddle 1: ‚Army‘“. In : Studia Neophilologica. Vol. LIV Nr. 1. Uppsala, 1982. pp 39-52.

Pinsker, Hans. „Bemerkungen zum altenglischen Sturmrätsel“. In: Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik. Band 6, Heft 2. Tübingen (Narr Verlag) 1981. pp. 221-226.

Pinsker, Hans und Ziegler, Waltraud (eds.). Die altenglischen R ä tsel des Exeterbuches. Heidelberg (Carl Winter) 1985.

Seneca, Lucius Annaeus. Naturwissenschaftliche Untersuchungen. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1995.

Trautmann, Moritz (ed.). Die altenglischen R ä tsel. Heidelberg (Winter) 1915.

Tupper, Frederick (ed.). The Riddles of the Exeter Book. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1968.

Williamson, Craig (ed.). The Old English Riddles of the Exeter Book. Chapel Hill (University of North Carolina Press) 1977.

Wyatt, A. J. (ed.). Old English Riddles. Boston (Heath & Co. Publishers) 1912.

VI. Anhang

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Bei der Angabe der Zeilen beziehe ich mich auf die Zeilenzählung im Anhang, die davon ausgeht, daß es sich um ein Rätsel handelt.

2 Frederick Tupper (ed.), The Riddles of the Exeter Book, (Darmstadt, 1968), p. 69.

3 Beispielsweise in Rätsel 51 nach Pinskers Zählung - Schreibgerät und drei Finger.

4 Dies war notwendig, da die Schreiber sehr ökonomisch mit dem vorhandenen teueren Pergament umgehen mußten und daher dieses sehr eng beschrieben.

5 Moritz Trautmann, Die altenglischen R ä tsel, (Heidelberg, 1915), p. 65.

6 Agop Hacikyan, A linguistic analysis of old English riddles, (Montreal, 1960), p. 8.

7 Craig Williamson (ed.), The Old English Riddles of the Exeter Book. (Chapel Hill, 1977), p.127.

8 Alle deutschen Übersetzungen nach Pinsker: Sage, wer mich weckt oder wie ich heiße, der ich diese Lasten trage.

9 Sage, kluger Mann, wer mich herausreißt aus der Umarmung der Flut, wenn die Ströme wieder still werden, die Wogen sanft, die mich vorher bedeckten.

10 Wer beruhigt das?

11 Sage, wie ich heiße oder wer mich auferstehen läßt, wenn ich nicht ruhen darf, oder wer mich stehen bleiben läßt, wenn ich regungslos bin.

12 Beispielsweise Rätsel 14 nach Pinskers Zählung.

13 Beispielsweise Rätsel 57 nach Pinskers Zählung.

14 Williamson, p. 128.

15 A.J. Wyatt (ed.), Old English Riddles, (London, 1912), p. 66.

16 Wyatt, pp. 66 ff.

17 Williamson, p. 127.

18 Trautmann, p. 65.

19 Hans Pinsker (ed.), Die altenglischen R ä tsel des Exeterbuchs, (Heidelberg, 1985), p.148.

20 Stephen A. Mitchell, „Ambiguity and Germanic Imagery in OE Riddle 1: ‚Army‘“, In: Studia Neophilologica, Vol. LIV Nr. 1, (Uppsala, 1982), pp 39-52.

21 Williamson, p. 128.

22 Trautmann, p. 66.

23 Pinsker, 1985, p. 148.

24 Crossley-Holland übersetzt mit „I with my roof of water“.

25 Wiiliamson, p. 129.

26 [Oft gehe ich (...)] unter das Gedränge der Wogen, die Erde aufzusuchen, den Grund des Ozeans.

27 Trautmann, p. 66.

28 Williamson, p. 129.

29 Willaimson, p. 129.

30 Crossley-Holland, p. 5.

31 Hans Pinsker, „Bemerkungen zum altenglischen Sturmrätsel“. In: Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik, Band 6, Heft 2, (Tübingen, 1981), p. 224.

32 Pinsker, 1981, p. 225.

33 Wer mich auf den Weg schickt.

34 Sage, wer mich weckt.

35 Wer mich auferstehen läßt, wenn ich nicht ruhen darf, oder wer mich stehen bleiben läßt, wenn ich regungslos bin.

36 Sage, kluger Mann, wer mich herausreißt aus der Umarmung der Flut [...].

37 Das Wort frea stammt aus dem frühchristlichen Gefolgschaftswesen, wo es soviel wie „Anführer“, „Herr“ oder „Fürst“ bedeutete.

38 Pinsker, 1981, p. 222.

39 Williamson, p. 130.

40 Michael Lapidge, „Stoic Cosmology and the Source of the First Old English Riddle“, in: Anglia, 1994, 112/1-2, pp. 21ff.

41 Lapidge, p. 23.

42 Lucius A. Seneca, Naturwissenschaftliche Untersuchungen, (Darmstadt, 1995), p. 370.

43 Seneca, p. 386.

44 Seneca, p. 390.

45 Seneca, p. 370.

46 Seneca, p. 120.

47 Die Erkenntnis, daß es sich bei einem Blitz um Feuer handeln muß, zieht Seneca aus der Tatsache, daß der Blitz eine Farbe hat, die nur von Feuer herrühren kann, und daß ein Blitz oft die Ursache von großen Bränden ist.

48 Und das laute Krachen, wenn scharf daher kommt eine Wolke gegen die andere, Kante gegen Kante.

49 Seneca, p. 130.

50 Williamson, p. 129.

Final del extracto de 22 páginas

Detalles

Título
Das altenglische "Sturmrätsel" des Exeterbuches
Universidad
University of Mannheim
Curso
Old English Riddles
Calificación
1,7
Autor
Año
1999
Páginas
22
No. de catálogo
V94696
ISBN (Ebook)
9783638073769
Tamaño de fichero
389 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Sturmrätsel, Exeterbuches, English, Riddles
Citar trabajo
Martin Storck (Autor), 1999, Das altenglische "Sturmrätsel" des Exeterbuches, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94696

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