Die Natur in Leni Riefenstahls Das blaue Licht


Seminararbeit, 2002

21 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Mit Technikeinsatz zur Romantik
1.1 Zwei Welten prallen aufeinander
1.2 Auferstanden aus Lawinen
1.3 Erotik, Natur und Junta

2. Autarkes Kunstwerk oder ideologischer Wasserträger?

Eine abschließende Einordnung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Es ist ein Trugschluß zu glauben, das Zerwürfnis von Kritik und Wissenschaft über die Person Leni Riefenstahl und die häufige Einordnung ihrer Arbeit in pro oder contra Faschismuskategorien konzentriere sich alleinig auf Rezeption und Wirkung des Triumph des Willens(1935). Richtiger ist, die Diskussion setzt bereits mit der Evaluation ihres 1932er RegiedebütsDas blaue Licht(1932) an. Aus heutiger Sicht kommen diesem Film gleich mehrere Schlüsselpositionen zu: Zum einen lassen sich in ihm zum ersten Mal die filmischen Ästhetikvorstellungen der Regisseurin Riefenstahl begutachten und, bei entsprechend ausgerichteter Analyse, auf die späteren Parteitags- und Olympiafilme projizieren. Zum anderen ist dieses Spätwerk aus der Zeit der Weimarer Republik dem Bergfilm verhaftet, einem Genre, dem der Filmtheoretiker Siegfried Kracauer allgemein präfaschistische Tendenzen zuschreibt, die er insbesondere in einer mythisch überhöhten Darstellung der Natur sieht, einer antirationalen „Vergötzung von Gletschern und Felsen“.1

Schon im Vorspann vonDas blaue Lichtdominiert die Natur, auch wenn sie noch gar nicht sichtbar ist. Noch vor der Besetzungsliste werden die Drehorte, das Tessin und die bereits im Untertitel erwähnten Dolomiten, aufgeführt. Natur avanciert zum eigentlichen Hauptdarsteller - Ausdruck einer mythischen Regression zu verklärten Romantikvorstellungen und vormodernen Sehnsüchten oder doch eher symbiotisches „Nebeneinander von Bergmystik und moderner Technik“?2

In dieser Arbeit sollen zunächst werkimmanente Funktion und Darstellungsweise der Natur in Riefenstahls Berglegende untersucht werden. Daraufhin werden Charakteristiken des maßgeblich von Arnold Fanck geprägten Bergfilms aufgezeigt und dabei herausgestellt, inwiefern sichDas blaue Lichtin der Machart vom Fanck`schen Realismus unterscheidet. Ausgehend von den polarisierenden Thesen Kracauers wird dann die Faschismusdiskussion beleuchtet. Stets Berücksichtigung finden soll auch, inwiefern die Einflüsse der Moderne und des technologischen Fortschritts sichtbar werden und wenn ja, wie sie im untersuchten Film zum Tragen kommen, oder ob der Grundtenor des Films diesen gesellschaftlichen Einflüssen nicht konträr entgegensteht. Ein weiterer untersuchenswerter Punkt ist die Rolle der Frau. Die intime Beziehung Juntas zu Bergwelt, in der sie sich mit traumwandlerischer Sicherheit zu bewegen versteht, birgt Suggestionen, die über eine reine Selbstinszenierung Riefenstahls3hinausgehen und deren Ambivalenz sich irgendwo zwischen der „Ökonomie des Bergfilmgenres“,4ikonenhafter Unerreichbarkeit, fatal-erotischer Anziehungskraft und als „Quelle von Unruhen und Konflikten“5begründet.

Als Filmvorlage dient die Originalversion vonDas blaue Lichtvon 1932. Dies erscheint gesondert erwähnenswert, da der Version der 1938er Wiederaufführung ein schaler antisemitischer Beigeschmack anhaftet. In ihr wird nur noch Leni Riefenstahl als inszenierende Person erwähnt, Kameramann Hans Schneeberger und insbesondere Produzent Harry R. Sokal und Co-Drehbuchautor Béla Balázs, beide jüdischen Glaubens, wurden aus dem Vorspann entfernt.6Ob dies auf Bestreben der Riefenstahl7zurückzuführen ist oder auf Propagandazwecke des tobis-Filmverleihs,8von der die veröffentlichende Degeto Kulturfilm GmbH eine Tochtergesellschaft war, ist nicht geklärt. Mit einer „judenfreien“ Version gestaltete es sich aber offensichtlich einfacher, die durchwachsenen Kritiken und den mäßigen innerdeutschen Kinoerfolg des Films nach der Erstaufführung 1932, der überall im Ausland als „der deutscheste“9aller Filme gefeiert wurde, auf den „nichtarischen Teil der Presse“10zu schieben.

In der 1951 von Riefenstahl neu geschnittenen und neu vertonten Version wurde schließlich die komplette Rahmenhandlung entfernt und durch eine Off-Stimme ersetzt.11 Dies nimmt dem Film einige interessante und noch zu behandelnde gesellschaftskritische Bezüge, und läßt ihn um so mehr mythisch verklärt erscheinen. Er wird auf diese Weise zu einer zeitlosen Legende ohne Bezug zur Moderne stilisiert, was nicht minder zur eigenen Legendenbildung der Riefenstahl beitragen sollte.12

1. Mit Technikeinsatz zur Romantik

Leni Riefenstahl ist technikbegeistert. Dies wird spätestens bei den Olympiafilmen deutlich, für die sie beispielsweise Gruben ausheben ließ, um den Stabhochsprung besser einzufangen oder mit einem selbstgebauten Katapult für Kamerafahrten bei der Sprintaufnahme experimentierte. Auch die Schienenkonstruktion, mit der sie Hitlers Reden aus umkreisender Untersicht inTriumph des Willensaufnahm, und der an einen Fahnenmast der Nationalsozialisten installierte Fahrstuhl mit einer beweglichen Kamera, der ihr ein ornamentartiges Abfilmen der Massenaufmärsche ermöglichte, sind ebenso legendär wie innovativ.

Der Schwerpunkt der technischen Neuerungen beiDas Blaue Lichterstreckte sich primär auf den exzessiven Einsatz von Filtern und die Verwendung eines von Agfa gerade neu entwickelten Filmmaterials.13 Der besonders im Infrarotbereich hochempfindliche Film erzielte bei gleichzeitiger Verwendung von Rot- und Grünfiltern, die Schneeberger nur auf Riefenstahls stetiges Drängen hin ausprobierte, da er diese Kombination für physikalisch sinnlos hielt,14einen erstaunlichen Effekt:

Tagaufnahmen wirkten wie Nachtaufnahmen. So wurde es möglich, die Sonne zu filmen und als unheimlich strahlenden Vollmond über den Bergen aufsteigen zu lassen. Der häufige Einsatz des lichtempfindlichen Materials bedingt des öfteren eine gewisse Orientierungslosigkeit, welche Tageszeit gerade herrscht. Es stimmt zwar, daß die Berge, bis auf die Klettersequenz von Tonio und Vigo, ständiges Naturlicht genießen, und das Dorf größtenteils nachts gezeigt wird,15oft jedoch verschwimmen die Grenzen. So lassen sich die Tonios Absturz kommentierenden Wolkenmassen nur schwerlich Tag oder Nacht zuordnen. Auch vor der ersten Vollmondsequenz erscheint das ganze Dorf bereits im Dunkeln. Erst als Junta panisch vor Tonios Zudringlichkeit in den mit strahlendem Sonnenlicht durchfluteten Wald flüchtet, wird wieder deutlich, daß gerade heller Tag herrscht.

Die Wolken, durch die diffuse Lichteinstrahlung zugleich mahnend und romantisch ästhetisiert, sind zusätzlich im Zeitraffer aufgenommen und kennzeichnen Tonio durch die beschleunigte Darstellung und einen Schnitt auf den Felsschrein der bereits abgestürzten Dorfburschen als nur ein Opfer unter vielen.

Riefenstahl arbeitet während des ganzen Films intensiv mit Licht. Während die Dorfszenen sehr häufig bedrohlich dunkel gehalten sind, strahlt die Natur.16Der Wasserfall ist alles andere als reißend, im vollen Sonnenlicht umhüllt seine gleißende Gischt die durch starken Weichfiltereinsatz stilisierte Junta, die so mit der Natur eins wird. Die Einwohner Santa Marias dagegen werden allesamt mit einem konturenzeichnenden Seitenlicht porträtiert, das sie erdig und faltig einer markanten, vom bäuerlichen Leben geprägten Bodenständigkeit zuweist. Besonders gut wird in der Sequenz, in der Junta mit ihrem aus dem Fluß gefischten Bergkristall und einem Korb Beeren das Dorf betritt, deutlich, daß, egal welche Person gezeigt wird, in Großaufnahmen der Hintergrund durch den Einsatz von Teleobjektiven und Wegnahme der Schärfentiefe die Umgebung gänzlich zurücktritt. Der beabsichtigte Charakterisierungseffekt, egal ob weichgezeichnete, irreale Junta oder verschwiegener Bauer, wird so nochmals deutlich verstärkt.

Auch wenn bisher viele Szenen nur angerissen wurden, sollte bereits eines deutlich geworden sein: Die neoromantische Ausstrahlung, die Leni Riefenstahl ihrem Film mitgibt, entsteht nicht etwa durch Dialoge, von denen es nur elf an der Zahl gibt. Vielmehr wird die Ausstrahlung durch den durchgängigen Einsatz modernster technischer Mittel erreicht. Mittel der Moderne erzeugen mit formaler Perfektion romantische Verklärtheit und Legendenatmosphäre. Der Film gräbt die Anti-Moderne geradezu mit den Mitteln der Mechanisierung, des instrumentalen Willens aus und verknüpft auf diese Weise Vergangenheit und Gegenwart.17

1.1 Zwei Welten prallen aufeinander

Die Bewohner des kleinen Bergdorfes Santa Maria sind keine Eindringlinge in eine fremde Welt, die Schroffheit der Natur ist durch die Romantisierung deutlich in den Hintergrund gerückt. Die regelmäßig in den Vollmondnächten zu Tode stürzenden Burschen sind nicht auf eine feindliche Umwelt zurückzuführen, auch wenn sie letztendlich am Berg scheitern. Gescheitert sind sie durch ihren Zwang, Junta und ihr Geheimnis zu ergründen, und bereits im Vorfeld, durch das Unverständnis, das sie der „Hexe“ und ihrem Naturverständnis entgegenbringen. Die Kluft zwischen der Traumwelt Juntas, die ihr Seelenheil am Glanze einer Kristallgrotte festmacht, die wiederum wie ein Spiegel des inneren Befinden ihrer selbst erscheint, und der rationalen, den ökonomischen Aspekten unterliegenden Welt der Bauern, ist von Beginn an zu groß, um überwunden zu werden.

Es sind zahlreiche Aspekte, die das Mißtrauen und die Angst gegenüber Junta schüren: Sie wohnt außerhalb des Dorfes, sie ist in den Augen der Dorfbewohner die alleinige Verantwortliche für den Tod der Burschen und undefinierbar mit dem gefährlichen blauen Licht verbunden, sie bezwingt aus unerfindlichen Gründen die höchsten und schwierigsten Berggipfel, sie ist wild und unzivilisiert, sie besitzt immense erotische Anziehungskraft, und sie steht in keinerlei gesellschaftlicher und finanzieller Abhängigkeit.

Die mythische Natur steht der rationalen Dorfwelt gegenüber. Visuell manifestiert wird die Trennungslinie durch die Flußbrücke, die gleichzeitig den Eingang zum Dorf markiert. Junta, die zweimal genötigt wird aus dem Dorf zu fliehen, kann einmal über die Brücke entkommen, braucht diese aber nicht notwendigerweise, da sie durch den Fluß genauso sicher zu entkommen weiß. Für die Bauern ist die Brücke die natürliche Grenze, hinter der außer harter Feldarbeit nur eine Bergwelt auf sie wartet, die sie aufgrund mangelndem Naturverständnisses nicht als ihr sicheres Territorium erachten. Als sie steinwerfend die fliehende Junta verfolgen, bleiben sie daher an der Brücke zurück.

Gerade die in der Bergwelt an den Tag gelegte Sicherheit verliert Junta bei ihren Besuchen im Dorf vollkommen. Ruckartig, leicht geduckt, geradezu statisch bewegt sie sich in Gesellschaft der Bauern. Schützende Natur ist dem dörflichen Gefahrenbereich gewichen. Dieser Gefahrenbereich setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Ökonomie, Kirche, Aberglauben. Der ökonomische Aspekt ist leicht erklärt. Neben der Ernte sind die Bauern vom Erlös gefundener Bergkristalle abhängig, die sie an den lokalen Händler veräußern. Ihre Existenz ist daher genau vom selben Gegenstand wie die Existenz Juntas abhängig, mit dem feinen Unterschied, daß Junta den Bergkristall bewahren muß um zu überleben, die Bauern hingegen müssen ihn veräußern. Es ist daher auch für die Bauern, die anhand des übergroßen Bergkristalls aus Juntas Korb glänzende Augen bekommen, nicht nachzuvollziehen, warum diese den Kristall nicht verkaufen will, sondern wie ein wildes Tier beginnt den Händler zu beißen, als der den Kristall in die Hand nimmt.

Die beiden anderen Punkte, Kirche und Aberglauben hängen eng zusammen. Die Kirche tritt inDas blaue Licht als das Zusammenleben beherrschende und konventionalisierte Instanz auf, die zum einen den Blick auf Fremdes verengt und durch diese Engstirnigkeit wiederum Aberglauben produziert. Dieser existiert gleichberechtigt neben dem christlichen Glauben im Dorf und in den Vollmondnächten, wenn das blaue Licht vom Monte Cristallo unheilvoll abstrahlt, gewinnt er sogar die Oberhand, wird magischer Bann. Immer wieder wird die Dorfkirche in geradezu bedrohender Untersicht gezeigt. Zwei Einstellungen bevor der Wirtssohn Tonio Junta in einem Schuppen bedrängt, zeichnet sich das Kreuz der Kirchturmspitze bedrohlich gegen die am Himmel vorbeiziehenden Wolken ab. Auch das Blickduell, das entsteht, als Junta bei ihrem ersten Erscheinen im Dorf vom Geistlichen vor seiner Kirche entdeckt wird, verliert sie. Sie schlägt die Augen vor dem starren Blick des Pfarrers nieder, woraufhin dieser sich bekreuzigt und in das Gotteshaus eintritt. Auch die zur Messe gehenden alten Frauen bedenken Junta mit verachtenden Blicken. Die Schizophrenie zwischen Aberglauben und Glauben läßt sich nur schwerlich auflösen. Es ist aber deutlich abzulesen, daß auch die Kirche als Teil einer Gesellschaft, die nicht mit der Natur im Einklang lebt und die nicht die Berge und die Wolkenmeere anbetet oder verherrlicht, negativ besetzt ist und Außenstehende nicht akzeptiert. Gerade aber die hier gezeigte überhöhte irrationale Darstellung und Bevorzugung der Natur über allen anderen Dingen, die mit der guten und reinen Junta assoziiert ist, ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die sich auf pro- nazistischer Spurensuche inDas blaue Lichtbefinden.

Vigo, ein Maler aus der fernen Stadt, der im örtlichen Gasthof von Santa Maria logiert, ist das einzige Bindeglied, dem, obwohl er ein zugereister Fremder ist, eine Annäherung an die scheue Junta für eine kurze Zeit gelingt. Durch seine beherzte Rettung der durchs Dorf gejagten und fast vom wütenden Mob gelynchten Junta, sind beide aufeinander aufmerksam geworden. Die Montage nimmt sich dieses Umstandes daraufhin unmittelbar an und nimmt auch schon vorweg, daß der Versuch einer Verständigung scheitern wird:

Junta flieht, noch verwirrt durch die Rettung des Fremden, durch ein helles Labyrinth aus eng gewachsenen Birken. Ihr Gefühlschaos spiegelt sich im Zickzacklauf durch den weglosen Hain ebenso wieder wie in der aufwühlenden Musik Guiseppe Becces. Der Schnitt auf Vigo zeigt diesen vor einer weit geöffneten Tür sitzend, während er über das Geschehene grübelt. Eine Tür, die er zum Herzen Juntas wegen seines Weltbildes nicht aufstoßen wird, es aber dennoch hofft. Die folgende Einstellung zeigt die auf einer Klippe stehende Junta, zurück im eigenen Terrain, mit dem Wasserfall im Hintergrund bereits wieder Herrin über ihre Gefühle und in ihrem Element. Sie blickt zurück ins Tal, nach dem erneuten Schnitt auf Vigo blickt dieser zum Berg hinauf. Als er aufsteht, um Junta hinterher zu gehen, folgt ein Schnitt auf Junta, die davonläuft. Die Parallelmontage wird hier quasi wie beim Schuß/Gegenschuß Verfahren verwendet.

Trotz der weiten räumlichen Entfernung entsteht der Eindruck, die Protagonisten sähen einander und kommunizierten. Auch wird hier schon deutlich, daß Vigo, der nun zögerlich über die Dorfbrücke in Juntas Reich vordringt, nicht in der Lage sein wird, dieser jemals habhaft zu werden. Unmittelbarer Ausdruck dieses Umstandes und der gegensätzlichen Denkweisen Vigos und Juntas, stellvertretend für Natur und Gesellschaft, ist auch die bestehende Sprachbarriere, die bis zum Ende nicht überwunden wird.

Wie durch einige Anmerkungen bereits sichtbar geworden, spiegelt die Natur häufig die inneren Gefühle, besonders die von Junta, wieder oder kommentiert Ereignisse. Einige Beispiele: Der Monte Cristallo ist während Juntas Aufstieg zur geplünderten Grotte von wabernden Nebel umgeben, der sich nach ihrem Tod weiter verdichtet. Als Vigo Junta vor der Berghütte küssen möchte, und sie fort läuft, bleibt sie neben einem vertrockneten, blätterlosen Baum stehen und auf den Monte Cristallo fallen in immer wiederkehrenden Panoramaeinstellungen nur allzu oft schwarze Wolkenschatten, die seine Gefährlichkeit unterstreichen.

Als interessanter Gedankengang erscheint die These, daß bei Vigo auch die Kleidung als Ausdruck innerer Befindlichkeit fungiert. Der wallende Reisemantel, den er bei seiner Ankunft trägt, kennzeichnet ihn nicht nur als Städter, sondern stellt auch gleichzeitig seine Unwissenheit über das lokale Geschehen und seine Distanz zur Natur heraus. Während er mit Junta zusammen ist, ist er hingegen leger im Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln gekleidet und möchte am liebsten „überhaupt nie mehr zu den Menschen zurückgehen.“ Als er Junta schließlich tot im Gras findet, trägt er wieder den schweren Mantel, nicht in der Lage zu verstehen, daß er es war, der das Unglück herbeigeführt hat. Auch war er es, der durch seine Botschaft das Dorf reich gemacht hat. Durch seine Tat und die Teilnahme am rauschenden Fest der freudetaumelnden und trunkenen Dorfbewohner ist er bereits wieder an seinen alten Platz als ein Teil der Gesellschaft zurückgekehrt.

1.2 Auferstanden aus Lawinen

Leni Riefenstahl war, bevor sie sich dazu entschloßDas blaue Lichtals Regisseurin anzugehen, bereits unzufrieden mit ihrem bisherigen Status als Schauspielerin, der sie immer hinter den Bildern Fancks zurückstehen ließ.18Außerdem hatte sie genug von den Quälereien der Dreharbeiten in Eis und Schnee und wollte einen Sommerfilm machen.19Tatsächlich läßt sich inDas Blaue Lichtauch kein Schnee entdecken, was aber nicht gleichbedeutend mit einem Bruch mit ihrem Mentor Arnold Fanck ist. Auch Das blaue Lichtkann noch dem Bergfilm zugerechnet werden. Um zu erkennen, welche Stilmittel Riefenstahl von Fanck weiterführt und was sie anders gestaltet, muß man sich mit dem Fanck’schen Realismus befassen. Wie definiert sich dieser eigentlich, oder ist es nur ein simplifizierender Oberbegriff?

Fanck selbst ließ verlauten, er wolle den Menschen nur die Schönheiten der Bergwelt nahebringen, und damit vor allen Dingen Sehnsüchte der Menschen in den Städten nach Bergen, Schnee und der Natur allgemein befriedigen.20 Er erreichte damit eine breitgefächertes Publikum. Besonders mit seinem FilmDer Heilige Berg(1926),der expressionistische Motive mit denen der Lebensreformbewegung vermengte,21sprach er Anhänger von Freikörperkultur und Anthroposophie22und viele andere Subgruppen an. Allesamt Individuen, die in einer immer schneller werdenden Welt des Fortschritts, der Versachlichung und der Rationalität nach Halt und dem Sinn ihrer Existenz suchten und sich selbst einer Fluchtbewegung zurechneten.

Aus dieser Perspektive scheint es zunächst um so verwunderlicher, daß Fanck allgemein der Neuen Sachlichkeit, die für eine objektive und präzise Realitätswiedergabe steht und gerade nicht mit Licht und Schatten arbeitet, zugerechnet wird. Parallelen vonDer Heilige Bergzu Riefenstahls Regiedebüt sind unübersehbar. Auch die Tänzerin Dioma hat eine intensive Beziehung zur Natur und ihr „Tanz an das Meer“, bei der sie mit ihren Sprüngen und dem rhythmischen Fluß der Montage eins wird mit der Kraft der Wellen,23erinnert an das naturverwobene Wesen der Junta.

In seinen späteren Filmen näherte sich Fanck wieder stärker an die Ästhetik seiner frühen alpinen Ski-Filme an und prägte somit doch noch seinen markanten realistisch- photographischen Stil, den er allerdings oft mit Bildzitaten des Romantikmalers Caspar David Friedrich kombinierte.24Friedrichzitate wurden so oft in seinen Filmen wie Stürmeüber dem Montblanc(1939),SOS Eisberg(1932/33) oderDie weiße Hölle von Piz Palü(1929) entdeckt25, daß dies schwerlich Zufall sein konnte. Diese kuriose Mischung, eine Melange aus Moderne und Romantik, ergeben den eigentlichen fancktypischen Realismus. Die Moderne wird hierbei nicht nur durch ihre dokumentarische Bildqualität sichtbar, sondern auch durch konkrete technische Anwesenheit. Immer wieder taucht der Pilot Ernst Udet in seinem Flugzeug auf und bringt Rettung vor der unbarmherzigen Natur. Auch gibt es Wetterstationen (Montblanc), Touristen (Piz Palü) und weitere positiv gewertete Errungenschaften der Technik und des Fortschritts. Die C. D. Friedrich Einflüsse ergeben dabei eine rückgewendete, handlungsunabhängig melancholische Betrachtungsweise einer so nicht existenten Welt. Fanck scheint mit diesem ständigen Stilmittel auch nicht länger zu einem verklärten Rückzug in die Natur aufzurufen, die Bildkompositionen unterscheiden sich nämlich deutlich vom narrativen Handlungsstrang: Die Charaktere kommen ihren heroischen Trieben nach, sie opfern sich mit nicht gerade geringem Pathos, in der Regel für die Bezwingung eines Berges, ohne Angst vor dem Tod auf.

Das blaue Lichtbedient sich sehr variabel der Traditionen des Bergfilms und kombiniert sie mit eigenen Ansätzen. Das Spiel mit den Sehnsüchten der Natur wird um eine bis auf die Spitze getriebenen Romantisierung erweitert und ist am ehesten mitDer Heilige Bergzu vergleichen, ebenso die expressive Arbeit mit Licht und Schatten. Ein gutes Beispiel für letzteren Punkt ist hier der Absturz Tonios. Nachdem das Geheimnis der Kristallhöhle durch Vigos Entdeckung entweiht wurde, folgt ein Schnitt von der bestürzten Junta auf den Schatten Tonios, der sich auf der nackten Felswand abzeichnet und verdeutlicht, das Tonio emporklettert. Die Nahaufnahme zeigt den sich angestrengt festklammernden Tonio, es folgt eine Detailaufnahme des nachgebenden Felsgesteins, wieder der haltsuchende Tonio, der wackelnde Fels, der strauchelnde Tonio, brechender Fels, der zurückkippende Tonio. Der eigentliche Sturz wird als Fall des Schattens gezeigt, gefolgt vom einen Schnitt auf abstürzende Felsbrocken. Nach einer Einstellung mit einer wild rollenden subjektiven Kamera verdeckt schließlich eine pechschwarze Wolke den Mond.

In Pro- und Epilog findet sich der materialisierte Geist moderner Weltanschauung, der in der um 1866 angesiedelten Haupthandlung nur hinter der Kamera zum Einsatz kommt: Ein Touristenpaar reist im Automobil nach Santa Maria. Das Paar ist modern gekleidet, trägt Autofahrerbrillen und Lederkappen, solche, wie sie auch von Piloten getragen werden. Junta, die bereits zur Ikone stilisiert als Schutzpatronin über das Dorf wacht, und deren Bild in mit Bergkristall besetzten Rahmen von den Kindern des Dorfes angepriesen wird, ist gleichzeitig zur kommerzialisierten Ware verkommen. Auch wenn nie bekannt wurde, wie die Aufteilung der Drehbuchgestaltung letztendlich vonstatten ging,26ist diese Kritik am kapitalistischen System mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Einfluß von Béla Balázs zurückzuführen, der überzeugter Marxist war. Riefenstahl vermeidet bergfilmtypische Aufnahmen von Menschen, bei denen die Hauptpersonen in heroischer Untersicht im Gegenlicht abgebildet werden. Warum auch, die Bauern befinden sich nicht wie die Männerfiguren Fancks im Kampf mit der Natur. Sie reisen nicht aus der fernen Stadt an, um sich in fatalistische Kämpfe mit den Elementen zu messen. Sie steigen vielmehr Junta auf dem Monte Cristallo hinterher, um Licht ins Dunkle ihrer verstörten Wahrnehmung zu bekommen. Die Bauern haben gelernt mit der Natur umzugehen, auch wenn sie nicht frei von falschen Schlüssen und Aberglauben sind. Es ist nicht die Natur, die den Bauern fremde Bedrohung ist und deren Prägung sich in den Falten ihrer Gesichter wiederspiegelt, es sind bestimmte Vorgänge in ihr, das blaue Licht und Junta, die sie sich mit reiner Vernunft nicht erklären können. Zu sehr sind sie mit dem eigenen innergesellschaftlichen Überlebenskampf beschäftigt, der den Geist für eine romantisierte Bergwelt verschließt - Ausdruck einer entzauberten Weltsicht, die sich auch nicht ändert und die sogar ihre Bestätigung findet, wenn nach der Grottenplünderung alles logisch erklärbar, das Übersinnliche vertrieben ist.

Riefenstahl zeigt sich von der Malerei stark beeinflußt. Während sie selbst angibt, die Gesichter der Bauern erinnerten sie an Zeichnungen von Dürer27und an Werke Segantinis,28so ist darüber hinaus der offensichtliche Einfluß von Caspar David Friedrich und seiner subjektiven Befindlichkeit in nahezu jeder Landschaftseinstellung sichtbar. Sei es in den Sonnenaufgänge mit Nebelschwaden oder den menschenleeren romantischen Bergansichten, der Film ist durch und durch angereichert mit „Friedrich“- Atmosphäre. Riefenstahl nutzt den Romantikmaler anders als Fanck. Während Fanck mit seiner Optik bei der „konturierten Härte“29 der Photographie bleibt, treibt Riefenstahl die romantische Stimmung durch Weichzeichner noch mehr in den Vordergrund.

Am direktesten wird der Einfluß des Malers zitiert, als der ankommende Vigo von einer Bergkuppe über das sonnengetränkte Santa Maria und den gischtenden Wasserfall hinab ins Tal sieht. Der Kameraausschnitt erfasst Vigo wie mit einem Bilderrahmen, seine Pose und die Mise en Scène gleichen Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“30auffallend.

Weiteren Einfluß auf Riefenstahls Gestaltung vonDas blaue Licht, scheint F.W. MurnausNosferatu(1921) ausgeübt zu haben. Einige Motive dieses Horrorfilms lassen sich in der Postkutschensequenz bei der Ankunft Vigos wiederfinden und mit der Ankunft Jonathan Harkers vergleichen.31 Die Motive gehören in zahlreichen Abwandlungen heute schon zum allgemeinen Standardrepertoire des Horrorgenres. So antwortet der Postillion nicht auf Vigos Fragen, die Kutschentür schließt sich auf mysteriöse Weise, die anderen Passagiere starren Vigo aus der abfahrenden Kutsche vielsagend an, und der Gastwirt erscheint scheinbar aus dem nichts. Lediglich die Musik kann sich nicht so ganz entscheiden, ob sie mit ihrem Thema lieber beim fröhlichen Geklingel der Postkutsche bleibt oder sich auf die befremdliche Situation Vigos einläßt.32 Auch auf der materialästhetischen Ebene läßt sich eine vage Reminiszenz anNosferatufinden. Balázs setzte sich in seiner „Theorie des Films“ mit Murnaus Vampirfilm auseinander und zeigte sich von den durch Filter erzielten Effekten des Kameramannes Fritz Arno Wagner begeistert. Durch Balázs Anregung wurden eventuell einige dieser Techniken zur Darstellung von unrealen Naturdarstellungen auch beiDas blaue Lichtübernommen.33

1.3 Erotik, Natur und Junta

Die Handlung vonDas blaue Licht wird in den 1970ern, dem Jahrzehnt der außerparlamentarischen Strömungen, auch schon mal in den Kontext der Frauenbewegung gesetzt und in die Täter/Opfer Diskussion von Vergewaltigungen miteingeschlossen.34Auf den ersten Blick abstrus, ist die Thematik nicht ganz soweit hergeholt. In gewisser Weise wurde Junta durch die Zerstörung ihrer Kristallgrotte auch geschändet, ihr Innerstes gebrochen, ihr Seele geraubt. Sie wurde als Wrack zurückgelassen und von niemanden in ihrem Schmerz verstanden. Doch auch die Männer sind Opfer einer fatalen Anziehungskraft, von denen die Holzkreuze, die stummen Zeugen der vielen vom Monte Cristallo abgestürzten Dorfburschen, zu berichten wissen.

Die Position, die Junta den Männern gegenüber einnimmt, ist paradox, was Handlung und Kamera betrifft. Junta wirkt sehr arglos und unschuldig, sie lebt inmitten romantisierter Natur, in einer Hütte, umgeben mit absoluter Tieridylle. Bei ihr lebt ein Hirtenjunge, die einzige Person mit der sie auch verbal kommunizieren kann, was ihre kindliche Naivität unterstreicht.35Von ihr selbst geht also handlungsbedingt keine bewußte Erotik aus. Die tricktechnischen Möglichkeiten von Kamera und Filtertechnik zeichnen sie allerdings in permanenten Großaufnahmen als erotisch. Oftmals verweilt die Kamera sehr lange, um die optischen Vorzüge zur vollen Geltung zu bringen. Egal welche Beleuchtung einer Szene zu Grunde liegt, Junta in Großaufnahme ist immer in ein weiches Vorderlicht getaucht - der idealisierte Männerblick?

Wie auch das blaue Licht, das als natürliches Pendant zu Junta kaum von ihr zu trennen ist, ist sie Ziel der Projektionen von Männern. Tonio und Vigo möchten Junta besitzen, und beide möchten auch die Gewißheit über die Quelle des blauen Lichts gewinnen. Junta ist für Vigo und Tonio eine dieser „abstrakten Rätselfrauen“,36die es zu besitzen, zu bezwingen gilt. Damit stehtDas blaue Lichtden traditionellen Bergfilmen in nichts nach, in denen als melodramatische Komponente Frauen zwischen zwei Männern den Bergen oft Konkurrenz machten. So wird eine Verbindung geschaffen, „zwischen der bedrohlichen Seite der Natur und Energien, die gleichbedeutend sind mit weiblicher Sexualität.“37

2. Autarkes Kunstwerk oder ideologischer Wasserträger? Eine abschließende Einordnung

Siegfried Kracauer legte mit seiner Einschätzung des Bergfilms den Grundstein für eine hitzige Diskussion. Er verdammte den „heroischen Idealismus“38den diese Filme ausstrahlen würden und charakterisierte Bergsteigen als eine Art rituellen Elitesport, bei dem die Gläubigen voller Hochmut auf die „plebejischen Massen“39hinabschauten.

Gleichzeitig lobte er aber die grandiose Landschaftsdarstellung der Fanck-Filme.40Vor allen DingenDer Heilige Berghat es ihm in dieser Hinsicht angetan, die Leuchtkraft des Meeres und auch „das Wallen der Wolkenschübe ist mustergültig verzeichnet.“41An anderer Stelle setzt er die Wolkenmassen ausStürmeüber dem Montblancgleich mit Hitlers Anflug zum Nürnberger Parteitag inTriumph des Willens, und attestiert damit die direkte „Verschmelzung von Gebirgskult und Hitlerkult.“42

Diese Argumentation, wenn auch offensichtlich nicht durchgehend konsequent, berührt allerdings Punkte, die von den Nationalsozialisten tatsächlich stark emphatisiert wurden: Überhöhte Naturdarstellung, Heroismus, Pathos, blinder Enthusiasmus und Selbstaufopferung finden sich in Bergfilmen zuhauf. Wie Thomas Elsässer eindringlich beschreibt, betreiben die Nationalsozialisten ein doppeltes Spiel: Sie rüsten sich als Industriemacht bis an die Zähne zum Eroberungskrieg auf43 und propagieren gleichzeitig eine „anti-technisch, anti-industrielle und anti-städtische“ Gesellschaftskultur.“44Der Begriff vom „reaktionären Modernismus“45trifft diesen Zustand vielleicht am besten.

Die Bergfilme Fancks sind dabei allerdings gewissermaßen freigesprochen, bringen sie doch immer wieder die positiven technischen Phänomene ihrer Zeit zur Geltung.46Sie sind damit lange nicht so regressiv, wie Kracauer sie als Repräsentanten des psychologischen Zustandes einer Nation kurz vor dem Faschismus gerne machen würde.

Es bleibt die Frage nach der Stellung vonDas blaue Licht. Wenn auch die meisten in den Fanck Filmen vorkommenden Motive hier gar nicht mehr anzutreffen sind, so ist es doch vor allem die extreme romantische Überhöhung der Natur und die Erschaffung von Mythos, die plakativ zur Schau gestellt wird, und die sich Hitler für seine Zwecke auch nicht hätte schöner ausmalen können. Für Kracauer ist Junta auch schlicht das zugehörige „Mädchen zu einem politischem Regime“.47Auch die Bewohner Santa Marias passen mit ihren furchigen Gesichtern, die das Leben in den Bergen ihnen zurechtgeschnitzt hat, hervorragend zur Blut und Boden Ideologie der Nazis. Somit wäreDas blaue Lichtein Paradebeispiel eines präfaschistischen Films. Allerdings wäre auch eine andere Argumentation denkbar. Schließlich könnte man anmerken, die Riefenstahl habe den Film geschaffen, bevor sie Hitler getroffen habe und er wollte, daß sie seine Filme mache. Auch ist der Film in einem Kollektiv entstanden, dessen Mitglieder Juden, einer davon sogar bekennender Marxist war. Außerdem war der Bergfilm bei Linken und Rechten gleichfalls beliebt,48wiederum Béla Balázs instrumentalisierte das Naturgefühl des Bergfilms sogar als Anrecht derer, die es mit dem „sozialen Kampf“49ernst meinen, und die es nicht einfach denen überlassen sollten, die es nur zur Ablenkung benutzten.50

Was man allerdings nicht machen sollte, ist, den Film isoliert der gesamtgesellschaftlichen Zustände zu betrachten, unter der Prämisse, der Film sei für sich genommen ein Kunstwerk und Leni Riefenstahl habe keinerlei andere Intentionen gehabt, als ein solches zu erschaffen. Eine solche unkritische Würdigung und blinde werkimmanente Lobpreisung gestaltet sich als fast schon naiv und stellt den Argumentierenden auf die Seite der Riefenstahl, die ihre Kunstvorstellung immer vortrefflich von allen zeithistorischen Ereignissen zu abstrahieren weiß51Auch sind Intention und Wirkung sind nicht immer gleichzusetzen.

Es kann nicht Ziel sein,Das blaue Lichtmit aller Gewalt politisch einzuordnen. Man sollte sich die Weltansichten einer Leni Riefenstahl als letztes zu Herzen nehmen, und sich statt dessen vor Augen halten, daß eine Vereinnahmung des Films durch Hitler und sein Gefolge nahezu unausweichlich war.

Die Nazis haben vieles inventarisiert und auf ihre Fahnen geschrieben: Etwa den Wald, die Berge, Grimms Märchen, die Abenteuer Karl Mays, mit der Romantik gar eine ganze Epoche und eben auchDas blaue Lichtund seine Naturdarstellung. Vieles wurde stilisiert, umgeschrieben, gedanklich neu aufgeladen. Im Falle vonDas blaue Licht wurde der Vorspann ideologiegerecht „bereinigt“ und der Film entsprechend der Parteigesinnung propagandistisch vermarktet. Der Schatten fällt also auf viele Dinge zurück, die schon vorher existiert haben, und die unter dem Mißbrauch des Dritten Reiches ideologisch neu besetzt wurden.

Daß die inDas blaue Lichthochgehaltene Romantik mißbraucht werden mußte, kann man erkennen, wenn man den Nationalsozialismus als verlängerte Eskalation dieser vergangenen Epoche betrachtet.52So attestierte Thomas Mann in seinen aus dem Exil an das deutsche Volk gerichteten Radioreden dem Nationalsozialismus lange Wurzeln im kultur- und bildungsreichen Deutschland, als eine Art „ virulenter Entartungsform von Ideen, die den Keim mörderischer Verderbnis immer in sich trugen. (...) Sie lebten dort auf vornehmen Fuße, sie hießen „Romantik“ und hatten viel Bezauberndes für die Welt.“53

Tatsächlich findet sich in der Romantik ein verstärktes Aufkeimen eines neuen Nationalgefühls quer durch Europa wieder.54In Deutschland herrschte zur Zeit der Frühromantik noch eine engstirnige, klerikal-absolutistische Kleinstaaterei vor, gegen die mit den Freiheitskriegen gegen Napoleon und den Forderungen eines Nationalstaates bis zur Gründung des Deutschen Bundes angegangen wurde.55Mit der Person Hitlers und den technischen Errungenschaften der Moderne haben Nationalismusforderungen und verklärte Mythenbildung ihren katastrophalen End- und Höhepunkt erreicht.

Man sollte daher nicht den Fehler machen, diese besondere Form des Nationalismus, diese „technisierte Mystik“56: rückwirkend mit der „Geschichte des deutschen Geistes selbst zu verwechseln“.57Auch auf die Romantik- und Naturdarstellung vonDas blaueLichttrifft diese Einschätzung zu.

Literaturverzeichnis

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KONNADIS, Elena: Leni Riefenstahl als Berghexe - Zur Montage in ihrem Regiedebüt ‚Das blaue Licht’. In: Filmforum: Zeitschrift für Film und andere Künste. Berlin 1996, o. Jg., H. 5,

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KRACAUER, Siegfried: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt a. M. 1999 (4.Aufl.).

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RENTSCHLER, Eric: Fatal Attractions: Leni Riefenstahl’s ‚The Blue Light’. In: October. New York 1989, H. 48, S. 46 - 68.

RENTSCHLER, Eric: Hochgebirge und Moderne: eine Standortbestimmung des Bergfilms. In: Amann, Frank et al. (Hg.): Film und Kritik. Basel 1992, H. 1, S. 10 - 27.

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Elektronische Quellen

Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG (Hg.): Der Brockhaus Multimedial 2002 Premium.

[...]


1KRACAUER, Siegfried: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt a. M. 1999 (4.Aufl.), S. 121.

2 RENTSCHLER, Eric: Hochgebirge und Moderne: eine Standortbestimmung des Bergfilms. In: Amann, Frank et al. (Hg.): Film und Kritik 1992, H. 1, o. Jg., S. 10 - 27, S. 14.

3Riefenstahls Identifikation und die Vermischung persönlicher Motive mit der Rolle der Junta, die ihr ihren Memoiren zufolge angeblich im Traum einfiel, muß so extrem gewesen sein, daß sie jegliche schlechte Presse als außerordentlichen persönlichen Angriff wertete. Vgl.: RIEFENSTAHL, Leni: Memoiren. Köln 1987, S. 137f. und LENSSEN, Claudia: Leben und Werk. In: Filmmuseum Potsdam (Hg.): Leni Riefenstahl. Berlin 1999, S. 12 - 117, S. 49f.

4RENTSCHLER: a.a.O., S. 18.

5Ebd., S. 27.

6KINKEL, Lutz: Die Scheinwerferin - Leni Riefenstahl und das ‚Dritte Reich’. Hamburg 2002, S. 43f.

7Vgl. ebd.

8LENSSEN: a.a.O., S. 50.

9N.N.: So entstand ‚Das blaue Licht’. In: Beiblatt zum Filmkurier 1938, H. 224, o. Jg., o.S.

10 ebd.

11Vgl. Kinkel: a.a.O.

12Eine Verwechslung der Versionen ist insofern fatal, als daß die Nachkriegsversion völlig neue Konnotationen entstehen läßt, die zwangsläufig zu anderen Schlüssen führen müssen. Besonders deutlich wird dieser Umstand bei E. Konnadis, die die Montage vonDasBlaue Lichtauf Kracauers Faschismusthesen hin durchleuchtet und dabei offensichtlich die 1951er Version zitiert, obwohl sie das Produktionsjahr ihrer Vorlage auf 1932 datiert. Ihr Urteil, gerade mit Hinblick auf die Mystifizierung der Bergwelt und die simultane Verwendung moderner, positiv besetzter Technologie als Teil des Inhalts, die nur durch die Rahmenhandlung gegeben war, ist so zwangsläufig verfälscht. Vgl.: KONNADIS, Elena: Leni Riefenstahl als Berghexe - Zur Montage in ihrem Regiedebüt ‚Das blaue Licht’. In: Filmforum: Zeitschrift für Film und andere Künste. Berlin 1996, o. Jg., H. 5, S. 6 - 10, S. 10.

13WALLACE, Peggy Ann: An Historical Study of the Career of Leni Riefenstahl from 1923 to 1933. Diss. Los Angeles 1975, S. 360f.

14 ebd., S. 367.

15Vgl. das Sequenzprotokoll von Christian Rapp, das Schauplätze mit Tag/Nacht Szenen vergleicht In: RAPP, Christian: Höhenrausch - Der deutsche Bergfilm. Wien 1997, S. 148.

16Eine Ausnahme ist hier die Rahmenhandlung: Hier ist das Dorf ebenfalls lichtgetränkt und weichgezeichnet. Durch den Reichtum, den der Kahlschlag von Juntas Kristallgrotte dem Bauerndorf Santa Maria brachte, ist die Barriere zwischen Mythos und Logos weggebrochen. Die Einwohner haben zwar nicht Juntas Beweggründe verstanden, haben aber ihre Furcht und ihren Aberglauben verloren. Junta ist von der ‚Berghexe’ zur Schutzpatronin des prosperierenden Dorfs aufgestiegen - die Gegensätze zwischen Natur und Gesellschaft sind vollständig verschmolzen.

17 Vgl. RENTSCHLER, Eric: Fatal Attractions: Leni Riefenstahl’s ‚The Blue Light’. In: October. New York 1989, H. 48, S. 46 - 68, S. 50.

18Vgl. LENNSEN: a.a.O., S. 42.

19RIEFENSTAHL: a.a.O., S. 137.

20Vgl. JACOBS, Thomas: Visuelle Traditionen des deutschen Bergfilms. In: Film und Kritik. Basel 1992, H. 1, S. 28 - 38, S. 30.

21Vgl. ebd., S. 32.

22 Vgl. ebd., S. 30.

23RENTSCHLER, Fatal Attractions: a.a.O., S. 55.

24JACOBS: a.a.O., S. 32.

25 ebd., S. 33f.

26Neben Béla Balázs wurde von Riefenstahl explizit auch Carl Mayer als stark unterstützender Mitarbeiter genannt. Der Drehbuchautor von Filmen wie ‚The Cabinet of Dr. Caligari’ oder ‚Sunrise’ wird aber in keiner der Versionen von Das blaue Licht jemals aufgeführt. Vgl. WALLACE: a.a.O, S. 341.

27Vgl. WALLACE: a.a.O., S. 349. Zitiert aus: Riefenstahl, Leni: Kampf in Schnee und Eis. Leipzig 1933, S. 71f.

28Vgl. RIEFENSTAHL: a.a.O., S. 142.

29ROTHER, Rainer: Leni Riefenstahl - Die Verführung des Talents. Berlin 2001 (2. Aufl.), S. 44.

30RENTSCHLER, Fatal Attractions: a.a.O. S. 51.

31 ebd., S. 55.

32Eric Rentschler geht sogar soweit, daß er die komplette Handlung vonDas blaue Lichtmit der von Nosferatuvergleicht. Er weist dabei Vigo die Rolle eines Vampirs zu, der sich als Eindringling gierig nach Junta verzehrt und ihr mit seinem Blick im Morgenlicht die Lebensenergie entzieht. Weitere Vergleiche zieht er zwischen Junta und Nina Harker, die beide in der Rolle des Märtyrers auftreten. Vgl. ebd.: a.a.O., S. 57f.

33Vgl.: WALLACE: a.a.O., S. 362f.

34Vgl.: VAGT, Sigrid: Das blaue Licht - Logik des Entweder - Oder. In: Frauen und Film. Berlin 1977, S. 28.

35Die von Rainer Rother getroffenen Beurteilungen, die das Fallenlassen eines Apfels vor Vigo und das Anbieten der Schlaffstatt direkt neben Junta als Akt der Verführung ausweisen, scheinen unter diesen Gesichtspunkten als fragwürdig.

36Vgl. BRANDLMEIER, Thomas: Sinngezeichen und Gedankenbilder. Vier Abschnitte zu Arnold Fanck. In: Berge, Licht und Traum: Dr. Arnold Fanck und der deutsche Bergfilm. München 1997, S. 69 - 83, S. 83.

37RENTSCHLER, Hochgebirge und Moderne: a.a.O., S. 17.

38KRACAUER: a.a.O., S. 120.

39 ebd.

40ebd., S. 119.

41ebd., S. 400.

42ebd., S. 271.

43ELSAESSER, Thomas: Moderne und Modernisierung - Der deutsche Film der dreißiger Jahre. In: Montage/AV, 3. Jg., H. 2, 1994, S. 23 - 40.

44ebd., S. 29.

45ebd.

46RENTSCHLER, Hochgebirge und Moderne: a.a.O., S. 12.

47 KRACAUER: a.a.O., S. 273.

48RENTSCHLER, Hochgebirge und Moderne: a.a.O., S. 12.

49BALÁZS, Béla: Der Fall Dr. Fanck. Nachgedruckt in: Film und Kritik. Basel 1992, H. 1, S. 4 - 7, S. 7.

50 Vgl. ebd.

51Charles Ford sprichtDas blaue Lichtvon allen Behauptungen frei, die den Film politisieren, da die Intention der Riefenstahl eine andere gewesen sei. Vgl.: FORD, Charles: Leni Riefenstahl. München 1982, S. 45.

52David B. Hinton hingegen vertritt die Auffassung, romantische Ästhetik habe wenig mit

nationalsozialistischer Ideologie zu tun, sie sei nur ein kleiner Teilbereich irrationaler Mythenschaffung. Vgl.: HINTON, David B.: The Films of Leni Riefenstahl. Metuchen, New York und London 1991 (2. Aufl.), S. 20.

53Radiorede vom August 1941, abgedruckt in: MANN, Thomas: Deutsche Hörer! Frankfurt a. M., 1995 (Neuausgabe), S. 34.

54Vgl. Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG (Hg.): Der Brockhaus Multimedial 2002 Premium : Romantik.

55ebd.

56MANN: a.a.O., S.35.

57 ebd.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Natur in Leni Riefenstahls Das blaue Licht
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Veranstaltung
Hauptseminar Leni Riefenstahl
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
21
Katalognummer
V107527
ISBN (eBook)
9783640057887
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Viel Spaß beim Lesen, bis auf die Beiträge von Koebner sind im Literaturverzeichnis alle wichtigen Quellen zum Thema enthalten!
Schlagworte
Natur, Leni, Riefenstahls, Licht, Hauptseminar, Leni, Riefenstahl
Arbeit zitieren
Christoph Meyer (Autor:in), 2002, Die Natur in Leni Riefenstahls Das blaue Licht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107527

Kommentare

  • Gast am 27.1.2003

    Leni ist nicht so einfach über einen Kamm zu scheren.

    Besonders das Fazit erachte ich in der moralisch-feinfühligen und vor allem treffenden Einordnung als gelungen, gerade auch mit Hinblick auf die Diskussion über die Person Riefenstahl im letzten Jahr, anläßlich ihres 100. Geburtstages.

Blick ins Buch
Titel: Die Natur in Leni Riefenstahls Das blaue Licht



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