Rechtsrock als Propagandamittel. Wie kann Musik Menschen beeinflussen und leiten?


Bachelorarbeit, 2016

88 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

1. Einleitung

2. Propaganda

2.1 Wirkung von Musik

3. Musik im „Dritten Reich“

4. Rechtsrock

4.1 Geschichte der Skinheads

4.2 Die Anfänge des Rechtsrock und das Blood & Honour-Netzwerk

4.3 Anfänge der Skinhead-Szene in Deutschland

4.4 Die Anfänge von Rechtsrock und seine Entwicklung

5. Rechtsextremistische Musikszene heute

5.1 Unterschiedliche Stile rechtsextremistischer Musik

5.2 Aktuelle Lage der rechtsextremistischen Musikszene

6. Landser – eine der wichtigsten Bands des Rechtsrock

7. Liedtexte

7.1 Nationalismus

7.2 Antisemitismus

7.3 Neonazismus / Heldengedenken

7.4 Rassismus

7.5 Revisionismus

7.6 Germanische Mythologie

8. Kategorie C die „unpolitischen Rechtsextremisten“

9. Gegenmaßnahmen und Strategien

10. Fazit

11. Literaturverzeichnis


1. Einleitung

 

„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder; böse Menschen haben keine Lieder“.

 

Jeder kennt diese Zeile, welche ursprünglich aus dem Gedicht „Die Gesänge“ von Gottfried Seume stammt. Im Original lautet die erste Strophe: „Wo man singet, lass dich ruhig nieder,/Ohne Furcht, was man im Lande glaubt;/Wo man singet, wird kein Mensch beraubt;/Bösewichter haben keine Lieder.“

 

Diese Zeile impliziert, dass da, wo gesungen wird, nichts Schlimmes passieren kann. Schlechte Menschen singen keine Lieder. Geschichte und aktuelles Tagesgeschehen lehren aber oft das Gegenteil. Musik wird sehr häufig dazu genutzt, böse Absichten zu verbreiten, zum Beispiel in Form von menschenverachtenden oder volksverhetzenden Inhalten. Gerade die rechtsextremistische Szene hat die Macht der Musik in Sachen Propaganda und Rekrutierung neuer Mitglieder für sich entdeckt. Diese Wirkung von Musik als Propagandamittel am speziellen Beispiel von Rechtsrock ist das Thema meiner Bachelorarbeit.

 

Zu Beginn der Arbeit wird der Begriff „Propaganda“ geklärt. Weiterhin werde ich zeigen, dass Musik nicht erst in der heutigen Zeit als Propagandamittel benutzt wird. Hierzu gehe ich kurz auf die Rolle der Musik im „Dritten Reich“ ein.

 

Nachfolgend widme ich mich dem Thema Rechtsrock, sowohl geschichtlich als auch am Beispiel wichtiger Bands. Anhand exemplarischer Textbeispiele zeige ich die Botschaften, welche im Rechtsrock vermittelt werden, auf. Passend zur aktuellen politischen Entwicklung, bei der auch die „Hooligans gegen Salafisten“-Bewegung eine wichtige Rolle spielt, möchte ich die Bedeutung der Musik für die Hooligan-Szene und deren Verflechtungen mit dem Rechtsrock darstellen, beispielhaft an der Band Kategorie C.

 

Abschließend werden Gegenmaßnahmen und Aufklärungsmaßnahmen staatlicherseits sowie Ideen, wie Aufklärungsarbeit im Bereich Kulturpädagogik geleistet werden kann, dargestellt.

 

Zur besseren Lesbarkeit werden auf dieser Website personenbezogene Bezeichnungen, die sich zugleich auf Frauen und Männer beziehen, generell nur in der im Deutschen üblichen männlichen Form angeführt, also z.B. „Kunden“ statt „KundInnen“ oder „Kundinnen und Kunden“.

 

Dies soll jedoch keinesfalls eine Geschlechterdiskriminierung oder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck bringen.

 

Wie mit meinem betreuenden Dozenten abgesprochen, werde ich in den Fußnoten, bei langen Internet-Links, nur die Kurzform aufführen. Die kompletten Links werden im Literaturverzeichnis abgebildet. Die Internet-Links sind in der Reihenfolge ihres Auftretens in der Bachelorarbeit abgebildet und nicht alphabetisch. Dies soll dazu dienen, dass man diese leichter zuordnen kann. Ich habe nicht zu jedem Lied immer Text und einen Link zum Anhören gefunden, daher kann es vorkommen, dass nur Text oder nur ein Link vorhanden ist, unter welchem man sich das Lied anhören kann.

 

Zitate werden im Original, auch mit eventuellen Fehlern, übernommen.

 

2. Propaganda

 

Der Duden beschreibt den Begriff „Propaganda“ wie folgt: „systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher o. ä. Ideen und Meinungen mit dem Ziel, das allgemeine Bewusstsein in bestimmter Weise zu beeinflussen“[1] Der Propaganda geht es also darum, gewisse Botschaften zu verbreiten, sie im Bewusstsein der Menschen zu verankern und im besten Fall diese für seine Botschaft zu gewinnen. Dies kann auf verschiedene Art und Weise geschehen: über Plakate, Reden, Beiträge im Rundfunk und im Fernsehen oder über Musik.

 

2.1 Wirkung von Musik

 

„Fragt man Menschen, warum sie Musik hören, ergibt sich immer wieder, dass Musik vor allem wegen ihrer starken Kraft geschätzt wird, emotionale Reaktionen auszulösen.“[2] Im Leben aller Völker hat Musik schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Das Einwirken von Klängen auf die Psyche und den Körper der Menschen bildet eine Urerfahrung, die schon unsere Vorfahren machten.[3] Musik ist ein Transportmittel für Gefühle. Das Erleben dieser Gefühle beginnt mit dem Hören. „Über den Hörsinn werden emotionale Inhalte von Sprache und Musik transportiert, die die Hirntätigkeit stimulierend oder dämpfend beeinflussen. Abgesehen vom Schmerzsinn ist der emotionale Anteil beim auditiven System am Höchsten.“[4] Das Hören von Musik weckt in den Menschen Emotionen oder Erinnerungen und macht sie so zugänglich für die Botschaften, welche über die Texte der Musik vermittelt werden. Wie die Musik aufgenommen wird, hängt vom jeweiligen Rezipienten ab. Persönliche Faktoren wie persönliches Empfinden oder die musikalische Sozialisation und der individuelle Musikgeschmack spielen eine wichtige Rolle. Wenn meine Stimmung gedrückt ist, höre ich andere Musik, als wenn ich euphorisch bin. Daher lässt sich die Wirkung von Musik auf die Menschen und ihre jeweilige Lebenssituation nicht pauschalisieren.

 

Auch wenn Musik individuell unterschiedlich wahrgenommen wird, ist sie ein wichtiger Faktor bei der Identitätsfindung von Gruppen wie z.B. verschiedene Subkulturen oder auch regionale Volksgruppen oder gar ganze Nationen, welche sich oft über ihre Musik definieren. Im Rheinland, speziell in Köln, ist etwa die Musik in „kölscher“ Mundart ein wichtiges Identitätsmerkmal. Hierüber wird ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen und der Lokalpatriotismus gestärkt. Im „Dritten Reich“ wurde die Musik stark konditionierend eingesetzt. „Musik bzw. bestimmte Lieder können bei Menschen konditionierend wirken. Wie schon erwähnt, ist bekanntes Liedgut meistens mit Erinnerungen und dementsprechenden Emotionen gekoppelt. Bei Massenveranstaltungen kann dadurch ein kollektives Bewusstsein erzeugt werden.“ „Wird ein Stück zu immer gleichen Anlässen gespielt wie etwa der ‚Badenweiler-Marsch’ bei öffentlichen Auftritten Hitlers, bildet sich im Laufe der Zeit bei dem Zuhörer eine Art Konditionierung, die er unter Umständen sein Leben lang nicht mehr los wird.“

 

3. Musik im „Dritten Reich“

 

„Mit Musik geht alles besser, nicht nur die Schiffschaukel, der Rheindampfer und die Liebe, sondern auch die Genickschussanlage und der Weltkrieg. Das ist ein Faktum, das er begriffen hat.“[5] Diese Aussage trifft der Komponist Werner Egk in seinem Werk „Musik-Wort-Bild.“ Mit „er“ meinte er den damaligen Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. Goebbels hatte schnell verstanden, dass der nationalsozialistische Staat über eine gezielt eingesetzte Beeinflussung und Steuerung der Kulturpolitik leichter zu lenken war. Einerseits setzte er dabei auf Kontrolle, andererseits auf Förderung. Zum einen wurde die Musik, die nicht in das Weltbild der Nationalsozialisten passte, verboten, wie zum Beispiel jüdische oder linksgerichtete Musik. Zum anderen wurde die Musik der Nationalsozialisten gezielt gefördert. Nach diesem Verbot, konnte eine relative Gleichschaltung in der Kultur erreicht werden.[6] „In der Wahrnehmung der nationalsozialistischen Programmatiker bedingten Politik, Rassenzugehörigkeit und künstlerische Produktivität einander. Die von angeblich ‚fremden‘ Bevölkerungsteilen ‚gereinigte‘ Volksgemeinschaft müsse sich im – behaupteten – Kampf der Völker um Vorherrschaft und Lebensraum ‚bewähren‘.

 

Hierzu sollte die Wiederbelebung des nationalen Paradigmas der ‚deutschen Kunst‘ beitragen.“[7]

 

Um die Organisation und vor allem die Gleichschaltung der Kultur bewerkstelligen zu können, wurde im September 1933 die Reichskulturkammer gegründet. In dieser mussten sich alle Künstler registrieren, um ihren Beruf weiter ausüben zu können.

 

Dadurch fiel es der nationalsozialistischen Führung leichter, ihren Einfluss auf die Künstler auszuweiten und sich derer mit Berufsverboten zu entledigen, wenn sie nicht in das Weltbild des Nationalsozialismus passten.[8]

 

Musik wurde in der Kultur der Nationalsozialisten zunehmend instrumentalisiert, strikt reglementiert und organisiert. Am 01. 06. 1938 wurden durch die Reichsmusikkammer zehn Grundsätze des deutschen Musikschaffens erlassen, welche unter anderem regelten, dass das Wesen der Melodie gegenüber der Theorie und der Konstruktion betont wurde. Weiterhin wurde dem Volk durch die Musik Erholung Unterhaltung und auch Erquickung zugestanden. Ein weiterer wichtiger Grundsatz war die Verbindung von Volkstum und Musik, was die Verbindung zwischen jüdischer und deutscher Musik ausschloss.[9]

 

Musik wurde im „Dritten Reich“ als wichtiges erzieherisches Moment angesehen und auch genutzt. Dies geschah nicht nur in der Schule und beim Instrumentalunterricht, sondern auch in der Partei und den ihr angeschlossenen Organisationen, im Rundfunk, bei Großveranstaltungen und in den Jugendorganisationen wie in der „Hitlerjugend“ oder im „Bund Deutscher Mädel“.[10] Kunst und Kultur hatten eine zentrale Rolle bei der Legitimation der nationalsozialistischen Herrschaft und sollten dazu beitragen eine Scheinwirklichkeit zu erschaffen. Wahrnehmung und Realitätssinn der Menschen wurden beeinflusst, indem ihnen visuell und auditiv vorgegaukelt wurde, was in der Realität verwehrt blieb. Durch diese Strategie wurde nicht die Wirklichkeit verändert, sondern nur ihre Wahrnehmung, was zur Täuschung über die wahren Motive der Nationalsozialisten führen sollte.[11]

 

Die Indoktrinierung durch die Musik begann – wie gesagt - schon in der Schule. Um eine einheitliche Musikerziehung in der Schule zu gewährleisten, wurde die Schulpolitik der Länder durch das Reicherziehungsministerium überwacht. Alle Schulen mussten nun die Grundlagen des Nationalsozialismus vermitteln, auch im Musikunterricht.

 

Dazu wurden die alten Liederbücher durch neue Liederhefte ergänzt. Lieder, die von jüdischen Interpreten verfasst oder als „entartete Kunst“ eingestuft waren, wurden aus dem Lehrplan entfernt. Ab 1939 übernahm das Erziehungsministerium die direkte Kontrolle über die Liederbücher und stufte diese als wichtige Lernmaterialien ein.[12] Bei anderen Jugendorganisationen wie der Hitlerjugend gibt es Lehrgänge oder Musiktage.[13] „Die Musik wird als Mittel der Propaganda und der Sozialisation Teil der politischen Bildung, mit der bevorzugt kriegerische Werte vermittelt werden sollen.“[14]

 

Bei der Musik im Propagandabereich handelte es sich oft um eingängige Marschmusik oder Volkslieder. Gerade bei großen Veranstaltungen stand das gemeinsame Singen der Lieder im Vordergrund, wodurch ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen wurde, alle sangen mit einer Stimme und waren so eine Einheit. Da es sich oft um einstimmige Melodien handelte, konnten diese auch von musikalisch ungeübten Menschen mitgesungen werden, was den Vorteil hatte, dass jeder in das Geschehen der kultischen Handlung mit einbezogen wurde.[15]

 

Als einer der wichtigsten Märsche im Nationalsozialismus kann das „Horst-WesselLied“ bezeichnet werden. Horst Wessel wurde 1907 geboren und war Mitglied der NSDAP und der SA. 1927 verfasste er den Text des Marsches, die Melodie hat Wessel vermutlich nicht selber komponiert.[16] Durch seinen frühen Tod - er wurde 1930 von Kommunisten erschossen - wurde Horst Wessel zu einem Märtyrer der nationalsozialistischen Bewegung und sein Lied umso wichtiger. Aus Sicht der SA war es eine politische Tat und auch Joseph Goebbels wusste den Tod Wessels geschickt für seine Propaganda zu nutzen. So schreibt Goebbels am Tag nach Wessels Tod: „(…) Er gab dem hinreißenden Ausdruck: er ‚marschiert im Geist in unseren Reihen mit!‘ Wenn später einmal deutsche Arbeiter und Studenten zusammen marschieren, dann werden sie sein Lied singen, und er wird mit ihnen, unter ihnen sein.

 

Er schrieb es hin in einem Rausch, in einer Eingebung, wie aus einem Guß, dieses Lied, das aus dem Leben geboren ward und dazu, wieder Leben zu zeugen. Schon singen es landauf, landab die braunen Soldaten. In zehn Jahren werden die Schulkinder, die Fabrikarbeiter und die Soldaten auf weiten Straßen es singen. Sein Lied macht ihn unsterblich. (…) Die Banner wehen, die Trommeln dröhnen, die Pfeiffen [sic!] jubilieren, und aus Millionen Kehlen klingt es auf, das Lied der Deutschen Revolution (…).“[17]

 

Ab 1933 wurde das Horst-Wessel-Lied, verbunden mit der ersten Strophe des Deutschlandliedes zum Teil der Nationalhymne, die bei allen Veranstaltungen gespielt wurde.[18]

 

4. Rechtsrock

 

4.1 Geschichte der Skinheads

 

Da die Geschichte des Rechtsrock sehr nah mit der Skinhead-Szene und ihrer Entstehung verknüpft ist, gehe ich zunächst auf diese ein.

 

Die Geschichte der Skinheads beginnt in den 1960er Jahren in Großbritannien, beziehungsweise im Londoner East End.[19]

 

„Eigentlich entsprach diese Subkultur in ihren Anfängen dem Idealbild einer antibürgerlichen und multikulturellen Bewegung. So hing die Mitgliedschaft in ihr von keiner ethnischen, kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit ab und ihr zentrales Bindeglied war der Protest gegen soziale Missstände.“[20]

 

Der Skinhead-Kult war „eine im besten Sinne des Wortes multikulturelle Synthese.“[21] Bei der Entstehung dieser Jugendbewegung gab es Parallelen zu den Wilden Cliquen der Weimarer Zeit. Diese beschreibt die Göttinger Sozialwissenschaftlerin Gabriele Rohmann wie folgt: „Die Mitglieder, zwischen 16 und 25 Jahre alt, rekrutierten sich vornehmlich aus dem Arbeitermilieu und gingen, wenn sie nicht von der Arbeitslosigkeit betroffen waren, Gelegenheitsarbeiten nach. Jede Clique hatte einen Anführer, der weniger gewählt wurde als vielmehr aufgrund von Körperkraft, Geschicklichkeit, Mut, Vertrauen und Alter in diese Rolle hineinwuchs.“[22] Die Skinheads der ersten Stunde galten als die rebellische Stimme der englischen Jugend aus der Arbeiterklasse. Die Skinheads stellten laut Forschern des Centre for Contemporary Cultural Studies den Versuch dar, „‚über den „mob‘ die traditionelle Arbeiter-Gemeinschaft als Ersatz für ihren tatsächlichen Niedergang wiederzubeleben.“[23] Sie orientierten sich in ihrer Musik und ihrem Outfit stark an den jamaikanischen Rude-Boys. „Bei den „Rude Boys“ handelte es sich um die Söhne westindischer Einwanderer, deren Auftreten sich schon seit einigen Jahren zu einer Subkultur verfestigt hatte. Westinder bewohnten dieselben Viertel wie die Skins, hatten über Gangs einen persönlichen Kontakt zu ihnen und sahen sich in gleichem Maße als diskriminiert an. Die beiderseitige Ablehnung des Establishments sowie das rüde und selbstbewusste Auftreten der Jamaikaner gaben daher den Ausschlag für ihre Vorbildrolle.“[24] Ihr Auftreten zeichnete sich durch kurzgeschorene Haare und hochgekrempelte Jeans aus, was die Skinheads für ihr äußeres Auftreten übernahmen.

 

Musikalisch übernahmen die Skinheads den Ska und Reggae. Gerade Ska war eine gute Art sich musikalisch von der breiten Masse abzusetzen. Da dieser als dreckig, primitiv und unprofessionell galt[25], wurde die Musik von der breiten Masse ignoriert. Bedingt durch den gleichen Musikgeschmack, den die Skinheads und farbige Jugendliche hatten, besuchten sie dieselben Clubs. Dabei beschränkte sich die Anziehung für die Skinheads aber meist auf die Musik und nicht auf die Menschen.

 

Anfang der 1970er Jahre ebbte die erste Generation der Skinhead-Bewegung ab. Dies lag zum einen daran, dass die Polizei mit harten Maßnahmen gegen gewaltsame Jugendcliquen vorging, zum anderen wurden manche Skinheads älter und wollten ihr Leben nicht nur mit Gewalt- und Alkoholexzessen verbringen.

 

Mitte der 1970er Jahre erlebte die Skinhead-Bewegung eine Renaissance, die eng mit dem Aufleben des Punkrocks in Großbritannien einherging. Die Orientierung an den Punks führte dazu, dass es natürlich eklatante Unterschiede zwischen den Skinheads der Anfangszeit und den Skinheads der zweiten Generation gab. Sie hörten zwar auch teilweise noch Ska- und Reggae-Bands oder klassische Punkbands wie die Sex Pistols, für die „neuen“ Skinheads wurde aber eine andere Musikrichtung wichtiger: der Oi. „Im Prozess einer Verästelung und Verwässerung des Punks war es gerade der so genannte „Streetpunk“, „Real Punk“ oder „Working Class Punk“ der dem Bedürfnis vieler Jugendlicher nach Geradlinigkeit, Glaubwürdigkeit und Protest am ehesten gerecht wurde.[26] Aus dem anarchistisch nach oben gerichteten Punk war somit der nach unten gerichtete Streetpunk als eine spezifische Gattung hervorgegangen, d. h. Musik von der Straße für die Straße. Es war Musik für die Kids von der Straße, welche sozial marginalisiert und von Arbeitslosigkeit betroffen waren, sich trotzdem als stolze Briten und Patrioten bezeichneten. Die Texte griffen die Alltagsprobleme dieser Jugendgruppe auf.[27] Eine internationale Bekanntheit erlangte diese Richtung seit 1979 durch das Lied „Oi! Oi! Oi!“ der Cockney Rejects, in dem von einer gewaltbereiten und protestierenden Straßengang die Rede war. Den Schlachtruf „Oi, oi, oi“ entlehnte die Band einem Schlachtruf aus dem Fußballstadion, der sich bei den Skinheads großer Beliebtheit erfreute: „Joy, joy, joy – Oi, oi, oi.“[28] Gerade diese härtere Gangart in den Texten sprach Jugendliche an, die in ihrem Alltag für Aggressionen und Gewalt anfällig waren. Da Gewalt sowohl in der ersten als auch in der zweiten Generation der Skinheads eine wichtige Rolle spielte, war dies genau die Musik, die sie suchten. So wurden Bands wie die Cockney Rejects oder Sham 69 die neuen „Stars“ der Szene.[29] Mit dem Wiedererstarken der Skinhead-Szene begann auch die Zeit der Unterstützer der National Front. „Die ‚NF‘ verkörperte mit ihren nationalistischen Kampagnen Schreckbild und Karikatur zugleich der britischen Öffentlichkeit. Einerseits knüpfte sie lediglich an Vorbehalte und Vorurteile der Bevölkerung an, andererseits galt die Mitgliedschaft in ihr als verpönt.“[30] Als Gegenpol zur Entwicklung der National Front und ihrer Unterstützer, wurde Rock Against Racism (RAR) gegründet. Dies war eine Konzertreihe, bei der auch Punkbands spielten.[31] Bands, wie Sham 69 hatten immer wieder Probleme mit rassistischen Skinheads, welche die Konzerte durch das Grölen von neonazistischen Parolen oder Prügeleien mit Punks im Publikum störten. Sham 69 sprach sich auf den Konzerten zwar gegen Gewalt und Rassismus aus, konnte den unerwünschten rechtsextremen Teil ihrer Hörer aber nicht abschütteln. [32] Andere Bands wie Angelic Upstarts oder Cockney Rejects distanzierten sich zwar öffentlich von der National Front, duldeten die rechten Skinheads aber auf ihren Konzerten. „Obwohl die Duldung rechter Skinheads in der eigenen Anhängerschaft eigentlich dazu dienen sollte, sie nicht gänzlich der National Front und ihrer Ideologie auszuliefern, so beschleunigte dieser gut gemeinte Versuch einer Einflussnahme die Spaltung der Szene.“[33] Der endgültige Bruch entstand dann durch Krawalle und Ausschreitungen bei Live-Auftritten. Hier sind vor allem zwei Konzerte zu nennen, bei denen es besonders schwere Ausschreitungen gab. Im Sommer 1979 kam es zum Abbruch eines Konzerts der Band Sham 69 durch Skinheads aus dem Dunstkreis des British Movement.

 

Hierüber schrieb die Musikzeitung Sounds: „Die Kneipe gegenüber dem Rainbow stellte sich als Treffpunkt des British Movement heraus. Und es waren nicht nur kleine Kinder, die so, ‚als ob‘, es gab wirklich üble Charaktere, unter anderem einige aus der BM-Führungsriege mit ihren tätowierten Hakenkreuzen oder Sprüchen wie ‚Diesmal die ganze Welt‘. Vorbeikommende farbige Kids wurden angegriffen und KonzerbesucherInnen waren Sieg-Heil-Rufen und Liedern über die ‚Duschen von Belsen‘ ausgesetzt.

 

Zwischen den einzelnen Stücken randalierte eine zweihundertköpfige Skinhead-Bande quer durch den Konzertsaal, indem sie alle anderen anrempelten und offen angriffen. Die Hauptanstifter waren ungefähr 40 Anführer vom harten Kern des BM, die ihre Anhänger um sich versammelten. (…) Schließlich musste das Konzert abgebrochen werden.“[34] Das zweite Konzert mit schweren Auseinandersetzungen war ein Konzert der Band 4 Skins im Juni 1981 in Southhall. Schon im Vorfeld versuchten Skinheads, mit einer Aktion zu provozieren, bei der sie Flugblätter zur Unterstützung von Robert Relf verteilten. Relf war schon in den 1960er Jahren als Mitglied des britischen KuKlux-Klans und wegen unzähliger rassistischer Übergriffe zu Hafstrafen verurteilt worden. Auch im Vorfeld des Konzerts kam es zu körperlicher Gewalt gegen Asiaten, die am Tag des Konzerts zur Eskalation führte. 61 Polizisten wurden verletzt und der Veranstaltungsort, die Hambrough-Taverne, bis auf die Grundmauern niedergebrannt.[35] Diese Vorfälle dienten der medialen Berichterstattung als gefundenes Fressen, um die Skinheads im Allgemeinen in ein schlechtes Licht zu rücken. Aber nicht nur die Presse stellte sich gegen die Skinheads, auch die Plattenlables äußerten ihren Unmut über diese Vorfälle. Dies führte dazu, dass Bands ihre Verträge verloren oder von Konzertveranstaltern boykottiert wurden. Viele Bands lösten sich auf und es gingen Idole verloren, die mit ihren Botschaften den Unterschied zwischen Skinhead und Neonazi hätten ausmachen können. Diesen Bruch machten sich die rechtsextrem orientieren Skinheads zunutze. Sie versuchten, auch begünstigt durch die Sensationsmedien, die Szene weiter zu politisieren und zu radikalisieren. Diese Radikalisierung spiegelte sich dann auch in der Musik wider und vom Oi ging es hin zum Rechtsrock.[36]

 

4.2 Die Anfänge des Rechtsrock und das Blood & Honour-Netzwerk

 

„Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen. Besser als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann damit Ideologie transportiert werden.“[37] Diese Feststellung stammt von Ian Stuart Donaldson, dem Sänger der Band Skrewdriver und dem Begründer des Blood & HonourNetzwerks, welcher als „Urvater“ des Rechtsrock bezeichnet werden kann. Stuart erkannte früh die Möglichkeit der Indoktrination durch die Musik, weil er damit die Jugendlichen und vor allem einen größeren Kreis erreichen konnte, als das zum Beispiel die Parteifunktionäre der National Front konnten.[38] Mit seiner Band Skrewdriver, die 1977 eigentlich als Punkband ohne nationalistische oder rechtsextremistische Tendenzen gegründet wurde, trug Stuart immens dazu bei, dass die gewaltsamen und rassistischen Strömungen, die es in der Skinhead-Szene bereits gab, sich ideologisch so verfestigten, wie man sie heute kennt. „Skrewdriver verband die vom Punk initiierte musikalische Rebellion mit dem „neuen“ Identitätsangebot des klassen- und nationalbewussten britischen Skinheads.“[39] Um sich musikalisch vom Oi abzusetzen, änderte sich die Richtung zum Hard Rock und Heavy Metal hin, was für den Rechtsrock von der Musik her ebenfalls prägend werden sollte. Ein wichtiges Thema in den Texten der Skrewdrivers waren die Themen Rasse, Nation, Volk, Zusammenhalt und Kampf. Hier geht es vornehmlich um den Hass gegenüber anderen Rassen oder den Kampf die eigene Rasse zu erhalten. Dies soll exemplarisch an zwei Textstellen dargestellt werden.

 

Die erste stammt aus dem Lied „White Power“, in welchem es darum geht, dass Stuart „Angst“ um sein Heimatland hat, welches die Einwanderer seiner Meinung nach übernehmen und aus dem „Reich“ ein „Elendsviertel“ machen. Er geht sogar so weit, dass wenn „wir“, also er und seine Gesinnungsgenossen, den Kampf nicht gewinnen, Großbritannien eine „Apokalypse“ bevorstehe. Daher fordert er „White Power“ für Großbritannien:

 

“(…)

 

I stand watch my country, going down the drain

 

We are all at fault, we are all to blame

 

We're letting them takeover, we just let 'em come

 

Once we had an Empire, and now we've got a slum

 

Chorus:

 

White Power! For England

 

White Power! Today

 

White Power! For Britain Before it gets too late

 

Well if we don't win our battle, and all does not go well It's apocalypse for Britain, and we'll see you all in hell.

 

(…)”[40]

 

In dem Lied „When the Boat comes in“ geht es ebenfalls um Stuarts „Angst“ um sein Land, das er von dem Kommunisten dadurch verraten sieht, dass sie Menschen mit dunkler Hautfarbe in das Land holen. Diese randalieren dann angeblich auf den Straßen und bekommen dafür noch Geld von der Regierung. Auch hier beschwört Ian Stuart seine Gesinnungsgenossen und ruft diese zum Kampf gegen die Schwarzen und die Regierung auf.

 

“Take no shit from anyone 'cos Great Britain rules

 

We fight the communists, 'cos communists are fools

 

Try to take our nation, and give it to the blacks

 

We won't take it anymore, we're gonna take our nation back

 

Nigger, nigger, get on that boat Nigger, nigger, row

 

Nigger, nigger, get out of here Nigger, nigger, go, go, go.

 

They riot on the British streets, they're burning down our land

 

But the fools in government put money in their hands Give them money, give them jobs, ignore the British Whites We won't stand and watch our land be taken without a fight.

 

(…)”[41]

 

Weitere Lieder, die als typisch für Skrewdriver und die Themenauswahl der Lieder betrachtet werden können, sind zum Beispiel „Europe Awake“, „Tomorrow belongs to me“ oder „Free my land“. Ian Stuart war bekennender „Neoheide“ und so spielte in manchen seiner Texte auch die germanische Mythologie eine Rolle („Warlord“, „Road to Walhalla“).

 

Ian Stuart war aber nicht nur musikalisch mit seiner Band Skrewdriver sehr aktiv. Von 1979 bis 1985 war er Mitglied der National Front. 1987 gründete er zusammen mit Nicolas Vincenzo Crane, alias Nick Crane, die neonazistische kulturpolitische Organisation Blood & Honour.[42] Nick Crane war bereits in den 1970er Jahren im „British Movement“ aktiv. Um 1980 herum wurde Crane, der aus Crayford in Kent stammte, zum Organisator des British Movement in der Region Kent. Er nahm an einer Reihe von rassistischen Angriffen teil, weswegen er eine vier-jährige Gefängnisstrafe absitzen musste. Nachdem er 1984 aus dem Gefängnis entlassen wurde, wurde er Roadie für Skrewdriver.

 

Als Vororganisation von Blood & Honour kann der White Noise Club bezeichnet werden. Dieser wurde 1983 von der National Front, auf die Initiative von Ian Stuart Donaldson, als Plattenlabel gegründet. Schnell konnte der White Noise Club eine Monopolstellung in der Szene ergattern und den Großteil der politisch motivierten Bands unter Vertrag nehmen.[43]

 

Es gab aber zwei entscheidende Gründe, die zum Scheitern des White Noise Clubs führten. Zum einen gab es Unstimmigkeiten bei den Finanzen.

 

Der Großteil der Einnahmen, welcher durch die Bands erwirtschaftet wurde, nutzte die National Front zur Finanzierung der Partei und gab die Gewinne nicht an die Bands weiter. Der zweite Grund war die neue politische Ausrichtung der National Front. Unter der neuen Führungsriege schlug die Partei einen anderen Weg ein. Der früher offen zu Tage getragene Rassismus war in den Hintergrund getreten. Die Partei arbeitete nun mit Leuten zusammen, die die Skinheads als ihre eigentlichen Feinde ansahen. Die National Front hatte den Vertrieb eines Buches übernommen, welches der Feder des libyschen Führers Muammar al-Gaddafi entstammte. Weiterhin verkaufte die Partei die Zeitung Final Call. Diese war das Sprachrohr der schwarzen Separatistenorganisation Nation of Islam. Dass die Partei nun mit den Menschen zusammenarbeitete, welche die eigentlichen Feindbilder der Nazi-Skinheads darstellen, war zu viel für diese.

 

Somit wurde Blood & Honour geboren.[44] Durch den Bruch mit der National Front gelang es Ian Stuart Donaldson, die Musik aus dem Einflussbereich einer Partei zu befreien und so einen partei- und strömungsübergreifenden rassistischen und nationalistischen Musik-Underground zu formieren.[45]

 

Eigentlich sollte Blood & Honour nur der Name eines Magazins sein, wurde jedoch schnell zu einer politischen Organisation, welche sich in den Jahren zur wichtigsten Neonazi-Organisation weltweit entwickeln sollte. Zu den Gründungsbands gehörten Skrewdriver, Brutal Attack, Sudden Impact, No Remorse und Squadron. Teilweise waren diese Bands auch schon im White Noise Club aktiv.

 

Es war ein hochwertiges Hochglanzmagazin, womit sich die Verleger einen Vorteil gegenüber allen anderen Magazinen aus dem Skinheadbereich verschafften, die weniger professionell gedruckt wurden.

 

[46]

 

In den Jahren 1987 und 1988 tauchten in den Straßen im Rest von Europa und in den Vereinigten Staaten immer mehr Neonazi-Skinheads auf, was Blood & Honour und besonders Ian Stuart in die Karten spielte. Er tourte mit seiner Band Skrewdriver vermehrt durch Westdeutschland und durch Skandinavien, auch um Kontakte zu knüpfen und sich ein Netzwerk aufzubauen. Zwischen den Auslandsreisen gingen Stuart und seine Band immer wieder ins Studio und nahmen neue Alben auf. Den Großteil seiner Platten ließ Stuart nicht in seinem Heimatland produzieren, sondern in Deutschland; und zwar über das Plattenlabel Rock-O-Rama mit Sitz in Köln. Stuart brachte noch weitere Bands wie The Klansmen oder Combat 84 dazu, ihre Alben bei Rock-O-Rama produzieren zu lassen und konnte sich so einen zusätzlichen Verdienst sichern.[47] Stuart war nicht nur Idealist, er war auch immer ein Geschäftsmann, der wusste, wie und wo er sein Geld verdienen konnte. Außerdem wurden Schallplatten in England bei Link-Label in Kent produziert. Dass sich mit Rechtsrock schon damals gutes Geld verdienen ließ, zeigt die französische Plattenfirma Rebelles Européens. Während Rock-O-Rama und Link auch noch andere Musik produzierten, beschränkte sich das französische Plattenlabel ausschließlich auf Rechtsrock. Trotzdem konnten sie schon zum damaligen Zeitpunkt einen Katalog mit 200 Titeln anbieten.

 

1988 erregte Blood & Honour nicht mit Musik oder mit dem Magazin die Aufmerksamkeit, sondern mit einer Aussage Ian Stuarts in einem dreiseitigen Artikel des Magazins Sunday People: „Letztendlich wird es zu einem Rassenkrieg kommen, und wir müssen zahlenmäßig stark genug sein, um ihn zu gewinnen.

 

Um dieses Land rein zu halten, werde ich auch den Tod in Kauf nehmen, und wenn am Ende der Tage Blutvergießen steht, dann soll es so sein.“[48] Weiter sprach Stuart unverhohlen über seine Kontakte zu ehemaligen SS-Männern oder zum Ku-Klux-Klan.

 

Blood & Honour schaffte es wie keine andere Organisation Neonazi-Skinheads, egal welcher parteilichen Orientierung, zu vereinen, dies sogar weltweit. Obwohl Blood & Honour eine Partei zu sein schien, war sie es nicht. Die wichtigsten Aktionsfelder waren das Magazin, die Organisation von Konzerten und die Herstellung und der Vertrieb von Merchandise-Artikeln. Der wichtigste Ort für den Vertrieb der Blood & Honour-Artikel war die Carnaby-Street in London. Hier kauften Skinheads aus ganz Europa diese wie auch Artikel mit Naziabzeichen, welche in ihren Herkunftsländern verboten waren. Die wichtigsten Läden waren hier Cutdown, in dem unter anderem der Schlagzeuger der Band Skrewdriver die Geschäfte leitete und Merc M und Badges. In der folgenden Zeit sah sich das Netzwerk jedoch einem öffentlichen Repressionsdruck ausgesetzt, was zum einem dazu führte, dass der Verkauf von Blood & Honour-Artikeln im Viertel der Carnaby-Street verboten wurde und dieser nur noch unter der Hand stattfand. Außerdem gab es immer wieder Probleme bei der Organisation und Durchführung von Konzerten, was Blood & Honour immer wieder den Unmut seiner Anhänger einbrachte.[49]

 

Es gab eine Gruppe, welcher die Probleme, die Blood & Honour in den Jahren immer wieder hatte, sehr gelegen kamen. Hierbei handelt es sich um die Gruppe Combat 18. 18 steht symbolisch für den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets. Dies ist ein Code für die Initialen Adolf Hitlers. Entstanden aus der British National Party, entwickelte sich Combat 18 schnell zu einer eigenständigen Gruppe, die in den frühen 90er Jahren besonders durch gewaltsame Aktionen und Anschläge gegen ihre politischen Gegner Aufmerksamkeit erregte. Der Anführer von Combat 18 war Paul Sargent, der seit den 70er Jahren in der rechten Szene aktiv war. Als führendes Mitglied der Chelsea-Headhunters, war er immer wieder in Ausschreitungen bei Fußballspielen verwickelt.[50]

 

Am 23.09.1991 verlor die Rechtsrock-Szene ihr Idol. Ian Stuart kam bei einem Autounfall ums Leben, was seinen Kultstatus noch verstärkte. Auch heutzutage tragen noch viele Anhänger der rechtsextremistischen Musik-Szene T-Shirts mit Aufdrucken wie „Ian Stuart – We will see You in Walhalle.“[51] Der Tod Ian Stuarts bedeutete einen Bruch für die Szene. Hierbei versuchte zum einen Paul Burnley, Sänger der Gruppe No Remorse, seine Machtansprüche geltend zu machen. Zum anderen wollte Combat 18 seine Machtposition stärken und die Kontrolle über Blood & Honour erlangen. Dabei behilflich war Will Browning. Er war Mitglied der Band No Remorse, fiel aber unter Alkoholeinfluss immer wieder negativ auf, weshalb Burnley ihn aus der Band warf.

 

Außerdem war er ein enger Vertrauter von Paul Sargent. ach Einschüchterungsversuchen und nach einem gewaltsamen Angriff auf Burnley, zog dieser sich aus dem Blood & Honour-Umfeld zurück und seine Band No Remorse löste sich auf.[52]

 

Auch wenn Burnley keine Macht mehr in der Szene hatte, muss trotzdem auf seine Band eingegangen werden, welche neben Skrewdriver zu den wichtigsten und radikalsten Wegbereitern des Rechtsrocks zählt. No Remorse wurde 1986 von Burnley gegründet und kann als radikalere Version von Skrewdriver angesehen werden.

 

Durch ihre Texte, welche offene Gewaltandrohungen enthielten und den Nationalsozialismus unverhohlen glorifizierten, trugen sie maßgeblich zur Radikalisierung der Szene bei.[53]

 

Im Lied „Smash The Reds“, wird zum Beispiel zur Gewalt gegen Kommunisten und Linke aufgerufen:

 

“A fight goes off, and people get hurt Skinheads attack a commie concert

 

Look all around, see the Reds run

 

One or two stop for a fight in the sun

 

Smash! Smash! Smash the Reds!

 

Commies get done by Skinheads!

 

Smash! Smash! Smash the Reds!

 

Commies get done by Skinheads!

 

The stage is invaded and drums start to roll

 

The Redskins get done, and it adds to the toll

 

Four thousand Reds, a variation of scum

 

And they haven't got the bottle when it's forty to one

 

Who's the next victim? What happens now?

 

Who'll get a taste of Skinhead White Power?

 

Whoever it is they'll have to learn

 

All over England we have the best firm.”[54]

 

In “Six Million Lies” wird der Holocaust geleugnet und als „jüdische Lüge“ bezeichnet:

 

„Did six million really die, or was it just a Zionist lie? Torture by the Nazis, where's the proof Why did they try to cover up the truth?

 

Scared in case national socialism grew

 

Organized lies impose by the Jews

 

Six million of the Jewish race

 

Evidence there's not a trace

 

Impossibilities of Zyklon B

 

They tried to fool you, not me

 

The biggest scandal in history

 

They didn't want the white man to be free

 

Forgery is what they had to do

 

To propagate the lies of those evil Jews

 

Well national socialism didn't die

 

The truth broke thru all their major lies.

 

(…)”[55]

 

Besonders diese Radikalität und der offen zur Schau gestellte Hass machten No Remorse zu einer der wichtigsten Bands in der englischen Rechtsrock-Szene. 1996 wurde No Remorse noch einmal reanimiert, und zwar als Neuformation um Will Browining. Sie veröffentlichte eine CD mit dem Titel „Barbecue in Rostock“, wobei der Titel eine Anspielung auf die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen war. Die CD kann als einer der rassistischsten und radikalsten Veröffentlichungen im Rechtsrock bezeichnet werden. „Jeder Song triefte nur so von boshaftem Hass und Androhung von Gewalt.“[56] „Im Titelsong hieß es: „Sie wollten ihre Stadt nicht im Abschaum ersticken sehen, also gingen sie los und bauten sich Benzinbomben. Dann, eines kalten, klaren Abends, setzten sie die dreckigen Türken in Brand. Es gibt ein Grillfest in Rostock, komm schnell vorbei. Wie magst du Deinen Türken? Magst du ihn gut durch?“[57] Die Texte auf der CD wurden aber noch weitaus menschenverachtender. Der Chorus zum Stück „The Niggers Came Over“ lautete: „Erschießt die Nigger! Und die Pakistanis auch! Hängt die Roten und wir werden die Juden vergasen. Wenn du farbig bist, wirst du zurückgehen, mit etwas Glück in einem Sarg.“[58]

 

1993 beschäftigte sich Browning noch nicht mit dem Verfassen rassistischer und menschenverachtender Texte. Nachdem er und Combat 18 Burnley aus dem Blood & Honour-Umfeld beseitigt hatten, versuchte er nicht nur Macht, sondern auch finanziellen Erfolg aus der Sache zu ziehen.

 

Er gründete ISD-Records, wobei er auch Combat 18 in die Arbeit mit einschloss, indem die Band die Kontrolle über den kompletten Produktionsprozess übernahm. Dies ging von den Texten bis hin zur Gewinnkontrolle. Produziert wurden die CDs von Nimbus UK. Der Vertrieb lief so ab, dass Browning die CDs zu reduzierten Preisen an Händler verschickte, die diese dann weiterverkauften. Die Händler zahlten meistens sechs bis sieben Pfund pro CD. Für die Bands, die bei ISD-Records unter Vertrag waren, gestaltete sich die Geschäftsbeziehung mit Browning nicht besonders lukrativ. Die Bands erhielten meist nur 10 Prozent des Gewinns. Entweder bekamen sie 100 CDs, welche sie dann über eigene Mailorder oder bei Konzerten verkaufen konnten oder 1000 Pfund in bar. Zusätzlich wurden die Produktionskosten vom Plattenlabel übernommen.[59]

 

Ein wichtiger zusätzlicher Aktionszweig von Combat 18 war die Organisation von Konzerten, welche zumeist besser und reibungsloser ablief als früher bei Blood & Honour. In der Regel waren es kleinere Konzerte, in den Hinterzimmern von Pubs oder in Jugendclubs, bei denen keine 200 Zuschauer anwesend waren. Beim Ian-StuartDonaldson-Memorial-Konzert schaffte Combat 18 es aber, ca. 400 Skinheads als Zuschauer zu organisieren.

 

ISD-Records war für Combat 18 und besonders für Will Browning ein finanzieller Segen. Die Idee hinter der Label-Gründung war, ein finanzielles Polster für die Aktionen von Combat 18 zu schaffen, was schnell gelang. Brownings Gewinn lag zu Beginn schon bei 2000-3000 Pfund, welche er dazu nutzte, Neuauflagen der CDs herzustellen. Durch diese Neuauflagen summierte sich der Gewinn sogar auf 5000 Pfund. Mit den Jahren versuchte Browning, die Kosten zu senken und die Gewinne zu steigern. In den Jahren von 1994 bis 1996 produzierte ISD-Records über 20 verschiedene Neonazi-CDs mit einer Gesamtauflage von mehr als 35.000 Stück. Die höchste Auflage erreichte die deutsche Band Nahkampf mit 5.000. Vorsichtig geschätzt hat Browning mit ISD-Records um die 100.000 Pfund Gewinn erwirtschaftet, weitaus höher als alles, was davor durch die White-Power-Bewegung erzielt wurde.[60]

 

Der finanzielle Erfolg von ISD-Records war für viele Bands verlockend. Sie wollten auch ein Stück vom Kuchen haben. So hatte bald jede halbwegs erfolgreiche Band ihr eigenes Plattenlabel und ihren eigenen Vertrieb um auch von den Gewinnen innerhalb der Szene profitieren zu können.[61] Dass nun jeder sein eigenes Süppchen kochen wollte und es innerhalb von Combat 18 immer wieder zu politischen Grabenkämpfen kam, spaltete die britische Szene immer mehr.[62] Hinzu kam, dass die Rechtsrockszenen in anderen Ländern immer wichtiger wurden.[63]

 

4.3 Anfänge der Skinhead-Szene in Deutschland

 

Bevor ich auf die Entwicklung des Rechtsrocks in der Bundesrepublik Deutschland eingehe, schildere ich kurz die politische Situation, welche einen Anteil an der Bildung der rechtsextremistischen Szene und des Rechtsrocks in Deutschland hatte. Anfang der 80er Jahre befand sich die Bundesrepublik in einer der schwersten Rezessionen, bedingt durch zwei vorangegangene Ölkrisen. Dadurch kam es zu einem wirtschaftlichen Abschwung, mit dem ein rasanter Anstieg der Arbeitslosigkeit einherging. Die daraus folgende soziale Depression manifestierte sich auch in der negativen Einstellung gegenüber Gastarbeitern und Asylbewerbern, die mit dem Trugschluss einherging, dass man die Krise lösen könne, indem man die ausländischen Gastarbeiter abschiebt. Ein weiteres Problem war die verfehlte Ausländerpolitik von 1955. Diese sah eine Integration der Gastarbeiter nicht vor.[64]

 

Zu den wirtschaftlichen Problemen gesellten sich politische, welche in einen Richtungswechsel von einer sozial-liberalen hin zu einer konservativen Regierung mündeten. Die extreme politische Rechte erlebte in dieser Zeit einen Aufschwung. Michael Kühnen baute im November 1977 die Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten auf.

 

Die Freiheitlich Deutsche Arbeiterpartei wurde im März 1979 von Martin Pape gegründet und unter der Leitung von Franz Schönhuber entstand die rechte Partei Die Republikaner.[65] Zusammen mit der organisierten Form des Rechtsextremismus tauchten auch die ersten Skinheads in Deutschland auf, die zumeist aus dem Umfeld britischer Kasernen hervorgingen, wobei die Soldaten als Vorbilder dienten.[66] In ihrer Entwicklung orientierte sich die deutsche an der englischen Szene. Die Hauptbetätigungsfelder der Skins standen im Zusammenhang mit Fußball, Gewalt und Alkohol. „Zum Fußball gehen, Ärger machen und hinterher nicht mehr das Ergebnis wissen“[67], so beschreibt ein Skinhead die Erlebnisse beim Fußball. Hier konnten die Cliquen zum einen ihre Stärke und ihre Männlichkeit während der Kämpfe beweisen, zum anderen wurde der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe gestärkt. Die Wichtigkeit von Gewalt in der Szene, spiegelte sich auch früh in der Musik wider, zum Beispiel im Lied „Fußball und Gewalt“ der Böhsen Onkelz:

 

„Wir stehen in einer Front und singen unsre Lieder

 

Wir schwören auf unsere Farben und machen alles nieder

 

Fußball und Gewalt

 

Blutige Schlachten im Wald

 

Fußball und Gewalt“[68]

 

Auch der modische Stil der deutschen Skinheads war geprägt vom „Way of life“ der englischen Szene. So flogen viele Skinheads häufig nach England, um dort Musik und Kleidung zu kaufen und sich tätowieren zu lassen.[69]

 

„Die Woche ist vorbei, man macht sich fein

 

Putzt seine schwarzen Docs, schlüpft in die Starpress rein

 

Ein kurzer Blick in den Spiegel, alles sitzt perfekt

 

Das Fred Perry ist gebügelt, die Glatze ist geleckt

 

Gut gelaunt, man macht sich auf den Weg,

 

Trifft sich mit den andren und trinkt noch schnell ein Met

 

Ein Ska-Konzert ist angesagt,

 

Alkoholisiert wird ein Tänzchen gewagt

 

Wir singen und tanzen die ganze Nacht

 

Schlägereien und Romanzen, viel getrunken, viel gelacht

 

Wir singen und tanzen die ganze Nacht“

 

(Böhse Onkelz: „Singen und Tanzen“; „der nette Mann“)[70]

 

In den Anfangsjahren hatte die Szene noch keine gefestigte politische Ideologie, aber gerade durch den starken Männlichkeitskult, der auch Sexismus mit sich brachte, die Gewalt und die Wichtigkeit der Kameradschaft innerhalb der Szene setzten sich die Skinheads von der linken Szene ab.

 

Aufgrund ihrer Affinität zur Gewalt versuchten die organisierten Neonazis sich der Skinheads zu bemächtigen und diese für ihre Zwecke einzuspannen. Allen voran ist hier noch einmal Michael Kühnen zu nennen. Zusammen mit Mitgliedern seiner Aktionsfront Nationaler Sozialisten versuchte er. Skinheads während der Fußballspiele anzuwerben. Dabei waren sie aber nur im geringen Maße erfolgreich. Bis auf einige rechte Fanclubs, wie zum Beispiel die Borussenfront aus Dortmund, ließen sich die meisten Skinheads nicht von den Anwerbeversuchen beeindrucken.[71]

 

Als ein besonders negatives Beispiel ist der Versuch eines Ablegers der Gruppe um Michael Kühnen zu nennen, Skinheads für das Fußball-Länderspiel am 26.10.1983 in Berlin zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei zu rekrutieren.

 

Die Skinheads sollten dabei gewaltsam gegen die türkischen Fans vorgehen. Der Versuch scheiterte. Am Vorabend des Spiels tauchte eine Gruppe Skinheads in den Räumen der Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS) auf und zeigte den Anwesenden, dass sie keine Lust hatten sich vor den Karren der Gruppe um Kühnen spannen zu lassen. Das Skinhead-Fanzine Clockwork Orange beschreibt die Ereignisse wie folgt: „…Kurzerhand wurde den anwesenden Seitenscheiteln mächtig was zwischen die Hörner gegeben. Es waren rechte und Nazi-Skins, die Kühnens ANS kurz und klein schlugen, nicht irgendwelche Aushilfsantifaschisten.“[72] Nicht nur Kühnens ANS versuchte die Freiheitliche Arbeiter Partei (FAP) die Skinheads zu für sich zu gewinnen. Mit Aufklebern, welche einen Doc-Martens-Stiefel stilisierten, der einen sowjetischen Stern mit Hammer und Sichel zertritt, versuchten die sich bei den Skinheads anzubiedern und diese für ihre Zwecke zu gewinnen. Jedoch stieß auch diese Aktion eher auf negative Resonanz. So ereiferte sich der Herausgeber des Skinhead-Fanzines „Singen und Tanzen“ über die Aufkleber wie folgt: „Eine fast schon unglaubliche Provokation. Ich habe weder Lust, mich für die FAP zu prügeln, noch kümmern mich die 20 noch am Leben gebliebenen Juden in Deutschland. Die Macher dieses Aufklebers sind bestimmt keine Skins, also sollen sie sich um ihren eigenen Scheiß kümmern, oder selbst auf den Teilen abbilden! Es reicht, wir haben keine Parteibonzen mehr nötig.“[73] In diesen Ereignissen spiegelte sich ein Grundsätzliches Problem dieser Zeit wider: die Skinheads wollten nicht die Handlanger der organisierten Neonazis sein, welche gerade aus Sicht der Skinheads zu feige waren, selber Gewalt auszuüben. Diesen Gegensatz zwischen den Skinheads und den organisierten Neonazis, verpackte die Band Kraft durch Froide, eine der ersten Rechtsrock-Bands in Deutschland, in dem Song „Soldat des Führers“:

 

„Du willst ein Soldat des Führers sein,

 

Aber du bist nur ein kleines fettes Schwein. Nickelbrille im Pickelgesicht,

 

Wulstlippen, so etwas brauchen wir nicht.“[74]

 

4.4 Die Anfänge von Rechtsrock und seine Entwicklung

 

Wie man an diesem Auszug aus dem Lied der Band Kraft durch Froide oder an den beiden vorangegangen Auszügen aus Liedern der Böhsen Onkelz sieht, waren Musik und ihre Interpreten von Beginn an wichtig für die Skinhead-Szene in Deutschland. Zu den ersten Skinheadbands zählten Bands wie Kraft durch Froide, Kruppstahl oder Endstufe, welche eindeutig dem politisch rechten Lager zugeordnet werden können.[75] Auf der anderen Seite gab es auch Bands, die sich selber eher als unpolitisch einordneten, bei denen es in den Texten eher um die klassischen Werte der SkinheadSzene und deren Selbstverständnis ging. Hier kann man Bands wie Pöbel & Gesocks und Springtoifel nennen; gleichermaßen auch Loikaemie, die klar Stellung gegen die Vereinnahmung der Skinhead-Szene durch die Rechtsextremisten bezog, wie zum Beispiel im Lied „Skinhead bist du nicht:

 

„Du nennst dich Skinhead und bist stolz darauf

 

Du kannst provozieren und du hörst niemals auf

 

Deine Bomberjacke zieren die Fahnen

 

Die das deutsche Reich einst getragen

 

Wenn ich dich auf der Straße sehe, dann denke ich mir Dummheit kann vergehen, nur nicht bei dir

 

(…)

 

Wir lassen uns von keinem lenken

 

Und halten nichts von Blut und Ehre

 

Benutze deinen Kopf zum denken

 

Weil es für dich besser wäre

 

(…)“[76]

 

Zu einer der wichtigsten Skinhead-Bands in den Anfangsjahren gehören die Böhsen Onkelz. Klaus Farin beschreibt den Einfluss der Böhsen Onkelz in seinem Buch „Reaktionäre Rebellen – Rechtsextreme Musik in Deutschland wie folgt: „Keine andere Band ist mit der Geschichte der Skinhead-Szene in Deutschland so eng verknüpft wie die Frankfurter Böhsen Onkelz. Keine Band genießt einen derartigen Kultstatus bei allen Skin-Generationen, keine hat das Image und das Selbstbild der Szene derart entscheidend geformt. Noch heute lassen sich ohne Mühe bei zahlreichen jungen Rechtsrock-Bands in der Musik und in den Lyrics Böhse-Onkelz-Einflüsse nachweisen, während andere sie in wütenden Hassgesängen als „Verräter“ beschimpfen.“ [77]

 

Die Böhsen Onkelz gründeten sich 1979 als Punkband in der Nähe von Frankfurt am Main. Im Jahre 1983 veröffentlichten sie ihr erstes Demotape mit dem von Klaus Farin als „pubertärer Haßsong“[78] bezeichneten „Türken Raus“:

 

„Türken raus, Türken raus, Türken raus, Türken raus,

 

Türken raus, Türken raus, alle Türken müssen raus !

 

Türkenfotze unrasiert, Türkenfotze nicht rasiert, Türkenfotze unrasiert,

 

Türkenfotze !

 

Türkenfotze unrasiert, Türkenfotze nicht rasiert, Türkenfotze unrasiert,

 

Türkenfotze !

 

Türkenfotze unrasiert, Türkenfotze nicht rasiert, Türkenfotze unrasiert,

 

Türkenfotze !

 

Türkenfotze unrasiert, Türkenfotze nicht rasiert, Türkenfotze unrasiert,

 

Türkenfotze !

 

Türkenpack, Türkenpack, raus aus unserm Land!

 

Geht zurück nach Ankara, denn Ihr macht mich krank!

 

(…)“[79]

 

Auch wenn der Text eigentlich als klar rassistisch einzustufen scheint, behaupteten die Böhsen Onkelz das Gegenteil: „Durch unser Aussehen als Punker hatten wir Schwierigkeiten mit ausländischen Popper-Gangs auf der Straße, die sind oft in Schlägereien ausgeartet. Wir haben ständig von ausländischen Jugendgangs aufs Maul bekommen, und irgendwo war’s halt ein Ventil zum Rauslassen. Der Song hat eigentlich keinen politischen Hintergrund. Was da reininterpretiert wurde, ist was ganz anderes, als ursprünglich gemeint war.“[80]

 

Als das Demo-Tape 1983 erschien, erklärte ein Mitglied der Band in einem Interview seine Einstellung in Bezug auf Politik: „Neonazis sind feige Schweine. Die wollen die Skins praktisch als Dreck seh’n, und wenn sie dann die Macht ham, dann machense die, die ihnen früher geholfen haben, gleich weg. Voll die Bastarde, Neonazis sind vielleicht in der Beziehung mit Ausländern meiner Meinung, aber nur teilweise, aber ich bin doch kein Adolf Hitler-Fanatiker. Ich hab mit dem doch nichts zu tun, der war vor vierzig Jahren, der interessiert mich doch überhaupt nicht, wir ham heute ganz andere Probleme. Ich mein‘, Diktatur brauchen wir bestimmt nicht mehr.“[81] Laut Klaus Farin kann man kann die Böhsen Onkelz nicht als Neonazi-Band bezeichnen, eine solche sind sie auch in ihren radikalen Anfangsjahren nicht gewesen. Sie haben sich nicht von Kühnens Aktionsfront Nationaler Sozialisten vereinnahmen lassen, sie gehörten nie zum Künstlerumfeld von Blood & Honour, die Versuche der FAP, Flyer bei Konzerten der Böhsen Onkelz zu verteilen, ließ die Band durch ihre Security unterbinden.[82] Jedoch muss sich die Band in ihren Anfangsjahren als rassistisch und nationalistisch eingestellt bezeichnen lassen. So singen sie zum Beispiel in dem Lied „Oi Oi Oi“, dass Deutschland in Schutt und Dreck versinkt, fordern einen Aufruhr der Kids von der Straße, gegen die Kanakenwelt und beschließen den Song mit Deutschland den Deutschen.[83] In dem Song „Deutschland spiegelt sich der Nationalismus der Band wider:

 

„Auch zwölf dunkle Jahre in Deiner Geschichte, macht uns're Verbundenheit zu Dir nicht zunichte.

 

Es gibt kein Land frei von Dreck und Scherben, wir sind hier geboren, wir wollen hier sterben.

 

Deutschland, Deutschland - Vaterland.

 

Deutschland, Deutschland - mein Heimatland.

 

Den Stolz, deutsch zu sein, woll'n sie Dir nehmen, das Land in den Dreck ziehn, die Fahne verhöhnen. Doch wir sind stolz, in Dir geboren zu sein,

 

Wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein.

 

(…)

 

Deutsche Frauen, deutsches Bier,

 

Schwarz-Rot-Gold, wir steh'n zu Dir

 

(…)“[84]

 

Bei einem Auftritt 1985 in Groß-Parin beim „Rock gegen Links“-Festival[85], wandelte der Sänger der Band die Textzeile „Schwarz-Rot-Gold, wir steh’n zu Dir...“ in „Schwarz-Weiß-Rot, wir steh’n zu dir“ um. Die Farbenkombination Schwarz-Weiß-Rot stand ursprünglich für die Fahne des deutschen Kaiserreichs, wurde aber auch in der Reichskriegsflagge übernommen und erfreut sich in der rechtsextremen Szene einer großen Beliebtheit. Angeblich war die Umdichtung dieser Textzeile eine spontane Idee des Sängers Kevin Russel und der Rest der Band war nicht damit einverstanden. „Die originale Textzeile ‚deutsche Frauen, deutsches Bier – schwarz rot gold wir steh’n zu Dir‘ wird während des Gigs von Kevin auf eigene Faust umgestaltet und er singt nun ‚deutsche Frauen, deutsches Bier – schwarz weiß rot wir steh’n zu Dir‘. Das erste, nicht das letzte Mal, dass Kevin diesen Schwachsinn verzapft. Er bekommt hinterher von Stephan eine schwere Ansage zu hören.

 

Ob er noch alle Tassen im Schrank habe, ob er sich überhaupt bewusst sei, dass er damit den Rechten in die Karten spielt.“[86] Auch wenn die Band vorgibt, diese nationalistische Verschärfung des Textes wäre von Großteilen der Band nicht gewollt gewesen, kann man trotzdem eine eindeutige Absicht unterstellen. Betrachtet man die Umstände des Konzerts und die anderen Bands, wie Kahlkopf oder Indecent Exposure, welche als Nazi- beziehungsweise als „RAC-“ (Rock Against Communism) Bands bezeichnet werden können, wollte man vermutlich mit solchen Aktionen gezielt das rechte Publikum ansprechen. Ein weiteres Konzert spricht dafür, dass die Böhsen Onkelz bewusst immer wieder den Kontakt zu dieser Szene suchten. Am 09.11. 1985 spielte die Band beim „Kameradschaftsabend“ im Proberaum der rechten Band Kraft durch Froide. Die Band wird mit Hitlergrüßen empfangen und immer wieder kam es aus dem Publikum zu „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus-Rufen2.[87] Wieder wurde Kevin Russel als Überzeugungstäter genannt. Der Rest der Band habe das Set zwar gespielt, aber vor allem dem Bassisten, Stephan Weidner, soll dies sehr missfallen haben.[88] Wie es wirklich in den Köpfen der Band ausgesehen hat, darüber kann nur gemutmaßt werden. Sowohl beim Konzert in Groß-Parin, als auch beim „Kameradschaftsabend“ hätte die Band ein klares Zeichen setzen und zeigen können, dass sie mit dieser Szene nichts zu tun haben wollte. In Groß-Parin hätten sie beim Alleingang von Russel das Konzert abbrechen können. In Berlin hätten sie das Konzert gar nicht erst spielen müssen. Gerade solche Ereignisse führten zu einer Einordnung der Band als Nazi-Band.

 

1984 veröffentlichen die Böhsen Onkelz ihre erste LP „Der nette Mann“. Dieses Album kann als eines der wichtigsten der Skinhead-Szene bezeichnet werden. Lieder wie „Frankreich 84“, „Der nette Mann“ oder „Deutschland“ genießen heute noch Kultstatus in der Szene, wozu die Indizierung der Platte, am 15. August 1986, durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften noch einmal mehr beitrug.

 

Das Jahr 1985 war nicht nur für die Böhsen Onkelz aufgrund ihrer LPVeröffentlichung ein wichtiges Jahr, sondern auch für die Skinhead-Szene und ihre Weiterentwicklung.

 

In Hamburg wurden zwei türkische Männer, Mehmet Kaynkci und Ramzan Avci, von rassistischen Skinheads erschlagen.[89] Daraufhin stiegen viele Skinheads der ersten Generation aus.

 

Manche wollten damit ein Zeichen setzen und zeigen, dass sie mit diesen rassistischen Mördern nicht in einem Atemzug genannt werden wollten, andere einfach um ihre eigene Haut zu retten. Neueinsteiger wussten nun genau, worauf sie sich einlassen würden, was den rechten Skinheads und den organisierten Neonazis in die Hände spielte.

 

Auch aufgrund dieser Ereignisse distanzieren sich die Böhsen Onkelz seitdem immer mehr von der rechten Szene, zumal sie nicht mehr die Szene ist, in der sie mal angefangen haben und beklagen in einem Interview mit dem Metal Hammer: „Was heute noch als Skinhead auftritt, hat meistens nichts mehr mit dem zu tun, was ursprünglich mal Skin-Movement war. Übriggeblieben sind oft nur noch die, die tatsächlich rechtsradikal eingestellt sind.“[90]

 

1987 distanziert sich die Band dann komplett von der Szene und schreibt stellvertretend für ihren Ausstieg den Song „Erinnerung, in dem es heißt:

 

„Hast Du wirklich dran geglaubt daß die Zeit nicht weitergeht hast Du wirklich dran geglaubt daß sich alles um Dich dreht man hat sich reichlich gehaun und nie dazugelernt viel Alkohol viel Frauen von der Wirklichkeit entfernt

 

Ich erinnere mich gern an diese Zeit eine Zeit die man nie vergisst doch ich muß mein Leben leben meinen Weg alleine gehn machs gut Du schöne Zeit

 

Auf Wiedersehen

 

(…)“[91]

 

Mit den Böhsen Onkelz ging der Szene eine wichtige Band verloren. Eine neue Generation von Bands hatte Namen wie Kruppstahl, Sturmtrupp, Commando Pernod.[92] Nicht nur die Namen werden aussagekräftiger und zeigen in eine gewisse Richtung, sondern auch die Texte. Sind die Elemente, die sich eher um den klassischen Skinhead Way of Life drehen, wie Alkohol und Fußball, eher bei den unpolitischen OiBands wie Loikaemie oder Lokalmatadore angesiedelt, greifen die neuen Bands gewaltverherrlichende, menschenverachtende, rassistische und nationalistische Inhalte auf.[93]

 

Die Skinhead- und die rechtsextremistische Musik-Szene erfreuten sich zu dieser Zeit eines regen Zulaufs. 1989 gab es bereits um die zwanzig Bands, ca. gleich viele Fanzines, ein Dutzend Mailorder und mit dem Kölner Label Rock-O-Rama sogar ein Rechtsrock-Label mit guten Kontakten, vor allem in die englische Szene, und einem weltweiten Vertriebsnetz.[94] Auch die Zahl der Fanzines stieg in dieser Zeit erheblich an. Politisch deckten sie ein breites Spektrum ab. Von vereinzelten deutsch-nationalen Parolen bis hin zu offenen neonazistischen Aussagen wurde den Lesern in den verschiedenen Zeitschriften alles geboten.[95] Ebenfalls in diesem Jahr gründete sich die Band Radikahl, welche zu einer der wichtigsten Bands der Szene gehörte und auch heute noch über einen gewissen Kultstatus verfügt. 1991 veröffentlichte die Band ihr Demotape mit dem Titel „Retter Deutschlands, auf dem auch der Song „Hakenkreuz“ enthalten war.[96] Dieser zählt auch heute noch zu einem der meistgespielten Songs, was zum einen an der eingängigen Melodie („Trink’n wir noch’n Tröpfchen“) und zum anderen an der Radikalität des Textes liegt:

 

"Hängt dem Adolf Hitler, hängt dem Adolf Hitler

 

hängt dem Adolf Hitler - den Nobelpreis um.

 

Hisst die rote Fahne, hisst die rote Fahne,

 

hisst die rote Fahne - mit den Hakenkreuz.

 

Schon als kleiner Junge da war es mir klar, welches Symbol leitend führt mich mal.

 

Und heut' da steh' ich noch voll dazu, es gibt nur eines und dass bist du! Wehend auf alten deutschen Fahnen, so führt es mich auf rechten Bahnen.

 

Für mich gilt es auch noch heut,

 

Rasse, Stolz und - HAKENKREUZ.

 

Hakenkreuz, Hakenkreuz, Hakenkreuz, Hakenkreuz Hakenkreuz, Hakenkreuz, Hakenkreuz, Hakenkreuz

 

(…)“[97]

 

Aber nicht nur im Westen Deutschlands, sondern auch im Osten, wurde die rechte

 

Szene stärker. Zum ersten Mal kam die Bevölkerung der DDR 1987 mit Skinheads in Berührung. Am 17. 10. 1987 überfielen Skinheads die Besucher eines Punk-Konzerts in der Zionskirche. Es werden Nazi-Parolen skandiert und die Skinheads gingen mit Gewalt gegen die anwesenden Punks vor.

 

Nach dem Ereignis gelangten die Vorkommnisse durch die Gerichtsberichte an die Öffentlichkeit und somit die Skinheads in das Bewusstsein der Bevölkerung. [98]

 

Durch den Rechtsruck, der sich durch die ganze Gesellschaft zog, und durch den verstärkt aufkommenden Nationalismus der Vereinigungszeit erschließt sich nun auch im Osten der Markt für rechtsextreme Produkte, wie etwa Musik. Dies hatte zur Folge, dass sich Dutzende neuer Bands und Vertriebsnetze gründeten, welche im Osten dankbare Abnehmer fanden. Um sich von der großen Zahl der Konkurrenten abzusetzen, wurden die Texte immer radikaler und provokativer.[99] Was ebenfalls zur Radikalisierung der Szene beitrug, waren zahlreiche Gastspiele in den neuen Bundesländern von Bands wie Skrewdriver oder Brutal Attack. Als Verfechter der White-Power-Bewegung verstärkten sie gerade diese Ideologien bei ihren Zuschauern.[100]

 

1991 gab es erste Aktivitäten des Netzwerks Blood & Honour in Deutschland. Die Stuttgarter Kreuzritter für Deutschland knüpften Kontakte zu der Band Skrewdriver. Unter dem Namen Skrewdriver-Services wurde der Vertrieb der Bandprodukte im deutschsprachigen Raum aufgebaut. Außerdem organisierte Skrewdriver-Services mehrere Konzerte und Tourneen für Bands aus dem Umfeld von Blood & Honour. Das wichtigste Ergebnis der Zusammenarbeit war das German-British-Friendship-Projekt. Hierüber wurden gemeinsame Tonträger der Bands beider Länder produziert und der Austausch untereinander organisiert. Geleitet wurde das Projekt von Steffen Hammer, der Sänger der Band Noie Werte war, welche sich 2010 auflöste.[101] Besonders durch die Organisation von Konzerten entwickelten sich immer neue Kontakte, vor allem in die neuen Bundesländer.[102]

 

Seit 1990 unterhielten Mitglieder der Nationalen Alternative enge Verbindungen in skandinavische Länder.

 

So wurden gemeinsame Wehrsportübungen mit Neonazis aus Dänemark und Schweden in den jeweiligen Heimatländern und in Deutschland abgehalten. Als Kontaktorganisationen sind hier der schwedische Vitt Ariskt Motstand und die dänische Danmarks Nationalsocielistike Bevaegelse zu nennen.

 

1993 wurde in Dänemark ein Hauptquartier der deutschen Blood &Honour Sektion eingerichtet, welches unter der Anschrift der Nationalen Liste firmierte. Zusätzlich baute Thorsten Heise Verbindungen zu Combat 18 in England auf und organisierte mehrere Blood & Honour-Konzerte in Norddeutschland.[103]

 

1994 wurde dann in Berlin eine Mutter-Sektion von Blood & Honour Deutschland gegründet, welche von Skinheads aus den neuen Bundesländern geführt wurde.

 

Blood & Honour wollte von Anfang an radikale politische Akzente setzen und orientierte sich daher bei seinen Aktivitäten meist am illegalen Markt. Durch ein gut organisiertes Netzwerk war es der Organisation möglich, sich schon bestehender Vermarktungs-Strukturen zu bedienen und diese für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Hierzu zählte auch die „Verbindungslinie Nord“. Über Blood & Honour in Skandinavien ließ sie zum Beispiel die CD „Rock gegen Oben“ der Band Landser produzieren und verbreiten. Aufgenommen wurde die CD in Berlin, in den USA gepresst und über Skandinavien nach Deutschland gebracht. Hier wurde sie von Hamburger Raum aus vertrieben. Auch die „Verbindungslinie Ost“ spielte für die Organisation eine wichtige Rolle. In Ländern wie Polen oder Tschechien konnten die CDs kostengünstig gepresst und nach Deutschland geschmuggelt werden, um sie hier zu vertreiben. Anhand der Funde anlässlich einer Razzia im Oktober 1997 lässt sich erahnen, welches Ausmaß das illegale CD-Geschäft hatte. Bei der Durchsuchung der Ladenräume des Geschäftes No Mercy in Kiel, die als Zwischenlager dienten, wurden 31 000 CDs mit rechtsextremistischem Inhalt beschlagnahmt, die für den Versandhandel NS88 bestimmt waren.[104] In verschiedenen Regionen Deutschlands hatte das Blood & Honour -Netzwerk darüber hinaus Kontakte ins kriminelle Milieu und finanzierte sich auch durch Geldwäsche und Waffenhandel.[105]

 

Blood & Honour war ein Netzwerk, welches fast unmöglich zu entflechten war. Es gab über einhundert Bands, die dazu gehörten, zum Beispiel Landser, Noie Werte, Oidoxie. Es gab dutzende verschiedene Vertriebspartner in ganz Deutschland, verschiedene Labels und Fanzines, die im Umfeld von Blood & Honour gearbeitet haben. Allein die hohe Anzahl macht einen umfassenden Blick hinter die Kulissen schwierig. Hinzu kommt, dass sich diese ständig aufgelöst und neugegründet haben oder fusionierten. Es kam immer wieder zu Streitigkeiten unter den Geschäftspartnern, sodass Verbindungen aufgelöst wurden, dafür aber neue entstanden.[106]

 

Blood & Honour war nicht nur ein Zusammenschluss von rechtsextremistischen Geschäftsleuten, es war auch „in Deutschland ein Netzwerk mit einem hochgradig militanten und terroristisch ambitioniertem Potential. Bombenbau-Kurse und Mordaufrufe gegen Linke (‚a bullet in the head‘) in ‚ihren‘ Kriegsberichter-Videos, Waffen- und Sprengstoff-Funde bei ihre AktivistInnen, die Teilnahme an paramilitärischen Übungen, die Anbindung an Terrorgruppen, sowie einschlägigen kriminellen Lebensläufe ihrer ExponentInnen belegen dies deutlich.“[107]

 

Das Netzwerk von Blood & Honour wurde auch mit dem Nationalsozialistischen Untergrund in Verbindung gebracht. Seit 1999 wurden, laut einem internen Protokoll des LKA, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt zum harten Kern von Blood & Honour in Deutschland gezählt. Auch mutmaßliche Unterstützer des NSU gehörten zum Umfeld des Netzwerks: Ein Ex-Freund von Beate Zschäpe war stellvertretender Sektionsleiter von Sachsen. Dieser besorgte Sprengstoff für das Trio und vermittelte ihnen nach ihrem Abtauchen ihre erste Unterkunft. Antje P. gehörte auch zum Netzwerk in Sachsen und stellte Zschäpe ihren Pass zur Verfügung. Der Anführer der Sektion Sachsen und eine Größe im rechtsextremistischen Musikgeschäft, Jan W., soll Waffen für das Trio besorgt haben, welche mit dem Geld von Blood & Honour finanziert worden sein sollen.[108]

 

Am 14.09.2000 wurde Blood & Honour in Deutschland durch den damaligen Innenminister Otto Schily verboten.

 

Das Verbot wurde nach dem Vereinsgesetz vollzogen und mit folgenden Punkten begründet: „Blood & Honour richte sich gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“[109], bekenne sich zu „Hitler und führenden Nationalsozialisten“, verwende „Symbole und Begriffe des Nationalsozialismus“, „erinnere positiv an Teilorganisationen der NSDAP und staatliche Einrichtungen des dritten Reichs“, habe eine „rassistische und antisemitische Ausrichtung“, propagiere die „Abschaffung der parlamentarischen Demokratie zugunsten eines Führerstaates“ und richte sich in einer „kämpferischaggressiven Haltung“ gegen die Verfassung und den Gedanken der Völkerverständigung.“[110]

 

Schnell gründete sich aber eine Nachfolgeorganisation, die unter dem Namen Division 28, wobei die 2 und die 8 für die Buchstaben B und H des Alphabets und somit für die Organisation Blood & Honour stehen, die weiterhin gerade im Bereich der Konzertorganisation tätig war.[111]

 

Ob diese Organisation auch heute noch tätig ist, ist durch Recherchen nicht zu belegen. Was man aber sagen kann, ist, dass immer noch Kontakte zwischen deutschen Neonazis und Mitgliedern von Blood & Honour in England bestehen. Auf der Homepage des Netzwerks findet sich immer wieder Werbung für Konzerte in Deutschland:

 

[112]

 

Sowohl der Start von Blood & Honour 1991 in Deutschland als auch die Anschläge in Hoyerswerda und in Mölln Anfang der 90er Jahre spielten eine wichtige Rolle für die rechte Szene und speziell für den Rechtsrock. Danach setzte allerdings ein gesellschaftlicher Stimmungswandel ein. Die Neonazis rückten immer mehr in das Blickfeld der staatlichen Repression. Vereine und Konzerte wurden verboten. Bands und Organisationen mussten sich immer wieder juristischen Maßnahmen unterziehen,[113] die gerade im Konzertbereich erfolgreich waren. Konzerte konnten nicht mehr öffentlich angekündigt werden, da sie so Gefahr liefen im Voraus ganz verboten oder verhindert zu werden. So fanden nur noch wenige Zuschauer zu den Konzerten.

 

Zu dieser Zeit entwickelte sich auch die konspirative Art, zu einem Konzert zu gelangen, die auch heute noch Gang und Gäbe ist. Wenn Konzerte auf den einschlägigen Internetseiten bekannt gegeben werden, steht auf dem Flyer oft eine Telefonnummer, die zumeist sogar nur am Konzerttag freigeschaltet ist, wie im Folgenden bei einer Konzertankündigung der rechten Hooligan-Band Kategorie C:

 

[114]

 

Über diese Telefonnummer bekommt man einen ersten Treffpunkt genannt, der noch nicht der eigentliche Veranstaltungsort ist. An diesem Ort gibt es eine Kontaktperson, die die Besucher zum nächsten Treffpunkt weist. Dies kann sich über mehrere Treffpunkte hinziehen, bis man zum eigentlichen Veranstaltungsort gelangt. Je mehr Treffpunkte, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, die Polizei oder den Verfassungsschutz in die Irre zu führen. Um die Vermieter zu täuschen, werden die Veranstaltungsorte oft als Ort für eine Geburtstagsfeier oder eine private Party getarnt.

 

Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, werden die Räumlichkeiten von Personen angemietet, die noch nicht öffentlich im Zusammenhang mit Neonazis auffällig geworden sind.

 

Nachdem im Jahr 1992 die staatliche Repression die Szene auch häufiger schwächte, reagierten die Bands darauf sehr unterschiedlich. Es gab Bands, wie die Berliner Band Landser, die auf die Verfolgung mit weiterer Radikalität reagierte. Ihre Mitglieder versuchten erst gar nicht, die staatlichen Grenzen einzuhalten und schrieben immer radikalere Texte. Andere Bands versuchten, sich diesen Grenzen unterzuordnen und stellten ihre Texte sprachlich so um, dass sie sich im gesetzlichen Rahmen befanden, die Fans aber zwischen den Zeilen die eigentlichen Botschaften verstehen konnten.[115]

 

Gerade ab dem Jahr 1995 wurden die Bands in diesem Bereich immer professioneller. Die meisten Bands und Produzenten zogen Anwälte hinzu, welche den textlichen Spielraum prüfen sollten. um eventuell noch Dinge ändern zu können und einer Indizierung aus dem Weg zu gehen. Meistens produzierten die Bands direkt zwei Versionen ihrer CDs, eine harte und eine abgeschwächte. Die abgeschwächte Version, war dann für den offiziellen Markt bestimmt, da sie textlich keine strafbaren Inhalte aufwies. Die harte Version, war nur innerhalb der Szene oder auf dem Schwarzmarkt zu ergattern, wobei diese meist als Demo-Tape vertrieben wurde, ohne einen Hinweis auf den Interpreten. Einige Bands wechselten auch zu ausländischen Plattenlabels und verlagerten ihre Konzerte ins benachbarte Ausland, wo sie keine Repressionen fürchten mussten. [116]

 

Nicht nur durch das Verbot von Blood & Honour geriet die rechtsextremistische Szene wieder mehr in die öffentliche Wahrnehmung, sondern auch durch erneute Gewalttaten. Am 12. 06. 2000 wird Adriano Alberto, ein Fleischermeister der aus Mosambik nach Deutschland gekommen war[117], von Rechtsextremisten ermordet und am 27. Juli 2000 findet ein Sprengstoffanschlag auf eine Gruppe jüdischer Spätaussiedler, in Düsseldorf, statt. Gerade in Verbindung mit dem Mord an Adriano Alberto kommt auch wieder der Rechtsrock ins Spiel.

 

Die Tatverdächtigen gaben im Prozess an, sich im Vorfeld mit rechter Musik in Stimmung gebracht haben[118], u.a. mit dem „Afrika-Lied“ der Band Landser:

 

„Deutschland ist ein schönes Land, wir lieben es so sehr doch für Affen ist bei uns längst schon kein Platz mehr

 

Afrika für Affen,

 

Europa für Weiße steckt die Affen in ein Boot und schickt sie auf die Reise

 

Im Hafen geht die Party ab die Stimmung ist famos

 

Alle Affen sind an Bord, jetzt geht die Reise los.

 

(…)“[119]

 

Der zuständige Richter wies in seinem Urteil auf den Zusammenhang zwischen dem medialen Konsum und der realen Gewaltausübung hin.[120]

 

Das Verbot von Blood & Honour spielte vor allem den freien Kameradschaften und der NPD in die Hände, da sich nun viele der ehemaligen Mitglieder von Blood & Honour dort engagierten.

 

Gerade die NPD versuchte in der Folgezeit, sich bei der rechtsextremistischen Musikszene anzubiedern und diese für ihre Zwecke zu nutzen.

 

So erkannte vor allem der damalige Parteivorsitzende die Wichtigkeit von Musik für die politische Arbeit: „Die Musik transportiert Meinung, Musik transportiert Kultur und das ist für uns ein wichtiges Bindeglied zur Jugend. Weil über Musik sprechen wir die Jugend an, und sind dann in der Lage, wenn wir ihre Herzen über die Musik geöffnet haben, ihnen auch letztendlich schulisch unsere Ideen beizubringen.“[121]

 

Somit wird die NPD auch selber im Musikbereich tätig, sie produziert verschiedene CDs zu Wahlkämpfen, zum Beispiel zu den Landtagswahlen in Sachsen (2004) und in Schleswig-Holstein (2005). Ebenso wird 2005 eine Schulhof-CD produziert und bundesweit verteilt. In ihre Veranstaltungen binden sie immer wieder rechte Bands oder Liedermacher mit ein. Außerdem betätigt sich die Partei als Veranstalter von Konzerten. Eines der größten fand am 02. 04. 2005 im Anschluss an einen Landesparteitag in der thüringischen Stadt Pößneck statt. Es kamen über 1000 Besucher, was wohl vor allem am Auftritt von Michael Regener, Ex-Sänger der Band Landser, lag. Dieser gab sein letztes Konzert vor seinem Haftantritt.[122]

 

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
Rechtsrock als Propagandamittel. Wie kann Musik Menschen beeinflussen und leiten?
Hochschule
Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach
Note
1,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
88
Katalognummer
V374400
ISBN (eBook)
9783668530652
ISBN (Buch)
9783960951186
Dateigröße
1510 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Propaganda, Rechtsrock, Rechtsextremismus, Volksverhetzung, Hooligans gegen Salafisten
Arbeit zitieren
Marius Vieten (Autor:in), 2016, Rechtsrock als Propagandamittel. Wie kann Musik Menschen beeinflussen und leiten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374400

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